01.070 Botschaft betreffend den Bundesbeschluss über die Erneuerung des Bürgschafts-Rahmenkredits für die Sicherung eines ausreichenden Bestandes an Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge vom 7. November 2001

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Entwurf für einen Bundesbeschluss über die Erneuerung des Bürgschafts-Rahmenkredits für die Sicherung eines ausreichenden Bestandes an Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

7. November 2001

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11679

Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2001-1890

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Übersicht Als Binnenstaat ohne nennenswerte Rohstoffvorkommen und, mit Ausnahme der Elektrizität, ohne eigene Energieträger sowie mit einer bloss unzureichenden eigenen Ernährungsbasis ist die Schweiz weitgehend von Importen aus dem Ausland abhängig. Zu einem erheblichen Teil stammen diese aus überseeischen Gebieten. Gleichzeitig ist die Schweiz ein klassisches Industrieland, das jeden zweiten Franken aus dem Export erwirtschaftet. Durch die zunehmende Liberalisierung der Märkte in Folge der Globalisierung sieht sich unsere Wirtschaft einem harten Wettbewerb ausgesetzt, der sie zu allen erdenklichen Kosteneinsparungen zwingt. Handel und Industrie haben deshalb nach dem «Just in time»-Prinzip ihre Betriebsvorräte auf ein absolutes Minimum reduziert. Auf Grund der entschärften sicherheitspolitischen Lage hat zudem der Bund in den vergangenen Jahren zur Entlastung des Konsumenten auch die Pflichtlagerhaltung von lebenswichtigen Gütern massiv reduziert, bei vielen Produkten wie bei Kohle, Seifen und Waschmitteln, bestimmten Düngern und Futtermitteln, Feldsämereien, Kakao sowie Tee die Pflichtlager sogar vollständig abgebaut und für weitere Produkte die Aufhebung der Pflichtlagerhaltung vorgesehen.

Die Globalisierung hat schliesslich zu einer noch nie gekannten internationalen Arbeitsteilung geführt, auf Grund der die Herstellung eines Gutes nicht mehr an einem einzigen Standort erfolgt, sondern jeweils an unterschiedlichen Orten, nämlich dort, wo die Produktionskosten für die einzelnen Komponenten am tiefsten sind. Dadurch werden industriell gefertigte Güter beziehungsweise ihre Komponenten meist mehrmals über weite Strecken von einem Land oder Kontinent zum andern transportiert, ehe das Endprodukt zum Konsumenten gelangen kann. Ähnlich liegen die Dinge bei der Exportwirtschaft, welche nur durch eine hohe Lieferbereitschaft in alle Teile der Welt wettbewerbsfähig bleiben kann.

Minimale Betriebsvorräte und massiv reduzierte Pflichtlager kann sich die Schweizer Wirtschaft aber nur leisten, sofern ein kontinuierlicher Warenzufluss aus dem Ausland durch effiziente Logistiksysteme sichergestellt ist. Auf weltweit operierende, leistungsfähige Transportsysteme sind aber ebenso die international tätige Industrie und die Exportwirtschaft angewiesen. Das einwandfreie Funktionieren dieses Dienstleistungsbereichs
ist somit generell für die Wirtschaft von existenzieller Bedeutung. Dabei stellt die Hochseeschifffahrt das sensibelste Glied in der gesamten Transportkette dar, ein Sektor, auf den das Binnenland Schweiz ohne eigene Vorkehrungen keinerlei Einfluss hätte. Indessen sind heute Störungen im Seeverkehr kaum mehr von globalen kriegerischen Auseinandersetzungen zu erwarten als vielmehr von regionalen Konflikten, immer öfters verbunden mit der Gefahr des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen und weit reichenden Waffensystemen, von machtpolitischen Spannungen, aber auch von Einschränkungen des freien Wirtschaftsverkehrs durch politischen und wirtschaftlichen Druck, von Blockaden bis hin zu wirtschaftlicher Erpressung. Engpässe im Seeverkehr sind aber auch im Falle von Natur- und technischen Katastrophen wie einer radioaktiven Verstrahlung oder bei grosser sozialer Unrast zu erwarten. Die Folge solcher Ereignisse ist regelmässig eine massive Verknappung von Schiffstonnage, welche unser Land oh-

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ne Meeresanstoss besonders hart träfe. In einer solchen Situation über eigene Seetransportkapazitäten zu verfügen, erhöht nicht nur die Versorgungssicherheit der Schweiz und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer exportorientierten Wirtschaft, sondern gleichzeitig auch die aussen- und wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit unseres Landes. Die Hochseeschifffahrt stellt in Krisenzeiten für unser Land stets eine lebenswichtige Dienstleistung dar, weshalb der Bund seit Ende der Vierzigerjahre die Schweizer Hochseeflotte fördert, anfänglich durch die Gewährung eigener Darlehen, seit Ende der Fünfzigerjahre durch Bürgschaften. Zum Zwecke des Flottenerhalts bewilligte das Parlament 1992 letztmals einen Bürgschaftsrahmenkredit von 350 Millionen Franken für eine Laufzeit von zehn Jahren, den es 1997 auf 600 Millionen Franken erhöhte. Dank diesem Bürgschaftsprogramm konnte die Schweizer Flotte stark verjüngt werden, wodurch ihre Wettbewerbs- und Einsatzfähigkeit erheblich gestiegen ist.

Versorgungs-, sicherheits- aber auch aussen- und aussenwirtschaftspolitische Gründe erfordern eine begrenzte, auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Schweiz zugeschnittene Handelsflotte. Durch die neutrale Flagge und ihre hohen technischen Standards ist sie in einem Krisenfall in der Lage, den Zugang zu den für die Versorgung, die industrielle Produktion und den Export lebenswichtigen Märkten zu sichern. Mit der Erneuerung des Bürgschaftsrahmenkredits von 600 Millionen Franken für eine weitere Periode von zehn Jahren soll nunmehr der bisher erreichte Bestand gesichert und eine laufende Erneuerung der Flotte ermöglicht werden.

Beim Bürgschaftsprogramm handelt es sich um eine moderate Förderungsmassnahme zur Schaffung günstiger Rahmenbedingungen. Ohne dieses Instrument seitens des Bundes hätte unsere Flotte angesichts einer weltweit massiven Subventionierung dieser Branche durch praktisch sämtliche maritimen Nationen kaum eine Überlebenschance. Obwohl mit der Gewährung von Schiffsbürgschaften in erster Linie sicherheits- und versorgungspolitische Ziele verfolgt werden, trägt diese Massnahme indirekt auch zur Stärkung des Dienstleistungsstandortes Schweiz bei, so insbesondere in der Westschweiz, wo verschiedene, sehr erfolgreiche und innovative Firmen im weltweiten Schifffahrts-Management tätig sind. Das Risiko darf für den Bund
als sehr günstig beurteilt werden. Seit seinem Engagement zu Gunsten der Handelsschifffahrt ist er noch nie aus seiner Bürgschaftsverpflichtung in Anspruch genommen worden.

Das schweizerische Schiffsbürgschaftssystem ist mit den Wettbewerbsregeln des GATT beziehungsweise der WTO, der OECD und der EU völlig konform und liegt hinsichtlich Art und Umfang der Massnahme weit unter dem, was auf Grund dieser Regeln zulässig wäre und was von den meisten Staaten auch tatsächlich an Subsidien gewährt wird.

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Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

Die eidgenössischen Räte haben am 4. Juni 1992 mit dem «Bundesbeschluss über einen Bürgschafts-Rahmenkredit für die Sicherung eines ausreichenden Bestandes an Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge» (BBl 1992 III 1004) einen Rahmenkredit im Umfang von 350 Millionen Franken für die Dauer von zehn Jahren bewilligt. Ziel dieser Massnahme ist die Sicherung eines angemessenen Bestandes an Schweizer Hochseeschiffen im Interesse der wirtschaftlichen Landesversorgung.

Dieses Förderungsprogramm, welches frühere Bürgschaftsprogramme fortführt, erwies sich schon nach wenigen Jahren als sehr erfolgreich. Die erhöhte Nachfrage nach teuren Neubauten auf Grund eines ausgetrockneten Marktes für Zweithandschiffe erforderte schliesslich eine Erhöhung des Bürgschaftsrahmenkredits um weitere 250 Millionen auf insgesamt 600 Millionen Franken. Auf Grund des Postulats Seiler Bernhard vom 22. März 1996 betreffend Sicherung eines ausreichenden Bestandes an schweizerischen Hochseeschiffen (96.3165) bewilligte das Parlament durch eine Änderung des ursprünglichen Bundesbeschlusses vom 4. Juni 1992 (BBl 1997 IV 815) diese zusätzlichen Bürgschaftsmittel. Mit dem Instrument der Bürgschaft erleichtert der Bund angesichts des für Schweizer Reeder schwierigen wirtschaftlichen Umfelds die Finanzierung von Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge. Inzwischen sind diese Mittel vollständig ausgeschöpft, und es ist damit gelungen, die angestrebte Erneuerung und gleichzeitig eine markante Modernisierung der Schweizer Hochseeflotte zu erreichen. Dieses Förderungsinstrument, welches der Bund nunmehr seit Ende der Fünfzigerjahre einsetzt, hat sich als äusserst erfolgreich erwiesen, dies bei vertretbarem Risiko. Für sein Bürgschaftsengagement musste der Bund bisher noch nie mit einem einzigen Franken in Anspruch genommen werden.

