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Bundesrathsbeschluß in

Sachen des Hrn. Friedrich Kunz, Auswanderungs-Unteragent in Bern, betreffend Bestrafung wegen Nichtstempelung eines Auswanderungsvertrages.

(Vom 31. August 1883.)

Dei- s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat

in Sachen des F r i e d r i c h K u n z in B e r n , Unteragenten des Auswanderungsgeschäftes von A. Zwilchenbart in Basel, gegen die Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern, betreffend Bestrafung wegen Nichtstempelung eines Auswanderungsvertrages ; nach Anhörung des Berichtes des eidg. Handels- und Landwirthschaftsdepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : I. Durch Urtheil des Polizeirichters von Bern vom 11. April 1882 wurde Rekurrent, weil er für einen am ü. März desselben Jahres mit einem Friedrich Merz von Menziken, Kantons Aargau, wohnhaft gewesen auf dem Rain bei Bolligcn, Kautons Bern, abgeschlossenen Auswanderungsvertrag keinen Stempel verwendet hatte, auf Grund von §§ l und 8 des bernischen Gesetzes über Stempelabgabe, d. d. 16. März 1880, in eine Buße von Fr. 10, zur Bezahlung der Extrastempelgebühr und in die Kosten verfällt.

832 II. Gegen dieses Urtheil rekurrirte F. Kunz unterm 18. April bei der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern, indem er im Wesentlichenvorbrachtee : Im Bundesgesetz betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen, vom 24. Dezember 1880 (A. S. n. F. V, 348}.

speziell in den Artikeln 12 und 14, seien alle rechtmäßig bestehenden Vorschriften für Auswanderungsverträge in maßgebender Form und unter Aufhebung entgegen stehender kantonaler Gesetze und Verordnungen enthalten, und es dürfe insbesondere nach dem Wortlaut von Art. 22 leg. cit. kein Kanlon mehr von einem Auswanderungsagenten, Unteragenten oder Auswanderer eine Kaution oder irgend eine Gebühr, außer den gewöhnlichen, mit der Niederlassung verbundenen Steuern und Abgaben, erheben. Eine solehe Nebenabgabe werde aber nun durch die kantonale Stempelabgabe gefordert, sogar von dem Auswanderer selbst, indem nach bernischem Recht jede Partei dieselbe in ihrem Vertragsdoppel entrichten müsse.

Des Fernern wird dadurch eine ungerechte Ungleichheit gegenüber andern Agenturen geschaffen, welche ihre Geschäfte in denjenigen Kantonen betreiben, die keine Stempelgebühren kennen.

Die Polizeikammer des bernischen Obergerichts wies unterm 13. Mai 1882 den Rekurs ab, im Wesentlichen geleitet von folgenden Motiven : Das im Kanton Bern bestehende Gesetz über die Stempelabgabe und die Banknotensteuer, vom 16. März 1880, unterwerfe alle Schriften, welche im Kanton Bern zur Begründung oder zum Beweise von Rechten und Verpflichtungen abgefaßt, werden, wie namentlich Verträge aller Art, zu denen Auswanderungsverträge ohne Zweifel gehören, der Stempelabgabe. Dieser Verpflichtung habe sich der Rekurrent entzogen und sei dadurch nach Maßgabe von § 7 des zitirten bernischen Gesetzes straffällig geworden.

Dieses kantonale Gesetz, widerspreche in keiner Weise dein Bundesgesetz vom 24. Dezember 18SO, indem es nicht Auswanderungsverträge allein dein Stempel unterwerfe und somit auch keine ausnahmsweise nur für die Auswanderungsgeschäfte bestehenden Vorschriften enthalte; eben so wenig beabsichtige der Artikel 22 des Bundesgesetzes vom 24. Dezember 1880, für die Auswanderungsverträge gegenüber allen andern Arten von Verträgen ein besonderes Vorrecht zu schaffen : die Stempelgebühr selbst sei zufolge dem bernischen Gesetz nach dem W ert h des Vertragsgegenstandes richtig bemessen.

