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Schweizerisches Bundesblatt.

35. Jahrgang. II.

Nr. 26.

19. Mai 1883.

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ÜB richt des

Bundesrathes an den schweizerischen Ständerath, betreffend das Rechnungswesen der Eisenbahndirektionen.

(Vom 11. Mai 1883.)

Tit.

Sie haben den Wunsch ausgesprochen, es möchte der Bundesrath sich über die Eingabe vernehmen lassen, welche unterm 30. März dieses Jahres von den fünf größeren schweizerischen Eisenbahngesellschaften in Betreff unseres Gesetzesentwurfes vom 6. März, über das Rechnungswesen der Eisenbahnen, an die Bundesversammlung gerichtet worden ist.

Diesem Wunsche nachkommend, schicken wir voraus, daß der Gesetzesentwurf über das Rechnungswesen der Eisenbahnen nicht den Zweck hat, die Regeln festzustellen, nach denen von dem Richter bei dem Rückkaufe der Bahnen entweder nach den Anlagekosten oder nach dem Reinertrage der Kaufpreis zu berechnen sei; wir haben im Art. 6 des Entwurfes auch ausdrücklich vorgeschlagen, daß in dem Gesetze die Bestimmungen der Konzessionen vorbehalten werden.

Wenn daher der Richter, der im Streitfall allein kompetent ist, die Kaufsumme festzusetzen, dereinst finden sollte, es seien bei dem konzessionsgemäßen Rückkauf andere als die im Gesetz enthaltenen Regeln anzuwenden, so wird durch das Gesetz selbst (Art. 6) seine volle Freiheit gewahrt; ihn gegen den Vorwurf zu schützen, daß er trotzdem, um die Interessen des Bundes zu begünstigen und diejenigen der Bahnen zu schädigen, sich werde von Grundsätzen leiten lassen, die er für unrecht hält und die ihm nicht vorgeschrieben sind, dazu wollen wir uns durch die im Eingang Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. II.

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und am Schluß der Eingabe (Seite 3, 4, 12, 13) enthaltenen Auslassungen nicht verleiten lassen.

Das Gesetz, welches wir vorschlagen, besteht neben den Rechtsgrundsätzen, welche bei der Erledigung der Rückkaufsfragen zur Anwendung kommen werden, und ist von denselben unabhängig; wie denn auch die materiellen Bestimmungen des Entwurfes dem Obligationenrecht entnommen sind, das für alle Aktiengesellschaften gilt, also auch für diejenigen, bei denen von einem Rückkauf gar keine Rede ist. Es braucht wohl auch keines Nachweises, daß der Bund an den Eisenbahnen nicht bloß das Interesse hat, welches mit dem Rückkauf verbunden ist. Diese Seite bildet nur einen Theil in dem Kreise von Rechten und Pflichten, in welchem der Bund den Bahnen gegenüber sich zu bewegen hat, und zu diesen Pflichten gehört vor Allem aus auch die, dafür zu sorgen, daß durch die Art und Weise, wie die Bahnen ihr Vermögen verwalten und namentlich wie sie den Gewinn ihrer Antheilhaber berechnen, das Aktienunternehmen in seiner ökonomischen Existenz nicht zum Nachtheil der Gläubiger sowohl als des gesammten Gemeinwesens gefährdet werde.

Wir haben in unserer Botschaft vom 6. März den Nachweis geleistet, daß eine solche Gefährdung vielfach vorhanden ist und daß auch unsere neueste Gesetzgebung über das Aktienwesen keinerlei Gewähr dafür bietet, daß die zum Theil langjährigen Uebelstände ohne Anwendung neuer gesetzlicher Mittel werden gehoben werden.

Uebergehend nun zur Besprechung der Einwendungen, welche von Seite der Bahngesellschaften in der Eingabe vom 30. März gegen unsere Botschaft und den Gesetzesentwurf gemacht worden sind, heben wir nur einige Hauptpunkte hervor, mit dem Vorbehalt, bei der Diskussion des Gesetzes Weiteres nachzutragen. Der besseren Uebersicht wegen folgen wir der Eintheilung, die sich in der Eingabe findet.

