zu 00.403 Parlamentarische Initiative Anstossfinanzierung für familienergänzende Betreuungsplätze (Fehr Jacqueline) Bericht vom 22. Februar 2002 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates Vom 27. März 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, im Sinne von Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG; SR 171.11) unterbreiten wir Ihnen nachfolgend unsere Stellungnahme zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 22. Februar 2002 (BBl 2002 4219).

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

27. März 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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2002-0413

Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 22. März 2000 reichte Frau Nationalrätin Jacqueline Fehr eine Parlamentarische Initiative in der Form einer allgemeinen Anregung mit dem folgenden Wortlaut ein: «Es sind die nötigen gesetzlichen Grundlagen auszuarbeiten, die es dem Bund ermöglichen, die Gemeinden bei der Einrichtung von familienergänzenden Betreuungsplätzen (Krippen, Horte, Tagesfamilien, Tagesschulen usw.) finanziell zu unterstützen.

Der Bund soll während zehn Jahren nach Inkrafttreten der entsprechenden gesetzlichen Grundlagen als Anstossfinanzierung jährlich maximal 100 Millionen Franken an familienergänzende Betreuungsplätze beisteuern. Die Einrichtungen müssen staatlich anerkannt sein. Die Plätze werden durch den Bund während höchstens zwei Jahren nach der Gründung entsprechender Einrichtungen oder Betreuungsverhältnisse unterstützt. Die Unterstützung soll einen Drittel der Betriebskosten nicht übersteigen.» Der Nationalrat beschloss am 21. März 2001 mit offensichtlichem Mehr, der Initiative Folge zu geben.

Am 22. Februar 2002 verabschiedete die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates den von ihrer Subkommission Familienpolitik ausgearbeiteten Entwurf für das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung mit 14 gegen 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Den Entwurf für den Bundesbeschluss, welcher die Finanzierung regelt, genehmigte sie mit 13 gegen 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen.

Gemäss dem Gesetzesentwurf können während zehn Jahren Finanzhilfen an folgende Einrichtungen ausgerichtet werden: ­

Kindertagesstätten (vor allem Krippen);

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Einrichtungen für die schulergänzende Betreuung (Horte, Tagesschulen, Mittagstische).

Die Finanzhilfen werden für die gleiche Einrichtung während höchstens drei Jahren ausgerichtet und decken maximal einen Drittel der Betriebs- und Investitionskosten.

Der Vollzug erfolgt durch das Bundesamt für Sozialversicherung, das vor seinem Entscheid den Kanton, in dem sich die Institution befindet, anhört.

Finanzhilfen können auch Projekte im Rahmen der Betreuung in Tagesfamilien (für professionellere Strukturen, für die Ausbildung der Tageseltern usw.) erhalten. Auch hier werden höchstens ein Drittel der Kosten übernommen und die Entscheide vom Bundesamt für Sozialversicherung getroffen.

Gemäss dem ebenfalls vorgelegten Bundesbeschluss soll für die ersten vier Jahre nach Inkrafttreten ein Verpflichtungskredit von höchstens 400 Millionen Franken bewilligt werden. Für die nachfolgenden Jahre bis zum Ablauf der Geltungsdauer des Gesetzes müssen die Verpflichtungskredite jeweils neu beschlossen werden.

Aufwand und Personal für den Vollzug werden ebenfalls aus diesen Mitteln finanziert.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Zur Lage und Bedeutung der familienergänzenden Kinderbetreuung

Der Bundesrat teilt die Meinung der Kommission, dass im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung Handlungsbedarf besteht. Die entsprechenden Einrichtungen sind eine wichtige Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie. Es ist unbestritten, dass das Angebot an Plätzen der Nachfrage bei weitem nicht zu genügen vermag. Eine Verbesserung der Situation wird von breiten Kreisen und auf allen Ebenen verlangt. Die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen fordert in ihren strategischen Leitlinien vom August 2000 ausdrücklich den Ausbau familienergänzender Betreuungangebote für Kinder und möchte darauf hinwirken, dass das Angebot mit Beteiligung der Arbeitswelt ausgebaut wird.

