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Schweizerisches Bundesblatt.

35. Jahrgang, n.

Nr. 24.

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12. Mai 1883.

Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1882.

VII. Geschäftskreis des Justiz- und Polizeidepartements.

.A.. Justizverwaltung.

I. Gesetzgebung.

1. Im Artikel 893 des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht ist in Form einer Uebergangsbestimmung dem Bundesrathe der Auftrag ertheilt, über Einrichtung, Führung und Kontrolirung der H a n d e l s r e g i s t e r , über das bei den Eintragungen in dieselben zu beobachtende Verfahren, die zu entrichtenden Taxen, die Beschwerdeführung, sowie über die Einrichtung des H a n d e l s a m t s b l a t t e s eine gleichzeitig mit dem Obligationenrecht, d. h.

auf 1. Januar 1883, in Kraft tretende V e r o r d n u n g zu erlassen.

Die Vorarbeiten zu einer solchen Verordnung bildeten von Anfang des Jahres 1882 an eine Sorge unseres Justizdepartements, in dessen Geschäftskreis dieselben, vermöge des civilrechtlichen Charakters der im Anschluß an die Bestimmungen des Obligationenreehts zu ordnenden Materien, gehörten. Es lag jedoch in der Natur der Sache, daß das Handels- und Landwirthschaftsdepartement an der Vorberathung des Gegenstandes nicht unbetheiligt blieb. In der That hat sehr bald eine Zusammenwirkung der beiden Departemente in diesem Falle Platz gegriffen, die wir als eine sich gegenseitig ergänzende bezeichnen können und die sich auch nach Erlaß unserer Verordnung über die Eingangs erwähnten Materien als ein Bedürfniß herausgestellt hat.

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. II.

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826 Mit Berücksichtigung verschiedener, mehr oder weniger einläßlicher und erschöpfender Gutachten und Entwürfe aus Kreisen des Handels und der Industrie, so von Seite des Vorortes des Schweizerischen Handels- und Industrievereins, der Kaufmännischen Gesellschaft Zürich, der Handelskammer Genf und der ,,Société industrielle et commerciale du Canton de Vauda, und auf Grund zweier vollständig ausgearbeiten Entwürfe, von denen der eine im Auftrag des vorberatlienden Departements von Herrn Advokat Adolf Fick in Zürich bearbeitet, der andere von Herrn Regierungsrath und Professor Dr. Paul Speiser iu Basel aus eigener Initiative verfaßt und dem Departemente in verdankenswerther Weise zur Verfügung gestellt worden war, berieth unter der Leitung des Justizdepartements und unter Mitwirkung des Handels- und Landwirthschaftsdepartementes eine aus den Herren A. Fick, Advokat in Zürich, Charles Soldan, Kantonsrichter in Lausanne, und Dr. Paul Speiser, Regierungsrath in Basel, bestehende Expertenkommission in zweimaliger Lesung den Inhalt einer ,,Verordnung über Handelsregister und Handelsamtsblatta durch. Zwischen der ersten und der zweiten Lesung war den industriellen und kaufmännischen Kreisen Gelegenheit zu sachbezüglichen Bemerkungen gegeben worden, die von ihnen mehrfach benutzt wurde. Das Justizdepartement machte uns seine Vorlage am 22. August, und wir stellten durch Beschluß vom 29. August 1882 den Text der Verordnung-in der Weise fest, wie derselbe im Bundesblatte für 1882, III. Band, S. 589 u. ff. veröffentlicht worden ist. Wir haben darin (Art. 3) die fernere Vorberathung und Besorgung der auf die Handelsregister und das Handelsamtsblatt sich beziehenden Geschäfte dem Handelsund Landwirthschaftsdepartemente zugewiesen, weil die an der zweckmäßigen Ausführung der Verordnung, insbesondere mit Rücksicht auf das Handelsamtsblatt, vorwiegend betheiligten Interessen des Handels und der Industrie uns hiefür zu sprechen schienen.

Einen Dualismus in der Departementalleitung konnten wir nicht als zweckmäßig erachten. Auch hatte sich der Handelsstand in bezüglichen Eingaben einstimmig für das Handels- und Landwirthschaftsdepartement als leitende und kontrolirende Behörde ausgesprochen. Diese Zutheiluug hindert jedoch, wie wir bereits bemerkt haben, nicht, daß für Fragen juristischer Natur, die anläßlich der
Führung der Handelsregister sehr häufig sich aufdrängen, vom Handelsdepartemente die begutachtende Mitwirkung des Justizdepartementes in Anspruch genommen wird.= Ueber den weitern Gang der das Handelsregister und das Handelsamtsblatt betreffenden Ausführungsarbeiten erstatten wir beim Geschäftskreise des Handels- und Landwirthschaftsdepartements Bericht.

827 2. Wie wir bereits im Geschäftsberichte für das Jahr 1881 mitgetheilt haben, sind sofort nach Abschluß des gesetzgeberischen Werkes betreffend das Schweizerische Obligationenrecht die Arbeiten zu einem Bandesgesetze über S c h u l d b e t r e i b u n g und K o n k u r s wieder aufgenommen worden. Nachdem Herr Obergerichtspräsident Oberer in Liestal, von welchem die verdienstliche Anregung zu einer Vermittelung zwischen dem Systeme der Betreibung auf Pfändung und demjenigen der Betreibung auf Konkurs am Juristentage des Jahres 1881 in Zug ausgegangen war, auf Ersuchen des Departements einen auf diesem Gedanken beruhenden Entwurf ausgearbeitet hatte, wurde derselbe im Oktober 1881 in deutscher Sprache gedruckt, der Berathung einer Expertenkommission unterstellt und darauf nach deren Beschlüssen von Herrn Oberer im Texte bereinigt.

Vom 28. September bis zum 7. Oktober 1882 versammelte sich die Expertenkommission von Neuem in Bern, um den Entwurf, der inzwischen auf Veranstaltung des Departementes ins Französische übersetzt und in beiden Sprachen gedruckt worden war, einer zweiten Berathung zu unterwerfen.

Die Mehrheit der Kommission entschied sich dahin, das von Herrn Oberer am Juristentage in Zug empfohlene System der Betreibung auf einzelne Vermögensstücke (Saisie) für pfand versicherte und fürnichtpfandversicherte Forderungen bis auf Fr. 100 und derBetreibung auf das ganze Vermögen (Allgemeine Beschlagnahme, Saisie générale) mit der Möglichkeit des Konkurses (Faillite) für alle nicht pfandversicherten, den Betrag von Fr. 100 übersteigenden Forderungen beizubehalten. Das Justizdepartement sah sich aus diesem Grunde veranlaßt, sämmtliche Kantonsregierungen durch Kreisschreiben vom 9. Oktober 1882 um statistische Angaben über die im Zeitraum der letzten drei Jahre ergangenen Schuldbetreibungen, mit Ausscheidung derjenigen für Beträge bis auf Fr. 100 von denjenigen für höhere Summen, zu ersuchen, um sich über die Zahl der Betreibungen, welche nach dem einen und dem andern Verfahren zu erledigen sein würden, in annähernder Weise zu orientiren. Der Eingang der Antworten hat sich zum Theil bis in das Jahr 1883 hinein verzögert.

Dem Schuldbetreibungsverfahren als Erstem Theil werden die Vorschriften über Konkurs als Zweiter Theil des zu erlassenden Bundesgesetzes folgen. Für letzteres bestehen
bekanntlich bereits Entwürfe aus den Jahren 1874 und 1875, von Professor A. Heusler in Basel und einer vorberathenden Kommission (Mehrheit und Minderheit) redigirt.

Der weitere Verfolg der für die schweizerischen Kreditverhältnisse hochwichtigen gesetzgeberischen Angelegenheit fällt ins

828 Jahr 1883.

Gerne wollen wir aber hier noch der verdienstlichen Bethätigung des Schweizerischen Juristenvereins auf dem Gebiete des Betreibungs- und Konkursrechtes gedenken. In der Jahresversammlung des Vereines vom 18. September 1882 zu Altdorf wurden nach Anhörung eines Referates des Herrn Professor Dr.

Andreas Heusler die Fragen der Konkursprivilegien uiid der Stellung des Weibergutes im Konkurse des Ehemannes in einer sehr eingehenden und lehrreichen Diskussion behandelt, die auch für den schweizerischen Gesetzgeber fruchtbar sein wird.

3. Auf das im letztjährigen Geschäftsberichte erwähnte Kreisschreiben des Justiz- und Polizeidepartements vom 17. August 1881, betreffend die Wünschbarkeit des Erlasses eines Spezialgesetzes über die G e w ä h r l e i s t u n g b e i m V i e h h a n d e l haben bloß 13 Kantone beziehungsweise Halbkantone, nämlich Zürich, Obwalden, Zug, Solothurn, Baselstadt, Baselland, Schaffhausen, beide Appenzell, St. Gallen, Aargau, Thurgau und Tessin in bejahendem Sinne geantwortet ; 7 Kantone, nämlich : Uri, Schwyz, Nidwaiden, Graubünden, Wallis, Neuenburg und Genf sind einer bundesgesetàlichen Regulirung der Materien entschieden abgeneigt; die 5 Kantone Bern, Luzern, Glarus, Freiburg und Waadt wollen zur Zeit von einem Bundesgesetze absehen und vorerst auf diesem Gebiete Erfahrungen sammeln. Es ist von Interesse, daß nach einer statistischen Zusammenstellung die Kantone, welche entweder gegen eine Spezialgesetzgebung oder für das Zuwarten in dieser Beziehung sich ausgesprochen haben, beiläufig 3/4 des G-esammtpferdebestandes, über 9k des Rindvieh-, über 2/a des Schweine-, 5/s des Schaf-, und nahezu 8k des Ziegenbestandes unseres Landes nach der am 2l. April 1876 vorgenommenen Viehzählung besitzen.

Die Gesellschaft schweizerischer Thierärzte hinwieder hat in ihrer Versammlung vom 5. Oktober 1881 in Luzeru mit einer Stimmenmehrheit von zwei Dritteln sich grundsätzlich für den Erlaß eines eidgenössischen Viehwährschaftsgesetzes erklärt.

Es geschah mit voller Zustimmung des Vorstandes1 unseres Justiz- und Polizeidepartements, als der schweizerische Nationalrath am 17. Juni 1882 die Motion des Herrn B r o s i erheblich erklärte und uns zum Berichte überwies, zufolge welcher der Bundesrath eingeladen wurde, in Ausführung des Art. 890 des Schweiz. Obligationenrechts der
Bundesversammlung einen Entwurf zu einem Bundesgesetze über die Währschaftspflieht beim Viehhandel vorzulegen.

Ueber den Sinn und die Tragweite dieses Artikels scheinen da und dort sehr irrige Vorstellungen zu walten. Nach demselben gelten beim Handel mit Vieh hinsichtlich der Gewährleistung wegen Mängel

829 des Kaufgegenstandes die Vorschriften der kantonalen Gesetzgebungen, beziehungsweise des Konkordates über Bestimmung und Gewähr der Viehhauptmängel, bis zu dem Zeitpunkte, ,,wo hierüber ein eidgenössisches Gesetz erlassen sein wird. a Die von einigen Kantonsregierungen ausgesprochene Ansicht, daß man sich mit den Bestimmungen des Obligationenrechts über Kauf und Tausch behelfen wolle, kann sich demnach nur dort praktisch erproben, wo weder das Konkordat noch bezügliche kantonale Spezialgesetze bestehen. Ob die Erfahrungen gute sein werden, läßt sich irn Hinblick auf die Art. 246, 257 und 258 des Obligationenrechts, die auf die Eigenart des Viehhandels keine Rücksicht nehmen, füglich bezweifeln.

Nachdem im Laufe des Berichtsjahres die Kantone Bern, Freiburg, Solothurn, Waadt, Wallis und Neuenburg vom K o n k o r d a t e über Bestimmung und Gewähr der Viehhauptmängel vom 5. August 1852 (Amtl. Samml. IV, 210) zurückgetreten sind (Bundesblatt 1882, I, 20; II, 894, 984; III, 179 und 525; Amtl.

Samml. n. F. VI, 190, 205, 211, 303), besteht dieses Konkordat gegenwärtig noch unter den Kantonen Zürich, Schwyz, Zug, Basel (Stadt und Landschaft), Appenzell (Außer- und Inner-Rhoden), 8t. Gallen, Aargau und Thurgau.

Die andern Kantone, mit Ausnahme von Solothurn, haben mehr oder weniger eingehende, ältere oder neuere, in letzterm Falle an die Stelle des von ihnen gekündeten Konkordates getretene Spezialgesetze über diese Materie.

Einheit der Rechtsbestimmungen besteht also diesfalls in der Eidgenossenschaft keineswegs. Um diesem, nach seiner Ansicht wenig vorteilhaften, Zustande möglichst rasch ein Ende zu machen, förderte das Justiz- und Polizeidepartement die Vorarbeiten zu einem Gesetzentwürfe 'derart, daß nach Anhörung des Gutachtens einer Fachkommission die Départemental vorläge an den Buadesrath am 10. November erfolgen konnte.

Wir haben jedoch am 28. November beschlossen, die Vorlage den gesetzgebenden Käthen erst im Jahre 1883 einzubringen, und das Justizdepartement ermächtigt, inzwischen den Entwurf den Kantonsregierungen zur Einsicht mitzutheilen.

Schon vor dieser Mittheilung, am 30. November, erklärte der Große Rath des Kantons Bern einstimmig einen Anzug erheblieh, der die Regierung beauftragte, sich dafür zu verwenden, daß kein Bundesgesetz über Gewähr der Viehhauptmängel erlassen,
sondern damit zugewartet werde, um über das vom Kanton Bern an der Stelle des Konkordates adoptirte System der freien Konvention der Parteien längere Zeit hindurch Erfahrungen sammeln zu können.

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Auf die Mittheilung des Gesetzentwurfes durch das Justiz- und Polizeidepartemeut haben sich nur sehr wenige (5) Kantone bis jetzt vernehmen lassen, darunter einer (Uri), der an der Ansicht festhält, die im Obligationenrecht enthaltenen Bestimmungen lassen den Erlaß eines Spezialgesetzes als überflüssig erscheinen, ein anderer (Solothum), der, von seiner früher geäußerten Meinung zurückkommend, ein solches Gesetz für kein Bedürfniß und als nicht im Interesse unseres Bauernstandes liegend ansieht, indem es den Betrügereien eher Vorschub leiste, als denselben entgegentrete.

Hinwieder begrüßt Thurgau den Entwurf als einen entschiedenen Fortschritt gegenüber dem Konkordat. Am kräftigsten werden die Stimmen g e g e n ein Spezial-Bundesgesetz in den landwirthsehaftlichen Kreisen laut, sowohl in der deutschen als in der romanischen Schweiz, aus welch' letzterer der Verband der landwirthschaftlichen Vereine unserm Justizdepartement gegenüber zu der Kundgebung sich veranlaßt sah, ,,daß in der romanischen Schweiz unter den Landwirthen und vorab unter den Viehzüchtern nur Eine Stimme herrsche, um zu verlangen, daß k e i n Gesetz über Viehwährschaft erlassen werde.tt Angesichts dieser in den zunächst betheiligten Kreisen hervortretenden Stimmung hält der Bundesrath sich für berechtigt, einen sachbezüglichen Entwurf einstweilen zurückzulegen, obsehon er seine Bedenken gegen die Zulänglichkeit und Zweckmäßigkeit des Konventionssystems, mit oder ohne Schriftlichkeit, nicht unterdrücken kann und es für möglich hält, ein die Fehler des Konkordates vermeidendes und dem Lande zum Wohle gereichendes Gesetz herzustellen.

4. Veranlaßt durch eine Petition des romanischen Vereins in Bern haben die gesetzgebenden Räthe durch Beschluß vom 23./30. Januar 1882 den Bundesrath eingeladen, die in Art. 46 der Bundesverfassung vorgesehenen Gesetzentwürfe über die c i v i l r e c h t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e d e i N i e d e r g e l a s s e n e n und die D o p p e l b e s t e u e r u n g vorzulegen.

Entsprechend dem Wortlaut dieser Einladung gedenkt der Bundesrath die beiden Materien in zwei besondern Vorlugen zu behandeln. Doch glaubt er aus praktischen Gründen dem Gesetze wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung die Priorität einräumen zu sollen, da demselben sowohl in den Kammern als im Volke eher eine günstige Aufnahme
und Aussicht auf endliche Annahme vorausgesagt werden darf, als der gesetzlichen Regelung der civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter, bei welchen der Natur der Sache nach viel mehr gegensätzliche

831 Anschauungen sich gegenüberstehen. Das Schicksal, das nach drei Jahre währenden Berathungen im Schöße der Räthe die bundesräthliche Vorlage über die letztgenannte Materie durch die Generalabstimmung des Nationalrathes vom 9. Dezember 1879 betroffen hat, ist noch in Jedermanns Erinnerung.

Unser Justizdepartement hat denn auch, von diesem Gedanken geleitet,' uns unterm 16. November 1882 den Entwurf zu einem B u n d e s g e s e t z e ü b e r D o p p e l b e s t e u e r u n g unterbreitet.

Durch einen solchen soll sowohl Ihrer Eingangs erwähnten Einladung an uns entsprochen werden, als auch eine uns am 26./27. Jnni 1882 von den hohen Käthen übermittelte P e t i t i o n von Tessinern in Mailand gegen D o p p e l b e s t e u e r u n g , d. d. 15. Mai 1882, geeignete Berücksichtigung finden.

Wir haben die Detailberathung des Gesetzentwurfes in das Jahr 1883 verschoben, um den gegen Ende des Berichtjahres im Druck erschienenen, vom s c h w e i z e r i s c h e n J u r i s t e n v e r e i n gekrönten Preisschriften über das Thema der Doppelbesteuerung, welche die Herren Oberriehter Dr. E. Zürcher in Zürich und Fürsprecher Dr. Fr. Schreiber in Arth zu Verfassern haben, sowie auch der vom Juristen verein mit einer Ehrenerwähnung bedachten, dasselbe Thema behandelnden Schrift des Herrn Advokat Berthold van Muyden in Lausanne dabei die gebührende Aufmerksamkeit zuwenden zu können.

Die Vorlage wird den gesetzgebenden Käthen wohl noch im Laufe des Jahres 1883 zugehen können.

5. Einer vom Nationalrathe am 24. Januar 1882 einmüthig erheblieh erklärten Motion der Herren Nationalrathe Burckhardt, Vonmatt, Deucher, Vessaz und Marinier vom 16. Dezember 1881 Folge gebend, haben wir Ihnen mit Botschaft vom 2. Juni 1882 einen neuen Entwurf zu einem Bundesgesetze über die p o l i t i s c h e n R e c h t e der S c h w e i z e r b ü r g e r vorgelegt. (Bundesbl. 1882,

ni, i ff.)

Die zur Vorberathung des Gegenstandes niedergesetzte Kommission des Nationalrathes, welchem die Erstbehandlung desselben zugewiesen wurde, hat in zweimaliger Lesung (August und November) den Entwurf durchberathen. Die von ihr vorgeschlagenen Abänderungen an dem bundesräthlichen Entwurfe beziehen sich im Wesentlichen auf zwei Punkte, von denen der eine untergeordneter Natur ist, der andere dagegen bedeutend in's Gewicht fällt. Einmal nämlich will die Kommission die Fälle, in welchen die Einholung einer Niederlassungsbewilligung obligatorisch sein soll,

832 im Gesetze aufgezählt wissen ; zweitens aber stellt sie es der Kantonalgesetzgebung frei, Bestimmungen über den Entzug der politischen Rechte in Gemeindeangelegenheiten zu erlassen, immerhin unter dem Vorbehalt, daß die Niedergelassenen und Aufenthalter aus anderen Kantonen denjenigen des eigenen Kantons gleichzuhalten sind.

Der Nationalrath hat sich im Berichtjahre mit der Vorlage noch nicht beschäftigt. Es scheint die Ansicht, daß dem im Stadium der Deparlementalvorberathung liegende Bundesgesetze über die e i d g e n ö s s i s c h e n W a h l e n und A b s t i m m u n g e n die Priorität einzuräumen sei, in den Kreisen der eidgenössischen Räthe mehr und mehr Unterstützung zu finden. Das zu erlassende Wahl- und Abstimmungsgesetz würde nach dieser Ansicht eine Zusammenfassung des in den Bundesgesetzen vom 19. Juli 1872, betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen, und vom 17. Juni 1874, betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse (Amtl. Samml. X, 915; XI, 275; Amt!. Samml. n. F. I, 116) enthaltenen Stoffes sein und neben den Vorschriften formaler Natur über das Wahl- und Abstimmungsverfahren etc. materiell das Stimmrecht der Bürger in eidgenössischen Angelegenheiten ordnen.

6. Der Gesetzentwurf betreffend die Re v i s i o n des Bundess t r a fr e c h t e s vom 4. F e b r u a r 1853, weicherden Gegenstand unserer Botschaft vom 13. Januar 1882 (Bundesbl. 1882, I, 117) bildet, ist nur vom Ständerathe behandelt und am 20. Dezember 1882 angenommen worden, jedoch mit der Beschränkung, daß die neue Bestimmung nur auf V e r b r e c h e n und nicht auf bloße V e r g e h e n anwendbar sein solle. Die Kommissionsberichte sind gedruckt im Bundesbl. 1882, IV, 640 und 1883, I, 33.

7. Das bei Anlaß der Prüfung des Geschäftsberichtes pro 1881 von den eidgenössischen Käthen angenommene Postulat, wonach über die Frage Bericht erstattet werden soll, ob nicht die nöthigen M a ß n a h m e n z u t f e f f e n s e i e n , u m d i e K o n s u m e n t e n vor gefälschten öder gesundheitsschädl i c h e n G e t r ä n k e n & u s c h ü t z e n (Amtl. Samml. n. F.

VI, 267), ist den Departementen der Justiz und Polizei und des Innern zugewiesen worden, in Betracht, daß das Postulat in Bezug auf die Fälschung das Justizwesen und in Bezug auf die Schädlichkeit der Getränke das Sanitätswesen
betreffe. Diese beiden Departemente haben die ihnen zugewiesenen Fragen in ablehnendem Sinne beantwortet, der definitive Berieht an die Bundesversammlung wird jedoch erst erfolgen, nachdem auch noch die Frage begutachtet

83a ist, ob auf dem Wege der Zollgesetzgebung, Zollkontrole, intervenivi werden könne.

beziehungsweise der

8. Der Nationalrath hat am 28. April 1882 eine Motion des Herrn Klein in folgender Redaktion an uns überwiesen : ,,Der Bundesrath ist eingeladen, der Bundesversammlung Bericht und Anträge vorzulegen über die A u s d e h n u n g d e s .

H a f t p f l i c h t g e s e t z e s vom 25. Juni 1881 (Amtl. Samml.

n. F. V, 562) auf solche Gewerbe, welche dem Gesetze über die Arbeit in den Fabriken vom 23.

März 1877 (Amtl. Samml. n. F.

HI, 2413 nicht unterstellt sind.'1 Obschon der Gedanke, welcher dieser Motion zu Grunde liegt, unsere volle Sympathie genießt, glaubten wir doch von dieser neuen gesetzgeberischen Arbeit einstweilen absehen zu sollen. Die Haltung des Volkes gegenüber andern Gesetzen im Jahr 1882 hat uns dießfalls nicht ermuthigt. Indeß ist die Motion Klein nicht aus den Augen verloren und wir werden nicht ermangeln, sie ohne Zögerung einer nähern Prüfung zu unterstellen.

9. Das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht auf 1. Januar 1883 veranlaßte uns, das Bundesgericht rechtzeitig auf die wahrscheinlich eintretende Vermehrung seiner Geschäfte aufmerksam zu machen und die Prüfung der Frage anzuregen, ob nicht eine R e v i s i o n des B u n d e s g e s e t z e s ü b e r die O r g a n i s a t i o n der B u n d e s ree h t s p f l e g e vom 27. Juni 1874 und zwar namentlich derjenigen Artikel, welche auf die Organisation des Bundesgerichtes sich beziehen, eingeleitet werden sollte. Das Bundesgericht hat den Inhalt seiner Antwort in seinem Geschäftsberichte mitgetheilt und gleichzeitig ergänzend nachgewiesen, daß die erwähnte Revision einstweilen noch ohne Bedenken verschoben werden könne. Für das Nähere verweisen wir auf den Bericht des Bundesgerichtes.

II. Gewährleistimg von Kanton s Verfassungen.

1 . I m K a n t o n N e u e n b u r g i s t eine R e v i s i o n d e r A r t . 33, 38 und 42 d e r V e r f a s s u n g durchgeführt worden.

Wir haben darüber am 14. April 1882 Bericht erstattet und erinnern hier blos daran, daß mit-dieser Revision die Volksinitiative im Kauton Neuenburg eingeführt wurde und daß in Folge derselben die Bestimmung außer Kraft trat, wonach die Steuerpflichtigen, welche mit der Bezahlung der Staatssteuer mehr als ein Jahr im Rückstände waren, ihr Stimmrecht verloren haben.

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Die neuen Artikel erhielten am 25. April 1882 die eidgenössische Gewährleistung (Bundesbl. 1882, II, 352 und Amtl. Samml. n. F.

VI, 158 2. Auch im K a n t o n L u z e r n hat eine t h e i l w e i s e A b ä n d e r u n g d e r V e r f a s s u n g stattgefunden, worüber wir am 9. Dezember 188'2 Bericht erstattet haben. Es ist damit die Wiedereinführung der Todesstrafe beschlossen und das fakultative Referendum auch über einen bloßen Beschluß des Großen Rathes, sowie die Verlegung des ordentlichen Sitzes der Kantonsbehörden an einen andern Ort als die Stadt Luzern ermöglicht worden. Die eidgenössische Gewährleistung ist, den neuen Artikeln am 19. Dezember 1882 ertheilt worden (Bundesbl. 1882, IV, 566 und Amtl. Samml., n. F., VI, 624).

III. Konkordate.

1. In Betreff des Konkordates über die V i e h h a u p t m ä n g e l berichten wir unter der Rubrik ,,Gesetzgebung" bei Besprechung der Vorberathung eines sachbezüglichen Bundesgesetzes.

2. Von dem K o n k o r d a t e ü b e r T e s t i r u n g s f ä h i g k e i t und E r b r e c h t s v e r h ä l t n i s s e vom 15. Juli 1822 (Alte offizielle Samml. II, 36) ist der Kanton Appenzell A.-Rh.

zurückgetreten (Amtl. Samml. n. P VI, 147). Diesem Konkordate gehören noch an die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden, Solothurn, Sehaffhausen, Appeazell I.-Rh., Aargau und Tessin.

IV. Verhältnisse zu auswärtigen Staaten, a. Verträge und Konventionen.

1. In verschiedenen frühern Geschäftsberichten ist der Schwierigkeiten erwähnt worden, welche bei der praktischen A n w e n d u n g v o n A r t . 7 d e s Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und D e u t s c h l a n d , vom 27. April 1876 (Amtl. Samml. n. F. II, 567), zu Tage traten. Die hieraus entsprungenen zahlreichen und weitläufigen Korrespondenzen, die nur zu oft durch einen animirten Tou sich charakterisirten, erforderten nothwendig eine prinzipielle Verständigung. Nach langen Verhandlungen wurde ein gegenseitig verbindliches Reglement vereinbart und am 21. Dezember 1881 unter dem Titel ,,Zusatzprotokoll" zu dem erwähnten Niederlassungsvertrage von den

835 beiclseitigen Delegirten in Berlin unterzeichnet. In Folge dessen sind in beiden Staaten diejenigen Amtsstellen bezeichnet worden, welche berufen sind, über die Frage der Staatsangehörigkeit eine Entscheidung und ausländischen Behörden gegenüber eine Anerkenntniß abzugeben. Es dürfte damit die Quelle vieler Mißverständnisse beseitigt sein, indem nun jede Lokalbehörde mit Hülfe eines geographischen Lexikons leicht, ermitteln kann , an welche Behörde sie sich wenden m u ß , um eine sachgemäße, nicht bloß ausweichende Antwort zu erhalten. Dieses Zusatzprotokoll ist mit einem erläuternden Kreisschreiben vom 13. Juli 1882 den Kantonen zur Vollziehung mitgetheilt worden. (Amt). Samml. n. F. VI, 273; Bundesblatt 1882, III, 457 und 463.)

