99.467 Parlamentarische Initiative Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats vom 25. Januar 2002

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen nach Artikel 21quater Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes den vorliegenden Bericht und überweisen ihn gleichzeitig dem Bundesrat zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Beschlussentwurf zuzustimmen.

25. Januar 2002

Im Namen der Kommission

11779

Der Präsident: Simon Epiney

4164

2002-0338

Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Einreichung der Parlamentarischen Initiative

Am 22. Dezember 1999 reichte Ständerat Dick Marty die Parlamentarische Initiative «Die Tiere in der schweizerischen Rechtsordnung» in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfs ein. Er übernahm dabei wortwörtlich, unter Einbezug des Minderheitsantrags, den Text, den die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats auf Grund der beiden Parlamentarischen Initiativen François Loeb «Tier keine Sache» (92.437) und Suzette Sandoz die Initiative «Wirbeltiere. Gesetzliche Bestimmungen» (93.459 ausgearbeitet hatte. Dieser Gesetzesentwurf1 war von der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats mit 18 zu 0 bei 2 Enthaltungen verabschiedet worden; der Nationalrat dagegen war am 13. Dezember 1999 mit 73 zu 58 Stimmen nicht auf die Vorlage eingetreten.

Die Initiative verlangt eine Änderung des schweizerischen Rechts, damit das Tier in der eidgenössischen Gesetzgebung nicht mehr als Sache, sondern als eigene Kategorie behandelt wird. Der rechtliche Status der Tiere soll verbessert werden, um der neuen Sensibilität der Bevölkerung gegenüber der Tierwelt Rechnung zu tragen.

1.2

Vorprüfung

Am 20. September 2000 beschloss der Ständerat mit 30 zu 3 Stimmen, der Parlamentarischen Initiative Folge zu geben. Er entschied damit im Sinne seiner Kommission, die mit 8 zu 1 Stimme bei 2 Enthaltungen der Initiative zugestimmt hatte.

1.3

Verlauf der Arbeiten in der Kommission

In der Folge wurde die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats beauftragt, eine Gesetzesänderung zu erarbeiten, die die Anliegen der Initiative berücksichtigt. Die Kommission befasste sich an ihren Sitzungen vom 6. September und 25. Januar 2002 mit der Vorlage. Gleichzeitig lag der Kommission die Botschaft zu den Volksinitiativen «für eine bessere Rechtsstellung der Tiere (Tier-Initiative)» und «Tiere sind keine Sachen!» (01.0282) vor. Wie der Bundesrat ist die Kommission der Ansicht, dass den Anliegen der Tierschützer besser auf Gesetzesstufe als auf Verfassungsebene Rechnung getragen werden soll. Sie beantragt daher, den vorliegenden Entwurf als indirekten Gegenvorschlag zu den beiden Volksinitiativen vorzulegen.

1 2

BBl 1999 8935 BBl 2001 2521

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1.4

Antrag der Kommission

Die Kommission beantragt mit 12 zu 0 Stimmen ohne Enthaltungen, den vorgeschlagenen Änderungen zuzustimmen.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Ziel der Revision

Ziel der Revision ist es, dem gewandelten Volksempfinden gegenüber Tieren Rechnung zu tragen und die Rechtsstellung des Tieres zu verbessern. Die auf der römisch-rechtlichen Tradition basierende Auffassung, das Tier sei eine Sache, gilt in weiten Teilen der Bevölkerung als überholt. So wird es beispielsweise zunehmend als stossend empfunden, wenn nach geltendem Recht die Verletzung eines Tieres als Sachbeschädigung qualifiziert wird. Die Achtung vor dem Tier wird in einem neuen Grundsatzartikel (Art. 641a Zivilgesetzbuch, ZGB) ausgedrückt, wonach Tiere keine Sachen sind und nur soweit als Sachen behandelt werden sollen, als keine abweichenden Vorschriften bestehen.

Im Zivilrecht werden Änderungen im Erbrecht (Art. 482 ZGB), Fundrecht (Art. 720a ZGB), bei der Übertragung von Eigentum und Besitz am Tier (Art. 722, 728, 934 ZGB), bei der richterlichen Zusprechung von Tieren (Art. 651a ZGB) sowie eine explizite Schadenersatzpflicht für Heilungskosten bei Verletzung eines Tieres (Art. 42 Obligationenrecht, OR) und die Berücksichtigung von dessen Affektionswert bei der Schadensbemessung (Art. 43 OR) vorgeschlagen. Auch bei der Erklärung gesetzlicher Ausdrücke im Strafgesetzbuch (Art. 110) soll der Unterscheidung zwischen Tieren und Sachen Rechnung getragen werden. Schliesslich sollen Tiere in bestimmten Fällen unpfändbar sein (Art. 92 SchKG).

