405

# S T #

Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Frage der Befreiung der schweizerischen Handelsreisenden von Patentgebühren, sowie über die Frage der Formulirung allgemeiner Grundsätze zur Prüfung der kantonalen Hausirpatentgesetze und zur Entscheidung darauf bezüglicher Rekursbeschwerden.

(Vom 9. November 1883.)

Tit.

Durch Bundesbeschluß vom 23. Juni 1882 haben die eidg.

Räthe an den Bundesrath die Einladung erlassen, zu untersuchen und Bericht zu erstatten, ob nicht leitende Grundsätze zu formuliren und der Genehmigung der Bundesversammlung zu unterstellen seien, nach welchen die kantonalen Hausirpatentgesetze geprüft und die Beschwerden wegen zu hoher Belastung mit Hausirtaxen im Sinne des Art. 31, Schlußlemma, der Bundesverfassung entschieden werden sollen.

Diese Schlußnahme wurde anläßlich des Entscheides über eine Beschwerde des Staatsrathes von Freiburg gegen die Bundesrathsbeschlüsse vom 4. und 14. Januar 1881 in Sachen der Gebrüder Blum in Neuenburg und des F. Pointet in Pruntrut und über ein im Namen von 53 Handelsfirmen und Gewerbsleuten aus verschiedenen Kantonen eingegebenes Petitum des Herrn Advokat Dr. Ryf in Zürich, vom 27. Dezember 1881, gefaßt.

406

Der Staatsrath von Freiburg hatte nämlich nicht bloß Aufhebung der erwähnten Bundesrathsbeschlüsse verlangt, sondern im Weitern das Begehren gestellt, die Bundesbehörden mögen für alle Kantone verbindliche, bestimmte Vorschriften über die zulässige Höhe der Besteuerung des Hausirhaudels aufstellen; Herr Dr. Ryf formulirte sein Begehren präziser dahin, es mögen auf Grundlage des Art. 31 der Bundesverfassung durch ein Bundesgesetz die Grenzen für Erhebung der Hausirpatenttaxen festgestellt werden.

Entgegen unserm Vorschlage vom 14. Februar vorigen Jahres (Bundesbl. 1882, I, 353) sind Sie auf die Anregung des Staatsrathes von Freiburg und des Herrn Dr. Ryf eingetreten. Es ist jedoch zu bemerken, daß der sachbezilgliche Bundesbeschluß im Gegensatz zur erstmaligen Schlußnahme des Stiinderathes vom 9. Juni 1882, welche eine positive Einladung zur Formulirung leitender Grundsätze betreffend das Hausirsteuersvesen enthielt, von uns bloß die Begutachtung der Frage verlangt, ob solche Grundsätze zu formuliren und der Genehmigung der Bundesversammlung zu unterstellen seien.

Immerhin hat die Bundesversammlung durch ihren Beschluß zu erkennen gegeben, daß sie durch die von uns im Berichte vom 14. Februar verflossenen Jahres vorgebrachten Erörterungen sich nicht bewogeu findet, jene Anregung von der Hand zu weisen.

Wir sind demzufolge im Falle, uns darüber neuerdings gutachtlich auszuspreehen.

Mit diesem Berichte verbinden wir die Erörterung einer Frage, die den Gegenstand einer vom Ständerath am 12. Juni 1882 erheblich erklärten und uns zur Berichterstattung und Antragstellung überwiesenen Motion (Cornaz) [Postulat Nr. 276] gebildet hat, also lautend : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, der Bundesversammlung Bericht und Antrag -/u erbringen, ob die schweizerischen Handelsreisenden in der Schweiz von Bezahlung von Gebühren, denen die ausländischen Handelsreisenden laut Handelsverträgen nicht unterworfen werden können, nicht ebenfalls zu befreien seien.tt Unterm 24. April 1883 hat der Ständerath bei Anlaß seines Rekursentscheides in Sachen Moses Ditisheim uns den Wunsch ausgesprochen, es möchte diesem Postulate mit thunlicher Beförderung Folge gegeben werden.

Beide Fragen stehen in engstem sachlichem Zusammenhang.

Ja, es liegt außer Zweifel, daß die Besteuerung der Aufsuchung von Bestellungen durch
Handelsreisende aumeist die Klagen und Beschwerden des Handelsstandes hervorgerufen hat, welche in der Petition der 53 durch Herrn Dr. Ryf vertretenen Firmen ihren Ausdruck fanden. Und gerade die durch die Motion Cornaz her-

407

vorgekehrte Seite des uns beschäftigenden Gegenstandes fordert zu einem kurzen Rückblicke auf die geschichtliche Entwicklung des ganzen öffentlich rechtlichen Verhältnisses auf. Es werden sich aus einer solchen Betrachtung die Grundsätze ergeben, welche für die Behandlung dieser Materie jeweilen maßgebend waren, und auf dem Boden einer Kritik der bisherigen leitenden Prinzipien kann, die für unsere Zeit richtige Lösung, wenn nicht in allen Theilen sofort gefunden, so doch vorbereitet werden.

Wir begleiten Ihnen gleichzeitig eine (nicht datirte) ^Petition des Vereins Schweizerischer Geschäftreisender an den h. Bundesrath zu Händen der h. Bundesversammlung" ein, die uns am 14. Oktober dieses Jahres zugekommen ist und welche mit dem Gesuche schließt: ,,Sie mögen den Bundesrath beauftragen, die Kantonsregierungen in kürzester Frist zu veranlassen, ihre seit Inkrafttreten der neuen Handelsverträge mit dem Art. 31 der Bundesverfassung im Widerspruch stehenden Verordnungen über die Besteuerung des Gewerbebetriebs mit den Vorschriften der Bundesverfassung in Einklang zu bringen und, bis dies geschehen, die Wirksamkeit jener kantonalen Verordnungen sofort zu sistiren."

Unsere Erörterungen haben gleichmäßig auch auf diese Petition Bezug, deren Spitze ebenfalls gegen die durch die Handelsverträge verursachte verschiedene Behandlung der auswärtigen und der schweizerischen Handelsreisenden gerichtet ist.

I. Rechtsentwickelung unter der Herrschaft der Bundesverfassung von 1848.

Die Bundesverfassung von 1848 garantirle im Art. 29, anschließend an den § 11 des Bundes Vertrages von 1815, lediglich den freien Handel von Kanton zu Kanton. Auf die Freiheit des Handels und der Gewerbe im Innern eines Kantons dehnte sich ihr Schutz nicht aus. Es wurde im Art. 41 bloß dem n i e d e r g e l a s s e n e n Schwei/erbürger die freie Gewerbeausübung nach Maßgabe der Gesetze und Verordnungen der Kantone zugesichert, welche übrigens in jeder Beziehung den Niedergelassenen dem eigenen Bürger gleich halten sollten. Der Grundsatz der Freiheit der Gewerbeausübung war damit keineswegs anerkannt.