2. Dagegen scheinen die Verhandlungen mit D e u t s c h l a n d über einen Vertrag betreffend gegenseitige Rechtshülfe in civil rechtlichen Verhältnissen keinen Erfolg haben zu sollen. Nachdem schon 1873 der Abschluß einer bezüglichen Uebereinkunft auf beschränkter Basis angeregt worden war, blieb die Sache liegen bis 1878. In diesem Jahre wurde von Seite des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches die Bereitwilligkeit ausgesprochen, in allen Fragen, die den internationalen Rechtsverkehr zwischen der Schweiz und Deutschland zu erleichtern geeignet wären, Hand zu bieten, in der Hoffnung, daß bei näherer Prüfung der einzelnen Materien eine Formel zu finden sein dürfte, welche den Abschluß eines solchen Vertrages möglich machen könnte. Damals dachte man sich, daß die Hauptschwierigkeiten in der Verschiedenheit der schweizerischen Gesetzgebungen liegen dürften. Gleichwohl wurde hierorts eine Uebereinkunft betreffend Gerichtsstand in Civilsachen und speziell auch für Scheidungsklagen von Niedergelassenen, Anerkennung und Vollziehung diesfälliger Urtheile, Armenrecht und Einheit des Konkurses in Aussicht genommen. Dieses Programm fand im Frühjahr 1879 auch bei dem Auswärtigen Amte des Deutschen Reiches günstige Aufnahme. Allein bald nachher wurde der Einschränkung auf eine besondere Uebereinkunft betreffend den Gerichtsstand in Ehesachen der Vorzug gegeben und angedeutet, daß der Abschluß eines allgemeinen Vertrages bei einzelnen deutschen Staatsregieruugen auf Widerstand stoße. Wir erklärten uns daher im September 1881 bereit, auch auf gesonderte Unterhandlungen über die
Fragen in Ehescheidungssachen einzutreten. Allein im März 1882 wurden wieder Bedenken gegen den Abschluß eines Separatabkommens betreffend die Vollziehung der Scheidungsurtheile entgegengehalten und der Einschluß dieser Frage in einen allgemeinen Vertrag befürwortet.

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In diesem Stadium folgte das Postulat der Bundesversammlung vom 30. Juni 1882, dahin lautend: .,,Der Bundesrath wird eingeladen , den Abschluß eines Vertrages mit dem Deutschen Reiche betreffend gegenseitige Anerkennung der Civilurtheile, eventuell wenigstens der Scheidungsurtheile, möglichst zu fördern.tt (Amtliche Sammlung n. F. VI, 267, 7.)

Nachdem wir aus der bisherigen Art der Behandlung der ganzen Angelegenheit die Ueberzeugung gewonnen hatten, daß die Fortsetzung der Verhandlungen auf dorn Korrespondenzwege einer raschen und richtigen Lösung der obschvvehenden Fragen nicht förderlich sein könne, und daß vielmehr die Anordnung von Konferenzen von beidseitigen Bevollmächtigten, welche alle Punkte zu prüfen und eventuell ein förmliches Vertragsprojekt, in engerem oder weiterem Umfange, unter Ratifikationsvorbehalt aufzustellen hätten, sich empfehlen dürfte, ließen wir im August 1882 diesen Vorschlag in offizieller Weise dem deutschen Reichskanzleramte unterbreiten. Allein es erfolgte im Oktober eine Antwort, die uns für den Moment keine Hoffnung läßt auf ein günstiges Resultat durch fernere Unterhandlungen.

Hienach ist nämlich die kaiserliehe Regierung durch weitere Erörterungen des Gegenstandes zu dem Ergebnisse gelangt, daß es rathsam erscheine, von den Verhandlungen über einen die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung der Urtheile in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten allgemein regelnden Vertrag zur Zeit abzusehen.

Dagegen würde es ihr erwünscht sein , wenn der Versuch fortgesetzt würde, zwischen der Schweiz und Deutschland zu einer Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung der in Ehestreitigkeiten ergehenden Urtheile zu gelangen. Jedoch würde Werth darauf gelegt, daß bei der neuen Redaktion des Vertrags außer Zweifel gestellt würde, daß derselbe ausschließlich auf die Entscheidungen in Bhestreitigkeiten im Sinne der deutschen Prozeßgesetzgebung sich beschränke. Es würde mithin eine Anerkennung der Urtheile n u r i n s o w e i t zugesichert, als dieselben die Trennung, Ungültigkeit oder Nichtigkeit einer Ehe zum Gegenstande haben. Dadurch würden diejenigen Theile der schweizerischen Scheidungsurtheile, durch welche gemäß Art. 49, Absatz 2 unseres Gesetzes vom 24. Dezember 1874 über die weitern Folgen der Ehescheidung, namentlich die Vermögensverhältnisse der Eheleute, entschieden
wird, der Wirkung des Vertrages entzogen.

Wir haben nicht geglaubt, auf diese Anschauungsweise eintreten zu sollen. Die Schweiz hat kein Interesse an einem solchen Vertrage, weil die im Auslande wohnenden Schweizer ihre Eheseheidungsstreitigkeiten von den schweizerischen Gerichten ent-

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scheiden lassen können. Wenn die bei uns wohnenden Deutschen nicht in der gleichen Lage sind, wenn sie keinen Richter finden können, so liegt der Grund nicht in der schweizerischen, sondern in der deutschen Gesetzgebung, welche den im Auslande wohnenden Deutschen den Gerichtsstand für die Ehescheidungsklagen im Inlande versagt, während sie, da kein Staatsvertrag besteht, nicht einmal von der durch Art. 56 des schweizerischen Gesetzes über Civilstand und Ehe eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen können, nämlich den Gerichtsstand in der Schweiz sich zu sichern -durch den Nachweis, daß das schweizerische Urtheil in ihrem Heimatstaate anerkannt werde. Für die Schweizer, welche im Auslande wohnen, ist dagegen durch Art. 43 des Bundesgesetzes hinreichend vorgesorgt.

Unter diesen Umständen könnte ein Vertrag nur den D e u t s c h e n von Vortheil sein, während das Interesse der S c h w e i z e r ein durchaus untergeordnetes ist. Es kann aber nicht unsere Aufgabe sein, die Interessen der Erstem noch mehr zu fördern, als wir es gethan haben.

3. Mit Italien ist am 8. November 1882 eine U e b e r e i n kunft betreffend die gegenseitige Bewilligung d e s Ar menrechtes im P r o z e ß v e r f a h r e n abgeschlossen und mit Botschaft vom 21. November 1882 der Bundesversammlung zur Ratifikation vorgelegt worden. (Bundesblatt 1882, IV, 439.) Sie hat jedoch erst am 2. April 1883 die Ratifikation der Bundesversammlung erhalten.

4. In Ausführung der in Art. 3 des V e r t r a g e s z w i s c h e n d e r S c h w e i z u n d I t a l i e n v o m 2 3 . Dezember 1873 (Amt!. Samml. IV, 478), betreffend die V er b i n d un g d e r G o t t h a r d b a h n mit den italienischen Bahnen bei C h i a s s o u n d P i n o , niedergelegten Bestimmungen i s t a m 16. Februar 1881 eine Uebereinkunft ü b e r den Polizeidienst in den internationalen Stationen C h i a s s o und L u i n o abgeschlossen worden. (Amtl. Sammlung n. F. V , 577.) Bei Anlaß der Auswechslung der Ratifikationen am 20. September 1881 ist gemäß Art. 11, Lemma 2 vereinbart worden, daß diese letztere Uebereinkunft mit dem 1. August 1882 in Kraft treten solle. Wir haben rechtzeitig auf dem Korrespondenzwege Unterhandlungen mit der italienischen Regierung eröffnet behufs Feststellung der in Art. 6 vorgesehenen Formulare der Verhaftsbefehle, allein es hat bis jetzt eine Vereinbarung nicht erzielt werden können.

838 5. Auf Antrag der belgischen Regierung ist am 11. September 1882 eine A b ä n d e r u n g der Artikel 3 und 9 des A u s l i e ferungsvertrages zwischen der Schweiz und Belgien vom 13. Mai 1874 vereinbart worden, in dem Sinne, daß künftig ein ausgeliefertes Individuum unter gewissen Voraussetzungen, die seine Zustimmung präsumiren lassen, auch für andere strafbare Handlungen , die es vor der Auslieferung in dem Staate, an den es ausgeliefert wurde, oder in einem dritten Staate verübt hat, in Untersuchung gezogen und beurtheilt oder an diesen dritten Staat ausgeliefert werden kann. Die nähere Begründung ist in unserer Botschaft vom 1. Dezember 1882 enthalten. (Bundesblatt 1882, IV, 480.)

Nachdem die Bundesversammlung diesem Zusatzvertrage am 16. Dezember 1882 ihre Ratifikation ertheilt hatte, ist derselbe am 29. Dezember 1882 zwischen den beidseitigen Bevollmächtigten ausgewechselt und mit Kreisschreiben vom gleichen Tage den Kantonen mitgétheilt worden behufs dessen Vollziehung vom 16. Jauuar 1883 hinweg. (Amtl. Samml. n. P. VI, 617.)

6. Im letzten Geschäftsberichte hat noch die Notiz mitgétheilt werden können, daß am 23. Februar 1882 der n e u e N i e d e r l a s s u n g s v e r t r a g m i t F r a n k r e i c h unterzeichnet worden sei. Diejenigen Punkte, wodurch dieser Vertrag sich von seinem Vorgänger vom 30. Juni 1864 unterscheidet, sind in unserer Botschaft vom 31. März 1882 hervorgehoben. Nachdem der neue Vertrag von beiden Seiten die Ratifikation erhalten , ist derselbe am 12. Mai 1882 zu Paris ausgewechselt worden und gemäß Art. 8 mit dem 16. Mai 1882 in Kraft getreten. Die bezüglichen Schriftstücke sind gedruckt im Bundesblatt 1882, I, 693; II, 493 u. 515 ; III, 33; Amtl. Samml. n. F. VI, 395.

7. Wir täuschten uns nicht mit der im letzten Geschäftsbericht ausgesprochenen Erwartung, daß die französische Regierung unsern Antrag auf Abschluß einer Uebereinkunft b e t r e f f e n d unentgeltliche Verpflegung der Geisteskranken u n d v e r l a s s e n e n K i n d e r annehmen werde. Nach kurzen Verhandlungen ist am 27. September 1882 die bezügliche Uebereinkunft zu Paris unterzeichnet worden. Sie ist analog mit der Vereinbarung über die gleiche Angelegenheit mit Italien vom 6. und 15. Oktober 1875 und harmonirt mit den bezüglichen Vorschriften in den Niederlassungsverträgen mit Deutschland
und OesterreichUngarn, so daß nun mit allen Nachbarstaaten nach den gleichen Grundsätzen verfahren wird. Die Botschaft vom 11. Dezember 1882, ist gedruckt im Bundesblatt 1882, IV, 573.

83a 8. Ferner ist der Abschluß von Auslieferungsverträgen mit.

der Argentinischen R e p u b l i k , S p a n i e n , R u m ä -

n i e n und M o n a c o eingeleitet, ohne daß jedoch die förmlichen Unterhandlungen hätten eröffnet werden können.

b. Spezielle Fälle internationaler Natur.

9. In den Monaten März und Mai des Jahres 1881 wandten sich die schweizerischen Gesandtschaften in Paris und Berlin auf' Ersuchen der dortigen kaiserlich türkischen Botschafter an uns,, um durch unsere Vermittelung die Polizei des Kantons G e n f auf das Treiben von in Genf lebenden angeblichen F a l s c h m ü n z e r n aufmerksam zu machen. Die Angaben, soweit sie hierorts von Belang sind, gingen dahin, daß die Betreffenden t ü r k i s c h e und e g y p t i s c h e G o l d - u n d S i l b e r m ü n z e n nachmachen, und sie, sei es direkt, sei es indirekt, in den Verkehr bringen.

Wir veranlaßten die Genfer Behörde, eine bezügliche Strafuntersuchung anzuheben. Dieselbe hat sehr bald Anhaltspunkte zu Tage gefördert und zu einer Anklageakte der Staatsanwaltschaft gegen acht Individuen auf Grund des Art. 116 u. a. m. des Strafgesetzbuches des Kantons Genf geführt.

Durch Ordonnanz der Anklagekammer vom 15. Februar 1882.

jedoch wurde verfügt, daß der Anklage nicht Folge zu geben sei.

Der von der Staatsanwaltschaft dagegen eingelegte Rekurs wurde vomKassationshofe des Kantons Genf am 23. Mai 1882 als unbegründet erklärt und abgewiesen.

Was bei diesen Aussprüchen der Genfer Strafgericbtsbehörde die Aufmerksamkeit des Bundesrathes ganz besonders hervorrufen mußte, ist deren Motivirung mit Bezug auf Art. 116 des GenferStrafgesetzbuches. Derselbe lautet wie folgt: ,,Wer Gold- oder Silbermünzen, die im Kanton nicht gesetzlichen Kurs haben, nachmacht oder an der Einführung solchernachgemaehter Münzen in den Kanton oder an deren Verbreitung im Kanton theilnimmt, wird mit Gefängniß von zwei bis fünf Jahren bestraft."

Die Anklagekammer des Kantons Genf hat nun gefunden, daß dieser Artikel auf die Nachmachung der türkischen und egyptischen Münzen nicht Anwendung finde, weil in diesen Staaten ein Münzsystem, zufolge welchem von gesetzlichem, mit Zwangskurs versehenem Metallgeld im eigentlichen, rechtlichen Sinne gesprochen werden könnte, nicht bestehe. Der genferische Kassationshof bekämpfte diese Theorie der Anklagekammer als eine sehr bestreitbare; er sprach.

840

sich im Gegentheil dahin aus, daß wenn man a priori allen nicht einem vollkommen geregelten Münzsystem entsprechenden Münzen den Charakter des Metallgeldes aberkennen wollte, dies einer Erlaubniß zu deren Nachmachung gleichkäme und dadurch, dem Geiste des Gesetzes wie dem öffentlichen Interesse zuwider, das Gebiet der Anwendbarkeit des Art. 116 des Strafgesetzes auf eine ganz übermäßige Weise beschränkt würde. Allein dessenungeachtet ließ der Kassationshof den Nichtiiberweisungsbeschluß der Anklagekammer zu Recht bestehen, aus dem zweifachen Motive, daß die irrthümliche Theorie der Anklagekammer mit von ihr allein zu würdigenden Umständen thatsächlicher Nalur verwoben sei und übrigens das Vorhandensein der den Begriff des Münzvergehens bestimmenden Merkmale aus dem Inhalte der Ordonnanz nicht klar und unzweifelhaft sich ergebe.

Die von der Anklagekammer des Kantons Genf erlassene .,,ordonnance de non-lieu11 hat nicht bloß in Egypten, sondern namentlich in Frankreich großes Erstaunen erregt. Sie fand im Kanton Genf selbst vielfache und von sehr berufener Seite ausgehende ·offene Mißbilligung. Ein Auslieferungsbegehren, das Frankreich mit Bezug auf einen der Angeklagten, Isaac Curiel, wegen Einbringung und Verbreitung falschen ausländischen (türkischen und -egyptischen) Geldes beim Bundesrathe anhängig machte, sollte erweisen, daß auch das s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s g e r i c h t jener Theorie der Genfer Behörde nicht huldigt. Isaac Curiel kekannte, in Genf verschiedenartige türkische Gold- und Silbermünzen gekauft und dieselben in Frankreich (Marseille) eingeführt zu haben, bestritt aber die Statthaftigkeit seiner Auslieferung, und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil das ihm zur Last gelegte Münzvergehen nach der Gesetzgebung seines Aufenthaltsortes nicht strafbar sei, wie aus der Nichtzulassung der in Genf gegen ihn erhobenen Anklage hervorgehe; demgemäß sei die in Art. l des Vertrages zwischen Frankreich und der Schweiz vom 9. Juli 1869 enthaltene Bedingung der Auslieferung nicht erfüllt, seine Auslieferung also unzulässig. Das Bundesgericht wies diese Einwendung durch Be·schluß vom 3. Juni 1882 zurück (Amtl. Samml. der BundegerichtsEntsch. VIII, 2, Seite 290 ff.), indem es sich auf die Argumentation des Genfer Kassationshofes berief, aus der keineswegs die Nichtstrafbarkeit im
Kanton Genf der den Gegenstand der Anschuldigung bildenden Handlungen resultire, und auf den dem Art. 116 des Gesetzes von Genf ganz entsprechenden Art. 133 des französischen Strafgesetzes hinwies, welcher Jeden mit Strafe bedroht, der in Frankreich ausländisches Metallgeld (,,monnaies étrangères") nachmacht oder verändert oder an dessen Ausgabe, Verbreitung oder Einführung in Frankreich sich betheiligt.

841 Der Bundesrath konnte sich nicht verhehlen, daß eine Gerichtspraxis, wie sie im Beschlüsse der Anklagekammer des Kantons Genf vom 25. Febr. 1882 Ausdruck gefunden, bedauernswerthe, die guten Beziehungen der Schweiz zu ausländischen Staaten störende Verwicklungen nach sich zu ziehen geeignet wäre. Nach der vom genannten Greiichtskollegium adoptirten Theorie würde im Kanton Genf die Nachahmung der Münzen aller orientalischen Staaten, wie z. B.

Persien, China, der meisten südamerikanischen Staaten und vielleicht sogar Rußlands, das ebenfalls eines eigentlichen Münzgesetzes entbehrt, straffrei bleiben. Im Gegensatze hiezu bedrohen im Interesse des Rechts und der internationalen Beziehungen unsere Nachbarstaaten Frankreich, Italien, Deutschland die Nachahmung ^ausländischer Münzen"1 mit Strafe. Die Unhaltbarkeit des dermalen bei uns in dieser Hinsicht bestehenden Rechtszustandes leuchtet ein.

Wir haben deßhalb auf die Anfrage eines Mitgliedes unserer Behörde, ob es nicht angezeigt erseheine, die Kriminaljustiz in Münzsachen, gestützt auf Art. 38 der Bundesverfassung, dem Bunde zu vindiziren, wenigstens in dem Sinne, daß es ihm freistünde, die Gerichtsbarkeit selbst auszuüben oder den Kantonen zu delegiren, -- gerne von der Erklärung des Vorstehers unseres Justizund Polizeidepartementes Akt genommen, die dahin erfolgte, daß er dem Bundesrathe auf diese Frage bezügliche Vorschläge unterbreiten werde.

10. Vor einigen Jahren hat sich in Frankreich eine Gesellschaft gebildet zu dem Zwecke, Kindern, die in Folge ihrer Verlassenheit oder der Unwürdigkeit ihrer Familien dem Laster und dem Verbrechen in die Arme getrieben würden, eine gute Erziehung zu verschaffen.

Durch die bisherigen Resultate ermuthigt hat der Verwaltungsrath dieser Gesellschaft sich .entschlossen, die Vertreter aller öffentlichen und Privatinstitute, die sich mit dem S c h ü t z e d e r K i n d e r befassen, nach Paris zu einem i n t e r n a t i o n a l e n K o n g r e s s e einzuladen, auf dem alle Fragen, welche mit der Entwicklung dieses menschenfreundlichen Werkes im Zusammenhange stehen, zur Behandlung kommen sollen.

Die französische Regierung unterstützte diese Bestrebungen, indem sie eine Reihe auswärtiger Regierungen um Mittheilung bezüglicher Gesetze, Verzeichnisse der bestehenden öffentlichen und Privatinstitute, offizielle
statistische Ergebnisse etc. ersuchte. Einem gleichen, auch an die Schweiz gei-ichteten Ansuchen entsprechend, haben wir am 1. April 1882 ein bezügliches Kreisschreiben an sämmtliche Kantonsregierungen erlassen (Bundesbl. 1882, II, 107).

Bundesblatt.

35. Jahrg. Bd. II.

·

56

842

Nachdem der Verwaltungsrath dem Herrn Dr. Ladame in Neuenburg, Direktor der Anstalt Borei (kantonales Waisenhaus), die Organisation der Betheiligung der Schweiz übertragen hatte, setzte sich Herr Ladame auch mit uns in Verbindung. Da jedoch das Unternehmen rein privater Natur ist, so nahmen wir Umgang von einer förmlichen Repräsentation der Schweiz im Komite. Dagegen ersuchten wir Herrn Ladame, uns über den Lauf und die Resultate der Verhandlungen einen Bericht zu erstatten. Der ursprünglich für den Monat Juli 1882 angesetzt gewesene Kongreß hat wegen des großen Umfanges des der französischen Regierung zugekommenen Materials in das Jahr 1883 verschoben werden müssen.

11. Bei Anlaß einer Verhandlung mit der französischen Regierung betreffend Aenderung des Verfahrens der französischen Polizeibehörden, welche a u s g e w i e s e n e G e n f e r oder Waadtländer ü b e r D e l l e n a c h P r u n t r u t i n s t r a d i r t e n .und dadurch ohne Noth dem Kanton Bern die Last des Weitertransportes aufbürdeten, sprach sich der Minister des Innern über seine Praxis dahin aus, daß die Ausweisungsdekrete gegenüber allen Fremden und namentlich auch gegenüber den Schweizern erst nach einer ernstlichen Untersuchung erlassen werden, und nur wenn festgestellt worden, daß letztere eine oder mehrere ernste Bestrafungen erlitten haben, oder wenn sie durch veraltete Angewöhnungen, wie des Bettels und Vagabundirens, eine wirkliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit geworden.

12.. Auf Begehren der Regierung des Kantons Neuenburg sahen wir uns veranlaßt, bei der f r a n z ö s i s c h e n R e g i e r u n g noch eine andere Reklamation zu erheben. Es kam nämlich öfter vor, d a ß einzelne Grenzbehörden v e r w u n d e t e o d e r k r a n k gewordene italienische Arbeiter nach Neuenburg b r a c h t e n , damit sie dort im Spital verpflegt werden. Wir stellten das Begehren, daß solche Personen in französischen Spitälern verpflegt werden, und bemerkten, daß, wenn Verhandlungen mit. ihren Heimatstaatea nöthig 'werden sollten, diese von der französischen Regierung durchzuführen wären. Unser Gesuch erhielt die erwünschte Erledigung. Die franzosische -Regierung machte die Mittheilung, daß die betreffenden Grenzbehörden angewiesen worden seien, derartige Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden und dafür zu sorgen, daß fremde
hülfsbedürftige Arbeiter nicht nach der Schweiz abgeschoben, sondern an ihrem Aufenthaltsorte verpflegt werden, bis die Frage ihrer Heimschaffung entschieden sei.

13. Dem Gesuche einer Kantonsregierung, daß wir im Interesse einer Badenserin, welche in der Schweiz gegen ihren unbekannt

843

abwesenden Ehemann die S c h e i d u n g s k l a g e anheben wollte, zu Händen des betreffenden Kantonsgerichtes die in Art. 56 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe vorgesehene Erklärung betreffend A n e r k e n n u n g des U r t h e i l s beschaffen möchten, konnten wir nicht entsprechen, indem es Sache der betreffenden Prozeßparteien ist, diesfalls die Vermittlung der Gesandtschaft ihres Landes oder des heimatlichen Gerichtes anzurufen. Uebrigens mußten wir darauf hinweisen, daß nach Satz 3, Absatz 3, des badischen Landrechtes die Gerichte eines fremden Staates nicht als kompetent anerkannt werden, um über die Ehescheidungsklagen zwischen Angehörigen des Großherzogthums Baden zu urtheilen (Bundesbl. 1879, Bd. II, 8. 578).

14. Die Erben einer im K a n t o n W a a d t v e r s t o r b e n e n F r a n z ö s i n glaubten die Bezahlung der E r b s c h a f t s s t e u e r im Kanton Waadt ablehnen zu können, weil sie die Erbschaftssteuer schon in Frankreich bezahlt haben und im Sinne von Art. 5 des Vertrages zwischen der Schweiz und Frankreich vom 15. Juni 1869 der Gerichtsstand einer Erbschaft da sei, wo die Erbschaft eröffnet worden, im vorliegenden Falle in Frankreich. Somit könne auch nur an diesem Orte die Erbschaftssteuer gefordert werden.

Die bezügliche Einfrage an das eidg. Justiz- und Polizeidepartement wurde übereinstimmend mit der Antwort, die wir in einer gleichen Angelegenheit unterm 14. Juni 1871 dem Staatsrathe des Kantons Waadt ertheilt hatten, wie folgt beantwortet : ,, . . . . Das Gericht des Ortes, wo die Erbsehaft eröffnet worden, ist nur hinsichtlich derjenigen Fragen kompetent, deren Beurtheilung ihm laut Art. 5 des Staatsvertrages ausdrücklich überwiesen ist. Diese Fragen sind im Eingange des genannten Artikels bestimmt genug bezeichnet, um erkennen zu lassen, von welcher Art dieselben sein müssen. Nach, dem Wortlaute dieses Artikels kann das genannte Gericht nur für Klagen und Streitigkeiten u n t e r den E r b e n angerufen werden, und zwar nur für solche, welche nicht auf Liegenschaften Bezug haben, indem am Schlüsse von Absatz l des Art. 5 bei Liegenschaften zu Gunsten des Gerichtsstandes der belegenen Sache eine Ausnahme gemacht wird.

Hieraus folgt, daß weder Art. 5 noch irgend ein anderer Artikel des Vertrages für die Frage der Erbschaftssteuern maßgebend ist. Das
Besteurungsrecht des Staates ist ein Bestandtheil des öffentlichen Rechts, während der Vertrag mit Frankreich vom 15. Juni 1869, wie dessen Eingang andeutet, nur die Regelung privatrechtlicher Verhältnisse bezweckt (vergi. Ullmer, staatsrechtliche Praxis, II, Nr. 1242).

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15. Die Einfrage, ob in Folge des oben erwähnten Zusatzprotokolles zu dem Niederlassungsvertrage mit D e u t s c h l a n d die deutschen Grenzbehörden verpflichtet seien, den bisherigen Usus aufzugeben, wonach sie die ihnen zugeführten Bettler und Vaganten einfach laufen ließen, so daß diese wieder nach der Schweiz zurückkehren konnten, wurde von dem Justizund Polizeidepartement wie folgt beantwortet: Sowohl der Niederlassungsvertrag als auch das erwähnte Protokoll haben nur den Zweck, die internationale Seite des Verhältnisses zu ordnen, Ü. h.

das Verfahren klar zu stellen, welches beobachtet werden soll, um das zweifelhaft gewordene Heimatrecht der Bürger in den beiden Staaten festzustellen und sie, wenn es nöthig sein sollte, in richtiger Form dem Heimatstaate zuzuführen.

Dagegen ist darüber, was der Heimatstaat mit den ihm zutransportirten Individuen anfangen soll, nichts bestimmt und hat auch nichts bestimmt werden können, weil der Heimatstaat völlig frei ist, das ihm gutscheinende Verfahren anzuwenden.

Da im Deutschen Reiche kein G e m e i n d e b ü r g e r r e c h t melir besteht, so ist der aus der Schweiz abgeschobene Preuße oder Sachse sogleich in seinem Heimatlande, sobald er auf badischem oder bayerischem Gebiete u. s. w. sich befindet, und die schweizerischen Behörden können nicht verlangen, daß die badischen oder bayerischen Behörden jene Individuen nach Preußen oder Sachsen transportiren. Es ist allerdings möglich, das solche Individuen bald wieder auf schweizerisches Gebiet zurückkehren ; allein es bleibt in diesem Falle nichts anders übrig, als daß hier die Strenge des Gesetzes gegen sie angewendet wird. Eine gut entwickelte Polizeigesetzgebung wird dem Richter die nöthigen Hülfsmittel an die Hand geben.

Die schweizerischen Grenzkantone befinden sich mit Bezug auf die ihnen aus Deutschland zugeschobenen Schweizer allerdings in einer andern Lage ; aber wenn sie es vorziehen, den aus Deutschland ihnen zugeschobenen Berner nach Bern zu transportiren, statt ihn an der Grenze laufen zu lassen, so thun sie das offenbar weniger aus Rücksichten für Deutschland, als vielmehr in ihrem eigenen Interesse, damit sie von einer Last b e f r e i t und die Pflichten des Heimatkantons wirksam werden.

16. Bei Anlaß der Liquidation der V e r l a s s e n s c h a f t e i n e r in B r a s i l i e
n verstorbenen Schweizerin machten die dortigen Behörden die Forderung einer Theilungsgebühr (T)porcentagema) von 6*/a % geltend, welche unter die mit der Verwaltung und Theilung des Vermögens betrauten Grerichtspersonen vertheilt werden sollte.

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Die Forderung dieser Gebühr wird mit Art. 82 eines brasilianischen Réglementes vom 15. Juni 1859 begründet. Durch Vermittlung des schweizerischen Generalkonsulates in Rio de Janeiro wurde in einer während mehrerer Jahre dauernden Korrespondenz geltend gemacht, daß diese Gebühr im Widerspruche stehe mit Art. 22 der Uebereinkunf't zwischen der Schweiz und Brasilien betreffend das Konsulatswesen, vom 21. Oktober 1878 (Amtl. Samml. n. F., Bd. IV, S. 108). Diese Verhandlungen haben zu dem Schlußp. geführt, daß die erwähnte Liquidationsgebühr zu bezahlen sei, wozu man sich um so mehr bequemen mußte, als festgestellt werden konnte, daß andere Staaten, welche mit Brasilien in ähnlichen Vertrags Verhältnissen stehen wie die Schweiz, z. B. Spanien und Deutschland, die gleiche Gebühr bezahlen müssen.

17. Die J o s e p h a B e c k in Schönderling, Bayern, hatte vom vormaligen kgl. Landgerichte Brückenau gegen einen frühern Einwohner dieses Gerichtskreises ein Urtheil auf Bezahlung einer bestimmten Summe erwirkt. Der Verurtheilte verlegte seinen Wohnsitz, nach Basel, wo die Vollziehung des Urtheils verlangt wurde. Diese Vollziehung ist indeß nicht bewilligt worden, wohl aber wurde auf Gesuch der königlich-bayerischen Gesandtschaft der Klägerin zur unentgeltlichen Vertretung im neuen Prozeßverfahren das Armenrecht nach Maßgabe der Gesetzgebung des Kantons Basel-Stadt bewilligt.

