00.072 Botschaft zu einem neuen Bundesgesetz über die Berufsbildung (Berufsbildungsgesetz, BBG) vom 6. September 2000

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit der vorliegenden Botschaft den Entwurf eines neuen Bundesgesetzes über die Berufsbildung.

Gleichzeitig beantragen wir, folgende parlamentarische Vorstösse abzuschreiben: 1996

P

96.3193

1996

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96.3286

1996

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96.3464

1997

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96.3684

1997

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97.3249

1997

M 97.3246

1997

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97.3330

1997

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97.3245

1997

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97.3246

1997

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97.3247

5686

Reform der Berufsbildung (zu Ziel 8, R15) (N 6.6.96, Kommission NR 96.016; S 12.6.96) Finanzierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung (N 4.10.96, Speck) Grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bildungsbereich (N 13.12.96, Rennwald) Nichtakademische Berufe der Berufsgruppe «Heilbehandlung» (S 4.3.97, Seiler Bernhard) Berufsbildungsbericht; Umsetzungs- und Ergänzungsmassnahmen (N 10.6.97, Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur NR 96.075) Revision Bundesgesetz über die Berufsbildung (BBG) (N 10.6.97, Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur NR 96.075; S 23.9.97) Förderung der beruflichen Weiterbildung (N 10.10.97, Tschäppät) Gesamtheitliches Schweizer Bildungskonzept und Bundesamt für Bildung (N 10.6.97, Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur NR 96.075; S 23.9.97) Revision Bundesgesetz über die Berufsbildung (BBG) (N 10.6.97, Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur NR 96.075; S 23.9.97) Projekt der Kantonalisierung der Berufsbildung (N 10.6.97, Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur NR 96.075; S 23.9.97)

2000-1857

1997

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97.3397

1997

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97.3398

1997

M 96.3624

1998

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98.3166

1998

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98.3341

1999

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97.3382

Berufsbildung in der Informationsgesellschaft (S 23.9.97, Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur SR 96.075) Grund- und Weiterausbildung (S 23.9.97, Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur SR 96.075) Massnahmen zur Schaffung von Lehrstellen und zur Reduktion der Jugendarbeitslosigkeit (N 21.3.97, Freisinnig-demokratische Fraktion, S 23.9.97) Einführung von Zusatzausbildungen unter dem Niveau des Eidg. Fähigkeitszeugnisses (EFZ) (N 26.6.98, Borel) Einsetzung eines schweizerischen Berufsbildungsrates (N 9.10.98, Müller Erich) Schaffung Bundesamt für Berufsbildung (N 16.6.99, Rychen

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

6. September 2000

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11110

Der Bundespräsident: Adolf Ogi Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

5687

Übersicht Das neue Berufsbildungsgesetz modernisiert und stärkt die duale Berufsbildung der Schweiz. Neu umfasst es auf Bundesebene alle Berufsbildungsbereiche ausserhalb der Hochschulstufe. Das seit über zwanzig Jahren in Kraft stehende Bundesgesetz über die Berufsbildung vom 19. April 1978 ist ganz auf die gewerblich-industrielle Wirtschaft und den Handel ausgerichtet. Der vorliegende Entwurf trägt den seither eingetretenen beruflichen, technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung. Er schafft den Rahmen, der Neues ermöglicht und Bewährtes in zeitgemässer Form weiterführt.

Die eidgenössische Berufsbildungspolitik ­ zu der neu auch die bisher kantonal geregelten Bereiche Gesundheit, Soziales und Kunst gehören ­ hat vermehrt auf die Bedürfnisse der verschiedenen Dienstleistungsbereiche zu antworten. Der Strukturwandel in der Wirtschaft stellt traditionelle Berufsbilder zum Teil in Frage. Steigende Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten verlangen nach erweiterten Angeboten für Begabte und Lernschwächere. Auch der soziale Wandel, namentlich in Bezug auf die Stellung der Frau sowie hinsichtlich der Immigration, verlangt nach neuen Qualifizierungsformen.

Die Qualifizierungsangebote der Berufsbildung sollen weiterhin durchwegs über eine Kombination von Theorie und Praxis bereitgestellt werden. Das duale System hat sich als ideale Voraussetzung für den Einstieg in die Arbeitswelt und für wirksames Lernen erwiesen. Es bleibt ein zentraler Pfeiler der schweizerischen Berufsbildung.

Ein zukunftsgerichtetes Berufsbildungsgesetz hat die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, auf denen umfassende und gleichzeitig gezielte Angebote entwickelt und in ausreichendem Masse bereitgestellt werden können. Die vorgeschlagene Bildungsordnung ­

entspricht dem Erfordernis der Differenzierung, insbesondere über vermehrte Möglichkeiten, auf unterschiedliche individuelle, regionale und branchenmässige Bedürfnisse und Ansprüche einzugehen;

­

erlaubt eine flexiblere Gestaltung der Angebote im Verzicht auf die bisherige starre Gliederung der Lehre in schulische und betriebliche Teile sowie durch einfachere Anpassung an neue Erfordernisse;

­

fördert die vertikale und horizontale Durchlässigkeit durch die Entkoppelung der formalen Bildungswege von den Abschlusszeugnissen und durch neue Qualifikationsformen;

­

legt bereits in der Grundbildung die Basis für das lebenslange Lernen;

­

systematisiert die Bildungsangebote auf Grund von Qualifikat ionsniveaus.

Wegen der beschleunigten Entwicklung in allen Bereichen und der zunehmenden Unsicherheit über die zu erwartenden Anforderungen kann ein zukunftsbezogenes Berufsbildungsgesetz nur ein Rahmengesetz sein. Die Inhalte sind in Zusammenarbeit aller Beteiligten ständig weiterzuentwickeln.

5688

Als Grundsatz für das ganze Gesetz gilt: die Berufsbildung ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt. Alle Akteure sind zur Zusammenarbeit angehalten. Der Auftrag zur aktiven Weiterentwicklung der Berufsbildung, die Chancengleichheit der Geschlechter sowie die Durchlässigkeit innerhalb des Systems werden gesetzlich verankert. Ferner wird eine grösstmögliche Wettbewerbsneutralität zwischen öffentlichen und privaten Angeboten postuliert.

In der «beruflichen Grundbildung» werden folgende Neuerungen vorgeschlagen: ­

Für ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis wird eine mindestens dreijährige Bildung verlangt. Für Bildungen unter den drei Regeljahren wird ein eigenes Qualifikationsniveau eingeführt, die «berufspraktische Bildung», die mit einem Attest abschliesst. Für Leistungsschwächere ist eine individuelle Betreuung vorgesehen.

­

Neu zu schaffende «Berufsfachschulen» erschliessen vermehrt Bildungsmöglichkeiten im Hightech-Bereich und in anspruchsvolleren Segmenten der Dienstleistungen, nicht zuletzt im Gesundheits- und Sozialbereich.

­

Unter dem neuen Begriff «höhere Berufsbildung» sind die eidgenössischen Berufs- und höheren Fachprüfungen sowie die höheren Fachschulen zusammengefasst. Sie werden neben der Hochschulbildung als eigenständiges Bildungsangebot der Tertiärstufe verankert, nachdem ein eigenes Fachhochschul-Gesetz geschaffen worden ist. Im Hinblick auf die Durchlässigkeit und auf die Integration der Bereiche Gesundheit, Soziales und Kunst sollen alle, auch allgemein bildende Abschlüsse der Sekundarstufe II zum Zutritt zur höheren Berufsbildung berechtigen. Die jeweiligen Praxisanforderungen müssen wegen der Vielfalt der vermittelten Bildungen differenziert geregelt werden.

­

Die Weiterbildung ist neu von der höheren Berufsbildung getrennt. Sie erfährt gegenüber dem heutigen Gesetz als «berufsorientierte Weiterbildung» eine in Richtung allgemeiner Schlüsselqualifikationen erweiterte Auslegung.

Der Bund sorgt in diesem Bereich hauptsächlich für Transparenz, Koordination und Kooperation.

­

Die Qualifikationsverfahren und die entsprechenden Ausweise sind in einem separaten Kapitel geregelt. Neben den herkömmlichen Prüfungen werden andere Arten des Erwerbs und des Nachweises einer Qualifikation in einem Abschlusszeugnis ermöglicht (Betriebslehre, Berufserfahrung mit gezielter Nachholbildung, Module, Anerkennung von Lernleistungen usw.). Das trägt der zunehmenden Zahl auch bildungsmässiger «Patchwork»-Biografien Rechnung.

­

Der zunehmenden Bedeutung von Bildungsangeboten für alle Beteiligten trägt der Gesetzesentwurf mit einem eigenen Kapitel über die Bildung der Berufsbildnerinnen und Berufsbildner, der Lehrkräfte und sonstiger in der Berufsbildung engagierter Kader und Experten Rechnung. Die Berufsberatung hingegen wird Sache der Kantone. Der Bund unterstützt nur noch die gesamtschweizerische Berufsbildungsdokumentation.

5689

Völlig neu ist die Finanzierung geregelt. An die Stelle der bisherigen, am Aufwand gemäss «anrechenbaren Kosten» orientierten Subventionierung tritt ein System von aufgabenorientierten Pauschalen. Es wird ergänzt durch die gezielte Förderung von Innovationen und von besonderen Leistungen im öffentlichen Interesse. Die Finanzierung des gesetzlichen Normalangebotes soll grundsätzlich über die Kantone erfolgen. Ausserdem wird die Möglichkeit von branchenmässig ausgerichteten Berufsbildungsfonds geschaffen, um «Trittbrettfahrer» an den Kosten der Berufsbildung zu beteiligen.

Im Sinne der zusätzlichen Regelungskompetenz des Bundes und eines vermehrten Mitteleinsatzes zu Gunsten der strategischen Aufgabe der Berufsbildung wird der Anteil des Bundes an den Kosten der öffentlichen Hand von heute knapp einem Fünftel auf einen Viertel erhöht (plus rund 150 Mio. Franken jährlich). Die für die Subventionierung erforderlichen Kredite sind periodisch in der Botschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Technologie einzustellen.

Die Berufsbildungsreform erfolgt ausserhalb des Projekts Neuer Finanzausgleich (NFA). Die Subventionierung soll aber bis zum Inkrafttreten des NFA weiterhin Elemente zum Ausgleich der Finanzkraft enthalten.

Leistungsorientierte Pauschalen, ergänzt durch Beiträge für Neuerungen und besondere Leistungen, neue Formen der Qualitätssicherung, zeitgemässe Bildung der Lehrkräfte, eine Kompetenzordnung, die auf Zusammenarbeit beruht und gleichzeitig allen Akteuren die erforderlichen Freiräume für selbstverantwortetes Handeln in ihrem Bereich verschafft ­ sie bilden die Elemente der Steuerung einer Berufsbildungspolitik, die erhöhte Transparenz und Effektivität ermöglicht.

Die neue Berufsbildungsordnung stärkt die Rolle der Kantone vor Ort. Der Wirtschaft und den übrigen Anbietern der Berufsbildung ermöglicht sie ein flexibles Eingehen auf spezifische Bedürfnisse. Das sichert ein qualitativ hoch stehendes Angebot an Bildungsplätzen für Jugendliche und Späteinsteigende und deren arbeitsmarktgerechte Qualifizierung.

5690

Botschaft 1

Notwendigkeit und Eckpunkte der Berufsbildungsreform

Das geltende Gesetz über die Berufsbildung (BBG) stammt vom 19. April 1978 und trat auf 1980 in Kraft. Es ist vom Geist einer geradlinig sich entwickelnden Berufsbildung im gewerblich-industriellen Bereich geprägt. Dank der traditionell pragmatisch ausgerichteten Berufsbildungswelt wurden konkrete Anpassungen laufend vorgenommen. Diese Entwicklung fand aber über den Kreis der direkt Interessierten hinaus kaum Beachtung.

Eine grundlegende Änderung der öffentlichen Wahrnehmung stellte sich Mitte der Neunzigerjahre ein. Vor dem Hintergrund der Lehrstellenkrise und des im September 1996 veröffentlichten Berichtes des Bundesrates über die Berufsbildung (96.075) entfaltete sich eine rege Diskussion in Öffentlichkeit und Politik.

Die Auseinandersetzung in den eidgenössischen Räten führte zu verschiedenen Vorstössen. Von besonderer Tragweite waren die Motionen für ein gesamtheitliches Bildungskonzept (97.3245) und für eine Revision des Berufsbildungsgesetzes (97.3246) sowie die parlamentarische Initiative Strahm «Anreizsystem für Lehrstellen» (96.4325).

Mit der Forderung nach einem neuen Berufsbildungsgesetz wurde das Postulat für eine «einheitliche Regelung aller BIGA- und Nicht-BIGA-Berufe» verbunden. Bei den Beratungen zur neuen Bundesverfassung beschloss das Parlament in der Folge eine umfassende Bundeskompetenz für die Berufsbildung. Artikel 63 Absatz 1 der nachgeführten Bundesverfassung lautet: «Der Bund erlässt Vorschriften über die Berufsbildung.» Mit der Volksabstimmung vom 18. April 1999 wurde diese Bestimmung angenommen.

1.1

Berufsbildung in veränderter Umwelt

Noch Mitte unseres Jahrhunderts war rund die Hälfte der Werktätigen in unserem Lande an- oder ungelernt. Eine Lehrstelle galt als Privileg. In verschiedenen Berufen war noch bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs Lehrgeld zu bezahlen.

Eine strukturelle Wende trat in den Sechzigerjahren ein. Die Nachfrage nach Ausbildung stieg entsprechend dem wachsenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften.

Die Lehre wurde ­ zumindest für die männliche Jugend schweizerischer Nationalität ­ zum Normalfall. Arbeitskräftemangel in fast allen Bereichen wurde zur Chance auch für Jugendliche mit schulischen oder anderen Schwierigkeiten. Der zahlenmässige Höchststand an Lehrverhältnissen wurde Mitte der Achtzigerjahre erreicht.

5691

Abbildung 1

Gleichzeitig wurde das duale System Gegenstand der Wirtschafts- und Gesellschaftskritik. In den Siebzigerjahren wurde die Meisterlehre weit herum mit Ausbeutung der Lehrlinge gleichgesetzt. 1978 ergriffen die Gewerkschaften das Referendum gegen das Berufsbildungsgesetz, weil sie befürchteten, die neu geschaffene Anlehre würde zum Lohndumping führen. Sie fanden aber in der Volksabstimmung wenig Gefolgschaft und ihre Befürchtung hat sich in der Folge als unbegründet erwiesen.

5692

In den Achtzigerjahren wurde auf dem Hintergrund der geburtenstarken Jahrgänge das Versagen der betrieblichen Ausbildung vorhergesagt. Diese Prognose führte zusammen mit der alten Idee von der Überlegenheit einer vollschulischen Ausbildung zur Volksinitiative «für eine gesicherte Berufsbildung und Umschulung». Die Stimmbürger lehnten 1986 die sogenannte «Lehrwerkstätten-Initiative» im Verhältnis vier zu eins ab.

