#ST#

80.074

Botschaft zum Staatsvertrag mit Österreich über die Gegenseitigkeit in Amtshaftungssachen vom 22. Oktober 1980

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über den am 23. Mai 1979 unterzeichneten Staatsvertrag mit Österreich über die Gegenseitigkeit in Amtshaftungssachen mit dem Antrag auf Genehmigung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren, Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

22. Oktober 1980

.1980-720

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Chevallaz Der Bundeskanzler: Huber

1161

Übersicht Ansprüche von Schweizern aus Amtshaftung gegen den österreichischen Staat werden nach der herrschenden Praxis regelmässig auch von den Gerichten nicht anerkannt, weil nach Auffassung der zuständigen österreichischen Behörden die Gegenseitigkeit nicht ausreichend verbürgt sei. Dem soll mit dem vorliegenden Vertrag abgeholfen werden. Beide Staaten erklären, dass sie die Bürger des ändern Staates in Amtshaftungssachen gleich behandeln wollen wie die Angehörigen des eigenen Staates.

In der Schweiz war diese Gleichbehandlung schon bisher in Bund und Kantonen gewährleistet. Die einzugehende Verpflichtung besteht somit darin, dass von diesem Grundsatz auch in Zukunft nicht abgewichen werden darf. [Der Vertrag ist jedoch jederzeit auf ein Jahr kündbar.

1162

Botschaft I II

Ausgangslage Regelung in Österreich

Die Haftung des österreichischen Staates für Schaden, den seine Organe in Ausübung der amtlichen Tätigkeit Dritten rechtswidrig zufügen, wird durch das Amtshaftungsgesetz vqm 18. Dezember 1948 (AHG) geregelt. Darin wird ein Anspruch, des Geschädigten gegen das handelnde Organ ausgeschlossen., Er kann und muss sich mit seiner Schadenersatzforderung an die Körperschaft (Bund, Land, Bezirk usw.) wenden, für die das schädigende Organ gehandelt hat.

Einem Ausländer steht nach §7 AHG ein Ersatzanspruch nur dann zu, wenn .die Gegenseitigkeit verbürgt ist, d. h. wenn zweifelsfrei feststeht, dass Österreicher im Heimatstaat des Ausländers die gleichen Amtshaftungsansprüche geltend machen können. Die Gegenseitigkeit wird nur dann anerkannt, wenn sie «in kundgemachten Staatsverträgen festgelegt oder im Bundesgesetzblatt kundgemacht ist». Ist dies nicht der Fall, so hat das Gericht, welches über den Amtshaftungsanspruch des Ausländers entscheidet, eine Erklärung des Bundeskanzleramtes über das Bestehen der Gegenseitigkeit einzuholen.1 Diese Erklärung ist für das Gericht bindend, es darf nicht davon abweichen.

In der Praxis hat das Bundeskanzleramt bisher stets entschieden, die Gegenseitigkeit mit der Schweiz sei nicht verbürgt. Schweizerische Kläger mussten deshalb von den österreichischen Gerichten regelmässig abgewiesen werden, ohne dass ihre Ansprüche materiell geprüft wurden.

Das Bundeskanzleramt begründete seine Auffassung, jeweils damit, §7 AHG verlange nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Gegenseitigkeit. Es reiche nicht aus, dass 1 auch Österreicher im Heimatstaat des Geschädigten Ansprüche geltend machen können; vielmehr müsse die rechtliche Grundlage für die Amtshaftung auch inhaltlich dieselbe sein, wie sie dem Ausländer aufgrund des AHG in Österreich zustehe.

!, Mit Bezug auf die Schweiz würde die materielle Gegenseitigkeit verneint, weil das schweizerische Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. März 1958 (VG) (SR 170.32) die Überprüfbarkeit von Rechtsakten (rechtskräftigen Verfügungen und Urteilen) im Verantwortlichkeitsverfahren nicht kenne. Im Gegensatz dazu sieht , das AHG die volle Überprüfbarkeit1 von Rechtsakten vor, sofern es sich nicht um Urteile der höchstinstanzlichen Gerichte handelt (§ 2 Abs. 3).