2.2

Vernehmlassung

Die vorberatende Kommission des Nationalrates hatte seinerzeit eine Vernehmlassung durchgeführt. Das Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 13. Februar bis 31. August 19983. Eingeladen wurden das Schweizerische Bundesgericht in Lausanne, alle Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen Parteien und 33 Organisationen.

Der Entwurf wurde grundsätzlich positiv aufgenommen und breit unterstützt. Fast alle Kantone, die an der Vernehmlassung teilgenommen haben, begrüssten die Revision. Einzig der Kanton Solothurn lehnte ihn ab, mit der Begründung, die Verbesserung der Situation der Tiere sei Sache der Tierschutzgesetzgebung. Ähnlich hat sich auch die Universität Lausanne geäussert. Die Tierschutzverbände haben die Revision als dringlich und nötig bezeichnet.

Zum Grundsatzartikel: Gemäss Vorentwurf lautete der Grundsatzartikel «Tiere werden rechtlich nur soweit als Sachen behandelt, als keine abweichenden Vorschriften

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Der Vernehmlassungsbericht kann auf dem Sekretariat der Kommission für Rechtsfragen eingesehen werden.

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bestehen.» Der im vorliegenden Entwurf beantragte Wortlaut wurde durch eine Minderheit vertreten. Die Vernehmlassungsteilnehmer waren geteilter Meinung. Neun Kantone, die CVP, die Arbeitgeberorganisationen und die Universität Lausanne haben der Kommissionsmehrheit zugestimmt. Sie haben es begrüsst, dass keine neue juristische Kategorie eingeführt werde. Der Antrag der Kommissionsminderheit, die Unterscheidung zwischen Tier und Sache ausdrücklich festzuhalten, wurde von sechs Kantonen und von sämtlichen Tierschutzorganisationen unterstützt.

Zum Erbrecht: Im Wesentlichen begrüssten es die Vernehmlassungsteilnehmer, dass hier gesetzlich verankert wird, was als Grundsatz ohnehin gilt. Sie haben bestätigt, dass es im Interesse der Gültigkeit von derartigen letztwilligen Verfügungen richtig ist, eine solche Bestimmung aufzunehmen.

Zum Sachenrecht: In Bezug auf die Bezeichnung einer Fundstelle wurde der Vorschlag von sämtlichen Vernehmlassungsteilnehmern unterstützt. Auch die Verkürzung der Frist im Zusammenhang mit dem Fund, bei der Ersitzungsfrist und im Besitzesrecht stiess auf Zustimmung. Umstrittener war die Möglichkeit des richterlichen Zusprechungsrechts im Streitfalle. Hier haben sich die Kantone teilweise kontrovers geäussert. Die Tierschutzverbände haben die Möglichkeit des richterlichen Zusprechungsrechts einstimmig begrüsst.

Zum Obligationenrecht: In der Frage der Schadenersatzpflicht wurde dem Vorentwurf grundsätzlich zugestimmt. Allerdings gab es diverse Bedenken rechtlicher Natur, und es wurde ein Präzisierungsbedarf festgestellt. Mehrere Tierschutzorganisationen und die Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte haben zudem verlangt, dass ein Genugtuungsanspruch bei Verletzung oder Tötung eines Tieres im Recht verankert werde.

Zum Strafgesetzbuch: Der vorgeschlagenen Ergänzung im Katalog der Legaldefinitionen wurde zugestimmt.

Zum Schuldbetreibungs- und Konkursrecht: Dem Pfändungsverbot für Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, haben die Kantone grundsätzlich zugestimmt. Es wurden Präzisierungswünsche und Vorschläge angebracht. Ablehnung kam zum Teil von Seiten der Tierschutzverbände, weil gewisse Tiere nach wie vor gepfändet werden könnten. Eindeutig ablehnend äusserte sich der Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute.