1. Banrechmmg. Aufstellung der Bilanz.

Wir gehen hier von dem Grundsatze aus, daß bei der Aufstellung der Bilanz das Gesellschafts(Aktien-)Kapital in die Passiven aufgenommen werden muß (0. 656. 6); die Aufnahme dieses Postens, der zwar kein eigentlicher Schuldposten ist, hat den Zweck, durch die Vergleichung von Schulden und Vermögen zu ermitteln, ob das Aktienkapital gedeckt, oder mit andern Worten, ob das von den Aktionären zusammengelegte Gesellschaftskapital noch vorhanden sei. Von dem Bestand dieses Kapitals hängt auch die

971 Sicherheit der Gläubiger und der Bestand des Unternehmens ab, weil bei dem Aktienunternehmen die persönliche Haftpflicht der Theilnehmer ausgeschlossen ist und die finanzielle Garantie somit einzig in der Sicherung des Aktienkapitals beruht. Darum enthält auch das Obligationenrecht (Art. 657) auf den Fall, daß die letzte Bilanz eine Verminderung des Grundkapitals um die Hälfte nachweist, die Vorschrift, es habe die Verwaltung unverzüglich eine Generalversammlung zu berufen und dieser von der Sachlage Anzeige zu machen; in einem solchen Falle darf also nicht einmal die bevorstehende ordentliche Versammlung abgewartet werden. Sind auch die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger nicht mehr durch die Aktiven gedeckt, so ist das Gericht behufs Eröffnung des Konkurses zu benachrichtigen.

Mit dieser, wie man sieht, sehr wichtigen Frage der ,,Deckung" hängt die Verrechnung der Gründungs- und Organisationskosten, der Kursverluste und Emissionskosten, der Ueberschätzung von Bahnanlagen, der Umbauten etc. auf das Genaueste zusammen.

In dieser Beziehung haben wir behauptet und wiederholen, daß in Folge der bisherigen Rechnungsweise bei einer Anzahl von Bahnen die volle Deckung des Aktienkapitals nicht mehr vorhanden ist. Ueber das Maß in den einzelnen Fällen verweisen wir auf die Botschaft.

Soll nämlich die Deckung des Aktienkapitals und der eigentlichen Schulden einer Gesellschaft eine wirkliche und nicht bloß eine zahlenmäßige und scheinbare sein, so versteht es sich von selbst, daß der Werth der Aktiven dem gesammten Schuldbetrag gleichkommen muß. Zu den Hauptposten der Aktiven gehört der Baukonto, welcher den Werth der gesammten Bahnanlage und der Betriebseinrichtungen ausweist. Dieser Werth kann nun in keinem Falle (auch bei dem Rückkauf nicht) höher angeschlagen werden, als ,,nach den Anschaffungskosten mit Abzug der erforderlichen und den Umständen angemessenen Abschreibungen" (0. 656. 2).

Insofern sind wir mit der Eingabe einverstanden, wenn sie auf Seite 6 sagt: ,,Was von den Gesellschaften wirklieh verausgabt und ordnungsgemäß verrechnet worden ist, das muß im Sinne der Konzessionsakte als Betrag der Anlagekosten angenommen und anerkannt werden", unter dem Vorbehalt immerhin, daß das Okjekt, für welches die Ausgabe gemacht wurde, zu der Anlage und den Einrichtungen der Unternehmung gehört
und noch vorhanden ist.