18. Der Staatsrath des Kantons Waadt suchte unsere Vermittlung nach behufs Hei m S c h a f f u n g e i n e r F a m i l i e J e t t e r von B a i i n g e n (Württemberg), welche lange Zeit im Kanton Waadt wohnhaft gewesen, aber in Folge hohen Alters erwerbsunfähig und unterstützungsbedürftig geworden ist, während die Heimatgemeinde die Einsendung von Unterstützungen abgelehnt' hatte.

Wir konnten auf das gestellte Ansuchen zur Zeit nicht eintreten, in Betracht: 1) Daß der Niederlassungsvertrag mit Deutschland von 1876 (Amtl. Samrnl. n. F., Bd. II. S. 567) wie die früheren mit einzelnen Staaten Deutschlands abgeschlossenen Verträge vom Grundsatze ausgehe, jeder Staat müsse die auf seinem Gebiete wohneaden Angehörigen, welche arm geworden, angemessen unterstützen und es könne von dem Mittel der Ausweisung erst nach längerer Zeit und nachdem die Dürftigkeit eine bleibende geworden, Gebrauch gemacht werden ; das Sehreiben des Staatsrathes gebe jedoch in dieser Beziehung nicht genügende Nachweise;

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2) daß die Unterstützungspflicht deutscher Angehöriger im Ausland von Deutschland grundsätzlich nicht anerkannt werde, daß aber, wenn ausnahmsweise, um eine Heimschaffung abzuwenden, Unterstützungen in's Ausland verabfolgt werden, dies nicht von den Gemeindebehörden, sondern den Landarmenverbänden geschehe, welch' letzteren eventuell die Unterstützungspflicht im Inland obliege; 3) daß beim Vorhandensein gültiger und unverdächtiger Legitimationspapiere und den Voraussetzungen des Art. 7 des Niederlassungsvertrages die polizeiliche Ausweisung in Folge eines Dekretes und nach vorheriger Anzeige an die Heimatgemeinde erfolgen dürfe; 4j daß bei Mangel gehöriger Ausweisschriften diese auf direktem Wege bei der württembergischen Kreisregierung des Schwarzwaldes nachgesucht werden müssen; 5) daß erst, wenn über die Heimathörigkeit der Betreffenden Anstände walten, Veranlassung zur diplomatischen Intervention geboten sei.

19. Die drei Jahre alte uneheliche L a u r a R a m u s von St. Aubin, Kautons Freiburg, wurde 1876, nachdem ihre Mutter in Wien gestorben, von armen Leuten in Unter-St. Veit bei Wien aufgenommen. Auf Ansuchen der Gemeindebehörde von St. Veit beantragte die schweizerische Gesandtschaft in Wien die Zurücknahme des Kindes in die Heimat und die hiefür nöthigen Anordnungen. Sie erhielt jedoch die Anleitung, diese Angelegenheit nicht weiter zu behandeln, sondern die Gemeindebehörde von St. Veit dahin zu verständigen, daß diese ihre Anträge bei der kompetenten eigenen Landesbehörde stellen möge, welche dann, wenn sie es nöthig erachten sollte, höheren Ortes sich verwenden werde. Es sei Sache des Staates, der eines Fremden sich entledigen wolle, von sich aus die hiefür nöthigen Schritte zu thun und die Reisekosten bis an die Grenze des Heimatstaates zu tragen. Dieser Grundsatz sei überall anerkannt und auch zwischen der Schweiz und OesterreichUngarn üblich. (Bundesbl. 1882, II, 739, Nr. 18.)

20. Die ö s t e r r e i c h i s c h - u n g a r i s c h e G e s a n d t s c h a f t reklamirte, weil die Zustellung von Aktenstücken zum Zwecke der Feststellung der Vermögensverhältnisse von zwei militärpflichtigen Oesterreichern in der Schweiz abgelehnt worden war, indem sie bemerkte, daß diese Ablehnung aus irrthümlicher Deutung des Charakters fraglicher Aktenstücke entsprungen sein dürfte.

Es handle sich bloß um die amtliche Zustellung an in der Schweiz wohnende österreichische Wehrpflichtige und Beschaffung des Be-

847

weises hiefür. Es bleibe aber den Adressaten immer überlassen, den in diesen Mittheilungen enthaltenen Aufforderungen Folge zu leisten.

Solche Zustellungen seien von der Bundeskanzlei stets besorgt worden.

Wir lehnten jedoch die Mitwirkung der Bundesbehörden in diesen Angelegenheiten ab, unter Bestätigung früherer Entscheide.

(Bundesbl. 1876, II, 298 und 1881, II, 720.) Zur weitern Begründung wurde bemerkt, es sei keineswegs übersehen worden, daß es sich gegenwärtig nicht um Zwangsmaßregeln gegen österreichische Unterthanen in der Schweiz handle und daß denselben ihr freier Wille, nach Gutdünken zu handeln, gewahrt bleibe.

Allein es beziehen sieh die fraglichen Erlasse auf das Militärwesen, das mit den politischen Institutionen eines jeden Staates enge verbunden sei. Die konstitutionelle Organisation der Schweiz gestatte jedoch den Bundesbehörden nicht, für militärische Zwecke eines auswärtigen Staates mitzuwirken. Der Bundesrath müsse an diesem Standpunkte festhalten, wenn es auch möglich sei, daß die Bundeskanzlei in einigen Fällen anders gehandelt habe, zumal er es finden umgekehrten Fall nicht für zulässig hielte, daß die Behörden auswärtiger Staaten von Seite schweizerischer Gesandtschaften oder Konsulate angesprochen würden, den auf ihren Gebieten wohnhaften Schweizern Erlasse der Heimatsbehörden über die von ihnen zu bezahlende Militärsteuer zu intimiren. Es können diese Mittheilungen ohne diplomatische Vermittlung einfach durch die Post bewerkstelligt und der Beweis der geschehenen Mittheilung mittelst eines Postscheines gesichert werden.

V. Allgemeines.

1. Bei Anlaß der Prüfung des Geschäftsberichtes pro 1881 haben die eidg. Räthe am 30. Juni 1882 folgendes P o s t u l a t angenommen : Der Bundesrath wird eingeladen, zu prüfen und zu begutachten, ob nicht p e r i o d i s c h e Z u s a m m e n s t e l l u n g e n folgenden Inhaltes veranstaltet und veröffentlicht werden könnten: 1) der in Kraft bestehenden Verträge mit ausländischen Staaten und der unter den Kantonen bestehenden Konkordate; 2) der von der Bundesversammlung und dem Bundesrathe seit der Gültigkeit der neuen Bundesverfassung in Auslegung derselben erlassenen Beschlüsse, soweit dieselben gedruckt sind, nach Materien geordnet und unter kurzer Angabe des Inhaltes dieser Erlasse;

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3) von Generalregistern der Entscheidungen des Bundesgerichtes (z. B. bis mit dem Jahre 1880, von da an alle 10 oder 5 Jahre), nach Materien geordnet und unter summarischer Angabe des Gegenstandes der Entscheidung (Amtl. Samml. n. F.

VI, 266, Ziffer 6).

Unser Justiz- und Polizeidepartement veranlaßte zunächst eine Vernehmlassung des Bundesgerichtes, welche in dessen Jahresbericht Aufnahme gefunden hat. Indem wir auf diesen Bericht hinweisen, sind wir im Falle, beizufügen, daß das Departement diese Angelegenheit nicht aus den Augen verloren und nach vorläufiger Untersuchung die Ueberzeugung gewonnen hat, daß sie eine reifliche Prüfung aller in Betracht kommenden Faktoren erfordert. Wir machen nur auf einige Detailfragen aufmerksam. Die Frage, ob periodische Zusammenstellungen und Veröffentlichungen der erwähnten Art gemacht werden können, ist als selbstverständlich zu bejahen. Dagegen läßt sich die weitere Frage, nach welchen Gesichtspunkten diese Veröffentlichungen geschehen sollen, keineswegs so leicht beantworten. Müssen alle Staatsverträge publizirt werden?

oder welche Einschränkungen mit Bezug auf die Zeit der Entstehung und den Inhalt der Verträge erscheinen als angemessen?

Betreffend die Konkordate wird zu prüfen sein, ob die Publikation nur auf die unter den Auspizien des Bundes entstandenen Konkordate sich beschränken oder auch auf solche Konkordate sich ausdehnen soll, die unter einzelnen Kantonen direkt zu Stande gekommen sind etc. Sobald diese uud andere damit verbundene Fragen näher untersucht und aufgeklärt sind, werden wir nicht ermangeln, die Resultate und die entsprechenden Anträge vorxulegen.

2. Einer ganzen Reihe von G u t a c h t e n und B e r i c h t e n , die das Justiz- und Polizeidepartemeot auf direktes Ansuchen anderer Departemente oder auf Einladung des Bundesrathes in der Form von Mitberichten zu erstatten berufen war, geschieht hier keine spezielle Erwähnung. Dagegen macht das Justiz- und Polizeidepartement auf die Erscheinung aufmerksam, daß derartige Aufträge im Laufe des Berichtjahres sich wesentlich vermehrt haben.

Bin ziemlicher Theil ist aus der Ausführung und Anwendung der Verordnung über das Handelsregister entsprungen.

Die Geschäfte dieses Departementes nehmen übrigens im Allgemeinen von Jahr zu Jahr derart zu, daß die Reorganisation desselben und die Vermehrung der Beamten ein absolutes Bedürfniß geworden ist. Die definitive Annahme des oben erwähnten Postulates

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betreffend die Publikation der Staatsverträge, Konkordate und bundesrechtlichen Entscheidungen würde ebenfalls bedeutende anfänglich sehr lange dauernde und später wiederkehrende Arbeiten zur Folge haben, wofür tüchtige, juristisch gebildete Kräfte nöthig sind. Das Postulat vom 22. Dezember 1882, betreffend die Anstellung eines Adjunkten, worauf die Botschaft vom 11. April 1882 (Bundes bl.

1882, II, 349) sich bezieht, wird mit einer diese Angelegenheit, resp. die Organisation des Departementes im Ganzen behandelnden Berichterstattung und Antragstellung seine Erledigung finden."

Tl. Rekurswesen. Anwendung der Bandesverfassung und der Bundesgesetze.

1. Statistik.

Im Jahre 1882 waren mit Einschluß der aus dem Vorjahre pendent gebliebenen Fälle 175 Rekurse (1881: 139; 1880: 114) zu behandeln, wovon 164 erledigt, 4 zurückgezogen wurden und 7 als pendent auf das Jahr 1883 übergingen, In 84 Rekurse traten wir materiell nicht ein, theils weil ausschließlich die kantonalen Behörden oder das Bundesgericht für den Entscheid kompetent waren, theils weil da, wo unsere Kompetenz materiell wirklich begründet gewesen wäre , der kantonale Instanzenzug noch nicht erschöpft war.

Die übrigen 80 Rekurse betrafen dem Gegenstande nach : 15 Verweigerung und Entzug der Niederlassung; 12 Verweigerung von Ausweisschriften in der Heimat und Rückhaltung von solchen am letzten Wohnort; 20 Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit; 6 Stimmrecht und Wahlen; 1 Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit; 10 Steuerwesen; 11 Vormundschaftswesen; 2 Vollzug eines bundesgerichtlichen Urtheils; l Feststellung des Gerichtsstandes; l Unvereinbarkeit zweier kantonalen Beamtungen ; l Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze ; Fünf dieser Rekurse wurden dadurch erledigt, daß die kantonalen Rehörden von sich aus den Petenten entspfachen. Es blieben demnach 75 Beschwerden übrig, welche materiell zu entscheiden waren (1881: 56; 1880: 58); 59 derselben, wurden abgewiesen und 16 begründet erklärt.

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Die Bundesversammlung hatte sich im Jahre 1882 mit 18 Beschwerden und Rekursen gegen Entscheide aus dem Geschäftskreise des Justiz- und Polizeidepartements zu befassen (1881: 14; 1880: 15). In 13 Fällen wurden die Beschlüsse des Bundesrathes bestätigt; die übrigen 5 blieben pendent.

Außerdem hatte sieh unser Justiz- und Polizeidepartement mit 5 d i r e k t an die Bundesversammlung gerichteten Petitionen und einer im Nationalrath gestellten Interpellation zu befassen.

2. Niederlassungs- und Aufenthaltsverhältnisse.

a. P r ü f u n g k a n t o n a l e r Gesetze.

Der Kantonsrath von S c h w y z hat am 1. Dezember 1881 eine V e r o r d n u n g ü b e r N i e d e r l a s s u n g u n d A u f e n t h a l t genehmigt, welche uns behufs der in Art. 43, Absatz 6, der Bundesverfassung vorgesehenen Prüfung und Genehmigung vorgelegt wurde.

Wir ertheilten ihr unsere Genehmigung mit folgenden Be!

merkungen : Die in § 7 enthaltene Vorschrift, wonach der Bewerber um eine Niederlassungsbewilligung in der betreffenden Gemeinde, bevor er diese Bewilligung erhalten, weder einen Beruf, noch irgend ein Gewerbe ausüben dürfe, erseheine in dieser absoluten Redaktion nicht annehmbar, da dieGemeinderäthe oft nur in weiten Abständen Sitzung halten, wodurch den Bürgern Nachtheil zugefügt werden könnte. Es sei daher Anordnung zu treffen, daß solche Begehren zu möglichst schneller Behandlung gelangen.

Was die Vorschrift in § 9 betrifft, wonach der Petent dem Gesuche um Niederlassung nöthigen Falls noch Ausweise über die Civilstandsverhältnisse und über die Bezahlung der Militärsteuer beilegen müßte, so haben wir die mit den frühern Entscheiden übereinstimmenden Vorbehalte gemacht (Bundesblatt 1877, II, 519, Ziffer l ; 1878, II, 483, litt. e). Insbesondere erklärten wir jene Vorschrift hinsichtlich der Militärsteuer als unzulässig, wenn sie den Zweck haben sollte, demjenigen, der seine Militärsteuer nicht bezahlt hätte, die Aufenthaltsbewilligung vorzuenthalten. Allein die kompetente schwy zerische Behörde gab uns den Aufschluß, daß diese Bestimmung keineswegs einen solchen Sinn habe, und daß die Niederlassungsbewilligung auch dann nicht verweigert würde, wenn der Bewerber über die Bezahlung der Militärsteuer sich nicht ausweisen könnte.

851 b. Erwerb u n d E n t z u g der Niederlassung.

1. Am I.Februar 1879 erhielt der Publizist H. A. G r o b é t y aus dem Kanton Waadt die Niederlassung im Kanton Genf. Von hier aus betheiligte er sich an einem obscönen Lyoner Blatte und zog durch scharfe Zeichnung von Genfer Zuständen die Aufmerksamkeit auf sich.

Es wurde dann ermittelt, daß G. am 30. November 1877 vom korrektionellen Gerichte in Lausanne wegen Veruntreuung (abus de confiance) zu acht Monaten Gefängniß und fünfjähriger Einstellung in den bürgerliehen Bhrenreohten und am 4. Februar 1879 wegen Beschimpfung und Verleumdung in contumaciam zu 6 Monaten Einsperrung verurtheilt worden war.

Gestützt auf diesen Thatbestand und in Anwendung des Gesetzes des Kantons Genf vom 9. Februar 1844, betreffend die Fremdenpolizei, sowie des Art. 45 der Bundesverfassung erfolgte die Ausweisung des G. aus dem Kanton Genf.

Er beschwerte sich gegen diese Verfügung und machte im Wesentlichen Folgendes geltend : Art. 45 der Bundesverfassung sei hier nicht anwendbar, weil ihm die Niederlassung im Kanton Genf bewilligt worden, trotzdem er die bürgerlichen Ehrenrechte nicht besitze. Man könne daher auf die frühere Bestrafung nicht mehr zurückkommen.

Uebrigens betreffe nur eines der in Lausanne gegen ihn ausgefällten Strafurtheile ein schweres Vergehen. Die Bundesverfassung verlange jedoch, daß ein Bürger am O r t e der N i e d e r l a s s u n g wiederholt wegen schwerer Vergehen bestraft worden sei. Er sei aber in Genf gar nie bestraft worden.

Das Genfer Gesetz über Fremdenpolizei vom 9. Februar 1844 dürfe nicht auf Schweizer anderer Kantone angewendet werden, da diese seit 1848 im Kanton Genf keine ,,Fremden11 mehr seien.

Der Bundesrath erklärte am 27. Oktober 1882 den Rekurs als unbegründet, gestützt auf folgende Erwägungen : 1) Es ist bundesrechtliche Praxis, daß die Vorschrift des Art. 45, Absatz 3, der Bundesverfassung, betreffend den Entzug der Niederlassung, auch dann als erfüllt zu betrachten ist, wenn der Niedergelassene zwar an seinem Wohnsitze nur e i n e s schweren Vergehens sich schuldig gemacht hat, aber infolge früherer krimineller Bestrafung bereits im Rückfalle sich befindet (vergi. Bundesblatt 1881, II, 671 und 672).

2) Anders verhält es sich mit der im zweiten Alinea des Art. 45 aufgestellten Voraussetzung des Entzuges der Niederlassung in Folge

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des Verlustes der bürgerliehen Rechte und Ehren. Die Wirkung des gerichtlichen Entzuges der Ehrenrechte dauert über die Grenzen des Kantons, in welchem das Urtheil gesprochen wurde, hinaus so lange fort, bis die im Urtheile festgesetzte Zeit abgelaufen ist. So lange in einem solchen Falle ein Bürger im Zustand der mangelnden Ehren- und Rechtsfähigkeit sich befindet, wird er diesen Umstand als einen verfassungsmäßigen Grund, sei es der Verweigerung, sei es des Entzuges der Niederlassung, im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft gegen sich gelten lassen müssen.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß die Genfer Behörden allerdings berechtigt sind, den Rekurrenten auf Grund des Art. 45, Absatz 2, der Bundesverfassung die Niederlassung zu entziehen. Gemäß Art. 33, Absatz 2, des waadtländischen Strafgesetzbuches begann die Einstellung in den bürgerlichen Rechten als Zusatzstrafe ihre Wirksamkeit erst nach Erstehung der Hauptstrafe (8 Mona-te nach dem 30. November 1877) zu äußern.

Der Rekurrent ist also gegenwärtig noch in seinen Ehrenrechten eingestellt und' Art. 45, Absatz 2, der Bundesverfassung ist auf ihn anwendbar.

3) Damit fällt für die Bundesbehörde die Notwendigkeit weg, die Frage zu untersuchen, ob das Genfergesetz über die Fremdenpolizei auch auf Schweizerbürger anderer Kantone anwendbar sei. Es mag die Bemerkung genügen, daß die Wegweisung eines Schweizerbürgers jedenfalls nicht auf dieses Gesetz allein gegründet werden kann. In Verbindung mit den Bestimmungen der Bundesverfassung aber (Art. 45, Absatz 2 und 3) bedeutet dessen Anwendung, gleichwie z. B. diejenige des Art. 33 des Zürcher Gemeindegesetzes, eine Erschwerung der Wegweisung, daher eine Vergünstigung für die Niedergelassenen, und es wird in dieser Beziehung gegen die Anwendbarkeit des fraglichen Gesetzes vom konstitutionellen Standpunkte aus nichts einzuwenden sein.

Im konkreten Falle erscheint die Anwendung dieses Gesetzes Angesichts der erwiesenen Betheiligung des Rekurrenten an dem obscönen Lyonerblatte ,,La Bavarde a als thatsächlich wohlbegründet.

2. J. P. M i n n i g , von Oberwyl, Kanton Bern, war früher mit seiner Familie niedergelassen im Kanton Waadt. Am 11. September 1866 wurden jedoch sowohl er als seine Ehefrau, gestützt auf Art. 38 a des waadtländischen Gesetzes über die Fremden vom 13. Dezember 1848
und a,uf Art. 41, Ziffer 6 der Bundesverfassung von 1848, wegen mehrfacher im Laufe der Jahre 1862 bis 1866 erlittener Bestrafungen aus dem Kanton Waadt ausgewiesen.

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la neuerer Zeit wünschte Minnig nach dem Kanton Waadt zurückzukehren und dort zur Ausübung seines Berufes zirkuliren (nicht wohnen) zu dürfen, wurde aber vom Staatsrathe des Kantons Waadt unter Hinweis auf Art. 45 der Bundesverfassung von 1874 abschlägig beschieden.

Petent beschwerte sich hierüber beim Bundesrathe; er wurde jedoch am 20. Januar 1882 ebeufalls abgewiesen, gestützt auf folgende Erwägungen : 1) Während nach Art. 45, Absatz 2, der Bundesverfassung die Niederlassung nur denjenigen Bürgern v e r w e i g e r t werden darf, welche in Folge eines strafgerichtlichen Urtheils nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sind, so gestattet dagegen Absatz 3 des nämlichen Artikels die Niederlassung auch denjenigen zu e n t z i e h e n , welche wegen schwerer Vergehen wiederholt gerichtlich bestraft worden sind, oder welche dauernd der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last fallen.

2) Auf die Eheleute Minnig trifft nun diese letztere Bestimmung xu, indem der Ehemann zehn Mal wegen Forstfrevel und ein Mal wegen Schlägerei, und die Ehefrau fünf Mal wegen Diebstahl und Schlägerei und drei Mal wegen Forstfrevel verurtheilt worden ist.

Es ist daher die von der waadtländischen Behörde unter der Herrschaft der Verfassung von 1848 gegen den Rekurrenten gefaßte Schlußnahme der gegenwärtigen Verfassung nicht zuwiderlaufend.

3) Anderseits kann ein Individuum, weichern -- in den Fällen, wie sie Alinea 3 des genannten Artikels vorsieht -- die Niederlassung in einem Kantone entzogen worden ist, das zweite Alinea desselben nicht anrufen zum Zwecke des Wiedereintritts in den Kanton, aus welchem die Verweisung erfolgte, unter dem Vorwande, daß es sieh um eine neue Niederlassung handle, welche nur auf Grund des Verlustes der bürgerlichen Rechte verweigert werden könnte. Eine solche Auslegung würde vielmehr die Bedeutung der Bestimmung des 3. Alinea ganz entkräften und dessen Anwendung illusorisch machen.

4) Bndlich muß der Umstand außer Berücksichtigung fallen, daß Minnig nur den Aufenthalt, nicht die Niederlassung in demjenigen Kantone, der ihn ausgewiesen hat, anzusprechen scheint, indem die Befugniß der Kantone, in gewissen beschränkten Fällen

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den Schweizerbürgern die Niederlassung auf ihrem Gebiete zu entziehen, nothwendig auch die weitere in sich schließt, sie aus diesem Gebiete zu verweisen und ihre Rückkehr zu verhindern.

4. Sieben hieher gehörige Fälle sind von den Rekurrenten an die Bundesversammlung gezogen und von letzterer, wie folgt, erledigt worden : a. Der Rekurs des J. K o c h von Romoos gegen seine Ausweisung aus der Stadt Luzern wurde, in Uebereinstitnmung mit dem bundesräthlichen Entscheide vom 6, Januar 1882, abgewiesen (Bundesbl. 1882, I, 413; II, 712).

b. Der im letztjährigen Geschäftsberichte erwähnte Rekurs der Eheleute J a k o b u n d K a t h a r i n a E m m e n e g g e r gegen deren Ausweisung aus dern Kanton Baselland wurde vom Ständerathe am 9. Dezember 1881 und nach Einholung eines weitem ausführlichen Berichtes des Bundesrathes am 14. Juni 1882 auch vom Nationalrathe unbegründet erklärt.

Mit diesem Entscheide ist die Frage, ob die Kantone berechtigt seien, die Niedergelassenen aus den K a n t o n e n a u s z u w e i s e n , bejaht und die Behauptung, daß sie dieselben nur aus den Gemeinden ausweisen können, verneint. Die bezüglichen Schriftstücke sind gedruckt Bundesbl. 1881, IV, 449; 1882, II, 356, 751 und 834; III, 84.

c. Der Rekurs von J. B. 8 c h o c h von Oberwangen (Thurgau) gegen seine Ausweisung aus dem Kanton Bern wurde ebenfalls unbegründet erklärt (Bundesbl. 1882, III, 503), weil Rückfälligkeit im weitesten strafrechtlichen Sinne des Wortes, wie sie in Art 45, Lemma 3, der Bundesverfassung vorausgesetzt werde, vorliege.

d. Desgleichen der Rekurs der G e s c h w i s t e r T o g g vv e i l e r , von Bonstetten, gegen deren Ausweisung aus der Stadtgemeinde Zürich (Bundesbl. 1882, IV, 281).

e. Der Entscheid vom 25. April 1882, womit der Rekurs der Frau A n n a B u ob geb. Brandii von Hergiswyl gegen ihre Ausweisung aus der luzernischen Gemeinde Littau als unbegründet abgewiesen wcfrden war, ist dadurch hinfällig geworden, daß die Regierung des Kantons Luzern später auch den Ehemann Buob mit der Familie auswies und derselbe diese Verfügung anerkannte (Bundesbl. 1882, III, 714).

f. Der im letztjährigen Geschäftsberichte erwähnte Rekurs des Franzosen N o g u è s, wegen Verweigerung der Niederlassung in

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Genf, gestützt auf Art. 5 des Niederlassungsvertrages mit Frankreich, wurde nach eingeholter Aktenvervollständigung auch vom Nationalrathe als unbegründet abgewiesen (Bundesbl. 1881, IV, 306; 1882, II, 752).

g. Ebenso wurde auch der Rekurs der Französin, Frau A d è l e F a u v e l , geb. Monnier, gegen deren aus Gründen der Sittenpolizei verfügte Ausweisung aus dem Kanton Genf von der Bundesversammlung als unbegründet abgewiesen, in erneuter Bestätigung des bundesrechtlichen Satzes, daß die Beschwerden von Franzosen gegen ihre Ausweisung nicht nach den Bestimmungen der Bundesverfassung (Art. 45), sondern nach Art. 5 des Niederlassungsvertrages mit Frankreich zu beurtheilen seien (BundeshL 1882, IV, 1).

5) Die Anfrage des Kantons Tessin, wie die A n g e s t e l l t e n der G o t t h a r d b a h n in Bezug auf Niederlassung und Deponirung von Ausweisschriften zu behandeln seien,J wurde in folgendem Sinne O beantwortet : Art. 3 des Vertrages zwischen der Schweiz und Italien vom 16. Februar 1881 (Amtl. Samml. n. F. V, 576), wonach die Beamteten, Bediensteten und Arbeiter der Gotthardbahn unter den Gesetzen und Verordnungen desjenigen Staates stehen, in welchem sie sich befinden, habe den Zweck, die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Rechte des Staates, respektive des Kantons zu wahren, in welchem die erwähnten Fremden sich aufhalten.

Der Kanton Tessin sei daher berechtigt, seine Gesetze und Verordnungen über Niederlassung und Aufenthalt, soweit sie mit den bundesrechtlichen \7orschriften in Harmonie stehen, auch auf die Beamteten, Bediensteten und Arbeiter der Gotthardbahn anzuwenden.

Was die im Kanton Tessin bleibend wohnhaften Personen betreffe, so können diese angehalten werden, ihre Papiere zu deponiren und eine Niederlassungsbewilligung für sich und ihre Familie zu nehmen.

Bezüglich derjenigen Personen, welche blos vorübergehend in den Kanton kommen, wie z. B. das Zugspersonal, sei anzunehmen, daß sie da domizilirt seien, wo sie ihre Familien oder ihren Hausstand haben, oder im andern Falle, wo sie im Binverständniß mit der Bahnverwaltung Domizil gewählt haben. In allen zweifelhaften Fällen werde die Bahnverwaltung die erforderlichen Aufschlüsse geben können.

856 6. Herr V. C a v a m o r a von Intra (Italien) besitzt im Kurort St. Bernhardiu auf dem Gebiete der Gemeinde Misox, Kanton Graubüaden, wohin er seit langer Zeit alljäh rii eli 'zum Kurgebrauche kommt, ein eigenes Haus, das er mit seiner Dienerschaft und seinen ihn abwechselnd dort besuchenden Verwandten während zwei bis drei Monaten bewohnt.

Herr Caramora war stets als Kurgast behandelt worden und brauchte als solcher keine Legitimationspapiere zu hinterlegen. Erst im Jahre 1882 wurde er vom Gemeindevorstand angehalten, als Hausbesitzer mit eigener Wirthschaft für sieh und die andern Hausbewohner (Dienstboten und Gäste) behufs Erlangung dei- Wohnsitzbewilligung die nöthigen Ausweisschriften beiaubringen.

Herr Caramora rekurrirte hiegegen beim Kleinen Rath von Graubünden, und, von diesem abgewiesen, beim Bundesrathe, unter Berufung auf Art. l des Niederlassungs- und Konsularvertrages mit Italien vom 22. Juli 1868 (Amtl. Samml. IX, 706).

Die Regierung von Graubünden ihrerseits berief sich auf die graubündnerischen Gesetze und Verordnungen betreffend Niederlassungswesen und Fremdenpolizei.

