02.037 Botschaft über ein Protokoll zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Bundesrepublik Deutschland vom 8. Mai 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dem Antrag auf Zustimmung den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über das am 12. März 2002 unterzeichnete Protokoll zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens mit Deutschland.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

8. Mai 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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Übersicht Mit der Änderung des Abkommens durch das vorliegende Protokoll wird der Quellensteuersatz im Falle von Dividenden, die an Gesellschaften (ohne Personengesellschaften) mit einer Mindestbeteiligung von 20 Prozent ausgeschüttet werden, von heute 5 Prozent auf Null abgesenkt. Im Konzernverhältnis wird demnach die gleiche Entlastung gewährt, wie sie in der Mutter-Tochter-Richtlinie zwischen den EUStaaten vereinbart worden ist. Daneben wurde eine auf Betrugsdelikte beschränkte Erweiterung der Auskunftsklausel sowie eine Neufassung der Missbrauchsbestimmungen vereinbart.

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Botschaft 1

Vorgeschichte

Mit der im Jahre 1989 abgeschlossenen Teilrevision des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Bundesrepublik Deutschland wurden die Quellensteuersätze bei Dividenden im Beteiligungsverhältnis (Beteiligungen von mindestens 20 Prozent) für die Zeit ab 1992 auf 5 Prozent abgesenkt. Gleichzeitig räumte die deutsche Seite der Schweiz in einem separaten Notenwechsel vom 17. Oktober 1989 die Meistbegünstigung ein. Damit sicherte die Bundesrepublik zu, dass ­ falls sie in einem Abkommen mit einem anderen Mitgliedstaat der OECD einen tieferen Satz vereinbaren würde ­ unverzüglich Verhandlungen aufzunehmen seien, um die gleiche Behandlung im schweizerisch-deutschen Verhältnis vorzusehen.

Nach der vom Rat der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Juli 1990 verabschiedeten so genannten Mutter-Tochter-Richtlinie werden innerhalb der EU bei Tochtergesellschaften, an denen die Muttergesellschaft mit mindestens 25 Prozent des Kapitals beteiligt ist, keine Quellensteuern auf grenzüberschreitenden Dividendenzahlungen an die Muttergesellschaft erhoben. Aufgrund dieser Richtlinie befreite die Bundesrepublik Dividenden, die an Muttergesellschaften im EU-Raum gezahlt wurden, ab Mitte 1996 von der Kapitalertragsteuer. Damit war der Tatbestand, der die Meistbegünstigung auslöste, aus schweizerischer Sicht erfüllt. Deutscherseits wurde demgegenüber geltend gemacht, dass es sich bei der EU-Mutter-Tochter-Richtlinie nicht um ein bilaterales Abkommen handle, weshalb die Meistbegünstigungsklausel nicht zum Tragen komme. Eine Absenkung der Quellensteuer wäre daher nach den deutschen Vorstellungen nur in Betracht gekommen, wenn die Schweiz u.a. Bereitschaft gezeigt hätte, die sogenannte grosse Auskunftsklausel ins Abkommen aufzunehmen. Eine solche Klausel hätte die Schweiz verpflichtet, Auskünfte nicht nur ­ wie bisher ­ für die richtige Durchführung des Abkommens, sondern auch für die Durchsetzung des innerstaatlichen deutschen Rechts zu erteilen. Da die Schweiz der gewünschten Erweiterung der Amtshilfe nicht zustimmen konnte, liess ein Durchbruch in den Verhandlungen auf sich warten.

Mit der im Steuersenkungsgesetz 2000 herbeigeführten Vereinheitlichung des Körperschaftsteuersatzes auf 25 Prozent und aufgrund von Regelungen in deutschen Doppelbesteuerungsabkommen ergab sich in der Folge eine veränderte Lage. Einzelne
Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit OECDStaaten enthalten nämlich so genannte Suspensionsklauseln. Danach wird für Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen grundsätzlich der Nullsatz festgelegt. Solange aber einer der beiden Vertragsstaaten auf ausgeschüttete und nicht ausgeschüttete Gewinne unterschiedliche Steuersätze anwendet, beträgt die Sockelsteuer mindestens 5 Prozent. Die Vereinheitlichung des Körperschaftsteuersatzes durch das Steuersenkungsgesetz führt nun dazu, dass Deutschland im Verhältnis zu solchen Staaten die Sockelsteuer auf Null absenkt, womit der im Notenwechsel erwähnte Meistbegünstigungsfall eingetreten ist.

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In den Verhandlungen vom 6./7. Dezember 2001 einigten sich schliesslich beide Seiten darauf, die Quellensteuer auf Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen auf Null abzusenken. Daneben wurde eine auf Betrugsdelikte beschränkte Erweiterung der Auskunftsklausel sowie eine Neufassung der Missbrauchsbestimmungen vereinbart. Ferner wurde zur Festlegung von Verfahrensfragen ein Verhandlungsprotokoll vereinbart.