Im direktesten Gegensatz mit diesem von den Bahnen selbst anerkannten Grundsatze, erscheinen, wie wir in der Botschaft vom 6. März einläßlieh nachgewiesen haben, in den Aktiven der Bilanzen Vermögenswerthe, welche

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e n t w e d e r , w i e d i e K u r s v e r l u s t e , ü b e r h a u p t k e i n Vermögen sind, sondern zu den S c h u l d e n gehören; o d e r e s s i n d d a r i n Kosten v o n G e b ä u d e n u n d A n l a g e n verzeichnet, die gar nicht mehr bestehen; oder es sind Ausgaben v e r r e c h n e t , für w e l c h e nie ein G e g e n w e r t h b e s t a n d e n hat.

Den Gesammtbetrag aller dieser Posten haben wir zu 70 Millionen Franken, veranschlagt, womit gesagt wird, daß die gleiche Summe an dem Aktienkapital der betreffenden Bahnen als verloren abzusehreiben ist.

Was hat nun die Eingabe der Bahnen diesen thatsäehlichen und rechtlichen Sätzen entgegenzustellen : 1) Ohne sich* über die von uns aufgestellten Zahlen irgendwie auszusprechen, gibt sie wenigstens indirekt zu (Seite 5, 6> 10), daß in den Bilanzen ,,Werthea figuriren, welche amortisirt werden müssen, oder mit andern Worten Werlhe, welche nicht dorthin gehören. Wir wiederholen hier, was schon in der Botschaft gesagt ist, daß die Gültigkeit der von uns aufgestellten. Rechtssälze und die Notwendigkeit ihrer Anwendung in keiner Weise von den Rechnungen abhängt, die wir aufgestellt haben. Mögen diese Rechnungen um 10 oder 20 Millionen zu hoch oder niedrig angesetzt sein, so bleiben die Grundsätze einer richtigen und soliden Rechnungsführung stets dieselben. Unsere Rechnungen zeigen nur, wohin es führt, wenn man jenen Grundsätzen untreu wird.

2) Im Weitern finden die Gesellschaften (Seite 3), der Bund habe keine ßefugniß, sich in diese Verhältnisse einzumischen, und übersehen dabei, daß über die jetzige Inkompetenz kein Streit waltet, daß vielmehr die Frage dahin lautet, ob rechtliche und thatsäehliche Veranlaßung vorhanden sei. dem Bund die Kompetenz zu verschaffen, die ihm heute abgeht. Wir besprechen übrigens diesen Punkt noch näher und glauben uns auch kaum genöthigt, den Vorwurf abzulehnen, als sei der Bund nach ,,fremdem Gute" lüstern.

3) Endlich lassen sich die Bahnen (Seite 2, 3, 4, 5, 6) über die einzelnen Rubriken vernehmen, deren Amortisation wir verlangen.

In dieser Beziehung ist zu bemerken, daß die Gesellschaften auf Seite 11 sich zu dem Zugeständniß verstehen, daß sie ,,in Bezug auf die Bildung der Bilanz, Feststellung und Vertheilung des Reingewinns"' dem Obligationenrechte unterworfen seien, nichts-

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destoweniger aber auf Seite 5 behaupten, der mit dem Obligationenrecht in dieser Beziehung wörtlich gleichlautende Gesetzesentwurf, welcher die Amortisation der Gründungskosten verlangt, ,,stehe im Widerspruch mit der Natur des Verhältnisses, mit dem daraus sich ergebenden rechtlichen Grundsatz und mit Sinn und Geist der Konzessionsakte".

Dasselbe wiederholt sich (Seite 2) in Bezug auf die Organisationskosten.

Kommt der Fall vor, daß unter den Gründungs- und Organisationskosten in der Rechnung einer Gesellschaft Auslagen verzeichnet sind, welche auf die Erstellung und Einrichtung der Bahn Bezug haben, so sind dieselben eben unrichtig untergebracht, und auch wir sind der Meinung, daß sie als Anlagekosten verrechnet werden dürfen.

Der weitaus wichtigere Punkt ist aber derjenige der K u r s v e r l u s t e und E m i s s i o n s k o s t e n .