Der Bundesrath erklärte am 29. Dezember 1882 den Rekurs als unbegründet, soweit er die Person des Rekurrenten selbst und .

dessen Dienstboten beschlägt, dagegen als begründet, soweit er sich auf die während seines Sommeraufenthaltes in St. Bernhardin den Rekurrenten jeweilen besuchenden Verwandten beziehe.

Dieser Beschluß stützte sich auf folgende Erwägungen: 1) Die Zuständigkeit des Bundesrathes, über den vorliegenden Rekurs zu erkennen, ist begründet durch Art. 102. Ziffer 2 und Art. 113, Absatz 2, der Bundesverfassung und Art. 59, Ziffer 10, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesreehtspflege.

Gemäß diesen Bestimmungen steht dem Bundesrathe, beziehungsweise der Bundesversammlung u. A. die Erledigung der Anstände zu, welche aus den auf Niederlassung und Freizügigkeit sich beziehenden Bestimmungen der Staats v ertrage mit dem Auslande herrühren. Der Rekurrent beruft sich nun aber zur Begründung seiner Besehwerde gerade auf Art. l des Niederlasaungs- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien vom 22. Juli 1868, indem er behauptet, daß er von den Behörden des Kantons Graubünden vertragswidrig gezwungen werden wolle, für sich, seine Verwandten und seine Dienstboten in der Gemeinde Misox (Mesocco) eine Niederlassungs- beziehungsweise Aufenthaltsbewilligung auszuwirken und zu diesem Behufe Ausweisschriften zu hinterlegen,

857 «ine Zumuthung, die gemäß der Gesetzgebung von Graubünden in seiner Lage befindlichen kantonsfremden Schweizerbürgern gegenüber nicht erhoben werden dürfte und darum kraft des schweizerischitalienischen Niederlassungsvertrages auch ihm, dem Italiener, gegenüber unstatthaft sei.

2) Demnach hat der Bundesrath zu untersuchen, ob das Begehren des G-emeindevorstandes von Misox in faktischer und rechtlicher Beziehung begründet sei.

In ersterer Beziehung steht fest, daß der Rekurrent im Kurorte St. Bernhardin, Gemeinde Misox (Kanton Graubünden), wohin ·er alljährlich im Sommer zum Kurgebrauche kommt, auf seinem Grund und Boden eine Villa besitzt, welche er jeweilen mit zwei Dienstboten und seinen abwechselnd ihn besuchenden Verwandten während höchstens drei Monaten bewohnt und in der er während ·dieser Zeit eigene Haushaltung führt. So auch im Sommer 1882, als er vom Gemeindevorstand von Misox zur Abgabe von Ausweisschriften behufs Erlangung der Niederlassung angegangen wurde.

In rechtlicher Hinsicht dagegen herrscht zwischen den Parteien Streit darüber, ob der Rekurrent ungeachtet seines Liegenschaftsbesitzes und der Führung eines eigenen Haushalts während drei Monaten in der Gemeinde Misox pflichtig sei, für sich, seine Verwandten und seine Dienstboten Ausweisschriften zu deponiren.

Eine sorgfältige Prüfung der bis zum Erlaß eines Bundesgesetzes über Niederlassung und Aufenthält diese Materie unbeschränkt beherrschenden kantonalen Gesetzgebung ergibt nun, daß nicht der vom Kleinen Rathe angeführte Art. 20, litt, b, der Fremdenpolizei ordnung, beziehungsweise des Niederlassungsgesetzes von 1840, sondern die jener Bestimmung derogirenden Art. l und 2 des graubündnerischen Gesetzes über die Niederlassung von Schweizerbürgern vom Jahre 1874, mit der neuen Bundesverfassung in Einklang gesetzt 1875, in Verbindung mit Art. 8 und 11 der Frerndenpolizeiordnung, im vorliegenden Falle maßgebend sind.

Nach diesen letztgenannten Gesetzesbestimmungen gilt, jeder Schweizer, der in einer Gemeinde des Kantons Graubünden, in der er nicht Bürger ist, seinen festen Wohnsitz aufschlägt und nicht als bloßer Aufenthalter angesehen werden kann, als Niedergelassener und ist verpflichtet, um eine Niederlassungsbewilligung einzukommen.

Als bloße Aufenthalter aber werden vier Kategorien aufgezählt, -worunter Dienstboten,
welche keine eigene Haushaltung führen, noch ein G-eschäft oder einen Beruf auf eigene Rechnung treiben, und Personen, welche zwar eigenen Haushalt führen oder einem selbstständigen Erwerb nachgehen, aber nur vorübergehend und nicht über vier Monate in einer Gemeinde ihren Wohnsitz nehmen.

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. II.

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858 Im Uebrigen sind gemäß der nämlichen Gesetzesstelle die Aufenthalter nach Bestimmung der Fremdenpolizeiordnung zu behandeln.

Das Niederlassungsgesetz ordnet demnach in selbstständiger Weise die Verhältnisse der Niedergelassenen, im Gegensatz zu der im Gesetze genau umschriebenen Klasse der Aufenthalter, überläßt jedoch die weitern Vorschriften üben den bloßer Aufenthalt, sowie die Bestimmungen über die Reisenden der Verordnung über die Fremdenpolizei. Diese letztere scheidet die Kontonsfremden, d. h.

im Kanton nicht heimatbevechtigten Personen (Schweizerbürger und Ausländer) in drei Klassen, nämlich: 1. Reisende-, 2. Aufenthalter; 3. Niedergelassene.

Unter den, Bestimmungen über die Reisenden findet sich in Art. 8 diejenige, daß Kurgäste von der Abgabe aller und jeder Reiseschriften befreit seien, wobei jedoch selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß sie sich nicht als Aufenthalter qualifiziren. Die Aufenthalter nämlich bedürfen zum Aufenthalt im Kanton einer Aufenthaltsbewilligung, worüber Art. 11 der allegirten Verordnung das Nähere feststellt.

3) Handelt es sich nun um die richtige Anwendung diesel' gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen auf den Rekurrenten oder einen unter gleichen Umständen in St. Bernhardin verweilenden kantonsfremden Schweizerbiirger, so leuchtet ein, daß derselbe nicht als Niedergelassener zu betrachten ist, weil er, obwohl eigene Haushaltung führend und Grundbesitzer daselbst, in St. Bernhardin doch keineswegs seinen festen Wohnsitz aufschlägt.

Er muß dagegen als Aufenthalter angesehen werden, indem und sofern er mit eigenem Haushalt nicht über vier Monate in der Gemeinde Wohnsitz nimmt. Ob er sich unter solchen Umständen zum Kurgebrauche oder zu einem anderweitigen Zwecke in St. Bernhardin aufhalte, fällt gegenüber der Bestimmung von Art. 2 des Niederlassungsgesetzes rechtlich nicht in Betracht.

Was von der Person des Rekurrenten gesagt ist, gilt jedoch nicht von den in St. Bernhardin ihn zeitweilig besuchenden Verwandten.

Es liegt nicht der geringste rechtliche und faktische Anhaltspunkt vor, um diese zur Einholung einer Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung, beziehungsweise zur Schriftenabgabe zu verhalten.

Sie sind hievon durch Gesetz und Staatsvertrag befreit, mag man sie nun als Reisende oder als Kuranten, die keine eigene Haushaltung
führen, betrachten.

-=* Dagegen stellt sich die Sache wieder anders dar in Ansehung der vom Rekurrenten zur Besorgung seines Haushalts in St. Bernhardin verwendeten Dienstboten. Nach dem klaren Wortlaute des

859 Gesetzes hätten in dem gleichen Falle auch schweizerische Dienstboten um eine Aufenthaltsbewilligung einzukommen. Es kann deßhalb dem Bundesrathe nicht zustehen, Dienstboten italienischer Abkunft gegen die Verfügung kantonaler Behörden hievon zu befreien.

4) Den im Vorhergehenden auseinandergesetzten maßgebenden gesetzlichen Verhältnissen entspricht der rekurrirte Entscheid des Kleinen Käthes von Graubünden, d. d. 14, Oktober 1882, thatsächlich, insofern er den Rekurrenten und seine Dienstboten zur Einholung einer Aufenthaltsbewilligung verpflichtet, dagegen nicht, indem er diese Forderung auch gegenüber den, Jenen in St. Bernhardin bloß zeitweilig besuchenden Verwandten erhebt.

7. Anläßlich eines Spezialfalles stellte die R e g i e r u n g v o n G l a r u s die Anfrage, ob es nach der bundesrechtlichen Praxis einem Schweizerbürger gestattet sei, nach erhaltener gerichtlicher Vorladung, aber vor Ablauf der für Erlaß der Rechnungsrüfe angesetzten Frist, resp. vor Austragung des Konkurses, durch bloße Abreise die Veränderung seines rechtlichen Domizils gestützt auf die Anschauung zu erwirken, daß die Ausweisschriften des Betreffenden zu seiner Person und nicht zu seinen Aktiven gehören.

Diese Anfrage wurde in folgendem Sinne beantwortet : Für die Frage der Kückhaltung der Legitimationspapiere seien die in mehreren Entscheiden der Bundesversammlung niedergelegten Grundsätze maßgebend. (Bundesbl. 1875 II, 587 ff., 667 ff.; 1876 I, 115, 740, 969; 1881 H, 675, Nr. 12 und 13.)

Mit diesen Grundsätzen sei die Vorschrift nicht vereinbar, daß Jemand seine Absicht, aus dem Kanton wegzuziehen, zuerst öffentlich publiziren müsse, und daß er die Papiere erst später nach Ablauf einer bestimmten Frist zurückerhalten könne.

Damit sei jedoch über Fragen des Gerichtsstandes, z. B. wegen Austrag des Konkurses oder Durchführung bereits anhängig gemachter Prozesse nicht entschieden, indem hiefür zivilrechtliche Grundsätze und Gesetze maßgebend seien.

Es erscheine hiebei völlig gleichgültig, ob die Rückhaltung1 von Papieren durch eine gerichtliche oder durch eine administrative Behörde verfügt worden (vorausgesetzt, daß es sich nicht um ein Verbrechen oder Vergehen handelt) ; denn es seien auch die Gerichte verpflichtet, die Bundesverfassung und die in Ausführung derselben entstandenen Gesetze oder Rechtsgrundsätze zu beobachten.

860 c. V e r w e i g e r u n g der A u s w e i s p a p i e r e .

8. Der in Grossau, St. Gallen, wohnende Lehrer K a s p a r F ä ß l e r hatte im Februar die Wittwe des Dr. R o b e r t T r o x l e r von Münster, Kantons Luzern, geehlicht. Seither wohnten die drei jüngsten Kinder aus der ersten Ehe der Letztem bei ihm; allein er konnte von der Heimatgemeinde Münster keine Ausweisschriften für sie erhalten, indem die Zufertigung von solchen für so lange verweigert wurde, bis die Frage, wo diese Kinder ihren Wohnsitz zu nehmen haben, sei es durch den Abschluß eines Pflegvertrages mit ihrem Stiefvater Fässler, sei es durch anderweitige Versorgung derselben definitiv erledigt sei.

Die Regierung von St. Gallen stellte nun das Gesuch, es möchte die Regierung des Kantons Luzern veranlaßt werden, für die Kinder Troxler ungesäumt Ausweisschriften aushinzugeben.

Die Regierung von Luzern lehnte jedoch in ihrer Vernehmlassung dieses Ansinnen ab, indem sie wesentlich Folgendes geltend machte.

Die obervormundschaftliche Gewalt über die minderjährigen Kinder Troxler, welche nach der luzernischen Gesetzgebung sowohl, als nach der bundesrechtlichen Praxis der Behörde von Münster zustehe, umfasse nicht bloß die Vermögens Verwaltung, sondern auch die Obsorge für die Person. Was die Vermögens Verwaltung betreffe, so beharre Herr Fäßler selbst nicht mehr auf dem früher gestellten Begehren um Aushändigung des Vermögens seiner Stiefkinder.

Wenn aber die obervormundschaftlichen Rechte der Behörde von Münster grundsätzlich anerkannt werden müssen, so stehe dieser Behörde auch das Recht zu, hinsichtlich der Person der Bevormundeten die gutscheinenden Verfügungen zu treffen, die Art und Weise ihrer Verpflegung und Erziehung zu leiten und zu bestimmen.

Eine Trennung der Kinder von ihrer Mutter sei von der Behörde damit noch keineswegs beabsichtigt, nur müsse zuvor mit dem Stiefvater ein förmlicher Pflegvertrag vereinbart werden.

Die aus Art. 45 der Bundesverfassung abgeleitete Praxis, daß die Heimatgemeinde die Pflicht habe, ihrem Bürger die erforderlichen Ausweisschriften zu verabfolgen, könne nur unter der Beschränkung richtig sein, daß keine konstitutionellen oder gesetzlichen Hindernisse entgegenstehen. Ein solches Hinderniß bilde die Vormundschaft. Nach dem luzernischen Gesetze über Fremdenpolizei und Niederlassungswesen
vom 9. März 1859 dürfen weder der Vogt, noch der Gemeinderath, noch der Regierungsrath unter Verhältnissen, wie sie hier vorliegen, die Aushingabe der Heimatscheine bewilligen und sie können auch nicht unter dem Gesichtspunkte

861 des Art. 45 der Bundesverfassung dazu gezwungen werden, widrigenfalls jede vormundschaftliche Obsorge durch die bloße Uebersiedlung eines Bevormundeten in einen andern Kanton unwirksam gemacht würde.

Dem Kanton St. Gallen, in welchem, im Gegensatz zu Luzern, das Vormundschaftswesen auf dem Territorialgrundsatz beruhe, stehe das Recht nicht zu, vom Kanton Luzern zu verlangen, daß derselbe für seine Angehörigen, die sich zufällig im Gebiete des Kantons St. Gallen aufhalten, die Vormundschaftsgesetzgebung des Letztern anerkenne.

Die Beschwerde wurde am 28. Februar für begründet erklärt, mit folgender Motivirung: 1) Vom Standpunkte der Vormundschaft aus und so lange nicht ein Bundesgesetz über diese Materie besteht, ist jeder Kanton berechtigt, an der vollen Anwendung seiner Gesetzgebung über das Vormundschaftswesen festzuhalten. Obwohl der Art. 46 der Bundesverfassung als leitender Gedanke für die zukünftige Bundesgesetzgebung über die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen im Grundsatze das Recht des Wohnsitzes anerkannt hat, ist der Kanton Luzern, dessen Vormundschaftsrecht auf der Gesetzgebung der Heimat beruht, so lange berechtigt, die Anwendung seiner Gesetze über diese Materie aufrecht zu erhalten, als das eidgenössische Gesetz nicht besteht, in dem Sinne wenigstens, daß man diesen Kanton nicht zwingen kann, irgend eine Handlung zu vollziehen, welche einem Verzichte von seiner Seite auf die angesprochene Ausübung der Vormundschaft über das Vermögen und selbst über die Person seiner minderjährigen außerhalb des Kantons niedergelassenen Angehörigen gleich käme.

2) Die vorliegende Streitfrage ist jedoch anderer Natur. Es handelt sich nicht mehr darum , ob die Vormundschaft über die Kinder Troxler der Heimatgemeinde entzogen werden soll, sondern nur darum, ob diese Letztere, nachdem ihre vormundschat'tliche Kompetenz vollständig anerkannt ist, angehalten werden könne, den in Frage stehenden Minderjährigen, welche thatsächlich in Gossau, Kantons St. Gallen, ihren Wohnsitz, haben, Heimatscheine auszustellen.

3) Diese Frage berührt nicht mehr das Vormundschaftsrecht, sondern wird einzig von den über das Niederlassungswesen bestehenden Regeln beherrscht, welche im Interesse der Ordnung und der Polizei fordern, daß jedes Individuum, welches außerhalb seiner Gemeinde oder seines Kantons wohnt, mit Legitimationspapieren versehen sei, wodurch seine Identität und das Recht zur Rückkehr

862 in seine Heimatgetneinde festgestellt wird. Die Gemeinde Grossau, in welcher die Kinder Troxler t h a t s ä c h l i c h wohnen, hat unbestreitbar das Recht, zu verlangen, daß dieselben ihre Legitimationspapiere vorlegen. Die Gemeinde Münster dagegen kann diese Ausweissehriften nicht verweigern, zumal letztere nur die Konstatirung einer wahren Thatsache enthalten, und überdies die Gemeinde Münster weder dagegen reklamirt noch protestirt hat, daß die Kinder Troxler in Gossau wohnen, so daß man annehmen kann, sie habe diese Thatsache wenigstens stillschweigend genehmigt. Ueberdies entspricht es ganz den Gesetzen der Natur, daß diese Minderjährigen bei ihrer Mutter wohnen, so daß es wichtiger Beweggründe bedürfte, um dieses Verhältniß zu ändern, während immerhin das Vormundschaftsrecht des Kantons Luzern vorbehalten bleibt.

9. B a r b a r a L u s s e r voa Schattdorf, Kantons Uri, hat am I. Mai 1870 in St. Louis (Elsaß) ein uneheliches Kind geboren und später mit einem Berner sich verehelicht. Das Kind blieb in der neuen Familie, welche ihren Wohnsitz in Maienfeld (Graubünden) nahm. Die Gemeindebehörde von Maienfeld verlangte einen besondem Heimatschein für dasselbe, allein die Gemeinde Schattdorf verweigerte die Ausstellung eines solchen, so lange nicht der Civilstand des Kindes durch das Bezirksgericht festgestellt worden, was bis jetzt, weil die Mutter von der Geburt ihres unehelichen Kindes keine Anzeige gemacht, nicht geschehen sei.

Die Regierung von Uri bestätigte diese Verweigerung und verlangte, daß die Barbara Lusser vor Allem aus die gesetzlich vorgeschriebene Feststellung des Civilstandes ihres Kindes nachzusuchen habe. Die Gemeinde Schattdorf könne um so weniger zur Ausstellung eines Heimatscheines angehalten werden, als es nicht schwer sein dürfte, am Geburtsorte des Kindes Ausweisschriften für dasselbe zu erhalten.

Auf erhobenen Rekurs hin beschloß der Bimdesrath am II. Juli 1881, die Regierung des Kantons Uri sei einzuladen, dafür besorgt zu sein, daß das uneheliche Kind der Barbara Lusser von Schattdorf in die Civilstands- und Bürgerregister dieser Gemeinde eingetragen und daß ihm von der kompetenten Behörde ein Heimatschein zugestellt werde.

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Dieser Beschluß stützte sich auf folgende Erwägungen : 1) daß die Verweigerung eines Heimatscheines durch die Heimatgemeinde eine Schmälerung des durch Art. 45 der Bundesverfassung garantirten Rechtes zur freien Niederlassung in einem andern Kantone in sich schließt, weshalb gemäß Art. 59, Ziff. 5,

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des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 der Bundesrath kompetent ist, darüber zu entscheiden, ob die Verweigerung eines Heimatscheines begründet sei oder nicht ; 2) daß diese Frage in Uebereinstimmung mit der konstanten bundesrechtlichen Praxis nach denselben Grundsätzen beurtheilt werden muß, welche für die Verweigerung der Niederlassung im gleichen Art. 45 aufgestellt sind ; 3) daß im Spezialfalle kein verfassungsmäßiger G-rund vorliegt, welcher zur Verweigerung der Niederlassung der Maria Barbara Lusser berechtigen würde, also auch die Verweigerung der Legitimationspapiere für sie von Seite des Heimatkantons als unbegründet erseheint; 4) daß die Regierung des Kantons Uri anerkennt, es sei die Barbara Lusser vor ihrer Verehelichung mit Johann Ulrich Solberger von Wynigen, Kts. Bern, -Bürgerin der Gemeinde Schattdorf, Kts. Uri, gewesen, und daß somit auch ihr uneheliches Kind Maria Barbara Lusser durch die Geburt das gleiche Bürgerrecht erworben hat, indem nach der Gesetzgebung des Kantons Uri (Art. 120 des Landbuches) das uneheliche Kind der Mutter folgt, wenn der Vater, wie hier der Fall, nicht bekannt ist, ein Grundsatz, der auch am Orte der Geburt des Kindes gemäß dem französischen Code civil bestanden hat und jetzt noch besteht, und zwar mit der Ausdehnung, daß dort nach dem Vater nicht gefragt werden darf 5 5) daß übrigens die uneheliche Abstammung der Maria Barbara Lusser von eiaer Urnerin von keiner Seite bestritten ist und der Auszug aus dem Geburtsregister der Gemeinde St-Louis als öffentliche Urkunde, gemäß Art. 11 des Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe, volle Beweiskraft besitzt, so lange nicht der Nachweis der Fälschung oder der Unrichtigkeit ihres Inhaltes erbracht ist; 6) daß nach Vorschrift von Art. 5 des soeben erwähnten Bundesgesetzes die Civilstandsbeamten verpflichtet sind, auch die im Auslande stattgefundenen Geburten von Inländern in die Civilstandsregister einzutragen, und zwar soll dieses gemäß Art. 8 des gleichen Gesetzes u n v e r z ü g l i c h n a c h d e r e n E m p f a n g geschehen, so daß dieser Eintrag nicht erst von dem gerichtlichen Entscheide über eine Thatsaehe, die ohnehin bereits durch eine authentische Urkunde festgestellt ist, abhängig gemacht werden darf; 7) daß vielmehr solche kantonale Vorschriften, welche in erwähnter Weise den Vollzug des Bundesgesetzes über den Ci viistand hemmen würden, gemäß Art. 62 dieses Gesetzes aufgehoben sind;

864

8) daß somit auch die Einschreibung der Maria Barb. Lusser in das Bürgerbuch der Gemeinde Schattdovf unbeanstandet vollzogen werden muß, indem der im Geburtsakt liegende authentische Beweis für ihr Bürgerrecht nicht erst von der Mutter noch weiter bekräftigt zu werden braucht, sondern nur durch den Gegenbeweis der Fälschung oder der Unrichtigkeit des Inhaltes zerstört werden kann, während bis jetzt ein solcher Gegenbeweis gar nicht versucht worden ist; 9) daß von einer diplomatischen Verhandlung behufs Anerkennung des fraglichen Mädchens in St-Louis keine Rede sein kann, da für eine solche Verwendung nicht die geringste Aussicht auf einen günstigen Erfolg besteht, indem die Vermuthung unrichtig, ist, daß die auf den Stand der Unehelichen bezüglichen Vorschriften des französischen Code civil, welcher auch heute noch im Elsaß in Kraft besteht, geändert worden seien.

3. Handels- und Gewerbefreiheit, a. Statistik.

Die Zahl der Rekurse betreffend die Handels- und Gewerbefreiheit ist im Vergleich zu dem Vorjahre ungefähr die gleiche geblieben; sie beträgt im Berichtjahre 31 (1881 30, 1880 40).

Ueber die Gegenstände und die Art ihrer Erledigung gibt die nachstehende Uebersicht Auskunft.

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Hausirhandel . . . .

Betrieb von Wirthsehaften Brodverkauf . . . .

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Kaution von Geschäftsagenten Holzhandel Metzgergewerbe .

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Im Einzelnen werden folgende Entscheide herausgehoben: b. Handelsfreiheit.

10. Der im vorjährigen Geschäftsbericht erwähnte, bei der Bundesversammlung anhängig gemachte Rekurs des F. J. B u c h er in Kägiswyl gegen das Obwaldner Gesetz vom Jahre 1716 , betreffend den ,,vierten Pfennig" (Bundesblatt 1882, I, 455), wurde, nachdem dieses Gesetz von der Obwaldner Landsgemeinde am 30. April 1882 außer Kraft gesetzt worden, vom Rekurrenten als gegenstandslos zurückgezogen.

11. Der Rekurs des Hrn. Theodor C u r t i von Rappersvvyl, St. Gallen , wohnhaft in Zürich, wegen Verletzung der Handelsund Gewerbefreiheit sowie der Niederlassungsfreiheit durch die st. gallische Steuerpraxis gegenüber den auswärts wohnenden Grundeigenthümern ist bekannt durch dessen Weiterziehung an die Bundesversammlung, bei welcher er noch pendentist. Unser Entscheid vom 12. Juni 1882, womit der Rekurrent abgewiesen worden, ist gedruckt im Bundesblatt 1882, IV, 527.

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e. Gewerbefrciheit.

1. W i r t h s c h a f t s w e s e n .

12. Nach § 7, litt, b und f, des zürcheriiichen Wirthschaftsgesetzes von 1845 sind die Mitglieder der Bezirksgerichte und solche Personen, welche mit denselben in gemeinschaftlicher Haushaltung leben, von der Ausübung eines Weinschenk- oder Speisepatentes ausgeschlossen. Auf Grund dieser Bestimmung wurde dem J o h a n n K a s p a r B e n z , Bezirksrichter und Wirth in Wülflingen, durch Beschluß der Regierung von Zürich vom 31. Dezember 1881 die definitive Erneuerung seines Wirthsehaftspatentes, sei es auf seinen oder auf seiner Ehefrau Namen, verweigert.

Die Beschwerde des Herrn Benz wurde von uns, soweit er sich auf Art. 31 der Bundesverfassung berief, ara 9. Juni 1882 als unbegründet abgewiesen, in Erwägung, daß die Erklärung der Unvereinbarkeit eines bestimmten Gewerbebetriebs mit einer kantonalen Beamtung den Kantonen unbedingt zusteht, sei es, daß man sie als eine organisatorische Bestimmung über die Bedingungen der Wählbarkeit der Beamten des Kantons auffaßt, sei es, daß man darin eine der in Art. 31, litt, c, der Bundesverfassung vorbehaltenen Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben erblickt, wodurch der Grundsatz der Gewerbefreiheit keineswegs und zwar im konkreten Falle auch nicht -in der Ausdehnung der Unvereinbarkeit auf die mit ihm in ungetrennter Haushaltung lebende Ehefrau des Rekurrenten beeinträchtigt wird. (Bundesblatt 1880, II, 611, Nr. 21 u. 22.)

13. Der Frau B e r t h a F i s c h e r - J u c h l i in Wohlen wurde mit Beschluß der Regierung des Kantons Aargau vom 26. Oktober 1881 die Bewilligung zur Betreibung einer Speisewirthschaft in ihrem eigenen Hause verweigert, weil die betreffende Lokalität sich nach den vorliegenden amtlichen Berichten als eine unzulängliche erzeigte und überdies die Gesuchstellerin und ihr Ehemann schon mit Rücksicht auf das körperliche Gebrechen des Letztern nicht die nöthige Gewähr für Handhabung der Ordnung und Disziplin im Wirthschaftslokale darböten.

Gegen diesen Beschluß beschwerte sich Frau Fischer unter Bestreitung der demselben zu Grunde liegenden thatsächlichen Angaben. Sie wurde jedoch am 14. März 1882 mit folgender Begründung abgewiesen : Das Motiv, daß der Ehemann der Rekurrentin mit körperlichen Gebrechen behaftet sei, ist kein hinreichender Grund, um ein

867

Wirthschaftspatent zu verweigern, wie dies übrigens bereits in einem ähnlichen Falle entschieden worden ist.

Dagegen. ist mit Bezug auf das zweite Motiv, wonach die Lokalitäten , in welchen die Rekurrentin Willens ist, eine Wirthschaft zu errichten, sich zu diesem Zwecke nicht eignen und hiefür zu beschränkt und ungenügend seien, in konstanter Praxis in der Weise entschieden worden , daß dieses Motiv die Ablehnung eines Wirthschaftspatentes genügend rechtfertige und daß es nicht im Widerspruche stehe mit Art. 31 der Bundesverfassung.

Uebrigens steht es der Kantonsregierung und nicht den Bundesbehörden zu, zu entscheiden , ob die in Aussicht genommenen Lokalitäten zu ihrem Zwecke in sanitarischer Hinsicht genügen und ob sie geräumig genug und so gelegen seien , daß sie polizeilich leicht überwacht werden können.

14. J e a n J o s e p h M o n n e y hatte im Jahre 1877 in Tourde-Treme (Kanton Freiburg) ein Haus gekauft, auf welches der bisherige Eigenthümer kurz zuvor eine Wirthsehaftskonzession erworben hatte. In der Voraussetzung, das seinem Vorgänger ausgestellte Patent gelte auch für ihn, setzte er den Betrieb der Wirthschaft fort, ohne sich hiefür zuvor mit einem auf seinen Namen lautenden Patent versehen zu haben. Erst im Jahre 1881 wurde er von den Behörden angehalten, in dieser Beziehung dem Gesetze zu genügen.

Durch Staatsrathsbeschluß vom 24. Dezember 1881 wurde jedoch dem Monney das nachgesuchte Patent verweigert. Dieser Beschluß war damit begründet, daß einerseits die Person des Gesuchstellers die in Art. 8, Ziffer 3, der kantonalen Verordnung über das Wirthschaftswesen, vom 10. Dezember 1879, festgesetzten Bedingungen nicht erfülle und daß anderseits die betreffende Lokalität den in Art. 9, Ziffer l, 3 und 4, jener Verordnung aufgestellten Erfordernissen nicht entspreche.

