Bericht an die SGK N betreffend der Anpassung des schweizerischen Rechts an die EU-Verordnungen in Ausführung einer Motion (99.3480) des Nationalrates vom 19. Juni 2000

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Einführung

Das Abkommen über die Freizügigkeit im Personenverkehr mit der EU verpflichtet die Schweiz, alle erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, damit in den Beziehungen zu den Mitgliedstaaten der EU gleichwertige Rechte und Pflichten wie in den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft Anwendung finden.

Um den EU-Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 nachzukommen, welche lediglich Koordinationsregeln im Bereich der Sozialen Sicherheit festlegen, hat der Bundesrat in seiner Botschaft zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen CH-EU in den einzelnen Sozialversicherungsgesetzen eine allgemeine Bestimmung vorgesehen, welche auf die EU-Verordnungen im Rahmen des Freizügigkeitsabkommens generell verweist bzw. diese als anwendbar erklärt.

Die Eidgenössischen Räte haben anlässlich der Beratungen über die Genehmigung der sektoriellen Abkommen CH-EU diese vorgeschlagene Verweistechnik für die gesamte Sozialversicherungsgesetzgebung akzeptiert.

In Bezug auf das Bundesgesetz über die Berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) sowie das Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (FZG) hat das Parlament aber in einer Motion den Bundesrat beauftragt, im Rahmen der 1. BVG-Revision die notwendigen Anpassungen an die Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 vorzunehmen und gleichzeitig auf den allgemeinen Verweis auf das europäische Recht im BVG und im Freizügigkeitsrecht zu verzichten.

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Inhalt der Änderung

Die Verwaltung hat systematisch geprüft, inwieweit im BVG und im FZG unbedingt notwendige Anpassungen an die erwähnten Verordnungen vorgenommen werden müssen. Unter dem Vorsitz des Bundesamt für Sozialversicherung hat eine Arbeitsgruppe, in welcher das Bundesamt für Justiz, die Bundeskanzlei und das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten mitgearbeitet haben, diese Frage geprüft.

Aus diesen Arbeiten geht hervor, daß ein allgemeiner Verweis durch eine Bezugnahme auf die Bestimmungen des Abkommens über die Freizügigkeit im Personenverkehr ersetzt werden kann, vervollständigt durch einige wesentliche Grundsätze der Koordinationsbestimmungen der Verordnungen der Gemeinschaft 1408/71 und 574/72. Tatsächlich ist es weder unentbehrlich noch praktisch opportun, die Gesamtheit der Koordinationsbestimmungen der erwähnten Verordnungen im BVG 4852

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und im FZG abzuschreiben. Dies wäre jedoch die logische Folge des Willens des Parlamentes, entgegen der Meinung des Bundesrates den in diesen zwei Gesetzen momentan enthaltenen allgemeinen Verweis abzuschaffen.

Die Arbeitsgruppe ist nach einer ausführlichen Prüfung der Ansicht, dass der Mittelweg ­ bestehend einerseits in einer allgemeinen Bezugnahme auf das Abkommen über die Freizügigkeit im Personenverkehr und andererseits auf einer Übernahme der Koordinationsprinzipien der Verordnungen 1408/71 und 574/72 ins BVG und ins FZG ­ eine Anwendung dieser zwei Gesetze erlauben müsste, die sich an den Verpflichtungen orientiert, welche sich für die Schweiz aus den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen des Abkommens über die Freizügigkeit im Personenverkehr mit der EU ergeben.

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Erläuterungen zu den einzelnen Gesetzesbestimmungen

3.1

Änderungen des BVG

Art. 89a Dieser Artikel erklärt die Bestimmungen des Abkommens über die Freizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft neben den Bestimmungen des BVG für anwendbar. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird präzisiert, dass die Abkommensbestimmungen nur im Rahmen des persönlichen und sachlichen Geltungsbereiches des Abkommens anwendbar sind.

Art. 89b Diese Bestimmung gibt den im Abkommen verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz wieder. Jegliche Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ist verboten.

Personen, auf welche der Vertrag Anwendung findet und die im Gebiet eines Vertragsstaates wohnen, haben bei Anwendung der Sozialversicherungsgesetzgebungen der Vertragsstaaten die gleichen Rechte und Pflichten wie die Staatsangehörigen des jeweiligen Staates.

Die Gleichbehandlungspflicht ist auch für das BVG anwendbar. Hervorgehoben sei, dass das Gesetz in seiner aktuellen Fassung keine Diskriminierung aufgrund der Nationalität enthält.