Den damaligen Rechtszustand illustrirt ganz vorzüglich der bekannte Fall, daß ein Maler, Bürger und Bewohner des Kantons Solothurn, im Jahre 1860 vom Bezirksgerichte Ariesheim wegen Uebertretung des basellandschaftlichen Gewerbsund Berufsgesetzes bestraft wurde, weil er, ohne eine Niederlassung für den Kanton Basel land zu besitzen und ohne in die Kon troie

408

der als Meister handelnden Handwerker eingetragen zu sein, im Kanton Baselland ein Gartenhaus angestrichen hatte. Der Mann rekurrirte umsonst an den Bundesrath. Seine Beschwerde wurde abgewiesen, weil nach der Verfassung von 1848 ein Kanton als befugt angesehen war, nicht niedergelassenen Personen die Betreibung eines selbstständigen Berufes zu untersagen. Und doch war die Auslegung, welche die Bundesbehörden dem Art. 29 jener Verfassung gaben, wie allgemein anerkannt wird, eine möglichst ausgedehnte. (Vrgl. Blumer-Morel I, 461 ; Dubs II, 129, u. A. m.)

Die Richtigkeit der letztern Behauptung springt sofort in die Augen bei Betrachtung der von den Bundesbehörden in Betreff der Patenttaxen von Handelsreisenden eingeschlagenen Praxis. Schon am 20. Januar 1854 hatten die eidgenössischen Kammern den Bundesrath eingeladen, die kantonalen Vorschriften über Erhebung von Patenttaxen gegenüber Handelsreisenden auf ihre Uebereinstimmung mit Art. 21) und Art. 48 (Gleichbehandlung der Schweizerbürger mit den Bürgern des eigenen Kantons) zu prüfen. Entgegen dem wiederholten Gutachten des Bundesrathes (1857 und 1859), daß es verfassungsgemäß keinen rechtlichen Anhaltspunkt dafür gehe, das Patentsystem für Aufnahme von Bestellungen, habe nun dasselbe einen mehr fiskalischen oder einen vorherrschend polizeilichen Charakter, den Kantonen zu untersagen, faßte die Bundesversammlung am 29. Juli 1859 den bekannten Beschluß, durch welchen die Kantone angewiesen wurden, von s c h w e i z e r i s c h e n H a n d e l s reisenden keine Patenttaxen oder a n d e r w e i t i g e Gebühren m e h r z u b e z i e h e n , i n s o f e r n d i e s e H a n d e l s reisenden nur Bestellungen, sei es mit oder ohne Vorweisung von Mustern, aufnehmen und keine W a a r e n mit sich f ü h r e n . Ausschlaggebend für diesen Bundesbeschluß war die Motivirung der Mehrheit der nationalräthlichen Kommission (Bundesblatt 1859, U, 420), dahin gehend, daß der Art. 29 (der Verfassung von 1848), allerdings unter Vorbehalt rein polizeilicher Verfügungen, aber mit Ausschluß jeder Besteuerung, den freien Kauf und Verkauf nur von einem Kanton in den andern und nicht im Innern der Kantone garantire, daß aber eben die Handelsreisenden den interkantonalen Verkehr vermitteln, was sich hei den Hausirern, die Waaren mit sich führen, ganz anders verhalte.
B l um e r (Bundestaatsrecht I, 463) findet diesen Entscheid, welcher bloß die Handelsreisenden von den kantonalen Abgaben befreite, dagegen die Hausirer gänzlich der kantonalen Gesetzgebung unterstellte, nicht ganz stichhaltig, weil die einen wie die anderen Gewerbetreibenden, sei es nun, daß sie mit Waaren oder bloß mit Mustern versehen im Lande herumreisen, den Verkehr zwischen

504

den Kantonen vermitteln und weil die Patenttaxen von Hausirern so gut wie diejenigen von Handelsreisenden einen fiskalischen Charakter annehmen können. Allein der Bundesbeschluß von 1859 bildete fortan unanfechtbares Bundesrecht. Als im Jahre 1860 die Regierung von Thurgau, der sich diejenige von Zug anschloß, dagegen sich auflehnte, daß auch das Aufnehmen von kleinern Bestellungen von Haus zu Haus, im Gegensatz zur Aufsuchung von Bestellungen bei den Gewerbsgenossen, unter den Begriff des freien Reisendenverkehres .falle, erklärten der Bundesrath und die Bundesversammlung (Bundesbeschluß vom 12. Dezember 1860) mit aller Bestimmtheit, daß der Bundesbeschluß vom 29. Juli 1859 als das einzige charakteristische Moment für den Hausirhandel das Mitsichf(ihren von Waaren aufgestellt habe, demzufolge auch solche Personen, welche von Haus zu Haus, jedoch ohne Waaren mitzufahren, Bestellungen erheben, als steuerfreie Handelsreisende anzusehen seien. Ganz besonderes Interesse hat für uns die vom damaligen Berichterstatter der Mehrheit der ständeräthlichen Kommission dieser Auffassung gegebene Begründung, weil dieselbe der Feder des Herrn Dr. Dubs, des verdienstvollen Schriftstellers über das öffentliche Recht der schweizerischen Eidgenossenschaft, entflossen ist (Bundesblatt 1861, Bd. I, S. 47). D u b s sagt in dem bezüglichen Berichte gegenüber der ,,dem Standpunkte des sogenannten Gouvernement paternel, d. h. der obrigkeitlichen Fürsorge für das Volk" entnommeneu Argumentation, gemäß welcher der Hausirer mit Waaren und der Reisende mit der Musterschachtel gleichgestellt würden, ja der letztere für das Publikum noch gefährlicher wäre, als der erstere, was folgt : ,,Diese Argumentation steht mit dem Grundprinzip der Freiheit des Verkehrs überhaupt im Widerspruche. Es ist völlig wahr, daß diesea Prinzip auch seine Schattenseiten hat, welche für den Gewerbtreibenden in der großen Zahl der Konkurrenten auf dem gleichen Gebiete und für das Publikum in der durch die Konkurrenz ebenfalls gesteigerten Möglichkeit des Fehlgreifens beim Kaufen liegen. Allein die Bundesverfassung hat dieser Schattenseiten ungeachtet und bei voller Kenntniß derselben dennoch das Prinzip der Verkehrsfreiheit im Innern der Schweiz postulirt, weil die Vortheile desselben überwiegend sind. Dieses Prinzip besteht aber im Handelsverkehr aus
zwei Stücken: erstlich aus dem Rechte, frei zu v e r k a u f e n und zweitens aus dem Rechte, frei zu k a u f e n . Wenn eine Gesetzgebung eines Kantons nun den Grundsatz aufstellt, es dürfe ein Handlungsreisender nur an Gewerbsleüte wieder verkaufen, nicht aber an das gesammte-Publikum, so schädigt sie viel weniger den Erstem, als das letztere; sie nöthigt das Publikum, aus zweiter Hand zu kaufen, wo es aus erster Hand kaufen könnte, und somit

410

dem Zwischenhändler Provisionen (faux frais) zu bezahlen." Gegen die Einwendung, daß der angesessene Handelsmann dem fremden Handelsreisenden gegenüber in eine ungünstigere Stellung komme, indem er dem Staate S t e u e r n bezahle, letzterer aber nicht, bemerkt D u b s : ,,Das Handelshaus, das Musterreisende aussendet, bezahlt seine Steuern an seinem Domizil, und zwar auch für den Erwerb und das Vermögen, das es außer dem Heimatkauton macht.