Monney verlangte im Beschwerdewege die Aufhebung jenes Beschlusses, wurde jedoch am 2. Juni 1882 abgewiesen, gestützt auf folgende Erwägungen : 1) Durch die Erklärungen der zuständigen Behörden, sowie, in einem Punkte, durch das Geständniß des Beschwerdeführers selbst, ist hinlänglich festgestellt, daß die Lokalität, in welcher der Letztere eine Wirthsehaft errichten oder vielmehr beibehalten will, den im Art. 9, Ziffer l und 3, Litt, a, der Freiburger Verordnung vom 10. Dezember 1879 vorgeschriebenen Bedingungen nicht entspricht, indem dieselbe weder 1) die vorschriftsmäßige Entfernung

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von der Gemeindeschule, noch 2) diejenige Hohe besitzt, welche in der genannten Verordnung vorgeschrieben ist.

2) Die Aufstellung obiger Bedingungen widerspricht dem Art. 31 der Bundesverfassung nicht.

3) Die Abweisung des Begehrens von Jean Joseph Monney durch die Regierung von Freiburg ist hiemit hinlänglich begründet, so daß eine Prüfung der andern Motive, auf die sich die Verweigerung im Weitern stützt, überflüssig erscheint.

4} Wenn vom Rekurrenten behauptet und durch die den Akten beigegebenen Pläne dargethan wird, daß eine ardere in der gleichen Gemeinde betriebene Wirthschaft noch näher beim Schulgebäude steht, als das Haus Monney, so gibt diese allerdings zu mißbilligende Thatsaehe dem Monney keineswegs ein Recht, auch seinerseits das Gesetz zu verletzen, sondern blos, wie dies auch von der Freiburger Regierung betont wird, die Berechtigung, auf ciie Beseitigung jenes Mißstandes zu dringen.

15. Die Beschwerde des Joh. G i l l i é r o n - D a f f l o n wegen Verweigerung einer Wirthschaftsbewilligung durch die Regierung von Freiburg wurde vom Bundesrathe arn 14. März 1882 ebenfalls unbegründet erklärt. Petent hat jedoch bekanntlich gegen diesen Entscheid an die Bundesversammlung rekurrirt, wo die Sache jetzt noch anhängig ist. Wir verweisen auf unsern Beschluß, im Bundesblatt 1882, Bd. III, S. 360.

2. B ä c k e r e i .

16. Die Rekurse des Bäc k e v v e r e i n s von Bern, der Bäcker J o h a n n I s e l i und J o h a n n H e r t i g in Bern und des Friedrich S c h m u t z , Bäcker in Ursenbach (Bern), ge^en die im Kanton Bern geltenden Vorschriften betreffend das Brodgewicht sind von uns am 27. Januar 1882 begründet erklärt worden. Die Regierung von Bein hat bekanntlich gegen diese Entscheide Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen, bei welcher die Sache jetzt noch anhängig ist. Wir verweisen auf unsere Beschlüsse im Buodesblatt 1882, III, 703 und 709.

17. Einen ähnlichen Rekurs erhoben die Herren S c h m i d u n d K o n s o r t e n Namens einer Versammlung von etwa zwanzig B ä c k e r n der G e m e i n d e H e r i s a u , indem sie gegen die in der Verordnung des Kantons Appenzell A.-Kh. vom 23./24. November 1876 und 26. Februar 1877 enthalteneu Bestimmungen sich

869 beschwerten, wonach die Bäcker nur Brode von bestimmtem Gewichte backen dürfen. Auch dieser Rekurs wurde von un's am 4. Juli 1882, gestützt auf die in den soeben erwähnten Entscheiden über die Rekurse der Berner Bäcker adoptirten Erwägungen, für begründet erklärt.

18. Zwei weitere hieher gehörige Rekurse von Bäckern gegen die im Kanton Zürich geltenden Vorschriften über das Brodgewicht wurden auf Veranlassung der Regierung von Zürich einstweilen zurückgestellt, in Gewärtigung des Entscheides der Bundesversammlung über den Rekurs der Regierung von Bern.

19. Angesichts der demnächst zu erwartenden definitiven Erledigung der allen diesen Rekursen zu Grunde liegenden Fragen betreffend die verfassungsmäßige Zuläßigkeit gesetzlicher oder reglementarischer Bestimmung des Brodgewichts und im Interesse einer möglichst gründlichen Erörterung derselben, hielten wir es für angezeigt, zu Händen der eidgenösssschen Räthe eine Sammlung der kantonalen Vorschriften über die Masse und Gewichte im Verkauf der Lebensmittel, insbesondere des Brodes, AU veranstalten und die Ansichten der Kantonalregierungen über deren praktische Wirksamkeit und die Wünschbarkeit ihres Fortbestandes einzuholen.

Wir erließen zu diesem Zweke das im Bundesblatt 1882, IV, 582, abgedruckte Kreischreiben vom 11. Dezember 1882.

Die Antworten der Kantone finden sich in unserm Spezialberichte vom 9. März 1883 zusammengefaßt. (Bundesblatt 1883, I, 359.)

3. M e t z g e r g e w e r b e .

20. F e l i x B a r m e t t l e r , Metzger in Stans, wurde von der Regierung des Kantons Unterwaiden N.-W., gestützt auf eine landräthliche Verordnung vom 23. April 1869, dem Strafrichter überwiesen, weil er in seiner Behausung Vieh geschlachtet hatte, anstatt hiefür das obrigkeitliehe Schlachthaus za benützen.

Die von Barmettler. gegen diesen Entscheid unter Berufung von Art. 31 und 4 der Bundesverfassung erhobene Beschwerde wurde von uns am 5. April mit folgender Motivirung als unbegründet abgewiesen: 1) In Art. 31 der Bundesverfassung ist die Freiheit des Handels und der Gewerbe im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet, jedoch unter der Bedingung, daß den Kantonen nicht

870

blos sanitätspolizeiliche Maßregeln gegen Epidemien und Viehseuchen (litt, b), sondern auch im Allgemeinen Verfügungen über die Ausübung von Gewerben (litt, c) vorbehalten bleiben, wobei im Schlußsatze des Art. 31 nur die Wegleitung gegeben ist, daß diese Verfügungen den Grundsatz der Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen dürfen.

2) die Verordnung des Landrathes des Kantons Unterwaiden N.-W. vom 23. April 1869, wodurch die Gerneinderäthe ermächtigt worden sind, für das Schlachten von Groß- und Kleinvieh besondere Lokale zu bezeichnen, in denen allein geschlachtet werden darf, erscheint als eine vollkommen zuläßige und vom saoitätspolizeilichen Standpunkte aus gerechtfertigte, die in allen größern Ortschaften der Schweiz ebenfalls besteht, ohne daß darin eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der Gewerbefreiheit gefunden würde.

4. H a u s i r w e s e n .

21. Unser Bericht au die Bundesversammluug, vom 14. Februar 1882, über die Beschwerde d e s S t a a t s r a t h es von F r e i b ü r g gegen unsere Entscheide in Sachen Gebrüder B l u m und E. P o i n t e t betreffend Hausirtaxen ist bereits im letztjährigaa Geschäftsberichte erwähnt worden (Bundesblatt 1882, II, 762). Die Regierung von Freiburg beantragte zugleich, wie bekannt, daß über die Höhe der zulässigen Patenttaxen einheitliche Bestimmungen aufgestellt werden möchten, und ein gleiches Begehren wurde von Herrn Advokat Dr. Ryf in Zürich im Namen von 63 Firmen und Gewerbsleuten gestellt.

Im Nachgange zu obigem Berichte erstatteten wir unter'm 5. April 1882 noch einen zweiten Bericht an die Bundesversammlung über eine weitere Eingabe des Herrn Dr. Ryf, worin derselbe Namens der Herren J. Flückiger, Sohn, und Konsorten insbesondere die neue Vollziehungsverordnung zum Solothurner Hausirgesetze einer Kritik unterzog.

Unsere beiden Berichte sind gedruckt im lìundesblatt 1882, I, 353; II, 212.

Diese verschiedenen Rekurse und Petitionen wurden von der Bundesversammlung gleichzeitig in Berathung gezogen und fanden im Bimdesbeschluß vom 23. Juni 1882 (Bundesblatt 1882, III, 416) ihre gemeinsame Erledigung dahin, daß

871 1) die Beschwerde des Staatsrathes von Freiburg gegen die Entscheide des Bundesrathes in Sachen Gebrüder Blum und E. Pointet, soweit sie gegen die Revision der Vollziehungsverordnung vom 27. September 1878 im Sinne der Durchführung der im Gesetze vom 13. Mai 1878 vorgesehenen Minima und Maxima der Hausirtaxen gerichtet war, als unbegründet abgewiesen und 2) der Bundesrath eingeladen wurde, die leitenden Grundsätze zu formuliren und der Genehmigung der Bundesversammlung zu unterstellen, nach welchen die kantonalen Hansirpatentgesetze geprüft und die Beschwerden wegen zu hoher Belastung mit Hausirtaxen im Sinne des Art. 31, Schlußlemma, der Bundesverfassung entschieden werden sollen.

Unser Justiz- und Polizeidepartement hat sich im Laufe des Berichtjahres bereits mit dem in Ziffer 2 des obigen Beschlusses enthaltenen Auftrage befaßt, so daß es möglich sein wird, im Laufe des Jahres 1883 eine auf Erledigung dieses Gegenstandes zielende Vorlage zu machen.

Dieselbe wird sich gleichzeitig mit der am 12. Juni 1882 vom Ständerathe erheblich erklärten M o t i o n des Herrn C o r n a z zu befassen haben, durch welche der Bundesrath eingeladen wurde, der Bundesversammlung Bericht und Antrag vorzulegen, ob die schweizerischen Handelsreisenden in der Schweiz von Bezahlung von Taxen, denen die ausländischen Handelsreisenden laut Handelsverträgen nicht unterworfen werden können, nicht ebenfalls zu befreien seien.

'22. Herr P f a u s - G a s s e r , H e m d e n f a b r i k a n t in B e r n , beschwerte sich gegen die vom Regierungsrathe von Baselland, auf Grund der Hausirgesetze vom 2. April 1877 und 15. Nov. 1880, am 22. Juni 1881 erlassene Vollziehungsverordnung, wonach ihm für das Aufsuchen von Bestellungen bei Privaten eine vierteljährliche Patenttaxe von Fr. 60 verlangt werde, obgleich er jeweilen nur zwei Mal im Jahr während 8 bis 10 Tagen den Kanton bereisen lasse. Rekurrent glaubt, diese Taxe sei zu hoch und bilde ein schutzzöllnerisehes Privilegium für die Industrie des Kantons Baselland, enthalte somit eine Beeinträchtigung des verfassungsmäßigen Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit.

Der Rekurs wurde am 7. Juli 1882 mit folgender Begründung abgewiesen : 1) Es ist durch wiederholte Entscheide des Bundesrathes anerkannt, daß die Besteuerung des Hausirhandels durch die Kantone mit Art. 31 der Bundesverfassung nicht im Widerspruche steht, sofern nicht die daherigen Gebühren eine die Handels- und Gewerbefreiheit beeinträchtigende Höhe erreichen.

872 2) Der Bundésrath hat ferner in seiner bisherigen Praxis angenommen, daß relative Ansätze, welche eine angemessene Würdigung des Hausirgewebes im einzelnen Falle nach Maßgabe der Art der Waaren und der Zeit der Ausübung desselben zulassen, geeignet seien, eine weitere Kritik vom bundssrechtlichen Standpunkte aus auszuschließen, und daß sich grundsätzlich auch nichts dagegen einwenden lasse, wenn die Kantone die Patente nach ihrem Gutfinden auf eine kürzere oder längere Zeitdauer ausstellen, -- immerhin unter Vorbehalt der Grundsätze, welche vom Bundesrath, in Ausführung des neulichen Beschlusses der Bundesversamm-, lung, festgestellt werden dürften, und des dan Bundesbehörden gemäß Art. 31 der Bundesverfassung zustehenden Aufsichtsrechtes.

3) Diesem Erfordernisse kommt die Vollziehungsverordnung zu dem basellandschaftlichen'Hausirgesetze durch Aufstellung verschiedener Kategorien mit Minimal- und Maxiinalansätzen für den Hausirverkauf nach und es liegt auch in der Bestimmung, daß keine Patente auf eine kürzere Dauer als drei Monate ertheilt werden, wie schon erwähnt, kein Einbruch in das Verfassungsrecht, es wäre denn, daß auf diesem Wege ungebührlich hohe, den Verhältnissen eines bestimmten Gewerbebetriebes absolut nicht entsprechende Gebühren erzielt werden wollten, was im vorliegenden Falle jedoch nicht zutrifft.

23. Ein Reisender des Hauses B l u m - J a v a l & f i l s in B e r n und B e s a n c o n wurde vom Gerichtspräsidenten von Aarau in eine Buße von Fr. 30 verfällt, weil er auf dem dortigen Platze, ohne im Besitze eines Patentes zu sein, Bestellungen auf fertige Kleider aufgenommen hatte.

Unter Berufung auf den Umstand, daß ihr Haus sowohl in Frankreich als in der Schweiz etablirt sei und die Reisenden unterschiedlos von hier wie von dort zur Aufnahme von Bestellungen in beide Länder sende, verlangte die Firma Blum-Javal & fils beim Bundesrathe die Aufhebung des obigen Strafbofehls, indem sie für ihre Reisenden in der Schweiz die Wohlthat des Art. 22 des schweizerisch-französischen Handelsvertrages vom 23. Februar 1882 in Anspruch nahm, wonach die schweizerischen Handelsreisenden, welche für Rechnung eines schweizerischen Handelshauses Frankreich bereisen, sowie umgekehrt die französischan Handelsreisenden, welche für Rechnung eines französischen Handelshauses die Schweiz bereisen,
ohne Entrichtung einer Patenttaxe, mit oder ohne Muster Bestellungen aufnehmen können.

Die Regierung von Aarau betonte in ihrer Vernehmlassung, daß der fragliche Reisende sich nicht in der im Handelsvertrag

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vorgeschriebenen Form als französischer Handlungsreisender habe legitimiren können.

Diese Beschwerde wurde am 11. Dezember 1882 als unbegründet abgewiesen, in Erwägung, 1) daß die Rekurrenten nicht dargethan haben, daß ihr Reisender, Herr Isidor Levy, ausschließlich für Rechnung ihres Hauses in Besançon die Schweiz bereiste, um daselbst Bestellungen aufzunehmen ; 2) daß beim Mangel eines solchen Nachweises anzunehmen ist, Herr Levy bereise die Schweiz für Rechnung des in der Schweiz (Bern) bestehenden Hauses der Rekurrenten und es werden die von ihm in der Schweiz aufgenommenen Bestellungen von diesem Hause effektuirt; 3) daß Angesichts dieses Thatbestandes die Rekurrenten auf die durch Art. 22 des schweizerisch-französischen Handelsvertrages vom 23. Februar 1882 den Reisenden französischer Handelshäuser in der Schweiz gewährte Patenttaxbefreiung für ihren Reisenden nicht Anspruch machen können, weshalb eine Untersuchung der formellen Frage, ob Herr Isidor Levy sieh in Aarau nach Art. 22 des Handelsvertrages rechtzeitig und in gehöriger Form als französischer Handelsreisender ausgewiesen habe, als überflüssig erachtet werden muß.

5. Kaution für A u s ü b u n g eines Berufes.

24. T h e o p h i l S i m m e n , Fürsprecher, in Erlach, beschwerte sich gegen mehrere Entscheide des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern, durch welche ihm das Recht zur Besorgung von Schuldbetreibungen -- selbst in Sachen seiner Privatverwaltungen -- versagt worden, weil er sich geweigert hatte, die nach § 414 des bernischen Vollziehungsverfahrens vorgeschriebene Amtsbürgschaft zu leisten.

Herr Simmen war der Ansieht, daß eine Bürgschaft wohl für die Besorgung von Betreibungsaufträgen im Allgemeinen gefordert werden dürfe, dagegen nicht für solche Betreibungen, die Jemand als Sachwalter resp. als Bevollmächtigter eines bestimmten Dritten übernehme.

Dieser Rekurs wurde am 11. Mai 1882 als unbegründet abgewiesen , in Erwägung, daß die Forderung einer Kaution von solchen Personen, die den Beruf von Agenten für Schuldbetreibung Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. II.

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ausüben, mit dem Grundsatze der Gewerbefreilieit und mit Art. 31 der Bundesverfassung nicht im Widerspruche sieht.

4. Konfessionelle Verhältnisse. ' , 25. Durch Urtheil der Polizeikammer den Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern vom 6. April 1881 wurden die Abbés F r a n ç o i s L â c h â t in Pommerats, A n t o i n e L â c h â t in Saignelégier und E u g è n e J o b i n in Les Bois, Kt. Bern, wegen Anmaßung öffentlicher Funktionen, in Anwendung von Art. 83 des bernischen Strafgesetzes, jeder zu 15 Tagen Gefangenschaft und Fr. 25 Buße verurtheilt, weil dieselben in dcjn Kirchen der genannten Ortschaften Messe gelesen, gepredigt, Religionsunterricht ertheilt und die Sakramente gespendet, überhaupt sämmtliche Funktionen eines Pfarrvikars ausgeübt hatten, ohne zuvor als solche in den bernischen Kirchendienst aufgenommen worden zu sein und ohne die nach Art. 29 des bernischen Kirchen^jesetzes vom 18. Januar 1874 erforderliche Bewilligung der kantonalen Kultusdirektion, erhalten zu haben.

Gegen dieses Urtheil rekurrirte Hr. Fürsprecher Viatte in.

Saignelégier Namens der Verurtheilten, indem er wesentlich folgende Gesichtspunkte vertrat: 1. Die kirchlichen Handlungen der Rekurrenten seien keine öffentlichen Funktionen im Sinne von Art. 83 des bernischen Strafgesetzes.

2. Auch liege in denselben keine Anmaßung eines staatlichen Amtes, da die betreffenden Priester keinerlei staatliche Stellung oder Besoldung beansprucht haben, vielmehr jeder zu den> betreffenden Ortapfarrer in ein rein privates Verhältniß getreten sei.

3. Somit seien die fraglichen Handlungen als rein religiöse Privatakte zu betrachten, deren Straflösigkeit durch Art. 49 und 50 der Bundesverfassung und durch Art. l des bernischen Kirchengesetzes vom 18. Januar 1874 gewährleistet soi.

4. Allerdings seien von den Rekurrenten die öffentlichen Kirchengebäude benutzt worden, jedoch nachgewiesenermaßen mit der ausdrücklichen Bewilligung der Ortspfarrer und Kirchgemeinderäthe.

Dieser Rekurs wurde am 10. Januar 1M82 auf Grund folgender Erwägupgen abgewiesen: 1) Die Kantone sind unzweifelhaft befugt, Bestimmungen Über die persönlichen Erfordernisse zu erlassen, welche Diejenigen zu

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erfüllen haben, die in der anerkannten Landeskirche eine amtliche Stellung bekleiden wollen.

2. Die Bestimmungen des bernischen Gesetzes über die Organisation des Kirchenwesens vom 18. Januar 1874 (§§ 25 und 26), wonach nur solche Geistliche zu geistlichen Stellen in öffentlichen Kirchgemeinden wahlfähig sind, welche durch den Regierungsrath in den bernischen Kirchendienst aufgenommen wurden, wofür eine vorausgegangene Staatsprüfung und ein empfehlendes Gutachten der betreffenden Prüfungsbehörde über die Befähigung des Kandidaten zum geistlichen Amte seiner Konfession erforderlich sind, stehen somit in Uebereinstimmung mit der Bundesverfassung.

3) Die Rekurrenten anerkennen nun selbst, in Les Pommerais, Saignelégier und Les Bois staatskirchliche Funktionen ausgeführt zu haben, ohne die Eigenschaften zu besitzen, welche das Gesetz des Kantons Bern über die Organisation des' Kirchenwesens fordert.

4) Gemäß § 29 des gleichen Gesetzes werden die Vikariatsund Pfarrverweserstellen durch den betreifenden Kirchgemeinderath im Einverständnis mit der Kirchendirektion besetzt. Die Stellung der Rekurrenten ist auch mit dieser Vorschrift im Widerspruch, insofern die Genehmigung ihrer Wahl durch die Kirchendirektion mangelt.

5) Die Frage, ob Art. 83 des bernischen Strafgesetzbuches auf eine derartige Uebertretung der bernischen Gesetzgebung über das Kirchenwesen anwendbar sei, ist gerichtlicher Natur und liegt somit außer jeder Kognition der administrativen Bundesbehörden.

6) Eine der vorliegenden analoge Frage ist übrigens bereits unterm 10. August 1880. anläßlich des Rekurses des römischkatholischen Priesters Clément Maître, vom Bundesrathe im Sinne der angeführten Erwägungen entschieden worden. (Bundesblatt 1880, IV, 43.)

26. Nach dem s o l o t h u r n i s c h e n G e s e t z e ü b e r die W i e d e r w a h l der P f a r r g e i s t l i c h e n vom 28. Dezember 1872 beträgt die Amtsdauer eines Pfarrgeistlichen sechs Jahre, und zufolge § 22, litt, f der Staatsverfassung des Kantons Solothurn vom 12. Dezember 1875 geschieht die Wahl der Pfarrer durch die Konfessionsangehörigen in den. Pfarrgemeinden unter Vorbehalt des staatlichen Bestätigungsrechtes.

Unter Berufung auf obige Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen hatten 76 ,,katholische Einwohnera mit Eingabe vom 9. Januar 1881 bei dem G e m e i n d e r a t h von T r i m b a c h

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die Einberufuog einer außerordentlichen Gemeindeversammlung ver langt behufs ,,Ausschreibung der katholischen Pl'arrstelle Trimbacha.

Dieses Begehren wurde vo m Gemeinderathe, sowie von der Regierung und vom Kantonsrafyie abgewiesen, und zwar unter Aufstellung folgender Motive: Die Gemeinde Trimbach habe sich durch wiederholte Mehrheitsbeschlüsse und Wahlvorschläge in den Jahren 1872--1875 als ^christkatholisehe Gemeinde" erklärt und der ,,christkatholischen Kirche der Schweiz" sich angeschlossen, der sie auch jetzt noch angehöre. Die Minderheit dagegen bilde als ,,römisch-katholische Kirchgenossenschafta eine besondere Vereinigung mit eigener Kirche, eigenem Geistlichen, eigenem · Gottesdienst ur«.d eigener Kirchenverwaltung. Die Petenten gehören dieser letatern Genossenschaft an und besitzen demzufolge nicht das Recht, eine Versammlung der christkatholischen Kirchgemeinde zu verlangen, Namens obiger 76 Gesuchsteller richteten nun Herr- Gemeinderath J a k o b S t e i n m a n n in Trimbach und drei Mitunterzeichner eine Rekurseingabe an den Bundesrath, worin sie ihr Begehren um Anordnung einer Pfarrwahl wie folgt begründeten: In Trimbach sei die alte katholische Pfarrgemeinde niemals aufgehoben worden. Die Rekurrenten seien ulle Mitglieder dieser alten, zur Diözese Basel gehörenden Pfarrgenieinde.' Wenn auch die Pfarrer von Trimbach seit 1873 der sogenannten ,,ehristkatholischen Partei" sich angeschlossen, so werde doch entschieden bestritten, daß jemals die alte katholische Pfarrei Trimbach durch einen rechtsgültigen Mehrheitsbeschluß sich in eine ,,christkatholische Kirchgemeinde"' umgewandelt habe. Es gebe nur e i n e katholische Gemeinde Trimbach, und in diesem Sinne seien auch die Rekurrenten Angehörige der einen christkatholischen Gemeinde Trimbach unter deren derzeitigem Pfarrer. Das römisch-katholische Kirchlein, der darin funktionirende Geistliche, der daselbst stattfindende Gottesdienst und die dafür bestimmten pekuniären Hülfsmittel tragen einen ausschließlich privaten Charakter.

Der Rekurs wurde von uns am 8. September 1882, gestützt auf folgende Erwägungen, als unbegründet abgewiesen: 1) Wenn die Rekurrenten sich über Rechtsverweigerung beschweren wollen, weil die solothurnischen Behörden ein ihnen als stimmberechtigten Mitgliedern einer Gemeinde nach der Kantonsverfassung und der
kantonalen Gremeindeorgünisation zustehendes Recht nicht anerkennen und beachten, so haben sie diese Beschwerde nicht beim Bundesrathe, sondern beim Bundesgerichte anzubringen.

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(Art. 102, Ziffer 2 und Art. 113, Ziffer 3 und Absatz 2 der Bundesverfassung in Verbindung mit Art. 59 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874.)

2) Dagegen hat in Gemäßheit der erwähnten bundesrechtlichen Bestimmungen der Bundesrath die Frage zu untersuchen, ob das vorliegende Rekursbegehren vom Standpunkte der Art. 49 und 50 der Bundesverfassung aus sich rechtfertigen lasse, insbesondere, ob der gegenwärtige Fall als ein anläßlich der Bildung oder Trennung von Religionsgenossenschaften entstandener, öffentlich rechtlicher Anstand zu beurtheilen sei.

3) Wenn auch die gegenseitigen rechtlichen Verhältnisse zwischen den beiden in Trimbach faktisch bestehenden religiösen Genossenschaften keineswegs als geordnet erscheinen, so geht doch immerhin so viel als unbestrittene Thatsache aus den Akten hervor, daß die eine dieser Genossenschaften einen Bestandtheil der .,,christkatholischen Kirche der Schweiz" bildet, während die andere nicht dieser Kirche, wohl aber der ,,römisch-katholischen Kirche"1 angehören zu wollen erklärt.

Unter diesen Umständen bedarf es keines nähern Nachweises, daß die Rekurrenten sich grundlos auf Art. 49 der Bundesverfassung berufen. Unzweifelhaft kann nicht eine dieser beiden Genossenschaften das Recht beanspruchen, an der Wahl des Geistlichen der andern theilzunehmen, und es liegt auf der Hand, daß die Kantonsbehörden durch Abweisung eines solchen Begehrens die Glaubens und Gewissensfreiheit der beidseitigen Konfessionsgenossen nicht verletzen, sondern dieselbe vielmehr schützen und wahren.

Anderseits unterliegt es keinem Zweifel, daß zwischen den in früherer Zeit in einer katholischen Kirchgemeinde vereinigten Einwohnern von Trimbach Anstände darüber walten, ob jene Kirchgemeinde noch bestehe, oder ob eine Trennung derselben mit den daraus sich ergebenden Folgen anerkannt werden müsse. Nach Art. 50, Absatz 3, der Bundesverfassung können derartige Anstände auf dem Wege der Beschwerdeführung der Entscheidung der zuständigen Bundesbehörden unterstellt werden. Zur Zeit liegt aber eine solche Beschwerde, welche die Frage der Trennung zum Gegenstande hat, gar nicht vor, und sie kann auch erst erfolgen, wenn die kantonalen Behörden darüber einen Entscheid gefaßt haben.

4) Es bleibt den Rekurrenten vorbehalten, diesen ihnen verfassungsgemäß
vorgezeichneten Weg einzuschlagen; bei der gegenwärtigen Sachlage ist aber der Bundesrath nicht im Falle, auf dieses unter Ziffer 3 zuletzt angedeutete Verhältniß einzutreten.

878

27. Der Entscheid in Sachen des P h i l i p p A n d e r m a t t , Landwirth in Baar (Kt. Zug), betreffend Gestattung der landwirthschaftlichen und gewerblichen Arbeiten an ullen Festtagen, an denen die Fabriken arbeiten dürfen, ist vom Rekurrenten an die Bundesversammlung weitergezogen worden und gegenwärtig bei derselben anhängig. Unser Beschluß ist gedruckt im Bundesblatt 1883, Ì, 416.

28. In der f r e i b u r g i s c h e n Gemeinde B e l l e g a r d e (Jaun) verunglückte zu Anfang des Monats September ein Sennhirte, 'Namens Christian Dubacb, Bürger von Guggisberg, Kts. 15ern, indem er beim Pflücken von Edelweiß über eine hohe Felswand hinunterstürzte.

Bellegarde (Jaun) ist eine nach der letzten Volkszählung 868 Einwohner -- 815 Katholiken (Freiburger) und 53 Protestanten (Berner) -- zählende Ortschaft. Trotzdem der Staatsrath des Kantons Freiburg durch Verordnung vom 25. Jeinuar 1875, bestätigt mittelst Großrathsbeschluß vom 11. Mai desselben Jahres, in Nachachtung des Art. 53 der Bundesverfassung, den Gemeindebehörden die Begräbnißpolizei und das ausschließliche "V erfiigungsrecht über sämmtliche als öffentliche Beerdigungsplätze erklärte bisherige Pfarreikirchhöfe übertragen und im Besondern ohne jede weitere Rücksichtdie Oeffnung der Gräber der JReihe nach vorgeschrieben hatte, war doch bis zum Tode des Christian Dubach kein Protestant auf dem Kirchhofe zu Bellegarde beerdigt worden ; vielmehr blieb es gebräuchlich, daß die Leichen verstorbener Protestanten zur Beisetzung in eine zunächst liegende reformirte Kirchgemeinde übergeführt wurden. Im Jahre 1876, nach Erlaß der oben erwähnten Verordnung der freiburgischen Behörden, faßte der Gemeinderath von Bellegarde den Beschluß, daß die Seite des Gottesackers oberhalb (nördlich) der Kirche .,,für die Fremden" bestimmt sei. Dies.er Beschluß erhielt jedoch nicht die Genehmigung des Präfekten des Bezirkes Greyerz.