Zehn Jahre nach der ursprünglichen Bewilligung des Bürgschaftsrahmenkredits läuft nun der geltende Bundesbeschluss Mitte 2002 aus. Ein Anschlussprogramm soll an den bisherigen Erfolgen anknüpfen und die Kontinuität der Schweizer Hochseeflotte sowie die erreichte Modernisierung sichern. Ohne dieses einzige Förderungsinstrument hätte die Schweizer Handelsflotte in dieser hoch subventionierten Branche, in der sich Binnenstaaten gegenüber klassischen Seefahrtsnationen naturgemäss im Nachteil befinden, mittel- und
langfristig kaum eine Überlebenschance. Eine Erneuerung des Bürgschaftsrahmenkredits für eine weitere Periode von zehn Jahren liegt somit im Landesinteresse der Schweiz.

1.2

Vorverfahren

Im Rahmen der Vorbereitungen dieser Vorlage wurde den interessierten Seeschifffahrtskreisen, der Schweizerischen Seeschifffahrtskommission, dem schweizerischen Seereederverband, der economiesuisse und der Gewerkschaft VHTL Gelegenheit zur Meinungsäusserung gegeben. Die Betroffenen begrüssen ausdrücklich die Erneuerung des Bürgschaftsrahmenkredits, erachten jedoch die Höhe des vorgeschlagenen Rahmens von 600 Millionen Franken als absolutes Minimum.

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2

Besonderer Teil

2.1

Die versorgungspolitische Bedeutung des Seeverkehrs

2.1.1

Globalisierung der Wirtschaft und Seeverkehr

Heute findet ein fast uneingeschränkter Güteraustausch über sämtliche nationalen und kontinentalen Grenzen hinweg statt. Der harte wirtschaftliche Wettbewerb hat seit Jahren zu einer verstärkten internationalen Arbeitsteilung geführt. Kostengründe zwingen zur Herstellung eines Produkts an den unterschiedlichsten Standorten der Welt, ehe es zum Konsumenten gelangen kann. Die solchermassen international operierende Wirtschaft, welche in der so genannten Globalisierung ihren Ausdruck findet und die letzten Ansätze wirtschaftlicher Autarkie tilgt, unterliegt damit einer noch nie gekannten Mobilität. Auf Grund dieses verschärften Wettbewerbs ist ein Kostendruck entstanden, der Handel und Industrie nach dem Prinzip «just in time» zwingt, möglichst keine oder nur noch minimale Betriebsvorräte an Lager zu halten. Energieträger, Rohstoffe, Halb- und Fertigprodukte, aber auch Lebens- und Futtermittel werden heute nicht nur von Grosskonzernen, sondern ebenso von kleineren und mittleren Betrieben nach dem jeweiligen Bedarf der Kunden bestellt und möglichst ohne Zwischenlagerung in einem genau definierten Zeitfenster angeliefert. Diese grosse wirtschaftliche Mobilität erfordert zuverlässig funktionierende Logistik- und Verkehrssysteme, die jederzeit weltweit zu operieren in der Lage sind, aber ebenso leistungsfähige Kommunikationssysteme und andere Dienstleistungen wie Banken und Versicherungen. Das «Just in time»-System bringt zwar enorme Kosteneinsparungen und wirkt sich damit vorteilhaft für die Konsumenten aus, birgt aber erhebliche Risiken. Die Transportsysteme erweisen sich als das eigentliche Nadelöhr der Versorgung, die, wie noch zu zeigen ist, bei einem Ausfall sehr viel rascher und unmittelbarer als früher zu Versorgungsengpässen führen.

Die globalisierten Wirtschaftsstrukturen haben zur Folge, dass heute mehr als 90 Prozent aller weltweit hergestellten Güter mindestens einmal über See transportiert werden. Wurden früher vorwiegend Rohstoffe, Getreide und andere Massengüter mit Schiffen befördert, finden heute daneben dank moderner Containertechnik und Logistik in stark zunehmendem Masse auch industrielle Konsumprodukte des täglichen Bedarfs den Weg über die See. Die Zunahme des Containerschiffsverkehrs in den vergangenen Jahren zeigt hier eine deutlich steigend Tendenz. Nach den Prognosen von IWF
und OECD zur mittelfristigen Wirtschafts- und Handelsentwicklung wird eine Verdoppelung des Containerschiffsverkehrs in den kommenden zehn Jahren als realistisch betrachtet. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von etwa 7 Prozent, was deutlich über den Wachstumsraten der Weltwirtschaft und des Welthandels liegt. Möglich ist ein solches Wachstum vor allem dank sinkender Transportkosten für Container, was die Beförderung für immer mehr Produkte im Container wirtschaftlich werden lässt und zusätzlich den Austausch von Industriegütern auf der Halbwarenstufe fördert. Damit kommt dem Seeverkehr insgesamt eine stark zunehmende Bedeutung zu. Entsprechend der gestiegenen Bedeutung der Seeschifffahrt wächst aber auch die Abhängigkeit von diesem Transportträger.

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2.1.2

Strukturen der schweizerischen Versorgung

Als Industrie- und Dienstleistungsstandort ist die Schweiz wie jedes andere Land den Gesetzmässigkeiten der internationalen Märkte und der allgemeinen Entwicklung der Weltwirtschaft ausgesetzt. Am Ende der Versorgungskette wird sie aber als Binnenland von Störungen der Märkte und logistischen Strukturen sehr viel härter und wohl auch rascher als die meisten anderen Staaten betroffen, zumal unser Land weder einen direkten Zugang zum Meer besitzt noch über eigene Rohstoffvorkommen und eine ausreichende eigene Ernährungsbasis verfügt. Fast 100 Prozent der industriellen Rohstoffe, rund 85 Prozent der Energie und rund ein Drittel der Nahrungsmittel stammen aus dem Ausland, zum überwiegenden Teil direkt oder indirekt aus Übersee. Auf Grund ihrer Binnenlage ist die Schweiz zudem nur sehr beschränkt in der Lage, auf Zufuhrstörungen, die ihre Ursachen regelmässig im Ausland haben, wirkungsvoll reagieren zu können.

Der internationale Wirtschaftswettbewerb, dem sich unser Land weder entziehen will noch entziehen könnte, ohne ins wirtschaftliche Abseits zu geraten, verlangt alle erdenklichen Massnahmen zur Einsparung von Kosten. So haben auch die schweizerischen Betriebe in den vergangenen Jahren nach dem «Just in time»-Prinzip ihre Warenlager massiv abgebaut, da Vorräte sehr viel Kapital binden, damit die Produktion verteuern und letztlich zu einer Einbusse der Wettbewerbsfähigkeit führen.

Der heutige Stand der betrieblichen Lager in Handel und Industrie ist deshalb auf ein noch kaum je gekanntes Minimum gesunken. Soweit Vorräte in Form von Rohstoffen oder von Halbprodukten im eigenen Betrieb überhaupt noch gehalten werden, reichen sie meist gerade noch für wenige Tage oder höchstens für ein paar Wochen.

Für den Industriestandort Schweiz ist die gesicherte Zufuhr von Rohstoffen und Energieträgern eine lebenswichtige Frage. Nach wie vor besteht aber auch im Ernährungssektor eine beträchtliche Auslandsabhängigkeit. Bedeutende Mengen an Lebens- und Futtermitteln wie Getreide, Reis, Kaffee, Kakao, Tee, aber auch Dünger u.a.m. werden aus überseeischen Ländern in die Schweiz eingeführt.

Schweizer Firmen werden deshalb verpflichtet, zur Überwindung von Versorgungsstörungen für die meisten dieser Produkte entsprechende Pflichtlager anzulegen.

