zu 99.450 Parlamentarische Initiative Berufsausbildungspflicht für konzessionierte Privatanbieter bei Telecom, Post und Bahnen Bericht vom 13. August 2001 der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 26. Juni 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, Wir unterbreiten Ihnen, gestützt auf Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG), unsere Stellungnahme zum Bericht vom 13. August 2001 der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates betreffend Berufsausbildungspflicht für konzessionierte Privatanbieter bei Telecom, Post und Bahnen (Parlamentarische Initiative Strahm).

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. Juni 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2002-1549

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 30. September 1999 reichte Nationalrat Rudolf Strahm eine Parlamentarische Initiative ein, welche als Konzessionsvoraussetzung eine Ausbildungsverpflichtung für Unternehmungen im Bereich der öffentlichen Infrastruktur (Fernmeldewesen, Postwesen, Eisenbahnwesen) verlangt. Diese Ausbildungspflicht müssen alle konzessionierten Anbieter, also auch die Privatanbieter, erfüllen. Mit dieser erweiterten Konzessionsvoraussetzung sollen bisherige und neue Telecom-Anbieter, Bahngesellschaften und Postdienstleistungsanbieter verpflichtet werden können, Lehrstellen in einer ausreichenden Zahl bereitzustellen.

Der Nationalrat gab der Parlamentarischen Initiative Strahm am 24. März 2000 Folge. Mit Datum vom 17. September 2001 hat die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen dem Nationalrat einen Bericht über diese Initiative unterbreitet (Bericht vom 13. August 2001). Gleichzeitig hat die Kommission den Bundesrat zur Stellungnahme eingeladen.

Die Kommission schlägt im Wesentlichen vor, durch Änderungen des Post-, des Fernmelde- und des Personenbeförderungsgesetzes dem Bundesrat die Ermächtigung zu geben, die konzessionierten Unternehmungen zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen (berufliche Grundausbildung und berufsorientierte Weiterbildung) zu verpflichten.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Kontext

Die Volksinitiative vom 26. Oktober 1999 «für ein ausreichendes Berufsbildungsangebot (Lehrstellen-Initiative)» will ein Recht auf berufliche Grundbildung verfassungsmässig festschreiben und zur Finanzierung der notwendigen Angebote einen gesamtschweizerischen Berufsbildungfonds schaffen. In seiner Botschaft vom 25. Oktober 2000 (BBl 2001 97) beantragt der Bundesrat dem Parlament, die Initiative Volk und Ständen mit dem Antrag auf Verwerfung zur Abstimmung zu unterbreiten.

In seiner Antwort vom 24. Januar 2001 auf die dringliche Anfrage Strahm (001125, Umschulungs- und Ausbildungsverpflichtung für Elektrizitätsunternehmen, Vollzugsfahrplan EMG) hat der Bundesrat zugesichert, dass für die Berufsbildungslehrgänge und die Umschulung eine Koordination und Kohärenz mit dem Berufsbildungssystem, namentlich mit dem Berufsbildungsgesetz und dem Arbeitslosenversicherungsgesetz, angestrebt wird.

In der Wintersession 2001 beriet der Nationalrat über den Entwurf für ein neues Berufsbildungsgesetz (Botschaft des Bundesrates vom 6. September 2000; BBl 2000 5686). Der Nationalrat hat dem Entwurf mit 118 : 0 Stimmen zugestimmt. Das neue Berufsbildungsgesetz trägt den Erfahrungen und den gewonnen Erkenntnissen namentlich mit der Schaffung von Berufsfachschulen Rechnung.

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Im Zusammenhang mit den Lehrstellenbeschlüssen I und II (SR 412.100.4) wurde der Lehrstellenmangel eher als ein strukturelles denn als ein Mengenproblem anerkannt (z.B. Gefälle des Lehrstellenangebotes zwischen Städten/Agglomerationen einerseits und ländlichen Regionen andererseits, Konzentration der Berufswahl junger Frauen auf nur wenige Berufe, Mangel an Ausbildungsplätzen in bestimmten Branchen und im oberen bzw. unteren Qualitätssegment).

2.2

Würdigung der Parlamentarischen Initiative

Der Bundesrat unterstützt die Grundidee der PI Strahm, nach der auf dem Arbeitsmarkt quantitativ und qualitativ genügend Ausbildungsplätze angeboten werden müssen. Er ist jedoch der Meinung, dass dies mit den von der Initiative vorgeschlagenen Massnahmen nicht erreicht werden kann. Er ist der Auffassung, dass die Unternehmen die Bedürfnisse des Marktes am besten kennen und es in ihrem eigenen Interesse ist, Ausbildungsplätze anzubieten. Auch für den Bundesrat ist die Erhaltung des dualen Bildungssystems wichtig, weil dies die einzige Möglichkeit ist, den neuen Anforderungen des Marktes Rechnung tragen zu können.