Sie setzt sich auch dafür ein, dass Mittagstische und Tagesschulen bereitgestellt werden. Der Schweizerische Arbeitgeberverband hat an einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Pro Famila Schweiz und Pro Juventute vom 25. Januar 2001 seine familienpolitische Plattform vorgestellt. Er stellt sich hinter die Forderung nach familiengerechten Arbeitsbedingungen und ortet einen grossen Handlungsbedarf im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung. Dabei geht es einerseits darum, dass gut ausgebildete Frauen der Wirtschaft erhalten bleiben, und andererseits gilt es zu verhindern, dass Kinder im Schulalter über längere Zeit unbetreut sind, was erhebliche Risiken für ihre Entwicklung birgt. Der Verband spricht sich deshalb dafür aus, dass die Arbeitgeber vermehrt auf freiwilliger Basis Gründung und Betrieb der entsprechenden Einrichtungen fördern.

Für eine Erhöhung des Angebots spricht in der Tat eine Vielzahl von Gründen, auf welche die Kommission in ihrem Bericht (s. Ziff. 2.1.2 und 2.1.3) ausführlich eingeht.

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Die Wahlfreiheit der Eltern und insbesondere der Mütter hinsichtlich der Rollenteilung wird verbessert. Immer noch geben viele Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes ihre berufliche Tätigkeit auf.

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Die Gleichstellung der Frauen in der Arbeitswelt wird verbessert. Die Verbindung von Beruf und Familie bleibt nicht mehr den Vätern vorbehalten.

Das Aussetzen während der für die berufliche Laufbahn entscheidenden Jahre wirft die Frauen in ihren beruflichen Chancen weit zurück.

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Der Entscheid für Kinder wird für Frauen erleichtert, die berufstätig bleiben wollen oder aus wirtschaftlichen Gründen bleiben müssen. Eine ausserhäusliche Erwerbstätigkeit lässt sich auch mit mehreren Kindern noch realisieren.

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Beide Elternteile können ihre zuvor erworbenen beruflichen Qualifikationen erhalten und verbessern und stehen dem Arbeitsmarkt weiterhin zur Verfügung. Dem Mangel an gut ausgebildetem und erfahrenem Personal kann entgegengewirkt werden.

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Ein vermehrtes Engagement der Frauen im Beruf hat volkswirtschaftlich günstige Auswirkungen. Auch die Mütter setzen ihre Arbeitskraft in der Wirtschaft ein. Höheren Familieneinkommen wirken sich zudem positiv auf das Konsumverhalten und das Steueraufkommen aus.

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die Erwerbstätigkeit der Mütter wirkt der Familienarmut entgegen. Viele Leute arbeiten zu Löhnen, welche den Unterhalt einer Familie nicht sicherstellen. Hier vermag ein Einkommen beider Elternteile die Problematik der «working poor» zu entschärfen.

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Durch das Beibehalten der Berufstätigkeit haben die Frauen erheblich bessere Chancen, sich nach der Familienphase oder nach einer Scheidung verstärkt in der Arbeitswelt zu engagieren. Nach einem längeren beruflichen Unterbruch hingegen sehen sie sich bei einem Wiedereinstieg mit vielfachen Schwierigkeiten konfrontiert, weil sie den Kontakt zur Arbeitswelt verloren haben und ihre Kenntnisse nicht den eingetretenen Entwicklungen anpassen konnten.