Mit diesen sollen allfällige Nachschublücken kurzfristig auf Grund
vorbereiteter Versorgungskonzepte überwunden werden. Diese Lösung ist jedoch im Wesentlichen nur für die Grundversorgung mit bestimmten Nahrungsmitteln, flüssigen Treib- und Brennstoffen sowie mit Antibiotika vorgesehen, eben dort, wo eine obligatorische Pflichtlagerhaltung verordnet ist. Indessen wäre ein ausschliesslicher Einsatz von Pflichtlagern nur von relativ kurzer Dauer, da in den vergangenen Jahren ein massiver Pflichtlagerabbau stattgefunden hat. Bei vielen Produkten wie bei Kohle, Seifen und Waschmitteln, bestimmten Düngern und Futtermitteln, Feldsämereien, Kakao sowie Tee wurden die Pflichtlager sogar vollständig aufgehoben, und für weitere Produkte ist eine Aufhebung für die nächsten Jahre vorgesehen. Die Versorgungskonzepte der wirtschaftlichen Landesversorgung gehen deshalb davon aus, dass dank der vorbereiteten Sicherstellung sensibler Transporte wie namentlich der Seeschifffahrt selbst in einer Krise stets ein gewisses Importvolumen aufrecht erhalten werden kann. Dies erlaubte es denn auch dem Bundesrat in den vergangenen Jahren, trotz allgemein sinkender Betriebsvorräte Pflichtlager in erheblichem Umfang

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abzubauen, dies vor dem Hintergrund einer auf kurze und mittlere Sicht als gering zu beurteilenden Gefahr eines Grosskriegs in Europa.

In allen übrigen Konsum- und Investitionsgüterbereichen wie etwa in der Maschinen- und Halbleiterindustrie, in der Chemie- oder Textilbranche oder in der Nahrungsmittelindustrie ausserhalb der Grundnahrungsmittelproduktion und -verteilung sowie generell im Handel beruht hingegen die Versorgungssicherung ausschliesslich auf privater Vorsorge, d.h. auf minimalsten Betriebsvorräten und auf dem Vertrauen in jederzeit funktionierende Transport- und Logistikinfrastrukturen.

Auf zuverlässige Transport- und Logistikstrukturen sind aber nicht allein die vom Import abhängigen Handels-, Industrie- und Nahrungsmittelbetriebe angewiesen.

Mindestens so abhängig von diesem Dienstleistungsbereich ist die schweizerische Exportwirtschaft. Für sie stellen funktionierende Transporte eine unverzichtbare und damit lebensnotwendige Dienstleistung dar. Angesichts der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Exports für die Schweiz kommt diesem Dienstleistungsbereich ein besonders hoher Stellenwert zu. Könnten unsere Produkte nicht mehr oder nicht mehr rechtzeitig zu den Abnehmern, insbesondere auch in die überseeischen Absatzgebiete Amerikas, Asiens oder Afrikas befördert werden, wäre die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Exportwirtschaft, letztlich auch der Werkplatz Schweiz zumindest erheblich gefährdet.

2.1.3

Sicherheitspolitische Risiken als Störfaktoren

Gegenüber den Zeiten des Kalten Kriegs haben die sicherheitspolitischen Risiken sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht entscheidende Änderungen erfahren. Heute steht nicht mehr die Gefährdung der territorialen Integrität der Schweiz durch eine militärische Bedrohung im Vordergrund, sondern die Funktionsfähigkeit von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft durch mannigfaltige Gefahren, welche durch ihre Dynamik, ihre Komplexität und die verminderte Bedeutung des geografischen Raumes geprägt sind (Sicherheitspolitischer Bericht SIPOL B 2000, BBl 1999 7665 und 7683).

Festzustellen ist eine deutliche Zunahme innerstaatlicher und regionaler Konflikte auf Grund ethnischer, religiöser oder ideologischer Spannungen. Hinter solchen Konflikten verbergen sich häufig handfeste ökonomische Interessen, bei denen einzelne Gruppen unversöhnlich nach der Hegemonie über rohstoffreiche Regionen oder über den Zugang zu strategischen Schlüsselgebieten streben. Dabei bilden die demografischen Entwicklungen und der Migrationsdruck, verbunden mit wachsender existenzieller Not und Verelendung, zusehends einen Nährboden für solche Konflikte, die von der internationalen Staatengemeinschaft nur selten und jeweils nur mit enormem materiellem und personellem Aufwand unter Kontrolle gebracht werden können. In diesem Kontext gibt aber auch die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und von weit reichenden Waffensystemen Anlass zur Sorge.

Für die wirtschaftliche Versorgung der Schweiz kann der Ausbruch eines Konflikts regionalen Ausmasses insofern von Relevanz sein, als der Zugang zu den betroffenen Regionen und damit zu den entsprechenden Rohstoffquellen, zu den Absatzgebieten sowie zu den Produktionsstätten für schweizerische Halb- oder Zwischenfabrikate zumindest erschwert würde. Solche Konflikte zeigen regelmässig, dass sich, vor allem wenn internationale Organisationen oder interessierte Staaten ­ wie 931

letztmals im Golfkrieg ­ militärisch intervenieren, die Nachfrage nach ziviler Schiffstonnage stark erhöht, sodass jeweils erhebliche Verknappungserscheinungen am Markt auftreten. Die in den vergangenen zehn Jahren erfolgte weltweite Reduktion der militärischen Flotten, insbesondere derjenigen der NATO-Staaten USA, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland, wird zudem in solchen Fällen künftig einen noch schnelleren und umfangreicheren Zugriff auf die zivile Tonnage erfordern. Solche Zugriffe dürften künftig schon deshalb noch einschneidender als bisher sein, weil diese Staaten im letzten Jahrzehnt auch bei ihren Handelsflotten einen erheblichen Aderlass von bis zu 30 Prozent durch Ausflaggungen zu verzeichnen hatten. Unter der Ausflaggungstendenz leiden aber seit Jahren sämtliche Industrienationen, so selbst Japan, das sich deswegen um seine Versorgungssicherheit zur See ernsthaft sorgt. Kaum Verlass wäre in einem Kriegs- oder Krisenfall auf Schiffsraum aufstrebender asiatischer Schwellenländer sowie klassischer Billigflaggenländer. Deren frei verfügbare Tonnagen vermöchten die erhöhte Nachfrage allenfalls nur begrenzt und nur sektoriell zu befriedigen.

Neben machtpolitischen Konflikten stellen aber auch heute noch Einschränkungen des freien Wirtschaftsverkehrs sowie politischer und wirtschaftlicher Druck trotz aller Bemühungen um einen freien und fairen Handel in der globalisierten Welt nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Gefahr für unsere Versorgung und unsere Exportwirtschaft dar. Gerade Kleinstaaten wie die Schweiz mit beschränkten Retorsionsmöglichkeiten unterliegen hier tendenziell sogar einem erhöhten Risiko. Indessen brauchen sich wirtschaftlicher oder politischer Druck sowie Einschränkungen des Wirtschaftsverkehrs nicht direkt gegen unser Land zu richten. Die Auswirkungen solcher Massnahmen treffen unser Land auf Grund der verstärkten internationalen Arbeitsteilung gleichwohl sehr unmittelbar. Richtet sich der politische oder wirtschaftliche Druck gegen die Schweiz oder gegen ihre wichtigen Handelspartner, so erhöht eine eigene Handelsflotte den Handlungsspielraum unseres Landes wesentlich.

Gefahren für unsere Versorgung drohen aber auch durch mancherlei andere Störungen wirtschaftlicher, sozialer oder ökologischer Natur wie lang anhaltende und flächendeckende Streiks, Unwetter,
Trockenheit und andere Naturkatastrophen. Solche Krisenfälle zeichnen sich dadurch aus, dass, etwa bei Missernten in Europa, rasch erhebliche Lücken in der Nahrungsmittelversorgung auftreten, eine Gefahr, die angesichts klimatischer Veränderungen im Zunehmen begriffen ist. Die Folge einer solchen Krise wäre eine stark erhöhte Nachfrage nach entsprechenden Produkten aus anderen Gegenden der Welt. Damit verbunden wäre aber auch innert kürzester Zeit eine ebenso massive Nachfrage nach zusätzlichem Schiffsraum. Auch in einem solchen Fall wären Verknappungserscheinungen auf dem freien Schiffsmarkt die unmittelbare Folge. Schiffsraum wäre, wenn überhaupt, so nur noch zu exorbitanten Preisen erhältlich, dies jedoch ohne Garantie für eine zeitgerechte Anlieferung. Dieses Szenario erhielte im Falle einer zivilisationsbedingten Katastrophe, so insbesondere bei einer nuklearen Verstrahlung, schlagartig höchste Aktualität.

