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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs der Eheleute Konrad und Barbara Frauenfelder von Flaach, Kts. Zürich, gegen ihre Ausweisung aus der Gemeinde Außersihl.

(Vom 27. April 1883.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath hat in Sachen des Rekurses der Eheleute Konrad und Barbara F r a u e n f e l d e r , von Flaach (Zürich), gegen ihre Ausweisung aus der Gemeinde Außersihl ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: A. Die Eheleute Frauenfelder sind im Laufe der Jahre 1877--1880 zweimal vom Bezirksgerichte Zürich wegen Kuppelei zu Gefängniß und Geldbuße verurtheilt worden, die Frau Frauenfelder überdies im Jahre 1881 vom Polizeigerichte Basel wegen Kuppelei zu drei Wochen Gefängniß.

In dein letztgenannten Jahre ließen sie sich in Außersihl nieder, wo sie im Hause Nr. 10 der Freischützgasse Wohnung nahmen.

Der Mann betrieb dort seither, wie aus einer Reihe von Zeugnissen sich ergibt, mit anerkennenswerthem Fleiß und Arbeitseifer seinen Beruf als Maurer und Cementirer, die Frau beschäftigte sich angeblich ausschließlich mit dem Hauswesen -- der Pflege und Er-

32 ziehung ihrer unmündigen Kinder (von 12 Kindern sind 8 am Leben geblieben, von welchen die meisten noch minderjährig) -- und der Sorge für die Bereitung der Mahlzeiten für 5 bis 6 KostB. Unterm 22. September 1882 erließ der Polizei v orstand von Außersihl an die Eheleute Fra u en fei der die Aufforderung, die Gemeinde binnen acht Tagen zu verlassen, da sie beide schon gerichtlich bestraft worden seien.

Die Frauenfelder rekurrirten hiegegen an den Bezirksrath Zürich; diese Behörde wies jedoch nach dem Antrage des Getneinderathes von Außersihl den Rekurs durch Beschluß vom 11. Oktober 1882 als unbegründet ab und bestätigte die Ausweisung.

Hierauf ergriffen die Betroffenen den Rekurs an den Regierungsrath des Kantons Zürich. Allein auch in dieser Instanz wurde ihre Beschwerde als unbegründet erkannt. Binnen längstens 14 Tagen, vom Tage der Mittheilung der regierungsräthlichen Schlußnahme, 30. Dezember 1882, hinweg, ward ihnen anbefohlen, die Gemeinde Außersihl zu verlassen, ansonst polizeiliche Wegweisung erfolgen würde.

Nun wandten sich, durch Rekurseingabe vom 27. Januar 1883, die Eheleute Frauenfelder an den Bundesrath mit dem Begehren um Aufhebung des Ausweisungsbeschlusses der Zürcher Behörden und einstweilige Einstellung von dessen Vollziehung.

Letzterm Begehren wurde vom Bundesrathe sofort entsprochen.

C. Die Verfügungen der zürcherischen Behörden sind alle unter Berufung auf die unter litt. A angeführten Strafurtheile und im Weitern auf einen Polizeirapport aus Zürich vom 17. November 1881, nach welch' letzterm auf die Fortsetzung des Gewerbes der Kuppelei durch Frau Frauenfelder geschlossen werden müsse, erlassen.

Die Rekurseiugabe vom 27. Januar 1883 bestreitet jedoch sehr lebhaft, daß die Rekurrenten seit ihrem bald zweijährigen Aufenthalte in Außersihl sich irgend etwas Anstößiges und Unsittliches haben zu Schulden kommen lassen. Die gegen Frau Frauenfelder erhobenen Beschuldigungen, sagen sie, rühren von einem ihnen feindselig gesinnten städtischen Polizisten her. Die Vorstrafen könnten nicht mehr gegen sie angerufen werden, da sie seit ihrer Niederlassung in Außersihl stetsfort einen unbescholtenen Lebenswandel geführt, namentlich aber keinerlei Verurtheilung erlitten hätten, wofür eine Reihe von ihnen beigebrachter Zeugnisse Seitens

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von Nachbarn, Kostgängern, Arbeitgebern aus Äußersibl, Hottingen, Fluntern und Zürich den unwiderleglichen Beweis erbrächten.

