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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über die Petition des Schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängnißwesen, betreffend die Errichtung eines schweizerischen Zellengefängnisses für lebenslängliche und gefährliche "langjährige Sträflinge.

(Vom 5. Juni 1883.)

Tit.

Der Schweizerische Verein für Straf- und Gefängnißwesen hat in seiner Jahresversammlung von 1879 am 29. September in Solothurn beschlossen, den Bundesbehörden nachstehendes Gesuch einzureichen : Es sei mit B e f ö r d e r u n g auf G r u n d l a g e des Art. 23 der schweizerischen B u n d e s v e r f a s s u n g durch die Eidgenossenschaft ein dem Bedürfnisse entsprechendes, s o l i d k o n s t r u i r t e s Z e l l e n g e f ä n g n i ß z u e r s t e l l e n , in welchem d i e K a n t o n e i h r e l e b e n s l ä n g l i c h e n u n d gefährlichen langjährigen Sträflinge, sei es unter Aufsicht und V e r w a l t u n g des B u n d e s u n d u n t e r der B e d i n g u n g der D e c k u n g des Be triebsdefizi e s p r o r a t a , sei es u n t e r e i g e n e r R e g i e u n t e r b r i n gen k ö n n e n.

Dieses Gesuch wurde im Dezember 1879, begleitet von zwei ausführlichen Referaten der HH. ,T. V. Hürbin, Strafhausdirektor in Lenzburg, und Dr. Eugen Huber, damaliger Polizeidirektor in Trogen (nunmehriger Professor der Rechte in Basel), welche zur Begründung desselben dienen, der Bundesversammlung durch einfache Austheilung an deren Mitglieder übermittelt.

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Der Gegenstand wurde zwar auf die Traktanden gesetzt, kam jedoch im Nationalrathe gar nicht zur Verhandlung, im Ständerathe zur bloßen Ueberweisung an die Petitionskommission.

Im Februar 1880 zog Herr Ständerath A. Brosi von Solothurn, der gewesene Tagespräsident der Vereinsversammlung von 1879, im Auftrag des Centralkomites des Vereins die in erwähnter Weise der Bundesversammlung direkt zugeleitete Petition zurück und reichte dieselbe dem Bundesrathe behufs materieller Berichter stattung und Antragstellung an die eidgenössischen Räthe ein.

Der Bundesrath zog das Gesuch sammt den begründenden Referaten in einläßliche Würdigung. Dasselbe geht von dem Satze aus, daß der Strafvollzug in den meisten Kantonen der Schweiz ein höchst mangelhafter sei. Eine gründliche Verbesserung wäre nur dadurch herbeizuführen, daß das ganze Strafrecht einschließlich des Strafvollzuges in die Hand des Bundes gelegt würde. Allein ein solches Vorgehen setze eine Revision der Bundesverfassung voraus, wozu die jetzigen Zeitverhältnisse nicht günstig seien. Man solle sich daher für einmal nur auf das Allernothwendigste beschränken, das heißt eine Strafanstalt für bösartige, langjährige und lebenslängliche Sträflinge auf Kosten der Eidgenossenschaft erstellen. Art. 23 der Bundesverfassung räume dem Bunde unbedingt die Befugniß hiefür ein; die Dringlichkeit der Errichtung einer solchen Anstalt gehe aus einer Reihe von Thatsachen hervor, über welche der Hauptreferent der Vereinsversammlung in Solothurn sich wörtlich folgendermaßen ausgesprochen hat: a) ,,Es ist ein öffentlicher, höchst demoralisirender Skandal und die persönliche Sicherheit in gefährlicher Weise bedrohender Zustand, daß es in der Schweiz noch Strafhäuser gibt, deren bauliche und organisatorische Verhältnisse und Einrichtungen es nicht verhindern, daß ein und dasselbe Individuum zum fünften Mal daselbst ausbrechen und die nähere und weitere Umgebung in Aufregung versetzen und gefährden kann.

Ebenso ist es ein sehr beklagenswerther und mißlicher Umstand, daß ein paar bösartige Sträflinge den ohne sie leidlichen Gang einer, wenn auch weniger gut eingerichteten Strafanstalt alteriren und durch Aufwiegelung an und für sich harmloser Gefangener Widerwärtigkeiten hervorrufen können, welche die Hausordnung im höchsten Grade gefährden.