Art. 89c Ziel dieser Vorschrift ist es, das im Vertrag vorgesehene Prinzip der uneingeschränkten Auszahlung von Leistungen in alle Vertragsstaaten nochmals aufzunehmen. Nach dieser Bestimmung müssen BVG-Leistungen so ins Ausland gezahlt werden, als wohnten die Berechtigten in der Schweiz. Das geltende BVG kennt keine Wohnortsklauseln und erfüllt somit das Erfordernis des uneingeschränkten Leistungsexports.

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Art. 89d Nach dem Abkommen kann die Leistungsfeststellung im Bereich der Beruflichen Vorsorge auch in Fällen, in denen neben den schweizerischen Rechtsvorschriften die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer EU-Mitgliedstaaten galten, weiterhin nach den Vorschriften des BVG erfolgen. Aus Gründen der Transparenz wird im Gesetz nochmals wiedergegeben, dass die Leistungsberechnung ausschliesslich nach schweizerischem Recht erfolgt.

3.2

Änderungen des FZG

Art. 5 Abs. 1 Bst. a Da Artikel 5a durch Artikel 25f ersetzt werden soll (siehe Kommentar unter Art. 5a) ist es aus Gründen der Lesbarkeit sinnvoll, in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a einen Nachsatz anzufügen, der klarstellt, dass die Barauszahlung bei endgültigem Verlassen der Schweiz nur unter Vorbehalt von Artikel 25f verlangt werden kann.

Art. 5a Diese im Rahmen der parlamentarischen Genehmigung der bilateralen Verträge CHEU aufgenommene Bestimmung über die Einschränkung der Barauszahlung betrifft das Verhältnis des FZG zum Freizügigkeitsabkommen. Es ist deshalb sinnvoll, sie unter Abschnitt 8, Verhältnis zum europäischen Recht, einzuordnen (siehe auch Kommentar zu Art. 25f).

Art. 25b Dieser Artikel entspricht dem vorgeschlagenen Artikel 89a BVG und erklärt die Bestimmungen des Abkommens über die Freizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft neben den Bestimmungen des FZG für anwendbar.

Art. 25c Diese Bestimmung entspricht dem vorgeschlagenen Artikel 89b BVG und gibt den im Abkommen verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz wieder. Die Gleichbehandlungspflicht ist auch für das FZG massgeblich, hat aber gegenwärtig nur deklaratorischen Charakter, da das FZG keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit beinhaltet.

Art. 25d Ziel dieser Vorschrift ist es, das im Vertrag vorgesehene Prinzip der uneingeschränkten Auszahlung von Leistungen in alle Vertragsstaaten nochmals aufzunehmen. Sie entspricht dem vorgeschlagenen Artikel 89c BVG. Das geltende FZG kennt keine Wohnortsklauseln und erfüllt somit das Erfordernis des uneingeschränkten Leistungsexports.

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Art. 25e Nach dem Abkommen kann die Leistungsfeststellung im Bereich der Beruflichen Vorsorge auch dann weiterhin nach den Vorschriften des FZG erfolgen, wenn für die betreffende Person ausser den schweizerischen Rechtsvorschriften auch die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft galten. Aus Gründen der Transparenz wird im FZG nochmals wiedergegeben, dass die Berechnung der Freizügigkeitsleistung ausschliesslich nach schweizerischem Recht erfolgt. Diese Bestimmung entspricht dem neu vorgeschlagenen Artikel 89d BVG.

Art. 25f Dieser Artikel entspricht dem im Rahmen der parlamentarischen Genehmigung der bilateralen Verträge CH-EU aufgenommenen Artikel 5a über die Einschränkung der Barauszahlung. Da diese Bestimmung auch das Verhältnis des FZG zum Freizügigkeitsabkommen betrifft, ist es sinnvoll, sie unter Abschnitt 8, Verhältnis zum europäischen Recht, einzuordnen. Aus redaktionellen Gründen musste die vom Parlament genehmigte Fassung etwas angepasst werden.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

4.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Änderungsvorschläge haben keine Auswirkungen auf die Einnahmen des Bundes.

4.2

Auswirkungen auf die Kantone und die Gemeinden

Die Änderungsvorschläge haben keine Auswirkungen auf die Einnahmen der Kantone und der Gemeinden.

4.3

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Die Änderungsvorschläge haben keine volkswirtschaftlichen Auswirkungen.

4.4

Auswirkungen auf die Versicherten

Nach Ablauf der Übergangsfrist von fünf Jahren können Versicherte, die die Schweiz endgültig verlassen, die Barauszahlung der Austrittsleistung nicht mehr verlangen, falls sie sich in einem Staat der Europäischen Union niederlassen, in dem sie obligatorisch versichert sind. Ihr Guthaben ist in diesem Fall nur solange auf einem Konto oder in Form einer Police blockiert bis die Voraussetzungen für eine Auszahlung erfüllt sind. Auf diese Weise geniessen die Versicherten die Sicherheit, ihre erworbenen Rechte der beruflichen Vorsorge nicht zu verlieren.

