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Schweizerisches Bundesblatt.

35. Jahrgang. II.

Nr. 25.

16. Mai 1883.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrückungsgebühr per Zeile 15 Rp. -- Inserate sind franko im die Expedition einzusenden.

Druck und Expedition der Stämpflischen Buchdruckerei in Bern.

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Bericht des

schweizerischen Bundesgerichtes an die hohe Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1882.

( Vom 24. März 1883.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen mit Gegenwärtigein dea Berieht über unsere Geschäftsführung im Jahre 1882 zu erstatten.

1.

Allgemeiner Theil.

Mit Schreiben vom 21. April v. J. lud uns der Bundesrath zur Ansichtsäußerung über die mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht auf 1. Januar 1883 etwa nothwendig werdenden Abänderungen des Bundesgetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874, speziell der Art. l, 8, 11 und 20 dieses Gesetzes, ein.

Nach Prüfung dieser Frage haben wir hierauf mit Schreiben vom 15. Mai v. J. Folgendes erwidert: ,,Die berührte Frage liegt uns selbstverständlich sehr nahe, indem wir nicht daran zweifeln, daß die bedeutende Mehrarbeit, welche das Inkrafttreten des Obligationenrechtes für das Bundesgericht jedenfalls mit sich bringen wird, früher oder später eine Reorganisation dieser Behörde zur Folge haben muß. Es wird Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. II.

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namentlich, soll nicht die Geschäftserledigung selbst darunter leiden, bis zu einem gewissen Grade eine Theilung der Arbeit durch Zuweisung an verschiedene Kammern nothwendig werden. Gleichzeitig werden auch noch einige andere, mehr des Verfahren betreffende Bestimmungen des angeführten Gesetzes einer Revision zu unterwerfen sein. Wenn wir trotzdem bis jetat nicht schon von uns aus eine bezügliche Anregung gemacht und auch in unserm Geschäftsbericht pro 1881 nur auf die Mangelhaftigkeit des Art. 39 leg. cit. aufmerksam gemacht haben, so geschah dies deswegen, weil wir den Moment zur Anhandnahme einer umfassenden Reorganisation des Bundesgerichtes noch nicht für gekommen erachten.

,, Gemäß Art. 882 des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht werden nur die nach dem 1. Januar 1883 eintretenden Thatsachen nach diesem Gesetze beurtheilt; und wenn in den folgenden Artikeln auch einige Modifikationen dieses Grundsatzes festgesetzt werden und im fernem auch anzunehmen ist, daß von der Fakultät des Art. 29 des Organisationsgesetzes, wonach im Einverständnis beider Parteien auch erstinstanzliche kantonale Ilaupturtheile sofort an das Bundesgericht gezogen werden können, mehr Gebrauch gemacht werden wird, als bisher, so ist doch kaum anzunehmen, daß schon kurze Zeit nach Inkrafttreten des Obligationenrechts die Geschäftslast des Bundesgerichtes in dem Maße zunehmen werde, daß schon auf jenen Moment hin eine Reorganisation des Gerichtes angezeigt wäre. Wir glauben daher, daß mit Anhandnahme der Revision des Organisationsgesetzes betreffend die Bundesrechtspflege noch etwas zugewartet werden dürfe, um so mehr, um inzwischen, hauptsächlich bezüglich der Frage der Aenderung des Verfahrens vor Bundesgericht, noch etwelche weitere Erfahrungen auf Grundlage des gegenwärtigen Gesetzes machen zu können. Ueberdies wäre es zweckmäßig, wenn vor Berathung einer neuen Geschäftseintheilung des Bundesgerichtes mit Errichtung verschiedener Kammern durch Ihr Justizdepartement bei den kantonalen Obergerichten statistische Angaben eingeholt würden über die Anzahl der Prozesse, welche derzeit vor den kantonalen Appellationsinstanzen zur Aburtheilung kommen und wegen Natur oder Werthbetrag des Streitgegenstandes unter die Bestimmung des Art. 29 des Organisationsgesetzes (Weiterziehung an das Bundesgericht) hätten fallen können.
v Dagegen sind wir freilich auch der Meinung, daß mit dieser Reorganisation nicht gewartet werden darf, bis die Geschäftslast des Bundesgerichtes schon zu groß geworden ist und die für den Erlaß einer Gesetzesrevision nothwendige Zeit in Anschlag gebracht werden muß. Wir sind daher gerne erbötig, auf erneute Anregung

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von Ihrer Seite die gewünschte Vorprüfung und Begutachtung an Hand zu nehmen, oder solches auch von uns aus zu -thun, sobald wir uns überzeugt haben, daß eine beschleunigtere Anhandnahme wünschenswerth sei."1 Da der Bundesrath uns gegenüber auf diese Frage nicht wieder zurückgekommen ist, so glauben wir annehmen zu dürfen, daß er mit unserer Anschauung einig gehe, und wir werden nicht ermangeln, ihm zu geeigneter Zeit die in Aussicht gestellten Vorschläge zu unterbreiten.