Die Wiederzulassung der
Todesstrafe schützt gegen solche Vorkommnisse nicht, da gefährliche Ein- und Ausbrecher und sonst widerwärtige Sträflinge, die sieh am Leben ihrer Mitmenschen nicht versündigt haben, davon nicht erreicht werden. Nur ein solides Zellengefängniß kann hier helfen.

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. 111.

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b) Es haben sich am 18. Mai 1879 9/ig der Schweizerbürger und 7 ganze Kantone, darunter die zwei größten, gegen Wiedereinführung der Todesstrafe ausgesprochen. Zur Detention ihrer lebenslänglichen Sträflinge bedarf es eines besondern Gefängnisses.

c) Auch jene Kantone, welche in Mehrheit für Aufhebung des Verbotes der Todesstrafe gestimmt haben, werden von dieser Strafart nicht durchweg Gebrauch machen.

d) Nahezu alle Schweizerkantone besitzen Sträflinge, welche früher schon zu lebenslänglicher Haft begnadigt, oder seit 1874 dazu verurtheilt worden sind.tt Zeit und Bedürfniß zur Erstellung eines solchen Zellengefängnisses seien da, aber die Errichtungs- und Unterhaltungskosten übersteigen die Kräfte jedes einzelnen Kantons; der Weg des Konkordates führe erfahrungsgemäß höcht langsam, in dieser Frage wahrscheinlich gar nicht zum Ziele. Deßhalb sei es die Aufgabe des Bundes, aus seiner Initiative das Werk zu errichten (Hürbin).

Der Verein ergänze mit diesem Gesuche seinen frühem Beschluß betreffend G-ründung von Korrektionsanstalten für jugendliche Verbrecher. Hiefür gleich wie für ein Centralzellengefängniß seien die gleichen Hauptgründe maßgebend : 1) Beide entsprechen einem absoluten Bedürfniß des Strafvollzuges an sich und 2) Beide seien in der Schweiz nur realisirbar auf eidgenössischem Boden.

Mit beiden Anstalten werde ein Element in unser schweizerisches Strafwesen eingeführt, das direkt und iadirekt für die Reform des Straf- und Gefängnißwesens von nachhaltig wohlthätiger Wirkung sein werde (Dr. Huber).

Der Bundesrath hat dieses Gesuch in folgendem Sinne (am 11. Mai 1880) ablehnend beantwortet: Die Behörde trage bei der gegenwärtigen Sachlage Bedenken, einen diesfälligen Antrag bei der Bundesversammlung schon jetzt einzubringen. Zunächst seien das Strafrecht, der Strafprozeß und die Strafvollziehung dermalen Sache der Kantone, und es fehlen somit für die Herstellung eines schweizerischen Zuchthauses für den Bund die staatsrechtlichen Grundlagen, so daß es nicht in der Stellung des Bundes liege, ein derartiges Unternehmen anzuregen. Es bleibe allerdings vorbehalten, ob gemäß Art. 23 der Bundesverfassung die Eidgenossenschaft die Kompetenz besitze, ein Unternehmen, welches in erster Linie von den Kantonen aufzugehen hätte, durch eine entsprechende Sub-

75 vention zu unterstützen. Allein zu diesem Zwecke sei vor Allem nothwendig, daß die Kantone die Initiative ergreifen und daß sodann von ihrer Seite die Bundeshülfe nachgesucht werde. Würde dieses geschehen, so behalte sich der Bundesrath vor, über seine Betheiligung und den Umfang derselben die weitern Eröffnungen zu ertheilen.

Mit welchen Schwierigkeiten übrigens die Ausführung solcher Probleme zu kämpfen habe, möge das Komite aus den Mittheilungen im Geschäftsbericht des Bundesrathes pro 1879, Abtheilung Justiz- und Polizeidepartement, betreffend die Bestrebungen für Errichtung von Korrektionsanstalten für jugendliche Verbrecher ersehen.