2.3

Benachbarte Rechtsordnungen

Während im französischen und im italienischen Privatrecht die Tiere nach wie vor zu den Sachen gezählt werden, haben Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren Gesetzesänderungen vorgenommen, mit dem Ziel, die Rechtsstellung des Tieres zu verbessern. So ist in Österreich seit dem 1. Juli 1988 folgender Grundsatzartikel in Kraft: § 285a ABGB (Tiere): «Tiere sind keine Sachen; sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Die für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere nur insoweit anwendbar, als keine abweichenden Regelungen bestehen.» Die entsprechende Bestimmung in Deutschland wurde auf den 1. September 1990 in Kraft gesetzt. Sie lautet: § 90a BGB (Tiere): «Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes be4167

stimmt ist.» Sowohl im österreichischen wie im deutschen Privatrecht wird ausserdem ausdrücklich gesagt, dass die Schadenersatzpflicht bei Heilbehandlung eines verletzten Tieres dessen Wert übersteigen kann. Das deutsche Recht legt zudem eine Einschränkung der Befugnisse des Eigentümers fest, der die besonderen Vorschriften für Tiere zu beachten hat. Beide Länder sowie Frankreich kennen ausserdem ein Pfändungsverbot für Tiere, ohne dass deren Unterhalt in die Berechnung des Existenzminimums einbezogen werden muss. Frankreich sieht überdies das Ausrichten einer Genugtuung bei Töten oder Verletzen eines Haustieres an dessen Besitzer vor und verleiht ein Recht auf das Halten von Haustieren in Mietwohnungen.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Grundsatzartikel (Art. 641a [neu] ZGB)

In einem neuen Grundsatzartikel wird das Ziel der Revision, dem gewandelten Volksempfinden gegenüber Tieren Rechnung zu tragen und die Rechtsstellung des Tieres zu verbessern, deklariert. Die Anerkennung des Tieres als lebendes und fühlendes Mitgeschöpf erhält Ausdruck in Artikel 641a (neu). In dieser Bestimmung wird festgehalten, dass Tiere rechtlich nicht mehr als Sachen zu betrachten sind. Sie sollen aber insoweit als Sachen behandelt werden, als keine Sondernormen bestehen.

Der neu eingefügte Grundsatzartikel hat in erster Linie deklaratorischen Charakter; es soll keine neue rechtliche Kategorie für Tiere geschaffen werden. Das schweizerische Privatrechtssystem basiert auf der Unterscheidung zwischen Personen und Sachen, d.h. zwischen Rechtssubjekten, die Träger von Rechten und Pflichten sein können, und Rechtsobjekten. Tiere sollen auch in Zukunft als Rechtsobjekte betrachtet werden und keine Rechtsfähigkeit haben.

Der Vorbehalt der abweichenden Vorschriften bezieht sich primär auf die öffentlichrechtliche Tierschutzgesetzgebung. Dass diese Vorschriften die Befugnisse des Tierhalters als Eigentümer beschränken bzw. erst konkretisieren, ist aus juristischer Sicht eine Selbstverständlichkeit. Artikel 641 Absatz 1 ZGB sagt ausdrücklich, dass der Eigentümer nur in den Schranken der Rechtsordnung über sein Eigentum verfügen kann.

3.2

Erbrecht (Art. 482 Abs. 4 [neu] ZGB)

Verschiedentlich werden in letztwilligen Verfügungen Tiere bedacht: Entweder werden sie als Erbe eingesetzt oder es werden ihnen Vermögenswerte vermacht.

Nach geltendem Recht könnte eine solche Zuwendung als unsinnig betrachtet werden (Art. 482 Abs. 3 ZGB), da das Tier keine Rechtsfähigkeit hat, also weder Erbe noch Vermächtnisnehmer sein kann. Ein Erbe, der sich gegen diese Zuwendung stellt, könnte somit versuchen, den Willen des Erblassers zu durchkreuzen. Der neue Absatz 4 von Artikel 482 ZGB hält die Bedeutung fest, die einer solchen Zuwendung zukommt: Sie gilt als Auflage zu Lasten des Erben oder des Vermächtnisnehmers, für das Tier tiergerecht zu sorgen.