In Bezug auf die Kursverluste bestimmt das Obligationenrecht, dem die Bahnen unterworfen sind, unbedingt und ohne alle Einschränkung, daß dieselben durch jährliche Abschreibungen bis zum Verfalltage zu amortisiren sind. Damit erledigt sich alles W e n n und Aber. Gleichwohl verweilen wir noch bei diesem Punkte, weil gerade hier die Schäden am offensten zu Tage treten.

So lange es wahr ist, daß Gewinn und Verlust zwei Dinge und daß Verluste kein Vermögen sind, so lange werden auch Kursverluste , trotzdem das Obligationenrecht deren Einstellung unter die Aktiven der Bilanz gestattet, nie als Vermögen einer Aktiengesellschaft betrachtet werden dürfen. Die vielen Millionen Kursverluste, welche in unserer ,,Zusammenstellung"1 theils ausdrücklich aufgeführt und theils im Totalbetrag der Baurechnungen verborgen sind, bedeuten eine Summe, welche die Bahnen schulden, aber nie erhalten haben, eine Summe also, die sie auch nie ausgeben konnten und welche darum nach dem eigenen Zugestiindniß der Eingabe (Seite 6) auch nicht unter die Anlagekosten aufgenommen werden darf. Im Art. 656, 7 des Obligationenrechts, wo gesagt ist, daß Kursverluste ,,unter die Aktiven aufgenommen werden können", ist nur eine formelle Anordnung getroffen, denn auch das Gesetz kann Schulden nicht zu Vermögen machen, und es findet sich denn auch unseres Wissens keine andere Gesetzgebung, welche eine solche Bestimmung enthielte. Allerdings folgt dieser Anordnung die unbedingte Weisung, daß die Differenz zwischen dem Emissionskurse und dem Rückzahlungsbetrag bis

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zum Verfalltag zu amortisiren ist. Bis zu dieser Amortisation ist die Bilanz gegenüber den Aktiven nicht hergestellt, und es ist das Aktienkapital thatsächlich um den noch nicht amortisirten Betrag vermindert.

Von einem Unterschied zwischen Anleihen, welche zu einem dem Parikurs entsprechenden Zinsfuß kontrahirt worden sind, und andern, wo dies nicht der Fall war (Seite 6"), weiß das Obligationenrecht nichts, und er besteht also .nach dem Wortlaut des Gesetzes auch für die Eisenbahnen nicht, ganz abgesehen davon, ob das vorgeschlagene Gesetz erlassen werde oder nicht.

Mit dem Zinsfüße von Anleihen, welche mit einem Kursverlust abgeschlossen wurden, verhält es sich übrigens, wie schon gesagt, so, daß der effektive Zinsfuß höher und nicht niedriger ist als der nominelle. Bin Anleihen von 100 zu 90 ausgegeben und zu 4 1 /2%o verzinslieh, bezahlt in Wirklichkeit5%.

Nur wo dieser e f f e k t i v e Zinsfuß niedriger ist, als der dem Parikurs gemäße, könnte von einer dieser Differenz entsprechenden Reduktion des Kursverlustes gesprochen werden. Aus der langen Reihe solcher Verluste ist aber ein derartiger Fall nicht aufgeführt worden.

Ueber die w i l l k ü r l i c h e n H ö h e r s c h ä t z u o g e n der Bahnanlagen geht die Eingabe kurz weg. Wir haben gezeigt, wie eine Gesellschaft durch einfachen Beschluß den Betrag ihrer Aktiven um 11 Millionen vermehrte und daß bei andern Bahnen in ähnlicher Weise verfahren wurde. Baupreis- oder Werthdifferenzen in Bezug auf verschiedene Perioden kommen für die Berechnung der Aktiven nicht in Betracht. Für diese letztern sind einzig die auf ein Objekt verwendeten effektiven Auslagen maßgebend.

