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Bericht der

Mehrheit der ständeräthlichen Kommission für den Rekurs der Eheleute K o n r a d und Barbara Frauenfelder von Flaach, Kanton Zürich, niedergelassen in Aussersihl bei Zürich, Ausweisung aus der letzteren Gemeinde betreffend.

(Vom 28. November 1883.)

Tit.

Der Rekurs der Eheleute Frauenfelder ist gegen eine Ausweisung gerichtet, welche den Rekurrenten gegenüber von der Polizeibehörde Aussersihl verfügt u n d v o n d e n oberen Soweit es sich nun um den Ehemann Frauenfelder handelt, beantragt die Kommission mit Binmuth, den Rekurs als begründet »u erklären und demgemäß die Ausweisung aufzuheben, wogegen sie, sich hinsichtlich des Rekurses der Ehefrau in eine Mehrheit(Schoch,, Hoffmann und Hohl) und in eine Minderheit (Muheim und Schmid (Zug) theilt, von denen die erstere auch ciesen Rekurs schützen, die letztere ihn dagegen als unbegründet abweisen will.

Die thatsächlichen Verhältnisse des Falles sind folgende: Der in der zürcherischen Gemeinde Flaach heimatberechtigte Rekurrent Frauenfelder ist seit dem Jahre 1881 in Außersihl bei Zürich niedergelassen und arbeitet dort auf seinem Berufe als Maurer und Cementirer ; verschiedene Zeugnisse, die über ihn vorliegen, lauten durchaus günstig. Ueber seine Ehefrau dagegen sind im Laufe des Monates November 1881 einige Polizeirapporte ein-

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gegangen, welche dahin lauten, dieselbe führe einen unsittlichen Lebenswandel, sie ,,laufe Strich"1, wie der betreffende technische Ausdruck in den Akten gebraucht wird, und setze damit das gleiche unsittliche Lebwesen fort, dessen sie sich schon früher schuldig gemacht habe. In Folge dieser Rapporte erging unter dem 22. September auf den 30. November 1882 vom Polizeivorstande der Gemeinde Außersihl an die Familie Frauenfelder, bestehend aus Mann, Frau und sechs Kindern, die Weisung, jene Gemeinde binnen 14 Tagen zu räumen, welche Weisung aber dann, obgleich, wio bemerkt, von den bisherigen Rekursinstanzen bestätigt, bis zur Beschlußfassung durch die Räthe vom Bundesrathe in ihrem Vollzuge suspendirt worden ist. Um diese Beschlußfassung also handelt es sieh und als Grundlage für dieselbe hat zu dienen die einschlägige Vorschrift in Art. 45 der Bundesverfassung, welche lautet: ,,Weiterhin kann die Niederlassung Denjenigen e n t z o g e n werden, welche wegen schwerer Vergehen wiederholt bestraft worden sind, sowie Denjenigen, welche dauernd der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last fallen und deren Heimatgemeinde, beziehungsweise Heimatkanton, eine angemessene Unterstützung trotz amtlicher Aufforderung nicht gewährt."

Der vorhergehende Absatz des angerufenen Art. 45, welcher von der Verweigerung und dem Entzuge der Niederlassung wegen Nichtbesitzes der bürgerlichen Recht© und Ehren handelt, kömmt hier überall nicht in Frage.

Die strafgerichtlichen Urtheile nun, welche "gegen den Ehemann und die Ehefrau Frauenfelder erlassen und von den einschlägigen Amtsstellen einzig zur Begründung der Ausweisung angerufen worden sind, detailliren sich ausweislich der Akten in Folgendem : I. Gegen den Ehemann Frauenfelder: Urtheil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 3. September 1878, mit einem Straferkenntnisse von acht Tagen Gefängniß und Fr. 100 Buße, wegen Kuppelei.

II. Gegen die Ehefrau Frauenfelder: 1) Das vorstehende Urtheil des Obergerichtes von Zürich vont 3. September 1878, mit einem Straferkenntnisse von drei Wochen Geföngnißstrafe und Fr. 150 Buße, ebenfalls wegen Kuppelei.

2) Ein Urtheil des Polizeigerichtes von Basel aus dem Jahre 1881, vorgängig der Niederlassung der Familie Frauenfelder in Außersihl, wegen Kuppelei, auf drei Monate Gefängnißstrafe lautend.

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Keines der strafgerichtlichen Urtheile auf welche die Ausweisung gestützt wird, fällt also auf die Zeit seit der Niederlassung in Aussersihl und gegen den Ehemann Frauenfelder liegt überhaupt nur Bin hier in Betracht fallendes Urtheil vor.

Wie stellt sich nun zu dieser Aktenlage die gegen die Eheleute Frauenfelder verfügte Ausweisung?

Für den Ehemann Frauenfelder ergibt sich die Antwort ohne Weiteres, und es ist denn auch die Kommission, wie Eingangs gesagt, der einmüthig Ansicht, daß der Ausweisungsbeschluß, soweit er gegen den genannten Rekurrenten gerichtet ist, aufgehoben werden muß. Die, in der bundesräthlichen Botschaft enthaltene Aufstellung, wonach auch Frauenfelder wiederholt wegen Kuppelei bestraft worden wäre, muß auf einem that sächlichen Irrthu beruhen. Vielmehr kann gegen ihn nur Ein Urtheil angerufen werden; es fehlt also an dem in Art. 45 absolut aufgestellten Erfordernisse der wiederholten Bestrafung wegen schwerer gerichtlicher Vergehen, und es mangelt demnach der Ausweisung an der verfassungsmäßigen Grundlage.