4168

Schon heute gilt in Bezug auf die Testamentsauslegung der Grundsatz des «favor testamenti», d.h. der Richter muss eine Bestimmung so auslegen, dass sie dem Willen des Erblassers entspricht und aufrechterhalten werden kann, auch wenn ihre Form nicht den Anforderungen des Gesetzes genügt. Die neue Bestimmung enthält eine Auslegungsregel, nämlich die gesetzliche Anordnung einer Konversion. Auch für den juristischen Laien soll klargestellt sein, wie eine letztwillige Verfügung zu Gunsten eines Tieres zu vollziehen ist. Nach Absatz 1 von Artikel 482 ZGB hat jedermann, der ein Interesse hat, einen Klageanspruch auf Vollziehung der Auflage.

So könnte beispielsweise ein Tierschutzverein auf Erfüllung der Auflage klagen.

Nach herrschender Lehre und Praxis entsteht allerdings bei Nichterfüllung der Auflage kein Schadenersatzanspruch.

Mit der Formulierung von Artikel 482 Absatz 4 (neu) ZGB wurde bewusst vermieden, das Tier als Erben oder Vermächtnisnehmer zu bezeichnen. Dem Tier Rechtsfähigkeit oder auch bloss Teilrechtsfähigkeit zu verleihen, ist mit unserem Rechtssystem nicht vereinbar. Der eingefügte Absatz erlaubt es, dem Willen der verstorbenen Person in Bezug auf ihr Tier Rechnung zu tragen, ohne diesem die Rechtsfähigkeit zuzusprechen.

3.3

Sachenrecht

3.3.1

Bezeichnung einer Fundstelle (Art. 720a [neu] ZGB)

Wie die Erfahrung zeigt, führt beim Fund eines Tieres die Meldung bei der Polizei nicht immer zum gewünschten Sucherfolg. Nicht in allen Kantonen ist klar geregelt, wo der Fund eines Tieres anzuzeigen ist. Die neue Bestimmung verpflichtet die Kantone, eine Stelle zu bezeichnen, wo Tiere angezeigt werden können, wenn der Tierhalter nicht sofort ausfindig gemacht werden kann. Die Kantone können vorsehen, dass verlorene Tiere weiterhin der örtlichen Polizei gemeldet werden. Artikel 720a verpflichtet sie in diesem Fall aber dazu, eine Stelle einzurichten, bei der die eingegangenen Meldungen gesammelt und verarbeitet werden. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die Meldestelle nicht identisch mit jener Stelle oder jenen Stellen im Kanton sein muss, bei der gefundene Tiere abgegeben werden können.

Weiss man, wo ein Tier anzuzeigen ist, wird die Wahrscheinlichkeit, dass dieses von seinem Besitzer gefunden wird, wesentlich erhöht.

Durch die Schaffung eines eigenen Artikels wird klar, dass die untere Begrenzung von zehn Franken, wie sie Artikel 720 Absatz 2 ZGB vorsieht, bei Tieren keine Anwendung findet. Dagegen ist durch den Vorbehalt von Artikel 720 Absatz 3 sichergestellt, dass Tiere, die in öffentlich zugänglichen Gebäuden aufgefunden werden, dem Hausherrn, Mieter oder der mit der Aufsicht betrauten Person abgeliefert werden.

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3.3.2

Verkürzung der Frist für die Übertragung von Eigentum und Besitz am Tier

3.3.2.1

Eigentumserwerb beim Fund (Art. 722 Abs. 1bis [neu] und 1ter [neu] ZGB)

Nach heutigem Recht erwirbt der Finder erst nach fünf Jahren Eigentumsrechte. Der alte Eigentümer kann also eine verlorene Sache sehr lange zurückfordern. In der Praxis entstehen oft Probleme, wenn ein Tierheim ein zugelaufenes Tier platzieren möchte und in diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt ist, wer der Eigentümer ist und ob dieser sein Tier zurückfordern wird. Erfahrungsgemäss werden Tiere, die nach zwei Monaten noch nicht abgeholt worden sind, nur sehr selten zurückgefordert.

Nach der neuen Bestimmung soll daher der Finder eines Tieres bereits nach zwei Monaten dessen Eigentümer werden. In Anbetracht ihrer Kürze soll diese Frist im Moment neu zu laufen beginnen, wo das Tier einem Tierheim übergeben wird. Somit hat der Eigentümer eines verlorenen Tieres mindestens zwei bis maximal vier Monate Zeit, sein Tier wieder zurückzufordern.