Hierauf gelangte im Namen des Centralkomites des Vereins für Straf- und Gefängnißwesen Herr Strafhausdirektor Hürbin in Lenzburg mit dem fraglichen Gesuche neuerdings direkt an die eidgenössischen gesetzgebenden Räthe. Der Ständerath trat jedoch, am 30. Juni 1880, auf das Gesuch nicht ein, weil es, ursprünglich mit der Frage der Wiedereinführung der Todesstrafe in Beziehung gestanden, infolge der Abänderung des Art. 65 der Bundesverfassung nicht mehr von aktuellem Interesse sei. Der Nationalrath dagegen überwies am 2. Juli 1880 den Gegenstand zur Berichterstattung an den Bundesrath.

Inzwischen, noch bevor ein Bericht unsererseits erfolgen konnte, kam der Verein für Straf- und Gefängnißwesen in seiner Jahresversammlung zu Liestal, am 3. Oktober 1880, auf die Sache zurück und beschloß, mit der Bitte an den Bundesrath zu gelangen, derselbe möge das Gesuch um Erstellung eines Zellengefängnisses auf Kosten der Eidgenossenschaft nochmals in Erwägung ziehen und der Bundesversammlung den Antrag unterbreiten, sich · prinzipiell für Erstellung eines derartigen Gefängnisses auf K o s t e n d e r E i d g e n o s s e n s c h a f t a u s z u s p r e c h e n , insofern ein solches von den K a n t o n e n in g e n a n n t e m Sinne gewünscht werde.

In seiner Jahresversammlung vom 4. Oktober 1881 zu Frauenfeld hat der Verein diesen Beschluß bestätigt und darauf seine Anregung bei uns wiederholt.

Wir halten es demnach für angemessen, unsern Bericht an Sie, Tit., über diese Angelegenheit nicht länger hinauszuschieben, und beehren uns, in Nachfolgendem Ihnen denselben zu erstatten.

Schicken wir voraus, daß die Anregung des schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängnißwesen zur Erstellung eines für

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alle Kantone verfügbaren, solid und zweckmäcig konstruirten Zellengefängnisses von uns verdientermaßen gewürdigt wird und daß wir derselben keineswegs gleichgültig gegenüberstehen ! Wenn wir uns in Bezug auf das Begehren des Vereins bis jetzt eine gewisse Reserve auferlegten und der Ansicht sind, auch gegenwärtig noch darin verharren zu sollen, so geschah und geschieht es nicht aus Mangel an Verständniß und Sympathie für die Sache. Vielmehr leiten uns hiebei Gründe, deren Gewicht, wie wir glauben, nicht verkannt werden kann.

Der petitionirende Verein motivili sein erneuertes Gesuch vom 3. Oktober 1880 vorerst damit, daß er sagt, dasselbe habe ja durchaus nicht den Zweck, die Souveränetät der Kantone in Ausübung des Strafrechtes nach irgend einer Richtung zu schmälern. Der Bund würde durch Erstellung eines solchen Zellengefängnisses weder das Strafrecht, noch den Strafprozeß, noch endlich den Strafvollzug an sich ziehen. Er würde den Kantonen nur ein Werk zur Erleichterung des Strafvollzuges zur Verfügung stellen, welches die Kräfte der einzelnen Kantone, namentlich der kleinern, übersteige.

Die Kantone würden dann unter sich das Weitere schon ordnen, gemeinschaftlich die nöthigen Vorschriften erlassen und Vollzugsorgane aufstellen. Daß den Kantonen ein solches Werk nicht aufgedrängt würde, sondern daß sie es wünschen, gehe aus der Thatsache hervor, daß sehr häufig Kantone mit besser eingerichteten Strafhäusern von andern ersucht werden, 2, 3, ja 6 gefährliche Sträflinge in Pension zu nehmen, welchen Ansuchen in der Regel nicht entsprochen werden könne. Allerdings wäre es der natürlichste Weg, wenn die Kantone die Initiative zur Errichtung eines solchen Zellengefängnisses ergreifen und den Bund um Mithülfe ansprechen würden. Allein schon oft sei der entgegengesetzte Weg eingeschlagen worden, so bei Flußkorrektionen, bei der Gotthardbahn, wo die eidgenössischen Räthe die Initiative ergriffen hätten und nur auf diese Weise die Realisation des Werkes ermöglicht worden sei. Warum nicht auch in einer Angelegenheit wie die vorliegende, bei der die Ehre und das Ansehen der Kantone wie der Eidgenossenschaft so sehr betheiligt seien? Es mögen sich deßhalb die Bundesbehörden in erster Linie nur darüber aussprechen, daß sie grundsätzlich für Erstellung eines solchen Zellengefängnisses auf Kosten des Bundes
sind, sofern die Kantone es wünschen. So die Petition.