Uebrigens ist keine Gefahr im Verzüge; denn wie die nachstehende Tabelle zeigt, hat sich im Jahre 1882 die Zahl der beim Bundesgerichte neu eingegangenen Geschäfte gegenüber den frühern Jahren ziemlich erheblich vermindert.

Neu einAus frühern Total, gegangene Geschäfte. Jahren übernommene.

1875 603 169 772 1876 447 164 611 1877 384 209 593 1878 323 207 530 1879 438 116 554 1880 480 168 648 1881 270 111 381 1882 217 76 293 Dabei ist freilich zu bemerken, daß in den Jahren 1875 (instruirt 535, erledigt 421), 1876 (instruirt 284, erledigt 230), 1879 (instruirt 163, erledigt 80) und 1880 (instruirt 340, erledigt 313) die Expropriationsgeschäfte, infolge des Baues neuer Eisenbahnlinien, sehr zahlreich eingingen, während gegenwärtig deren Zahl eine kaum nennenswerthe ist. (Im Jahre 1881 gingen noch 49 neue Expropriationsrekurse ein, im Jahre 1882 dagegen bloß 6.)

Mit Schreiben vom 29. August theilte uns der Bundesrath den Bundesbeschluß vom 30. Juni zur Begutachtung mit, wodurch er eingeladen wurde, zu prüfen und zu begutachten, ob nicht periodische Zusammenstellungen folgenden Inhaltes veranstaltet und veröffentlicht werden könnten : 1) Der in Kraft bestehenden Verträge mit ausländischen Staaten und der unter den Kantonen bestehenden Konkordate.

23 Der von der Bundesversammlung und dem Bundesrathe seit der Gültigkeit der neuen Bundesverfassung in Auslegung derselben erlassenen Beschlüsse, soweit dieselben gedruckt sind, nach Materien geordnet und unter kurzer Angabe des Inhaltes dieser Erlasse.

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3) Von Generalregistern der Entscheidungen des Bundesgerichtes (z. B. bis und mit dem Jahre 1880, von da an alle zehn oder fünf Jahre), nach Materien geordnet und unter summarischer Angabe des Gegenstandes der Entscheidung.

Durch Zuschrift vom 22. September haben wir uns über diese Fragen folgendermaßen ausgesprochen : ,,1) Was das Postulat sub l anbetrifft -- Zusammenstellung der in Kraft bestehenden Verträge mit ausländischen Staaten und der unter den Kantonen bestehenden Konkordate -- sokönnen wir dasselbe nur unterstützen.

,,Eine bezügliche offizielle Sammlung existirt nicht, und die s. Z. von Snell und Kaiser als Privatarbeiten herausgegebenen Zusammenstellungen sind zum großen Theil veraltet und unbrauchbar geworden, namentlich was die Staatsverträge mit dem Ausland anbetrifft. Es bleibt daher jeweilen nichts Anderes übrig, als dieselben mit Hülfe der Register in den verschiedenen Bänden der Gesetzessammlung aufzusuchen, soweit nicht die, jedoch nicht für das allgemeine Bedürfuiß berechneten Kollektionen aufhelfen, welche das eidg. Druckbüreau veranstaltet hat.

,,Von den Konkordaten sind zudem die wichtigsten, z. B. über Vormundschafts- und Bevogtigungsverhältnisse, Testirungsfähigkeit und Erbrechtsverhältnisse, Konkurs u. s. w. in don neuen offiziellen Gesetzessammlungen gar nicht enthalten, weil lange vor 1848 in Kraft getreten, so daß man sie in der alten Gesetzessammlung oder einer der genannten Zusammenstellungen aufsuchen muß. Einzelne derselben, wie z. B. dasjenige über Steuersammeln im Innern der Schweiz von 1803/1804, das jüngst in einem Fall zur praktischen Anwendung kam , sind fast ganz in Vergessenheit gerathen, und andere, wie z. B. das Konkordat betreffend Ausschreibung, Verfolgung, Festsetzung und Auslieferung von Verbrechern oder Beschuldigten, die diesfälligen Kosten, die Verhöre und Evokation von Zeugen in Kriminalfällen und die Restitution gestohlener Effekten, von 1809/1818. sind zum größten Theil durch die spätere Gesetzgebung derogirt worden.