Die Verkürzung der Frist hat nur Geltung für Tiere, die im häuslichen Bereich leben und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden. Bei Weidetieren, die auf der Alp sömmern und deren Verlust unter Umständen erst nach dem Alpabtrieb bemerkt wird, gilt weiterhin die sonst übliche Frist von fünf Jahren. In solchen Fällen drängt sich eine Verkürzung nicht auf.

Die Voraussetzung, dass ein Tier im häuslichen Bereich lebt und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten wird, beinhaltet eine besondere affektive Beziehung zu einem bestimmten Tier. Damit sind Tiere gemeint, zu denen der Besitzer eine besonders enge Beziehung hat, unabhängig davon, ob sie im Haus, im Garten oder im Stall gehalten werden. Eingeschränkt wird der Geltungsbereich durch die Bedingung, dass diese Tiere nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden. In die Interessenabwägung einzubeziehen ist aber auch der wirtschaftliche Wert eines Tieres. Wer beispielsweise ein Pferd findet, kann sich nicht oder nur ausnahmsweise auf diese Bestimmung berufen, selbst dann nicht, wenn er eine enge Beziehung zum Tier entwickelt hat.

Auf eine rechtliche Qualifikation des Tierheims wird bewusst verzichtet, weil ein Tierheim als solches nicht immer Rechtspersönlichkeit hat und daher auch nicht Eigentum erwerben kann. Der neue Absatz 1ter sagt lediglich, dass das Tierheim nach Ablauf der zwei Monate frei über das Tier verfügen kann. Übergibt das Tierheim nach Ablauf dieser Frist das Tier einem Dritten, braucht somit nicht näher auf die Frage nach der Eigentumszuständigkeit eingegangen zu werden.

3.3.2.2

Ersitzungsfrist (Art. 728 Abs. 1bis [neu] ZGB)

Die Ersitzungsfrist wird an die Frist beim Fund angepasst; entsprechend wird Artikel 728 ZGB durch einen neuen Absatz 1bis ergänzt. Der gutgläubige Besitzer eines Tieres soll bereits nach zwei Monaten dessen Eigentümer werden. Auch dies gilt nur für Tiere, zu denen eine besondere affektive Beziehung besteht.

4170

3.3.2.3

Besitzesrecht (Art. 934 Abs. 1 ZGB)

Der Vorbehalt von Artikel 722 ZGB erinnert daran, dass die Besitzrechtsklage beim Fund von Tieren zeitlich einen eingeschränkten Anwendungsbereich hat. Der Finder, der seinen Pflichten nachkommt, wird bereits nach Ablauf von zwei Monaten Eigentümer des Tieres und kann somit die Besitzesrechtsklage nach Artikel 934 ZGB abwehren.

3.3.3

Richterliche Zusprechung von Tieren (Art. 651a [neu] ZGB)

Tierschützerische Aspekte sollen auch dann berücksichtigt werden, wenn eine Gemeinschaft aufgelöst wird, in deren Besitz sich ein Tier befindet. Mit Artikel 651a (neu) ZGB wird ein Zuteilungskriterium eingeführt, das es dem Richter ermöglicht, das Wohl eines Tieres in die Interessenabwägung einzubeziehen, sofern dieses im häuslichen Bereich gehalten wird und nicht Vermögens- oder Erwerbszwecken dient. Die Formulierung «in tierschützerischer Hinsicht dem Tier die bessere Unterbringung gewährleisten» umfasst die Unterbringung und Fütterung, aber auch die Beziehung des Tieres zum Menschen. Im Rahmen von Artikel 651a (neu) ZGB soll diese Beziehung ausschliesslich im Interesse des Tieres geprüft werden.

In der güterrechtlichen Auseinandersetzung besteht bei Nachweis eines überwiegenden Interesses heute schon ein Zuteilungsanspruch, wenn ein Vermögenswert nicht im Alleineigentum eines Ehepartners steht (Art. 205 Abs. 2 ZGB). Bei der Erbteilung und bei der Liquidation einer einfachen Gesellschaft besteht bisher keine Regelung, die eine auf das Interesse des Tieres Rücksicht nehmende Zuteilung erlauben würde.