Nicht so einfach liegen die Dinge hinsichtlich der Ehefrau Frauenfelder. Ihr gegenüber sind ohne Zweifel mehrere gerichtliche Strafurtheil ergangen und zwar, nach der hierüber zur Geltung gelangten bundesrechtlichen Auffassung, wegen schwerer Vergehen, da Kuppelei und Prostitution, wenn auch nicht vom technis strafrechtlichen, doch vom sozialen Standpunkte aus dazu gerechnet werden. Der springende Punkt ist aber, ob diese Bestrafungen alle oder wenigstens zum Theil am Niederlassungsorte stattgefunden haben müssen, um darauf eine Ausweisung stützen zu können. Der Bundesrath verneint diese Frage und stellt sich damit, indem er ein Zurückgreifen auf frühere Urtheile, ohne Hinzutreten einer neuen Strafe, zugibt, einzig mit der Einschränkung, daß ein dei- Niederlassung unwürdiges Verhalten am neuen Wohnorte sonstwie konstatirt sein müsse, auf einen Standpunkt, wie er bis jetzt nicht eingenommen worden ist und wie er, nach der Anschauung der Mehrheit der Kommission, die in Art. 45 der Bundesverfassung aufgestellten Grundsätze geradezu preisgibt. In der bisherigen bundesrechtlichen Praxis wurde wenigstens die Erfüllung der Vorschrift ,,wiederholter Bestrafung" dahin verlangt, daß allermindestens Eine Bestrafung am Niederlassungsorte ergangen und dadurch die Rückfälligkeit
erstellt sein müsse. Nach der persönlichen Ansicht des Berichterstatters der Kommissionsmehrheit wurde schon damit der streng verfassungsmäßige Boden verlassen, indem von diesem aus die wiederholten Bestrafungen sämmtliche am Niederlassungsorte erfolgt sein müssen. (Zu vergleichen dieEntstehungs,

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geschichte von Absatz 3 des mehrerwähnten Art. 45 der Bundesverfassung, Protokoll über die Verhandlungen der eidgenössischen Käthe, betreffend Revision der Bundesverfassung, 1873/74. S. 114 und 115, 122, 124, 251 und 252, 278, 284, 334, 371, 378.) Der genannte Berichterstatter folgert aus der Entstehung der Vorschrift, wie sie sich hienach ergibt, und aus der ratio legis selbst, daß die Niederlassung nur dann wieder soll entzogen werden kiinnen, wenn sich der Niedergelassene am Wohnorte selbst eines solchen gesetxund ordnungswidrigen Verhaltens schuldig gemacht hat, daß er hiewegen wiederholt gerichtlieh bestraft werden mußte. (Zu vergleichen auch der Bericht von Hrn. Nationalrath Moser aiun Rekurse Fridolin Emmenegger, Bundesbl. 1881, Bd. ITI, S. 509.) Jedenfalls aber sollte doch wenigstens nicht noch von dem Boden der bisherigen Praxis (zu vergleichen Bericht des Bundesrathes über seine Geschäftsführung im Jahre 1880, Bundesbl. 1881, II, S. 671) abgegangen werden, die mindestens Ein Urtheil am Niederlassungsorte verlangte und damit doch immerhin eine feste Schranke für die Ausweisungen festhielt. Kann dagegen eine Gemeinde einfach auf ausschließlich frühere Urtheile zurückgreifen, so liegt die Gefahr nahe, daß auf einem Umwege, entgegen der Verfassung, auch die Verweigerung der Niederlassung wegen strafgerichtlicher Urtheile, obgleich durch keines derselben der Entzug der bürgerlichen Rechte und Ehren ausgesprochen worden war, Platz greifen wird : Die Niederlassung wird allerdings für einmal ertheilt, nachher aber, auf jene Urtheile gestützt, wieder entzogen, wobei das vorläufig als Schutzwehr der freien Niederlassung noch beibehaltene Requisit des Nachweises eines strafbaren oder unsittlichen seitherigen Verhaltens durch bloße Polizeiberichte erbracht oder aber auch, weil in Art. 45 außer der wiederholten gerichtliehen Bestrafung gar nicht verlangt, von der betreffenden Gemeinde als gar nicht nöthig bestritten werden kann. Wir laufen einfach Gefahr, auf diesem Wege vom Art. 4.5 der Bundesverfassung abgedrängt isu werden, und es kann hiebei nicht in Betracht fallen, um welche Persönlichkeiten es sich handelt, da die verfassungsmäßigen Rechte ohne Ansehen der Person garantirt sind.

Aus diesen Gründen hält daher die Mehrheit der Kommission auch die Ausweisung der Frau Frauenfelder für verfassungsmäßig
unhaltbar und beantragt Aufhebung der diesbezüglichen Beschlüsse.

B e r n , den 28. November 1883.

Der Berichterstatter der Mehrheit der Kommission : Dr. G. Schoch.

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22.12.1883

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