Seit den Neunzigerjahren unterliegt der Arbeitsmarkt einem tiefgreifenden Umbruch, der noch andauert. Nicht zuletzt die dynamische Entwicklung der neuen Kommunikations- und Informationstechnologien verlangt Änderungen bei den Anforderungen an die Berufe und ganze Berufsfelder. Einerseits ändern sich die Erwartungen der Auszubildenden, andererseits aber auch die Ansprüche derjenigen, welche die Ausgebildeten in den Erwerbsprozess übernehmen. Das Entstehen neuer Berufe und neuer Formen des Lernens, das allmähliche Auflösen einer zeitlich fest abgrenzbaren Ausbildungsphase zu Gunsten des lebenslangen Lernens stellen das duale Ausbildungssystem vor neue Herausforderungen.

Aus heutiger Sicht hat die Berufsbildung vor allem auf die folgenden, primär strukturell bedingten Probleme Antworten zu geben:

1.1.1

Neue Qualifikationsbedürfnisse

Die Umwälzungen in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft rufen nach differenzierten Ausbildungsangeboten auf verschiedenen Qualifikationsstufen. Änderungen im Anforderungsprofil, wie sie der Arbeitsmarkt diktiert, sind flexibler als bisher aufzunehmen und umzusetzen: ­

Im Hinblick auf ein sich ständig erneuerndes Wissen und auf die zunehmenden Betriebs-, Branchen- und Berufswechsel ist die berufliche Grundbildung mit dem lebenslangen Lernen zu verzahnen. Berufstheoretische, berufsübergreifende und allgemein bildende Lehrinhalte gewinnen ebenso an Bedeutung wie die lebenslange Erneuerung der Kenntnisse (vgl. Ziffer 2.5).

­

Berufsbildung ist anspruchsvoller geworden. Die didaktischen Fähigkeiten der Bildungsverantwortlichen zum Erfassen und Vermitteln der Sachverhalte in Betrieb und Schule sind systematisch zu fördern und insbesondere an die Erfordernisse der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien anzupassen (vgl. Ziffer 2.7.3 bis 2.7.6).

Strukturelle Ungleichgewichte auf dem Lehrstellenmarkt werfen die Grundfrage auf, ob ein Rechtsanspruch auf Berufsbildung bestehe. Ein verfassungsmässiges Recht auf Bildung hat das Volk in einer Abstimmung 1973 abgelehnt. Es steht wegen der eidgenössischen Volksinitiative «für ein ausreichendes Berufsbildungsangebot (Lehrstellen-Initiative)» heute wieder zur Diskussion1. In jedem Fall besteht ein eminent sozial-, wirtschafts- und bildungspolitisches Interesse daran, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die möglichst allen bildungswilligen Personen den Zugang zu einer ihren Fähigkeiten entsprechenden nachobligatorischen Bildung ermöglichen.

1

Vgl. auch Ziffer 3.2 zum Thema Berufsbildungsfonds

5693

1.1.2

Verändertes Lehrstellenangebot

Die Zahl der Ausbildungsplätze anbietenden Unternehmen und die Zahl der zur Verfügung gestellten Ausbildungsplätze gehen tendenziell zurück. Neben dem Strukturwandel sind dafür auch demografische Gründe ausschlaggebend. Nach langjährigem Rückgang drängten ab Mitte der Neunzigerjahre wieder mehr Jugendliche auf den Berufsbildungsmarkt. Ab 1995 nahm denn auch die Zahl der Lehrstellen und sonstiger Ausbildungsplätze wieder zu (vgl. Abbildung 1).

Der wachsenden Bedeutung des Dienstleistungssektors steht ein rückläufiger Anteil von Industrie und verarbeitendem Gewerbe an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung gegenüber. Das Verhältnis von Ausbildungsplätzen zu Beschäftigten ist jedoch im Produktionssektor traditionell höher als im Dienstleistungssektor. Letzterer bietet anteilmässig nur gerade halb so viele Lehrstellen an wie der industriellgewerbliche Bereich.

Abbildung 2

Der zunehmende Spezialisierungsgrad von Kleinbetrieben gerade in den zukunftsträchtigen Hightech-Bereichen (z.B. Software-Branche) und in anspruchsvollen Dienstleistungssegmenten (z.B. Beratungsfirmen) schränkt das Angebot von Lehrstellen ein, die das ganze erforderliche Ausbildungsspektrum abzudecken in der Lage sind. Auch sind die neuen Bereiche in aller Regel verbandlich nicht oder nur sehr lose organisiert.

5694

1.1.3

Chancengleichheit der Geschlechter

70 Prozent der jungen Frauen machen eine Berufslehre in den Bereichen Büro, Gastgewerbe, Verkauf, Hauswirtschaft und Gesundheitswesen. Nur gerade zehn

Abbildung 3

Prozent entscheiden sich für einen Beruf in Branchen wie Informatik oder Elektronik. Von den Jugendlichen, die sich für eine Lehre entscheiden, tritt fast die Hälfte der jungen Männer, aber nur knapp ein Zehntel der jungen Frauen eine vierjährige Ausbildung an. Der Anteil an Frauen, die keine postobligatorische Ausbildung absolvieren, ist fast doppelt so hoch wie derjenige der Männer (14 gegenüber 8%). Die Arbeitslosenquote bei den 15- bis 19-jährigen Frauen lag in den letzten Jahren denn 5695

auch rund einen Prozentpunkt höher als bei den Männern. Für eine spezielle Berücksichtigung der Chancengleichheit auch in der Berufsbildung sprechen neben allgemeinen Überlegungen zur Gleichstellung der Geschlechter zwei Gründe: ­

Der optimale Einsatz der in unserer Gesellschaft vorhandenen menschlichen Ressourcen darf nicht durch Geschlechterstereotypen behindert werden.

­

die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich so gewandelt, dass eine verstärkte berufliche Bildung auch für Frauen eine wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit darstellt.

Der Gesetzesentwurf trägt der Chancengleichheit durch eine Zielbestimmung Rechnung. Sie wird konkretisiert in den Vorschriften zum Unterricht und zur Weiterbildung, vor allem aber durch die Entkoppelung der Bildungsgänge vom Nachweis der Qualifizierung und durch unterschiedliche Möglichkeiten zur Attestierung von Qualifikationen (Ziffer 2.7.6). Diese Flexibilisierung dient nicht nur der Chancengleichheit der Geschlechter. Sie kommt auch all jenen zugute, die aus irgend einem Grund Bildungsmöglichkeiten verpasst haben.

Auch mit dem neuen Gesetz wird die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, dass es «Männerberufe» und «Frauenberufe» gibt. Die neuen gesetzlichen Bestimmungen und der übergreifende Geltungsbereich des Berufsbildungsgesetzes tragen aber dazu bei, dass innerhalb der Berufe weniger unterschiedliche Massstäbe angelegt werden ­ namentlich entlang der Trennlinie Soziales und Gesundheit. Wesentlich ist nicht die Einebnung von Unterschieden, sondern die Öffnung von neuen Wegen für beide Geschlechter gemäss persönlichen Neigungen.

1.2

Lehrstellenbeschluss I und II

Für die eidgenössischen Räte war es immer unbestritten, dass der Lehrstellenmangel zu bekämpfen sei. Als unmittelbar wirksames Instrument zu Gunsten der Berufsbildung haben sie den Bundesbeschluss über Massnahmen zur Verbesserung des Lehrstellenangebots für die Ausbildungsjahre 1997 bis 1999 (Lehrstellenbeschluss) beschlossen.

Mit diesem ersten Lehrstellenbeschluss stellte das Parlament einen Kreditrahmen von 60 Millionen Franken zur Verfügung. Sie dienten der Unterstützung von Einführungskursen und Ausbildungsverbünden, um die Lehrbetriebe zu entlasten. Ferner wurden Massnahmen mitfinanziert für das Beschaffen von Lehrstellen, für Motivationskampagnen und verstärkte Berufsinformation sowie Kurse und Praktika für Jugendliche, die bei der Lehrstellensuche auf Schwierigkeiten stossen.

Der Lehrstellenbeschluss von 1997 hat sich als griffiges Instrument erwiesen. Der Lehrstellenmangel wurde jedoch als ein mehr strukturelles denn als ein Mengenproblem erkannt: Gefälle des Lehrstellenangebotes zwischen Städten/Agglomerationen einerseits und ländlichen Regionen andererseits; Mangel an Ausbildungsplätzen im oberen und im unteren Qualifikationssegment; Konzentration der Berufswahl junger Frauen auf nur wenige Berufe. Die Weiterführung des Lehrstellenbeschlusses als Lehrstellenbeschluss II ab dem Jahr 2000 trägt den bisherigen Erfahrungen Rechnung. Für seine im Vergleich zum ersten Lehrstellenbeschluss verstärkt quali-

5696

tativ ausgerichtete Stossrichtung hat das Parlament insgesamt 100 Millionen Franken bewilligt. Er überbrückt die Zeit, bis das neue Berufsbildungsgesetz in Kraft ist.

Der Lehrstellenbeschluss II ist über seine Funktion als Kurzfristmassnahme hinaus ein wirksames und notwendiges Mittel, um geplante Neuerungen des revidierten Berufsbildungsgesetzes auf ihre Wirksamkeit und ihre Ausgestaltung zu testen (z.B.

die Berufsfachschule).

1.3

Umfassende Bundeskompetenz für die Berufsbildung

Der Bund verfügt seit der Volksabstimmung vom 5. Juni 1908 über die Kompetenz, «auf dem Gebiete des Gewerbewesens einheitliche Bestimmungen aufzustellen». Es dauerte aber noch mehr als zwanzig Jahre bis zur Verabschiedung eines ersten Berufsbildungsgesetzes. Dieses datierte vom 26. Juni 1930 und fasste drei Bundesbeschlüsse zusammen, den Bundesbeschluss betreffend die gewerblich-industrielle Berufsbildung (1884), betreffend die Förderung der kommerziellen Bildung (1891) und betreffend die hauswirtschaftliche und berufliche Bildung des weiblichen Geschlechts (1895).

Bei diesem eingeschränkten Geltungsbereich blieb es bis vor kurzem. Erst die Volksabstimmung über die nachgeführte Bundesverfassung vom 18. April 1999 brachte eine Ausdehnung der Bundeskompetenz auf sämtliche Berufsbildungen ausserhalb des Hochschulbereiches.

Die erweiterte Rolle des Bundes in der Berufsbildung kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass für sie auf den 1. Januar 1998 ein eigenes Bundesamt geschaffen wurde, das «Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT)». In ihm wurden zunächst die auf drei Ämter verteilten Berufsbildungskompetenzen in den Bereichen von Gewerbe, Industrie und Handel, von Land- und Forstwirtschaft zusammengeführt: Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA), Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL).

Die Zusammenfassung der bereits seit langem in Bundeskompetenz befindlichen Berufsbildungen in einem Amt und die Integration der neu dazu gekommenen bisherigen kantonalen Bereiche Gesundheit, Soziales und Kunst wird eine längere Zeit in Anspruch nehmen (vgl. Ziffer 2.2). Denn jeder der verschiedenen Bereiche der Berufsbildung hat seine Eigenart, die zu respektieren ist. Auf der anderen Seite sind die Gemeinsamkeiten zu beachten, die der neuen Bundeskompetenz zu Grunde liegen sollen.

1.4

Eine Aufgabe - drei Partner

Die schweizerische Berufsbildung ist und bleibt eine Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt. Zu Letzteren zählen die Sozialpartner, Berufsverbände, öffentliche und private Anbieter von Lehrstellen und anderen Bildungsangeboten. Mit dem Ausdruck «Organisationen der Arbeitswelt» bringt der Gesetzesentwurf zum Ausdruck, dass mit der Ausdehnung der Bundeskompetenz auf die gesamte Berufsbildung noch andere Partner als die Wirtschaft im bisherigen

5697

Sinn ins Spiel kommen. Die öffentliche Hand und gemeinnützige Organisationen werden weit mehr als bisher Partner der Berufsbildung und Abnehmer von Fachleuten.

Abbildung 4

Das Gesetz regelt die Grundlagen der Zusammenarbeit und weist klare Verantwortlichkeiten zu, die den Akteuren im Rahmen der gesetzten Ziele optimale Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Die Beteiligung der Betriebe und ihrer Organisationen an der Berufsbildung soll auch künftig auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen.

­

Die bundesstaatliche Aufgabe ist subsidiär und primär auf der strategischen Ebene anzusiedeln. Der Bund ist für die Qualität und Weiterentwicklung des Gesamtsystems, für Vergleichbarkeit und Transparenz der Angebote im gesamtschweizerischen Rahmen zuständig.

­

Den Kantonen kommt nicht nur die Umsetzung vor Ort zu, sie werden vielmehr sowohl an der Weiterentwicklung als auch an der Steuerung der Berufsbildung beteiligt.

­

Die Anbieter von Lehr- und Bildungsplätzen ihrerseits sorgen für zukunftsorientierte Inhalte und eine abnehmergerechte Qualifizierung der Lernenden.

1.5

Ja zum dualen System

Die Vernehmlassung zum neuen Berufsbildungsgesetz hat eine überwältigende Zustimmung zur Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des dualen Systems ergeben (vgl. Ziffer 1.7). Das diesem System eigene Zusammenwirken zwischen praxisund schulgestützter Bildung, das seinen Ursprung dem industriell-gewerblichen Be-

5698

reich verdankt, behält seine Bedeutung auch in der modernen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft: ­

Mit seiner selbstregulierenden und deshalb überlegenen Abstimmung von auf dem Arbeitsmarkt nachgefragten und angebotenen Qualifikationen geniesst das duale System eine hohe Wertschätzung bei den Lernenden und bei den Unternehmen insbesondere des industriell-gewerblichen Sektors.

­

Berufliche Qualifikationen wie fachliches Know-how, Arbeitshaltung und soziales Verhalten werden vorzugsweise im konkreten Arbeitseinsatz erworben.

­

Ausserdem ist das duale System für die öffentliche Hand wesentlich kostengünstiger als der schulische Weg.

1.6

Berufsbildung ­ Teil des Bildungssystems

Das schweizerische Bildungswesen befindet sich in einem Differenzierungsprozess.

Die überkommene Teilung von schulischer Bildung und beruflicher Ausbildung verliert ebenso an Trennschärfe wie die Abgrenzungen zwischen verschiedenen Berufen. Die strukturellen Veränderungen in der Arbeitswelt tun ein Weiteres, um einst klare Grenzen der Berufstätigkeiten und entsprechender Bildungsvoraussetzungen aufzulösen.