(0. 656, 2.) ' Was in der Botschaft über U m b a u t e n u n d A e n d e r u n g e n von Bahnanlagen und Betriebseinrichtungen gesagt worden ist, findet die Eingabe (Seite 7) vag und unsicher, obschon wir gerade in diesem Kapitel unsern Gedanken durch den Auszug aus einer Rechtsschrift einer der betheiligten Gesellschaften Ausdruck gegeben haben. Es wird übrigens auf die Botschaft weniger als auf die Passung des Gesetzes ankommen, von welcher wir schon in der Botschaft erklärt haben, daß es als eine Unmöglichkeit erscheine, alle im Art. l des Entwurfes enthaltenen Fälle durch eine anscheinend noch so vollständige Aufzählung zu erschöpfen und daß, dieser Mannigfaltigkeit

975 und Verschiedenheit der einzelnen Fragen gegenüber, der grundsätzlichen Normirung vor dem Speziai verzeichniß der Vorzug gebühre. Dieser Ansicht sind wir noch jetzt, wollen aber dem Versuche einer andern Fassung in keiner Weise entgegentreten. Die Hauptsache wird dabei die sein, daß in Zukunft aus den Bilanzen die ,,Werthe" von Anlagen und Gebäuden verschwinden, welche gar nicht existiren. Daß eine solche Forderung nicht allgemein selbstverständlich ist, mag aus der Eingabe entnommen werden, welche auf Seite 8, trotz Obligationenrecht, dem sie unterworfen sein will, verlangt, daß auch der Werth der b e s e i t i g t e n Einrichtungen unter Umständen als Gesellschaftsvermögen anerkannt werde.

II. Amortisation.

Im Art. 2, Lemma 2 und 3, des Gesetzesentwurfes wird verlangt, daß die Gründungs-, Organisations- und Verwaltungskosten, Kursverluste und Emissionskosten, sowie alle nicht auf die Baurechnung gehörenden Posten aus den jährlichen Einnahmeüberschüssen amortisirt werden sollen, oder mit andern Worten, d a ß E i s e n b a h n g e s e l l s c h a f t e n , deren A k t i e n k a p i t a l zu irgend einem Theile v e r l o r e n gegangen ist, v e r p f l i c h t e t seien, aus den Uebe r schlissen das Kapital wieder auf seine ursprüngliche nomiuelle Höhe zu ergänzen.

Die Eingabe behandelt diesen elementaren Satz wie eine Erfindung des Gesetzesentwurfes und hilft sich über 0. 656 mit der Bemerkung weg, daß diese Bestimmung den Bundesrath nicht berühre. Damit ist aber die Sache wohl nicht erschöpft.

Allerdings ist die Amortisation für den Rückkauf, wenigstens soweit es sich um die Bestimmung der Anlagekosten handelt, ohne Bedeutung (Seite 9); ob es sieh auch in Bezug auf das öffentliche Interesse" so verhalte, wie die Eingabe sagt, scheint weniger evident zu sein.

Ist die Ergänzung eines Kapitalverlustes wirklich weder sachlich nothwendig, noch gesetzlich geboten, so ist dadurch der Weg für den Verlust des gesammten Aktienkapitals geebnet und die Einnahmenüberschüsse bleiben allerdings immer zur Disposition.

Eine solche Auffassung widerstreitet aber den positiven Vorschriften des Gesetzes (0. 657) nicht weniger, als der allgemeinen Rechtssicherheit und der Natur der Aktiengesellschaften. Diese

976 Gesellschaft bietet, wie schon gesagt, ihren Gläubigern und allen denen, welche an ihrer Existenz ein Interesse haben, keine andere Garantie, als diejenige, welche in ihrem Vermögen liegt. Der Gesetzgeber hat daher die Maßnahmen zu treffen, welche zur Erhaltung dieses Vermögens geeignet sind, und es ist eine völlige Mißkennung der Rechtsstellung, wenn dieEingahe annimmt (Seite 9), eine Bahngesellschaft genüge dem öffentlichen Interesse, so lange sie die Mittel ,,für den Betrieb und den guten Gang und Stand des Geschäftes" besitzt. Darum handelt es sich aber gar nicht (die Betriebskosten sollen aus den Betriebseinnahmen bestritten werden), sondern um die Frage, ob es erlaubt sei, Dividenden als Reingewinn unter die Aktionäre zu vertheilen, so lange das Aktienkapital angegriffen ist. lieber die Antwort kann kein Zweifel bestehen, wenn man nicht zu dem Schlüsse gelangen soll, daß die Aktionäre befugt seien, sich nach und nach ihr Aktienkapital zurück bezahlen zu lassen, um den Gläubigern und übrigen Interessenten die Schulden zu überlassen.