Wir wollen nicht in Abrede stellen,. daß die allgemeine Fassung des Art.- 23 der Bundesverfassung (gleichlautend mit dem Art. 21 der 1848er Verfassung) es der Eidgenossenschaft gestattet hat, seit 1848 eine Reihe gemeinnütziger und nationaler "Werke

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auszuführen oder zu fördern, ohne daß die Bundesverfassung die Sorge für die betreffenden Zwecke den Kantonen abgenommen und ausdrücklich dem Bunde übertragen hätte, so insbesondere die Plußkorrektionen und Straßenbauten, und es ist auch ganz klar, daß die Kantone jeweilen in dieser Einwirkung des Bundes keinen Einbruch in ihre Souveränetätsrechte erblickten. Obgleich Manche finden, der Bund habe in dieser Beziehung, namentlich in Straßenbauten, des Guten sogar etwas zu viel gethan, so freuen wir uns doch Alle dieser herrlichen Denkmäler nationaler Thatkraft und eidgenössischen Sinnes. Allein auch in diesen Dingen gibt es eine Grenze.

Die Petition überschreitet dieselbe unsers Erachtens in mehr als einer .Richtung. Trote des sehr allgemein und unbestimmt gehaltenen Wortlautes des Art. 23 kann es doch nicht die Sache der Eidgenossenschaft sein, von sich aus, aus ihrer Initiative und auf ihre Kosten, den Kantonen ein Werk zur Verfügung zu stellen, dessen Errichtung, Unterhalt und Benutzung diesen nach Maßgabe der Bundesverfassung ganz allein zukommt, w e i l d i e b e t r e f f e n d e A u f g a b e in d a s Ressort der ordentlichen kantonalen Staatsverwalt u n g g e h ö r t . Die Argumentation der Petition, daß die Ehre und die Wohlfahrt der Eidgenossenschaft als solcher in dieser Frage ganz eben so mitbetheiligt seien, wie diejenige der Kantone, ist deßhalb nicht beweistüchtig, weil sie zu viel beweist. Es gibt in unserm Vaterlande gewiß noch eine ganze Reihe kantonaler Anstalten und Einrichtungen, die zunächst allerdings nur den Kantonen, in ihrer Gresammtwirkung im Innern, sowie durch die Beziehungen zum Auslande aber einem eminent eidgenössischen Interesse zu dienen bestimmt sind und welche durch Vereinheitlichung, Uebernahme und Ordnung durch die Eidgenossenschaft zum Ruhme des Landes ihrem Zwecke viel besser entsprechend gestaltet werden könnten. Wir rechnen hiezu mancherlei kantonale Verwaltungszweige, deren Besorgung richtiger von mehreren Kantonen zusammen oder von der Vereinigung aller Kantone im Bunde übernommen werden dürfte. Man denke z. B. an die Gerichtsorganisation, von welcher die Möglichkeit einer guten Besetzung und dadurch das Ansehen der Gerichte und die Wirksamkeit der Justizpflege im Lande, im Weitern das Verständniß des Volkes für das geltende Gesetz und die Ehrfurcht
desselben vor der Heiligkeit des Rechts größtentheils abhangen. Wer wollte läugnen, daß hier durch Ausdehnung des Gebietes und organisatorisches und finanzielles Eintreten der Eidgenossenschaft manchenorts eine Verbesserung herbeigeführt werden könnte ? Und doch wird es Niemandem einfallen, gegenwärtig eine solche Forderung an den Bund zu stellen. Denn die Gerichtsorganisation und die Justizverwaltung sind mit Ausnahme der dem Bundesgerichte verfassungsgemäß ver-