Was speziell den Polizeirapport vom 17. November 1881 angehe, so habe der betreffende Polizist einen Ausgang der Frau Frauenfelder am Abend des 4. November 1881 an der Seite ihres Ehemannes zum .Besuch ihrer in der Stadt wohnenden plötzlich erkrankten Schwester und einen Ausgang derselben am 17. November Abends kurz nach fünf Uhr zum Besuche ihrer am Zeltweg wohnenden 20jährigen Tochter, von wo sie schon ein Viertel nach sechs Uhr den Rückweg genommen, zu nächtlichen Lastergängen gestempelt. Trotz aller Betheuerungen ihrer Unschuld sei sie au letzterm Abend von dem Polizisten abgefaßt, eingesteckt, des andern Tags vor den Polizeikommissär geführt und von diesem zu zwei Tagen Gefängniß in der Strafanstalt verfällt worden, allwo sie während der ganzen Zeit als Nahrung bloß ein wenig Suppe erhalten, als Lagerstätte aber den Boden angewiesen bekommen habe.

D. Der Regierungsrath von Zürich legt seiner Vernehmlassung vom 17. März Ì883 den Rapport eines zweiten Polizisten, vom 9. März dieses Jahres, bei, durch welchen derjenige vom 17. November 1881, der in Wirklichkeit sich auf Vorfälle des 15. und des 17. November jenes Jahres bezieht, vollauf bestätigt und die fernere Thatsache beurkundet wird, daß die Frau Frauenfelder am 4. November 1881 Abends mit einer Mannsperson in das Haus einer berüchtigten Kupplerin in Zürich gegangen ist. Beide Rapporte bezeugen auch übereinstimmend, daß die Frauenfelder nach ihrer Arretirung durch ärztliche Untersuchung für geschlechtskrank befunden, zur Aufnahme in die syphilitische Abtheilung des Kantonsspitals empfohlen .und nur wegen Ueberfullung derselben nach Hause entlassen wurde; in Erwägung: 1) Es ist vorerst in thatsächlicher Beziehung festzustellen, ·daß gegenüber den Polizeirapporten vom 17. November 1881 und 9. März 1883 der von den Rekurrenten versuchte Entechuldigungsbeweis vollständig mißlungen ist.

Es darf und muß nach den vorliegenden Akten angenommen werden, daß die Ehefrau Frauenfelder seit ihrer Niederlassung in Außersihl ein geschlechtlich ausschweifendes Leben geführt und das Gewerbe der Kuppelei, wegen dessen sie früher, zur Zeit ihrer Niederlassung in Zürich und in Basel, schon dreimal gerichtlich bestraft worden,
fortgesetzt hat.

Es kann zwar nach der Aktenlage zugegeben werden, daß Frau Frauenfelder in Außersihl selbst unsittliche Handlungen nicht Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. III.

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begangen hat, aus welchem Umstände sich auch die zahlreichen ihr günstigen Zeugnisse aus dieser Gemeinde leicht erklären lassen.

Allein dieser Umstand ist, wie unter Ziffer 3 nachgewiesen wird, von keinem rechtlichen Belang.

2) Da der Ehemann Frauenfelder eingestandenermaßen in den frühern Fällen mit dem von seiner Frau betriebenen unsittlichen Gewerbe einverstanden gewesen, weßhalb er selbst auch zweimal mitbestraft wurde, so liegt kein Grund vor, anzunehmen, er habe das neuerliche Treiben derselben nicht gekannt oder mißbilligt, und es erhellt daraus seine fortdauernde Mitschuld.