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Eine qualitativ hochstehende familienergänzende Kinderbetreuung fördert die günstige Entwicklung und die Sozialisation der Kinder. Sie verbessert die Integration insbesondere von Kindern aus Kleinfamilien oder aus psycho-sozial belasteten Familien. Heraustreten aus der Kernfamilie bedeutet eine Erweiterung des Lebensraumes und somit der Entwicklungschancen des Kindes. Zahlreiche pädagogische Studien haben gezeigt, dass kleine Kinder Vorteile daraus ziehen, wenn sie schon früh soziale Kontakte ausserhalb der Familie pflegen können. Eindrücklich sind Arbeiten über frühe soziale Beziehungen unter Kindern. Sie zeigen, dass ein Kleinkind bereits im ersten Lebensjahr weit mehr kooperative Fähigkeiten hat als bisher angenommen wurde, und dass sich besonders die Interaktion mit Gleichaltrigen günstig auf die Entwicklung auswirkt. Im Hinblick auf die bevorstehende Einschulung ist es gerade auch für Kinder aus sozial wenig integrierten und bildungsferneren Familien von Vorteil, wenn sie von einer ergänzenden Betreuung und von Kontakten ausserhalb der eigenen Familie profitieren können. Die Angebote für die schulergänzende Betreuung verhindern, dass Kinder im Schulalter ohne Betreuung sich selber überlassen bleiben.

2.2

Würdigung des Entwurfs der Kommission

Wenn der Bund hier im Sinne eines Impulses und während einer beschränkten Zeit aktiv wird, setzt er ein wichtiges Signal auch für für die Kantone und Gemeinden sowie die Wirtschaft und private Organisationen. Diese sind für die Bereitstellung von familienergänzenden Betreuungsplätzen in erster Linie verantwortlich und gefordert. Ihre Bemühungen zur Bereitstellung eines entsprechenden Angebotes können durch die subsidiären Finanzhilfen des Bundes wirksam unterstützt werden.

Die von der Kommission vorgeschlagene Lösung und deren Ausgestaltung hält der Bundesrat grundsätzlich für sinnvoll. Den in der Initiative vorgesehenen Finanzrahmen von maximal 100 Millionen Franken pro Jahr während zehn Jahren und den gestützt darauf von der Kommission vorgeschlagenen Verpflichtungskredit von 400 Millionen Franken für die ersten vier Jahre erachtet der Bundesrat aber als zu hoch. Mit Blick auf den angespannten Bundeshaushalt und die Schuldenbremse weist der Bundesrat darauf hin, dass die mit dem vorgeschlagenen Bundesgesetz verbundenen Ausgaben aus heutiger Sicht nicht finanziert sind.

Die einzelnen Bestimmungen geben im Übrigen zu keinen Bemerkungen Anlass.

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2.3

Schlussfolgerungen

Die Schaffung von familienergänzenden Betreuungsplätzen für Kinder ist eine wichtige familien- und gleichstellungspolitische Massnahme. Sie ist im Interesse des Kindeswohls und liegt zudem ganz auf der Linie aller in diesem Bereich von der Schweiz ratifizierter internationaler Übereinkommen. Der Bundesrat ist deshalb mit den Zielen der Initiative und mit deren Umsetzung im Gesetzesentwurf einverstanden, doch erachtet er den dafür vorgesehenen Finanzrahmen als zu hoch. Er ist der Ansicht, dass auch mit bedeutend weniger Mitteln die Ziele der Initiative erreicht und entscheidende Anreize für die in diesem Bereich primär zuständigen Kantone und Gemeinden sowie Private gesetzt werden können. In diesem Sinne unterstützt der Bundesrat für die ersten vier Jahre einen Gesamtbetrag von 100 Millionen Franken, d.h. 25 Millionen Franken pro Jahr.

Der Gesetzesentwurf sieht eine Evaluation der Auswirkungen des Gesetzes vor. Das Eidgenössische Departement des Innern wird für diese Evaluation besorgt sein und deren Ergebnisse dem Bundesrat und dem Parlament im Hinblick auf die Erneuerung des Verpflichtungskredites für die an die erste Verpflichtungskreditperiode anschliessende Folgezeit vorlegen. Der Bundesrat schlägt vor, die subsidiären Finanzhilfen des Bundes auf insgesamt acht Jahre zu befristen, womit die Laufzeit des zweiten Verpflichtungskredites ebenfalls vier Jahre betragen würde.

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