,,Bei den Konkordaten ist es zudem oft sehr mühsam, herauszufinden, welche Kantone demselben noch angehören, welche zurückoder beigetreten sind, indem in dieser Beziehung ein steter Wechsel stattfindet.

,,Ebenso existirt immer noch eine Kontroverse darüber, ob der Tagsatzungsbeschluß vom 25. Heumonat 1836 über die Art und Weise des Rücktrittes eines Kantons von einem einmal eingegangenen

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Konkordate noch zu Recht bestehe oder nicht. Blumer bejaht die Frage auf 8. 116 des II. Bandes seines Bundesstaatsrechtes (erste Auflage) und ebenso Gustav Vogt in der Zeitschrift des bernischen Juristen Vereins I (1864/65), S. 217, der sich auch auf einen Vortrag des Herrn Kanzler Schieß an den Bundesrath vom 11. Mai 1857 beruft, in welchem die gleiche Ansicht vertheidigt wird ; bei Snell I S. 173 und Kaiser IV, S. 5 ist der Beschluß aus gleichem Grunde aufgenommen worden. In der Wirklichkeit wird dagegen derselbe unseres Wissens nicht beobachtet, sondern die Kantone begnügen sich mit einer einfachen Rücktrittserklärung, konform mit der Auffassung des Bundesrathes, welcher erklärt hat: ,, Die Befugniß, Staatsverträge, die sich nicht auf die Einräumung von Privatrechten beziehen, sondern nur Gegenstände des öffentlichen Rechtes reguliren, aufzukünden und einseitig davon zurückzutreten, sei bei Entwickelung des schweizerischen Staatsrechtes stetsfort ausgeübt worden."

(Ullmer I, S. 510.)

,,Aus all' diesen Gründen und da nicht nur die Staatsverträge mit dem Auslande, sondern auch die inländischen Konkordate stetsfort einen nicht unwichtigen Bestandtheil unseres geltenden Staatsrechtes bilden (Art. 2 der Uebergangsbestimmungen zur Bundesverfassung) sind wir der Meinung, daß eine solche Zusammenstellung veranlaßt werden sollte, wobei auch die Tragweite des angeführten Tagsatzungsbeschlusses festgestellt werden könnte.

,,2) Ob das gleiche Bedürfniß auch für die von der Bundesversammlung und dem Bundesrathe seit der Bundesverfassung von 1874 in Auslegung derselben erlassenen Beschlüsse vorhanden sei, müssen wir in erster Linie Ihnen zu beurtheilen überlassen, da es sich hier um Gegenstände handelt, deren Erledigung, im Gegensatz zu den unter 1) berührten, vollständig den politischen Behörden überwiesen ist. Wenn wir aber auch unsererseits ein ähnliches Vorgehen auf diesem Gebiete nur begrüßen könnten, so läge der Grund namentlich darin, daß auch das Bundesgericht in den Fall kommt, sich, wenn auch nicht als entscheidende Behörde, so doch aus Anlaß staatsrechtlicher Rekurse, über solche Materien zu informiren, wie z. B. seiner Zeit bei jenem Rekurse der katholischen öchulgenossen aus St. Gallen, der die Beschwerde wegen Aufhebung der städtischen konfessionellen Schulen in erster Linie auf die kantonale
Verfassuag stützte und daher der Kompetenz des Bundesgerichtes zuwies (B. des B. G. VI, 62). Die Quelle für solche Informationen bilden die buridesräthliehen Geschäftsberichte, welche jedoch bezüglich der Aufnahme der bundesräthlichen Entscheide immer knapper werden, sehr zum Nachtheil aller derjenigen, welche aus Beruf oder freiem Antrieb sich dort Belehrung und Aufklärung

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holen wollen. Es würde daher auch in dieser Beziehung durch eine entsprechende Zusammenstellung eine wesentliche Lücke ausgefüllt.