Durch ,,Enthebungen aus den Einnahmen für die Amortisation",, d. h. in unserm Fall durch Ergänzung eines angegriffenen Gesellschaftskapitals, wird nach den bisher und hoffentlich auch künftig allgemein gültigen Grundsätzen der Geschäftsführung der Kredit einer Gesellschaft g e s t ä r k t und nicht ,, g e s c h w ä c h t " , und es ist die Pflicht des Staates, dafür zu sorgen, daß zum allerwenigsten ein Theil der Ueberschüsse zu keinen ,,andern Zwecken''- als gerade zu diesem verwendet werde. Mit dieser Anschauung steht allerdings diejenige der Eingabe (Seite 9) in vollem Widerspruche.

Daß eine Amortisation (Ergänzung des Aktienkapitals) nicht stattfinden kann, wenn über die ,,für den Betrieb und guten Gang des Geschäftes " erforderlichen Kosten hinaus kein Ueberschu& sich ergibt, versteht sich von selbst; aber darum sollte es auch verständlich sein, daß weder ein Gesetz, noch sonst Jemand mit Erfolg vorschreiben kann, in welcher Frist die Amortisation einer Summe aus den Ueberschüssen zu geschehen habe. Je größer das zu deckende Defizit, um so schwieriger ist die Fristbestimmung, die eben so unmöglich erscheint als die Vorschrift, daß der Jahresgewinn eines Geschäftes eine bestimmte Minimalsumme zu erreichen habe.

Das Obligationenrecht setzt allerdings
Fristen fest, die aber nicht absolut verbindlich sein können, und die wir gerade darum weggelassen haben, weil sie unter Umständen zu kurz erscheinen.

Die jährliche Feststellung der Amortisationsbeträge, im Verhältnisse zur Höhe der Summe und zu derjenigen der Jahreserträgnisse, ermöglicht eine billigere und angemessenere Behandlung der Sache, als die gleichmäßige Vertheilung auf eine bestimmte Reihe von Jahren, bei der vollkommenen Unsicherheit, ob die nöthigen Erträgnisse jeweilen vorhanden sein werden.

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Immerhin könnte in einem Zusatz zum Art. 2, Satz 2, gesagt werden, daß bei der Feststellung der Amortisationsraten für die Kursverluste auf die Dauer des Anleihens Rücksicht zu nehmen sei.

Schließlich verdient noch erwähnt zu werden, daß die Eingabe in diesem Abschnitt neben den Verlusten auf den Anleihen und Aktien auch von den ,,übrigen werthlosen Posten" spricht.

III. Der Reinertrag.

Die Eingabe stellt den Satz auf: ,,Der Reinertrag eines Eisenbahnbetriebes, soweit er für den Staat in Betracht kommen kann, kann aus nichts Anderm bestehen, als aus s ä m m t l i c h e n E i n nahmen abzüglich aller Betriebs- und Verwalt u n g s k o s t en".

Wir übergehen hier alles Weitere, was mit dem Rückkauf zusammenhängt, sind aber der Meinung, es gelten für die Bildung des Reinertrages durchaus dieselben Regeln, ob der Rückkauf dabei in Betracht komme oder nicht, und von diesem Standpunkt ist der obige Satz ein unrichtiger, gegenüber dem Gesetz sowohl als der einfachen arithmetischen Auffassung.