Dadurch ist. die Ausgleichung für den vermeintlichen Verlust gegeben Es würde gerade das entgegengesetzte Verfahren die Gleichheit der Schweizerbürger stören, und bei jenem Staudpunkte wäre es überhaupt unmöglich, mit irgend welchem Staate einen Vertrag über gegenseitige Verkehrsfreiheit abzuschließen, weil ja der Fall jedesmal eintritt, daß der Fremde bei uns steuerfrei Verkehr treiben darf, während der Einheimische in Folge seiner Ansäßigkeit an die Staatslasten u. s. f. beizutragen hat."

Wir haben diese Stellen des ständeräthlichen Kommissional-Mehrheitsberichtes vom 10. Dezember 1860 absichtlich wörtlich hier angeführt, weil sie besser als jede Darstellung den Geist hervortreten lassen, der damals die Mehrheit der Bundesversammlung in der Beurtheilung dieser prinzipiellen Fragen beseelt und geleitet hat. Während jedoch der Grundsatz der Verkehrsfreiheit in der speziellen Richtung der Befreiung der Handelsreisenden von allen Steuern und Abgaben sich in der geschilderten Weise Bahn brach, konnten im Uebrigen die Beschränkungen des Verkehrs, der Freiheit der Arbeit, des Handels und der Gewerbe ungehemmt fortbestehen. Insbesondere blieben der Hausirhandel und das Hausirgewerbe der willkürlichen Verfügung der Kantone unterstellt. Meist lief es dabei auf eine Begünstigung der Kantonsbewohner gegenüber den andern Schweizerbürgern hinaus.

Der Bundesrath wollte schon anläßlich der Partialrevision der Bundesverfassung im Jahre 1865 diese Schranken beseit'gen und einer der Revisionspunkte, die er in seiner Botschaft an die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft vom 1. Juli 1865, betreffend die Revision der Bundesverfassung, aufstellte und begründete, war ,,das Recht zur freien Gewerbsausübung im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft." Allein die Räthe traten darauf nicht ein.

Uebereinstimmend findet sich in den Kommissionalberichten derselben der Satz, daß es
unbillig, ein Privilegium zu Gunsten des nicht niedergelassenen und zu Ungunsten des niedergelassenen Schweizerbürgers sein würde, wenn man die Gewerbsausübung, ohne Niederlassung, über die Kantonsgrenzen hinaus unbedingt freigäbe, weil der niedergelassene Gewerbtreibende alle Steuern und Abgaben zu bezahlen hätte, während der andere davon vollständig befreit wäre.

411

So kam es, daß der Bundesrath in seiner Revisionsbotschaft vom 17. Juni 1870 noch immer von solchen Ungleichheiten und Abnormitäten, die wie eine Ironie auf die Idee des Bundesstaates klingen, sprechen konnte, wonach z. B. kantonsfremde Handwerker, Führer, Kutscher in der Ausübung ihres Berufs ganz gehindert oder doch sehr belästigt waren, der Erwerb von Liegenschaften allen nicht Niedergelassenen untersagt war u. s. w. Der Bundesrath postulirte solchen Zuständen gegenüber die Freiheit des Handels und Verkehrs, das Recht der freien Berufs- und Gewerbsausübung, als ein dem Sehweizerbürger im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft zu gewährleistendes Grundrecht, und sprach sich speziell mit Rücksicht auf die von den Kommissionen der Räthe 1865erhobene Einwendung, die wir soeben erwähnten, folgendermaßen aus: ,,Der Bundesrath kann diesen Einwurf(die Besteuerungsfrage) nicht als stichhaltig bestrachten. Die Fragender Besteuerung der Gewerbetreibenden ist eine sekundäre Frage, die jeder Kanton lösen mag, Wie er gut findet; es rechtfertigt sich aber gewiß nicht, dem Schweizerbürger sein allernatürlichstes Recht zu verkümmern, bloß weil der Kantonalfiskus einige Schwierigkeiten hat, alle Gewerbetreibenden zur Besteuerung heranzuziehen. Um ü b r i g e n s a l l e Z w e i f e l z u b e s e i t i g e n , d a ß e s d a r a u f a b g e s e h e n sei, das b e z ü g l i c h e Besteuerungsrecht der Kantone zu b e s c h r ä n k e n , s c h l ä g t d e r B u n d e s rät h v o r , s o l c h e s i n dem V e r f a s s u n g s a r t i k e l selbst a u s d r ü c k l i c h vorzub e h a l t e n . Die Kantone können sich in weit den meisten Fällen leicht helfen durch Ausgabe von Patenten für den mehr vorübergehenden Erwerb, wie solches schon jetzt geschieh t. In andern Fällen steht auch der Anwendung der regelmäßigen Besteuerungsweise nichts entgegen Die Vorbehalte, die dem Hauptgrundsatze beigefügt werden, sind außer dem schon genannten Besteuerungsrechte so ziemlich die bisherigen. .."... Dagegen wünscht der Bundesrath, daß ausdrücklich gesagt werde, daß die Verfügungen der Kantone über Ausübung von Handel und Gewerben und über Besteuerung den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen dürfen, um nicht der irrigen Meinung Raum zu geben, daß es nun in' s Belieben der Kantone gelegt sei, in dieser
Materie ganz willkürlich zu verfügen und auf Umwegen die durch Aufstellung des Grundsatzes beseitigten Beschränkungen wieder neu einzuführen."

Diese Ausführungen des Bundesrathes sind in deu Revisionsberathungen der eidgenössischen Kammern von 1871/72 und 1873/74 nicht angegriffen, sondern durchweg gutgeheißen worden, so daß sie gewissermaßen als das Programm für die in dem nunmehrigen

412 Art. 31 der Bundesverfassung niedergelegten Grundsätze und als die Wegleitung zu deren richtiger Interpretation betrachtet werden können.