Entgegen den Vorschriften der Verordnung vom 25. Januar 1875 und der speziellen Weisung des Unter-Präfekten von Greyerz wurde der Leichnam Dubach's nicht in der fortlaufenden Linie der Gräber, sondern nördseits der Kirche an vereinzelter, nicht geweihter Stelle, in dem nach dem Beschlüsse der Gemeindebehörde für ,,die Fremden" bestimmten Theile des Kirchhofes, unweit von dem Platze, wo einige Monate, zuvor ein Selbstmörder bestattet
worden, begraben.

Wie sich aus der nähern Untersuchung des Falles ergab, hatte der Gemeindepräsident nicht den Gemeinderath, sondern den Pfarrer und den Kirchenrath mit der Angelegenheit behelligt, welche dann die Beisetzung Dubach's in der erwähnten Weise anordneten, der Pfarrer sogar unter Androhung der Exkommunikation im Falle der

879 Widethandlung. Unmittelbar darauf fanden wiederum zwei Beerdigungen von Katholiken in der Reihe der übrigen Gräber, an der Westseite der Kirche, in der geweihten Abtheilung des Friedhofes statt.

Diese Thatsachen, die aus einem ersten Berichte des Staatsrathes von Freiburg an den Bundesrath vom 29. September 1882 noch keineswegs sich ergaben, sondern erst durch eine vom Bundesrath verlangte einläßliche zweite Berichterstattung vom 29. Dezember 1882 zur Gewißheit erhoben nnd festgestellt wurden, involviren unzweifelhaft eine V e r l e t z u n g des A r t . 53 d e r Bundesverfassung, welcher den bürgerlichen Beh ö r d e n die Sorge .überträgt, daß jeder V e r s t o r b e n e s c h i c k l i c h b e e r d i g t werde.

Zu unserer Befriedigung entnahmen wir dem letztangeführten Berichte der Regierung von Freiburg die Mittheiiung, daß sie sowohl dem Syndic, als dem Kirchenrath von Bellegarde, einschließlich des Pfarrers, ihres verfassungs- und gesetzwidrigen Verhaltens wegen Verweise ertheilt, überdieß den Pfarrer wegen seines Betragens und seiner Aeußerungen dem Verweset der Diözese zur geeigneten disziplinarischen Ahndung verzeigt habe, und daß dem Pfarrer auch von Seite seines kirchlichen Obern eine Rüge geworden sei; daß endlich die fernere Benutzung der drei mit Gräbern bereits besetzten Theile des Kirchhofes der Behörde von Bellegarde untersagt und in einem Kreisschreiben des Staatsrathes vom 27. Oktober 1882 den Präfekten und Gemeinderäthen die Bestimmungen der Verordnung vom "25. Januar 1875 und des Art. 53 der Bundesverfassung zu strenger Befolgung in Erinnerung gebracht worden seien.

Wir haben diese Angelegenheit damit für erledigt erklärt.

29. Dem in G r o ß - L a u f e n b u r g , Kantons A a r g a u , wohnhaften Karl Keser, Fabrikarbeiter, aus Oefflingen, Grh. Baden, welcher seine am 3./4. Oktober verstorbene Ehefrau auf dem Kirchhofe seines Wohnortes unter der Assistenz eines römisch-katholischen Geistlichen beerdigen lassen wollte, wurde dieses Begehren von Seite des Civilstandsamtes, des christkatholischen Pfarrers und der Kirchenpflege von Groß-Laufenburg theils rundweg abgeschlagea, theils durch Vorbehalte und Bedingungen thatsächlich verunmöglicht, so daß Keser nach längern fruchtlosen Bemühungen sich endlieh ·entschloß, die Leiche seiner Frau in das über dem Rhein liegende,
mit Groß-Laufenburg durch eine Brücke direkt .verbundene (badische) Klein-Laufenburg transportiren und auf dem dortigen Gottesacker bestatten zu lassen. Auch vom aargauischen Bezirksamt Laufenburg, dessen Dazwischenkunft Keser nachgesucht hatte, war nichts gethan worden, um, soweit an ihm, den Vorfall zu verhindern.

880

Durch die Mittheilungen öffentlicher Blätter auf diesen Gegenstand aufmerksam gemacht, hat unser Justiz- und Polizeidepartement nicht ermangelt, die aargauische Regierung sofort zur Feststellung des Thatbestandes und bezüglicher Vernehmlassung einzuladen und dabei gleichzeitig anzufragen, ob vielleicht die aargauische Begräbnißordnung oder eine im Aargau bestehende Gewohnheit in Beerdigungssachen dazu beigetragen habe, die beireffenden Vorgänge zu ermöglichen.

In dem uns von der aargauischen Regierung erstatteten Bericht wird die letztere Frage mit Entschiedenheit verneint; es geht au» demselben vielmehr hervor, daß sowohl der Civilstandsbeamte als auch der Ortsgeistliche von Groß-Laufenburg ihre Stellung in dieser Sache gänzlich mißkannt haben, daß auf deren Veranlassung eine unstatthafte Einmischung der Kirchenpflege stattgefunden hat, daß Keser dadurch genöthigt wurde, die Leiche seiner Frau fortzutransportiren, während die Beerdigung am Sterbeort vorgeschrieben ist und das Wegführen einer Leiche nur auf besondern Wunsch der Angehörigen und mit Bewilligung der Ortspolizeibehörde geschehen darf, -- daß endlich auch der Bezirksamtmann nicht gethan hat, was seines Amtes war.

Zur Entschuldigung der Betreffenden, füjjt die aargauische Regierung bei, möge es dienen, daß ihr Vorgehen nicht in intoleranter Gesinnung, sondern in einer tadelnswerthen Unkenntniß der durch die Bundesverfassung geschaffenen Verhältnisse ihren Ursprung habe.

Sowohl dem Civilstandsbeamten als dem Ortsgeistlichen von GroßLaufenburg sei von der Regierung wegen Mißachtung ihrer Stellung im vorwürfigen Falle ein Verweis ertheilt worden, desgleichen auch dem Bezirksamte für sein Verhalten in dieser Angelegenheit.

Wir haben auch -in diesem Falle beschlossen, mit den di& Autorität der Bundesverfassung, w e l c h e i n A r t . 5 3 d a s B e erdigungswesen ausschließlich in die Hände der bürgerlichen B e h ö r d e n gelegt und von kirchlichen V e r f ü g u n g e n durchaus u n a b h ä n g i g gestellt hat, wahrenden Schlußnahmen der Kantonsregierung uns für befriedigt und den Gegenstand als erledigt zu erklären.

30. Im Verfolg unserer letztjährigen Berichterstattung über k i r c h l i c h - k o n f e s s i o n e l l e , den Art. 51 und 52 der Bundesverfassung widersprechende V e r h ä l t n i s s e in den Kantonen T e s s i n ,
F r e i b u r g und W a l l i s haben wir Ihnen für 1882 nachstehende Mittheilungen zu machen : a. In Betreff der von zwei italienischen J e s u i t e n im KapuzinerMoster zu Locamo in den Tagen vom 11.--16. September 1881

881 geleiteten geistlichen Exerzitien haben wir den Staatsrath voa T e s s i n darauf aufmerksam gemacht, daß der Art. 51 der Bundesverfassung den Mitgliedern des Jesuitenordens nicht bloß die Ausübung eines geistliehen Amtes in öffentlichen Kirchen, sondera überhaupt jede kirchliche Wirksamkeit im Gebiete der Eidgenossenschaft untersagt, also auch eine solche bei Vereinigungen geistlicher Personen, in Ordenshäusern u. s. w.

b. Der durch die Presse verbreiteten Nachricht, daß im Kloster der Ursulinerinnen in Freiburg ein J e s u i t als Almosenier wirke, wurde vom Staatsrath von F r e i b u r g ein formelles Dementi entgegengesetzt. Zufolge der Versicherung dieser Behörde sind es ausschließlich die Herren Generalvikar Pellerin und Kanzler Bovet, welche seit mehreren Jahren die geistlichen Funktionen im Kloster versehen.

Entgegen der Anschauungsweise der Regierung von Freiburg erblickte der Bundesrath in der wenn auch nur vorübergehenden Ansiedlung französischer M a r i s t e n, Mitglieder, beziehungsweise Novizen, eines in Frankreich aufgelösten und bisher im Kanton Freiburg nicht bestehenden religiösen Ordens, in einem von ihnen gemietheten Hause in Givisiez einen Verstoß gegen Art. 52 der Bundesverfassung. Ebenso in der Aufnahme von zwei K a p u z i n e r n und etlichen Novizen in einem Privathause in Guschelmuth. Für die Bundesbehörden, wurde dem Staatsrath entgegoet, können die kanonischen Bedingungen einer Klostergründung bei ihrer Entscheidung nicht maßgebend sein. Sobald es, wie in den gegebenen Fällen, feststeht, daß einzelne Mitglieder eines Ordens ihr Kloster verlassen und in einem bis anhin nicht als Kloster dienenden Gebäude sich niedergelassen haben, um dort nach den für das Kloster geltenden Regeln zu leben, so sei damit eine Anstalt gegründet, welche im Sinne des Art. 52 der Bundesverfassung als Kloster .erklärt werden müsse und nicht geduldet werden dürfe.

Der Bundesrath ließ daher am 6. Januar an die Regierung von Freiburg die Einladung ergehen, binnen einer Frist von vier Wochen die Niederlassung der Maristen in Givisiez und der Kapuziner in Guschelmuth aufzuheben und den Insaßen dieser Institute jede weitere ähnliche Ansiedlung zu untersagen.

Diese Verfügung wurde den Betheiligten durch den Staatsrath am 12. Januar eröffnet. Auf molivirtes Gesuch derselben haben wir die Frist
in beiden Fällen bis Ende Juli verlängert, einem zweiten Verlängerungsbegehren jedoch nicht entsprochen, da wir es nicht der Stellung des Bundesrathes angemessen erachteten, einen von ihm als verfassungswidrig erklärten Zustand länger andauern zu

S82 lassen, als dies durch Rücksichten ·werden konnte.

der Humanität gerechtfertigt

Ueber die Thätigkeit der J e s u i t e n (Andelfinger, Fristot und Ramière) am Canisiusfeste (18. August 1881) 7,u Freiburg, die Vernehmlassung des Staatsrathes und unsere Erwiderung, über diese Vorgänge haben wir zum Theil schon im letzten Jahre berichtet.

Der Staatsrath entschuldigt seine passive Haltung mit vollständiger Unkenntniß der Vorkommnisse und fügt bei, daß er ohne Rückhalt seine Verpflichtung anerkenne, die Handhabung und Vollziehung der Art. 51 und 52 der Bundesverfassung zu überwachen ·und zu sichern, daß aber im Kanton keinerlei Gemeinschaft von Angehörigen des Jesuitenordens bestehe und von keinem Jesuiten, sei es in der Kirche, sei es in der Schule, irgendwelche Funktionen ausgeübt werden. Die alleinige dem Bundesrath bekannt gegebene Ausnahme, betreffend den mit Rücksicht auf soin hohes Alter vom Diözesanbischof als geistlicher Direktor in's Kloster Fille-Dieu bei Romont versetzten P. Hartmann, falle nun auch dahin, da derselbe seit Jahresfrist wegen Altersschwäche ersetzt sei und nur noch als einfacher Pensionär im Kloster lebe. Es gebe keine im Kanton seit 1874 entstandenen geistlichen Verbindungen oder Vereinigungen, denen von der Staatsbehörde im Sinne des Art. 13 des Civilgesetzbuches die Anerkennung als juristische Personcjn (geistliche Korporationen, Klöster) verliehen worden wäre, alle werden nach gemeinem Rechte behandelt, der Staalsrath habe kein besonderes Statut, kein Reglement derselben genehmigt, mit einem Worte, niemals deren civilrechtliche Existenz als Körperschaften anerkannt.

Der Bundesrath hat von diesen Erklärungen Vormerkung genommen und die noch anhängigen ferneren Beschwerden in Betreff konfessioneller Verhältnisse des Kantons Freiburg, welche sich auf die Ursulinerinnen, die Spitalschwestern, die Kongregation benannt ,,Oeuvre de St.-Paula und die Organisation des Lehrpersonals im Kollegium St. Michael in Freiburg beziehen, sowie die das Schulwesen des Kantons Freiburg betreffenden Fragen einer weiteren Prüfung vorbehalten.

f c. Angeblich klösterliche Einrichtungen im Kanton Wallis haben zu einer Korrespondenz unseres Justiz- und Polizeidepartements und des Bundesrathes selbst mit dem Staats rathe dieses Kantons geführt, aus welcher folgende der Bundesbehörde ertheilte Aufschlüsse hervorzuheben sind: 1) Nach einer Mittheilung des Gemeinderathes von B r i e g wäre das Gerücht, als ob im Palais Stockalper eine Niederlassung von Ligorianern, Afflliirten der Jesuiten, sich gebildet habe, absolut

883 falsch. Es möge der Umstand zu dem Gerüchte Veranlassung gegeben haben, daß französische Karthäuser, eine geistliche Korporation, die mit den Jesuiten nichts gemein habe, das Palais Stockalper gemiethet haben, um für den Fall, daß sie durch die politischen Ereignisse gezwungen würden, Frankreich zu verlassen, dort eine vorübergehende Unterkunft zu finden. Allein es sei dem Staatsrathe nicht bekannt geworden, daß dieselben sich wirklich eingefunden haben.

2) In Sierre (Siders) haben sich durch Vertrag vom 18. Mai 1880, mit Besitzergreifung im November desselben Jahres, mehrere -- dreizehn, sagt die Walliser Regierung -- französische Dominikaner im dortigen Hotel Baur eingemiethet. Dieselben führen 26 Studenten und 6 Diener mit sich. Von Letztern ist einer ein junger Walliser, von Beruf Schuhmacher, der wie das übrige Dienstpersonal das Ordenskleid trage, ohne jedoch mit dem Orden irgendwie verbunden zu sein.

Diese Ordensleute haben den Staatsrath durch Schreiben vom 24. November benachrichtigt, daß sie die Autorisation zur definitiven Niederlassung in Holland erhalten haben, wo sie in Ryckholt, bei Maestricht, ein Gebäude zu ihrer Aufnahme errichten lassen, das sie im Laufe des Jahres 1883, sobald dasselbe bewohnbar sei, beziehen werden.

Wir haben von dieser Erklärung Akt genommen und, obschon der Vorgang betreffend die Maristen in Givisiez uns hätte veranlassen können, diese neue Niederlassung in der Schweiz nicht über das Jahr 1882 hinaus zu dulden, haben wir doch geglaubt, bis Ende 1883 zuwarten zu sollen.

3) In U v r i e r bei Sitten bestehe keine Niederlassung von Ligorianern, sondern eine von Weltgeistlichen, die unter der Jurisdiktion des Bischofs von Sitten stehen, geleitete Unterrichtsanstalt für nicht schweizerische katholische Zöglinge im Alter von 10 bis 18 Jahren, ohne jeden klösterlichen Charakter, in dem früher zur Aufzucht von Seidenwürmern verwendeten Gebäude. Gegenwärtig (Februar 1882) betrage die Zahl der Professoren 12, diejenige der Zöglinge 70, wozu noch das Dienstpersonal komme.

4) Im Schlosse Mageran des Herrn Leo von Werra in der Nähe des Dorfes A g a r e n , im Bezirk Leuk, befinden sich seit 16. Oktober 1881 zwei französische Geistliche, Missionäre von NotreDame de la Salette, jedoch dem weltlichen Klerus der Diözese Grenoble zugehörend, mit 16 ihnen zur Erziehung anvertrauten jungen Leuten und drei Dienstboten. Dieselben haben das Schloß mit Dependenzen und 24 Hektaren Wiesen- und Ackerland auf

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acht Jahre gepachtet und beschäftigen sich mit Unterrichtsertheilnng und Landbau, zu welch' letzterm die jungen Leute unter ihrer Leitung ebenfalls angehalten werden.

In L e u k selbst, wo Herr von Werra au«h ehi Haus besitzt, sollen sich keine solche Missionäre angesiedelt haben.

Im Falle von S i d er s, wie in mehrern anderen, hatten wir Gelegenheit, zu konstatiren, daß die in Frankreich £;egen die religiösen Orden ergriffenen Maßnahmen eine große Zahl fremder Ordensgeistlichen in unser Land geführt haben.

An mehrern Orten haben sie ungeachtet d(ir Bestimmungen der Bundesverfassung versucht, sich dauernd niederzulassen. Es war unsere Aufgabe, über die Beobachtung der Vorschriften unseres Grundgesetzes zu wachen, ohne jedoch da, wo es sich um eine bloß vorübergehende Niederlassung bandelte, unmittelbar eingreifende Maßnahmen zu treffen. Wir ließen es uns aber angelegen sein, diesen provisorischen Charakter jeweilen zu konstatiren, und wir werden unabläßig darüber wachen, daß derselbe nicht da oder dort in einen definitiven Zustand ausarte.

31. In das Berichtjahr 1882 fällt noch eine dem Bundesrath zugegangene Mittheilung, wonach in B o s w y l , A m t M - u r i , K a n t o n s A a r g a u , ein J e s u i t in Kirche und Schule thätig sei, deren Unbegründetheit aber von der aargauiscnen Regierung nachgewiesen wurde, sowie eine von unserm Justiz · und Polizeidepartement veranlaßte Vernehmlassung der Regierung des Kantons L u z e r n über eine im Landhaus S c h ö n a u , Gemeinde Meggen, von einem dem Orden der Oblaten angehörenden französischen Geistlichen, Namens Michaux, eingerichtete Erziehungsanstalt, die zwei Professoren, wovon der eine Laie und der andere Weltgeistlicher, sieben Zöglinge im Alter von 10--17 Jahren und zwei männliche Dienstboten zählt, Alle Franzosen.

Wir haben von diesen Berichten Vormerkung am Protokoll genommen, zu weitern Schritten aber uns dießfalls nicht veranlaßt gesehen.

32. Dem Herrn Abbé A l b e r t de W e c k iius Freiburg, welcher als Vikar des katholischen Pfarrers von Vevey pfarramtliehe Funktionen in Montreux ausübte, wurde im September 1881 von der waadtländischen Staatsbehörde die Fortsetzung derselben mit Rücksicht darauf untersagt, daß er Mitglied des J e s u i t e n o r d e n s sei, und diese Schlußnahme gegenüber einem Restitutionsgesuch des Herrn de Weck am 4. April 1882 festgehalten.

Herr Abbé de Weck rekurrirte dagegen iim 27. Mai 1882 an den Bundesrath, indem er behauptete, daß er dem J e s u i t e n -

885 o r d e n n i c h t m e h r a n g e h ö r e , u n d sich z u m Beweise dessen auf zwei schriftliche Zeugnisse berief, eine Erklärung des Msgr. Christophore Cosandey, Bischof von Freiburg, vom 23. März 1882, dahingehend, daß Herr de Weck ganz der Episkopal-Jurisdiktion unterworfen sei und keiner andern Obedienz unterliege, und eine Bescheinigung des Provinzials der Jesuitenprovinz Germania, vom 22. Mai 1882, zufolge welcher Herr Abbé de Weck von dem Verband der Gesellschaft Jesu, ,,aus welcher er freiwillig ausgetreten", vollständig und unwiderruflich losgelöst wäre.

Durch Beschluß vom 23. Juli 1882 haben wir in Erwägung, 1) daß der Art. 51 der Bundesverfassung den Mitgliedern des Jesuitenordens jede Wirksamkeit in Kirche und Schule untersagt; 2) daß Herr Abbé de Weck anerkennt, dem Jesuitenorden angehört zu haben, jedoch behauptet, aus demselben ausgetreten zu sein, was er durch die oben angeführten Bescheinigungen darthun will ; 3) daß jedoch aus diesen Aktenstücken kein hinlänglicher Beweis dafür erhellt, daß Herr de Weck wirklich und definitiv von jedem Verbände mit dem Orden losgelöst ist; 4) daß es also nicht festgestellt erscheint, daß die waadtländische Regierung die Bundesverfassung unrichtig angewendet hat, den Rekurs als unbegründet abgewiesen.

5. Stimmrecht und Wahlen.

33. Der im Vorjahre bei der Bundesversammlung pendent gebliebene Rekurs des J. B o u r g u e t , betreffend Gültigkeit seiner Wahl in den Kirchenrath von Avry-devant-Pont (Freiburg), ist am 19. April 1882 von den eidgenössischen Käthen mit besonderer Motivirung abgewiesen worden (Bundesbl. 1882,1, 33; II, 708, 773).

34. In Vorbereitung der auf den 26. November 1882 angeordneten V o l k s a b s t i m m u n g ü b e r d e n B u n d e s b e s c h l u ß vom 14. J u n i 1882, betreffend Vollziehung des Art. 27 der Bundesverfassung, machte die R e g i e r u n g des K a n t o n s Z u g bekannt, daß alle Schweizerb Urger, welche an der Abstimmung Theil zu nehmen beabsichtigen und bisher nicht auf den Stimmregistern des Kantons Zug eingetragen waren, spätestens vier Tage vor der Abstimmung über ihre Stimmberechtigung gehörig sich ausweisen sollten.

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Auf mehrfache Beschwerden hin wurde der Regierung von Zug Folgendes bedeutet: Die Frist von vier Tagen steht in offenem Widerspruche mit Art. 6 des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872, wonach die Stimtnregister nicht früher als drei Tage vor der Abstimmung geschlossen werden dürfen. Diese Frist können die Kantone nur verkürzen, nicht verlängern. Die Ansicht, daß dieses Gesetz von 1872 durch dasjenige betreffend Volksabstimmungen über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse vom 17. Juni 1874 aufgehoben worden, ist absolut unrichtig. Es enthält dieses letztere Gesetz keine bezügliche Bestimmung, und überdies hat dasselbe einen andern Zweck, nämlich den, das im Jahr 1872 noch unbekannte eventuelle Referendum zur Ausführung zu bringen.

Betreffend die Forderung des Nachweises der Stimmberechtigung ist zu bemerken, daß alle diesbezüglichen Entscheide des Bundesrathes auf dem Grundsatze beruhen, daß jeder Schweizerbürger, welcher im Besitze eines Heimatscheines oder einer andern gleichlautenden Ausweisschrift sich befindet (womit er seine Qualität als Schweizerbürger und das zum Stimmrecht erforderliche Alter auszuweisen vermag) ohne weiteres in eidgenössischen Angelegenheiten zur Abstimmung zugelassen werden muß, und daß nur dann ein weiterer Ausweis verlangt werden darf, wenn gegründeter Zweifel über den Besitz der bürgerlichen Rechte und Ehren vorliegt. Hienach darf nicht eine Vorschrift aufgestellt werden, wonach a l l e B ü r g e r o h n e A u s n a h m e dea Besitz der bürgerlichen Rechte nachweisen müßten.

35. Mehrere Beschwerden gegen ähnliche Verfügungen luzernischer Behörden wurden im gleichen Sinne ededigt.

6. Vollziehung bundesgerichtlicher Urtheile.

36. DieD i r e k t i o n der J u r a - B e r n - L u z e r n - B a h n beschwerte sich über mangelhafte Vollziehung oines bundesgerichtlichen Urtheiles vom 28. Dezember 1877 gegen Herrn Hauptmann B u c h e r in S c h ü p f h e i m , indem Letzterer sich weigerte, die Vermarkung des expropriirten Gebietes vornehmen zu lassen und durch verschiedene Manipulationen die amtliche Vollziehung zu hintertreiben verstanden hatte.

Die genannte Direktion rief deshalb nach Maßgabe des luzernischen Prozeßverfahrens den Schutz des Obergerichtes des Kantons

88T

Luzern an. Als jedoch auch auf diesem Wege der Vollzug de* Urtheiles nicht erlangt werden konnte, wurde die Beschwerde bei. uns anhängig gemacht. Wir richteten zunächst an die Regierung des Kantons Luzern die Einladung, nach Vorschrift von Art. 188, 189 und 190 des Bundesgesetzes über das Verfahren bei dem Bundesgerichte CAmtl. Samml. II, 77) gegen den Verurtheilten vorzugehen und machten hiebei darauf aufmerksam, daßes nicht angehe, die durch Art. 188 des erwähnten Bundesgesetzes, der R e g i e r u n g des Kantons übertragenen Funktionen dem O b e r g e r i c h t e zu überlassen. Es wurde dabei die Erwartung ausgesprochen, daß die Regierung mit Ansetzung einer Frist zur Vollziehung des Urtheiles von höchstens einem Monate diese Angelegenheit endlieh zum Abschlüsse führen könne, ohne daß der Bundesrath im Sinne von Art. 191 des zitirten Bundesgesetzes interveniren müsse. In Folge dessen hat das fragliche Urtheil, soweit die Ausscheidung des Bigenthums nöthig war, seine Vollziehung gefunden. Der Beklagte machte jedoch neue Schwierigkeiten hinsichtlich der Bezahlung der Kosten. In dieser Beziehung sprachen wir uns dahin aus, daß gemäß Art. 187--191 des Bundeszivil prozesses es zunächst Sache der Kantonsregierungen sei, für die g ä n z l i c h e V o l l z i e h u n g eines bundesgeriehtlichen Urtheiles zu sorgen. Dahin gehöre offenbar auch die Liquidation der Kosten, welche im Sinne von Art. 24 des erwähnten Bundesgesetzes, einen Bestandtheil des Urtheils bilden. Die Vollziehung des Urtheiles sei aber nicht vollendet, bis auch die Kosten von der unterlegenen Partei bezahlt seien.

Die Regierung des Kantons Luzern erledigte diese Kostenfrage, indem sie auch der klagenden Eisenbahn Verwaltung einen Theil derselben auferlegte. Auf eine neue Beschwerde gegen diesen letztern Entscheid sind wir nicht eingetreten, und zwar aus folgenden Gründen : Gemäß Art. 191 des Bundesgesetzes über das Verfahren in.

bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sei eine Beschwerde nur über m a n g e l ha f t e V o 11 z i e h u n g der Urtheile des ßundesgerichts bei dem Bundesrathe zuläßig.

Von einer solchen könne im vorliegenden Falle nicht die Rede sein, indem die nach Art. 188 und 189 des gleichen Bundesgesetzes hiezu kompetente Regierung des Kantons Luzern nunmehr auch über den Ersatz der Kosten entschieden habe. Die Frage,
ob dieser Entscheid ein richtiger sei, könne nicht mehr unter den Art. 191 des Bundesgesetzes subsumirt werden, zumal der Petent keinen bundesgerichtlichen Titel dafür besitze, daß diese letztem, Kosten ausschließlich von der Gegenpartei getragen werden müssen.

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37. J o s e p h A a t o n M u t t e r in Alldorf war in einem Expropviationsprozesse vom Bundesgerichte zur Bezahlung der Gerichtskosten im Betrage von Fr. 91. 50 und einer Parteientschädigung an die Gotthardbahnverwaltung von Fr. 140 verurtheilt worden.

Als die Bundesgerichtskanzlei die Bezahlung der Gerichtskosten verlangte, machte Mutter zuerst die Einwendung, daß diese Kosten von der Gotthardbahnverwaltung mit der Prozeßentschädigung zurückgehalten worden. Nachdem dieser Einwand widerlegt worden, behauptete Herr Mutter, an seinen Anwalt mittelst einer Post-nachnahme bezahlt zu haben. Es wurde indessen nachgewiesen, daß er hiermit nur die Advokaturkosten bezahlt hatte. Die Bundesgerichtskanzlei übertrug nun die Betreibung des Herrn Mutter dem Herrn Fürsprecher Dr. Schmid in Altdorf. Der Beklagte machte jedoch neue Schwierigkeiten, indem er den Betrag deponirte und nun seinerseits Herrn Schmid als Beklagten vor Gericht zitirte mit dem Rechtsbegehren, daß Herr Schmid mit seiner Forderung abzuweisen sei.

Nach weitern Verschleppungen wandte sich Herr Dr. Schmid .an die Regierung des Kantons Uri, welche ihrerseits mit Rücksicht darauf, daß Mutter behaupte, die Forderung schon einmal bezahlt zu haben und daß hierüber bereits ein Prozeß pendent sei, ihre .Mithülfe zur Vollziehung des bundesgerichtlichen Urtheiles ablehnte.