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Bemerkungen zu den Bestimmungen des Protokolls

Art. I Artikel 4 Absatz 6 Buchstabe b enthält eine besondere Ansässigkeitsbestimmung für die Zwecke des Artikels 23 in der geltenden Fassung. Entsprechend der Streichung der letzteren Bestimmung wird auch Artikel 4 Absatz 6 Buchstabe b aufgehoben.

Art. II Artikel II des Protokolls ändert Artikel 10 Absätze 2 und 3 des Abkommens (Besteuerung von Dividenden) wie folgt: Dividenden, die von Tochtergesellschaften an Muttergesellschaften (Beteiligungen von mindestens 20 Prozent des Kapitals) ausgeschüttet werden, sind von der Quellensteuer befreit. Bisher wurde die Quellensteuer auf 5 Prozent begrenzt.

Der bisherige Absatz 3, wonach Deutschland der Schweiz beim Streubesitz eine zusätzliche Entlastung von 5 Prozent gewährte, wurde aufgehoben, weil diese zusätzliche Entlastung an das deutsche Vollanrechnungssystem geknüpft war und Deutschland mit dem Steuersenkungsgesetz 2000 einen Systemwechsel vom Anrechnungszum Halbeinkünfteverfahren vollzogen hatte.

Entsprechend der Regelung in der EU-Mutter-Tochter-Richtlinie soll die Entlastung neu an der Quelle vorgenommen werden. Damit wird im Ergebnis eine Angleichung an das in der revidierten Verordnung zum Verrechnungssteuergesetz vorgesehene Meldeverfahren herbeigeführt. Während Deutschland Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen bereits heute an der Quelle entlastet, hat sich die Schweiz im Verhandlungsprotokoll verpflichtet, ein analoges Verfahren ab dem Jahr, das dem Inkrafttreten der Neuregelung folgt, anzuwenden.

Zu den Personengesellschaften enthält das Protokoll eine Klarstellung: Beide Staaten behandeln Personengesellschaften steuerlich als transparent und rechnen deren Erträge demnach ihren Gesellschaftern zu. Folgerichtig können Gesellschaften eines Staates, die über eine Personengesellschaft zu mindestens 20 Prozent an einer Gesellschaft des anderen Staates beteiligt sind, ebenfalls die Befreiung an der Quelle beanspruchen.

Art. III Artikel III hebt den bisherigen Artikel 23 über die Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme des Abkommens auf und verweist neu auf die innerstaatlichen Regelungen.

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In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass die in Artikel 23 festgelegten Kriterien zur Bestimmung der Frage, ob ein Abkommensmissbrauch vorliegt, namentlich in Bezug auf die übermässige Weiterleitung und Gewinnspeicherung, zu starr sind und daher auch Sachverhalte darunter fallen, die klarerweise keine Missbrauchsmerkmale aufweisen. Die Anwendung des Artikels 23 hat dazu geführt, dass eine schweizerische Gesellschaft die darin verlangten Massnahmen (u.a. Ausschüttung von mindestens 25 Prozent der abkommensbegünstigten Erträge, maximal 50 Prozent Weiterleitung von abkommensbegünstigten Erträgen an nicht abkommensberechtigte Personen, Einhaltung der Finanzierungsvorschriften) einhalten musste, obwohl aufgrund der Beteiligungsverhältnisse und der Tätigkeit ein Abkommensmissbrauch ausgeschlossen werden konnte. Die damit verbundene Beschränkung der unternehmerischen Dispositionsfreiheit wurde zunehmend als nicht sachgerecht angesehen. Hinzu kam, dass Deutschland seit dem Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens von 1971 eigene Möglichkeiten geschaffen hatte, um Abkommensmissbräuche zu verhindern (§ 42 Abgabenordnung und § 50d Abs. 3 Einkommensteuergesetz).

Da sich beide Seiten einig waren, dass nur Missbräuche, nicht aber echte wirtschaftliche Aktivitäten verhindert werden sollen, wurde der bisherige Artikel 23 über die Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme des Abkommens aufgehoben. Neu räumt Artikel 23 nun beiden Staaten das Recht ein, die innerstaatlichen Missbrauchsvorschriften anzuwenden. Eine entsprechende Regelung findet sich auch in der EU-Mutter-Tochter-Richtlinie. Im Protokoll wird dazu klargestellt, dass die deutschen Missbrauchsvorschriften den § 42 Abgabenordnung und den § 50d Absatz 3 Einkommensteuergesetz umfassen. Schweizerischerseits wird weiterhin der Bundesratsbeschluss betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes vom 14. Dezember 1962 mit den dazugehörigen Kreisschreiben Anwendung finden.

Für den Fall, dass aufgrund der innerstaatlichen Missbrauchsvorschriften eine Doppelbesteuerung eintritt, obwohl nach übereinstimmender Auffassung kein Missbrauch vorliegt, räumt Artikel 23 Absatz 2 den zuständigen Behörden neu die Möglichkeit ein, die Doppelbesteuerung zu beseitigen. Eine ähnliche
Bestimmung findet sich im Abkommen mit den USA.