Die erhöhten Qualifikationsansprüche bedingen die Ausschöpfung der Begabtenreserve sowie die Förderung individueller Begabungen. Das sinkende Angebot weniger anspruchsvoller Tätigkeiten bedingt eine Höherqualifizierung aller am Arbeitsprozess Beteiligten. Die Dynamik des Geschehens, eine von wachsender Unsicherheit geprägte Zukunft, die Intensität des Wandels sind ohne permanente Um- und Nachqualifizierung, d.h. ohne lebenslanges Lernen nicht zu bewältigen.

1.6.1

Schulische und berufliche Bildung

In der Schweiz hat die starke Verankerung des dualen Systems glücklicherweise nicht zur letztlich falschen Alternative «Schule oder schlechte Ausbildung» geführt.

Noch immer ist die Berufsbildung eine gute Bildung und für zwei Drittel der Jugendlichen der Weg zur Integration in die Erwachsenen- und Arbeitswelt.

Der Wert einer praxisbezogenen Bildung wird zunehmend auch in Ländern erkannt, die ungleich stärker als wir in schulischen Ausbildungstraditionen stehen2. Dieses

2

Dass berufliche Handlungsfähigkeit und intellektuell anspruchsvolles Niveau einhergehen, haben die Erhebungen der «Third International Mathematics and Science Study (TIMSS)» gezeigt. Sie wurde 1995 unter der Trägerschaft der «International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA)» durchgeführt. Gemäss der international weit gestreuten Vergleichsstudie ist in der Schweiz das entsprechende Niveau in der beruflichen Grundbildung für technische Spitzenberufe ebenso hoch wie an Gymnasien. Beachtung verdient auch die Tatsache, dass zwischen Absolventinnen und Absolventen von Vollzeit-Berufsschulen und Lehren keine signifikanten Unterschiede in der mathematischen und naturwissenschaftlichen Grundbildung festgestellt wurden (vgl.

Bundesamt für Statistik (BFS), Bildungsindikatoren Schweiz 1999, S. 90).

5699

Phänomen überrascht nicht, weisen doch die Länder, die ein duales Berufsbildungssystem praktizieren, im Durchschnitt eine tiefere Jugendarbeitslosigkeit auf (vgl.

Abbildung 5).

Abbildung 5

Der direkte Bezug zum Arbeitsleben fördert die Lernbereitschaft. Und die Rückbindung an den Arbeitsmarkt führt zu Ausbildungen, die sich stärker als schulische an tatsächlich nachgefragten Qualifikationen sowie an den zur Verfügung stehenden Arbeitsplätzen orientieren. Dieser Sachverhalt wird u.a. auch in allen Studien der OECD positiv hervorgehoben. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat an ihrer 88. Session im Juni 2000 in Genf den Einbezug der Praxis in die Bildung gar einhellig als eigentlichen «Paradigmenwechsel» proklamiert.

Es entspricht zudem besser den unterschiedlichen individuellen Eignungen und Neigungen der Jugend, wenn sie zwischen eher schulisch oder eher praktisch ausgerichteten Bildungsangeboten wählen kann. Die zunehmende Vermischung der Grenzen kann nicht bedeuten, dass der eine Weg auf Kosten des anderen geopfert werden soll. Von einer Stärkung des dualen Elementes profitiert das gesamte Bildungswesen.

Wesentlich ist, dass zwischen den beiden Wegen ­ dem beruflichen und dem allgemein bildenden schulischen ­ Durchlässigkeiten zu fairen Bedingungen geschaffen werden. Es stellt eine Verschwendung von Ressourcen dar, wenn ­ aus prestige5700

mässigen Gründen ­ zuerst einmal ein schulischer Weg versucht wird, um bei dessen Scheitern umzusteigen. Ebenso ist es eine Verschwendung, wenn berufliche Qualifikationen nur mittels aufwändiger Zusätze zu höheren Bildungsgängen führen.

Hier haben Massnahmen zur Steigerung der Attraktivität der Berufsbildung anzusetzen. Sie muss für alle praktisch orientierten jungen Menschen als echte, sozial und karrieremässige Alternative zur rein schulischen Bildung weiter ausgebaut werden.

Der sich in Gang befindliche Aufbau des Fachhochschulbereichs ist dazu ein erster Schritt. Anspruchsvolle Bildungsangebote auf der Sekundarstufe II wie Berufsmatura und Berufsfachschule sind ein weiterer; die vermehrte Anerkennung der im Berufsbildungssystem erworbenen Qualifikationen durch allgemein bildende Institutionen ein dritter.

1.6.2

Berufliche Handlungsfähigkeit

Ein Berufsbildungsabschluss attestiert Berufs- und damit Arbeitsmarktfähigkeit. Die berufliche Handlungsfähigkeit hat auch weiterhin im Zentrum der Berufsbildung zu stehen. Sie ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der beruflichen Bildung gegenüber den allgemein bildenden Abschlüssen, die Studierfähigkeit zum Ziel haben.

Jede Bildung soll die individuellen Fähigkeiten bestmöglich entwickeln. Die Berufsbildung ist hier besonders gefordert, denn sie soll möglichst vielen offen stehen.

Sie soll nicht nur nach kognitiven Fähigkeiten selektionieren, sondern besonders auch die praktischen Fähigkeiten berücksichtigen. Der Berufspädagogik kommt daher eine ebenso bedeutsame wie eigenständige Aufgabe zu. Sie hat sowohl dem ausgesprochenen Praxisbezug beruflicher Bildung als auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass alle Personen mit einer Lehrstelle das Recht und die Pflicht auf eine zusätzliche schulische Bildung haben.

1.6.3

Herausforderung an berufliche Schulen

Der Schule kommt die Aufgabe zu, das situationsbezogene Erfahrungslernen in übergeordnete Zusammenhänge zu stellen, die für eine dauerhafte Orientierung wichtig sind. Im dualen System stellt sich die Frage heute nicht mehr, was Vorrang habe, sondern wie Praxis und Theorie in eine gesamtheitliche Bildung eingebaut werden.

Die Diskussion um die vorgeschlagenen Bildungsgänge an «Berufsfachschulen» (vgl. Ziffer 2.3.3) zeigt, dass die seinerzeitigen Auseinandersetzungen um Theoriestundenzahlen an Bedeutung verloren haben. An den beruflichen Schulen selbst halten an Stelle der Auseinandersetzungen um Unterrichtsanteile der interdisziplinäre Unterricht und die projektorientierte Wissensvermittlung Einzug. Die Berufsschule braucht sich nicht mehr wie früher gegen die Imperative der Praxis und die Lockrufe der Allgemeinbildung mit ihrem eigenständigen Bildungsauftrag zu profilieren. Das Prinzip der «Lernortkooperation» ist weitgehend anerkannt.

5701

Die Herausforderungen an die Schule haben sich verlagert. Mit der angestrebten Reform der Berufsbildung als Antwort auf die gewandelten Verhältnisse ändern sich die Anforderungen: Eigeninitiative und Selbstverantwortung sind auch von den Schulen gefragt. Neue Unterrichtsformen und -angebote, modulare Bildungen und differenzierte Prüfungsverfahren stellen die Lehrerschaft vor erhöhte Ansprüche.

1.6.4

Integration

Eine zentrale Aufgabe des Bildungswesens stellt die Integration der jungen Menschen sowie von Erwachsenen mit verpassten Bildungschancen in Wirtschaft und Gesellschaft dar. Die Berufsbildung eignet sich vorzüglich als Integrationsinstrument. Sie darf aber in dieser Hinsicht nicht überfordert werden. Würde sie zum blossen Sammelbecken von Problemfeldern, könnte sie ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen. Es braucht darüber hinaus besondere oder geschützte Lernstätten, die jene aufnehmen, die innerhalb der standardisierten Bildungsgänge keine Chance haben.

So muss die Berufsbildung wie andere Bildungszweige auch Behinderten offen stehen. Es ist aber weder der Berufsbildung noch den Behinderten gedient, wenn für diese innerhalb eines Normfeldes spezielle Ausnahmen und Abstriche bei der Qualifikation gemacht werden. Wenn jemand ein Berufsdiplom erhält, dann soll dieses der zertifizierten Fähigkeit entsprechen.

1.6.5

Ökologische Nachhaltigkeit

Um den Verfassungsauftrag einer nachhaltigen Entwicklung umzusetzen, kommt der Bildung eine grosse Bedeutung zu. Die Bildung vermittelt den Einzelnen wesentliche Grundhaltungen, wozu u.a. der schonende Umgang mit den natürlichen Ressourcen gehört. Die entsprechende Bildung muss bereits in der Grundschule einsetzen und stufengerecht über alle Schul- und Bildungsstufen weitergetragen und vertieft werden.

In der Berufsbildung ist das ökologische Verhalten bereits Teil des Unterrichts. Es bildet einen wesentlichen Teil der Aspekte «Ökologie» und «Wirtschaft» im neuen Rahmenlehrplan für den allgemein bildenden Unterricht an gewerblich-industriellen Berufsschulen vom August 1996. In der laufenden Reform der kaufmännischen Grundbildung ist sie Teil der Sozialkompetenz gemäss dem kaufmännischen «Kompetenzwürfel».

Wegen der Bedeutung eines schonungsvollen Umgangs mit der Umwelt wird die Nachhaltigkeit im Gesetzestext ausdrücklich genannt. Im Einklang mit der Bundesverfassung (Art. 73) bezieht sich dieser Begriff auf die Umwelt.

5702

1.6.6

Gleich lange Spiesse

Häufig ist in der Berufsbildungspolitik von «gleich langen Spiessen» die Rede. Die einschlägigen Forderungen wenden sich gegen eine Diskriminierung einerseits zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung, andererseits zwischen Angeboten der öffentlichen Hand und von Privaten.

Ein wichtiger Aspekt der Diskriminierung ist in der ungleichen Durchlässigkeit zu sehen: Absolventinnen und Absolventen des Gymnasiums stehen alle Bildungswege offen, während die Abschlüsse der Berufsbildung immer noch mit erschwerten Zulassungsbedingungen zu kämpfen haben (vgl. Ziffer 1.6.1).

An dieser Stelle sei nur auf den finanziellen Aspekt eingegangen: Wer hat was zu bezahlen? Ein Gymnasiast zum Beispiel kostet die öffentliche Hand zweifellos mehr als ein Lehrling. Das Bild ändert sich aber, wenn die Aufwendungen auf schulische Vollzeitangebote umgerechnet werden. Hier sind die Unterschiede innerhalb der einzelnen Berufsbildungen grösser als zwischen der Berufs- und der Allgemeinbildung. Nicht zu vergessen sind auch die Anteile, die von den Eltern bzw. der Wirtschaft und den Lernenden der Berufsbildung selbst aufgebracht werden.

Schon auf der Stufe der Grundbildung ist es kaum möglich, ein «gerechtes» Verhältnis auszurechnen. Noch schwieriger wird es auf der Tertiärstufe. Zweifellos müssen Berufsleute auf der Nichthochschulstufe mehr für ihre weiterführenden Abschlüsse bezahlen als Studierende. Aber auch für Berufsleute stehen Stipendien bereit; zudem können sie teilzeitlich qualifizierten und entsprechend besser bezahlten Berufstätigkeiten nachgehen.

Neuere Studien stellen nicht nur auf aktuelle Erwerbseinkommen ab, sondern berechnen auch die längerfristigen privaten «Bildungsrenditen». Auf Grund dieses differenzierteren Bildes sind die «prozentualen Lebenseinkommensvorteile nach Bildungsstand» für die Absolventen und Absolventinnen höherer Fachschulen am grössten, gefolgt von Universitätsabschlüssen.3 Was die privaten Bildungsinstitutionen betrifft, anerkennt der Gesetzesentwurf deren Beitrag zur Berufsbildung, indem er explizit eine wettbewerbsfördernde Bestimmung einführt. Wegleitend ist, dass der Staat für die Bildungspolitik und die grundlegenden Bildungsangebote verantwortlich ist. Wo aber öffentliche und private Angebote in Konkurrenz stehen, sollen die staatlichen Angebote nicht durch Quersubventionen
bzw. durch ein nicht kostendeckendes Zurverfügungstellen von Infrastruktur und Lehrkräften die privaten Träger in wettbewerbsverfälschender Weise konkurrenzieren oder gar verdrängen.

Vielerorts haben sich zudem starke private Anbieter etabliert und ergänzen das öffentliche Angebot sinnvoll und flexibel, vor allem in den Bereichen der höheren Berufsbildung und der Weiterbildung. Diese Struktur hat sich bewährt und ist im Interesse eines die Qualität fördernden Wettbewerbes zu erhalten. Es gibt jedoch für Private nach wie vor kein Recht auf Subventionen. Diese sind nur gerechtfertigt, wenn ein öffentliches Interesse an einem Angebot besteht und der Staat dieses ganz oder teilweise nicht selber erfüllen kann oder will.

3

Bundesamt für Statistik (BFS), Bildungsindikatoren Schweiz 1999, S. 110.

5703

1.7

Ergebnis der Vernehmlassung

Das Vernehmlassungsverfahren über den Entwurf für ein neues Berufsbildungsgesetz wurde im Mai 1999 eröffnet und dauerte bis zum 15. Oktober 1999. Es wurden 218 Vernehmlassungen eingereicht, vorwiegend von Kantonen sowie Organisationen aus Politik, Wirtschaft, Land- und Forstwirtschaft, dem Gesundheits-, Sozialund Kunst- sowie dem Bildungsbereich. Die Antworten ergaben ein klares Ja für die Revision.

Die vorgeschlagene Neuorientierung fand Zustimmung sowohl in den Kreisen der traditionell in Bundeskompetenz befindlichen Berufsbildung ­ gewerblich-industrielle und kaufmännische Berufe sowie Land- und Forstwirtschaft ­ als auch in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Kunst. Die grundsätzlich positive Haltung der grossen Mehrheit der Vernehmlassenden kommt in folgenden Punkten zum Ausdruck: ­

Der Gesetzesentwurf ermöglicht wichtige zukunftsgerichtete Reformen in der Berufsbildung und bringt die überfällige Reform der Sekundarstufe II voran. Er gewährleistet ein hohes Niveau der Berufs- und Weiterbildung und erhöht die Ausbildungsbereitschaft.

­

Er unterstreicht die Bedeutung der dualen Bildung. Trotz bedeutsamer werdender Schulanteile bleibt die Berufsbildung in der Praxis verwurzelt.

­

Er stärkt die Berufsbildung, indem er sie in das gesamte Bildungssystem einbettet.

­

Durch den Einbezug aller nichtakademischen Berufsbildungen und vergleichbare Strukturen für Sekundarstufe II und Tertiärstufe wird eine Steuerung der gesamten Berufsbildung sowie die Beurteilung der beruflichen Qualifikationen auf nationaler und internationaler Ebene möglich.

­

Die Vorschläge eines offenen und flexiblen Rahmengesetzes gehen in die richtige Richtung. Sie sind die angemessene Antwort auf Strukturänderungen.

­

Es werden klare Verantwortlichkeiten festgelegt: Bund als Moderator, Kantone und Wirtschaft als eigenständige Akteure in einem Bildungsverbund.