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2.2

Notwendigkeit einer eigenen Handelsflotte zur See

2.2.1

Die versorgungs- und sicherheitspolitische Bedeutung der Schweizer Flotte

Nach Artikel 102 BV hat der Bund für den Fall machtpolitischer oder kriegerischer Bedrohung oder schwerer Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selber zu begegnen vermag, neben lebenswichtigen Gütern auch lebenswichtige Dienstleistungen sicherzustellen. Konkretisiert wird dieser Verfassungsauftrag durch Artikel 22 Absatz 1 des Landesversorgungsgesetzes (SR 531). Danach trifft der Bundesrat für solche Krisenfälle die erforderlichen Massnahmen, um unter anderem ausreichende Transportmöglichkeiten zu sichern und Transportwege offen zu halten. Vor dem Hintergrund hoch effizienter, aber äusserst fragiler Versorgungsstrukturen, minimaler Vorräte und einer weitgehenden Einbindung unserer Wirtschaft in die internationale Arbeitsteilung erhalten die Transporte generell für die Versorgungs- und Exportwirtschaft eine entscheidende Schlüsselfunktion. Sie stellen zweifellos einen lebenswichtigen Dienstleistungszweig dar. Lebenswichtige Bedeutung im Sinne des Landesversorgungsgesetzes, die eine staatliche Mitverantwortung begründen würde, kommt ihnen jedoch nur dort zu, wo auf Grund des geschilderten Störpotenzials eine überdurchschnittlich hohe Verletzlichkeit besteht und wo es gilt, vor allem lebenswichtige Importgüter wie aber auch Güter für den Export und den Veredlungsverkehr zu transportieren. Für die Schweiz stellt der Seeverkehr das schwächste Glied in der Transportkette dar, zumal sie als Binnenland ausserhalb ihres Territoriums keinerlei Einfluss auf diesen Dienstleistungsbereich hat ­ ein Umstand, der sich gerade in einer Krise besonders nachteilig auswirken würde. In seiner Botschaft vom 19. Februar 1997 zur Erhöhung des letzten Bürgschaftsrahmenkredits hielt der Bundesrat fest: «Die versorgungspolitische Bedeutung einer eigenen Hochseeflotte steigt deshalb in dem Masse, wie die Vorräte von Handel und Industrie in unserem Lande abnehmen und wie intensiver die schweizerische Wirtschaft in die internationale Arbeitsteilung eingebunden wird» (BBl 1997 III 218), eine Aussage, die bis heute nichts an ihrer Bedeutung eingebüsst hat.

Eine Verknappung der Handelstonnage trifft zwangsläufig in erster Linie Länder ohne eigene Flotten, und zwar unabhängig davon, ob politische, wirtschaftliche oder militärische Gründe die Krise ausgelöst haben. In einer solchen Situation ist geeigneter Schiffsraum regelmässig
nur schwer erhältlich. Erfahrungsgemäss werden jeweils nur noch technisch problematische Schiffe zu völlig überteuerten Preisen angeboten, was jedoch keine realistische Option darstellen kann. Damit wäre die Schweiz in Krisensituationen hinsichtlich ihrer maritimen Transportbedürfnisse auf das Wohlwollen anderer Staaten angewiesen, auf das aber, wie die Geschichte hinreichend belegt, kaum je Verlass war. Man muss auch annehmen, dass unter Umständen von der Schweiz für die Zurverfügungstellung von Schiffsraum gar politische Konzessionen verlangt werden könnten, etwa die Teilnahme an Wirtschaftsembargos oder andere, mit der Neutralität und Souveränität nicht oder nur schwer zu vereinbarende Gegenleistungen. Damit sähe sich unser Land notfalls gezwungen, unerwünschte politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten mit problematischen Konsequenzen auf sich zu nehmen.

In einer Krise kann die Schweiz auf dem Gebiet des Seeverkehrs auch nicht mit einer Unterstützung etwa der Europäischen Union oder der NATO rechnen, zumal sie 933

Mitglied in keiner dieser Organisationen ist und auch die Teilnahme an der Partnerschaft für den Frieden keine einseitigen oder gegenseitigen Verpflichtungen einschliesst. Die meisten europäischen Länder, so insbesondere auch unsere Nachbarstaaten, verzichten aus Kostengründen bei verschiedenen lebenswichtigen Gütern bewusst auf eine Lagerhaltung und konzentrieren sich erklärtermassen auf den überseeischen Nachschub mittels ihrer eigenen Handelsflotten. In einer Krise müsste diese Versorgungsstrategie die Nachfrage nach Schiffstonnage erst recht verschärfen.

Schliesslich erlangt in einer Krise die Flaggenfrage stets erhöhte politische Bedeutung, während diese Frage in normalen Zeiten dank weitgehender Liberalität kaum eine Rolle spielt. In Krisensituationen werden aber Schiffe von Konfliktparteien oder der mit ihnen verbündeten Länder häufig vom Anlaufen bestimmter Häfen oder vom Benützen bestimmter Fahrtgebiete ausgeschlossen, so letztmals im Jahre 1999 während des Kosovo-Kriegs, als jugoslawische Schiffe oder solche mit jugoslawischer Beteiligung sowie Schiffe mit leitendem jugoslawischem Schiffspersonal amerikanische Häfen nicht mehr anlaufen durften. Die neutrale Schweizer Flagge mit ihrem guten Ruf und ihren hohen Sicherheitsstandards bietet in diesen Fällen Gewähr dafür, dass unsere Schiffe auch in kritischen Situationen die für gewisse Flaggen unzugänglichen Häfen und Seegebiete benützen können.

Die Aufrechterhaltung einer eigenen, auf die schweizerischen Bedürfnisse ausgerichteten Handelsflotte liegt deshalb aus versorgungs-, sicherheits-, aussen-, und aussenwirtschaftspolitischen Gründen im nationalen Interesse der Schweiz.

2.2.2

Einsatz der Schweizer Flotte im Rahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung

Das Konzept für einen Einsatz der Schweizer Flotte im Rahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung sieht differenzierte Massnahmen vor, die sich nach den Prinzipien der Verhältnismässigkeit und Angemessenheit richten. Art und Umfang eines Einsatzes hängen vom Ausmass der Verknappung von Schiffsraum beziehungsweise von der Intensität einer Krise ab. Zunächst würden je nach Bedarf nur einzelne geeignete Schiffe auf der Basis von Seefracht- und Charterverträgen zwischen Spediteuren und Käufern der Ware einerseits sowie Reedern andererseits organisiert, wobei der Bund Schweizer Reeder bloss verpflichten würde, ihre Schiffe für Transporte zu Gunsten schweizerischer Kunden zur Verfügung zu stellen.

Sollte sich die sicherheits- und aussenpolitische Lage verschärfen, könnte der benötigte Schiffsraum durch eine zwangsweise Charterung oder gar mittels Requisition sichergestellt werden. Bei der Requisition ginge die operative Verantwortung für die Schiffe auf den Bund über, während die technische Abwicklung in den Händen des Reeders bliebe. Eine solch einschneidende Massnahme käme jedoch nur für den Fall eines umfassenden Einsatzes in Frage oder sofern sich eine freiwillige Lösung nicht finden liesse. Auf Grund des in der wirtschaftlichen Landesversorgung herrschenden Prinzips der Subsidiarität werden jedoch vertragliche Lösungen auf freiwilliger Basis, die möglichst wenig in den Marktmechanismus eingreifen, bevorzugt. Die Kosten eines Einsatzes würden vollumfänglich auf die Kunden überwälzt.

Für den Fall einer Indienststellung von Schweizer Schiffen im Interesse der wirtschaftlichen Landesversorgung wäre der Bund im Rahmen seiner politischen und 934

technischen Möglichkeiten auch für die Sicherstellung des Einsatzes behilflich. So würde er die erforderlichen Durchfahrts-, Hafen- und Versorgungsrechte mit den betroffenen Staaten sichern, soweit solche Vereinbarungen noch nicht bestehen, für die Aufrechterhaltung der Verbindungen, die nötigen Sicherheitsvorkehrungen zu Gunsten der Besatzungen und für die Einhaltung der see- und völkerrechtlichen Vorschriften sorgen. Wären die Reeder nicht mehr in der Lage, die Befrachtung sowie die Versorgung der Schiffe mit Verpflegung, Treibstoff, Schmiermitteln und mit Ersatzteilen selber durchzuführen, so übernähme der Bund hier eine koordinierende und unterstützende Funktion.