II. Rechtszustand seit 1874.

Nachdem die neue Bundesverfassung mit dem 29. Mai 1874 in Kraft getreten war, sind vom Bundesrathe schon am 30. gleichen Monats sämmtliche Kantonsregierungen ersucht worden, ihre auf Ausübung von Handel, Gewerbe und Besteuerung des Gewerbebetriebes bezüglichen Gesetze vorzulegen.

Es ergab sich aus der Untersuchung derselben, daß das Hausiren in den Kantonen Bern, Luzern, Zug, Freiburg, Basel-Landschaft, Schaffhausen, Waadt und Wallis grundsätzlich verboten, in allen übrigen Kantonen grundsätzlich, unter der Bedingung einer Patentlösung, gestattet und einzig in Appenzell I.-Rh. ganz freigegeben war.

Sämmtliche wegen Verbot des Hausirhandels oder Patentverweigerung beim Bundesrathe erhobene Rekursbeschwerden*) wurden als begründet erklärt und die Kantone durch ein Kreisschreiben vom 11. Dezember 1874 mit besonderm Nachdruck darauf aufmerksam gemacht, daß der Artikel 31 der neuen Bundesverfassung nicht etwa bloß eine redaktionelle, sondern eine materielle, grundsätzliche Verschiedenheit vom frühern Artikel 29 in sich schließe, zufolge welcher ein Verbot des Hausirhandels als im Widerspruch mit dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit stehend nicht mehr zu Recht bestehen könne, wenn auch nicht zu verkennen sei, daß dieser Handel in verschiedenen Richtungen besonderer Ueberwachung von Seite des Staates bedürfe.

Infolge dessen waren die oben genannten Kantone im Falle, ihre sachbezügliche Gesetzgebung einer Revision zu unterwerfen und mit den Bestimmungen der Bundesverfassung in Einklang zu setzen. Da über die Stellung der Kantone zum Bunde bei Erlaß diesbezüglicher Verordnungen verschiedene Ansichten herrschten, eröffnete ihnen der Bundesrath durch Kreisschreiben vom 20. Januar 1875 , daß er nichts dagegen einzuwenden habe, wenn die *) Es mag hier daran erinnert werden, daß bis 31. Dezember 1878 das ,,Eisenbahn- und Handelsdepartement", welchem gemäß Bundesgesetz vom 28. Juli 1873 die Sorge für Handhabung des freien Verkehrs im Innern der Schweiz zufiel, sich mit diesen Beschwerden zu befassen hatte. Zufolge Bundesbeschluß vom 21. August 1878 über die Organisation und den Geschäftsgang des Bundesrathes liegt seit 1. Januar 1879 die Prüfung von Beschwerden betreffend die Handels- und Gewerbefreiheit dem Justiz- und Polizeidepartemente ob.

413

Kantone die in litt. c. des Artikels 31 vorbehaltenen Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben, über Besteuerung des Gewerbebetriebes und über die Benutzung der Straßen von sich aus erlassen und in Vollziehung setzen. Nur behalte sich der Bundesrath selbstverständlich vor, jederzeit, sei es bei Anlaß von einlaufenden Beschwerden von Bürgern, sei es infolge der Durchsicht der kantonalen Gesetze und Verordnungen, die fernere Anwendung von Bestimmungen zu untersagen, welche er als mit dem in Artikel 31 der Bundesverfassung aufgestellten Grundsätze der Handels- und Gewerbefreiheit unvereinbar erachten würde.

Trotz dieser wiederholten Vorstellungen war der Bundesrath noch im Jahre 1875 genöthigt, die Beschwerde eines Bürgers gegenüber einer Kantonsregierung als begründet zu erklären, welch' letztere das Gesuch um Ausstellung eines Hausirpatentes aus dem Motive abgewiesen hatte, daß das kantonale Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung für die Ausübung eines Berufes oder Gewerbes die Niederlassung verlange, welche Bedingung vom Petenten nicht erfüllt worden sei. Der Bundesrath legte in seinem Entscheid das Hauptgewicht darauf, daß es einer völligen Aufhebung des Hausirhandels gleichkäme, wenn man den Hauslrer nöthigen wollte, in jedem Kanton, den er betreten, oder gar, was auch möglich wäre, in jeder Gemeinde, innerhalb welcher er seinen Handel treiben will, die Niederlassung zu erwerben. Vom schweizerischen Standpunkte aus erfülle der Hausirer seine bürgerlichen Pflichten in genügender Weise, da er sie in demjenigen Kanton erfülle, wo er ansässig ist. Die Frage, ob das Hausirgewerbe in den Kantonen, wo es ausgeübt wird, besteuert werden dürfe, wurde vom Bundesrathe nicht verneint, wohl aber im einzelnen Falle die Größe der geforderten Steuer angefochten, sofern durch dieselbe der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit beeinträchtigt erschien.

Im Jahre 1877 legte die Regierung von Luzern das neue Gesetz dieses Kantons über den Markt- und Hausirverkehr vor. Dasselbe enthält die Bestimmung, daß zur Aufnahme von Bestellungen bei Privaten (nicht Gewerbegenossen) auf verkäufliche oder unverkäufliche Muster eine Patentgebühr von Fr. 5--200 jährlich zu bezahlen sei.

Der Bundesrath fand, daß diese Bestimmung nicht im Einklang mit den Bundesbeschlüssen vom 29. Juli 1859 und 12. Dezember 1860 stehe,
deren Inhalt wir mitgetheilt haben. Es sei auch nicht zu übersehen, daß dieselben zu Anständen mit auswärtigen Staaten, die mit der Schweiz Handelsverträge abgeschlossen haben, führen könnten.

Bnndesblatt. 35. Jahrg. Bd. IV.

27

414

Die im Berichte des Bundesrathes über seine Geschäftsführung im Jahre 1877 enthaltene Mittheilung seiner diesfälligen Vorstellung (vom 11. September 1877) gegenüber der Regierung von Luzern (Bundesblatt 1878, II, 79) veranlaßte die nationalräthliche Geschäftsprüfungskommission, sich mit diesem Gegenstande einläßlich zu beschäftigen. Die Kommission wies namentlich darauf hin, daß in Wirklichkeit unter der Scheinform von Bestellung auf Muster" gar oft ein eigentlicher Waarenverschleiß praktizirt werde, indem der sogenannte ,,Musterreisende" auf irgend einem Centralpunkte seine Waaren lagere, urn sie von dort aus sofort nach der Bestellungsaufnahme überall hin zu versenden, so daß er in That und Wahrheit ein taxfreier Händler sei. Diese Betrachtung führte die Kommission zur Aufstellung des Postulates: ,,Der Bundesrath wird eingeladen, alle diese Verhältnisse einer nochmaligen reiflichen Prüfung zu unterwerfen, beziehungsweise den getroffenen Entscheid in Wiedererwägung zu ziehen."