So verfolgt das neue Berufsbildungsgesetz eine Linie, die privatwirtschaftliche Eigeninitiative mit subsidiärem staatlichem Handeln verbindet. Es berücksichtigt ebenfalls die Forderungen der Parlamentarischen Initiative Strahm. In Ergänzung zur Finanzierung der Berufsbildung aus den öffentlichen Haushalten und zu dem bereits vorhandenen finanziellen Engagement der für die Berufsbildung zuständigen Organisationen ermöglicht der Gesetzesentwurf privatwirtschaftliche branchenbezogene Ausbildungsfonds, an denen sich auch Branchenangehörige zu beteiligen haben, die nicht Mitglied des entsprechenden Verbandes sind.

Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass das Instrument der Konzession im Fernmeldewesen mittelfristig keinen Bestand haben wird und sich ausserdem die Branchengrenzen nicht eindeutig abgrenzen lassen. Eine unterschiedliche Behandlung der eng verknüpften Güter- und Faktormärkte könnte zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

2.3

Schlussfolgerung

Die Einhaltung des dualen Bildungssystems in der Schweiz ist von grosser Wichtigkeit. Doch lässt sich mit einzelnen, sektorspezifischen Massnahmen die Erhaltung nicht sicherstellen. Solche asymmetrischen Eingriffe sind unzweckmässig. Für den Bundesrat ist denn auch im Sinne einer Gleichbehandlung aller Unternehmen das Berufsbildungsgesetz das geeignetste Gefäss für solche vorsorglichen Massnahmen.

Der Bundesrat ist der Meinung, dass dem Anliegen Strahm bereits mit dem Lehrstellenbeschluss II und dem revidierten Berufsbildungsgesetz, insbesondere mit dem Berufsbildungsfonds, Rechnung getragen wird. Der Bundesrat lehnt deshalb den Gesetzesvorschlag der KVF-NR ab.

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2.4

Eventualposition

Sollte das Parlament der Auffassung des Bundesrates nicht folgen, schlägt der Bundesrat im Interesse einer kohärenten und praktikablen Gesetzgebung zumindest folgende Anpassungen vor: Voraussetzung für die Statuierung der Ausbildungspflicht Die Artikel 4a sowie 5 Absatz 2bis Postgesetz, Artikel 6 Absatz 1bis Fernmeldegesetz und Artikel 4 Absatz 3bis Personenbeförderungsgesetz räumen dem Bundesrat die Kompetenz ein, den Konzessionärinnen eine Ausbildungspflicht zu auferlegen.

Unter welchen Voraussetzungen der Bundesrat von dieser Kompetenz Gebrauch machen darf, wird im Gesetz nicht explizit geregelt. Im Text zur Vorlage heisst es lediglich, dass damit ein Beitrag geleistet werden soll, dem Mangel an Fachkräften, insbesondere im Bereich der Informationstechnologien, zu begegnen. Nur bei «echten Missständen» solle eingegriffen werden.

Artikel 164 Absatz 1 BV verlangt, dass alle wichtigen bzw. grundlegenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind. Dies gilt unter anderem für die Einschränkungen verfassungsmässiger Rechte. Die Statuierung einer Ausbildungspflicht stellt eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit und der Eigentumsgarantie dar. Auch wenn der Bundesrat von dieser Kompetenz nur im Sinne der Kommission Gebrauch machen wird, sollten angesichts der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gesetzgebung die Voraussetzungen für die Ausübung dieser Kompetenz auf formell-gesetzlicher Stufe geregelt werden.

Verhältnis von Verordnungsrecht und Konzession Der Gesetzestext sollte das Verhältnis von Verordnung und Konzession klar regeln, d.h. es sollte aus dem Normtext klar hervorgehen, ob die Ausbildungspflicht direkt und ausschliesslich durch eine bundesrätliche Verordnung begründet oder ob sie durch Konzessionsauflagen überbunden werden soll.

Der Wortlaut im Postgesetz impliziert, dass es ausschliesslich in der Kompetenz der Konzessionsbehörde (Departement) liegt, ob eine Ausbildungspflicht in der Konzession statuiert wird (Art. 5 Abs. 2bis). Die Formulierung im Fernmeldegesetz könnte den Anschein erwecken, dass der Bundesrat Konzessionsbehörde sei und die Ausbildungspflicht ausschliesslich in der Konzession statuiert würde (Art. 6 Abs. 1bis).

Dagegen lässt der Wortlaut der Bestimmung im Personenbeförderungsgesetz eher auf eine auf dem Verordnungsweg statuierte Pflicht
der Konzessionärin schliessen (Art. 4 Abs. 3bis).

Dem Bundesrat erscheint wichtig, dass die Ausgestaltung im Gesetzestext klar zum Ausdruck kommt und in allen Gesetzen möglichst die gleiche Formulierung gewählt wird. Er schlägt eine Regelung im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes vor.

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