,,3) Was endlich das uns zunächst liegende Postulat betreffend Veröffentlichung eines Generalregisters der Entscheidungen des Bundesgerichtes anbetrifft, so haben wir uns mit diesem Gegenstand schon vor dem erwähnten Bundesbeschluß beschäftigt und die Frage an eine besondere Kommission gewiesen. Daß ein solches Generalregister nothwendig geworden, sollte die gedruckte Sammlung unserer Entscheide nicht an Werth verlieren, darüber herrschte keine Meinungsverschiedenheit. Denn die Brauchbarkeit solcher Sammlungen hängt ganz wesentlich von ausführlichen Registern, d. h. von der möglichst großen Leichtigkeit ab. ohne großen Zeitverlust und mühseliges Nachschlagen sofort zu finden, was man sucht; ihr. Werth und ihre Bedeutung steht in direktem Verhältnis zu dem der Leichtigkeit des Nachschlagens. Es werden daher fast überall bei all' solchen Sammelwerken periodische Generalregister herausgegeben -- wir verweisen auf Soufferts Archiv, die Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichtes in Leipzig u. s. w.

-- und wir können uns nur darüber freuen, daß die Bundesversammlung durch ihren Beschluß die gleiche Aufgabe für unsere Sammlung wesentlich erleichtert hat."

Die Art und Weise der Einrichtung eines solchen Registers nun aber erforderte eine gründlichere Prüfung; wir haben uns daher nicht damit begnügt, die gestellte Frage einfach mit Ja zu beantworten, sondern wir haben am Schlüsse unseres Schreibens vom 22. September 1882 unsere Ansichten und Vorschläge hierüber ausführlich und ins Einzelne eingehend auseinandergesetzt.

Mit Schreiben vom 28. Oktober hat das Obergericht des Kantons Zürich das Bundesgericht ersucht, ihm seine Ansicht über die Auslegung des Art. 885 der Uebergangsbestimmungen zum eidgenössischen Obligationenreohte, betreffend Erneuerung und Errichtung freiwilliger Pfandverschreibungen über Mobiliar ohne Besitzübertragung, mitzutheilen ; das Obergerieht setzte aus einander, daß der genannte Artikel mit Rücksieht auf die vom kantonalen Rechte nachgelassene jährliche Erneuerung solcher Pfand verschreibungen durch bezüglichen Eintrag ins Pfandbuch verschiedener Auslegung fähig sei.

Wir erwiderten auf diese Anfrage am 11. November Folgendes : ,,Dem Bundesgerichte
steht eine Befugniß zu autoritativer Interpretation bundesgesetzlicher Bestimmungen nicht zu; seine Kompetenz beschränkt sich auf die Erledigung der einzelnen seiner Cognition unterstehenden Streitfälle. Das Bundesgericht ist daher nicht in der Lage, eine, sei es für das Gericht selbst, sei es für die

951 übrigen Behörden des Bundes oder der Kaatone, verbindliche allgemeine Erklärung über Sinn und Tragweite bundesgesetzlicher Bestimmungen abzugeben. Angesichts dieser Sachlage glauben wir, daß-es nicht in unserer Stellung liege, die von Ihnen gewünschte Deklaration über die Tragweite des Art. 885 eidg. O.R. abzugeben; wir glauben hieran um so mehr festhalten zu müssen, als, abgesehen davon, daß nach dem Angeführten eine derartige Erklärung des Bundesgerichtes nichts anders sein könnte, als eine persönliche Meinungsäußerung seiner derzeitigen Mitglieder, -- es bei der großen Zahl von Zweifelsfragen, welche über das Verhältniß des eidgenössischen Obligationenrechtes zum seitherigen kantonalen Rechte entstehen können und muthmaßlich entstehen werden, prinzipiell sehr bedenklich wäre und zu im vornherein nicht zu übersehenden Konsequenzen führen könnte, wenn das Bundesgericht auf Beantwortung sachbezüglicher Anfragen kantonaler Behörden überhaupt eintreten wollte. Obschon wir daher die Wichtigkeit der von Ihnen gestellten Frage keineswegs verkennen, bedauern wir dennoch, auf deren materielle Beantwortung nicht eintreten zu können, sondern müssen Ihnen vielmehr anheimgeben, für den Fall, als Sie die erwähnte Frage für so zweifelhaft erachten sollten, daß eine selbständige Entscheidung und Regelung derselben durch die kantonalen Behörden als mit dem Interesse der Rechtssicherheit unverträglich erscheine, eine authentische Interpretation des Art. 885 bei den gesetzgebenden Behörden des Bundes, welche hiezu einzig befugt sind, nachzusuchen."1 II.