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liehenen Kompetenzen Sache der Kantone und zwar gerade im Gebiete des Strafrechts viel unbeschränkter als in demjenigen des Civilrechtes. Z u r S t r a f r e c h t s p f l e-g e g e h ö r t a b e r a u c h d e r S t r a f v o l l z u g . Derselbe bildet eine der ordentlichen Verwaltungsaufgaben der Kantone, wofür diese in ihren jährlichen Budgets' die finanziellen Mittel vorzusehen und zu beschaffen haben. Es liegt somit nicht in der verfassungsrechtlichen Stellung des Bundes, wir wiederholen es, eine Unternehmung anzuregen, in seinen Kosten auszuführen und zu verwalten auf einem Gebiete, das verfassungsgemäß dermalen noch ausschließlich der kantonalen Verwaltung anheimfällt. Wie sollte aber erst, so fragen wir, nach dem alternativen Vorschlage des gesuchstellenden Vereins die Aufsicht und Verwaltung einer Strafanstalt vom Bunde übernommen werden können, die den Kantonen zur Verfügung gestellt wäre, ohne daß dem Bunde irgend welches Recht und Zwangsmittel zu Gebote ständen, jene zur Benützung der Anstalt und mithin zur Deckung der Betriebskosten anzuhalten ? Es ist darum sowohl aus dein Gesichtspunkt der staatsrechtlichen Kompetenz als aus praktischen Rücksichten absolut ausgeschlossen, daß der Bund in einer Weise in das Gebiet der kantonalen Verwaltung eingreife, wie dies in der Petition eventuell in Aussicht genommen ist.

Sollten die Kantone wirklich, wie die Petenten versichern, unvermögend und unfähig sein, einzeln oder zusammenwirkend der Aufgabe einer der Ehre und dem Ansehen des Landes und den Zwecken der Strafjustiz entsprechenden Strafvollziehung gerecht zu werden und zu genügen, dann allerdings wäre es hohe Zeit, den Bund mit denjenigen verfassungsmäßigen Kompetenzen auszustatten, ohne welche die Initiative, ein selbstständiges Eingreifen, desselben auf diesem Gebiete nicht stattfinden kann, nämlich: Das ganze Strafrecht mit Einschluß der Strafvollstreckung in die Hand des Bundes zu legen. Daß die Petenten dem Bunde trotz des Mangels dieser verfassungsrechtlichen Grundlage in der vorwürfigen Angelegenheit die Initiative und die Erstellung des Werkes aus seinen Mitteln, eventuell auch die Verwaltung desselben, zumuthen, darin liegt unseres Erachtens die konstitutionelle Grenzüberschreitung, die wir oben signalisirt haben.

Sollte aber der dermalige Zustand des Gefänguißwesens in den
Kantonen im Interesse der öffentlichen Sicherheit schleunigste Abhülfe erheischen und das sofortige Einschreiten des Bundes nöthig machen, was wir nicht annehmen, dann würde der Art. 2 der Bundesverfassung, welcher als einen der Zwecke des Bundes die Handhabung der Ruhe und Ordnung im Innern aufstellt, den eidgenössischen Behörden die erforderliche Kompetenz ver-

79 leihen, um die Kantone auf deren eigene Kosten zur Pflichterfüllung anzuhalten. Der Bundesrath behält sich vor, in dieser Beziehung jederzeit das durch die Verhältnisse Gebotene und denselben Angemessene vorzukehren.

