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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend Vorkehrungen gegen die Cholera.

(Vom 9. Juli 1883.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Da die asiatische Cholera in Egypten zweifellos ausgebrochen ist und bei den gegenwärtigen Verkehrsverhältnissen die Verschleppung derselben in das Gebiet unserer Nachbarstaaten und auch in die Schweiz wenigstens als möglich betrachtet werden muß, halten wir es für unsere Pflicht, in Anwendung der Arttikel 2, 31 b und 69 der Bundesverfassung, auch in dieser, Leben und Wohlstand von Tausenden bedrohenden Angelegenheit wenigstens nach Möglichkeit zu sorgen.

Bei dem äußerst raschen Gange der Cholera wäre es in keiner Weise zu verantworten, die allgemein anerkannten und unbestrittenen Maßregeln der Seuchenpolizei bis zum wirklichen Ausbruche der Epidemie verschieben zu wollen, sondern es erscheint dringend geboten, dieselben jetzt schon klar zu legen und vorzubereiten.

Wir laden Sie hiemit ein, für sofortige Ausführung folgender Schutzmaßregeln zu sorgen und uns nach Ablauf von 14 Tagen zu berichten, in welcher Weise Sie Ihre Vorkehrungen getroffen haben.

1. Die Anzeigepflicht ist die Grundbedingung jeder Seuchenpolizei. Die Aerzte sind verpflichtet, jeden ihnen vorkommenden Fall von Cholera sofort bei der zuständigen Sanitätsbehörde und bei der Ortsbehörde schriftlich anzuzeigen. Wir schlagen Ihnen

291 hiezu die Vertheilung kleiner Anmeldungsformulare vor, welche zu Abreißbüchern zusammengeheftet und mit frankirten Briefumschlägen versehen wären, wie es in mehreren Kantonen längst üblich ist.

Mit besonderer Rücksicht auf die Kantone mit freigegebener Praxis ist daran festzuhalten, daß für Jeden, welcher einen Kranken ärztlich behandelt, die Ausrede der Unkenntniß in diesem Falle unzuläßig ist.

Wo keine ärztliche Behandlung stattfindet, ist der Vorstand eines Hauses, eines Eisenbahn- oder Postzuges, soweit ihm die Erkennung der Krankkeit zugemuthet werden kann, in gleicher Weise zu sofortiger Anzeige angehalten. Die von Cholera heimgesuchten Gemeinden haben die Zahl ihrer Kranken und ihrer Todten täglich (wenn nöthig per Telegramm) an ihre Kantonsregierung zu melden, und diese wird alle zwei Tage dem Bundesrathe Bericht erstatten, auch für Veröffentlichung der Tagesrapporte sorgen.

2. Die Kantonsregierungen haben sofort fürzusorgen, daß im Falle des Bedürfnisses in jeder Gemeinde ein passendes Haus bereit und innert 24 Stunden nach einer von der Regierung erhaltenen Weisung zu beziehen sei, um hülflose Cholerakranke aufzunehmen und zu verpflegen. Dabei ist die Thatsache zu beachten, daß Cholerakranke keinen weiten Transport vertragen. Wo Krankenanstalten vorhanden sind, können diese geräumt und zu Choleraspitälern gemacht werden, im andern Falle wäre ein einzelnstehendes Privathaus eventuell zu miethen oder auch eine hölzerne Barake herzurichten. Ebenso sind Betten und sonstiges Mobiliar eventuell zu kaufen oder zu miethen.

3. Ferner ist an jedem größern Orte oder bei sehr dicht wohnender Bevölkerung jetzt schon ein Haus in Aussicht zu nehmen, welches als Zufluchtstätte für die noch gesunden Bewohner eines Choleraherdes dienen könnte. Diese Entfernung der von einem solchen Choleraherde direkt bedrohten Einwohner hat sich überall, besonders auch in Basel und Zürich, wohl bewährt.

4. Es ist für jede Gemeinde ein Beamter oder Angestellter von genüglicher Qualifikation zu bezeichnen, der beim Herannahen wie bei dem Ausbrechen der Seuche die Desinfektion übernimmt, beziehungsweise leitet, wozu er eine besondere Anweisung erhalten wird.

5. Es ist fürzusorgen, daß beim Auftreten der Seuche für ärztliche Behandlung der Kranken und Ueberwachung der gesaramten

292 sanitären Zustände in den Gemeinden Aerzte bereit seien und sowohl ärztliche Besuche als auch Medikamente und vorbeugende Diatetica (z. B. Nahrungsmittel, Wein) bei dürftigen ohne alle Weitläufigkeiten und ohne den Makel der Armenunterstützung beschafft werden können.

6. Cholerakranke dürfen nicht Weiterreisen, noch von einem Kanton in den andern abgeschoben werden.

7. Wenn io einem benachbarten Staate die Cholera auftritt, ist in den angrenzenden Kantonen zu beginnen mit a) genauer Lebensmittelkontrole (Marktaufsicht); b) strenger Wirthschaftspolizei (der Montag hat gewöhnlich die größte Erkrankungsziffer) ; c) Desinfektion der öffentlichen Aborte, und ist d) die Einfuhr von Lumpen, ungewaschener Wolle, Baumwollenabfällen und rohen Fellen zu untersagen.

Wir haben allen Grund, Ihrer Umsicht und Energie zu vertrauen und zu erwarten, daß Sie Ihren Anordnungen Vollzug zu verschaffen wissen, sowohl durch Belehrung als durch Strafe, und ebenso sind wir der Ueberzeugung, daß die Kantone, falls es zum Kampfe gegen die drohende Invasion der Seuche kommen sollte, auch auf die ökonomische Hülfe der Eidgenossenschaft Anspruch haben.

Wir benutzen diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 9. Juli 1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: L. Rnchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend Vorkehrungen gegen die Cholera. (Vom 9. Juli 1883.)

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1883

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14.07.1883

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290-292

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