Ebenfalls von vielen bzw. gewichtigen Stimmen werden folgende Punkte als besonders positiv hervorgehoben: ­

Einbettung der Berufsbildung in das lebenslange Lernen, indem bereits die Grundausbildung mit der Weiterbildung verknüpft und der Begriff der Weiterbildung in einem breit gefassten Sinn verstanden wird.

­

Förderung der Chancengleichheit und Angebote für den Wiedereinstieg.

­

Förderung der Qualitätsentwicklung allgemein und Ersetzen von Detailregulierungen durch Qualitätsindikatoren und Leistungsaufträge.

­

Differenzierte Angebote für Leistungsschwache und Leistungsstarke: Berufsfachschulen, mindestens dreijährige Lehren und berufspraktische Bildung, gezielte Angebote im Übergang von der Volksschule in die Berufsausbildung.

5704

­

Durchlässigkeit und Transparenz, indem anderweitig erbrachte Lernleistungen angemessen angerechnet und durch angemessene Qualifikationsverfahren anerkannt werden können (Baukastensysteme).

­

Aufnahme der Lehrbetriebe in den Gesetzestext.

­

Vermehrte Öffnung des Ausbildungsmarktes für Private.

­

Europakompatibilität.

Des Öftern steht dem Lob des einen des anderen Tadel gegenüber. Kaum einer der als positiv erwähnten Einzelaspekte wird nicht auch kritisiert. Während z.B. die einen den Gesetzesentwurf als Aufbruch und in wesentlichen Dimensionen als Neuland empfinden, konzentrieren sich die anderen auf mögliche Schwierigkeiten und Probleme ebendieser Neuerungen. Wer die Notwendigkeit eines echten Rahmengesetzes anerkennt, ist auch bereit, das Risiko an Unbestimmtheit zu tragen, das aus der erwünschten Öffnung entsteht. Die Fronten verlaufen meist nicht eindeutig, weder nach Kantonen noch nach Wirtschafts- oder Interessengruppen. Viele misstrauen auch dem grundsätzlichen Zusammenarbeitsgebot gemäss Artikel 1 des Gesetzesentwurfes.

1.7.1

Hauptproblem: die Finanzierung

Nach einhelliger Ansicht aller Vernehmlassenden ist die Berufsbildung ein Bereich mit Zukunft, in den es zu investieren gilt. Viele plädierten für ein stärkeres Engagement des Bundes, weil das Gesetz nach wie vor viele Regelungen und wenig Geld bringe. Die EDK stellte die Frage nach der «fiskalischen Äquivalenz», der Übereinstimmung von Vorschriften und Bezahlung. Sie veranschlagt diese Äquivalenz auf einen Bundesanteil von 30 Prozent an den Berufsbildungsausgaben der öffentlichen Hand.

Erwünscht war Vereinfachung der Subventionierung. Kritisiert wurde, dass der Bund die Mehrkosten aus der Berufsbildungsreform nicht vermehrt tragen wolle.

Ausserdem fehlten verbindliche Aussagen über finanzielle Konsequenzen und Kostenaufteilungen. Der Gesetzesentwurf sei in Bezug auf die Finanzierung grundlegend zu überarbeiten. Eine vom BBT in Auftrag gegebene Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich zur Finanzierung der Berufsbildung4 erschien erst kurz vor Ablauf der Vernehmlassungsfrist.

Insgesamt ist bei häufiger und vielfältig vorgebrachter Zustimmung zu OutputOrientierung und Kopfpauschalen Zurückhaltung in Form von Vorbehalten festzustellen. Klar und eindeutig sprechen sich lediglich eine Partei und ein Kanton für einen Systemwechsel aus. Damit der Wechsel nicht abrupt erfolgt, schlägt die erwähnte Partei vor, die Bundesbeiträge während einer Übergangszeit wie folgt auszurichten: Ein Teil der Pauschale wird auf Grund eines Durchschnitts der bisherigen, an den anrechenbaren Kosten orientierten Beiträge errechnet; der Rest wird auf Grund von Kopfpauschalen bestimmt. Der Anteil des kostenorientierten Teils könnte stufenweise vermindert, derjenige der Kopfpauschalen entsprechend erhöht werden.

4

Vgl. Anm. 15.

5705

Gegen einen Systemwechsel lassen sich nur wenige Stimmen finden, vorab solche aus Schulkreisen und einer Partei. Kopfpauschalen und Output-Orientierung könnten sich nachteilig auf kleine Berufe und schwache Regionen auswirken. Vor unerwünschten regionalpolitischen Auswirkungen warnten auch strukturschwächere Kantone und die Landwirtschaft.

Der vorgeschlagene Verzicht auf den Finanzkraft-Ausgleich wird ebenfalls kritisiert.

Die darauf verweisenden Kantone und die Landwirtschaft machen die Diskussion über die Berufsbildungsfinanzierung insgesamt vom Ausgang der Beratungen über den neuen Finanzausgleich abhängig. Ein Sonderproblem im Bereich der Finanzierung stellt der Vorschlag für die Einrichtung branchenbezogener Berufsbildungsfonds dar. Hier prallen völlig unterschiedliche Ansichten aufeinander (zur vorgeschlagenen Lösung vgl. Ziffer 3.2).

1.7.2

Neue Bildungsangebote

Die neuen Angebote der Berufsbildung betreffen hauptsächlich die Grundbildung und deren Erweiterung im anspruchsvollen Segment sowie im Bereich der einfacheren Angebote. Das Prinzip, für theorielastigere Bildungen «Berufsfachschulen» anzubieten, die Lehre auf das Anspruchsniveau einer mindestens dreijährigen Ausbildung festzulegen und für ein weniger umfassendes oder vertieftes Niveau eine «berufspraktische Bildung» mit einem gesamtschweizerisch definierten Attest einzuführen, stösst weitestgehend auf Zustimmung.

Bildungskreise begrüssen die Berufsfachschule als Ergänzung zur Betriebslehre. Die Wirtschaft hingegen findet die neue Bildungsmöglichkeit grundsätzlich gut, befürchtet aber, dass eine teure Parallelstruktur aufgebaut werden könnte, die die Meisterlehre konkurrenziere. Die Verbände seien bei der Errichtung solcher Schulen dringend einzubeziehen.

Die berufspraktische Bildung wird als erweitertes Angebot ebenfalls begrüsst. Hier gehen die Befürchtungen dahin, dass Sackgassen entstehen könnten. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund fordert deshalb Versuche, bevor eine solche Ausbildung kodifiziert werde. Öfter wird der Ansatz, unterschiedliche Angebote in Bezug auf vertiefte bzw. umfassende Ausbildung in einem Attest zu regeln, als fragwürdige Vermischung kritisiert. Namentlich das Gewerbe fordert eine klare Kennzeichnung, auf welche Art ein Abschluss erworben wurde.

1.7.3

Weiterbildung

Die Verankerung des lebenslangen Lernens als Grundsatz findet allgemeine Zustimmung. Daneben werden unter dem Titel der Weiterbildung Fragen zur Abgrenzung verschiedener Bildungsbereiche und Integrationsprobleme aufgeworfen.

Die Abgrenzung der berufsorientierten Weiterbildung von den aktiven arbeitsmarktlichen Massnahmen und von der allgemeinen Erwachsenenbildung stellt ein Problem dar, das oft als nicht lösbar eingeschätzt wird. Insbesondere Gewerkschaften,

5706

Sozialdemokraten und Kreise der Erwachsenenbildung fordern ein eigentliches Berufsbildungs- und Weiterbildungsgesetz, das diese als überholt betrachteten Unterscheidungen aufheben soll.

Von Organisationen aus dem Gesundheitswesen wird einhellig und wiederholt darauf hingewiesen, dass im Gesundheitswesen Grundbildungen auf der tertiären Stufe des Bildungswesens angesiedelt seien. Das neue Berufsbildungsgesetz müsse dies weiterhin zulassen. Auch habe es zum Weiterbildungsbereich konkretere Aussagen zu machen. Abstimmungsbedarf wird ebenfalls von der Landwirtschaft signalisiert.

Das auf dem Landwirtschaftsgesetz beruhende niederschwellige Informations- und Weiterbildungsangebot der landwirtschaftlichen Beratung müsse aufrechterhalten werden.

1.7.4

Berufsbildungsrat

Grosse Beachtung fand der Berufsbildungsrat. Die Zahl der Stellungnahmen dazu wurde nur von denjenigen zur beruflichen Grundbildung knapp übertroffen. Zustimmung erhielt die angestrebte Innovations- und Integrationsfunktion eines solchen Gremiums, das zwecks Handlungsfähigkeit nicht zu gross sein darf. Die Kritik bezieht sich auf die Repräsentativität und Legitimität der Mitglieder. Gefordert wurden Sitze für Arbeitnehmer, Gleichstellungsbeauftragte, Gewerkschaften, Naturberufe, Wissenschaft, Berufsschulen, Gesundheit, Soziales, Frauen, Weiterbildung, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen u.a.m.

Kontrovers war auch der Aufgabenbereich des vorgeschlagenen Bildungsrates: viele Vernehmlassende lehnten jede Art von Entscheidungsbefugnissen ab. Operative Funktionen würden neue Schnittstellenprobleme erzeugen. Dem wurde entgegengehalten, dass ein Berufsbildungsrat nur mit Entscheidbefugnissen eine gestaltende Rolle für die inhaltliche Weiterentwicklung der Berufsbildung übernehmen könnte.

2

Die neue Berufsbildungsordnung

Die Revision des Berufsbildungsgesetzes wurde verwaltungsintern im Anschluss an die parlamentarische Debatte zum Berufsbildungsbericht ab dem Sommer 1997 vorbereitet. Aus einer Vernehmlassung zum so genannten Bonus/Malus-System als Anreiz für das Anbieten von Lehrstellen ging sodann hervor, dass grossmehrheitlich eine umfassende Revision des BBG einer übers Knie gebrochenen Teilrevision vorgezogen wurde. In der Tat bildet das geltende Gesetz kein Hindernis für Entwicklungen, auch wenn es in seiner Anlage nicht primär auf die Förderung von Reformen abzielt. Andererseits kann seinem aus heutiger Sicht grundlegenderen Mangel ­ seine prioritäre Orientierung an einer traditionell gewerblich-industriellen Ausbildung ­ nicht mit der Änderung einzelner Artikel begegnet werden.

Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement setzte im März 1998 eine Expertenkommission ein. Die Kommission verabschiedete am 6. Januar 1999 einen Entwurf, der folgenden Postulaten entsprach: ­

Einbezug aller Berufsbildungszweige in den Geltungsbereich des Gesetzes;

­

klare Aufgabenzuteilungen und entsprechende Führungsstrukturen; 5707

­

neue Ausbildungs- und Prüfungsformen;

­

breite Grundausbildung und Weiterbildung (lebenslanges Lernen);

­

stufengerechte und leistungsorientierte Finanzierung.

Die Kommission berücksichtigte gemäss Mandat zudem insbesondere Fragen der Innovation, Forschung und Entwicklung, der Ausbildung der Ausbildenden und des Verhältnisses Schule/Praxis. Einbezogen wurden ebenso die Probleme «gebrochener» Bildungsgänge als wesentlicher Punkt der Gleichberechtigung von Mann und Frau wie niederschwellige Ausbildungen und Förderung schulisch Begabter. Der Bundesrat schickte den entsprechende Entwurf am 5. Mai 1999 mit Frist bis zum 15. Oktober in die Vernehmlassung (für die Zusammenfassung der Resultate vgl.

Ziffer 1.7).

2.1

Entwicklungsoffenes Rahmengesetz ­ mehr Flexibilität

Der Entwurf für ein neues Berufsbildungsgesetz ist die Antwort auf den technologischen und gesellschaftlichen Wandel, der nach neuen Wegen verlangt. Nicht zuletzt hat dieser Wandel dazu geführt, die ganze nichtakademische Berufsbildung der Bundeskompetenz zu unterstellen und umfassend zu regeln. Die sich weiter differenzierenden Bedürfnisse der Arbeitswelt bedürfen einer ebenso differenzierten Berufsbildungsordnung.

Der Gesetzesentwurf zielt darauf ab, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen die Akteure problembezogene und bedarfsgerechte Lösungen finden können. Diese Zielsetzung bedingt entwicklungsoffene Rechtsgrundlagen, die Neues ermöglichen und Bewährtes in zeitgemässer Form weiterführen. Die Normen sind in den massgebenden Bereichen daher offen formuliert. Es geht darum, in einer immer weniger voraussehbaren Zukunft Entwicklungen anzustossen und sie in eine gute Richtung zu lenken.

Daraus folgt, dass nur noch Strukturen und Regeln der Organisation und Zusammenarbeit festgelegt werden. Es ist an den Verantwortlichen - Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt ­ die allgemeinen Vorgaben mit Inhalten zu füllen.

2.2

Einbezug neuer Bereiche

Die in der Vernehmlassung allseits begrüsste gesamtheitliche Regelung der Berufsbildung (vgl. Ziffer 1.7) bedeutet eine Integration unterschiedlicher Berufsbildungskulturen. Sie wird sich zweifellos über mehrere Jahre erstrecken. Der Einbezug sollte jedoch auch nach Einschätzung der betroffenen Kreise am Ende der fünfjährigen Übergangsfrist abgeschlossen sein, die für das ganze Gesetz gilt.

Sachliche und kulturelle Unterschiede sind bei dieser Integration nicht einfach einzuebnen. Sie sind vielmehr als eine Bereicherung in das Gesamtkonzept der Berufsbildung einzubauen. Spezifische Regelungen tragen einerseits zur Identitätsstiftung der Berufstätigen bei, andererseits bieten sie Anlass zum Überdenken von Ausbildungsformen. Die gewachsenen Sonderwege haben sich aber einzufügen in ein Be-

5708

rufsbildungssystem, das in Bezug auf Qualifikationsniveau und Durchlässigkeit national und international transparent ist.

Aufgabe der eidgenössischen Berufsbildungspolitik wird es zunächst sein, bereits vorhandene Strukturen zu stärken und sie dort aufzubauen, wo sie noch nicht bestehen. Besondere Probleme stellen sich in den bis anhin der kantonalen Zuständigkeit unterstehenden Bereichen Gesundheit, Soziales und Kunst. Zu deren Integration haben Bund und Kantone ein Leitungsorgan eingesetzt. Land- und Forstwirtschaft hingegen wurden zwar bisher unter verschiedenen Gesetzen, aber bereits bundesrechtlich nach zunehmend vergleichbaren Leitlinien geregelt.

