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Schweizerisches Bundesblatt.

35. Jahrgang. HL.

Nr. 49.

6. Oktober 1883.

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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs von Jakob Brandenberger und dessen Ehefrau Anna geb. Gentner, von Bärentsweil (Zürich), betreffend Entzug der Niederlassung.

(Vom 14. September 1883.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des J a k o b B r a n d e n b e r g e r und dessen Ehefrau A n n a geb. G en t n er, von Bärents weil (Zürich), betreffend Niederlassungsentzug ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : I. Die Eheleute Jakob Brandenberger, Posamentirer, geb. 1853 und Anna geb. Gentner, geb. 1855, von Bärentsweil, wohnhaft an der Grauen Gasse Nr. 5 in Zürich, sind am 16. November 1882 vom Bezirksgericht Zürich wegen Kuppelei, der Mann zu zehn Tagen Gefängniß und Fr. 50 Buße, die Frau zu vier Wochen Gefängniß und Fr. 50 Buße, verurtheilt worden.

Laut einer bei den Akten liegenden, vom königl. bayerischen Bezirksamt Donauwörth, in dessen Amtskreis die Heimatgemeinde der rekurrentischen Ehefrau, Nußbühl, liegt, ausgestellten Strafliste, wurde Frau Brandenberger in den Jahren 1875, 1876, 1880 und 1881 dreimal, wegen gewerbsmäßiger Unzucht, zweimal wegen falscher Namensangabe und einmal wegen Dienstentlaufens gerichtlich bestraft.

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. III.

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Ein Jakob Brandenberger, geb. 1853, heimatberechtigt zu Bärentsweil, war schon im Jahre 1872 vom Bezirksgericht Meilen wegen Diebstahls mit fünf Monaten Gefängniß bestraft worden.

II. Gestützt auf diese Urtheile -- unter der Voraussetzung, daß sich das letztgenannte bezirksgerichtliche Urtheil unzweifelhaft auf den hierortigen Rekurrenten beziehe -- hat der Stadtrath von Zürich unterm 6. Februar 1883 den Eheleuten Brandenberger die Niederlassungsbewilligung entzogen und denselben eine Frist von 14 Tagen angesetzt, die Stadt zu verlassen, unter Androhung von Exekution und Ungehorsamsstrafe durch die Gerichte im Falle der Fristübertretung oder der künftigen Rückkehr in die Gemeinde, und ohne Suspensivkraft eines allfälligen Rekurses.

Gegen diesen Beschluß rekurrirte Jakob Brandenberger unterm 10. Februar dieses Jahres an den Regierungsrath von Zürich und ersuchte um Sisrirung der Ausweisung, wurde aber von demselben unterm 5. April d. J. abgewiesen.

Mit Beschwerde vom 15. April 1883 begehrte Frau Anna Brandenberger, Namens ihres Mannes, von der Regierung des Kantons Zürich die Aufhebung des Ausweisungsbeschlusses. Der Regierungsrath wies indessen unterm 23. Juni die Beschwerde ebenfalls als unbegründet ab, und hat den beiden Rekurrenteu anbefohlen, binnen längstens acht Tagen von der Mittheilung des Beschlusses hinweg die Sfcadtgemeinde Zürich zu verlassen, ansonst polizeiliche Ausweisung erfolgen würde.

III. Gegen den Beschluß der Regierung von Zürich hat Jakob Brandenberger an den Bundesrath rekurrirt, wobei er zwar zugibt, daß er und seine Ehefrau wegen Kuppelei gerichtlich bestraft wurden, dagegen des Entschiedensten bestreitet, daß er jemals wegen Diebstahl bestraft worden sei. Zur Erhärtung dieser Thatsache produzirt der Rekurrent : 1) Ein Leumundszeugnis des Gemeinderathes Bärentsweil, in welchem dieser bezeugt, daß die Eheleute Brandenberger vom Bezirksgericht Zürich wegen Kuppelei bestraft worden, sonst aber nichts Nachtheiliges über sie bekannt sei.

2) Ein Attestat, d. d. 14. Juni 1883, vom Civilstandsamt Bärentsweil, in welchem bezeugt wird, daß nach dem dortigen Familienregister zur Zeit z w e i im Jahre 1853 geborne Jakob Brandenberger von Bärentsweil am Leben seien.

Dieses Attestat enthält im Fernern die Bescheinigung, daß die ganze Familie des Rekurrenten s e i t 1848 in Zürich wohne.

573 3) Einen Brief mit beglaubigter Unterschrift des Gottfried Brandenberger, Schuster in Hombrechtikon, in welchem derselbe der Gemeinderathskanzlei Bärentsweil Kenntniß gibt, daß ein Jakob Brandenberger, der seiner Zeit wegen Diebstahls in Meilen zu Gefängniß verurtheilt worden, in der Spinnerei ,,Neuthal", Bärentsweil, arbeite. Der Aussteller des Briefes soll der Bruder des gerichtlich Bestraften sein.