Das Gesetz (0. 630) verlangt, daß der reine Gewinn sich aus der Jahresbilanz ergebe und (0. 630) daß in die Bilanz der Betrag des Grundkapitals und der Reserve- und Erneuerungsfonds aufzunehmen sei.

Der große Unterschied ist einleuchtend: Der Reinertrag ist nicht schon dann vorhanden, wenn ein Ueberschuß der Jahreseinnahmen über die Jahresausgaben vorliegt, sondern als Reinertrag gilt nur, was s i c h a l s U e b e r s c h u ß über das in die Bilanz aufzunehmende Grundk a p i t a l d a r s t e l l t . Die Mißachtung dieses Satzes betrachten wir als die Quelle der bestehenden Uebelstände, und die Aufsicht des Bundes über die Anwendung desselben als den hauptsächlichen Zweck des Gesetzes.

So wenig es einem einzelnen Geschäftsmann einfallen wird, von einem Gewinn zu reden, wenn am Ende des Jahres seine Aktiven weniger betragen als seine Schulden und die E i n l a g e , die er im Geschäft hat, so wenig hat eine Eisenbahngesellschaft einen Ertrag, wenn der wirkliche Werth des Vermögens geringer ist als die Schulden und das Aktienkapital; der Vermögenswerth ist aber geringer, so lange der Baukonto durch Posten belastet ist, die nicht darauf gehören.

978 Das alles ist so selbstverständlich, daß es in einem Gesetz nur anerkannt und vorausgesetzt, aber nicht vorgeschrieben werden kann. Im Obligationeurecht liegt der Gedanke in den angerufenen Artikeln 630 und 656, Ziffer 6, während das deutsche Handelsgesetzbuch die arithmetische Regel ausdrücklich aufgenommen hat und im Artikel 217 sagt: ,,Es darf nur dasjenige unter die Aktionäre vertheilt werden, was sich nach der jährlichen Bilanz und, wenn im Gesellchaftsvertrage die Innehaltung eines Reservekapitals bestimmt ist, nach Abzug desselben, als r e i n e r U e b e r s c h u ß ü b e r d i e v o l l e E i n l a g e ergibt."

So lange die volle Einlage nicht mehr vorhanden ist, kann auch von einem Gewinn nicht die Rede sein, und es ist daher wiederum selbstverständlich, daß die Ueberschüsse der Jahreseinnahmen über die Jahresausgabeu in erster Linie zur Herstellung des Gleichgewichtes zwischen dem Vermögen und dem Aktienkapital verwendet werden müssen, und daß vorher eine Dividendenvertheilung unzuläßig ist. Dieser zwingenden Logik hat sich das deutsche Gesetz unterzogen, indem es am Schluß des angerufenen Art. 217 vorschreibt : ,,Die Aktionäre können bis zur Wiederergänzung des durch Verlust verminderten Gesammtbetrages der Einlagen Dividenden nicht beziehen."· Enthielte unser Gesetz dieselbe Bestimmung, so würden die betreffenden Schweizerbahnen so lange keine Dividende ausbezahlen dürfen, bis aus den Jahresüberschüssen so viel Schulden abgezahlt sind, als der Betrag der unzuläßigtn Aktivposten ausmacht.

Diese Vorschrift enthält aber das Obligationenrecht nicht; es führt den von ihm aufgestellten Satz, daß das Aktienkapital unversehrt erhalten werden müsse, nicht folgerichtig und scharf durch, sondern macht zu Gunsten der Aktiengesellschaften gegenüber den Folgerungen aus dem Vordersatz zwei Ausnahmen: a. Art. 656, 7 enthält eine Ausnahme von Ziffer 2 desselben Artikels. Vom Standpunkt der Eisenbahngesellschaften gesprochen swgt der letztere, 'daß die Anlage der Bahn und die Betriebseinrichtungen höchstens nach den Anschaffungskosten (nach den wirklich dafür verwendeten Ausgaben) angesetzt werden dürfen. Trotzdem und in Ausnahme von diesem Grundsatz gestattet aber Ziffer 7, daß die Kursdifferenzen, obschon dieselben keine Anschaffungskosten sind und sein können, gleichwohl unter die Aktiven, d. h. in die Baurechnung, aufgenommen werden.