Nach Absatz 2 von Artikel 651a (neu) ZGB kann der Richter die Person, die das Tier zugesprochen erhält, zur Leistung einer Entschädigung verpflichten. Diese Leistung muss angemessen sein und ist somit unter Berücksichtigung des objektiven Wertes des Tieres festzulegen. Eine Entschädigungspflicht kann sich auch aus anderen Vorschriften ergeben. So sieht beispielsweise Artikel 205 Absatz 2 ZGB bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung ausdrücklich eine Entschädigungspflicht vor, und Artikel 608 Absatz 3 ZGB besagt, dass die Zuweisung einer Erbschaftssache an einen Erben als blosse Teilungsvorschrift gilt und auf den Erbteil angerechnet wird.

Das Zuteilungskriterium von Artikel 651a (neu) ZGB bezieht sich namentlich auf das eheliche Güterrecht, auf das Erbrecht und auf die einfache Gesellschaft. In der Praxis könnte es vor allem bei der Auflösung von Konkubinatsverhältnissen zur Anwendung gelangen.

3.4

Obligationenrecht

3.4.1

Artikel 42 Absatz 3 (neu) OR

Eine Schadenersatzpflicht bei Verletzung eines Tieres, die den Wert des Tieres übersteigt, lässt sich bereits auf Grund des geltenden Rechts begründen. Praxis und Lehre schliessen nicht aus, dass im Falle von Sachbeschädigungen die geschuldeten

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Reparaturkosten den Wert der beschädigten Sache übersteigen können. Aus Gründen der Rechtssicherheit soll dieser Grundsatz explizit in Artikel 42 Absatz 3 (neu) Obligationenrecht4 (OR) festgehalten werden. Bei Streitigkeiten wie den hier anvisierten, bei denen meist kein Anwalt eingeschaltet wird, scheint es zudem angebracht, dass der Laie direkt aus dem Gesetz ersehen kann, wie der Ersatz der Heilungskosten zu bemessen ist. Hervorzuheben ist, dass die ausdrückliche Regelung dieser Frage bezüglich Heilungskosten von Tieren nach Meinung der Kommission nicht in jenen Fällen zu einer einschränkenden Praxis führen darf, in denen es um den Ersatz von Reparatur- und Restaurationskosten für einen Gegenstand geht.

Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass der Eigentümer irgendwelche Heilungskosten auf den Haftpflichtigen ­ oder dessen Versicherung ­ überwälzen kann. Namentlich gilt es zu verhindern, dass mit verletzten Tieren zu Lasten des Haftpflichtigen experimentiert wird. Zu fragen ist immer danach, wie sich ein verständiger Eigentümer und Tierhalter in der konkreten Situation verhalten würde, falls er selber für die Heilungskosten aufkommen müsste. Dies ergibt sich im Übrigen bereits aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB).

3.4.2

Artikel 43 Absatz 1bis (neu) OR

Der Beziehung zu Tieren kommt in unserer Gesellschaft eine immer grössere Bedeutung zu. Durch die ausdrückliche Nennung des Affektionswertes, den ein Tier für seinen Halter oder dessen Angehörige haben kann, soll klargestellt werden, dass das emotionale Verhältnis zwischen Tier und Mensch ein schützenswertes Rechtsgut ist, das der Richter in seine Güterabwägung einzubeziehen hat. Bei der Bemessung des Schadenersatzes wurden bisher dem Ersatz des Affektionswerts, den jemand einer Sache infolge einer ganz persönlichen, ausserhalb wirtschaftlicher Überlegungen stehenden Hochschätzung beimisst, nicht Rechnung getragen. Mag dies im Verhältnis zu leblosen Dingen angehen, so wird es dem Verhältnis zu Tieren nicht gerecht.

Falls ein Tier von einem Schädiger schwer verletzt oder getötet wurde, soll der Täter verpflichtet werden können, dem Tierhalter auch den Affektionswert zu ersetzen.

Es ist klar, dass der Affektionswert keine eindeutig bestimmbare Grösse ist und dass der Verlust eines geliebten Tieres nicht mit Geld aufgewogen werden kann. In diesem Sinne nähert sich die Bestimmung von Artikel 43 Absatz 1bis (neu) OR der Genugtuung nach Artikel 49 OR, der die widerrechtliche Verletzung der Persönlichkeit betrifft. Nach beiden Bestimmungen soll ein immaterieller Schaden teilweise durch Geld wieder gutgemacht werden. In klarer Abgrenzung zu der Genugtuung nach Artikel 47, der sich in aller Regel auf die Verletzung oder Tötung von Menschen bezieht, soll der Affektionswert für Tiere in die Bemessung des Schadenersatzes einbezogen werden.