Art. IV Nach dem geltenden Artikel 24 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe b wird die zusätzliche Entlastung von 5 Prozent beim Streubesitz (bisheriger Art. 10 Abs. 3) in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen. Nachdem diese zusätzliche Entlastung neu wegfallen wird, musste Artikel 24 entsprechend angepasst werden.

Art. V Artikel 27 enthält neu eine Bestimmung, die den Austausch von Informationen nicht nur für die richtige Anwendung des Abkommens, sondern auch für die Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts bei Betrugsdelikten ermöglicht. Die Schweiz gewährt aufgrund des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (AS 1982 846) beim Vorliegen von Abgabebetrug bereits seit 1983 auch Deutschland Rechtshilfe. Materiell ergibt sich somit durch die Neufassung von Artikel 27 keine Ausdehnung der Verpflichtung zur internationalen 4291

Zusammenarbeit in Steuersachen. Neu kann jedoch von beiden Vertragsstaaten auch der Amtshilfeweg beschritten werden. Nach dem Protokoll gilt als Betrugsdelikt ein betrügerisches Verhalten, welches nach dem Recht beider Staaten als Steuervergehen gilt und mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Das deutsche Recht trifft keine Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Demgegenüber behandelt die Schweiz wohl den Steuerbetrug, nicht aber die Steuerhinterziehung als Steuervergehen. Aufgrund des Grundsatzes der beidseitigen Strafbarkeit kommt Amtshilfe demzufolge nur in Betracht, wenn eine Tat, wäre sie in der Schweiz begangen worden, einen Steuerbetrug nach schweizerischem Recht darstellen würde.

Im Protokoll wird klargestellt, dass zwischen dem betrügerischen Verhalten und der gewünschten Amtshilfemassnahme ein direkter Zusammenhang bestehen muss.

Schliesslich werden sogenannte «Fishing expeditions» ausdrücklich ausgeschlossen.

Im Weiteren wurden Verfahrensbestimmungen vereinbart. Für das schweizerische Verfahren kann im Wesentlichen auf dasjenige, das in der Verordnung zum Abkommen mit den USA festgelegt wurde, hingewiesen werden.

Auf deutschen Wunsch hin wurde ins Protokoll zu Artikel 27 eine Datenschutzklausel aufgenommen. Diese Bestimmung soll die Rechte der vom Auskunftsaustausch betroffenen Personen sicherstellen.

Art. VII Dieser Artikel regelt das Inkrafttreten.

Die Neuerungen finden Anwendung auf Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen, die ab dem Jahre 2002 fällig werden.

Die Anwendbarkeit der übrigen Änderungen wurde auf das dem Inkrafttreten folgende Jahr festgelegt, wobei das Inkrafttreten zeitgleich mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden ist. Auskunftsersuchen können für Betrugsdelikte, die in den Jahren nach Inkrafttreten begangen wurden, gestellt werden.

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Finanzielle Auswirkungen

Die vorgesehene Abkommensrevision hat für beide Staaten steuerliche Einbussen zur Folge. Die Herabsetzung der Quellensteuerbegrenzung im Mutter-TochterVerhältnis auf Null wird zur Folge haben, dass die Schweiz im Vergleich zum heutigen Zustand eine zusätzliche Entlastung von der Verrechnungssteuer in der Höhe von schätzungsweise 60­80 Millionen Franken pro Jahr gewähren muss. Auf der anderen Seite dürften sich aufgrund der mit dem Nullsatz erzielten Standortverbesserung zusätzliche Einnahmen bei den direkten Steuern ergeben.

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Verfassungsmässigkeit

Verfassungsgrundlage dieses Protokolls bildet Artikel 54 der Bundesverfassung vom 18. April 1999, der die Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten dem Bund zuweist. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 der Bundesverfassung zuständig für die Genehmigung des Protokolls. Das zur Genehmigung unterbreitete Protokoll wird einen integrierenden Bestandteil des Abkommens von 1971 4292

bilden; das Letztere ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit unter Einhaltung einer sechsmonatigen Frist auf das Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Es sieht weder den Beitritt zu einer internationalen Organisation vor, noch führt es eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbei. Der Bundesbeschluss unterliegt daher nicht dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d der Bundesverfassung.

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Schlussfolgerungen

Mit der Neuregelung der Dividendenbesteuerung wird ein seit Jahren als störend empfundenes Hindernis im Wirtschaftsverkehr mit Deutschland beseitigt. Das vorliegende Protokoll bringt den Unternehmen mit wesentlichen Beteiligungen im Partnerstaat eine deutliche Besserstellung gegenüber dem heutigen Zustand und trägt damit dazu bei, die Attraktivität der Schweiz als Unternehmensstandort zu verbessern. Zudem wird mit der Quellensteuerbefreiung im Konzernverhältnis eine Angleichung an die Mutter-Tochter-Richtlinie der EU erreicht. Positiv zu würdigen ist auch die Streichung des so genannten Missbrauchsartikels, der durch seine starre Ausgestaltung nicht mehr zu befriedigen vermochte. Mit der Einfügung einer Amtshilfeklausel für Betrugsdelikte ist keine materielle Ausdehnung der gegenseitigen Kooperationsverpflichtungen verbunden.

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