2.3

Entwicklungen in der internationalen Seeschifffahrt

2.3.1

Allgemeine Tendenzen

Die Entwicklung des Seehandels folgt weitgehend der allgemeinen Entwicklung der Weltwirtschaft. Entsprechend den Konjunkturzyklen steigt oder sinkt jeweils die Nachfrage nach Schiffsraum, wobei zum Teil erhebliche Unterschiede bei den einzelnen Schifffahrtssegmenten feststellbar sind. Stellt sich ein konjunktureller Abschwung ein, verfallen die Charterraten, und mit einer gewissen Verzögerung nimmt auch die Schiffsbautätigkeit ab. Neubauten sind dann jeweils zu günstigeren Preisen erhältlich, ebenso Zweithandschiffe. Zeichnet sich hingegen eine Erholung der Wirtschaft ab, wird Schiffsraum rasch knapp und Charterraten wie Schiffspreise steigen entsprechend an. Die gesteigerte Nachfrage nach Schiffen lässt dann den Zweithandschiffsmarkt regelmässig rasch austrocknen, und die Werften erfreuen sich wieder auf längere Sicht einer guten Auslastung. Tatsächlich verlaufen die Entwicklungen der allgemeinen Konjunktur und der Schifffahrtsbranche aber nur selten völlig kongruent.

Nach einer schweren Krise in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre erholte sich die Seeschifffahrt Anfang der Neunzigerjahre wieder und erreichte ungefähr 1995 einen Höhepunkt. Auf Grund der Asienkrise erlebte sie 1998 jedoch einen ihrer schwersten Rückschläge seit den Achtzigerjahren. Seither hat sich die Lage aber wieder stark verbessert, allerdings mit einer nicht gefestigten Tendenz für die kommenden Jahre. Diese Zyklen zeigen deutlich, dass die Schifffahrtsbranche stets massiven konjunkturellen Ausschlägen ausgesetzt ist, die häufig sehr viel stärker ausfallen als diejenigen der allgemeinen Weltwirtschaftsentwicklung. Konsequenterweise müsste dies nach einem antizyklischen Investitionsverhalten rufen. Indessen steht aber in der Praxis der hohe Kapitalbedarf bei unausgeglichenen und knappen Ertragsaussichten einem solchen Investitionsverhalten meist entgegen. Schifffahrtsunternehmen können am Markt nur bestehen, wenn sie in der Lage sind, Investitionen zu tätigen, die sie über eine lange Zeit von etwa 20 bis 25 Jahren amortisieren können, und wenn sie zudem über eine ausreichende finanzielle Substanz verfügen, die es ihnen erlaubt, auch schwache konjunkturelle Phasen durchzustehen. Die Folge sind ein weltweiter Konzentrationsprozess in der Schifffahrtsbranche, dessen Ende nicht absehbar ist, und vor allem ausgeklügelte
Unterstützungspraktiken durch praktisch sämtliche Seefahrtsnationen.

Eine interessante Entwicklung zeichnet sich auf Grund der Bestrebungen zum Schutze der Meere ab. Diese Massnahmen entfalten zusehends Wirkung, sodass sich der Einsatz alter und technisch problematischer Schiffe auf Grund strenger Umweltvor935

schriften immer weniger lohnt. Künftig wird deshalb mit einer Beschleunigung der Abwrackung veralteten Schiffsraums gerechnet, zumindest werden es aber schlecht gewartete Schiffe künftig schwer haben, Häfen von Industriestaaten wie namentlich der EU, Nordamerikas oder Australiens anzulaufen. Immer häufiger ist zu beobachten, dass Hafenbehörden dieser Länder teilweise mit rigorosen Mitteln gegen fehlbare Schiffsbetreiber und deren Besatzungen vorgehen. Reedereien, die sich weiterhin in diesem Geschäft betätigen wollen, sehen sich deshalb einem zunehmenden Druck ausgesetzt, ihre Flotten rascher als bisher zu erneuern. Die Überalterung und der schlechte technische Zustand eines erheblichen Teils der insgesamt hohen Welthandelstonnage hat letztlich zur Folge, dass dieser Teil für den Einsatz im Verkehr mit Industrieländern nicht wirklich zur Verfügung steht.

Die internationalen Bestrebungen zur Sicherung der sozialen Standards an Bord haben in der Vergangenheit zwar grosse Fortschritte gezeigt, doch verleiten der harte Wettbewerb und fehlende Kontrollen einzelner Flaggenstaaten immer noch viele Reeder, sich im Sozialbereich auf Kosten der Seeleute Vorteile zu verschaffen.

Vor allem Seeleute aus Drittweltländern werden häufig Opfer solcher Praktiken.

Schiffe, auf denen die sozialen Standards nicht eingehalten werden, stellen ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar, da es solchen Mannschaften nicht selten auch an den erforderlichen Qualifikationen zum Betrieb eines Schiffs fehlt. Gerade in einer Krise wäre auf Schiffe mit solchen Mannschaften wenig Verlass; liefen sie doch wegen Nichteinhaltung der ILO- und ITF-Standards1 stets Gefahr, in Häfen von Industrieländern verarrestiert zu werden. Demgegenüber sind die sozialen Bedingungen an Bord der Schweizer Schiffe vorbildlich. Auf Schweizer Schiffen gilt die Sozial- und Arbeitsgesetzgebung des schweizerischen Seeschifffahrtsrechts, welches deutlich über die Mindestanforderungen des internationalen Rechts hinausgeht.

2.3.2

Förderung nationaler Flotten

Die Seeschifffahrt befindet sich seit je in einem ausserordentlich harten weltweiten Wettbewerb. Die Regierungen sämtlicher seefahrenden Nationen sehen sich deshalb veranlasst, ihren eigenen Handelsflotten und Werftindustrien durch mannigfaltige Massnahmen Vorteile zu verschaffen. Damit werden mehrere Ziele verfolgt, die stets aussen-, aussenwirtschafts- und sicherheitspolitischer Natur sind, zumeist aber einen vorwiegend beschäftigungspolitischen Hintergrund haben. Zu den klassischen Förderungsinstrumenten zählen insbesondere Direktsubventionen und Steuererleichterungen aller Art für Reedereien und Seeleute, Werftbeihilfen für die Schiffsbauindustrie und vieles andere mehr. Staatliche Subsidien zu Gunsten der nationalen Schifffahrtsbranchen werden aber sehr oft gar nicht offen und direkt gewährt, sondern mittels versteckter Leistungen, sodass es schwer fällt, hier einen wirklichen Überblick zu erhalten.

Sämtlichen Bestrebungen zur Eindämmung solcher Subventionen blieb bis heute ein Erfolg versagt. Der letzte Versuch zur Liberalisierung der Seeschifffahrt im Rahmen der GATT-Uruguay-Runde scheiterte 1996 vor allem am Widerstand der Vereinigten Staaten von Amerika, die eine Unterstellung der Seeschifffahrt als Dienstleistung

1

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ILO: International Labor Organisation (Arbeitsorganisation der UNO); ITF: International Transport Federation (Internationale Transportgewerkschaft)

unter die GATS-Regeln nicht akzeptierten. Sie betrachten die Seeschifffahrt als sicherheits- und wirtschaftspolitisch besonders sensiblen Bereich, den sie keiner weiter gehenden Liberalisierung aussetzen möchten. Die Diskussion, welche zunächst auf das Jahr 2000 verschoben wurde, ist bis heute nicht wieder in Gang gekommen.

Im Rahmen der OECD konnte zwar 1994 ein «Übereinkommen über die Einhaltung normaler Wettbewerbsbedingungen in der gewerblichen Schiffbau- und Schiffsreparaturindustrie» getroffen werden, das den Abbau sämtlicher Subventionen in diesem Industriebereich vorsieht. Allerdings scheiterte das Inkrafttreten dieses Abkommens an der Nichtratifizierung durch die Vereinigten Staaten.

Die Seeschifffahrtspolitik der EU ist auf den Erhalt der Flotten der Mitgliedstaaten gerichtet, die grundsätzlich eine entsprechende Förderung durch geeignete Massnahmen steuerlicher, finanzieller und anderer Art gestattet. Indessen gelang es bisher jedoch nicht, eine Einigung über die Gewährung steuerlicher und anderer Erleichterungen durch die EU-Kommission und den damit verbundenen Transfer von Kompetenzen der Mitgliedstaaten an die Union zu finden. Die Einführung des «EUROS-Registers», welches eine Vereinheitlichung der Sicherheitsstandards zum Ziele hatte, scheiterte seinerzeit an diesem grundsätzlichen Problem. Eine Eindämmung der Subventionen im Schiffbausektor zeigt mittlerweile innerhalb der Gemeinschaft Wirkung, doch verlieren die Werften der EU-Staaten dadurch viele Aufträge vor allem an fernöstliche Schiffswerften.