Gegen diese Verfügung beschwerte sich Herr Dr. Schmid bei ·dem Bundesrathe. Dieser hat am 21. März 1832, in Erwägung: 1) daß nach Art. 191 des Bundes-Civ'.lprozeßgesetzes Beschwerden über mangelhafte Vollziehung der Urtheile des Bundesgeriehtes bei dem Bundesrathe anzubringen sind, welcher das Geeignete zu verfügen hat und auch von Amtes wegen die Vollziehung überwachen kann ; 2) daß nach Art. 190 des gleichen Gesetzes keine Behörde die Vollziehung hemmen, oder eine Frist erstrecken darf, ausgenommen infolge einer Verfügung des Bundesgei ichtes nach Art. 196, oder des Präsidenten nach Art. 198, oder atif g a n z l i q u i d e n s c h r i f t l i c h e n B e w e i s , daß die Vollziehung bereits stattgefunden habe ; 3) daß keiner der in den Art. 196 und 198 vorgesehenen Fälle hier vorliegt und daß Joseph Anton Mutter einen ganz liquiden schriftlichen Beweis dafür nicht beigebracht hat, daß er die Gerichtskosten, welche er gemäß Urtheil des Bundesgerichtes, vom 22. Mai 1880, zu bezahlen hat, an die zum Bezüge derselben berechtigte und verpflichtete Gerichtskanzlei bezahlt und somit das îUrtheil vollzogen habe;

889 4) daß vielmehr das Gegentheil hergestellt ist, indem durch die Akten als bewiesen erseheint, daß Mutter mit der Postnachnahme des Herrn Fürsprech Meyer lediglich die Restanz der Advokaturrechnung des Letztern hezahlt hat. Die diesfälligen Zweifel werden vollständig widerlegt durch das Schreiben des Herrn Meyer vom 14. Juli 1880 und durch den Umstand, daß Herr Meyer ihm gleichzeitig die Rechnung der Bundesgerichtskanzlei mittheilte, worin er eine deutliche Mahnung zu deren Bezahlung erkennen mußte; 5) daß übrigens nach der ganz bestimmten Vorschrift von Art. 190 des Bundes-Civilprozesses für die Vollziehung eines bundesgerichtlichen Urtheiles nur ganz liquide schriftliche Beweise zulässig sind, während hier nichts dergleichen vorliegt, vielmehr eine trölerhafte Verschleppung dieser Vollziehung stattgefunden hat, die eine angemessene Ahndung rechtfertigt und den Bundesrath veranlassen muß, diese Vollziehung im Sinne von Art. 191 leg. cit.

von Amtes wegen zu überwaehen ; beschlossen: I. Die Beschwerde ist als begründet und der Beschluß der Regierung des Kantons Uri vom 24. Oktober 1881 als aufgehoben erklärt.

II. Dem Joseph Anton Mutter zum ,,Freien Schweizer11 in Altdorf wird eine Frist von 14 Tagen vom Datum dieses Beschlusses an eingeräumt, um' sich bei der Regierung des Kantons Uri über die Vollziehung des bundesgerichtlichen Urtheils vom 22. Mai 1880 auszuweisen.

III. Die Regierung des Kantons Uri wird eingeladen, über den Ausweis der erfolgten Vollziehung fraglichen Urtheiles dem Bundesrathe Bericht zu erstatten, und im Falle er nicht rechtzeitig beigebracht würde, die Realisirung der Pfänder zu veranlassen, unter Vorbehalt des weitern Vorgehens im Sinne von Art. 187 und 189 des Bundes-Civilprozesses.

IV. Joseph Anton Mutter wird als pfliehtig erklärt, die Rechnung des Anwaltes der Bundesgerichtskanzlei zu bezahlen, unter Vorbehalt der Moderation derselben durch das eidgenössische Justizund Polizeidepartement.

7. Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken.

38. Der Fabrikarbeiter X a v e r H o d e l in Romanshorn beschwerte sich, unter Berufung auf das eidgenössische Fabrikgesetz, gegen eine Arrestverfügung des Gerichtspräsidenten von Arbon, Bnndesblatt. 35. Jahrg. Bd. II.

59

890 wonach ihm zu Gunsten eines Kreditoren an jedem Zahltage Fr. 10 abgezogen werden sollten. Es wurde geantwortet: Das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken enthalte keine Bestimmung, welche hier angewendet worden könnte, indem der Art. 10 nur auf das Verhältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeiter sich beziehe, nicht aber auf civilrechtliche Verhältnisse des Arbeiters zu dritten Personen.

B. !Polizeiver>val1;wmö:.

1. Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten.

1. Einleitung.

Das Jahr 1882 erzeigt gegenüber dem Vorjahre eine Verminderung der Auslieferungsangelegenheiten. Die Zahl der Auslieferungen, welche von Seite der Schweiz bei auswärtigen Staaten nachgesucht wurden, ist von 130 im Jahre 1881 uuf 98 im Jahre 1882 zurückgegangen, uud die Zahl derjenigen, welche von auswärtigen Staaten an die Schweiz gestellt wurden, fiel von 183 im Jahre 1881 auf 150 im Jahre 1882 (1880: 205, 1879: 17!)). Diese Verminderung betrifft hauptsächlich die Auslieferungsioegehren von Seite Italiens, von woher blos 18 einkamen gegen
Die von Seite der Schweiz bei auswärtigen Staaten verlangten Auslieferungen betrafen : l Mordversuch, ·l Körperverletzung, 1 Abtreibung der Leibesfrucht, 2 Verbrechen gegen die Sittlichkeit, 1 Blutschande und Kindesaussetzung, 4 Brandstiftung, 20 Unterschlagung, 16 Betrug, 6 Fälschung, 5 betrüglichen Bankerott, 2 Münzfälschung, 39 einfachen und ausgezeichneten Diebstahl.

98

891 Die von auswärtigen Staaten bei der Schweiz verlangten Auslieferungen betrafen : a. D e u t s c h l a n d .

3 Raubmord, l Diebstahl mit Gewaltanwendung, l Körperverletzung, l Verbrechen gegen die Sittlichkeit, 3 Verführung zur Unzucht, 1 Meineid, 14 Unterschlagung, 16 Betrug, 2 Fälschung, 6 betrüglichen Bankerott, 29 einfachen und ausgezeichneten Diebstahl.

77

l l l 5 10 5 5 l 5 16

b. F r a n k r e i c h .

Mord, Körperverletung, Brandstiftung, Verbrechen gegen die Sittlichkeit, Unterschlagung, Betrug, Fälschung, Münzfälschung, betrüglichen Bankerott, einfachen und ausgezeichneten Diebstahl.

50

6 l l l l l l 6

18

c. I t a l i e n .

Mord und Mordversuch, Blutschande, Verbrechen gegen die Sittlichkeit, Unterschlagung, Betrug, Fälschung, Straßenraub, einfachen und ausgezeichneten Diebstahl.

892

d. O e s t e r r e i c h.

l Verbrechen gegen die Sittlichkeit.

e. R u ß l a n d .

l Unterschlagung, l Diebstahl.

2

f. B e l g i e n .

2 Betrug.

Das weitere Detail ergibt sich aus den folgenden Tabellen:

893

2. Statistik A. der von S e i t e der S c h w e i z bei auswärtigen Staaten nachgesuchten Auslieferungen : Anzahl Beder Unent- Ver- Zurück- PenIndi- willigt. deckt. weigert. gezogen. dent.

viduen.

Kantone.

Zürich . .

Bern Luzern . .

Zug ""& Freiburg .

Solothurn .

Baselstadt .

Schaffhausen Graubünden Aargau . .

Thurgau Waadt . .

Neuenburg .

Genf. . .

. .

. .

. .

. .

. .

. .

. .

.

. .

8 20 2 2 3 5 23 2 1 5 3 9 5 -10

3 10 2 1 5 3 4 4 7

98

63

Staaten, bei denen diese Auslieferungen nachgesucht wurden: Argentinien Deutschland Egypten . .

Frankreich . .

Großbritannien Italien . . .

Rußland . .

Spanien . . .

.

.

.

.

8 13 2 1

4 -- 1 1

6 -- -- -- -- 2

1 -- -- -- -- -- -- --' -- --

2 --1 --3 -- -- -- -- 1 1

1

2 16

2 1 4 -- -- -- --2

1

8

10

1 -- --

--

4

--8 -- -- -- --

--5 -- 1 -- --

8

10

3

__

1 29 2 58 2 3 1 2

24 1 31 2 2 1 2

1 1 14

98

63

16

-- -- -- --

-- -- -- -- -- 1

894 B. der von Seite a u s w ä r t i g e r S t a a t e n bei der Schweiz nachgesuchten Auslieferungen : Anzahl der Indi-

Staaten.

Be- Unent- Vor- Zurück- Penwilligt. deckt. weijjert. Ecezogen. dent.

viduen.

Belgien . .

Deutschland Frankreich .

Italien . .

Oesterreich Rußland .

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

2

77 50 18 1 2 150

2 65 35 13 1 1 117

-_ 1 --

10 12 5

--1

-- 1

28

1

2 -- -- -- 3

1 -- -- --: ,--

1

K a n t o n e , bei denen diese Auslieferungen verlangt wurden: Zürich . . . .

Bern . . . .

Luzern . . . .

Glarus . . . .

Baselstadt . . .

Baselland . . .

Schaffhausen . .

Appenzell A.-Rh.

St. Gallen . . .

Graubünden . .

Aargau . . . .

Thurgau . .

Tessin . . . .

Waadt . . . .

Neuenburg . .

Genf Schweiz im Allgemeinen

22 11 2 1 24 1 3 4 5 2 2 3 14 12 9 30 5 150

20 8 2 1 21 1 3 3 5 2 2 2 12 10 6 . 19

117

2 3

' .

1

o 1

-- --

1

--

--

1

2 1 2 10 5

28

--

1 -- --

, -- -- -- --

-- -- -- 1 -- 1

-- 1

1

--

3

1

895 3. Verfahren.

1. Auch im Jahre 1882 sind in mehreren Fällen m a n g e l h a f t e V e r h a ft s b e f e h l e zur Begründung von Auslieferungsbegehren vorgelegt worden. Es muß neuerdings daran erinnert werden, daß auf die Redaktion der Verhaftsbefehle mehr Sorgfalt verwendet werden sollte, als es gewöhnlich geschieht, damit die Behörden der angesprochenen Staaten beurtheilen können, ob die eingeklagten Handlungen wirklich ein im betreffenden Auslieferungsvertrage vorgesehenes Verbrechen bilden und auch auf ihrem Gebiete strafbar wären, wenn der Thäter sie dort verübt hätte, sowie ob der requirirende Richter kompetent und die Klage nicht verjährt sei. Deshalb muß jeder Verhaftsbefehl die That nach ihrer Natur und Schwere beschreiben, Ort und Zeit der Verübung angeben, sowie den Namen, die Nationalität und das Signalement des Angeklagten enthalten, nebst einer Abschrift der am Orte der That anwendbaren Artikel des Strafgesetzes.

Die Vorlage der Akten ist durchaus unnütz, weil die Bundesbehörden nicht kompetent sind, einen Verhaftsbefehl aus den Akten zu konstruiren, vielmehr muß er von der betreffenden Untersuchungsbehörde ausgestellt sein.

2. Das oben Gesagte muß auch beobachtet werden bei Erlaß von Telegrammen behufs provisorischer Verhaftung flüchtiger Verbrecher.

Solche Telegramme müssen überdies die Bemerkung enthalten, daß ein Verhaftsbefehl bestehe und die Auslieferung werde verlangt werden. Es versteht sich nämlich von selbst, daß auf ein bloßes Telegramm hin eine Verhaftung nicht vorgenommen werden kann, sondern daß die telegraphisch angesprochene Behörde einen Verhaftsbefehl ausstellen muß, wofür ihr die nöthigen Materialien mitzutheilen sind.

Rücksichtlich des t e l e g r a p h i s c h e n V e r k e h r s m i t B e l g i e n hat unser Justiz- und Polizeidepartement sich genöthigt gesehen, den kantonalen Behörden mittelst Kreisschreiben vom 12. Januar 1882 genauere Instruktionen zu geben. (Bundesbl. I, 45.)

3. Mit Depesche vom 15. Mai 1882 machte die britische Gesandtschaft die Mittheilung, daß den b r i t i s c h e n G e r i c h t s b e h ö r d e n die V e r h a f t s b e f e h l e in O r i g i n a l und mit den wirklichen Unterschriften vor die Augen gelegt werden müssen und daß bloße Abschriften nicht genügen, selbst wenn sie vom Justizminister mit Unterschrift und Siegel beglaubigt wären.

896 4. Nachdem die k. deutsche Gesandtschaft die A u s l i e f e r u n g des O t t o B u r m e i s t e r aus Preußen wegen betrüglichen Bankerottes verlangt hatte, berichtete die Regierung des Kantons Baselstadt, daß auf direktes Begehren des betreffenden preußischen Amtsgerichtes die Auslieferung des Burmeister mit dessen Zustimmung brevi manu vollzogen worden sei. 'Die Regierung bemerkte, daß sieh dieses Verfahren sowohl durch ökonomische als auch durch prozessualische Gründe rechtfertige und schon seit langer Zeit in einer großen Zahl von direkten Auslieferungsbegehren praktisch geübt werde. Wir antworteten hierauf, daß wir unsererseits gegen dieses Verfahren keine Bedenken hegen, nur müssen wir darauf aufmerksam machen, daß daraus leicht unangenehme Verhandlungen entstehen können, da mit dem summarischen Verfahren keine Sicherheit dafür gewonnen werde, daß der Angeklagte nicht wegen Handlungen verurfcheilt werde, wegen deren die Schweiz niemals die Auslieferung bewilligen würde, z. B. wegen Desertion oder Handlungen polilischer Natur. Das Auslieferungsverfahren habe jedoch gerade den Zweck, nicht bloß den Gerichtsstand zu bestimmen, sondern auch genau zu normiren, in welchem Umfange die Gerichtsbarkeit aufegnübt werden dürfe.

Hierüber können aber nur die Staatsbehörden bestimmen, nicht die Lokalbehörden. Wir begriffen vollkommen, daß die Kantone ein Interesse haben, die Kosten im Auslieferungsverfahren möglichst zu reduziren, allein wir müssten auch darauf hinweisen, daß hiebei nicht die Interessen der Staaten allein in Frage liege?!, sondern daß auch der Verfolgte durch seinen Eintritt auf das Gebiet des anderen Staates Rechte erworben habe, bei denen er durch den Staatsvertrag nur dann geschützt werden könne, wenn das gehörige Verfahren beobachtet werde. Unter allen Umständen müssten wir wünschen, daß keine Auslieferung vollzogen werde, bevor ein gehöriger Verhaftsbefehl vorliege, auf welchen gestützt eine protokollarische Erklärung des Verhafteten aufzunehmen und von ihm zu unterzeichnen sei, damit über seine Z u s t i m m u n g immer ein gehöriger Ausweis vorliegt.

5. A l o i s B o s s a r d , al t G e n e r a l ein z ü g e r und S t a d t s c h r e i b e r von Z u g , wurde im Jahre 1880 durch das Obergericht des Kantons Zug wegen schwerer Amts- und Dienstpflichtsverletzung zu einer
dreijährigen Gefängnißstrafe und zur Bezahlung einer Geldbuße von Fr. 1000 im Sinne von § 15, litt, b, des zugerischen Strafgesetzbuches verurtheilt. Die Gefängnißstrafe wurde durch die Vollziehung eines frühern Urtheiles in der gleichen Sache als erstanden betrachtet. Die Buße dagegen bezahlte Bossard nicht, sondern verlegte seineu Wohnsitz nach Paris. Die Regierung von

897 Zug wünschte nun die Vollziehung des Urtheiles auch mit Bezug auf die Buße in Paris erwirken zu können. Mit der Eintreibung der Buße konnten wir uns natürlich nicht befassen. Wir erkundigten uns daher, ob die Auslieferung des Bossard erhältlich sein könnte, wenn die Buße in Gefangnißstrafe umgewandelt würde, und erhielten von maßgebender Stelle die Auskunft, daß das Auslieferungsbegehren bei den französischen Behörden voraussichtlich auf keine Schwierigkeiten stoßen würde, wenn dasselbe von einem Verhaftsbefehle, von dem Urtheile und der Verfügung einer kompetenten Behörde des Kantons Zug betr. Umwandlung der Geldbuße in Gefängnißstrafe begleitet wäre, nebst dem Ausweise dafür, daß dem Bossard gemäß den bestehenden Gesetzen kein weiteres Rechtsmittel, sei es Appellation oder Kassation, oder Rekurs zustehe. Nachdem Bossard nochmals amtlich aufgefordert worden, die Buße im Laufe eines Monats zu bezahlen, unter der Androhung, daß sie im Unterlassungsfälle in Gefängnißstrafe umgewandelt würde, und auch diese Frist unbenutzt abgelaufen war, erließ das Obergericht des Kantons Zug in Anwendung des oben citirten § 15, litt, b des Strafgesetzes einen Entscheid, dahin gehend, daß die Buße von 1000 Franken in eine Gefängnißstrafe von 200 Tagen umgewandelt sei.

'Nachdem hierauf die oben erwähnten Ausweise eingegangen waren, stellten wir, gestützt auf Art. l, Ziffer 21 des Auslieferungsvertrages mit Frankreich das förmliche Begehren um Auslieferung des Alois Bossard behufs Vollziehung der an die Stelle fraglicher Buße getretenen Gefängnißstrafe. Diesem Begehren wurde insofern entsprochen, als die Vollziehung der Auslieferung durch die Verhaftung des Bossard in Paris eingeleitet wurde. Jetzt erst beeilte sieh Bossard, die Buße zu bezahlen, worauf die Strafumwandlung aufgehoben und das Auslieferungsbegehren zurückgezogen wurde.

6. H e n r i Joseph V o i l l a t von D a m p h r e u x , Kantons Bern, wurde wegen mehrerer Unterschlagungen, die erim Jahre 1880im Elsaß verübt hatte, zu Einsiedeln im Jahre 1882 verhaftet. Wir ersuchten die Regierung des Kantons Bern, gemäß Art.. 2 des Ablieferungsvertrages mit dem deutschen Reiche, die ßeurlheilung ihres Kantonsbürgers zu übernehmen. Die Anklagekammer dieses Kantons wies jedoch anfänglich die Strafverfolg'iing gegen den Genannten" von der Hand, mit der Motivirung,
daß das ihm zur Last gelegte Verbrechen nicht zu denjenigen strafbaren Handlungen gehöre, für welche, wenn sie außer dem Gebiete des Kantons Bern begangen worden, nach Art. 9 des Einfuhrungsgesetzes zum bernischen Strafgesetzbuche schweizerische Angehörige im Kanton Bern verfolgt und bestraft werden sollen.

898 Hierauf glaubten wir durch Schreiben vom 23. Oktober 1882 die Regierung von Bern darauf aufmerksam machen zu müssen, daß der betreffende Beschluß der bernischen Anklagekammer sowohl mit der Gesetzgebung des Kantons Bern, als au«h mit dem deutschschweizerischen Auslieferungsvertrage in Widerspruch stehe, und drückten gleichzeitig den Wunsch aus, es möchte die Anklagekammer des Kantons Bern auf ihren Beschluß zurückkommen und dem betreffenden Auslieferungsvertrage die Vollziehung auch im Kanton Bern verschaffen. Wir stützten uns bei dieser Gelegenheit hauptsächlich auf folgende Erörterungen: Die Thatsache, daß die gegen Voillat im Elsaß eingeklagten Handlungen im Art. 9 des Einführungsgesetees zum bernischen Strafgesetzbuche nicht vorgesehen sind, ist allerdings richtig, aber in diesem Spezialfalle nicht entscheidend.

Art. 4 des Strafgesetzbuches des Kantons Bern schreibt vor,, daß kein Kantonsangehöriger der Behörde eines nicht schweizerischen Staates zur gerichtlichen Verfolgung und Bestrafung ausgeliefert werden dürfe. Indem der bernische Gesetzgeber diese Vorschrift aufstellte, hat er wohl gewußt, daß es noch eine große Reihe strafbarer Handlungen gibt, deren er in Art. 9 des Einführungsgesetzes nicht erwähnt hat. Wenn nun in d:.eser Beziehung* der Art. 9 allein maßgebend wäre, so würden dieso Handlungen, nachdem die Auslieferung eines Kantonsangehörigen abgelehnt ist, straflos bleiben. Der bernische Gesetzgeber hat die ses aber glücklicherweise nicht gewollt. Er hat vielmehr, um diese Fatalität zu vermeiden, sich beeilt, iu Art. 5 des Strafgesetzbuches die Bestimmung aufzustellen, daß die Bundes- und die Militi1 rstrafgesetze, sowie S t a a t s v e r t r ä g e v o r b e h a l t e n seien.

Damit hat der Gesetzgeber die Anwendung des bernischen Strafgesetzbuches auch auf diejenigen Fälle gesichert, w'elche in den S t a a t s v e r t r ä g e n v o r g e s e h e n s i n d , auch wenn sie in Art. 9 des Einführungsgesetzes nicht erwähnt wären.

Die gegen Voillat eingeklagten Handlungen qualifiziren sich als Unterschlagung, deren er sich im Elsaß, also im deutschen Reiche, schuldig gemacht haben soll. Die Unterschlagung ist nun allerdings in Art. 9 des Einfuhrungsgesetzes zum Strafgesetzbuche für den Kanton Bern nicht vorgesehen, wohl aber in Art. l Ziffer 12 des Auslieferungsvertrages zwischen
der Schweiz und dem deutschen Reiche vom 24. Januar 1874, unter der Bedingung jedoch, daß es sich um eine solche Unterschlagung handle, die nach der Gesetzgebung der beiden vertragenden Theile strafbar ist. Diese Bedingung ist durch Art. 246 des Strafgesetzbuches für das deutsche

899 Reich und durch Art. 219 des Strafgesetzbuches für den Kanton Bern erfüllt. Es muß somit, gemäß Art. 3 und 5 des bernischen Strafgesetzbuches, Voillat für die im Elsaß verübte Unterschlagung im Kanton Bern bestraft werden.

Es besteht aber auch eine vertragsmäßige Verspfliehtung, diese Bestrafung im Kanton Bern eintreten zu lassen. Gemäß Art. 2 des Auslieferungsvertrages mit dem deutschen Reiche ist zunächst, übereinstimmend mit Art. 4 des bernischen Strafgesetzbuches, die Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen ausgeschlossen. Dagegen ist in dem -betreffenden Art. 2 gesagt, daß in diesem Falle der Anlaß vorliege, die Bestrafung eines Inländers, der sich im andern Staate einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat, aber, ohne beurtheilt zu sein, flüchten konnte, im Inlande herbeizuführen, wobei der andere Staat zur Erhebung des Thatbestandes mithelfen soll.

Es ist allerdings richtig, daß dieser Absatz 2 von Art. 2 nicht decisiv redigili ist, allein er kann, nach den Gesetzen der Logik, gar keinen andern als den hier entwickelten Sinn haben, wie er denn auch seit dem Bestände des Vertrages beidseitig immer in diesem Sinne angewendet wurde.

Zum Beweise für diese konstante Praxis brauchen wir uns nur auf unsere Geschäftsberichte, Abtheilung Justiz und Polizei, zu berufen. Wir zitireo hier bloß die Geschäftsberichte pro 1877 (Bundesblatt 1878, II, 524, Ziffer 9), pro 1878 (Bbl. 1879, II, 625, Ziffer 2 und 3), pro 1879 (Bbl. 1880, II, 642, Ziffer 11), pro 1880 (Bbl. 1881, II, 716, Ziffer 9), pro 1881 (Bbl. 1882, II, 766, Ziffer 15).

Diejenigen von diesen Fällen, welche die Schweiz betreffen, sind in einer Reihe von Kantonen vorgekommen, und überall ist Absatz 2 von Art. 2 des Auslieferungsvertrages als eine verbindliche Vorschrift anerkannt worden. Einzig die Regierung des Kantons Luzern hat in dem im Bundesblatt 1879, Bd. II, p. 626, Ziffer 3 citirten Spezialfalle gegen diese Verpflichtung Einwendung erhoben, allein, nachdem wir diesen Einwand mit an erwähnter Stelle angeführten Gründen widerlegt hatten, die Verbindlichkeit des Vertrages ebenfalls anerkannt und die betreffende Untersuchung vorgenommen.

Auch die Entstehungsgeschichte des Auslieferungsvertrages beweist, daß die erwähnte Bestimmung in Art. 2 nur den Sinn haben kann, daß überall, wo aus Grund von Absatz l die Bestrafung am
.Orte der That nicht möglich wäre, dann Anlaß und selbstverständlich auch Pflicht des Heimatstaates vorläge zum Verfahren gemäß Absatz 2. Es ergibt sich dieses ganz bestimmt aus dem Berichte

900 des schweizerischen Bevollmächtigten vom 26. Januar 1874.

selbe schrieb nämlich ad Art. 2 wörtlich Folgendes:

Der-

,,Eigene Bürger liefert der eine Staat dein andern nicht aus, ,,sondern übernimmt selbst die gerichtliche Verfolgung strafbarer ,,Handlungen, welche eigene Staatsangehörige im Gebiete des an,,dern vertragenden Theiles begangen, sofern solche Handlungen ,,auch nach Maßgabe der eigenen Gesetzgebung strafbar sind. Der ,,Staat, in dessen Gebiet eine solche strafbare Handlung begangen ,,worden, hat in diesem Falle die nöthigen Erhebungen etc. zur ,,Feststellung des Thatbestandes zu veranstalten."

Diese Stelle hat wörtliche Aufnahme gefunden in unserer Botschaft an die Bundesversammlung vom 28. Januar 1874, womit wir den Ausliefernngsvertrag mit dem deutschen Reiche zur Ratifikation vorlegten.

Es ist somit ganz authentisch nachgewiesen, daß Absatz 2 von Art. 2, obsehon etwas undeutlich redigirt, deunoch durchaus die zwingende Vorschrift enthält, daß ein Inlände? für die im andern Staate verübten strafbaren Handlungen im Inlände bestraft werden muß, wenn die gleiche Handlung auch nach dem inländischen Gesetze strafbar ist und die Bestrafung vom andern Staate verlangt wird. Auf dieser Grundlage und in diesem Sinne hat denn auch die Bundesversammlung den erwähnten Auslieferungsvertrag am 2. Juni 1874 ratiflzirt und uns 'mit dessen Vollziehung beauftragt (A. S. n. F. I, 1881).

Die Anklagekammer des Kantons Bern ist allerdings in die Wiedererwägung ihres ersten Entscheides eingetreten und hat denselben aufgehoben mit gleichzeitiger Ueberweismng des Voillat an das kompetente Gericht des Kantons Bern. Sie bemühte sich jedoch, in einem weitläufigen Mémoire obige Erörterungen zu widerlegen, und erklärte ausdrücklich, daß sie weder durch die bernische Gesetzgebung, noch durch Art. 2 des Ablieferungsvertrages mit Deutschland zu diesem Beschlüsse sich verpflichtet fühle, wohl aber durch Gründe der öffentlichen Moral und der internationalen Verpflichtung zu gegenseitigem Rechtsschutze.

7. In 19 Fällen, in welchen die Verfolgten iiur aus dem Grunde gegen ihre Auslieferung protestirten, \ v e i l sie u n s c h u l d i g s e i e n , haben wir gemäß der bisherigen Praxis diese Einrede nicht als eine Einsprache gegen die Anwendbarkeit des betreffenden Staatsvertrages im Sinne von Art. 58 des Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege behandelt, sondern, wie früher, diese Fälle ohne Ueberweisung an das Bundesgericht von uns aus durch

901 Bewilligung der Auslieferung erledigt, indem jeweilen die formellen Vorschriften der Verträge erfüllt waren und das Urtheil über Schuld oder Unschuld lediglich dem kompetenten Richter des requirirenden Staates zusteht.

Dagegen lagen in fünf Fällen wirkliche Einsprachen gegen die Anwendbarkeit der betreffenden Staatsverträge vor. Sie wurden deshalb gemäß dem erwähnten Art. 58 an das Bundesgericht gewiesen, welches in vier Fällen die Auslieferung bewilligte, dagegen in einem Falle sie ablehnte. Im Jahresberichte des Bundesgerichtes sind diesfalls nähere Nachweise gegeben.

Mit Bezug auf einen Franzosen, zwei Deutsche und zwei Italiener, welche wegen gemeiner Verbrechen verfolgt wurden, aber gleichzeitig auch der D e s e r t i o n sich schuldig gemacht hatten, wurde die Auslieferung nur unter der Bedingung bewilligt, daß die betreffenden Individuen wegen der Fahnenflucht nicht bestraft werden dürfen. Hievon wurde nicht nur den betreffenden Regierungen, sondern auch den Ausgelieferten Kenntniß gegeben, damit Letztere zu ihrer Vertheidigung darauf sich berufen können.

8. Auf u n s e r G e s u c h w u r d e von d e u t s c h e n Staaten gegen 3, von Frankreich gegen 3, von Italien gegen l und von Oesterreich ebenfalls gegen l ihrer Staatsangehörigen die B e u r t h e i l u n g und B e s t r a f u n g in der Heimat für solche Verbrechen und Vergehen übernommen, deren die Verfolgten in der Schweiz sich schuldig gemacht hatten, für welche sie aber in Folge ihrer Flucht hier nicht · bestraft werden konnten. Vier von diesen Angeklagten wurden verurtheilt, einer freigesprochen und gegen einen das Verfahren sistirt. In einem Falle war die Untersuchung am 31. Dezember 1882 noch pendent und in einem andern Falle wurde sie wegen Geisteskrankheit der Angeklagten aufgehoben.

Die russische Regierung lehnte in Betreif einer ihrer Angehörigen die Untersuchung ab, weil die inkriminirten Handlungen nur Vergehen von geringerer Wichtigkeit (unter 300 Rubel) bilden, die nach dem russischen Strafgesetzbuche weniger als ein Jahr Gefangenschaft nach sich ziehen, somit nicht unter Art. 2 des Auslieferungsvertrages fallen, vielmehr gemäß Art. 3 ausgeschlossen seien.

