Teil V: Änderung des Tierschutzgesetzes (TSchG) Übersicht Das Schlachten von Säugetieren ohne Betäubung vor dem Blutentzug bleibt auf Grund des Ergebnisses der Vernehmlassung zur Änderung des TSchG1 weiterhin verboten. Diese Art des Schlachtens ist indessen Bestandteil der religiösen Regeln der jüdischen und der islamischen Glaubensgemeinschaft. Damit ihre Versorgung mit Fleisch sichergestellt bleibt, soll die Zulässigkeit der Einfuhr von Fleisch rituell geschlachteter Tiere (Koscher- und Halalfleisch) im TSchG festgehalten werden.

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Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

Das Schlachten von Säugetieren ohne Betäubung vor dem Blutentzug ist verboten2.

Dieses Verbot (Schächtverbot) wird von namhaften Vertretern der Rechtswissenschaft3 als unverhältnismässige Beschränkung der in Artikel 15 BV4 gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit betrachtet. Andererseits wird die Aufhebung des Verbots von weiten Teilen der Bevölkerung, welche dem Tierschutz einen hohen Stellenwert zumessen, abgelehnt.

Die Einfuhr von Fleisch rituell geschlachteter Tiere ist, abgesehen von seuchenpolizeilichen Einschränkungen, erlaubt. Sie ist jedoch auf Gesetzesstufe nicht, d.h. weder im TSchG noch im LwG5, sondern in der Schlachtviehverordnung6 geregelt. Im Anschluss an die Diskussion um das Schächtverbot, welche anlässlich der Vernehmlassung zur Revision des TSchG stattfand, erweist es sich als opportun, die Sicherstellung der Versorgung von religiösen Minderheiten mit Fleisch rituell geschlachteter Tiere auf Gesetzesstufe zu verankern.

1.2

Vernehmlassung

Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) führte vom 21. September bis 31. Dezember 2001 eine Vernehmlassung über eine Totalrevision des TSchG durch. Die in diesem Zusammenhang vorgeschlagene Aufhebung des Verbots der rituellen Schlachtungen wurde von der grossen Mehrheit der Kantone und Organisationen abgelehnt. Einzig die Kantone Zürich und Basel-Stadt, die CVP und die 1 2

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Tierschutzgesetz vom 9. März 1978 (TSchG); SR 455.

Das Schächten war bis zum Inkrafttreten des Tierschutzgesetzes (1981) nach Art. 25bis der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 verboten. Das geltende Verbot ergibt sich aus Art. 20 TSchG.

Als Beispiel: Kälin W., Grundrechte im Kulturkonflikt, Freiheit und Gleichheit in der Einwanderungsgesellschaft, Zürich, 2000, S. 192 ff.

Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV); SR 101.

Bundesgesetz vom 29. April 1998 über die Landwirtschaft (LwG); SR 910.1.

Verordnung vom 7. Dezember 1998 über den Schlachtvieh- und Fleischmarkt (SV); SR 916.341 (Art. 26­28; soweit es die Zuteilung von Zollkontingentsanteilen betrifft).

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SVP, die religiösen Gemeinschaften7 sowie vereinzelte Organisationen sprachen sich für die Aufhebung aus.

Die Einfuhr von Fleisch rituell geschlachteter Tiere bildete nicht Gegenstand des Vernehmlassungsverfahrens. Verschiedene Tierschutzorganisationen und wenige weitere Organisationen forderten jedoch, dass nur solche Erzeugnisse tierischer Herkunft eingeführt werden dürfen, die von Tieren stammen, welche unter Beachtung der schweizerischen Tierschutzbestimmungen gehalten worden sind. In diesem Zusammenhang wurde auch die Einfuhr von Fleisch rituell geschlachteter Tiere erwähnt.

Auf Grund des Ergebnisses des Vernehmlassungsverfahrens wird davon abgesehen, das Verbot der rituellen Schlachtungen aufzuheben.

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Besonderer Teil

Art. 9

Internationaler Handel

Abs. 1 zweiter und dritter Satz (neu) Das TSchG gilt im Gebiet der Schweiz für Wirbeltiere und, soweit vom Bundesrat bestimmt, für wirbellose Tiere. Der Bundesrat kann nach Artikel 9 Absatz 1 TSchG aus Gründen des Tierschutzes die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen an Bedingungen knüpfen, einschränken oder verbieten. Er hat von dieser Möglichkeit bisher nur zurückhaltend Gebrauch gemacht, nämlich bezüglich der Ausfuhr und anschliessenden Wiedereinfuhr von Tieren zum Zwecke der Vornahme von in der Schweiz verbotenen Handlungen an Tieren und bezüglich der Einfuhr von Hunden mit coupierten Ohren und Ruten8. Er hat es bisher stets abgelehnt zu verbieten, dass bestimmte Produkte, wie Gänseleber oder Froschschenkel eingeführt werden. Der Bundesrat beabsichtigt auch in Zukunft nicht, von dieser Praxis im Zusammenhang mit Koscher- und mit Halalfleisch abzuweichen.

Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens wurde nicht nur die Beibehaltung des Schächtverbots, sondern auch ein Verbot der Einfuhr von Fleisch rituell geschlachteter Tiere verlangt. Der hohe Stellenwert der Glaubens- und Gewissensfreiheit rechtfertigt es, die Einfuhr von solchem Fleisch auf Gesetzesstufe sicherzustellen.