Gleichzeitig lenkte die nationalräthliche Geschäftsprüfungskommission , veranlaßt durch eine Bemerkung im Berichte dos Justizund Polizeidepartements, die Aufmerksamkeit der Bundesversammlung auf die Vorschriften der deutschen Gewerbeordnung vom 7. März 1877, aus denen hervorgeht, daß das Deutsche Reich die Ausländer im Hausirhandel den Bundesangehörigen nicht gleichstellt, vielmehr den Hausirhandel von Ausländern , abgesehen von den allgemeinen Polizeivorschriften, von der Erwerbung eines Legitimationsscheines u n d d e m B e d ü r f n i ß d e s e i n z e l n e n B e z i r k s a b h ä n g i g m a c h t . Vom Staudpunkte des Gegenrechts und der Verträge aus hätten also unsere Grenznachbaren keinen Grund zu Beschwerden, wenn auch die Schweizerkantone den Hausirhandel gleich sehr beschränken, Z u in H a u s i r h a n d e l g e h ö r e a b e r o f f e n b a r a u c h das A u f s u c h e n von B e s t e l l u n g e n von Haus zu Haus (bei Nichtge w e r b e g e n o s s e n ) ; andernfalls wäre es unmöglich , eine Umgehung der verfassungsgemäß zulässigen G e w e r b e s t e u e r auf dem Hausirhandel zu kontroliren. Auch Deutschland behalte bezüglich der Handelsreisenden die Gewerbesteuervorschriften der Landesgesetzgebungen vor; die im deutscheu Handelsvertrag vorgesehene Freiheit von ,,Abgaben" bedeute übrigens nicht Befreiung
von der auf den Hausirhandel gelegten ordentlichen Gewerbesteuer.

D i e B u n d e s v e r s a m m l u n g n a h m a m 28. J u n i 1878 d a s o b e n e r w ä h n t e P o s t u l a t d e r n a t i o n a l rät h lieh en K o m m i s s i o n in etwas v e r ä n d e r t e r R e d a k t i o n an. (Postulatesamml. n. F., Nr. 159.)

415 Die Kantone Bern und Baselland hatten im Jahre 1877 neue Gesetze über den Marktverkehr und das Hausirwesen erlassen, welche, wie das luzernische, unter den Begriff des Hausirens auch das Aufsuchen von Bestellungen bei andern Personen als solchen, die mit dem betreffenden Artikel Handel treiben oder ihn in ihrem Gewerbe verwenden, faßten und mit PatentgebUhren -- im Kanton Bern Fr. 1 -- 200 monatlieh, in Baselland Fr. 12--150 jährlich -- belegten. Als nun im Jahre 1878 gegen diese Bestimmungen mehrere Rekurse heim Bundesrathe einliefen, beriefen sich die beiden Kantonsregierungen darauf, daß die Bundesbeschlüsse von 1859 uad 1860 unter der neuen Bundesverfassung nicht mehr zu Recht bestehen. Die Handelsfreiheit könne nicht mehr als Recht des freien Verkehrs von Kanton zu Kanton , sondern müsse als individuelles Recht der Berufsausübung im Innern jedes Kantons aufgefaßt werden. Die Besteuerung des Gewerbebetriebs in den Kantonen sei eine von der Bundesverfassung in Artikel 31 ausdrücklich zugelassene Auflage, welche Kantonseinwohner und Angehörige anderer Kantone gleichmäßig trèfle. Die Forderung der Patentlösung-, auch im fiskalischen, nicht nur im polizeilichen Interesse , sei daher durchaus zulässig und schon in der bundesräthlichen Revisionsbotschaft vom 17. Juni 1870 als solche anerkannt worden.

Der Bundesrath ging angesichts des Postulates vom 28. Juni 1878 auf diese Anschauungsweise ein. Er erklärte durch Beschluß vom 8. Oktober 1878 die Rekurse gegen die Gesetze von Bern und Baselland als grundsätzlich n i c h t begründet, indem der Art. 31 der Bundesverfassung die Gleichstellung der Aufnahme von Bestellungen bei Privaten mit dem Hausirhandel und die Besteuerung jenes Geschäftsbetriebes durch Patenterhebung nicht untersage, vielmehr in unzweideutiger Weise gegenüber der Freiheit von Handel und Gewerbe V e r f ü g u n g e n ü b e r B e s t e u e r u n g v o r b e h a l t e , welche freilieh dem G r u n d s ä t z e der F r e i h e i t nicht widersprechen dürfen. Von diesem Standpunkte aus lasse sich gegen das basellandschaftliche Gesetz gar nichts einwenden, gegenüber dem bernischen aber, dessen Täxbestimmungen unter Umständen zu einer Verunmöglichung des fraglichen Gewerbetriebes führen könnten, sei es angezeigt, den ausdrücklichen Vorbehalt der Prüfung jedes konkreten Beschwerdefalles
hinsichtlich der Anwendung des Gesetzes zu machen.

Damit war -- da eine Weiterziehung der Rekurse an die Bundesversammlung nicht erfolgte -- auch das luzernische Gesetz sanktionirt. Das Postulat vom 28. Juni 1878 wurde vom Bundesrathe als erledigt erklärt (s. Geschäftsbericht pro 1878, Bundesblatt

416 1879, II, 451), und die Frage ist in den eidgenössischen Käthen seither nioht mehr aufgegriffen worden. Die Bundesbeschlüsse vom 29. Juli 1859 und 12. Dezember 1860 sind somit tatsächlich, wenn auch nicht formell, außer Kraft gesetzt, und die Handelsreisenden welche ohne Waaren mit sich zu führen bei Nichlgewerbegenossen Bestellungen aufsuchen, als eigentliche Hausirer denjenigen, die Waaren durch Umhertragen oder Umherführen in den Straßen oder Häusern oder in Ausverkäufen und Liquidationen von Lagern außerhalb der Marktzeit feilbieten, gleichgestellt worden. Nun beeilten sich die Kantone in den Jahren 1878, 1879 und 1880 um die Wette, ihre Gesetzgebung über Marktund Hausirverkehr nach der neuen eidgenössischen Jurisprudenz einzurichten. Die vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement angefertigten und bis Ende März 1882 fortgeführten drei bezüglichen Tabellen bieten ein sprechendes Bild dieses gesetzgeberischen Wetteifers dar. Die Mitglieder der hohen Bundesversammlung , denen die fraglichen Tabellen ausgetheilt worden, sind in den Stand gesetzt, sich über den Inhalt der betreffenden Kantonsgesetzgebung eine ganz genaue Kenntniß zu verschaffen.