2.4

Entwicklung der schweizerischen Hochseeflotte

2.4.1

Erfolg des Bürgschaftsprogramms 1992

Dem 1992 eingeleiteten und 1997 ergänzten Bürgschaftsprogramm ist ein voller Erfolg beschieden gewesen. Mit dem vom Parlament bewilligten Bürgschaftsrahmenkredit von 600 Millionen Franken, der bereits vor dem Ende der Laufzeit ausgeschöpft war, konnten die angestrebten Förderziele, nämlich die Erhaltung einer für die Zwecke der wirtschaftlichen Landesversorgung geeigneten Handelsflotte und deren Modernisierung vollumfänglich erreicht werden. Dieser Erfolg ist vor allem auf die attraktiven Bürgschaftsbedingungen zurückzuführen, welche der Bundesrat mit der «Verordnung vom 24. Juni 1992 über die Verbürgung von Darlehen zur Finanzierung schweizerischer Hochseeschiffe» (SR 531.44) ermöglicht hat. Für die Schiffseigner konnte dank hoher Flexibilität in der Ausgestaltung der Bürgschaft ein günstiges Klima für langfristige Investitionen geschaffen werden. Dabei erwies sich die Gewährung von Solidarbürgschaften an Stelle der einfachen Bürgschaft als bedeutendstes Element, hat doch diese Bürgschaftsart gegenüber früheren Programmen zu einer spürbaren Reduktion des Zinsniveaus geführt. Dieser günstige Effekt wurde aber gleichzeitig auch durch weitere Erleichterungen wie die Möglichkeit zum Abschluss von Fremdwährungsbürgschaften oder die Verbürgung von Darlehen gegenüber ausländischen Finanzinstituten sowie die Ausdehnung der Laufzeit und des Bürgschaftsumfangs erreicht.

937

2.4.2

Zusammensetzung der Schweizer Handelsflotte

Zurzeit verfügt die Schweizer Hochseeflotte über einen Bestand von 24 Einheiten (Stand Oktober 2001) mit einer Gesamttragfähigkeit von 887 850 DWT2 oder 501 975 BRZ3. Damit liegt sie an 61. Stelle in der Weltrangliste und hinter Luxemburg auf dem zweiten Platz der Binnenländer. Zahlenmässig hat sich die Schweizer Flotte seit den Achtzigerjahren zwar von 34 auf 24 Einheiten verringert, doch ist ihre Tragkraft inzwischen etwa verdreifacht worden. Diese 24 Schiffe sind welt-weit im Einsatz und transportieren für grosse Handelshäuser Waren auf Grund von Zeit- oder Reisecharterverträgen. Gegenwärtig setzt sich die Schweizer Hochseeflotte aus folgenden Schiffstypen zusammen: Schiffstyp

Anzahl Schiffe

Durchschnittsalter

Tragfähigkeit

SelbstTEU4 beladungsvorrichtung/ Kräne:

Bulk Carriers, wovon: Handymax Panamax

15 10 5

3,70 Jahre 4,20 Jahre 3,00 Jahre

829 251 DWT 461 685 DWT 367 566 DWT

10 10 0

Containerfähige Schiffe: 6 Container/Bulk-Feeder 4 Container Combi Freighter 2

1,50 Jahre 2,00 Jahre 1,00 Jahre

38 431 DWT 20 200 DWT 18 231 DWT

2 0 2

Produktetanker

3

9,50 Jahre

20 168 DWT

3

24

3,70 Jahre

887 850 DWT

15

Total

1 883 880 1 003

1 883

Das Gros der Flotte besteht aus Trockengutfrachtern der Handymax- und der Panamax-Klasse zwischen 43 600 und 75 500 DWT. Schiffe der Handymax-Klasse verfügen im Gegensatz zu Panamax-Schiffen über eigene Kräne und können sich selber beladen und entladen. In den meisten Fällen können sie sogar Deckladung sowie nötigenfalls Container aufnehmen. Bulk-Carriers eignen sich vorwiegend für Massengüter wie Getreide, Stahl, Kohle, Erze und anderes mehr. Wurde bisher das Fehlen von Container-Schiffen beklagt, so konnten in den letzten zwei Jahren immerhin sechs kleinere Einheiten erworben werden, die für die Aufnahme von Containerfracht eingerichtet sind, daneben aber auch Stück- und Schüttgüter transportieren können. Diese Polyvalenz macht sie für den Einsatz im Rahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung sehr interessant, insbesondere für den Import und den Export von Halb- und Fertigprodukten. Angesichts der zunehmenden Containerisierung sind künftig je nach Entwicklung vermehrt auch kleinere und mittlere Containerschiffe zu berücksichtigen. Dabei wäre es für die Landesversorgung durchaus von Interesse, wenn Schweizer Reedereien mit mittleren Container-Carriers an bestimmten Routen im Linienverkehr partizipieren könnten.

2 3 4

938

DWT: deadweight ton; Tragfähigkeit, Gewicht der Ladung, welche ein Schiff bei Sommer-Freibord mitführen darf.

Bruttoraumzahl; rechnerische Gesamtgrösse (keine konkrete Dimension) gemäss Tonnage Convention 1969, in Kraft seit 1982 TEU: Twenty Foot Equivalent Unit, 20-Fuss-Container

Für den Chemiestandort Schweiz sind schliesslich die zwei kleineren ChemieProdukte-Tanker mit einer Tragfähigkeit zwischen 4780 und 9100 DWT von besonderem Interesse. Diese modernen Hightech-Schiffe ermöglichen den Transport flüssiger Chemikalien aller Art sowie sämtlicher Mineralölprodukte. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Frage nach einer eigenen Erdöltankerflotte gestellt. Obwohl die Schweiz eine sehr hohe Abhängigkeit vom Erdöl kennt, wurde bisher sowohl auf Rohöl- wie aber auch auf Ölproduktetanker verzichtet. Der Grund lag früher darin, dass die Risiken als zu gross erachtet wurden, während heute die Mitgliedschaft der Schweiz in der Internationalen Energieagentur (IEA) Öltanker nicht mehr zwingend erfordert. Bei einer Verknappung des Angebots würden die vorhandenen Erdölvorräte durch die IEA-Behörden den einzelnen Mitgliedstaaten zugeteilt. Könnte sich die Schweiz auf dem freien Markt Erdöl beschaffen, so würden ihr die entsprechenden Mengen im Rahmen der Länderzuteilung von der IEA gekürzt, sodass sie aus einem solchen Vorgehen kaum einen Nutzen ziehen könnte.

Bei einer Veränderung der Rahmenbedingungen müsste diese Frage jedoch erneut geprüft werden.

Die Statistik weist ein auffallend tiefes Durchschnittsalter der Schiffe aus und bestätigt damit, dass die Schweiz gegenwärtig über eine der modernsten Flotten der Welt verfügt. Dies ist ein direkter Erfolg der noch laufenden Bürgschaftsaktion. Zu Beginn des Programms Mitte 1992 betrug das Durchschnittsalter noch 14,5 Jahre.

Die Förderungspolitik des Bundes gestattete es, innerhalb von gut acht Jahren praktisch sämtliche älteren Schiffe abzustossen und vorwiegend durch Neubauten zu ersetzen. Durch diese Erneuerung gelang es vor allem auch, moderne Schiffe nach den Bedürfnissen des Marktes zu beschaffen, wodurch die Schweizer Flotte erheblich an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen hat. Im harten Konkurrenzkampf können die Schweizer Reeder nur bestehen, wenn sie laufend moderne und leistungsfähige Schiffe zum Einsatz bringen, für die am Markt auch eine Nachfrage besteht. Schiffe, die den heutigen technischen und kommerziellen Anforderungen nicht mehr entsprechen, würden auch in einer Krise den Anforderungen an die erhöhte Einsatzfähigkeit und Flexibilität nicht gerecht. Für die Bedürfnisse der wirtschaftlichen Landesversorgung sind sie deshalb von vornherein ungeeignet.

2.5

Notwendigkeit einer Erneuerung des Bürgschaftsrahmenkredits

2.5.1

Schifffahrtsförderung zur Sicherung des Fortbestands der Schweizer Hochseeflotte

Die schweizerischen Reeder stehen in einem ausgesprochen harten Wettbewerb mit einer übermächtigen internationalen Konkurrenz. Ihre hohe Professionalität erlaubt es ihnen jedoch, sich trotz der natürlichen Nachteile, welche mit der Binnenlage unseres Landes verbunden sind, in diesem Markt erfolgreich zu behaupten. Allerdings sind ihre Spiesse in kommerzieller Hinsicht gegenüber der ausländischen Konkurrenz wesentlich kürzer, gewähren doch praktisch sämtliche maritimen Nationen ihren Flotten trotz aller Liberalisierungsbestrebungen auch heute noch massive finanzielle und wirtschaftliche Vorteile. Dadurch wird ein echter Wettbewerb in dieser Branche weitgehend verhindert. Es sind jedoch keineswegs nur Billigflaggen-Staaten, welche durch einen Verzicht auf Steuern, Sozialabgaben und 939

Gebühren sowie durch eine large Überwachungspraxis Reeder unter ihre Flagge locken. Vielmehr sind es auch die Industrieländer, so etwa der EU und andere, welche ihre Handelsflotten aus wirtschafts- und sicherheitspolitischen Motiven mit erheblichen Subventionen gegen die Billigkonkurrenz zu schützen versuchen. In aller Regel spielen gerade bei den klassischen maritimen Nationen stets auch beschäftigungspolitische Gründe eine wesentliche Rolle. Schliesslich subventionieren Schwellenländer ihre Schifffahrtsindustrie oftmals mit dem vorrangigen Ziel, Marktanteile zu gewinnen. Dass diese herrschende Subventionspraxis in Zukunft ernsthaft zurückgedrängt werden könnte, dafür bestehen nicht die geringsten Anzeichen.