Spezieller Theil.

Die nachfolgenden statistischen Tabellen werden Ihnen, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, ein getreues Bild des Ganges der Bundesrechtspflege im Jahre 1882 geben : Staatsrechtliche Fälle..

Es gingen aus dem Jahre 1881 auf das Jahr 1882 über 26 Im Jahre 1882 gingen neu ein ...

. 143 Es waren also im Ganzen i n Behandlung .

.

. 169 Davon wurden in 91 Sitzungen erledigt .

.148 Es gehen demnach auf 1883 über .

.

.

. 21

p. ., --.,, * aue -

Fälle freiw.

Gerichts- Total.

harkeit.

50

--

76

73

l

217

123

l

293

93

--

241

30

l

52

952 A. Civilrechtliche Streitigkeiten.

Die 123 civilrechtlichen Fälle, von denen 67 durch Urtheil des Bundesgerichtes, 26 durch Beschluß (Vergleich, Rückzug oder Annahme des Urtheilsantrages des Instruktionsrichters in Expropriationsfällen) erledigt wurden und 30 auf 1882 übergehen, 123 vertheilen sich wie folgt: 5 Prozesse zwischen Bund einerseits und Kantonen oder Privaten andererseits, von denen 2 durch Urtheil, l durch Beschluß erledigt wurden, 2 sich noch in Instruktion befinden; 35 Prozesse zwischen Kantonen einerseits und Korporationen oder Privaten andererseits, von welchen 14 durch Urtheil, 3 durch Beschluß erledigt wurden und 18 auf das Jahr 1883 übergehen ; 2 Prozesse zwischen Kantonen, von denen l durch Beschluß erledigt wurde und der andere sich noch in Instruktion befindet;

3 Bürgerrechtsstreitigkeiten zwischen Gemeinden, sämmtlich durch Urtheil erledigt; 1 Heimatlosenstreitigkeit, durch Urtheil erledigt; 30 Expropriationsstreitigkeiten, von denen 7 durch Urtheil, 18 durch Beschluß erledigt wurden und 5 sicli noch in Instruktion befinden; 2 Prozesse betreffend die Anwendung des Bundesgesetzes über den Bau und Betrieh der Eisenbahnen, von denen l durch Beschluß erledigt wurde und l auf das Jahr 1883 übergeht; 2 Markenrechtsstreitigkeiten, durch Urtheil erledigt; l Weiterziehung eines kantonalen Urtheils betreffend das Eisenbahntransportgesetz, durch Urtheil erledigt; 14 Weiterziehungen mit Bezug auf das Eisenbahnhaftpflichtgesetz, von denen 13 durch Urtheil erledigt wurden, l noch anhängig ist. Von den 13 beurtheilten Fällen bezogen sich 12 auf den Betrieb, l auf den Bau; 208

953 208 üebertrag.

4 Weiterziehungen betreffend Haftpflicht aus Fabrikbetrieb, sämmtlich durch Urtheil erledigt; 18 Weiterziehungen kantonaler Urtheile in Ehesachen, von denen 16 durch Urtheil, l durch Abstand erledigt wurden und l auf das Jahr 1883 übergeht; l Weiterziehung .betreffend das Bundesgesetz über die persönliche Handlungsfähigkeit, durch Urtheil erledigt; l Weiterziehung bezüglich der Auslegung des Bundesgesetzes über Organisation der Bundesrechtspflege, die Frist zur Weiterziehung betreffend, durch Beschluß erledigt; l Prozeß, in dem das Bundesgericht als forum prorogatum angerufen wurde, noch anhängig; 3 Beschwerden betreffend civilrechtliche Materien, welche nicht in die Kompetenz des Bundesgerichtes fallen.

123

B. Staatsrechtliche Streitigkeiten.

Von den 169 staatsrechtlichen Streitigkeiten bezogen sich: 99 auf die Bundesverfassung,.und zwar: 42 auf Rechtsverweigerung oder ungleiche Behandlung (Art. 4); l ,, Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31); 8 ,, Doppelbesteuerung (Art. 46); 3 ,, Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 49); 34 ,, Gerichtsstandsfragen (Art. 58 und 59) ; l ,, Preßfreiheit (Art. 55); 3 ,, Gleichbehandlung von Schweizern aus andern Kantonen (Art. 60); 6 ,, Vollzug rechtskräftiger Urtheile (Art. 61); l ,, Kompetenz des Bundesgerichtes in Civilsachen (Art. 110); 99

23 auf Verletzung von Kantonsverfassungen; 8 ,, ,, ,, Kantons- und Bundesverfassung; 130 üebertrag.

