zu 99.467 Parlamentarische Initiative Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung (Initiative Marty) Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats vom 25. Januar 2002 Stellungnahme des Bundesrats vom 27. Februar 2002

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, gestützt auf Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes unterbreiten wir Ihnen unsere Stellungnahme zu Bericht und Anträgen der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats vom 25. Januar 2002 (BBl 2002 4164), die einen neuen Grundsatzartikel im Zivilgesetzbuch (Art. 641a ZGB) verlangen, wonach Tiere keine Sachen sind und nur soweit als Sachen behandelt werden sollen, als keine abweichenden Vorschriften bestehen. Mit dieser deklaratorischen Grundsatzbestimmung soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sich die Grundeinstellung der Bevölkerung zu Tieren gewandelt hat und dass diese eine spezielle Art von Rechtsobjekten sind.

Weiter werden verschiedene neue Bestimmungen im Zivilgesetzbuch (Art. 482 Abs. 4, 651a, 720a, 722 Abs. 1bis und 1ter, 728 Abs. 1bis, 934 Abs. 1 ZGB) und im Obligationenrecht (Art. 42 Abs. 3, 43 Abs. 1bis OR) sowie Anpassungen im Strafgesetzbuch (Art. 110 Ziff. 4bis, 332 StGB) und im Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (Art. 92 Ziff. 1a SchKG) verlangt.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

27. Februar 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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2002-0674

Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die Parlamentarische Initiative «Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung» wurde von Ständerat Dick Marty am 22. Dezember 1999 eingereicht, nachdem der Nationalrat am 13. Dezember 1999 mit 73 zu 58 Stimmen beschlossen hatte, nicht auf die Vorlage einzutreten, die ihm seine Kommission für Rechtsfragen aufgrund der beiden Parlamentarischen Initiativen François Loeb «Tier keine Sache» (92.437) und Suzette Sandoz «Wirbeltiere. Gesetzliche Bestimmungen» (93.459)1 unterbreitet hatte.

Die Parlamentarische Initiative Marty übernahm wortwörtlich die Bestimmungen dieser Vorlage der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats, unter Einbezug des Minderheitsantrags.

Im Rahmen der Vorprüfung beschloss der Ständerat am 20. September 2000 im Sinne des Antrags seiner vorberatenden Kommission mit 30 zu 3 Stimmen, der Initiative Marty Folge zu geben.

Daraufhin arbeitete die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats eine Vorlage aus, die alle Anliegen der Initiative berücksichtigt und im Wesentlichen ihren materiellen Inhalt übernimmt.

Die Kommission beantragt mit 12 zu 0 Stimmen ohne Enthaltungen, den vorgeschlagenen Gesetzesänderungen zuzustimmen. Sie betrachtet ihre Vorlage als indirekten Gegenentwurf zu den Volksinitiativen «für eine bessere Rechtsstellung der Tiere (Tier-Initiative)» und «Tiere sind keine Sachen!» (01.0282).

2

Stellungnahme des Bundesrats

2.1

Grundsätzliche Zustimmung zum Entwurf

Materiell stimmt die Vorlage der ständerätlichen Rechtskommission im Wesentlichen ­ wie bereits gesagt ­ mit der vorne erwähnten Vorlage der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats überein. Der Bundesrat hat bereits Gelegenheit gehabt, zur letzteren Stellung zu nehmen3, so dass er sich hier auf eine grundsätzliche Beurteilung und auf einige wenige Bemerkungen zu den Vorschlägen der ersteren beschränken kann.

Nach wie vor ist der Bundesrat der Auffassung, dass sich das Volksempfinden gegenüber Tieren gewandelt hat und dass die Rechtsstellung des Tieres entsprechend zu verbessern ist. So begrüsst er insbesondere den neuen Grundsatzartikel (Art.

641a ZGB), wonach Tiere keine Sachen sind, im Wissen allerdings, dass das Zivilrecht ­ anders als das öffentliche Recht ­ nur einen bescheidenen Beitrag zum Tierschutz erbringen kann.