2.2.1

Gesundheit, Soziales, Kunst

In den Gesundheits- und Sozialberufen ist derzeit vor allem die Berufsbildung der Sekundarstufe II noch wenig konkret ausgestaltet, obwohl entsprechende Bedürfnisse im Pflege- und im Heimbereich durchaus vorhanden sind. Die Sozialberufe zeigen sich vermehrt an einer starken Sekundarstufe II interessiert, während im Gesundheitsbereich teilweise ein Trend zur Tertiarisierung auszumachen ist. Unterschiedliche Vorstellungen herrschen namentlich über die Zuordnung von Ausbildungsgängen. Eindeutig der Sekundarstufe II zugeordnet sind nur die Abschlüsse in Pflegeassistenz (SRK) und in medizinischer Praxisassistenz (BBT).

Abschlüsse in SRK-Gesundheitsberufen 1998 (gerundet, ohne Fachhochschulen) Total Pflegeberufe ­ Pflegeassistenz ­ Niveau I ­ Niveau II ­ Hebamme

ca. 4300 3500 940 900 1400 80

Medizinisch-technische Berufe ­ Medizinische/r Laborant/in ­ Radiologie ­ Operationsassistenz

180 100 50

350

Medizinisch-therapeutische Berufe ­ Dentalhygiene ­ Physiotherapie ­ Ergotherapie

70 270 80

450

Quelle: SRK

5709

Abschlüsse in den Sozialberufen 1997 (gerundet, ohne Fachhochschulen) Total

ca. 1200

Sekundarstufe II ­ Hauspflege (BBT) ­ Betagtenbetreuung

240 100

Mischbereich Sek.II/Tertiär ­ Kleinkindererziehung ­ Freiheitsentzug

280 120

Tertiärer Nichthochschulbereich ­ Sozialpädagoge im Behindertenbereich

500

450

250 70

Quelle: Bericht Meyer u.a.

Die Zahl der jährlichen Abschlüsse in den Bereichen Gesundheit und Soziales entspricht rund einem Zehntel der übrigen Berufsbildungsabschlüsse.

Im Gesundheits- und im Sozialbereich haben die Arbeiten für eine Systematisierung ihrer Berufsbildung begonnen. Sie orientieren sich an einem Schema, das für die gesamte Berufsbildung eine berufsorientierte Sekundarstufe II und eine Tertiärstufe umfasst (vgl. Abbildung 6).

Im Gesundheitsbereich regelt heute das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) die Ausbildungen in den nichtärztlichen Berufen auf der Basis eines Leistungsvertrages mit der Schweizerischen Konferenz der Sanitätsdirektoren (SDK)5. Das Eintrittsalter für die Diplomausbildungen ist 18 Jahre. Die Kantone sind auch wichtige Arbeitgeber, besonders im Spitalbereich. Die Verbände ihrerseits setzen sich im Unterschied zum gewerblich-industriellen Bereich aus Berufsangehörigen zusammen; sie haben in der Zusammenarbeit mit SDK und SRK bei Ausbildungsfragen beratende Funktion.

Beim BBT mehren sich die Anfragen für die Reglementierung von Grundbildungen und höheren Berufsbildungen aus angrenzenden Bereichen wie Naturheilkunde, Therapien oder Erwachsenenbildung.

Heterogen ist die Situation im Sozialbereich6. Es dominieren Zweitausbildungen nach einer Lehre oder Ausbildungen nach einer allgemein bildenden Schule. Kantonal oder regional unterschiedliche Ausprägungen sind häufig. Bestimmend sind weitgehend die Schulen. Für die Reglementierung und Anerkennung der Berufe ist eine Vielzahl von Instanzen zuständig. Noch weniger als im Gesundheitswesen sind die meisten der bestehenden Ausbildungen eindeutig der Sekundarstufe II oder der Tertiärstufe zuzuordnen.

5

6

Der Begriff Gesundheitsberufe wird vor allem für die vom SRK reglementierten Berufsbildungen verwendet. Daneben gibt es Berufe, die sich zwischen Gesundheits- und Dienstleistungsberufen bewegen, z.B. medizinische Praxisassistenz.

Vgl. K. Meyer, H. Hodel, N. Ludi, Sozialausbildungen auf der Sekundarstufe II und im tertiären Nichthochschulbereich. Bericht zuhanden der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Fürsorgedirektoren (FDK), 1997.

5710

In der Kunst gibt es kaum Berufe, die neu dem Berufsbildungsgesetz unterstellt werden könnten. Sie sind entweder wie die Gestaltung bereits im BBG geregelt oder betreffen wie die Musik den Schulbereich.

2.2.2

Landwirtschaft

Auf Bundesebene wurde erstmals 1892 der Betrieb der «landwirtschaftlichen Mittelschulen» im «Bundesgesetz betreffend die Förderung der Landwirtschaft durch den Bund» geregelt. Eine betriebliche Lehre brachte erst das Landwirtschaftsgesetz von 1951. Vorher ging man davon aus, dass die Jugendzeit auf dem Bauernhof eine hinreichende praktische Bildung ermögliche. 1993 fand eine Annäherung an Bestimmungen des Berufbildungsgesetzes und die Einführung der Berufsmaturität für die Landwirtschaft statt.

Das landwirtschaftliche Bildungswesen war bis zu seiner Eingliederung ins Bundesamt für Berufsbildung und Technologie 1998 eng mit der Beratung verbunden. Diese bleibt als Instrument der Agrarpolitik im Landwirtschaftsgesetz geregelt.

Die dreijährige Grundausbildung der Landwirte umfasst zwei Stufen: eine zweijährige Lehre mit begleitender Berufsschule (mindestens 400 Lektionen) und eine zweisemestrige Landwirtschaftsschule (Vollzeitschule mit mindestens 1200 Lektionen). Die Ausbildung der Bäuerin erfolgt bereits seit längerer Zeit nach dem Berufsbildungsgesetz. Auch sind die meisten landwirtschaftlichen Spezialberufe nach dem Modell der dreijährigen Lehre in gewerblich-industriellen Berufen organisiert. Die sechs landwirtschaftlich-technischen Berufsmaturitätsschulen sind vorwiegend als Vollzeitschulen nach der Lehre organisiert. Für die allgemeine Landwirtschaft, den Gemüsebau und die Pferdepflege werden Anlehren angeboten.

Die wesentlichen Unterschiede zur gewerblich-industriellen Berufsbildung sind: Die Reglemente und Weisungen werden von den Trägern der Berufsbildung erlassen und vom Bundesamt für Landwirtschaft lediglich genehmigt; die Finanzierung gemäss Landwirtschaftsgesetz sieht höhere Bundesbeiträge vor als das Berufsbildungsgesetz.

Landwirtschaftliche Berufe Lehrverträge 1988 insgesamt:

3491

Landwirt/in Bereiter/in Geflügelzüchter/in Gemüsegärtner/in Getränketechnologe/in Käser/in

2549 138 19 74 14 347

Molkerist/in; Obstbauer/Obstbäuerin Pferdepfleger/in Rennreiter/in Weintechnologe/in Winzer/in

58 13 58 8 100 113

1980 traten 2797 junge Menschen eine Landwirtschaftslehre an, 1990 waren es 1171 und 1998 noch 872.

Quelle: BFS

5711

2.2.3

Forstwirtschaft

Die forstlichen Berufe waren von Anfang an mit der Forstorganisation und der Forstpolizei verbunden. Gemäss «Bundesgesetz betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei im Hochgebirge» von 1876 haben «Die Kantone ...

betreffs der Organisation des Forstwesens ... zweckmässig einzutheilen» und «hinreichend gebildete Forstmänner anzustellen und zu besolden». 1902 wurden sämtliche Waldungen der Oberaufsicht des Bundes unterstellt und die Anstellung von Forsttechnikern vorgeschrieben.

In neueren Fassungen des Forstgesetzes ab 1963 werden die Berufe der Holzhauer und der gelernten Waldarbeiter (heute Forstwarte) erwähnt. Für die Ausbildung sind nach und nach Bestimmungen aus dem jeweils gültigen Bundesgesetz über die Berufsbildung zu finden. Die Oberaufsicht und Förderung der Ausbildung blieb immer beim Oberforstinspektorat und späteren Bundesamt für Forstwesen bzw. heute beim BUWAL. Mit der Inkraftsetzung des aktuellen Bundesgesetzes über den Wald (Waldgesetz, WaG; SR 921.0) wurde das Berufsbildungsgesetz für das Forstpersonal (Forstwart, Forstwart-Vorarbeiter und Förster) vollumfänglich anwendbar. Während das BBG die ausbildungspolitischen Aspekte regelt, berücksichtigt das WaG in Artikel 39 die forstspezifischen Ausbildungsanliegen. Diese «Doppelunterstellung» wird beibehalten.

Bei den forstlichen Berufen handelt es sich vorwiegend um Berufe der öffentlichen Hand. Zur Zeit umfasst das Forstpersonal rund 5000 Forstwarte, 140 ForstwartVorarbeiter, 1000 Förster und 930 Lehrlinge.

2.3

Differenzierte Grundbildung ­ Sekundarstufe II

Auf dem Niveau der Sekundarstufe II besteht in der Berufsbildung eine Differenzierungslücke. Das heutige Angebot für eine Berufslehre umfasst neben dem Betriebsteil pro Woche einen bis zwei Schultage. Was darüber hinausgeht, wird an Vollzeitschulen unterrichtet.

Im Sinn der Qualifizierung durch Theorie und Praxis sind künftig Angebote bereitzustellen, die auch erhöhten schulischen Bedürfnissen entsprechen, ohne den Bezug zur betrieblichen Praxis aufzugeben. Dazu dient das neue Angebot der «Berufsfachschule».

5712

Abbildung 6

Die im Schema nicht speziell dargestellte Durchlässigkeit ist nach allen Richtungen zu gewährleisten. Die Pfeile zeigen die direkten Zugänge. Für alle anderen haben wegen der sehr unterschiedlichen Bedürfnisse die abnehmenden Stellen die praktischen und/oder theoretischen Zusatzanforderungen zu definieren bzw. in ihre Angebote zu integrieren.

Auf der anderen Seite steht das Erfordernis eines Qualifikationserwerbs im «niederschwelligen» Bereich. Durch die höheren Anforderungen der Praxis steigt die Zahl derjenigen, die eine Grundbildung nötig haben, ohne dass sie gleich das Niveau einer Lehre schaffen können oder wollen. In ihrem Interesse und im Interesse einer Lehre, die ein bestimmtes Qualifikationsniveau behalten soll, ist neu eine Stufe anzubieten, die weniger umfassende Ansprüche stellt, die aber echte Bildungsleistungen und eine anerkannte Qualifikation ermöglicht: die «berufspraktische Bildung».

2.3.1

Berufslehre

Der künftigen Ausgestaltung der Berufslehre liegen die folgenden drei Grundsätze zu Grunde: ­

Am dualen System mit Bildung in Lehr- bzw. Praktikumsbetrieben und Berufsschule wird festgehalten.

­

Die Grundbildung orientiert sich an Berufstätigkeiten, die je nach Bedürfnissen und Ansprüchen der interessierten Verbände und der wirtschaftlichgesellschaftlichen Entwicklung unterschiedlich ausgestaltet werden können («Berufskonzept»).

5713

Auf eine Vollmodularisierung7 wird verzichtet. Im Interesse einer umfassenden Bildung der Jugendlichen ­ sie stellen weiterhin die grösste Zahl der Lernenden ­ soll die Grundbildung nicht in einzelne, beliebig zusammensetzbare Einheiten aufgeteilt werden.

­

Die Gestaltung der Ausbildungsgänge wird flexibilisiert. Auf die bisherige starre Gliederung (z.B. 1 bis 1,5 Tage Schule pro Woche) wird verzichtet. Für jeden Bildungsgang können je nach Bedürfnis Blöcke in der Schule oder im Betrieb bzw. in überbetrieblichen Kursen vorgesehen werden (z.B. das erste Jahr als vollschulisches Jahr und spätere Jahre mit berufsbegleitendem Unterricht in der Schule und Arbeit im Betrieb). In der Regel ist der Lehrvertrag über die ganze Lehrzeit abzuschliessen.

Über die ganze Dauer der ordentlichen Berufslehre beträgt die Schulzeit 20 bis 40 Prozent. Erste Erfahrungen des Schweizerischen Verbandes für visuelle Kommunikation (Viscom) mit einem schulischen Einführungsjahr sowie mit dem Basislehrjahr Informatik sind erfolgversprechend.

Die Lehrzeit dauert im Normalfall drei oder vier Jahre. Der Gesetzesentwurf gibt kein einheitliches Grundmodell für den Aufbau der beruflichen Bildung vor. Aufbau und zeitliche Einteilung der Berufslehre haben sich nach den Anforderungen der jeweiligen Berufstätigkeit zu richten. Das gewährt den Organisationen der Berufsbildung genügenden Freiraum. Dieser erhöhte Freiraum stärkt die bedarfsgerechte Qualifikation, ist aber mit dem Verlust einer gewissen Einheitlichkeit verbunden.

Beispielhaft werden im Folgenden differenzierte Modelle für Berufslehren aus dem Produktions-, dem Dienstleistungs- und dem Informatik-Bereich skizziert: Modell der Expertenkommission Die Expertenkommission für das neue Berufsbildungsgesetz hat ein eigenes Modell einer Berufslehre entworfen (vgl. Abbildung 7). Hier folgt auf die Grundlehrzeit eine Aufbaulehrzeit, die schwergewichtig modular im Sinn der Differenzierung oder der Erweiterung organisiert wird. Im Aufbaujahr wählen die Lernenden, die nicht die Berufsmaturitätsschule besuchen, zusammen mit dem Lehrbetrieb Blöcke zur Vertiefung aus. Diese Blöcke werden von Berufsschulen, Verbänden, Ausbildungsverbünden und privaten Institutionen angeboten.

Die Aufbaulehrzeit dient dazu, die Lernenden auf die Planung ihrer Weiterbildung («lebenslanges Lernen») vorzubereiten. Von den Aufbaublöcken ist befreit, wer bereits in der Grundlehrzeit die Berufsmaturität wählt. Auf diese Weise lässt sich die Lektionenzahl für die Berufsmaturität erhöhen.

7

Der Begriff der Modularisierung wird für drei unterschiedliche Varianten verwendet: (1) Singularisierungskonzept, (2) Differenzierungskonzept, (3) Erweiterungskonzept.

«Singularisierung» bedeutet einzelne, berufsunabhängige, selbstständige Einheiten, die beliebig zusammengesetzt werden können. «Differenzierung» meint die Neustrukturierung eines Bildungsgangs durch curriculare Einheiten. Bei der «Erweiterung» handelt es sich um den Ausbau im Sinn von Zusatzqualifikationen.

5714

Abbildung 7

(1) Auf Eigenarten des Berufskonzepts ausgerichteter Aufbau: Blöcke in Schule und Betrieb bzw. Verbünden, Berufsschulunterricht, Ausbildung im Betrieb.

(2) Zur Vertiefung und Spezialisierung sowie als Einführung in die Weiterbildung wählen die Lernenden und ihre Betriebe eine vorgegebene Zahl von Modulen aus.