Nachdem die Petition es als eine unbestreitbare Sache hingestellt hat, daß die Errichtung eines schweizerischen Zellengefängnisses ein öffentliches Werk sei, an dessen Zustandekommen die meisten Kantone ein großes direktes, die Eidgenossenschaft aber wenigstens ein indirektes Interesse habe, sucht sie dem Einwürfe zu begegnen, daß es in erster Linie Sache der Kantone wäre, mit darauf bezüglichen Kundgebungen bei den Bundesbehörden einzukommen. Wenn auch die Kantone bisher ihre Wünsche nicht kundgegeben hätten, so seien solche Wünsche nichts desto weniger vorhanden. Uebrigens habe der Bund seiner Zeit eine eidgenössische polytechnische Schule gegründet, ohne hiezu von den Kantonen veranlaßt worden zu sein. Wie die Eidgenossenschaft ohne weitere Rücksichtnahme auf künftige Frequenz u. s. f. durch die Gründung des Polytechnikums das vom Bedürfnisse, nicht von den Kantonen Geforderte getroffen, so würde es auch mit der Erstellung und Frequenz eines Zellengefängnisses geschehen. Angesichts der unaufhörlichen, zum Theil ganz skandalösen Entweichungen von Verbrechern aus den Zuchthäusern einzelner Kantone sei die Errichtung eines solchen Werkes zur absoluten Nothwendigkeit geworden.

Die Kräfte der vereinzelten Kantone reichen hiefür nicht aus.

Darum sei es die Pflicht des Bundes -- und zwar ,,nicht etwa eine bloß fakultative Verpflichtung" -- nach Maßgabe des Art. 23 der Bundesverfassung ,,das Werk entweder ganz auf eigene Kosten 1 auszuführen oder dessen Ausführung "5 zu unterstützen.'- ' Dem gegenüber wiederholen wir : Die Initiative zur Erstellung eines gemeinsamen Zellengefängnisses hat von den Kantonen auszugehen. Es genügt in dieser Beziehung nicht, daß auf Seite der Kantone Wünsche bestehen, die nicht geäußert werden. Die Bestrebungen des Schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängnißwesen verdienen alle Anerkennung, wenn sie die unleugbaren Mängel und Lücken im kantonalen Strafvollziehungswesen schonungslos aufdecken und bloßstellen. Allein er verfolgt, so lange die Strafjustiz, bezw. der Strafvollzug einen Theil der kantonalen Administration ausmacht, nicht den rechten Weg,
wenn er mit Umgehung der Kantone, deren Zustimmung und Einverständniß einfach voraussetzend, das Begehren um Abhülfe an den Bund richtet. Das Beispiel der Gründung der eidgenössischen polytechnischen Schule ist nicht glücklich gewählt. Der Bund hat hiefür allerdings nicht die Aufforderung der Kantone abgewartet,

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er hatte aber auch nicht nöthig, die Kompetenz zur Errichtung des Polytechnikums aus dem Art. 23 (damals Art. 21) der Bundesverfassung abzuleiten, da sie ihm in Art. 22 der 1848er Verfassung ausdrücklich übertragen war. Auch die Vorgänge der Flußkorrektionen, der Straßenbauten, des Gotthardbahnbaues, werden nicht mit gutem Grunde angerufen. Es ist unseres Wissens die finanzielle Betheiligung der Eidgenossenschaft in keinem einzigen Falle eingetreten, wo nicht zuvor -- oft lange Jahre, Jahrzehnte hindurch -- die zunächst interessirten Kantone und gesellschaftlichen Kreise die vorbereitende Hand an's Werk gelegt und das Zustandekommen desselben in jeder Beziehung thatkräftig gefördert hatten. Die im Art. 23 vorgesehene Bundesunterstützung ist jeweils nur als eine ergänzende, subsidiäre, hinzugetreten und durchgängig auf ungefähr 1 la der Kosten solcher Werke angeschlagen worden. Dagegen ist uns ein Beispiel, daß, wie es im vorliegenden Falle geschehen würde, die Eidgenossenschaft in einem ihr verfassungsgemäß fremden Gebiete aus ihren finanziellen Mitteln den Kantonen ein Werk erstellte, das eine erhebliche Entlastung der ordentlichen kantonalen Budgets zur unmittelbarsten Folge hatte, nicht bekannt.

Wir schließen aus den hievor entwickelten Gründen unsern Bericht mit dem Antrage : Es sei in das vorliegende Gesuch des Schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängnißwesen nicht einzutreten.

Genehmigen Sie, Tit., die erneuerte Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung !

B e r n , den 5. Juni 1883.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

L. Ruchonnet.

Der Stellvertreter des Kanzlers der Eidgenossenschaft :

Schatzmann.

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1883

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16.06.1883

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