954 130 Uebertrag.

5 auf staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kautonen; 14 ,, Verletzung von Bundesgesetzen, und zwar: 1 auf das Expropriationsgesetz; 1 ,, ,, Gesetz über Civilstand und Ehe; 3 ,, ,, Gesetz über Auslieferung von Verbrechern; 2 ,, ,, Gesetz über Bürgerrechtsverzicht ; 1 ,, ^ Gesetz über Organisation der Bundesrechtspflege; 2 ,, ,, Gesetz über persönliche Handlungsfähigkeit; 1 ,, ,, Gesetz vom 3. Februar 1860 (Volkszählung betreffend) ; l y> ^ Gesetz vom 8. Februar 1872 (polizeiliche Bestimmungen gegen Viehseuchen betreffend); l ,, ,, Gesetz vom 24. Dezember 1882 (Geschäftsbetrieb der Auswanderungsagenturen betreffend) ; 1 ,, ,, Gesetz über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen ; 14

5 auf Verletzung von Konkordaten (3 Konkurs, l Viehhauptmängel, l Konkordate vom 8. Juni 1809 und 7. Juni 1810, bestätigt am 8. und 9. Juli 1818; l ,, allgemeines internationales Recht ; 14 sind Beschwerden betreffend Anwendung von Staatsverträgen mit dem Auslande; davon betreffen: 2 den Niederlassungsvertrag mit Deutschland vom 21. Dezember 1881; l die Literarkonvention mit Deutschland vom 23. Mai 1881; l den Staatsvertrag mit dem Großherzogthum Baden vom 6. Dezember 1856; 4 den Staatsvertrag mit Frankreich vom 15. Juni 1869; l den Vertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika vom 25. November 1850; 5 sind Auslieferungsbegehren.

14 169

955 Diese letztern vertheilen sich auf Deutschland (1), Frankreich (2) und Italien (2) und betreffen : 1) Die Auslieferung des Pasquale Montanari, des Giovanni sei., von Italien verlangt, wegen Schmuggels, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Mordversuchs ; dieselbe wurde am 11. März 1882 bewilligt, jedoch nur bezüglich Mordversuchs.

2) Die Auslieferung des Isaac Curiel, italienischen Angehörigen, von Frankreich verlangt, wegen Ausgabe falscher Münzen und Theilnahme an Münzfälschung; dieselbe wurde am 3. Juli 1882 bewilligt.

3J Die Auslieferung des Bernhard Schirmeister, von Deutschland verlangt, wegen Unterschlagung; dieselbe wurde am 10. Juni bewilligt.

4) Die Auslieferung des Vincenzo de Magistris von Neapel, von Italien verlangt, wegen Betruges ; dieselbe wurde am 21. Juni bewilligt.

5) Die Auslieferung des Jean Alexis Lupiac, genannt Delage dagegen, welche von Frankreich wegen Fälschung französischer Rententitel und Ausgabe derselben verlangt worden ist, wurde am 30. September 1882 verweigert.

Von den 169 staatsrechtlichen Streitigkeiten wurden 143 durch Urtheil, 5 durch Beschluß erledigt, 21 sind noch anhängig. Von den durch Urtheil erledigten Beschwerden wurden, abgesehen von den Auslieferungsbegehren, 19 ganz oder theilweise begründet erklärt. Von diesen 10 Beschwerden betrafen: 8 die Bundesverfassung, und zwar bezogen sich 2 auf RechtsverWeigerung oder ungleiche Behandlung (Art. 4) ; l ,, Doppelbetteurung (Art. 46); l ,, Entziehung des verfassungsmäßigen Richters (Art. 58) ; 3 ,, Gerichtsstand für persönliche Ansprachen (Art. 59) ; l ,, gleiche Behandlung von Schweizerbürgern (Art. 60); ~8 5 Kantonsverfassungen ; 2 Kantonsverfassungen und Bundesverfassung; 2 Konflikte zwischen Kantonen; 2 Bundesgeseize (l das Civilstands- und Ehegesetz und l das Gesetz über Verzicht auf das Schweizerbürgerrecht) ; l die Konkurskonkordate.