Weil das Gesetz den Aufbau der Lehre nicht abschliessend regeln will, lassen sich auch die Prüfungen nicht abschliessend regeln. Wesentlich ist, dass die Prüfungen für alle Berufslehren nach gleichen Prinzipien erfolgen, damit in verschiedenen Berufstätigkeiten nicht ungleiche Anforderungen entstehen. Eine Lehrabschlussprüfung umfasst mehrere Elemente, die zusammen die Gesamtnote für die Lehrabschlussprüfung bzw. das Fähigkeitszeugnis ergeben: «Credits» für definierte Teilleistungen, Projektarbeiten sowie Zwischen- und Abschlussprüfungen. Mit dem Konzept vielgestaltiger bildungsbegleitender Prüfungen soll einerseits das regelmässige Lernen gefördert und andererseits der Druck einer einzigen abschliessenden Prüfung vermieden werden.

Modell der kaufmännischen Grundbildung Ein weiteres Modell wird mit der gegenwärtigen Reform der kaufmännischen Grundbildung getestet (vgl. Abbildung 8). Die KV-Lehre soll gemäss den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und dem Potenzial der Lernenden künftig auf verschiedenen Anspruchsniveaus abgeschlossen werden können. Zwischen diesen ist die Durchlässigkeit gewährleistet. Die Lehrdauer kann besonders bei einem Wechsel des Niveaus flexibel gestaltet werden. Grundlage für einen Wechsel der Anforderungsstufen bildet eine Standortbestimmung am Ende eines jeden Lehrjahres.

5715

Abbildung 8

Die Bildung beginnt mit einem schulischen Basiskurs und einem überbetrieblichen Einführungskurs mit dem Ziel, so viel grundlegende Fach-, Sozial- und Methodenkompetenz zu lehren, dass der Lehrbetrieb von der aufwändigen Grundlagenvermittlung entlastet wird. Der Schulanteil ist degressiv.

Eine echte duale Bildung wird durch Lernortkooperation erreicht: verschiedene Bildungs- bzw. Prozesseinheiten8 werden von Schule und Lehrbetrieb gemeinsam geplant und durchgeführt. Die Lehrabschlussprüfung ist so angelegt, dass die in Betrieb und Schule erworbenen Kompetenzen je zur Hälfte gewichtet werden.

Modelllehre Informatik Eine repräsentativ zusammengesetzte Expertengruppe erarbeitete 1999 im Auftrag des BBT ein Konzept für die Neugestaltung der Informatikbildungen. Es geht zunächst um leistungsfähige Ausbildungsstrukturen zur Linderung des Mangels an Fachleuten in diesem schnelllebigen Bereich. Das neue Modell ist darüber hinaus beispielhaft von den Grundsätzen geprägt, die auch für die Neuordnung der Berufsbildung wegleitend sind: duale Betriebslehre mit flexiblen schulischen Anteilen, breite Grundbildung nach Lernzielen, Aufbau der Grundbildung im Baukastensystem, Gewährleistung der Durchlässigkeit usw.

In der Grundbildung wird nur noch ein einziger Beruf «Informatiker» angeboten, der nach thematischen Schwerpunkten in verschiedene Vertiefungsrichtungen wie Systemtechnik, Applikation oder Support aufgeteilt wird. Grundlage ist eine vierjährige Lehre mit einer gemeinsamen inhaltlichen Basis von 30 bis 50 Prozent für alle Richtungen. Auf den praktischen Teil der Lehre entfallen 60 Prozent der Lehrzeit.

8

Unter «Prozesseinheit» wird ein gesamter Arbeitsablauf verstanden.

5716

Die Lernenden arbeiten an konkreten Projekten aus der betrieblichen Praxis. Zwischen Lernenden und Lehrbetrieben werden Zielvereinbarungen abgeschlossen, die in ein individuelles Portfolio der Lernenden einmünden. Die von Berufsschulen und in überbetrieblichen Kursen vermittelten Qualifikationen beanspruchen 40 Prozent der Lehrdauer. Sie werden über Lernziele gesteuert und überwiegend modular angeboten. Die Vorgabe von Basis- und Vertiefungsmodulen stellt sicher, dass die Wahl der Module durch die Lernenden nicht zu Fehlqualifikationen führt.

Auch bei der Reglementierung werden neue Wege beschritten: Es soll nur noch ein Organisationsreglement erlassen werden, das Leistungsstandards für Bildung und Qualifizierung festsetzt. Eine Arbeitsgruppe sorgt für die gesamtschweizerische Koordination, die Genehmigung von Ausbildungsleitfäden, die Anerkennung von Modulkombinationen sowie für die Weiterentwicklung der Informatikbildung. Diese Struktur erlaubt eine kontinuierliche Aktualisierung der Bildungsinhalte. Für die Anpassung der Vorschriften an die technische Entwicklung müssen keine langwierigen Revisionen der Bildungsverordnungen mit Vernehmlassungsverfahren mehr durchgeführt werden.

Zusammenfassung von Berufen in Berufsfelder Seit Jahren wird die Zusammenfassung verwandter Einzelberufe in Berufsfelder gefordert ­ eine Forderung, die sich bisher nur zögerlich durchgesetzt hat. Die gemeinsame breitere Basis soll die Einsatzmöglichkeiten von Berufsleuten erhöhen und die Durchlässigkeit zwischen den Berufen verbessern. Erste Berufsfelder wurden bereits unter dem Vorgänger des geltenden BBG realisiert. So wurden 1979 die fünf Einzelberufe Schreiner, Möbelschreiner, Bauschreiner, Sitzmöbelschreiner und Glaser-Fensterschreiner zum Schreiner mit zwei Fachrichtungen zusammengefasst.

Weitere Zusammenfassungen folgten. Genannt sei der Drucker (1989) anstelle der fünf Einzelberufe Offsetandrucker, Tief-, Kleinoffset-, Buchdrucker-Offsetdrucker und Offsetdrucker.In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre hat sich diese Bewegung verstärkt. 1997 wurden 16 mechanische Berufe in vier neue Berufe der Maschinenindustrie zusammengefasst: ­

Automatiker für die bisherigen Elektromechaniker, Elektromaschinenbauer, Automatiker und Schaltanlagenmonteur;

­

Elektroniker für die bisherigen Elektroniker und Elektronikmonteur;

­

Konstrukteur für die bisherigen Maschinenzeichner und technischer Zeichner;

­

Polymechaniker für die bisherigen Maschinenmechaniker, Maschinenmonteur, Mechaniker, Feinmechaniker, Werkzeugmacher, Werkzeugmaschinist, Decolleteur-Mechaniker und Kabelmaschinenmonteur.

1999 folgten Textilassistent/in (Berufsfeld mit sechs Fachrichtungen) und Haustechnikplaner/in (Fachrichtungen Heizung, Kälte, Lüftung und sanitäre Installationen). In Bearbeitung sind die Bereiche Lebensmitteltechnologie (Konserven und Tiefkühlung, Lebensmittel, Getränke), Logistikassistenz (Lagerist, Postangestellter, Betriebsfachangestellter SBB/Bahn und Umzugspacker), Dach und Wand (bzw. Gebäudehülle) für die Berufe Dachdecker, Spengler, Isoleur, Zimmermann und evtl. weitere Berufe sowie das Berufsfeld Grüne Berufe für Landwirtschaft und Gartenbau.

5717

Abbildung 9

5718

2.3.2

Die berufspraktische Bildung

Der Gesetzesentwurf sieht neu die Stufe der «berufspraktischen Bildung» vor. Dies aus zwei Gründen: Die durch die technologische Entwicklung gestiegenen Anforderungen an eine Lehre dürfen einerseits nicht dazu führen, dass schulisch weniger leistungsfähige Jugendliche von einer formalisierten Ausbildung ausgeschlossen bzw. mit dem negativen Etikett der Anlehre versehen werden. Andererseits besteht auch ein wirtschaftliches Bedürfnis nach kürzeren als dreijährigen, aber deswegen nicht anspruchslosen Qualifizierungen.

Heute stehen Branchen teilweise vor der Wahl, entweder nicht genügend Nachwuchs ausbilden zu können oder die Anforderungen an die Lehre signifikant senken zu müssen (z.B. Sanitärgewerbe), was weder im Interesse der Wirtschaft noch im Interesse der angehenden Berufsleute liegt. Auch gibt es neue Arbeitsplätze, z.B. in Call-Centers, die Anforderungen stellen, die keine dreijährige Berufslehre mit Fähigkeitszeugnis voraussetzen.

Die berufspraktische Bildung soll eine Differenzierung nach individuellen Fähigkeiten oder Bedürfnissen ermöglichen. Sie geht aber von klar definierten Qualifikationsanforderungen aus. Damit soll sie die Anlehre ablösen, die ganz auf die individuellen Fähigkeiten der Anzulehrenden abgestimmt ist. Um die erforderliche Qualifikation zu erreichen, sollen Jugendliche mit Lernschwierigkeiten zusätzlich mit einer fachkundigen individuellen Begleitung unterstützt werden.

Die berufspraktische Bildung ist schwergewichtig auf praktisches Lernen im Betrieb ausgerichtet. Der begleitende Unterricht dient in erster Linie fachkundlicher Ergänzungen sowie dem Schliessen von Lücken in Grundfertigkeiten und Grundfähigkeiten. Im Hinblick auf den Grundsatz «kein Abschluss ohne Anschluss» soll die berufspraktische Bildung auch eine verkürzte Berufslehre mit dem Abschluss eines Fähigkeitszeugnisses und damit den Zugang zur höheren Berufsbildung ermöglichen.

Eine weitere Variante dieses Angebots könnte das Praxisjahr darstellen, das von Maturandinnen und Maturanden für den Fachhochschulzugang gefordert wird. Ein strukturiertes Praktikum unter Anerkennung der bereits erbrachten Lernleistungen wäre hier ein Bildungsfortschritt gegenüber einem beliebig gestaltbaren Arbeitsjahr.

Es kann aber die Möglichkeit von verkürzten Lehren nicht ersetzen.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund
möchte weiterhin die Lehre als unterste offizielle Qualifikationsstufe bezeichnet haben und die berufspraktische Bildung allenfalls als eine Art von Vorlehre akzeptieren. Ein kohärentes Bildungssystem, das den Gegebenheiten und Interessen sowohl der Lernenden als auch der Lehrbetriebe entspricht, verlangt jedoch als Ergänzung zum eidgenössischen Fähigkeitszeugnis eine weitere Differenzierungsstufe. Sonst besteht die Gefahr, dass das Fähigkeitszeugnis zu einer Bescheinigung unterschiedlichster Qualifizierungen degradiert wird. Das vermindert die Transparenz, ohne aber eine offene oder verdeckte Differenzierung am Arbeitsmarkt oder bei Zulassungsbestimmungen zu verhindern.

5719

2.3.3

Berufsfachschule

Das Berufsbildungssystem hat auch vermehrt kognitiv anspruchsvollere Angebote bereitzustellen. Einerseits steigen die Qualifiaktionsansprüche, andererseits gilt es zu vermeiden, dass besonders leistungsstarke junge Menschen ausschliesslich auf den gymnasialen Weg verwiesen werden. Aus diesem Grund wird neben der Berufsmaturität (vgl. nächste Ziffer) neu die Berufsfachschule angeboten.

Berufsfachschulen ergänzen die Berufsbildung, sind jedoch kein Ersatz für bisherige Lehren. Vielmehr stellen sie eine eigenständige, in einer speziellen Verordnung zu regelnde Qualifikationsstufe dar.

Mögliche Einsatzbereiche für Berufsfachschulen sind bei schulisch anspruchsvollen Dienstleistungen zu sehen, z.B. im Gesundheits- und Sozialwesen sowie in ausgewählten Segmenten der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien.

Überall dort, wo ausbildungsbedingt der Schulteil mehr als die Hälfte der Lehrzeit ausmacht, könnten Berufsfachschulen an die Stelle der Betriebslehre treten. Es wäre eine Überforderung der Betriebe, sie für Bildungswege verantwortlich zu machen, die zum grösseren Teil ausserhalb des Betriebes stattfinden.

Umgekehrt soll der Vorteil des dualen Systems, d.h. die enge Bindung an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes, nicht aufgegeben werden. Dies wird dadurch erreicht, dass ­

der Betriebsteil des Bildungsweges «Berufsfachschule» ein Praktikum umfassen muss, das mindestens ein Jahr dauert und voll in die Ausbildung integriert ist;

­

die einschlägigen Verordnungen in enger Zusammenarbeit mit Berufsverbänden erarbeitet werden und diese damit die Verantwortung für die Qualifikationen und für die Praxisplätze übernehmen.

Ausgangspunkt für die Idee der Berufsfachschule waren die Handelsmittelschulen, deren Grundzüge auf neue Berufsfelder ausgedehnt würden. Eine vermehrte Integration strukturierter dualer Elemente würde unter dem neuen Gesetz aber auch für gewisse Handelsmittelschulen notwendig; teilweise ist dies bereits heute realisiert.

Die Lehrwerkstätten hingegen sind ein Spezialfall von Ausbildungen nach Reglementen der betrieblichen Lehrberufe. So wie sie die betriebliche Praxis in eigenen Ateliers vermitteln, so könnten sie gegebenenfalls auch Praktika von Bildungsgängen der Berufsfachschule übernehmen.

Ein Testfall für Berufsfachschulen ist das Projekt der Informatikmittelschulen im Rahmen des Lehrstellenbeschlusses II. Das Konzept selbst und seine möglichen Anwendungen sind Gegenstand einer breit abgestützten Begleitgruppe von Bildungsexperten aus Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt.

Nicht in das Regelwerk der Berufsbildung gehören die Diplommittelschulen. Als regionale Variante allgemein bildender Schulen zählen sie zum Kompetenzbereich der Kantone, hauptsächlich als Vorbereitung auf Bildungen in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Kunst. Über diese Zubringerfunktion hinaus besteht mit dem neuen Berufsbildungsgesetz die Möglichkeit der Umwandlung dieser Institutionen in Berufsfachschulen, was jedoch den Einbezug von Praxiselementen in die jeweiligen Bildungsprogramme voraussetzt.

5720

2.3.4

Berufsmaturität

Die 1993 beschlossene und seitdem sukzessive eingeführte Berufsmaturität trägt dazu bei, die Berufsbildung als attraktiven Bildungsgang mit einem Angebot von der Grund- bis zur Hochschulbildung zu stärken. Die Berufsmaturität bescheinigt eine berufliche Grundbildung zusammen mit einer vertieften und erweiterten Allgemeinbildung. Sie setzt immer ein Fähigkeitszeugnis voraus und bedeutet sowohl Berufsfähigkeit als auch Studierfähigkeit an einer Fachhochschule.