833 III. Gegen dieses Urtheil ergriff F. Kunz mit Eingabe vom 12. Juni 1882 den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht, mit der Behauptung, die Belegung der Auswanderungsverträge mit einer kantonalen Stempelabgabe verletze die Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen, vom 24. Dezember 1880, nach welchem, in Ausführung des Art. 34 der Bundesverfassung erlassenen Gesetze die Regelung des Answanderungswesens jeder Einwirkung der kantonalen Gesetzgebung entzogen und kein Kanton berechtigt sei, von einem Auswanderungsagenten, Unteragenten oder Auswanderer eine Kaution oder irgend eine Gebühr, außer den gewöhnlichen , mit der Niederlassung verbundenen Steuern und Abgaben, wozu die Stempelabgabe nicht gehöre, zu erheben (Art. 22, Absatz 2, des zitirten Gesetzes); überdem verstoße die Erhebung einer kantonalen Stempelabgabe von Auswanderungsverträgen gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze, da dieselbe nicht, im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft, als dem Geltungsgebiete des Bundesgesetzes vom 24. Dezember 1880, gleichmäßig erhöhen werde.

Rekurrent stellte den Antrag. das Bundesgericht möge das Erkenntniß der Polizeikammer des Kantons Hern vom 13. Mai 1882 als gesetzwidrig nichtig erklären, unter eventueller Auflage der Kosten an den Staat Beni.

Unterm 27. Oktober 1882 erkannte das Bundesgericht: ,,Die Beschwerde wird, soweit sie auf Verletzung dus Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetze sich stützt, als unbegründet abgewiesen; im Uebrigen wird auf dieselbe wegen Inkompetenz des Gerichtes nicht eingetreten."

Hierauf wandte sich Rekurrent mit Eingabe vom 15. November 1882 a n d e n Bundesrath, indem e r a u f seine R e k u r s m e m o r i a l e tons Bern und das Bundesgericht verweist.

In seiner Vernehmlassung auf tue letztgenannte Eingabe (heilt der Regierungsrath des Kantons Hern mit Schreiben vom 30. Dezember mit, daß er den Bericht der Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes eingeholt, welcher aJs seine Gegenbemerkung angesehen werden möge. Dieser Bericht beschränkt sich darauf, auf die Erwägungen des oberinstanzlichen Urtheils vom 13. Mai 1882 zu verweisen; in E r w ä g u n g : 1) Die Behauptung des Rekurrenten, es werde durch die in einzelnen Kantonen geforderte Sternpelabgabe von Auswanderungs-

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vertragen die in der Bundesverfassung garantirte Rechtsgleichheit verletzt, und die Frage betreffend Format- oder Werthstempel haben ihre Erledigung bereits gefunden ; 2) Die bernische Stempelabgabe stellt sich unzweifelhaft als eine allgemeine indirekte Steuer dar, welche von "Verträgen jeder Art, welche im Kanton Bern abgeschlossen werden oder vor kantonale bernische Behörden gelangen, keineswegs aber von Auswanderungsverträgen allein erhoben wird, und sie bildet somit einen Theil des allgemeinen, den Kantonen verfassungsmäßig zustehenden Besteurungsrechtes.

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3) Das Bundesgesetz, betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen, vom 24. Dezember 1880, insbesondere Art. 22 desselben, beabsichtigt nur, die Auswanderungsagenten, sowie die Auswanderer selbst vor besonderer Belastung zu schützen, die ihrem Gewerbe, bezw. ihrer Vertragschließung allein, durch kantonale Gesetzgebung auferlegt werden wollen, keineswegs aber sie vor andern, von Niedergelassenen oder Vertragschließenden zu entrichtenden Abgaben zu privilegiren.

Nach Art. 12 des zitirten Bundesgesetzes steht es zwar allerdings den Auswanderungsagenten nicht frei, sich für solche Abgaben durch eine besondere Vergütung auf den vertragschließenden Auswanderer zu erholen, dagegen sind sie in Bezug auf die Ansätze ihrer festen Uebernahmspreise keinen gesetzlichen Beschränkungen unterworfen ; beschlossen: 1. Der Rekurs des Hrn. F. Kunz, Auswanderungs-Unteragenten in Bern, wird als unbegründet abgewiesen.

2. Von diesem Beschluß ist dem Rekurrenten, sowie dem Regierungsrath des Kantons Bern zuhanden der Polizeikammer des bernischen Appellations- und Kassationshofes Mittheilung zu machen.

B e r n , den 31. August

1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e sp r ä si d e n t :

L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Rangier.

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08.12.1883

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