Die Kompetenz des Bundesrates, die Einfuhr von Produkten aus Gründen des Tierschutzes zu verbieten, soll inskünftig nur Einfuhren betreffen, welche für die Versorgung der jüdischen und der islamischen Gemeinschaft nicht nötig sind (Abs. 1 zweiter Satz). Der Bundesrat wird gestützt auf die Landwirtschaftsgesetzgebung aus Gründen der Glaubens- und Gewissensfreiheit weiterhin für Koscher- und Halalfleisch dem Bedarf entsprechende Teilzollkontingente vorsehen und die Zollkontingentsanteile analog wie bei anderen Teilzollkontingenten für Schlachtvieh und Fleisch mittels Versteigerung zuteilen. Er wird ausserdem in den Ausführungsbe-

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Gemeinschaft von Christen und Muslimen in der Schweiz, Institut für Sozialethik des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, Ligue des Musulmans de Suisse, Oekumenische Arbeitsgemeinschaft Kirche und Umwelt, Schweizerische Reformierte Arbeitsgemeinschaft Kirche und Landwirtschaft, Schweizerische Bischofskonferenz, Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich.

Art. 78 der Verordnung vom 20. April 1988 über die Ein-, Durch- und Ausfuhr von Tieren und Tierprodukten (EDAV); SR 916.443.11.

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stimmungen die Einfuhr- und Bezugsberechtigung einschränken, damit dieses Fleisch einzig den Angehörigen der entsprechenden religiösen Gemeinschaft zur Verfügung steht. Deshalb sollen ausschliesslich Angehörige der jüdischen oder der islamischen Gemeinschaft sowie ihnen zugehörige juristische Personen und Personengemeinschaften (einfache Gesellschaften, Kollektiv- und Kommanditgesellschaften) einfuhrberechtigt sein. Gleich der geltenden Bestimmung in den Artikeln 26 und 28 der Schlachtviehverordnung9 dürfen die Einfuhrberechtigten das eingeführte Fleisch nur über anerkannte Verkaufsstellen vermarkten, die einzig Fleisch rituell geschlachteter Tiere und daraus hergestellte Fleischerzeugnisse verkaufen. Der Bundesrat wird sich dabei auf die vorliegenden Grundsätze stützen können. Für die gesundheitspolizeilichen Vorschriften findet wie bisher die Verordnung über die Ein-, Durch- und Ausfuhr von Tieren und Tierprodukten10 Anwendung.

3

Auswirkungen

3.1

Bund, Kantone und Gemeinden

Die vorgeschlagene Änderung hat weder für den Bund noch für die Kantone und Gemeinden Auswirkungen, da eine bestehende Praxis in einem vergleichbaren Rahmen weitergeführt wird.

3.2

Volkswirtschaft

Staatliches Handeln im Zusammenhang mit der Einfuhr von Fleisch rituell geschlachteter Tiere ist gerechtfertigt, um die Versorgung der Angehörigen der jüdischen und der islamischen Gemeinschaft mit solchem Fleisch auf Gesetzesstufe sicherzustellen. Angesichts der politisch bedeutenden Thematik bringt eine explizite Bestimmung Transparenz und Rechtssicherheit.

Die Zulassung der rituellen Schlachtungen in der Schweiz wurde von der grossen Mehrheit der Kantone und Organisationen im Vernehmlassungsverfahren abgelehnt, weshalb dies keine alternative Regelung darstellt.

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Legislaturplanung

Die Änderung des TSchG ist in der Legislaturplanung 1999­200311 angekündigt.

Die Botschaft für eine Totalrevision wird auf Ende 2002 vorgelegt.

9 10 11

Verordnung vom 7. Dezember 1998 über den Schlachtvieh- und Fleischmarkt (SV); SR 916.341.

Verordnung vom 20. April 1988 über die Ein-, Durch- und Ausfuhr von Tieren und Tierprodukten (EDAV); SR 916.443.11.

Bericht über die Legislaturplanung 1999­2003 vom 1. März 2000 (00.016); BBl 2000 2276.

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5

Verhältnis zum internationalen Recht

Die vorgeschlagene Regelung steht in Übereinstimmung mit dem Allgemeinen Zollund Handelsabkommen (GATT)12. Ein Einfuhrverbot für Fleisch von rituell geschlachteten Tieren würde dem Nichtdiskriminierungsprinzip, das in verschiedenen GATT-Artikeln festgelegt ist, widersprechen.

Sowohl der Europarat13 wie auch die EU14 lassen die rituellen Schlachtungen zu.

6

Verfassungsmässigkeit

Die Änderung des TSchG stützt sich auf Artikel 80 Absatz 2 Buchstabe d BV, der den Bund ermächtigt, Vorschriften über den Tierschutz bei der Einfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu erlassen.

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SR 0.632.21 Europäisches Übereinkommen vom 10. Mai 1979 über den Schutz von Schlachttieren; SR 0.458.

Richtlinie 93/119/EG des Rates vom 22. Dezember 1993 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung oder Tötung (ABl Nr. L 340/21).

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Inhaltsverzeichnis Teil V Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik (Agrarpolitik 2007) Teil V: Änderung des Tierschutzgesetzes (TSchG) Übersicht

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1 Allgemeiner Teil 1.1 Ausgangslage 1.2 Vernehmlassung

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2 Besonderer Teil

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3 Auswirkungen 3.1 Bund, Kantone und Gemeinden 3.2 Volkswirtschaft

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4 Legislaturplanung

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5 Verhältnis zum internationalen Recht

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6 Verfassungsmässigkeit

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Inhaltsverzeichnis Teil III

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Änderung Tierschutzgesetz (Entwurf)

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