Während die gymnasiale Matura als Voraussetzung für ein Universitätsstudium nur ausnahmsweise zu Diskussionen Anlass gibt, muss sich die noch junge Berufsmaturität weiter festigen. Eine Revision zur Vereinheitlichung der unterschiedlichen Berufsmaturitätstypen9 ist im Gang. Gleichzeitig geht es um eine bessere Abstimmung der Lehrpläne auf die Bedürfnisse und Anforderungen der neuen Fachhochschule.

Bereits die Botschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Technologie in den Jahren 2000­2003 vom 25. November 1998 (BBl 1999 297) hielt fest, dass «den Jugendlichen am Ende der obligatorischen Schulzeit gleichwertige und attraktive Angebote offen stehen» sowie «zu fairen Bedingungen die Durchlässigkeit zwischen Lehrabschluss/Berufsmatura, allgemeiner Hochschulreife, Fachhochschulabschluss und universitärem Studium hergestellt werden» sollen. Ein erster Durchbruch wurde mit der Anerkennungsvereinbarung von Studienleistungen zwischen den eidgenössischen technischen Hochschulen (ETH) und den Fachhochschulen vom Oktober 1998 erzielt. Vor allem im Universitätsbereich bestehen jedoch noch starke institutionelle und prestigemässige Vorbehalte gegen eine umfassende Durchlässigkeit. Umgekehrt hat sich eine allzu formelle Zulassungspraxis für Maturanden an den Fachhochschulen nicht durchwegs bewährt und namentlich im Bereich der Maschinenindustrie zum Ruf nach einer zusätzlichen verkürzten Lehre geführt.

Die Verordnung über die schweizerische Maturitätsprüfung von 1998 sieht Ergänzungsprüfungen u.a. für Inhaberinnen und Inhaber eines eidgenössischen Berufsmaturitätszeugnisses vor, die ihnen den Zugang zu den Universitäten und Hochschulen ermöglichen sollen. Die Ausgestaltung solcher Ergänzungsprüfungen befindet sich in Arbeit.

An dieser Stelle sei noch auf das Projekt Euro-Bac hingewiesen. Es steht für ein Modell, das berufliche und allgemein
bildende Inhalte in der Erstbildung vereint und einen europäischen Standard einer doppelt qualifizierenden Ausbildung bereithält. Euro-Bac soll den Zugang an universitäre Hochschulen der europäischen Staaten ermöglichen. Im europäischen Bildungsprogramm Leonardo da Vinci arbeiten 21 Partner aus zehn Ländern an der Entwicklung und Evaluierung von Standards für Euro-Bac. Die Schweiz ist als stiller Partner beteiligt.

9

Die höchsten Anteile an der Berufsmaturität verzeichneten 1999 bei total 6026 Abschlüssen die kaufmännische (47%) und die technische (46%). Der Rest (7%) entfällt auf die gestalterische, die gewerbliche und die technisch-landwirtschaftliche Berufsmaturität.

5721

Abbildung 10

2.4

Die höhere Berufsbildung ­ Tertiärstufe

Das neue Berufsbildungsgesetz sieht eine spezifische Tertiärstufe ausserhalb des Hochschulbereichs vor. Es trennt im Gegensatz zum geltenden BBG die höhere Berufsbildung von der Weiterbildung. Weiterbildung soll im Sinn der Erneuerung und Weiterentwicklung des Gelernten unmittelbar an die Grundbildung anschliessen.

Unter dem neuen Kapitel der höheren Berufsbildung werden die beiden formalisierten Bereiche der eidgenössischen Berufs- und der eidgenössischen höheren Fachprüfungen einerseits, der höheren Fachschulen andererseits zusammengefasst, um sie als eigenständiges Bildungsangebot in der tertiären Bildung zu verankern.

Die höhere Berufsbildung in Zahlen (Abschlüsse 1998) In der höheren Berufsbildung wurden 1998 über 26 000 Abschlüsse erworben. In der Statistik10 inbegriffen sind die Abschlüsse der seit 1995 in einem eigenen Gesetz geregelten Fachhochschulen (4020): ­

10

höhere Fachschulen

­

eidgenössische Fach- und höhere Berufsprüfungen

­

nicht vom Bund reglementierten höhere Berufsbildungen

2 860 10 720 8 500

Bundesamt für Statistik (BFS), Bildungsabschlüsse 1998, Neuchâtel 1999.

5722

Rund ein Viertel der jungen Erwachsenen erwerben einen höheren Berufsabschluss.

Der Anteil steigt seit 1980 kontinuierlich. Zwei Drittel der Abschlüsse entfallen auf Männer. Frauen wählen vor allem die Bereiche Gesundheit, Soziales und Pädagogik.

In der Deutschschweiz ist die Bedeutung dieser Tertiärausbildung grösser (29%) als in der lateinischen Schweiz (21%). Für einen Vergleich der höheren Berufsbildung der Schweiz mit dem Ausland fehlen vergleichbare Indikatoren11.

Die genannten Bereiche zeugen von einer Nachfrage nach Bildungsangeboten, deren Ansprüche das Niveau einer Grundbildung der Sekundarstufe II klar übersteigen.

Diese Angebote sollen sich nicht weiter zwischen Grund- und Weiterbildung bewegen, sondern auf der Tertiärstufe klar positioniert werden. Nur so kann diese Stufe eine eigene Identität entwickeln, die Durchlässigkeit definiert und eine gesamtschweizerische Transparenz erreicht werden.

Der Zugang zum Tertiärbereich setzt den Abschluss einer mindestens dreijährigen Qualifikation auf der Sekundarstufe II voraus. Es kann dies ein Fähigkeitszeugnis oder ein allgemein bildender Abschluss sein. Es ist müssig, darüber zu spekulieren, ob berufliche Grundbildungen auch auf der Tertiärstufe beginnen können. Dies ist selbstverständlich der Fall, wo auch allgemein bildende Abschlüsse als Zugangsberechtigung anerkannt werden (sonst spricht man eher von Zweit- oder weiterführender Bildung). Wenn im BBG von Grundbildung die Rede ist, ist immer die berufliche Erstbildung der Sekundarstufe II gemeint. Es gibt keinen Grund, diesen eingeführten Sprachgebrauch zu ändern.

Das Bildungsangebot im Tertiär-Bereich zeichnet sich durch eine ausserordentliche Vielfalt bezüglich Inhalt, Anforderungen, Trägerschaft und Finanzierung aus. Damit lassen sich für die unterschiedlichsten Erwartungshaltungen geeignete Bildungsangebote ausmachen.

2.4.1

Berufs- und höhere Fachprüfungen

Im Unterschied zu den höheren Fachschulen, bei denen der Ausbildungsgang anerkannt wird, werden bei den eidgenössischen Berufsprüfungen und den eidgenössischen höheren Fachprüfungen (Meisterprüfungen) nur der Inhalt und die Durchführung der Prüfung reglementiert. Der Besuch bestimmter Lehrgänge ist nicht vorgeschrieben. In der Regel werden Vorbereitungskurse in Bildungsinstitutionen von Berufsverbänden, in öffentlichen oder privaten Schulen angeboten. Nachzuweisen ist eine mehrjährige einschlägige Berufstätigkeit.

Die Branchen haben einen bestimmenden Einfluss auf die eidgenössischen Prüfungen. So fallen die Festlegung der Prüfungsinhalte und die Durchführung der Prüfung in die Kompetenz der Berufsverbände. Die Organisation der Prüfungen erfolgt meist in Milizarbeit. Auf Antrag von Verbänden hat der Bund bisher 157 höhere Fachprüfungen und 151 Berufsprüfungen anerkannt (1999). Die Prüfungen entsprechen sehr unterschiedlichen Anforderungen, die z.T. Fachhochschulniveau erreichen.

11

Vgl. Bundesamt für Statistik (BFS), Bildungsindikatoren Schweiz 1999, S. 86.

5723

2.4.2

Höhere Fachschulen

Im geltenden Berufsbildungsgesetz sind die höheren Fachschulen nur marginal behandelt. Die politischen Gewichte der Siebzigerjahre lagen anders. In der Folge prägten föderalistische Vielfalt und Eigeninitiative von verschiedensten Trägern die höhere Berufsbildung. Dementsprechend ist die Schulstruktur durch starke Spezialisierung und eine Vielzahl von zum Teil sehr kleinen Schulen gekennzeichnet.

Die höheren Fachschulen dienen in erster Linie der praxisnahen Spezialisierung. Sie eignen sich als Vorbereitung auf die Übernahme unterer und mittlerer Kaderfunktionen. Sie orientieren sich nach den Marktbedürfnissen. Für ihren Erfolg sind Flexibilität und optimale Berücksichtigung der Bedürfnisse einzelner Berufsgruppen und der entsprechenden Wirtschaftszweige entscheidend.

Der guten Stellung am Markt steht die von Vertretern der Bildungsinstitutionen oft monierte, zu wenig transparente Abgrenzung insbesondere zu den Fachhochschulen gegenüber, die teilweise auf gleichen Gebieten aktiv sind.

Die höheren Fachschulen können als Vollzeitausbildung absolviert werden und dauern dann in der Regel zwei oder drei Jahre. Die berufsbegleitende Form dauert drei bis vier Jahre. Aufnahmebedingungen sind in der Regel eine abgeschlossene Berufslehre im entsprechenden Studienbereich und das Bestehen einer Aufnahmeprüfung.

Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement hat Mindestvorschriften für die Anerkennung folgender Schultypen erlassen: höhere Fachschulen für Gestaltung, für Tourismus, für Wirtschaftsinformatik sowie für Drogistinnen und Drogisten, höhere gastgewerbliche und hauswirtschaftliche Fachschulen sowie höhere kaufmännische Gesamtschulen. Die höheren Fachschulen für Gestaltung und die höheren hauswirtschaftlichen Fachschulen sind auf dem Niveau der Ingenieurschulen HTL und der höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschulen HWV angesiedelt, die seit 1996 zu Fachhochschulen ausgebaut werden. Die übrigen höheren Fachschulen wurden auf dem Niveau der Technikerschulen TS definiert. Insgesamt sind über 60 Technikerschulen und rund 30 «andere höhere Fachschulen» anerkannt.

2.4.3

Entwicklungslinien

Wo bisher Einzeldiplome eine höhere Berufsbildung testierten, soll ein anerkanntes Qualifikationsniveau durchgesetzt werden, das auch für nicht Eingeweihte erkennbar wird. Es entspricht der Stufe 5 des Klassifikationsschemas ISCED97 (International Standard Classification of Education). Auf diese Weise erhalten einerseits die in diesem Bereich zuständigen Träger einen Rahmen für eine selbstverantwortete Definition der Lehrinhalte und andererseits wird nur so eine bessere Transparenz und Durchlässigkeit innerhalb des Gesamtsystems möglich, das mit den Gesundheits- und Sozialberufen auf dieser Stufe ein zusätzliches Gewicht erhält.

Der Gesetzesentwurf schreibt den Dualismus von höheren Fachschulen und eidgenössischen Berufs- bzw. höheren Fachprüfungen fort, obwohl teilweise durchaus vergleichbare Qualifikationen erworben werden. Spezifische Berufstätigkeiten, namentlich die sozialen und die Gesundheitsberufe, sind stärker auf die curricular ein-

5724

gebettete Vermittlung von Wissen, Kenntnissen und Fähigkeiten angewiesen als gewerbliche Qualifizierungsbedürfnisse.

Bei den massgeblich durch ihre Spezialisierung und die Verankerung in den Regionen definierten höheren Fachschulen wäre es verfehlt, einen Konzentrationsprozess zu fordern, wie er bei den Fachhochschulen unerlässlich ist. Vielmehr wird es darum gehen, stärker als bisher neue Formen der Zusammenarbeit mit Fachhochschulen und mit den Trägerschaften von Berufs- und höheren Fachprüfungen zu suchen.

Denkbar sind der gezielte Einsatz derselben Lehrkräfte oder gemeinsame Angebote im Nachdiplombereich.

2.5

Berufsorientierte Weiterbildung

Die immer kürzeren Wissenszyklen können ohne ständige Weiterbildung nicht bewältigt werden. Auch ist die Menge des sich ständig überholenden Erfahrungswissens innert nützlicher Frist nicht mehr zu vermitteln. Exemplarisches Lernen und die Fähigkeit, Neues zu verarbeiten, sind gefragt und müssen weiterentwickelt werden.

Entsprechende Kompetenzen müssen bereits auf der Sekundarstufe II eingeübt werden. Auch muss Weiterbildung im Sinne des Qualifikationserhalts oder besserer Arbeitsmarktfähigkeit bereits auf diesem Niveau gepflegt werden.

In der Weiterbildung durchdringen sich staatliche und private Angebote und Verantwortung in hohem Mass. Weiterbildung liegt im Interesse des Einzelnen und im Interesse der Arbeitgeber. Insofern liegt sie auch in deren Verantwortung. Darüber hinaus ist ein subsidiäres staatliches Engagement angesichts des öffentlichen Interesses an einem möglichst hohen Qualifikationsniveau der Bevölkerung angezeigt. Es gibt immer Personen (z.B. bildungsferne Schichten) und Fachbereiche, für die nur dank öffentlicher Unterstützung die notwendige Erneuerung der Kenntnisse und Fähigkeiten gesichert werden kann.

Gemäss einem Expertenbericht über Weiterbildung ist «das aktuelle Bildungssystem in der Schweiz weit davon entfernt, der wachsenden Bedeutung des lebenslangen Lernens [...] Rechnung zu tragen»12. Die Revision des Berufsbildungsgesetzes berücksichtigt diese Diagnose. Das neue Gesetz kann jedoch aus staatspolitischen Gründen ­ der Bund ist nur für die berufliche Weiterbildung zuständig ­ und wegen der Überforderung des Berufsbildungssystems nicht der Ort sein, um die Weiterbildung grundsätzlich neu zu regeln.

Die Weiterbildung unter dem Berufsbildungsgesetz soll weiterhin berufsorientiert bleiben. Angesichts der zunehmenden Bedeutung allgemein bildender Elemente auch für die Berufsfähigkeit soll sie sich aber nicht nur auf das rein Fachtechnische beschränken, sondern vermehrt auch umfassendere Einsichten und Fähigkeiten fördern.

12

Philipp Gonon, André Schläfli u.a., Weiterbildung in der Schweiz: Situation und Empfehlungen. Bericht an das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie und das Bundesamt für Kultur, Zürich, November 1998, S. 3.

5725

2.5.1

Bezug zur Arbeitswelt

Im Bewusststein der Abgrenzungsproblematik zur allgemeinen Erwachsenenbildung hat sich bereits die Expertenkommission für das neue BBG auf einen extensiven Weiterbildungsbegriff geeinigt, die «berufsorientierte» Weiterbildung. Die gegenwärtige Segmentierung nach Arbeitslosen, Erwerbstätigen usw. greift zu kurz. Andererseits ist der Begriff der allgemeinen Erwachsenenbildung zu diffus. Im Sinn eines integralen Ansatzes umfasst die berufsorientierte Weiterbildung verschiedenste Angebote, sofern sie in Verbindung zur Arbeitswelt stehen. Moderne statistische Erhebungsmethoden stellen mangels Aussagekraft ebenfalls nicht mehr auf strukturelle Betrachtungen, sondern auf Selbstdeklaration der Befragten ab.