Anderseits wurde von F r a n k r e i c h in 3, von D e u t s c h l a n d in 3, von O e s t e r r e i c h und von R u ß l a n d je in l Falle die Uebernahme
der U n t e r s u c h u n g g e g e n S c h w e i z e r verlangt, welche ungestraft sich hatten in die Schweiz flüchten können.

l Angeklagter wurde nicht aufgefunden, 6 andere wurden durch die Gerichte der Heimatkantone verurtheilt und in einem Falle war die Untersuchung Ende dieses Jahres noch pendent.

902

II. Bundesstrafrecht.

9. Im Jahre 1882 wurden 27 neue Fälle von G e f ä h r d u n g des E i s e n b a h n b e t r i e b e s den kantonalen Gerichten zur Untersuchung und Beurtheilung überwiesen (1880 32, 1881 52). 7 Fälle waren aus dem Vorjahre pendent geblieben, so daß im Ganzen 34 Untersuchungen gegen 51 Personen in gerichtlicher Behandlung lagen.

Diese Untersuchungen vertheilen sich auf die Kantone: Zürich 2, Bern 7, Luzern 4, Freiburg l, Baselstadt 2, St. Gallen 2, Graubünden l, Aargau 2. Thurgau 2, Tessin 1, Waadt 7, Neuenburg 3.

11 Untersuchungen wurden durch Verfügimg kantonaler Gerichtsbehörden gänzlich aufgehoben. 16 Untersuchungen sind durch gerichtliches Urtheil erledigt worden. 7 Personen wurden freigesprochen und 18 in 13 Urtheilen zu größern oder geringern Strafen, zusammen zu 129 Tagen Gefängniß und Fr. 285 Buße verurtheilt. Die übrigen 7 Untersuchungen gingen auf das Jahr 1883 über.

Die Urtheile aus den frühern Jahren sind sämmtlich vollzogen.

Einige Fälle, bei deren Beurtheilung nicht das Bundesstrafrecht zur Anwendung kommen konnte, sondern das Bundesgesetz über die Bahnpolizei vom 18. Februar 1878, wurden zurückgewiesen, indem für diese in Art. 11 des letztern Gesetzes die kantonale Kompetenz vorgeschrieben ist. In solchen Fällen bleiben die Untersuchungs- und Vollziehungskosten den Kantonen zur Last, wogegen sie auch die Bußen beziehen.

10. Nach Schluß der Uebungen der VI. Armeedivision erschien in der ,,Neuen Zürcher Zeitung" vom 21. September 1882 unter der Aufschrift ,,Mittheilungen aus dem Publikum" ein mit ,,J. 0., Schützenwachtmeister" unterzeichneter Artikel, worin die Verpflegungsweise während des Truppenzusammenzuges einer scharfen Kritik unterstellt wurde. Als Verfasser dieses Artikels wurde Jakob Osterwalder, Wachtmeister im Schützenb a t a i l l o n Nr. 6, ermittelt. Nachdem der Divisionskriegskommissär hinsichtlich der gerügten Punkte eine nähere Untersuchung vorgenommen hatte, stellte das Kommando der VI. Division an die Militärdirektion des Kantons Zürich das Gesuch um Bestrafung Osterwalders. Am i. Dezember 1882 verfügte diese Direktion in Anwendung von Art. 181 und gestützt auf Art. 65, Satz l, und Art. 166, Ziffer 9 des eidgen. Militärstrafgesetzbuches (Amtl.

Samml. II, 606), sowie auf Art. 17, Ziffer 7, der im militärischen Dienstbüchlein enthaltenen, vom Bundesrathe genehmigten Ver-

903 Ordnung des schweizerischen Militärdepavtementes vom 31. März 1875: es sei Jakob Osterwalder wegen ungebührlichen Betragens gegen militärische Vorgesetzte mit einer Disziplinarstrafe von 8 Tagen belegt, welche Strafe derselbe am 11. Dezember 1882, Vormittags 8 Uhr, in der Kaserne Zürich anzutreten habe.

Bevor jedoch diese Strafe zur Vollziehung kam, veranlaßten Herr Curti und neun andere Mitglieder des Nationalrathes am 7. Dezember folgende Interpellation : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, beförderlichst Aufschluß zu ertheilen darüber, ob er von der Verfügung der zürcherischen Militärdirektion gegen Jakob Osterwalder in Hottingen, betreffend die Besprechung militärischer Vorkommnisse in der Presse, Kenntniß höbe und welche Maßregeln er zum Schütze der Preßfreiheit und zur Sicherheit der Person zu treffen gesonnen sei."

Damit der Bundesrath diese Interpellation beantworten könne, richtete das schweizerische Militärdepartement am gleichen 7. Dezember die Einladung an die Militärdirektion des Kantons Zürich, über die thatsächlichen Verhältnisse dieser den Bundesbehörden gänzlich unbekannt gewesenen Angelegenheit Bericht zu erstatten und den Vollzug ihrer Strafverfügung einstweilen zu sistiren.

In diesem vom 11. Dezember datirten Berichte bestritt die zürcherische Militärdirektion die Kompetenz der Bundesbehörden zur Intervention. Unser Justiz- und Polizeidepartement wurde eingeladen, die ganze Angelegenheit näher zu prüfen und sich gutachtlich darüber zu äußern. Da von keiner Seite eine Beschwerde gegen die erwähnte Strafverfügung vorlag, fanden wir keine Veranlassung, uns mit der Sache weiter zu befassen. In Würdigung der von der zürcherischen Behörde geltend gemachten Bemerkungen beschlossen wir jedoch, für den Fall, daß eine sachbezügliche Beschwerde eingehen sollte, sei es auf Grund von Bestimmungen der Bundesverfassung (z. B. Art. 55 und 58) oder sei es mit Berufung auf solche der Zürcher Kantonsverfassung (wie Art. 3 und 7), die Kompetenz abzulehnen und den Beschwerdeführer im Hinblick auf die einschlagenden Vorschriften der Bundesverfassung (Art. 102, Ziff. 2, und Art. 113} und auf das Bundesgesetz vom 27. Juni 1874 über die Organisation der Bundesreehtspflege (Art. 59) auf den Weg des staatsrechtlichen Rekurses bei dem Bundesgerichte zu verweisen.

Seither hat die Regierung des Kantons Zürich die Strafsentenz ihrer Militärdirektion aufgehoben , womit diese Angelegenheit erledigt ist.

904

11. Die Herren M a g g i n e t t i und S i p r u g a s c i hatten bei der eidgenössischen Volkszählung vom 1. Dezember 1880 in der Gemeinde Biasca als Zählbeamte mitgewirkt. Sie wurden nachher beschuldigt, mehr als '100 Personen, welche erklärt haben sollen, der katholischen Religion anzugehören, in die Rubrik ,,andere Konfessionen"1 eingetragen zu haben, und deßwegeu einer Strafuntersuchung unterstellt. Die Anklagekammer des Obergerichtes überwies sie dem korrektionellen Gericht des Bezirkes Riviera-Bellinzona wegen Mißbrauches ihrer Stellung als Zählungsbeamte. Sie bestritten die Kompetenz der ttissinischen Gerichte, wurden aber von den tessinisehen Behörden mit dieser Einrede abgewiesen.

In Folge dessen beschwerten sie sich bei uns und stellten das Begehren um Kassation des ganzen Verfahrens, indem sie zur Begründung desselben Folgendes vorbrachten : Nach Art. 74 des Bundesstrafrechtes VOM 1853 und Art. 4 und 14 des Bundesstrafprozesses habe vor all«m aus der Bundesrath darüber zu entscheiden, ob eine Strafuntersuchung eintreten soll und ob sie durch die kantonalen Gerichte zu führen und zu beurtheilen sei, oder ob er im Sinne von Art. 37 und 38 des Bundesgesetzes vom 9. Dezember 1850 über di« Verantwortlichkeit ·der eidgenössischen Behörden und Beamten die Sache auf dem Disziplinarwege erledigen wolle.

Der Bundesrath erklärte am 27. Mai 188'2 diese Beschwerde als unbegründet, gestützt auf folgende Erwägungen : 1) Die Rekurrenten scheinen von der Ansicht auszugehen, daß .sie bei der eidgenössischen Volkszählung vom 1. Dezember 1880 als eidgenössische Beamte mitgewirkt und deßh;ilb Anspruch haben auf den Schutz des Bundesgesetzes über die Verantwortlichkeit der eidgenössischen Behörden und Beamten vom 0. Dezember 1850 ; 2) diese Voraussetzung ist jedoch unrichtig, indem die Stellung ·derjenigen Personen, welche bei einer eidgenössischen Volkszählung mitzuwirken berufen sind, weder durch die Bundesverfassung noch durch die Bundesgesetzgebung eingeführt und organisirt ist, und eine solche Organisation auch nicht wohl denkbar erscheint, weil diese Personen jeweilen nur bei einem einzelnen Akte, der sich erst nach längern Perioden wiederholt, mitzuwirken berufen sind ; 3) im Uebrigen ging das Mandat der Rekurrenten nicht von einer Bundesbehörde aus ; vielmehr sind nach § 3 der Vollziehungsverordnung für die eidgenössische Volkszählung vom 3. Juni 1880 die Volkszählungsbeamten von den Gemeinden, beziehungsweise von .einer kantonalen Behörde ernannt worden;

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4) die Art. 4 und 14 des Bundesgesetzes über die Verantwortlichkeit der eidgenössischen Beamten finden daher hier keine Anwendung, weil nach dem soeben Gesagten die Rekurrenten keine eidgenössischen Beamten waren und es kann auch von der Anwendung von Art. 74 des Bundesstrafrechtes keine Rede sein, weil ·er nur auf die in diesem Gesetze vorgesehenen Verbrechen Anwendung findet, während die Stellung und Handlung der Rekurrenten im Bundesstrafrecht nicht vorgesehen ist; 5) die Frage, ob sich die Rekurrenten ausschließlieh innerhalb der Aufgabe gehalten haben, welche ihnen die erwähnte Vollziehungsverordnung auferlegte, wonach sie die Haushaltungslisten auszutheilen und nachdem sie von den Haushaltungschefs ausgefüllt worden, dieselben wieder einzusammeln und lediglich allfällige Auslassungen zu ergänzen und Mängel zu berichtigen hatten (§§ 9--14 inklusive der Vollziehungsverordnung"), oder ob sie, sei es aus Absicht oder aus Nachläßigkeit, diese Aufgabe in strafbarer Weise überschritten haben, ist somit einzig von den kantonalen Behörden zu erJedigen.

12. Es ist mehrfach beobachtet worden, daß es Fabrikanten gibt, die, in Zuwiderhandlung gegen das Bundesgesetz; betreffend Kontrolirung und Garantie des Feingehaltes v o n G o l d - u n d S i l b e r p a a r e n (Amt!. Samml. n . F, V , 363), auf ihren Erzeugnissen einen Feingehaltsgrad angeben, ohne dieselben in gesetzlicher Weise kontroliren und abstempeln zu lassen, oder welche andere Feingehaltsgrade vormerken, ohne ihre Marke oder das Zeichen des Fabrikanten beizufügen, oder die auf ihren Erzeugnissen Bezeichnungen anbringen, welche nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen unzuläßig sind.

Wir sahen uns in Folge dessen veranlaßt, den Regierungen von Bern, Schaff'hausen, Genf und Neuenburg zu empfehlen, mit aller Strenge gegen solche Gesetzesübertretungen einzuschreiten.

Wir machten hiebei darauf aufmerksam, daß laut Art. 10 des erwähnten Gesetzes die Strafverfolgung auf Antrag der lokalen, kantonalen oder eidgenössischen zuständigen Behörden oder der beschädigten Partei stattfindet und daß das Bundesgesetz betreffend das Verfahren bei 'Uebertretung fiskalischer oder polizeilicher Bundesgesetze (Art. l--8; Amt). Samml. I, 87) nähere Vorschriften enthält über die Art und Weise, wie der Thatbestand einer Uebei-tretung hergestellt wird.

13. Bei der eidgenössischen Volksabstimmung vom 30. Juli 1882 hat das W a h l b ü r e a u der S t a d t F r e i b u r g nach den Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. II.

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Geständnissen seiner Mitglieder eine Anzahl von Bürgern zur Abstimmung zugelassen, ohne daß deren Einschreibung vor Abschluß, der Stimmregister bewerkstelligt oder wenigstens verlangt worden wäre. In Anwendung von Art. 74 des Bunde sstrafrechtes und im Hinblick auf Art. 44 des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 wurde dieser Fall der kompetenten Behörde des Kantons Freiburg zur Beurtheilung überwiesen.

14. Bei der Beurtheilung einzelner Fälle von G e f ä h r d u n g e n des Eisenbahnbetriebes wird von den kantonalen Gerichten der vorangegangenen disziplinarischen Bestrafung der Eisenbahnangestellten oft ein zu großer Einfluß gestattet. Wir sahen uns genöthigt, in einem Spezialfalle das Gericht darauf aufmerksam machen zu lassen, daß die von einer Eisenbahnverwaltung gegen einen Angestellten verfügte Disziplinarstrafe bei der gerichtlichen Beurtheilung desselben nicht in Betracht kommen dürfe, weil die Eisenbahnverwaltungen nur die Dienstfehler gegenüber der Verwaltung ahnden, nicht aber an die Stelle der verfassungsmäßigen Gerichte treten dürfen. Sobald durch die Handlung oder Unterlassung eines Angestellten dritte Personen geschädigt oder in Gefahr gebracht worden seien, so unterliege die Beurtheilung dieser Handlung oder Unterlassung der Strafgerichtsbarkeit des Staates.

III. Lotterie und verbotene Spiele.

15. Auf eine von Herrn Joos gestellte Motion hin wurde der Bundesrath durch Beschluß des Nationalrathes vom 30. April 1881 eingeladen, darüber Bericht zu erstatten, ob wicht der Po s t Verw a l t u n g Weisung zu ertheilen sei, offene L o t t e r i e o f f e r t e n nicht weiter zu befördern.

Unser Bericht vom 6. Dezember 1881 (Bundesblatt IV, 946) beruhte auf denselben Gesichtspunkten, die wir über eine ähnliche Frage im Jahr 1878 als maßgebend anerkannt hatten (Bundesblatt 1879, II, 613).

Am 30. Januar 1882 genehmigte jedoch die Bundesversammlung einen Beschluß, womit wir eingeladen worden, in Ausführung des Art. 35, Alinea 3 der Bundesverfassung einen Antrag einzubringen über geeignete Maßnahmen gegen das Lotterieunwesen.

Diesem Auftrage haben wir bis jetzt nicht entsprechen können.

16. Zu verschiedenen Malen wurden Gesuche um B e w i l l i g u n g des V e r t r i e b e s von Lotterieloosen zu Gunsten irgend

907 eines Unternehmens vom Auslancle aus an uns gerichtet. Wir konnten aber nicht darauf eintreten, weil in der Schweiz zur Zeit über das Lotteriewesen noch keine einheitlichen Bestimmungeü bestehen, sondern lediglich die Vorschriften der einzelnen Kantone maßgebend sind und daher diesfällige Gesuche auch bei den kantonalen Behörden anhängig gemacht werden müssen.

17. Im Juli 1882 machte auf Grund einer Einsendung in der ,,Züricher Posta in der gesammteu schweizerischen Presse die Nachricht die Runde, daß im früheren ,, K u r h a u s e " , j e t z t ,, C a s i n o " , z u l n t e r l a k e n angeblich eine ,, S p i e l h öl l eu bestehe.

Es wurde unter Anderai behauptet, daß daselbst namentlich das in Frankreich wohl bekannte ,, J e u des p e t i t s c h e v a l i e r s " 1 in Thätigkeit gesetzt sei, und daß in einer bestimmten Abtheilung des Casino, dem sog. ,,Cercle des étrangers", Vorbereitungen für das ,,Baccarat" und ähnliche Hazardspiele getroffen worden, Gleichzeitig wurde das Gerücht von der Einrichtung von ,,Cercles des étrangers" oder ,,Salons réservés" in Montreux, Luzern und Genf in der Presse verbreitet. Diese Mittheilungen gingen auch in fremde Zeitungen über und erregten überall Aufsehen.

Diese Mittheilungen wurden zwar aus den erwähnten Ortschaften selbst und zwar ebenfalls in der Presse widerlegt und als tendenziöse Verdächtigungen hingestellt. Indeß glaubten wir doch die Anklagen gegen Interlaken im eigenen Interesse dieses berühmten Kurortes näher in's Auge fassen zu sollen.

Wir luden deßhalb die Regierung von Bern ein, eine genaue Untersuchuag über die im Casino zu Interlaken üblichen Spielai-ten einzuleiten und durchzuführen und eventuell die nöthigen Maßnahmen zur Vollziehung von Art. 35 der · Bundesverfassung und bezüglicher strafgesetzlicher Vorschriften des Kantons Bern anzuordnen und über das Resultat Bericht zu erstatten.

Die Regierung des Kantons Bern antwortete, daß während der abgelaufenen Saison in Interlaken keine verbotenen Hazardspiele betrieben worden seien, und gab uns die Zusicherung, daß sie auch in Zukunft der Angelegenheit ihre volle Aufmerksamkeit schenken werde.

Was Montreux, Luzern und Genf betrifft, so konnten wir uns zu keinen analogen Schritten veranlaßt finden, da keine positive Behauptung vorlag, als wären an dem einen oder andern dieser Orte wirkliche Spielbanken oder diesen ähnliche Spiele thatsächlich im Gange. Die bloße Andeutung aber, daß Lokalitäten hiefür v o r -

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b e r e i t e t w e r d e n , konnte uns keinen genügenden Grund zur Intervention geben.

IV. Fremdenpolizei. -- Werbung.

18. Die Regierung des Kantons Graubünden sah sich veranlaßt, dagegen zu reklamiren, daß polizeiliche Transporte von Italienern von Uri zurückgewiesen und nach Graubünden dirigirt worden seien, wodurch eine Reise von drei bis vier Tagen verursacht werde, während die betreffenden Individuen auf der Gotthardbahn leicht in einem Tage nach Italien hätten gelangen können. Sie stellte den Antrag, daß künftig nur die der Provinz Sondrio angehörigen Italiener durch Graubünden, alle andern Italiener aber den kürzern Weg durch den Gotthard dirigirt werden möchten.

Nach näherer Untersuchung der in Frag« gelegenen Spezialfälle erließ unser Justiz- und Polizeidepartement an die Polizeibehörden der betreffenden Kantone die Einladung , künftig keine polizeilichen Transporte von Italienern zurückzuschicken , welche über den Gotthard die kürzeste Route haben. Es wurde auch darauf aufmerksam gemacht, daß mit dem 1. August 1882 die Uebereinkunft zwischen der Schweiz und Italien betreffend den Polizeidienst in den internationalen Stationen der Gotthardbahn zu Chiasso und Luino, vom 16. Februar 1881 (A. S. n. F. V, 577), in Kraft getreten sei, und daß daher gegenwärtig die Art. 5 u. ff.

' in dieser Materie maßgebend seien.

19. Gegen Ende September wurden in Genf W e r b u n gen f ü r E g y p t e n eröffnet und zu diesem Ende auch in andern Städten, z. B. in Bern, Auskunftsbüreaux errichtet. Ueber den Zweck dieser Werbungen waren anfänglich die Berichte unklar.

Die am meisten verbreitete Ansicht ging dahin , daß es sich um Bildung eines Polizeikorps handle; allein es sprachen hinwieder gewisse Umstände dafür, daß dieses Korps eventuell auch für kriegerische Zwecke würde verwendet werden. Es wurden nur solche Individuen angeworben, welche ihren Rekrutendienst gemacht hatten und mit dem Dienstbüchlein darüber sich ausweisen konnten.

Unser Justiz- und Polizeidepartement ermangelte nicht, dieser Erscheinung seine Aufmerksamkeit zuzuwenden und uns darüber nähern Bericht zu erstatten. Wir sahen uns in Folge dessen veranlaßt, am 13. Oktober 1882 die Fortsetzung dieser Werbungen zu verbieten. Indem wir mit Kreisschreiben vom gleichen Tage sämmtliche Kantonsregierungen einluden, diesem Beschlüsse sofort mit allen Mitteln Nachachtung zu verschaffen , sprachen wir uns über die Gründe zu diesem Vorgehen wie folgt aus :

»

909 ,,Wenn auch vor der Hand noch dahingestellt bleiben mag, inwieweit auf Werber und Angeworbene die Bestimmungen des Werbegesetzes anwendbar sind, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß der, ohne Brlaubniß der kompetenten Behörde erfolgte, Uebertritt eingetheilter schweizerischer Militärpflichtiger in die Dienste eines fremden Staates als etwas schon vom rein militärischen Standpunkte aus durchaus Unstatthaftes anzusehen ist.a ,,Durch die Bundesverfassung von 1874 und die in Ausführung derselben erlassenen Gesetze ist das Band zwischen dem Bund und dem militärpflichtigen und militärisch geschulten schweizerischen Angehörigen ein weit engeres geworden, als es früher war. Dieser wird auf Kosten des Bundes instruirt, gekleidet und ausgerüstet; er darf nicht einmal seinen Aufenthalt in der Schweiz ändern, ohne die daherige Aenderung in seinem Dienstbüchlein vormerken zu lassen ; die Unterlassung ist mit Strafe bedroht. Um so viel mehr muß das mit definitivem Verlassen des heimatlichen Bodens verknüpfte eigenmächtige Aufgeben des militärischen Verbandes mit der Schweiz Seitens eines schweizerischen Wehrpflichtigen strafbar erscheinen." (Bundesblatt 1882, IV, 9.)

In Folge dieses Erlasses verminderten sich die Anwerbungen allmälig und hörten gegen Ende Oktober gänzlich auf, zumal inzwischen aus Egypten ungünstige Berichte über die Stellung dieses angebliehen Sicherheitskorps und über die Behandlung der Angeworbenen einliefen. Schon gegen Ende November begannen wieder die Rücktransporte. Einzelne Gruppen, welche in Genua und Marseille ohne Reisemittel ankamen, suchten bei den dortigen schweizerischen Konsulaten um Unterstützung nach. Die bezüglichen Anfragen wurden dahin beantwortet, daß wir keine Leute unterstützen , die im Widersprüche mit den Gesetzen gehandelt haben ; es müsse deren Heimschiebung der italienischen Polizei überlassen werden.

V. Politische Polizei. -- Flüchtlinge.

20. Die politische Polizei verursachte im Laufe des Berichtjahres vielfache Arbeiten, ohne daß Grund wäre, einzelner hervorragender Thatsachen einläßlicher zu erwähnen. Es mögen einige allgemeine Bemerkungen genügen.

Die Thätigkeit unseres Justiz- und Polizeidepartements auf diesem Gebieteist wesentlich charakterisirt durch die ana r e h i s ti schr e v o l u t i o n ä r e n B e s t r e b u n g e n , welche in einzelnen Nachbarstaaten mehr oder weniger offen zu Tage treten und mit den

910 Anhängern ähnlicher oder gleicher Bestrebungen in der Schweiz in Wechselbeziehungen stehen. Sie werden auch hier in einem Theile der Presse und in zahlreichen Versammlungen genährt und gefördert. Wenn auch" in solchen Versammlungen nicht immer die extremen Lehren der revolutionären Partei ihren unzweideutigen Ausdruck finden, so werden doch nur zu oft i;i denselben die Gemüther für jene Tendenzen allmälig empfänglich gemacht. Es ist hieraus im Laufe des Jahres an verschiedenen Orten Grund erwachsen, drohenden Ausschreitungen vorzubeugen. -- Eines der rücksichtslosesten Tagesblätter, die ,, F r e i h e i t " , welches sich als ,, O r g a n der r e v o l u t i o n ä r e n S o z i a l i s t e n " 1 bezeichnet und das selbst in London nicht mehr geduldet wurde, hat vorübergehend einen geheimen Verlag in der Schweiz finden können, ist jedoch seit Mitte November nach New-York verlegt worden, wo es wieder von dem bekannten Agitator Johann Most redigiït wird. -- Ein anderes ähnliches Blatt, ^Le Révolté" 1 , ,,Organe socialiste", erscheint noch immer in Genf. Seine revolutionäre Halïung hat es wesentlich verschuldet, daß aus Anlaß der anarchistischen Bewegungen in Montceau-les-mines und in Lyon die Schweiz im Auslande vielfach als Anarchistenherd denunzirt wurde. Es wurde auch behauptet, daß der Russe Fürst Krapotkin, von dessen ;.m August 1881 erfolgter Ausweisung aus der Schweiz im letztm Geschäftsberichte Erwähnung gethan ist, von seinem neuen Aufenthaltsorte bei Thonon (Savoyen) aus, die Redaktion des ,,Révolté" fortsetze, oft geheim nach Genf komme und an politischen Versammlungen in der Schweiz thätigen Antheil nehme. Gegen Ende Dezember 1882 wurde er in Thonon verhaftet und nach Lyon verbracht, wo ev mit einer größern Anzahl Gesinnungsgenossen (52) in Untersuchung gezogen und wegen Organisation einer geheimen Gesellschaft zum Umsturz der sozialen Ordnung und Abhaltung geheimer Konventikel, in denen die Unruhen von Montceau-les-mines und die Bombenattentate von Lyon vorbereitet worden, sowie wegen Anstiftung einer Verschwörung unter den Arbeitern des Rhonethalos zum Zwecke einer revolutionären Schilderhebung, unter Anklage gestellt wurde. Das Urtheil gegen Krapotkin lautet auf 5 Jahre Uefängniß, Fr. 1000 Buße, zehn Jahre Ueberwachung und 5 Jahre Verlust der bürgerlichen Rechte. -- Die von uns
angeordneten Untersuchungen ergaben, ' daß die Gerüchte von der Existenz revolutionärer Komités in Genf und Lausanne unwahr gewesen. Auch scheint die gerichtliche Untersuchung in Lyon keinerlei Anhaltspunkte für die Richtigkeit jener Behauptungen ergeben zu haben.

21. Bezüglich der p o l i t i s c h e n F l ü c h t l i n g e sind auch im Berichtjahre keine Veränderungen eingetreten. Die in üblicher Weise gewährten Unterstützungen erreichen der Betrag von Fr. 677.

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VI. Heimatlosenwesen.

22. Aus dem Berichte des Staatsrathes über den gegenwärtigen Stand dieser Angelegenheit im K a n t o n T e s s i n entheben wir folgende Details: Zu den wenigen am Schlüsse des Jahres 1881 noch pendent gebliebenen Untersuchungen sind itn Laufe des Jahres 1882 wieder mehrere neue Fälle hinzugekommen, indem das Heimatrecht der betreffenden Personen oder Familien festgestellt werden mußte, wenn aus irgend einem Grunde Legitimationspapiere verlangt wurden. Das Departement des Innern nahm diese Untersuchungen sogleich an die Hand und erzielte in dreizehn Fällen die freiwillige Anerkennung der betreffenden Personen von Seite der Gemeinden, während zwölf andere Fälle durch Entscheide des Staatsrathes erledigt wurden. In einigen andern Fällen wurde festgestellt, daß die Petenten dem Kanton Tessin nicht angehören können. Sie wurden daher auch nicht anerkannt. Zwei Fälle dieser Art führten hierauf diplomatische Verhandlungen herbei, die nach weiterer Untersuchung durch unser Justiz- und Polizeidepartement zu Gunsten des Kantons Tessin zum Abschlüsse gebracht wurden. Bei dem Großen Rathe des Kantons Tessin sind noch 17 Fälle pendent.

Der Staatsrath erklärte, daß er sich so viel als möglich für deren beförderliche Erledigung bemühe.

23. Unser Justiz- und Polizeidepartement war in 71 Fällen mit der F e s t s t e l l u n g des H e i m a t r echtes von Familien oder einzelnen Personen beschäftigt und hat mit wenigen Ausnahmen deren Erledigung erzielt. 24 Fälle mit 60 Personen veranlaßten einläßlichere Verhandlungen. Aber auch diese sind mit Ausnahme von 3 Fällen mit 14 Personen erledigt.. Von den in den erledigten Fällen betheiligten 46 Personen sind 17 Deutschland, 10 Italien, 4 Frankreich und \ Dänemark zugefallen; die übrigen 14 Personen vertheilen sich auf verschiedene Kantone.

In 6 weitern Fällen mußten förmliche Untersuchungen durchgeführt werden, wovon zwei betreffend zwei Personen mit einläßlich rnotivirten Beschlüssen entschieden werden konnten. Es sind beide an das Bundesgericht gezogen worden. Eine Familie mit 10 Personen wurde von Deutschland, eine andere mit 7 Personen von Oesterreich, eine dritte mit 3 Personen von einem Kantone anerkannt.

Der sechste Fall blieb pendent.

Endlich sind noch einige ältere Untersuchungen nach Möglichkeit ihrem definitiven Abschlüsse entgegengeführt worden.

912 Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 8. Mai 1882.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

Berichtigungen. Auf Seite 858 hievor, Zeile 6 von oben, soll es heißen ,,über den bloßen Aufenthalt" etc.

Auf Seite 880, dritter Absatz, Zeile 4, ist zu lesen: ,,seinen Ursprung habe."

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1882.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1883

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

24

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

12.05.1883

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825-912

Page Pagina Ref. No

10 011 889

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