Weiterhin führt der Rekurrent aus, daß unrichtigerweise ihm vorgeworfen werde, sich an die der Stadtpolizei als Dirne bekannte Anna Gentner angeschlossen zu haben, als ßeihälter derselben mit der Stadtpolizei in Berührung gekommen zu sein und dieselbe trotzdem geheirathet zu haben.

Er habe vielmehr seine Ehefrau, gestützt auf ein Leumundszeugniß der Heimatgemeinde Nußbühl, geheirathet. Laut diesem bei den Akten liegenden Zeugnisse, d. d. 13. März 1881, erfreue sich die Anna Gentner e i n e s s e h r g u t e n Leumundes.

Der Rekurrent legt seiner Beschwerdeschrift noch ein Zeugniß des Posamentirers Locher bei, d. d. Riesbach, 21. März 1882, in welchem bezeugt wird, daß Ersterer, mit Unterbruch von ca. einem Jahre, während 14 Jahren treu und fleißig bei ihm gearbeitet habe, und stellt schließlich das dreifache Gesuch : ,,1. den Beschluß der Regierung von Zürich, d. d. 2. Juni 1883, in seinem vollen Umfange aufzuheben ; (eventuell sei der Stadtrath von Zürich anzuhalten, Revision des ganzen Verfahrens einzuleiten) ; ,,2. bis zum endgültigen Entscheide die Exekution zu sistiren und ,,3. den Rekurrenten für Kosten und Umtriebe eine entsprechende Entschädigung zuzuerkennen.a IV. In ihrer Vernehmlassung theilt die Regierung von Zürich mit, daß sie die vom Bundesrathe verfügte Sistirung der Ausweisung* angeordnet habe, und beantragt die Abweisung des Rekurses.

Die Regierung gibt zu, daß aus den Akten nicht unzweifelhaft hervorgehe, daß der Rekurrent Brandenberger im Jahre 1872 mit jener Diebstahlsstrafe belegt worden sei.

Wenn Brandenberger aber auch wirklich nur einmal, und zwar wegen Kuppelei bestraft worden, so dürfte sich dessen Ausweisung dennoch rechtfertigen, da das Kupplergewerbe, welches beide Eheleute in frecher und schamlosester Weise betrieben, sich genügend aus den Akten ergebe. Frau Brandenberger betreibe ,,pendente lite" dieses Gewerbe weiter und der Ehemann gebe stillschweigend seine Einwilligung zu demselben.

574 Jedenfalls aber müsse die Regierung auf der Ausweisung der Frau Brandenberger beharren; in E r w ä g u n g : daß in Ansehung des rekurrentischen Ehemannes eine wiederholte strafgerichtliche Verurtheilung wegen schwerer Vergehen nicht konstatirt ist, demnach ihm gegenüber die im Art. 45 der Bundesverfassung aufgestellte Voraussetzung des Entzuges der Niederlassung nicht zutrifft; daß dagegen die Ehefrau des Rekurrentën wegen Unzuchtsvergehen schon mehrfache gerichtliche Strafurtheile erlitten und sich auch gegenwärtig noch eines unsittlichen Lebenswandels schuldig macht ; im Anschl usse an die feststehende bundesrechtliche Praxis, wonach die gesetzlichen Requisite für die Bewilligung, beziehungsweise für den Entzug der Niederlassung individuellen Charakters sind, und deren Mangel (beziehungsweise Vorhandensein) bei thatsächlieh verschiedenen Verhältnissen nicht von einem Ehegatten auf den andern oder von einem Familiengliede auf das andere übertragen werden darf (Bundesblatt 1859, I, 364 ff., und 1871, II, 364 ff.), bes chlossen: \. Der Rekurs wird in Ansehung der Person des Rekurrentën Jakob Brandenberger als begründet erklärt ; derselbe ist dagegen unbegründet mit Bezug auf des Rekurrentën Ehefrau Anna, geborne Gentner.

2. Gegenwärtiger Beschluß ist der Regierung des Kantons Zürich, sowie dem Jakob Brandenberger und dessen Ehefrau Anna, tgeb. Gentner, in der Grauen Gasse Nr. 5 in Zürich, mitzutbeilen, unter Rückschluß der Akten.

B e r n , den 14. September 1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs von Jakob Brandenberger und dessen Ehefrau Anna geb. Gentner, von Bärentsweil (Zürich), betreffend Entzug der Niederlassung. (Vom 14. September 1883.)

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06.10.1883

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