Es bildet dieselbe eine wahre Musterkarte von Taxbestimmungen und Besteuerungsklassen, wobei als besonders beachtenswert!! erscheint, daß viele Kantone die Besteuerung nicht bloß zu Gunsten der Staatskasse, sondern überdem in einer mehr oder weniger starken Proportion auch zu Händen der Gemeinden eingeführt haben. Die von den Bundesbehörden seit 1874, beziehungsweise seit 1878 eingeschlagene Praxis in Rekursfällen betreffend das Hausirwesen läßt sich in folgende Sätze zusammenfassen : Die Besteuerung des daherigen Gewerbebetriebes (einschließlich der Bestellungsaufnahme bei Nichtgewerbegenossenl ist verfassungsgemäß zulässig, sofern sie den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigt. Eine solche Beeinträchtigung liegt vor, wenn die Kantone fixe Ansätze aufstellen und anwenden wollen, welche ein billiges Ermessen im einzelnen Falle, eine angemessene Würdigung des Hausirgewerbes nach der Natur und dem Umfange des Geschäftes und nach der Zeit, während welcher es ausgeübt wird, nicht gestatten. Wenn aber die kantonalen Gesetze und Verordnungen ein Minimum und Maximum der Patenttaxen enthalten , innerhalb deren eine
billige Abschätzung eines einzelnen Gewerbes möglich ist, so unterliegen dieselben grundsätzlich vom bundesrechtlichen Standpunkte aus keiner weitern Kritik , es wäre denn , daß im konkreten Falle auf ein bestimmtes Gewerbe eine offenbar unbillige, unverhältnißmäßig hohe Taxe angewendet werden wollte.

417

Es erübrigt uns noch, des Rechtsverhältnisses zu gedenken, das gegenüber den Handelsreisenden derjenigen Länder besteht, mit welchen die Schweiz Niederlassungs- oder Handelsverträge abgeschlossen hat.

Als mit F r a n k r e i c h über den Handelsvertrag von 1864 unterhandelt wurde, war in der Schweiz die Aufnahme von Bestellungen durch Geschäftsreisende des eigenen Landes oder fremder Nationen keinen Taxen unterworfen. Die Bundesbeschlüsse von 1859 und 1860 hatten diese Schranke der freien Ausübung von Handel und Gewerbe vorbehaltlos beseitigt.

Als Frankreich in jenen Unterhandlungen eine einheitliche Patentgebühr von zwanzig Franken für die Handelsreisenden eines jeden der beiden Länder vorschlug, konnte daher der Bundesrath auf diesen Vorschlag nicht wohl eintreten. Er fand es vielmehr angemessen, von vornherein auf die Abschaffung solcher Taxen im Sinne der erwähnten Bundesbeschlüsse hinzuwirken. Frankreich, das schon mit Preußen des Gleichen übereingekommen war, bot gerne die Hand hiezu, und so wurde im französisch-schweizerischen Handelsvertrage von 1864 der Grundsatz bedingungsloser Abgabenfreiheit der Handelsreisenden aufgenommen. Es war damit dem Ausländer in der Schweiz nur gleiches Recht wie dem Inländer gewährt und damit der Vortheil der Taxfreiheit der schweizerischen Geschäftsreisenden in Frankreich erreicht.

Die gleiche Bestimmung fand 1868 folgerichtig Eingang in den Handelsverträgen mit I t a l i e n und O e s t e r r e i c h , sowie dem Wortlaute nach 1869 im Vertrage mit dem d e u t s c h e n H a n d e l s und Z o l l v e r e i n . So war mit unsern vier großen Nachbarstaaten ein völlig gebührenfreier Verkehr der Geschäftsreisenden vertraglich ausbedungen, während sich die von 1869 bis 1878 mit S p a n i e n , R u ß l a n d , D ä n e m a r k , d e nN i e d e r l a n d e n und P e r s i e n abgeschlossenen Niederlassungs- oder Handelsverträge, sowie die heute noch gültigen Verträge mit den V e r e i n i g t e n S t a a t e n von Nordamerika (1850) und mit G r o ß b r i t a n n i e n und I r l a n d (1855) auf die Stipulation der M e i s t b e g ü n s t i g u n g in B e z u g auf H a n d e l u n d I n d u s t r i e , also auch hinsichtlich der Gebühren von Geschäftsreisenden, beschränkten.

In den Verträgen mit P o r t u g a l (1873) und mit R u m ä n i e n (1878) dagegen ist bloß
das Recht zur Aufnahme von Bestellungen gegenseitig garantir! ; die 1880 vereinbarte provisorische Handelskonvention mit S e r b i e n läßt dieses Verhältnis ganz unberührt.

So lagen die Dinge, als im Jahre 1878 der Bundesrath durch Beschluß vom 8. Oktober und die Bundesversammlung durch ihre

418 stillschweigende Genehmigung dieses Beschlusses die von verschiedenen Kantonen in Anspruch genommene Zulässigkeit der Erhebung von Patenttaxen gegenüber denjenigen Handelsreisenden, welche auch bei N i c h t gewerbetreibenden Bestellungen suchen, anerkannte und dadurch den Bundesbeschluß von 1859 in dieser Beziehung faktisch außer Kraft setzte.

Diese interne Beschränkung der Steuerfreiheit von Geschäftsreisenden legte es dem Bundesrath nahe, in der Folge auch beim Abschluß von Handelsverträgen der veränderten Anschauungsweise Rechnung zu tragen und ihr wo möglich Geltung zu verschaffen.

Die Verhandlungen über einen neuen Vertrag mit D e u t s c h l a n d gaben die erste Gelegenheit hiezu. Das schweizerische Begehren mußte insofern in Deutschland günstige Aufnahme finden, als es mit der daselbst angestrebten schärferen Ueberwachung des Hausirgewerbes zusammentraf. Die deutsche Regierung erklärte sich bereit, im Protokoll über die Auswechslung der Ratifikationsurkunden zum Handelsvertrag, am 29. Juni 1881, den ausdrücklichen Vorbehalt aufzunehmen, daß die aus dem frühem in den neuen Vertrag herübergenommene Bestimmung über Taxbefreiung der Geschäftsreisenden so verstanden werden solle, wie sie bisher schon interpretirt worden sei, nämlich so, daß die im betreffenden Artikel stipulirte Taxfreiheit der Geschäftsreisenden nur auf das Aufsuchen von Warenbestellungen bei G e w e r b e t r e i b e n d e n Anwendung finde.