Schweizer Reeder können von derart massiven Subventionen oder Steuererleichterungen nicht profitieren und erleiden deshalb im internationalen Wettbewerb einen deutlichen Konkurrenznachteil. Die Versuchung, eine geeignete Fremdflagge zu wählen, welche optimale wirtschaftliche Vorteile bringt, ist deshalb verlockend.

Indessen sind von Reederseite solche Subventionen bisher nie gefordert worden.

Gewünscht werden jedoch zweckmässige Rahmenbedingungen, die Schweizer Reedern eine Chance geben, an diesem ungleichen Wettbewerb teilnehmen zu können. Das auslaufende Bürgschaftsprogramm hat hinlänglich bewiesen, dass die Gewährung von Bundesbürgschaften zur Erleichterung der Finanzierung von Schiffstonnage ein geeignetes Instrument ist, das auf moderate Weise die Stellung der Schweizer Reeder in diesem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld verbessert.

Ohne diese Massnahme sähen sich schweizerische Schifffahrtsunternehmen ausser Stande, künftig noch die Schweizer Flagge zu wählen. Die Behauptung ist deshalb zulässig, dass es ohne dieses Förderungsinstrument heute kaum mehr eine Hochseeflotte unter Schweizer Flagge gäbe. Will der Bund aber, dass die Schweiz für ihre versorgungspolitischen Bedürfnisse auch in Zukunft über eine angemessene Handelsflotte verfügen kann, so ist die Fortführung der Schifffahrtsförderung unumgänglich.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach Alternativen zu diesem Förderungsinstrument. Gelegentlich wird dafür das Modell der so genannten Tonnagetaxe als Möglichkeit angeführt, so wie es die Niederlande seit einiger Zeit kennen und wie es auch Deutschland, Frankreich,
Grossbritannien, Dänemark oder Finnland mit unterschiedlicher Ausgestaltung ebenfalls eingeführt haben. Dabei geht es darum, dass sich Schifffahrtsgesellschaften an Stelle der ordentlichen Steuern für dieses System entscheiden können, wenn sie während zehn Jahren einen Standort im betreffenden Land wählen. Der Vorteil besteht vor allem darin, dass diese Gesellschaften einen bestimmten Anteil ­ im Falle der Niederlande sogar 100 Prozent ­ der Lohnsteuern und Lohnnebenkosten für sich einbehalten können. Ausserdem brauchen sie vor allem in den Niederlanden bei einem Schiffsverkauf die Differenz zwischen dem Buchwert und dem Erlös nicht zu versteuern. Dieses Anreizsystem eignet sich jedoch aus verschiedenen Gründen nicht für schweizerische Verhältnisse. Es ist in erster Linie darauf ausgerichtet, die Reedereien zu einem Verbleiben im eigenen Lande zu motivieren. Um aber auch die Tonnage zu erhalten, müssten wie in den Niederlanden sehr weit gehende Zugeständnisse im Bereiche der Steuern und Sozialabgaben gemacht werden. Deutschland vermochte jedenfalls bisher mit seiner vergleichsweise moderaten Tonnagetaxe den Trend zur Ausflaggung und den Verlust an Arbeitsplätzen an Bord nicht zu stoppen und sieht sich nun gezwungen, erhebliche zusätzliche Vorteile bei den Sozialabgaben einzuräumen. Durch die Tonnagetaxe nimmt der Staat nicht unbeträchtliche Einbussen bei Steuern und 940

Sozialabgaben in Kauf. Die Tonnagetaxe eignet sich vornehmlich für Länder, in denen die Seeschifffahrt einen wesentlichen Bereich der nationalen Gesamtwirtschaft darstellt. Eine gezielte Förderung einer auf einen bestimmten Zweck beschränkten Flotte, wie sie die Schweiz betreibt, wäre damit nicht mehr möglich.

Ein solches Instrument verträgt sich auch kaum mit dem schweizerischen Steuersystem, müsste doch damit vor allem auch in die Steuerhoheit der Kantone eingegriffen werden. Das Sozialversicherungssystem würde einen systemfremden Einbruch erleiden, der sich mit der schweizerischen Sozialpolitik nur schlecht vertragen würde. Schliesslich spricht die präjudizierende Wirkung für andere Wirtschaftsbereiche gegen die Einführung der Tonnagetaxe.

2.5.2

Ziele der schweizerischen Seeschifffahrtspolitik

Die sechzigjährige Geschichte der Schweizer Hochseeschifffahrt zeigt, dass die Ausrichtung unserer Handelsflotte von Beginn an ausschliesslich versorgungs-, sicherheits- und aussenpolitischer Natur gewesen ist. Diese politische Zielsetzung hat der Gesetzgeber in der Seerechtsgesetzgebung verankert (siehe Artikel 6 und 36 Seeschifffahrtsgesetz vom 23. September 1953; SR 747.30). Wie in dieser Botschaft ausführlich gezeigt wird, haben diese Rechtsgrundlagen auch unter völlig gewandelten sicherheitspolitischen Vorzeichen nach wie vor ihre volle Gültigkeit. So geht es heute längst nicht mehr um die Sicherstellung des Nachschubs aus Übersee für eine von einem Grosskrieg bedrohte Schweiz, als vielmehr um die Sicherung eigener Seetransportkapazitäten angesichts der hohen Sensibilität und Verletzlichkeit des Seeverkehrs in einem veränderten globalen wirtschaftlichen Umfeld, dies im versorgungs-, aussenwirtschafts-, sicherheits- und aussenpolitischen Interesse des neutralen Binnenlandes Schweiz.

Ziel der vorgeschlagenen Erneuerung des Bürgschaftsprogramms ist deshalb die Aufrechterhaltung einer modernen, wettbewerbsfähigen Flotte, die im Durchschnitt etwa dem heutigen Bestand von 25 Schiffen entspricht. Eine veränderte Zusammensetzung ist, je nach Entwicklung des Marktes, durchaus möglich. Wünschenswert ist zudem ein wieder etwas höherer Bestand an kleineren Produktetankern.

Diese Flotte dient der Erhöhung der Versorgungssicherheit bei Mangellagen oder bei Störungen im Seeverkehr, so insbesondere für den Transport von: 1.

lebenswichtigen Konsumgütern und teilweise auch Energieträgern;

2.

Rohstoffen sowie Halbwaren und Komponenten zur Herstellung und Veredelung industrieller Güter, die für den Produktionsstandort Schweiz von Bedeutung sind;

3.

Exportgütern, die für überseeische Absatzmärkte bestimmt sind und zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft beitragen.

Damit soll schliesslich die aussen- bzw. aussenwirtschaftspolitische Handlungsfreiheit erhöht und die Gefahr einer Explosion der Transportkosten zum Nachteil der Wirtschaft und der Konsumenten bei einer Verknappung der Tonnage vermieden werden.

941

2.5.3

Allgemeine günstige wirtschaftliche Auswirkungen der Schifffahrtsförderung

Die Schifffahrtsförderungspolitik stärkt in gewisser Weise auch den Dienstleistungsstandort Schweiz. Aus ordnungspolitischen Gründen kann dies jedoch kein erklärtes Förderungsziel darstellen. Indessen ist nicht zu übersehen, dass diese Massnahme durchaus auch günstige wirtschaftliche Nebeneffekte zeitigt. So haben sich in den letzten Jahren auf Grund des noch geltenden Bürgschaftsprogramms in Bern und Zürich zwei neue Reedereien etabliert und in der Romandie, wo die Seeschifffahrt traditionell verwurzelt ist, konnten qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen beziehungsweise erhalten werden. Schliesslich wird dadurch für die Schweiz nicht nur wertvolles maritimes Know-how erworben und gesichert, das für das Transportgewerbe und die Logistikbranche generell von Nutzen ist, sondern es werden überdies für die Logistiksysteme wertvolle Beziehungen hergestellt. Dies ist in einer Krise wiederum eine unerlässliche Voraussetzung für die Sicherstellung der wirtschaftlichen Landesversorgung mit lebenswichtigen Transporten.