4

SR 220

4172

3.5

Strafgesetzbuch

3.5.1

Artikel 110 StGB

Die Anführung der Tiere bei den Erklärungen gesetzlicher Ausdrücke in Artikel 110 Strafgesetzbuch5 (StGB) entspricht dem Grundgedanken der Revision, die die Unterscheidung zwischen Tieren und Sachen im Gesetz zum Ausdruck bringen will.

3.5.2

Artikel 332

Artikel 332 StGB wird durch den Hinweis auf Artikel 720a (neu) ZGB ergänzt.

Nachdem für den Fund von Tieren ein eigener Artikel geschaffen wurde, muss der Anwendungsbereich der Strafnorm von Artikel 332 StGB auch auf diesen erstreckt werden. Nicht erfasst von dieser Strafnorm wird, wer den Eigentümer kennt, ihn aber nicht über den Fund benachrichtigt. Möglich bleibt in diesem Fall aber eine Bestrafung wegen unrechtmässiger Aneignung nach Artikel 137 StGB.

3.6

Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (Art. 92 Ziff. 1a [neu] SchKG)

Die Bedeutung, die ein Tier für Menschen haben kann, die von Vereinsamung bedroht sind, wird zunehmend erkannt, beispielsweise in Altersheimen oder bei kranken Menschen. Ein ausdrückliches Pfändungsverbot für Tiere soll für die Rechtsanwender eine klare Situation schaffen. Die Pfändung von Haustieren erfolgt zwar selten, einerseits aus menschlichen Gründen, anderseits auch, weil die Verwertung von Tieren schwierig ist. Infolge der unsicheren Wirtschaftslage dürfte sich aber die Zahl der Betreibungen erhöhen, sodass sich die Frage nach der Pfändbarkeit von Tieren öfter stellen und auch in der Öffentlichkeit vermehrt diskutiert werden dürfte.

Um Missbräuchen vorzubeugen, beschränkt sich auch diese Änderung auf Tiere im häuslichen Bereich, die nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden.

Die Kosten für den Unterhalt und die medizinische Betreuung des Tieres sollen weiterhin aus dem Pauschalbetrag bestritten werden, der dem Schuldner verbleibt.

Dies entspricht der Praxis des Betreibungsrechts, wonach finanzielle Belastungen für ein Hobby nicht in die Berechnung des Existenzminimums einbezogen werden.

4

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Für den Bund hat die Vorlage keine finanziellen Auswirkungen. Eine finanzielle Mehrbelastung erwächst den Kantonen wegen Artikel 720a (neu) ZGB, der sie verpflichtet, eine Stelle zu bezeichnen, bei der verlorene Tiere anzuzeigen sind. Diese Mehrbelastung lässt sich nicht quantifizieren. Sie dürfte aber kaum ins Gewicht fallen, nachdem Funde ­ über 10 Franken ­ schon heute anzuzeigen sind (Art. 720

5

SR 311.0

4173

Abs. 2 ZGB) und die Kantone die Möglichkeit haben, ihre Aufwendungen dem Eigentümer der gefundenen Sache zu belasten (Art. 722 Abs. 2 ZGB).

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Keine Bestimmung des europäischen Rechts befasst sich mit der Frage, welchen Schutz Tiere bzw. deren Eigentümer im Privatrechtsverkehr geniessen. Hinzuweisen ist immerhin auf das Europäische Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren vom 13. November 1987 (SR 0.456), das die Schweiz am 3. November 1993 ratifiziert hat. Dessen Anforderungen an den Handel mit Heim- bzw. Haustieren (Art. 6 und 8 der Konvention) berühren die Vorschläge der vorgeschlagenen Revision des Zivilgesetzbuches und des Obligationenrechts nicht.

6

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 122 und 123 der Bundesverfassung, wonach die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts und des Strafrechts Sache des Bundes ist. Im Übrigen ist auf Artikel 80 der Bundesverfassung zu verweisen, der den Bund dazu ermächtigt bzw. verpflichtet, Vorschriften über den Schutz der Tiere zu erlassen und dabei ausdrücklich die Tierhaltung und die Tierpflege (Abs. 2 Bst. a) erwähnt. Überdies schützt Artikel 120 Absatz 2 der Bundesverfassung die Würde der Kreatur.

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