~Ï9

956 Civilrechtl. Staatsrechtl. Total..

Nach Obigem wurden im Jahre 1882 Urtheile gefällt 67 143 210 Im Jahre 1881 waren gefällt worden . 72 141 213 C. Freiwillige Gerichtsbarkeit.

Aus dem Jahre 1881 wurde keia hieher gehöriges Geschäft übernommen ; im Laufe des Jahres 1882 wurde ein einziges, ein Liquidationsbegehren gegen eine Eiseubahngesellschaft, anhängig gemacht, welches noch nicht erledigt ist.

D. Strafrechtspflege.

Im Berichtsjahre war keine strafrechtliche Sache vom Bundesgerichte zu behandeln.

E. Durchschnittliche Dauer der Streitfälle.

(S. Geschäftsbericht von 1881.)

I. C i v i l r e c h t l i c h e S t r e i t i g k e i t e n .

Durchschnittl. Dauer, Monate. Tage.

a. Vom Bundesgerichte instruirt: 55 Fälle.

1) Von Abgabe der Klage auf die Post b i s z u m Urtheil .

.

.

.

11 29 2) Von Erlaß des Urtheils bis zur Zustellung desselben .

.

.

.

-- 15 b. An das Bundesgerieht weitei'gezogen nach Art. 29 des Organisationsgesetezs: 37 Fälle.

1) Von Absendung der Akten durch das kantonale Gericht bis zum Urtheil .

l 10 NB. Bin zur Vervollständigung der Akten zurückgewiesener Fall, in welchem Zeugenverhöre u. s. w. in Deutschland stattfinden mußten, beanspruchte für sich allein 20 Monate und 24 Tage; ohne denselben betrüge die mittlere Dauer dieser Streitfälle bloß 24 Tage.

2) Vom Erlaß des Urtheils bis zur Zustellung desselben .

.

.

.

-- ISVa

-

957

Ad a 1. Die lange durchschnittliche Dauer dieser Prozesse ïtn Berichtsjahre erklärt sich, abgesehen von den bereits in unserm letzten Geschäftsberichte hervorgehobenen a l l g e m e i n e n Gründen wesentlich daraus, daß im Jahre 1882 einzelne größere Sachen zur Erledigung gelangten, welche, infolge besonderer Verumständungen, eine ganz unverhältnißmäßige Zeit in Antpruch genominen hatten und welche daher das Mittel außergewöhnlich hinaufgesehraubt haben. So dauerte, um einige bestimmte Fälle zu nennen, z. B. der Prozeß zwischen der Nordostbahn und der Nationalbahn und Tößthalbahn betreffend die Kosten der Bahnhoferweiterung Winterthur, welcher schließlich durch Vergleich erledigt wurde, 56 Monate 27 Tage, also nahezu 5 Jahre, was indeß leicht erklärlich ist, wenn man erwägt, daß diese Sache seit Anhängigmachung der Klage, infolge mehrfacher Aenderungen des Bauprogrammes, infolge des Konkurses der Nationalbahn und der Erwerbung derselben durch die Nordostbahn, die verschiedensten Phasen, durchmachte, und daß infolge der langwierigen, schließlich doch erfolgreichen Vergleichsunterhandlungen zwischen den Parteien dei' Prozeß jahrelang sistirt war. So dauerte im weitern der Prozeß zwischen dem Staate {i-enf und Reynolds, Serrure und Konsorten betreffend das Vermögen aufgelöster religiöser Genossenschaften 47 Monate 27 Tage, und zwar deshalb, weil, nachdem der Prozeß bereits im Jahre 1880 spruchreif geworden und zur Schluß Verhandlung und Beurtheilung vertagt war, der Staat Genf einige Tage vor der Hauptverhandlung die Reform rucksichtlich des ganzen Verfahrens, einschließlich der Klage, erklärte, so daß das ganze Verfahren von Neuern begonnen und zum zweiten Male durchgeführt werden mußte. Aehnlich verhält es sich in einem Markenschutzprozeß, wo gleichfalls der Kläger nach durchgeführter Prozeßinstruktion die Reform erklärte, u. s. w.