2.5.4

Laufzeit und Umfang eines neuen Bürgschaftsrahmenkredits

Der zehnjährige Rhythmus der letzten Bundesbürgschaftsprogramme hat sich als zweckmässig erwiesen. Erfahrungsgemäss passt sich die Flotte innerhalb einer solch überschaubaren Periode den sich stets wandelnden Bedürfnissen des Marktes an.

Das bedeutet, dass sie in einem solchen Zeitraum zu wesentlichen Teilen ersetzt werden muss, um ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten zu können. Auf Grund des aktuellen Bestandes von derzeit 24 Schiffen, den es im Durchschnitt zu halten gilt, werden im Laufe der nächsten zehn Jahre voraussichtlich rund 18­20 Einheiten ersetzt. In den letzten Jahren wurden praktisch vorwiegend relativ teure Neukonstruktionen erworben, während der Erwerb von Zweithandschiffen eher die Ausnahme bildete. Bei einem durchschnittlichen Schiffspreis von rund 25­35 Millionen US-Dollar pro neuer Einheit und einer Belehnungslimite von durchschnittlich etwa 80 Prozent ist ein Rahmenkredit von 600 Millionen Franken erforderlich. Diese Summe ist wesentlich durch den starken US-Dollar ­ der maritimen Leitwährung ­ beziehungsweise durch den relativ schwachen Euro bestimmt, in dessen Gefolge sich auch der Schweizerfranken innerhalb einer engen Bandbreite bewegt. Es scheint, dass sich das gegenwärtige Wechselkursverhältnis in der Grössenordnung von 1.60 ­ 1.80 Franken pro Dollar auf absehbare Zeit verfestigt. Verglichen mit dem letzten Bürgschaftsrahmenkredit von 600 Millionen Franken, welcher noch auf einem Wechselkursverhältnis von 1.35 Franken pro Dollar beruhte, erweist sich der beantragte Bürgschaftsrahmenkredit zur Erreichung der angestrebten Ziele als eher zurückhaltend.

942

2.5.5

Risikobeurteilung für den Bund und Sicherheiten

Zwischen 1948 und 1959 gewährte der Bund für die Finanzierung von Schiffstonnage selber zinsgünstige Darlehen. Seither hat er die Schifffahrtsförderung ausschliesslich mit dem Mittel der Bürgschaft betrieben. In all diesen Jahren seines Engagements zu Gunsten der Seeschifffahrt hat der Bund aber weder als Darlehensgeber noch als Bürge je einen einzigen Franken verloren. Dieser ausserordentlich günstige Risikoverlauf ist absolut einmalig. Letztlich ist dieses Ergebnis auf eine restriktive Bürgschaftspraxis zurückzuführen, welche strenge Kriterien an die Wirtschaftlichkeit und an die technischen Anforderungen eines Schiffs sowie an die Bonität des Eigners stellt. Eine laufende Überwachung der finanziellen Situation des Eigners in enger Zusammenarbeit mit der finanzierenden Bank und des technischen Zustands des Schiffs während der Dauer der Bürgschaft durch das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung erlauben es, allfällige Schwierigkeiten frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls auch rechtzeitig zu beheben.

Der Bund verbürgt sich gegenüber der Bank, dass der Schiffseigner innerhalb der halben Laufzeit des Darlehens mindestens die Hälfte des verbürgten Betrags und die restlichen 50 Prozent bis zum Ende der Laufzeit zurückzahlt. Die Laufzeit wird bei Neubauten auf längstens 15 Jahre und der Umfang auf maximal 85 Prozent des Erwerbspreises begrenzt, während sich für Zweithandschiffe Laufzeit und Bürgschaftsumfang entsprechend ihrem Alter und Zustand verringern. Seit der Einführung der Solidarbürgschaft im Jahre 1992 lässt sich der Bund für sein Bürgschaftsengagement vom Schiffseigner ein angemessenes Pfandrecht im ersten Rang mittels Schiffsverschreibung einräumen, das im Register der schweizerischen Seeschiffe als Globalhypothek auf den Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft eingetragen wird. Ferner hat der Schiffseigner dem Bund sämtliche Forderungen aus den Schiffsversicherungen abzutreten, was er gegenüber der Versicherungsgesellschaft notifizieren muss.

Auf Grund dieser über fünfzigjährigen positiven Erfahrung mit dem Instrument der Schiffsbürgschaften darf das Risiko für den Bund als sehr bescheiden eingestuft werden. Durch die laufenden Amortisationen verringert sich seine Eventualverpflichtung fortwährend, sodass sein Haftungsrisiko selbst bei einer vollständigen Ausschöpfung des Rahmenkredits stets weit unter der gesamten Bürgschaftssumme liegt.

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Bürgschaften sind reine Eventualverpflichtungen, die nicht budgetwirksam sind und deshalb den Bundeshaushalt nicht belasten. Durch den Abschluss eines Bürgschaftsvertrags übernimmt der Bund lediglich die Haftung für die Rückzahlung des Schiffsdarlehens sowie höchstens eines Jahreszinses. Eine Zahlungsverpflichtung entstünde ihm deshalb nur im Falle einer Insolvenz des Darlehensschuldners. In einem solchen Fall müsste der entsprechende Zahlungsbedarf mittels eines Nachtragkreditbegehrens bewilligt werden, soweit der Bund aus den ihm eingeräumten Sicherheiten aus Pfandrecht und Versicherungen nicht befriedigt werden sollte. Wie bereits unter Ziffer 2.5.5. dargelegt, musste der Bund jedoch noch nie sein Bürgschaftsversprechen einlösen.

943

Die Verwaltung des Bürgschaftskredits kann wie schon bisher mit dem vorhandenen Personalbestand des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung bewältigt werden.

4

Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht vom 1. März 2000 über die Legislaturplanung 1999­ 2003 enthalten (BBl 2000 2331).

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Die vorgeschlagene Bundesbürgschaft steht im Einklang mit den Rechtsnormen der Europäischen Gemeinschaft (Art. 87­89 des EG-Vertrags). Die durch die EUBehörden im maritimen Bereich zugelassenen staatlichen Finanzhilfen (steuerliche Vorteile, Zuschüsse an Reedereien, Werftbeihilfen und vieles andere mehr) gehen weit über die hier vorgeschlagene Massnahme hinaus.

6

Rechtsgrundlagen

Die Zuständigkeit der Bundesversammlung für die Bewilligung des beantragten Rahmenkredites ergibt sich aus Artikel 167 der Bundesverfassung. Beim anbegehrten Kredit handelt es sich gemäss Artikel 29 Absatz 7 der Finanzhaushaltverordnung vom 11. Juni 1990 (SR 611.01) um einen Rahmenkredit, der gemäss Artikel 140 und 141 der Bundesverfassung nicht dem Referendum unterstellt ist und somit auf Grund von Artikel 163 Absatz 2 der Bundesverfassung in der Form eines einfachen Bundesbeschlusses zu erlassen ist.

Die materiellrechtliche Basis für die Beanspruchung des Kredites findet sich in Artikel 22 Absatz 1 des Landesversorgungsgesetzes vom 8. Oktober 1982 (SR 531).

Danach trifft der Bundesrat unter anderem « ... die erforderlichen Massnahmen, um ausreichende Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten zu sichern ... ». Die Einzelheiten über die Bürgschaftsgewährung ordnet der Bundesrat wie schon bisher in einer separaten Vollzugsverordnung.

944

7

Ausgabenbremse

Ob diese Vorlage gemäss Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b der Bundesverfassung der Ausgabenbremse untersteht, ist nicht eindeutig. Zum einen handelt es sich um die Fortführung eines bereits bestehenden Bürgschaftsrahmenkredits in gleicher Höhe wie bisher. Zum andern ist darauf hinzuweisen, dass auf Grund der bisherigen positiven Erfahrungen seit Ende der Vierziger Jahre, nach denen der Bund für sein Engagement noch nie belangt werden musste, die Gefahr, eine Bürgschaft einlösen zu müssen, sehr gering ist. Vor allem ist aber davon auszugehen, dass, sollte der Bund dennoch einmal belangt werden, die Grenze von 20 Millionen Franken auf Grund der der Eidgenossenschaft eingeräumten Schiffspfandrechte und abgetretenen Versicherungsansprüche nie erreicht würde. Es ist deshalb vertretbar, von der Unterstellung der Vorlage unter die Ausgabenbremse abzusehen.

945