1 2 3

BBl 1999 8935 BBl 2001 2521 BBl 1999 9541 ff.

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2.2

Zu den einzelnen Bestimmungen

Der Bundesrat stimmt der vorgeschlagenen Änderung im Erbrecht (Art. 482 Abs. 4 [neu] ZGB) zu, wonach Zuwendungen von Todes wegen an ein Tier als Auflage für den Erben oder den Vermächtnisnehmer gelten, für das Tier tiergerecht zu sorgen.

Wie bereits ausgeführt, stimmt der Bundesrat auch der neuen Bestimmung (Art. 641a ZGB) zu, die erklärt, dass Tiere keine Sachen sind und nur so weit als Sachen zu behandeln sind, als keine Sonderbestimmungen bestehen.

Gleiches gilt in Bezug auf den neuen Artikel 651a ZGB. Nach dieser Bestimmung kann das Gericht im Fall der Aufhebung von Miteigentum (und von Gesamteigentum, vgl. Art. 654 Abs. 2 ZGB) das Alleineigentum an Tieren, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, derjenigen Partei zusprechen, die in tierschützerischer Hinsicht dem Tier die bessere Unterbringung gewährleistet. Die Norm entspricht ­ sieht man von redaktionellen Änderungen ab ­ derjenigen, die der Bundesrat dem Nationalrat als Alternative zum damaligen Vorschlag der nationalrätlichen Rechtskommission unterbreitet hatte. Sie hat den Vorteil, dass sie die richterliche Übertragung bestehenden Alleineigentums von einer Person (z.B. einem Ehegatten) auf eine andere (z.B. den anderen Ehegatten) und somit eine «privatrechtliche Enteignung» ausschliesst.

Zustimmung verdienen auch die vorgesehenen neuen Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Fund von Tieren (Art. 720a, 722 Abs. 1bis und 1ter, 728 Abs. 1bis, 934 Abs. 1 ZGB).

Weiter kann sich der Bundesrat mit der neuen Bestimmung (Art. 42 Abs. 3 OR) über die Festsetzung des Schadens, der im Zusammenhang mit der Heilung von Tieren anfällt, einverstanden erklären. Dies umso mehr, als die vorgeschlagene Fassung ­ anders als diejenige, die die nationalrätliche Rechtskommission beantragt hatte ­ den überflüssigen Hinweis auf Treu und Glauben nicht mehr enthält.

Der Bundesrat kann sich auch mit der neuen Norm (Art. 43 Abs. 1bis OR) einverstanden erklären, wonach im Fall der Verletzung oder Tötung eines Tieres bei der Bestimmung des Schadenersatzes dem Affektionswert Rechnung getragen werden kann, den das Tier für seinen Halter oder dessen Angehörige hatte. In diesem Zusammenhang ist allerdings auf die Gefahr hinzuweisen, dass die neue Vorschrift die Grenze zwischen Schadenersatz und Genugtuung (Art. 49 OR) verwischt.
Auch der vorgeschlagenen Legaldefinition im Strafgesetzbuch (Art. 110 Ziff. 4bis [neu] StGB) sowie der Strafandrohung bei Nichtanzeigen eines Fundes (Art. 332 StGB) kann der Bundesrat ohne weiteres zustimmen.

Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, bieten kaum Aussicht auf einen Verwertungserlös und werden deshalb kaum je gepfändet. Es ist daher davon auszugehen, dass die vorgeschlagene Bestimmung (Art. 92 Ziff. 1a [neu] SchKG), wonach solche Tiere unpfändbar sind, keine praktischen Auswirkungen zeitigen wird. Der Bundesrat kann sich dennoch damit einverstanden erklären.

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3

Finanzielle und personelle Auswirkungen, Verhältnis zum europäischen Recht und Verfassungsmässigkeit

In Bezug auf die Darstellung der finanziellen und personellen Auswirkungen, des Verhältnisses zum europäischen Recht und der Verfassungsmässigkeit schliesst sich der Bundesrat den Ausführungen im Kommissionsbericht an.

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