In den bald darauf mit F r a n k r e i c h angeknüpften Unterhandlungen über einen neuen Handelsvertrag wurde hingegen den gleichen Bemühungen der schweizerischen Unterhändler eine andere Auffassung entgegengestellt, gegen welche um so weniger aufzukommen war, als das schweizerische Begehren Angesichts der 18 Jahr früher v o n d e r S c h w e i z s e l b s t beantragten gänzlichen Taxfreiheit im eigentlichen Sinne als ein r ü c k s c h r i t t l i c h e s erscheinen mußte. Frankreich, das von einheimischen Handelsreisenden keine Gebühren bezieht, wollte im Hinblick auf die bedeutenden Interessen von Weinhändlern und ähnliehen Gewerbsleuten, welche ihren Absatz direkt bei den Konsumenten zu botreiben pflegen, keine Erklärung eingehen, welche den Geschäftsreisenden die Aufsuchung von Bestellungen bei Nichtgewerbtreibenden in den Kantonen nur gegen Erlegung von Patentgebühren gestattet
hätte.

Die französischen Kommissäre schreckten vor dieser Eventualität um so mehr zurück, als es sich nicht um eine einmalige, einheitliche Taxe, wie in andern Staaten, sondern um Abgaben handelte, welche -- an und für sich nicht unbedeutend -- von Kanton zu Kanton sich wiederholen und in ihrer Gesammtheit eine Summe repräsentiren,

419 ·die in vielen Fällen außer allem Verhältniß zu dem aus den Bestellungen resultirenden Gewinne steht. Von schweizerischer Seite konnten diese Erwägungen nicht zurückgewiesen werden ; zu einem Nachgeben in diesem Punkte bestimmte überdies die schuldige Rücksicht auf die zahlreichen schweizerischen Geschäftsleute, welche Frankreich bereisen und für welche die von diesem Lande gewährte Taxfreiheit nicht minder von Bedeutung ist. Es ist daher die frühere bedingungslose Taxfreiheit, die übrigens auch im Verkehr mit O e s t e r r e i c h laut Handelsvertrag von 1 8 6 8 in Geltung war und noch ist, in den neuen Vertrag mit Frankreich unverändert übergegangen.

Was Frankreich aus den genannten Gründen zugestanden worden, konnte S p a n i e n im neuesten Vertrag von 1883 und I t a l i e n in dem, zur Zeit nachträglichen Verhandlungen unterliegenden, Handelsvertrag vom 22. März 1883 nicht verweigert werden.

III. Kritische Betrachtung der gegenwärtigen bundesrechtlichen Praxis und Schlußfolgerung.

Wir haben in historischer Darteilung gezeigt, wie die Bundesbehörden auf dem Boden der Verfassung dazu gekommen sind, die von uns angegebene Praxis betreffend den Hausirverkehr zu befolgen. Diese Praxis unterliegt einer vielfachen und oft herben Kritik. Wir müssen jedoch daran festhalten, daß der Bundesrath immerfort genau in der ihm von der h. Bundesversammlung angewiesenen Richtung vorgegangen ist. Wir finden begreiflich, daß der gegenwärtige Rechtszustand Niemand befriedigt. Es mangeln klare und bestimmte leitende Prinzipien, auf denen eine sichere, allseitig gerechte Praxis sich aufbauen könnte. Der Bundesbeschluß, vom 23. Juni 1882, in dessen Nachachtung wir diesen Bericht, erstatten, beweist, daß auch die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft von demselben Gefühle der Nichtbefriedigung erfüllt sind. Es ist ja ganz wahr, was der Staatsrath des Kantons Freiburg in seinem Rekursmemorial an die h. Bundesversammlung vom S. April 1881 sagt, daß die Kantone bei der großen Verschiedenheit ihrer Tarifsätze von der bundesrechtlichen Praxis ungleich betroffen werden, daß es an einer allgemein gültigen Norm in der Anwendung der Hausirsteuerbestimmungen fehlt, daß es sich mit der Würde der kantonalen und der eidgenössischen Behörden schlecht verträgt, in jedem einzelnen Falle die Anwendung des Tarifs auf ihre bundesrechtliche Zulässigkeit zu prüfen und so aus der Tarifvollziehung jeweilen von Bundeswegen eine individuelle

420 Einschätzungsfrage zu machen. In der That kann aus einer derartigen Praxis eine wenig würdige Markterei zwischen einer kantonalen Behörde einerseits und einem Rekurrenten und den höchsten Behörden der Eidgenossenschaft andererseits hervorgehen.

Wir haben auch bereits in unserm Berichte über den Rekurs von Freiburg und die Petition Ryf vom 14. Februar 1882 unumwunden die Berechtigung einer Reihe von Herrn Dr. Ryf angebrachter kritischer Bemerkungen anerkannt. Es ist in der That kein innerer Grund vorhanden für die unendliche Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der kantonalen Tarifbestimmungen.

Wenn wir trotzdem bisher und noch in unserm bezüglichen Berichte vom 14. Februar letzten Jahres die gesetzliche Ordnung der einschlagenden Verhältnisse durch den Bund ablehnten, so geschah e s ,w e i l w i r d i e K o m p e t e n z d e s B u n d e s z u m E r l a ß sole h e r a l l g e m e i n e n V o r s c h r i f t e n bezweifelten, ja dieselbe geradezu für nicht begründet hielten.

Die von uns vorgebrachten Bedenken haben jedoch die h. Räthe nicht abgehalten, uns, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, zur erneuerten Prüfung der vorwürfigen Frage einzuladen. Allein wir müssen gestehen, daß die Auffindung der Mittel und Wege zur Abhülfe in unsern Augen viel größere Schwierigkeiten bietet, als die Erkenntniß der Mangelhaftigkeit des gegenwärtigen Zustandes.

Ueber e i n e n Punkt sind wir uns allerdings klar geworden : Angesichts der vertraglichen Beziehungen zu auswärtigen Staaten kann die bisherige Praxis betreffend die Erhebung; von Patenttaxen gegenüber schweizerischen Handelsreisenden nicht länger fortdauern.

Wir stehen in dieser Beziehung an einem Wendepunkte.

Gleichwie es nach Abschluß des schweizerisch-französischen Handelsund Niederlassungs vertrages von 1864 sofort im ganzen Lande als unerträglich empfunden wurde, daß die französischen Israeliten in der Schweiz fortan besseres Recht kaben sollten, als die Schweizerbürger israelitischer Abkunft und Konfession, so ist heute das Gefühl ein allgemeines, daß die schweizerischen Handelsreisenden, welche Bestellungen bei Nichtgewerbegenossen aufnehmen, unmöglich länger mit Hausirpatenttaxen belegt werden dürfen, während die französischen, spanischen, russischen, österreichischen u. s. w.