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4.5

Auswirkungen auf die Vorsorgeeinrichtungen

Die Vorsorgeeinrichtungen haben kaum Konsequenzen zu tragen. Anstatt die Barauszahlungsleistungen auszuzahlen, müssen sie diese nur auf ein Sperrkonto überweisen.

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Schlussfolgerungen

Abschliessend schlagen wir Ihnen vor, die allgemeine Verweisklausel im Gesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge und im Freizügigkeitsgesetz durch die folgenden Bestimmungen zu ersetzen.

5.1

Bestimmungen des BVG

Siebenter Teil: Verhältnis zum europäischen Recht Art. 89a

Geltungsbereich

Für Arbeitnehmer und Selbständigerwerbende, für welche die Rechtsvorschriften der Schweiz oder eines oder mehrerer EG-Mitgliedstaaten im Bereich der sozialen Sicherheit gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige der Schweiz oder eines EG-Mitgliedstaates sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge in der Schweiz oder im Gebiet eines EG-Mitgliedstaates wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterlassene gelten in Bezug auf Leistungen im Anwendungsbereich dieses Gesetzes auch die Bestimmungen des Abkommens vom 21. Juni 1999 über die Freizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft sowie ihren Mitgliedstaaten1 (Abkommen) betreffend die Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit.

Art. 89b

Gleichbehandlung (neu)

Personen, die in der Schweiz oder im Gebiet eines EG-Mitgliedstaates wohnen und für die Artikel 89a gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund dieses Gesetzes wie Schweizer Staatsangehörige, soweit das Abkommen nichts anderes vorsieht.

Art. 89c

Verbot von Wohnortsklauseln (neu)

Geldleistungen, auf die nach diesem Gesetz Anspruch erhoben worden ist, dürfen, soweit das Abkommen nichts anderes vorsieht, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil die berechtigte Person im Gebiet eines EG-Mitgliedstaates wohnt.

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AS ...

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Art. 89d

Leistungsberechung (neu)

Leistungsansprüche im Anwendungsbereich dieses Gesetzes werden auschliesslich aufgrund der Bestimmungen dieses Gesetzes festgestellt.

Der Siebente Teil wird zum Achten Teil: Schlussbestimmungen

5.2

Bestimmungen des FZG

Art. 5 Abs. 1 Bst. a 1

Versicherte können die Barauszahlung der Austrittsleistung verlangen, wenn: a.

sie die Schweiz endgültig verlassen; vorbehalten bleibt Artikel 25f;

Art. 5a Aufgehoben

8. Abschnitt: Verhältnis zum europäischen Recht Art. 25b

Geltungsbereich

Für Arbeitnehmer und Selbständigerwerbende, für welche die Rechtsvorschriften der Schweiz oder eines oder mehrerer EG-Mitgliedstaaten im Bereich der sozialen Sicherheit gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige der Schweiz oder eines EG-Mitgliedstaates sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge in der Schweiz oder im Gebiet eines EG-Mitgliedstaates wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterlassene gelten in Bezug auf Leistungen im Anwendungsbereich dieses Gesetzes auch die Bestimmungen des Abkommens vom 21. Juni 1999 über die Freizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft sowie ihren Mitgliedstaaten2 (Abkommen) betreffend die Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit.

Art. 25c

Gleichbehandlung (neu)

Personen, die in der Schweiz oder im Gebiet eines EG-Mitgliedstaates wohnen und für die Artikel 25b gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund dieses Gesetzes wie Schweizer Staatsangehörige, soweit das Abkommen nichts anderes vorsieht.

Art. 25d

Verbot von Wohnortsklauseln (neu)

Geldleistungen, auf die nach diesem Gesetz Anspruch erhoben worden ist, dürfen, soweit das Abkommen nichts anderes vorsieht, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil die berechtigte Person im Gebiet eines EG-Mitgliedstaates wohnt.

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AS ...

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Art. 25e

Leistungsberechung (neu)

Leistungsansprüche im Anwendungsbereich dieses Gesetzes werden auschliesslich auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes festgestellt.

Art. 25f

Einschränkung von Barauszahlungen in die Mitgliedstaaten der EG (neu)

Versicherte können die Barauszahlung nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a im Umfang des bis zum Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung erworbenen Altersguthabens nach Artikel 15 BVG nicht verlangen, wenn sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates der EG für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch versichert sind.

Der Achte Abschnitt wird zum Neunten Abschnitt: Schlussbestimmungen

19. Juni 2000

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

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Der Bundespräsident: Adolf Ogi Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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