3) In rechtlicher Hinsicht fällt nicht in's Gewicht, ob die der Frau Frauenfelder seit ihrer Niederlassung in Außersihl zur Last fallenden Thatsachen im Gebiete der Gemeinde Außersihl selbst oder in demjenigen einer andern Gemeinde vorgekommen seien.

Die Wohnsitzgemeinde kann nicht zur Duldung eines Niedergelassenen verhalten werden, welcher bei vorübergehender Anwesenheit anderwärts sich derartige Handlungen zu Schulden kommen läßt, die nach dem geltenden Rechte die Befugniß zur Ausweisung begründen. Es leuchtet die Richtigkeit dieser Auffassung ganz besonders dann ein, wenn es sich um zwei Gemeindegebiete handelt, die. wie Außersihl und Zürich, unmittelbar au einander grenzen.

4") Dagegen läßt sich allerdings die rechtliche Frage aufwerfen, ob eine Gemeinde zur Rechtfertigung einer Ausweisungsverfügung sich auf solche strafgerichtliche Urtheile gegen den Niedergelassenen berufen dürfe, die vor der Niederlassungsbewilligung ausgefällt worden sind.

Der Buudesrath hat in dieser Beziehung in einem andern Falle (Bundesblatt 1881, II, S. 671 ff.) erkannt, es genüge, wenn der Niedergelassene an seinem Wohnsitze zwar nur e i n e s schweren Vergehens sich schuldig gemacht habe, aber in Folge früherer Bestrafung im Rückfalle sich befinde.

Im vorliegenden Falle nun steht fest, daß die Rekurrenten seit ihrer Niederlassung in Außersihl zwar nicht mehr strafgerichtlich verurtheilt worden, daß jedoch Frau Frauenfelder sich eines fortgesetzten sittenlosen Lebenswandels schuldig gemacht hat. Es entsteht deßhalb die Frage, ob die Gemeindebehörde von Außersihl sieh auf diese letztere Thatsache in Verbindung mit den frühern Strafurtheilen zur Rechtfertigung der Ausweisung berufen dürfe.

5) Diese Frage ist zu bejahen. Es liegt
im^Sinne und in der Konsequenz des unter Ziffer 4 zitirten bundesri^thlichen Entscheides, daß gegen einen Niedergelassenen frühere Strafurtheile nur dann nicht geltend gemacht werden können, wenn derselbe an seinem

35 neuen Wohnorte sich nicht des Niederlassungsrechtes durch seine Handlungen unwürdig macht. Die Zürcher Gemeindegesetzgebung bezeichnet als Handlungen, welche in Verbindung mit den Voraussetzungen des Art. 45 der Bundesverfassung die Behörden zum Entzug der Niederlassung berechtigen sollen, solche, die unter dem Begriffe eines die öffentliche Sicherheit oder Sittlichkeit gefährdenden Lebenswandels zusammengefaßt werden können.

Der Bundesrath hält dafür, daß wenn der polizeiamtliche Nachweis eines unsittlicheu Lebenswandels vorliegt, die Kantone, beziehungsweise die Gemeindebehörden, gegenüber einem Niedergelassenen berechtigt seien, auf Strafurtheile, die der Niederlassung vorausgegangen, zurückzugreifen und dieselben, in Verbindung mit der sittenwidrigen Aufführung, zur Grundlage eines Ausweisungsbeschlusses zu nehmen, wie dies im konkreten Falle Seitens der Züricher Behörden gegenüber den Eheleuten Frauenfelder geschehen ist, erkannt: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Zürich, sowie den Rekurrentea schriftlich mitzutheilen, unter Aktenriickschluß an beide Theile.

B e r n , den 27. April 1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

L. Euchonuet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs der Eheleute Konrad und Barbara Frauenfelder von Flaach, Kts. Zürich, gegen ihre Ausweisung aus der Gemeinde Außersihl. (Vom 27.

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09.06.1883

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