Reisenden hievon befreit sind. Es fällt dem Bundesrathe
um so leichter, in diesem Punkte zu der im Jahre 1859 iuaugurirtea Praxis zurückzukehren, als er seinerseits das Aufgeben derselben niemals befürwortet oder gebilligt hat. Der in der Revisionsbotschaft des Bundesrathes vom 17. Juni 1870 vorgeschlagene und daraufhin in die neue Bundesverfassung (Artikel 31) übergegangene Vor-

421 behalt des k a n t o n a l e n B e s t e u e r u n g s r e c h t e s ist von größtem Einflüsse auf die Beurtheilung der vorwürfigen Frage gewesen. Man hat sich dieser Flagge bedient, um unangefochten, wieder in den Hafen des alten flGouvernement paternel" einzulaufen. Einen sprechenden Beweis, wie sehr die Geister sich vonder Tagesströmung hinreißen ließen, liefert uns D u b s , der in seinem oben erwähnten Berichte an den Ständerath vom 10. Dezember 1860 (ßundesblatt 1861, Bd. I, S. 47) die Verkehrtheit des Systems der Besteuerung von Handelsreisenden schlagend nachgewiesen hatte, nun aber im Jahre 1878 (,,Das öffentliche Recht der schweizerischen Eidgenossenschaft1*, Bd. II, S. 129 und 130) dea Bundesbeschluß vom 29. Juli 1859 eine ,,kühne Interpretation"" nennt und die Opposition gegen die Steuerfreiheit der Bestellungsaufnahme ,,insofern berechtigt findet, als sonst eine Privilegirung der nicht seßhaften gegenüber den seßhaften Händlern einträte."1 Der Besteuerungsvorbehalt darf aber unseres Brachtens nicht so aufgefaßt und dergestalt ausgedehnt werden, daß ein gemeinschweizerisches, individuelles Recht nun schlechter gestellt wäre, alsvor 1874 ein interkantonales es war.

Vollends unzulässig und unverständlich wird der angestrebteSchutz der kantonalen und kommunalen Seßhaftigkeit, wenn er g e g e n ü b e r d e n r e i s e n d e n A n g e h ö r i g e n d e s eigenen B u n d e s s t a a t e s , die in einem a n d e r n K a n t o n e wohnen, d o r t seßhaft sind u n d d i e o r d e n t l i c h e n Steuern b e z a h l e n , ausgeübt werden will, während gleichzeitig ausländische Reisende vertraglich steuerfrei erklärt sind und man es auch nicht hindern kann, daß auswärtige Häuser das Inland brieflich und durch Zusendung von Katalogen und Mustern mit Verkaufsangeboten überschwemmen und die inländische Konkurrenz mehr und mehr zur Unmöglichkeit machen. Es wird dadurch der Geschäftsbetrieb mittelst Aufsuchung von Bestellungen bei Nichthandelsleuten den inländischen Häusern theoretisch allerdings nicht verwehrt, aber thatsächlich -- zum Vortheil des Auslandes -- verunmöglicht; m. a. W. es bleibt für sie der Verfassungssatz der Handels- und Gewerbefreiheit in der angeführten Beziehung ein todter Buchstabe. Das kantonale Besteuerungsrecht kann in dieser Richtung nicht mehr anerkannt werden, weil es
unter den bestehenden Verhältnissen in der That die Wirksamkeit des Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit erheblich beeinträchtigt, ja geradezu aufhebt und deßhalb gegen Artikel 31, Schlußlemma, der Bundesverfassung verstößt.

Wir halten aus den entwickelten Gründen die Entscheidung dieser Frage für eine gegebene und stehen nicht an. I h n e n d i e Befreiung der schweizerischen Handelsreisenden von P a t e n t t a x e n zu beantragen.

422 Dagegen widerstreitet es, wie wir glauben, weder der verfassungsmäßigen Handels- und Verkehrsfreiheit, noch richtigen Grundsätzen über Grewerbebesteuerung. wenn der e i g e n t l i c h e H a u s i r h a n d e l , beziehungsweise das Ha u s i r g e w e r b o (Colportage) besteuert wird. Es hat nichts Unnatürliches und Ungerechtes an sich, wenn z. B. der Besitzer eines wandernden Waarenlagers, dem meistens ein festes Geschäftsdomizil gänzlich abgeht, am jeweiligen Orte seines Geschäftsbetriebes als (vorübergehend) niedergelassen betrachtet und für sein Gewerbe besteuert wird. Allein indem wir das Recht der Besteuerung bloß auf das Hausirgewerbe im eigentlichen Sinne des Wortes, das sich durch das Mitführen von Waaren kennzeichnet, anwenden wollen, erhebt sich die sehr schwierige Frage, die wir hier bloß streifen, ob und in wie weit auf dasselbe Ausnahmebestimmungen angewendet werden dürfen, d. h. ob und in wie weit der verfassungsmäßige Vorbehalt des kantonalen Besteuerungsrechtes von der gesetzlichen Gleichbehandlung des seßhaften und des ambulanten Gewerbsmannes entbinde.

Diese Frage schneidet an mehr als einer Stelle in kantonale Verhältnisse ein. Wir glauben nicht, daß es für den Bund eine leichte Sache sein werde, die allgemeinen Grundsätze zu fortnuliren, welchen die Kantone ihre Hausir^esetzgebung anzupassen haben, es wäre denn, daß man sich auf die Aussprache solcher Sätze beschränkte, wie wir sie jetzt schon bei Rekursentscheiden anwenden, die aber gerade ihrer Unbestimmtheit wegen die allgemeine Unzufriedenheit mit der bestehenden Rekurspraxis hervorgerufen haben.

Nach vielfachen Erwägungen erachten wir diesen Punkt für keineswegs spruchreif und finden es deßhulb angemessen, denselben unter Mitwirkung der kantonalen Behörden einer weitem Prüfung vorzubehalten. Dagegen wollen wir Ihnen den hiernach folgeuden Bnndesbeschluß zur Annahme empfehlen, durch welchen nicht nur das Postulat Nr. 276 (die Motion Cornaz), sondern, der Hauptsache nach, auch die Petition des ,,Vereins schweizerischer Geschäftsreisender"1 ihre Erledigung finden würden.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 9. November 1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

423

(Entwurf)

Bundesbeschlnß betreffend

die Patenttaxen der Handelsreisenden.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Berichtes und Antrages des Bundesrathes vom 9. November 1883, beschließt: 1. Die Handelsreisenden, welche für Rechnung eines inländischen Handelshauses die Schweiz bereisen, können, ohne dafür eine Patenttaxe entrichten zu müssen, auf den einfachen Ausweis ihrer Identität hin, mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen, sofern sie keine Waaren mit sich führen.

2. Der Bundesrath wird auf der Grandlage des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung des gegenwärtigen Bundesbeschlusses veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festsetzen.

3. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Frage der Befreiung der schweizerischen Handelsreisenden von Patentgebühren, sowie über die Frage der Formulirung allgemeiner Grundsätze zur Prüfung der kantonalen Hausirpatentgesetze ...

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1883

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

57

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.11.1883

Date Data Seite

405-423

Page Pagina Ref. No

10 012 089

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.