'· Zudem verwies man auf die unterschiedlichen Verjährungsfristen (drei
Jahre in Österreich, ein Jahr in der Schweiz) und auf die Bestimmungen des VG über die Verwirkung, die im AHG fehlen.

'!

Einen weiteren Unterschied im Staatshaftungsrecht beider Länder sah man darin, dass das VG sich nur auf die ,durch Amtsträger des .Bundes in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit verursachten Schäden bezieht, nicht aber auf Organe der Kantone und Gemeinden. Die Kantone sind in der Gestaltung ihres Amtshaftungsrechtes weitgehend frei. Das AHG hingegen gilt nicht nur für den

1163

Bund, sondern auch für die Länder, Bezirke, Gemeinden und sonstigen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts.

12

Regelung in der Schweiz

Nach dem VG und den Staatshaftungsgesetzen der meisten Kantone haften die betreffenden Gemeinwesen für den Schaden, den ihre Beamten in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügen. Ein Verschulden des Beamten wird im Gegensatz zum AHG nicht vorausgesetzt. In dieser Beziehung geht somit das schweizerische Recht weiter und stellt den Geschädigten besser.

Ein Schadenersatzanspruch gegen den Beamten persönlich ist wie in Österreich ausgeschlossen.

Geschädigte Ausländer werden in Bund und Kantonen überall gleich behandelt wie Schweizer, unabhängig davon, ob der Heimatstaat des Ausländers Gegenrecht gewährt.

2

Inhalt und Bedeutung des Staatsvertrages

Um die ungleiche Behandlung der Schweizer und Österreicher in Staatshaftungssachen nach dem österreichischen AHG zu beseitigen, wurden Verhandlungen zwischen den zuständigen Amtsstellen beider Staaten aufgenommen. Sie führten am 23. Mai 1979 zur Unterzeichnung der vorliegenden Vereinbarung zwischen den jeweils bevollmächtigten Vertretern.

Die Parteien verpflichten sich gegenseitig zu gewährleisten, dass die Angehörigen des ändern Vertragsstaates in Staatshaftungsangelegenheiten die gleichen . Ansprüche geltend machen können wie die Angehörigen des eigenen Staates.

Der Vertrag gilt sowohl für natürliche wie für juristische Personen.

Die Vereinbarung führt indessen nicht etwa eine materielle Rechtsvereinheitlichung herbei. In jedem Vertragsstaat gilt weiterhin uneingeschränkt das nationale Staatshaftungsrecht. Der Vertrag führt aber dazu, dass die Angehörigen beider Partner im ändern Vertragsstaat formell gleich behandelt werden, was bisher für Schweizer in Österreich nicht der Fall war. Für die Behandlung von Österreichern in der Schweiz ändert sich im Vergleich zum geltenden Recht nichts.

Für die Eidgenossenschaft und die Kantone enthält der Staatsvertrag insofern eine Verpflichtung, als in Zukunft vom Prinzip der Gleichbehandlung der Ausländer bezüglich österreichischer Staatsangehöriger nicht mehr abgewichen werden darf. Diese Bindung an einen fundamentalen Rechtsgrundsatz, welcher zudem schon bisher freiwillig befolgt wurde, ist indessen ohne weiteres vertretbar.

In einem bei den Kantonen durchgeführten Vernehmlassungsverfahren sind denn auch keine Einwendungen gegen die Vereinbarung laut geworden. Immerhin sei darauf hingewiesen, dass der Vertrag zwar auf unbestimmte Zeit geschlossen, jedoch jederzeit auf ein Jahr kündbar ist.

1164

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Der Staatsvertrag hat weder für den Bund noch für die Kantone finanzielle oder personelle Auswirkungen zur Folge.

4

Richtlinien der Regierungspolitik

Der vorliegende Staatsvertrag ist wegen seiner beschränkten politischen Bedeutung nicht in die Richtlinien der Regierungspolitik aufgenommen worden. Er steht aber mit deren allgemeinen Zielsetzungen (Pflege der bilateralen Beziehungen zum Ausland) im Einklang.

5

Verfassungsmässigkeit der Vorlage

Nach Artikel 8 der Bundesverfassung steht dem Bund das Recht zu, Verträge mit ausländischen Staaten abzuschließen. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung zur Genehmigung von Staatsverträgen ergibt sich aus Artikel 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung.