Ueberhaupt wird rücksichtlich der Dauer der beim Bundesgerichte instruirten Prozesse zu erwägen sein : Sofern, -- und es kommt dies in diesen Fällen nicht selten vor, -- zwischen den Parteien im Laufe des Verfahrens Vergleichsunterhandlungen ernstlich angebahnt werden, und die Parteien mit Rücksicht, darauf Fristverlängerungen nachsuchen oder Sistirung des Prozesses verlangen, so glauben wir nicht, daß es im öffentlichen Interesse liege, dem entgegenzutreten und den
Parteien eine sofortige rechtliche Entscheidung gleichsam aufzunöthigen oder doch einen Vergleich durch Fortsetzung einer manchmal sehr kostspieligen Instruktion zu erschweren; die Rücksicht auf die abstrakte statistische Durchschnittsziffer muß gegenüber der Erwägung der wirklichen Interessen der Parteien irn konkreten Falle um so mehr zurücktreten, als es sich hier in der That mannigfach um Fragen quantitativer Natur handelt, die gewiß weit besser und richtiger durch die Parteien selbst als durch

958

den Richter gelöst werden. Anders verhält es sich freilich, wenn es sich um Fristverlängerungen handelt, welche von den Parteianwälten wegen Geschäftsüberhäufüng u. dgl., d. h. wohl hie und da aus bloßen Bequemlichkeitsrücksichten nachgesucht werden.

Allein auch hier fällt in Betracht, daß häufig derartige Fristbegehren von den Anwälten beider Parteien gemeinsam gestellt werden, so daß, mögen auch die Parteien selbst damit vielleicht nicht einverstanden sein, doch dem Bundesgerichte gegenüber ein gemeinsames Begehren beider Parteien vorliegt, dem nicht zu entsprechen jedenfalls schwierig wäre. Auch würde in manchen Fällen durch allzuschroffes Anziehen der Zügel der Zweck der Beförderung des Verfahrens gar nicht erreicht, sondern gerade das Gegentheil.

Denn die Bestimmungen der eidgenössischen Civilprozeßordnung über die Wiedereinsetzung und die Reform machen es einer mit einer Vorkehr präkludirten Partei in der That sehr leicht, Wiederherstellung gegen die Säumniß, auch gegen den Willen des Richters, zu erlangen, so daß durch Abschlag einer B'ristverlängerung häufig nur eine noch größere Verschleppung des Verfahrens herbeigeführt würde.

II. S t a a t s r e c h t l i c h e S t r e i t i g k e i t e n .

(148 Fälle.)

Durchschnittl. Dauer.

Monate.

Tage.

a. Von der Abgabe der Beschwerde auf die Post b i s z u m Urthcil .

.

.

.

b. Vom Erlaß des Urtheils bis zur Zustellung desselben

2 --

10 17

F. Konkursrechtliche Liquidationen.

L i q u i d a t i o n de r N a t i o n a l b a h n .

Am 5. März 1882 haben wir die Schlußabrechnung des Masseverwalters über die Verwendung der Liquidationskostenreserve genehmigt und demselben definitive Décharge für seine Verwaltungsführung ertheilt. Ein Rechnungssaldo von Fr. 355. 85 blieb bis zum 31. Dezember in unserer Kasse deponirt und ist seither von uns unter die Berechtigten vertheilt, d. h. zu 79 °/o der Nordostbahn, zu 21 % dem Stadtrathe von Winterthur zu Händen der vier Garantiestädte eingehändigt worden.

Der Betrag der von den Titelinhabern des 9 Millionen-Anleihens noch nicht erhobenen Konkursdividenden, welcher bei der Bank in

959 Winterthur angelegt ist, belief sieh am 31. Dezember 1882 noch auf Fr. 11,H69. 42, und zwar sind, wie die vorgenommene Prüfung ergeben hat, noch nicht vorgewiesen worden : 69 Titel von 500 Fr.,, 53 Titel von 1000 Fr. und 8 Titel von 5000 Franken zur Einlösung der Konkursdividende von 8 lk °/o ; 6 Titel von 500 Fr. und 44 Titel von 1000 Franken zur Einlösung der Konkursdividende von 0,8 °/o.

Ueberdem sind auch 18 verfallene Coupons nicht zur Erhebung des auf sie entfallenden Betreffnisses vorgewiesen worden. Die Bank in Winterthur legt uns jeweilen halbjährlich über den Bestand dieses in Art. 45 des 'Bundesgesetzes über die Verpfändung und Zwangsliquidation vorgesehenen Spezialfonds Rechnung ab.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung. L a u s a n n e , den 24. März 1883.

Namens des Bundesgerichtes, Der Präsident:

Jules Koguin.

Der Gerichtssehreiben Rott.

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Bericht des schweizerischen Bundesgerichtes an die hohe Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1882. ( Vom 24. März 1883.)

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16.05.1883

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