979 b. Eine zweite Ausnahme enthält Art. 656, Ziff. 7. Die Dividendenzahlung wird nicht eingestellt, bis das Grundkapital ergänzt ist, sondern es wird nur verlangt, daß die Kursdifferenzen bis zum Verfalltage amortisirt werden. Bis dorthin besteht die gesetzliche Fiktion, es sei die Differenz zwischen den Aktiven und den Passiven der Bilanz, wenn nicht gedeckt, doch zugedeckt.

Unser Gesetzesentwurf geht zu Gunsten der Bahnen sogar noch weiter, indem er es ermöglicht, die Amortisationen auf eine längere Zeitdauer auszudehnen und dieselbe der Höhe der Jahreserträgnisse anzupassen.

Sollen wir uns zum Schluß ebenfalls über ,,Grund und Zweck unserer Vorlage"1 aussprechen, so dürfen wir nur das Gesagte zusammenfassen : Wir wollen, daß die Eisenbahngesellschaften, an deren Bestand und Verwaltung die Gesammtheit der Bürger ein eben so großes Interesse hat als die Aktionäre, zum eigenen und allgemeinen Nutzen ihr Vermögen nach den auch im Gesetz vorgeschriebenen Regeln einer richtigen Geschäftsführung verwalten.

Ohne den Gesellschaften irgend ein erworbenes Recht anzutasten, und ohne ihnen eine neue Verpflichtung aufzulegen, verlangen wir von ihnen weiter nichts als die Befolgung der Grundsätze des Obligationenrechts, das auch für die Bahngesellschaften verbindlich ist. Aus dem Umstände, daß das Gesetz die Anwendung dieser Grundsätze dem freien Willen der Aktionäre und damit gewissermaßen dem Zufall anheim gibt, während dem Bunde als Vertreter der staatlichen Eisenbahninteressen in dieser Beziehung gar kein Recht zusteht, folgern wir nun keineswegs, daß der Staat sich müsse zur Ruhe verweisen lassen, vielmehr erachten wir es, namentlich angesichts der vorliegenden Erfahrungen, für seine Pflicht, sich auf dem Wege der Gesetzgebung das ihm fehlende Recht zu verschaffen.

Das Obligationenrecht, welches die bisherigen Verhältnisse und Statuten der Aktiengesellschaften in tiefgehender Weise ändert, hat dem Staate · neben andern neuen Pflichten auch dier auferlegt, dafür zu sorgen, daß das Grundkapital, welches allen mit der Gesellschaft Verkehrenden als Garantie dienen soll, bei der Bildung der Gesellschaft auch wirklich gezeichnet und zu einem Fünftheil eingezahlt werde (0. 622, 1. 2. 4). Erst wenn sich die Gesellschaft hierüber ausgewiesen hat, und der Ausweis als genügend erfunden worden ist, ertheilt der Staat derselben das Recht der Persönlichkeit.

980 In gleicher Weise, wie das Gesetz zahlung des Aktienkapitals unter die soll durch das neu zu erlassende Gesetz gezahlten Kapitals und des Vermögens

die B i l d u n g und die EinAufsicht des Staates stellt, für die E r h a l t u n g des einüberhaupt gesorgt werden.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 11. Mai 1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, D e r B u n d e s p r %s i d e n t :

L. Ruchonnet.

Der Stellvertreter des Kanzlers der Eidgenossenschaft:

Schatzmann.

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Bericht des Bundesrathes an den schweizerischen Ständerath, betreffend das Rechnungswesen der Eisenbahndirektionen. (Vom 11. Mai 1883.)

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1883

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19.05.1883

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969-980

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