, Der vorliegende Staatsvertrag ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden.

Er kann jedoch jederzeit gekündigt werden, wobei die Kündigung ein Jahr nach dem Zeitpunkt wirksam wird, zu dem sie dem ändern Staat notifiziert wurde.

Der Staatsvertrag ist somit weder unbefristet und unkündbar, noch sieht er den Beitritt zu einer internationalen Organisation vor und er führt auch keine Rechtsvereinheitlichung herbei. Er untersteht deshalb nicht dem fakultativen Referendum nach Artikel 89 Absatz :3 der Bundesverfassung. Die beschränkte sachliche Bedeutung des Vertrages rechtfertigt auch nicht die Unterstellung unter das fakultative Referendum nach Artikel 89 Absatz 4 der Bundesverfassung.

7402

1165

Bundesbeschluss betreffend den Staatsvertrag mit Österreich über die Gegenseitigkeit in Amtshaftungssachen

Entwurf

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 8 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 22. Oktober 1980 '), beschliesst:

Einziger Artikel 1

Der am 23. Mai 1979 unterzeichnete Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich über die Gegenseitigkeit in Amtshaftungssachen wird genehmigt.

2 Der Bundesrat wird ermächtigt, ihn zu ratifizieren.

3 Dieser Beschluss untersteht nicht dem Staatsvertragsreferendum.

7402

]

> BB1 1980 III 1161

1166

Vertrag

Originaltext

zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich über die Gegenseitigkeit in Amtshaftungssachen

Die Schweizerische Eidgenossenschaft und , die Republik Österreich,

', .

vom Wunsch geleitet, Fragen der Amtshaftung in den beiderseitigen Beziehungen zu regeln, haben folgendes vereinbart: Artikel l Angehörige des einen Vertrags Staates können nach den im anderen Vertragsstaat geltenden Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Amtshaftung unter den gleichen Bedingungen Ansprüche geltend machen wie die Angehörigen des anderen Vertragsstaates.

Artikel!

(1) Angehörige der Vertragsstaaten sind a), schweizerische Staatsbürger und österreichische Staatsangehörige, b) juristische Personen und andere parteifähige Gebilde, die ihren tatsächlichen und, wenn ein solcher bestimmt ist, ihren satzungsmässigen Sitz in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten haben oder, wenn ein Sitz nicht besteht, dort gelegen sind. , (2) Die Regierungen der Vertragsstaaten können diesen Vertrag durch Vereinbarung auf Staatenlose ausdehnen, die ihren .gewöhnlichen Aufenthalt in einem der beiden Vertragsstaaten haben.

Artikel 3 (1) Dieser Vertrag bedarf der Ratifikation; die Ratifikationsurkunden werden so bald wie möglich in Bern ausgetauscht.

(2) Dieser Vertrag tritt am ersten Tag des dritten Monats in Kraft, der auf den Austausch der Ratifikationsurkunden folgt. Er findet Anwendung, wenn das ·schädigende Verhalten nach dem Inkrafttreten des Vertrages stattgefunden hat.

1167

Amtshaftungssachen Artikel 4 (1) Dieser Vertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Er kann jederzeit schriftlich auf diplomatischem Weg gekündigt werden. Die Kündigung wird ein Jahr nach dem Zeitpunkt wirksam, zu dem sie dem anderen Staat notifiziert wurde.

(2) Tritt der Vertrag infolge Kündigung ausser Kraft, sq gelten seine Bestimmungen für die Fälle weiter, in denen das schädigende Verhalten vor Ausserkrafttreten des Vertrages stattgefunden hat.

Geschehen zu Wien, am 23. Mai 1979 in zwei Urschriften.

Für die Schweizerische Eidgenossenschaft: Keller .

-

7402

1168

.

Für die Republik Österreich: Fahr

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft zum Staatsvertrag mit Österreich über die Gegenseitigkeit in Amtshaftungssachen vom 22. Oktober 1980

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1980

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

47

Cahier Numero Geschäftsnummer

80.074

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

25.11.1980

Date Data Seite

1161-1168

Page Pagina Ref. No

10 048 180

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.