Ziel der berufsorientierten Weiterbildung ist die Erhaltung und Verbesserung der Arbeitsmarktfähigkeit der Individuen. Insbesondere Bildungsungewohnte sowie Wiedereinsteigerinnen und Wiedereinsteiger sollen die Chance erhalten, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten aufzufrischen und verpasste Bildung nachzuholen. Gerade hier sind die Ansprüche von Chancengleichheit und Gleichstellung der Geschlechter einzulösen. Die Bereitstellung entsprechender Angebote wird nach wie vor primär Aufgabe der Kantone und privater Träger sein.

2.5.2

Subsidiäre Rolle des Bundes

Der Bund wird im Sinne seiner strategischen Aufgabe in der Berufsbildung subsidiär für Massnahmen zur Koordination, Transparenz und Qualität auf gesamtschweizerischer Ebene besorgt sein. Daneben hat er Massnahmen zu fördern und anzuregen, die den Verbleib im Erwerbsleben bei wirtschaftlichen Strukturveränderungen ermöglichen oder erleichtern. Im sozialen und im engeren bildungspolitischen Bereich muss die Priorität auf den Wiedereinstieg nach öffentlichen, sozialen oder familiären Pflichten sowie auf die vermehrte Erfassung, den vermehrten Einbezug sogenannter bildungsferner Schichten gelegt werden.

Gemäss einer Untersuchung des Bundesamtes für Statistik über das Weiterbildungsverhalten13 sind nicht alle Bevölkerungsschichten im Weiterbildungsbereich gleichermassen präsent: die Männer mehr als die Frauen; die Höherqualifizierten mehr als diejenigen, welche weniger gut qualifiziert sind; die Angestellten aus Grossunternehmen mehr als diejenigen aus kleineren Unternehmen. Dieser Befund deckt sich mit internationalen Erfahrungen.

Staatliche Anreize müssen darauf hinwirken, dass sich die Beteiligung an der Weiterbildung erhöht und vermehrt auch Gruppen erfasst, die sich bisher nicht an der Weiterbildung beteiligt haben. Anstoss dazu könnte z.B. ein individuelles Weiterbildungskonto sein, wobei ausgehend von einem Bildungsbudget von 2500 Franken pro Lehrabgängerin und Lehrabgänger mit einem Finanzierungsvolumen von knapp 100 Millionen Franken zu rechnen wäre. Die Wirkung solcher Anreize wird aller-

13

Bundesamt für Statistik (BFS), Bildungsindikatoren Schweiz. Bildungssystem(e) Schweiz im Wandel, Bern 1995, S. 66.

5726

dings sehr kontrovers beurteilt14. Für den Bund wird es zunächst darum gehen, solche Möglichkeiten beispielsweise im Rahmen von Pilotprojekten auf ihre Tauglichkeit zu testen.

Weiterbildung unter berufsbildungspolitischem Aspekt ist eine längerfristige Aufgabe. Daneben wird es nach wie vor auch kurzfristigere arbeitsmarktpolitische Weiterbildungsaktionen geben müssen. Aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre mit hohen Arbeitslosenzahlen ergibt sich ein ganz klarer Bedarf nach vermehrter Kooperation der beiden Bereiche. Viele Gelder der Arbeitslosenversicherung sind an der bereits vorhandenen und bewährten Struktur der Berufsbildung vorbei in Ad-hocAngebote geflossen. Umgekehrt stellte sich das vorhandene Berufsbildungsangebot nur zögerlich auf die neuen Bedürfnisse zur Schulung von Arbeitslosen ein. Der Gesetzesentwurf stipuliert deshalb ausdrücklich eine engere Koordination der beiden Bereiche.

Mit der vorgeschlagenen Konzeption einer extensiveren Interpretation des Begriffes der berufsorientierten Weiterbildung sind Mehrkosten verbunden, die einerseits über die Erhöhung des pauschalierten Bundesbeitrags an die Kantone sowie über die Kredite für Innovationsmassnahmen und für besondere Leistungen im öffentlichen Interesse finanziert werden sollen.

2.6

Übergänge zwischen den Bildungsstufen

Neben formalisierten Zugangsberechtigungen wie dem Maturitätszeugnis sind besonders die Schnittstellen zwischen den Bildungsgängen zu beachten. Sowohl am Übergang von der obligatorischen zur nachobligatorischen Bildung als auch von der Sekundarstufe II zur Tertiärstufe stellen sich Probleme, die mit den spezifischen Anforderungen der Praxis zusammenhängen.

2.6.1

Berufsvorbereitung

Am Übergang von der Schule zur Berufsbildung müssten die Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen genügend ausgebildet sein. Dies ist in zunehmendem Masse nicht mehr der Fall, sei es wegen der gestiegenen Anforderungen, sei es aus migrationspolitischen Gründen.

Es kann nicht Aufgabe der Berufsbildung sein, Defizite aus dem Bereich der vorgelagerten Stufen zu beheben. Ihre gegenüber der obligatorischen Schule auf die Arbeitswelt fokussierte Perspektive macht sie aber geeignet, eine spezifische Übergangsfunktion wahrzunehmen. Durch praxisorientierte Angebote kann und soll sie die schulischen Angebote ergänzen und damit neue Lernmotivationen wecken.

14

Die Finanzierung des Bildungswesens durch Bildungsgutscheine; Modelle und Erfahrungen: Max Mangold, Jürgen Oelkers, Heinz Rhyn: Institut für Pädagogik, Abteilung Allgemeine Pädagogik, Universität Bern, Oktober 1998. Auch ein Versuch der MigrosGenossenschaft Genf von 1998 verlief ernüchternd: gerade 1,7 Prozent der Beschäftigten machte von einem Bildungsgutschein von 860 Franken im Jahr Gebrauch (vgl.

«Panorama» 1/2000, S. 49).

5727

Wegen der unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund und Kantonen stellt sich die Frage, wer für die entsprechenden Angebote zuständig ist. Der vorliegende Gesetzesentwurf geht vom Standpunkt aus, dass bis zur Berufsbildungsreife grundsätzlich die Kantone zuständig sind. Der Bund seinerseits soll im Sinne der Subsidiarität Pilotprojekte unterstützen und Anschubfinanzierungen leisten, die aber eindeutig berufsorientiert sein müssen. Berufswahl- und schulische Ergänzungsangebote sollen vollumfänglich in der Verantwortung der Kantone bleiben.

2.6.2

Übertritt zur Tertiärstufe

Eindeutig in die Kompetenz des Bundes fallen die Übergänge zur beruflichen Tertiärstufe. Grundsätzlich soll das Fähigkeitszeugnis bzw. ein allgemein bildender Abschluss der Sekundarstufe II zu einer weiterführenden Berufsbildung berechtigen.

Da es sich im Nichthochschulbereich aber um spezifische Fachbildungen handelt, müssen die abnehmenden Bildungsstätten auch zusätzliche Anforderungen verlangen können, sofern sie diese nicht in das Bildungsangebot integriert haben oder sie sich nicht integrieren lassen.

Gedacht ist an Praktika in Ergänzung zur allgemeinen Maturität oder umgekehrt an vertiefte Allgemeinbildung in Ergänzung zu einem beruflichen Fähigkeitsausweis.

Dies lässt sich nicht allgemein regeln, sondern nur in der Form von Leitplanken festlegen. Dazu zählen die Anerkennung erbrachter Lernleistungen, die Festlegung von Qualifikationen, Fachbezüge und Niveaukriterien.

2.6.3

Durchlässigkeit innerhalb und zwischen den Stufen

Klar zuweisbare Qualifikationsstufen sind eine Voraussetzung für die Beurteilung der einzelnen Bildungsgänge und für die Durchlässigkeit unter ihnen. Der Durchlässigkeit kommt steigende Bedeutung zu. Die Tätigkeitswechsel im Verlauf eines Berufslebens nehmen zu. Eine Verlängerung der individuellen Bildungswege ist je länger je weniger sinnvoll sowohl aus Sicht der Betroffenen, der öffentlichen Hand und der Wirtschaft. Eine Erhöhung der Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Bildungswegen ist daher unabdingbar.

Neben der institutionell geregelten Durchlässigkeit im Zusammenhang mit der Studienberechtigung ist Durchlässigkeit ein nicht minder bedeutsamer Grundsatz im Wechsel zwischen den Bildungsangeboten und den Bildungsstufen. Hier hängt vieles von der individuellen Vorbildung und dem spezifischen Bildungsgang ab. Umso wichtiger wird es sein, dass die einschlägigen Regelungen grundsätzliche Überlegungen zur Gewährung und Umsetzung von Durchlässigkeit enthalten.

Beispielsweise soll auch eine Person mit einer allgemeinen Maturität in den berufsorientierten Nichthochschulbereich der Tertiärstufe gelangen können. Es ist aber klar, dass die entsprechende berufliche Erfahrung auf die eine oder andere Weise nachgeholt werden muss ­ sei dies integriert in den Bildungsgang oder als Vorleistung.

Dasselbe gilt umgekehrt für schulische Erweiterungen bei Personen mit Fähigkeitszeugnissen. Angesichts der verbreiteten Tendenz, schulische Elemente höher zu gewichten als berufliche, sind entsprechende Leitlinien ein wichtiger Bestandteil eines qualifikationsorientierten Bildungssystems.

5728

Flexible Durchlässigkeitsbestimmungen können durchaus in Widerstreit zu institutionalisierten Berechtigungen stehen, wie sie die Maturitäten darstellen. Es wird darauf zu achten sein, dass die beiden aus unterschiedlichen Gründen erwünschten Möglichkeiten nicht für partikulare Zwecke wie Bestandeserhöhungen an Schulen und damit zum Unterlaufen von bildungspolitischen Weichenstellungen missbraucht werden.

Im Übrigen darf eine flexiblere Regelung auch nicht zu ständigem Hin- und Herpendeln führen. Es besteht durchaus ein bildungspolitisches Interesse daran, dass ein Bildungsgang entweder früh als falsch erkannt oder dann bis zu einem Abschluss durchgehalten wird.

Ein wesentliches Element zur Förderung der Durchlässigkeit stellen Baukastensysteme dar. Das Pilotprojekt «Berufliche Weiterbildung im Baukastensystem» hat positive Ergebnisse gezeitigt. Weniger weit gediehen sind die Überlegungen zu Sekundarstufe-II-Bildungen. Die Vorschläge gehen hier eher in Richtung einer Teilmodularisierung im Sinne von Ergänzungen und Individualisierungen.

2.7

Steuerung der Berufsbildung

Bildungsprozesse sind nur begrenzt steuerbar. Sie sind langfristig angelegt und hängen von einer Vielzahl verschiedener Akteure ab. Zusätzliche Steuerungsprobleme wirft in den kommenden Jahren die Integration der Bereiche Gesundheit, Soziales und Kunst auf, die in einer anderen Bildungstradition stehen (vgl. Ziffer 2.2).

2.7.1

Kompetenzordnung

Eine klare Zuteilung der Kompetenzen ist für die Steuerung einer Verbundaufgabe von grösster Bedeutung. Der Gesetzesentwurf verschreibt sich dem Grundsatz einer stufengerechten Subsidiarität.

­

Der Bund ist für die übergeordneten, landesweiten Belange zuständig, d.h.

für Systementwicklung und -steuerung, Koordination und Transparenz. Er soll nicht einfach überall dort einspringen, wo die Akteure nicht zu Rande kommen.

In der Vernehmlassung wurde häufig kritisiert, dass bei den einzelnen Bestimmungen nicht erwähnt sei, der Bund werde «in Zusammenarbeit mit ...» den übrigen Akteuren tätig. Es sei deshalb ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Zusammenarbeit unter und zwischen den Akteuren erste Priorität zukommt. Dies bringt das neue Gesetz dadurch zum Ausdruck, dass es diese Zusammenarbeit in seinem ersten Artikel festschreibt.

­

Den Kantonen obliegt die Organisation der Berufsbildung vor Ort. Ihnen kommt die Umsetzung der staatlichen Aufgaben zu: regionale Bildungspolitik, Schule und Aufsicht. Die Aufsichtstätigkeit erschöpft sich nicht in obrigkeitlicher Administrativaufsicht, sondern soll vor allem vermittelndes und förderndes Coaching beinhalten. Der Gesetzesentwurf achtet besonders darauf, dass die Kantone im Wortlaut und insbesondere durch die Kompeten-

5729

zenordnung als wesentliche Mitgestalter der Berufsbildung in Erscheinung treten.

Die Vernehmlassung ergab zwei neue Aspekte zur Aufgabenteilung, die im Vernehmlassungsentwurf nicht berücksichtigt waren: die Beteiligung der Kantone an internationalen Verträgen und die Aufsicht über höhere Fachschulen. Der Gesetzesentwurf geht davon aus, dass der Abschluss internationaler Verträge im Rahmen der üblichen Konsultationsmechanismen Bundessache ist und bleiben soll. Bei den höheren Fachschulen hingegen ist ein verstärktes Engagement der Kantone berechtigt und wird durch die neue Finanzierungsregelung entsprechend gefördert.

­

Wirtschaft und Arbeitswelt sind ein tragender Pfeiler der schweizerischen Berufsbildung. Ihre Beteiligung an der Berufsbildung bleibt wie bereits mehrfach erwähnt freiwillig. Das Gesetz beschränkt sich auf Vorschriften zur qualitativen Ausrichtung der Berufsbildung und zum Schutz der Lernenden. Die Wirtschaft stellt den bedeutendsten Teil der Lehrstellen bereit. Sie bestimmt die Anforderungen an die Qualifikationen ihres Nachwuchses und durch ihr Ausbildungsverhalten dessen Qualität und Quantität. Diese Verantwortung kann und soll ihr niemand abnehmen.

Mit der vorgesehenen Systemänderung hin zu einer leistungsorientierten Pauschalfinanzierung erhalten die Kantone eine grössere Autonomie zu Gunsten eines regional differenzierten sachgerechten Mitteleinsatzes. Auf gesamtschweizerischer Ebene erfolgt die direkte Steuerung durch den Einsatz von Subventionen im Hinblick auf Beiträge für Innovationsprojekte (Pilotversuche, Anschubfinanzierungen zur Schaffung selbsttragender Strukturen) und für besondere Aufgaben im öffentlichen Interesse. Hier kommt dem Innovationsrat, in dem die massgeblichen Akteure Einsitz nehmen, eine wesentliche Steuerungsfunktion zu.

2.7.2

Innovationsrat

Die Steuerung der Verbundaufgabe «Berufsbildung» wird über den Innovationsrat institutionalisiert. Er soll als Plattform für die Zusammenarbeit aller massgebenden Akteure im strategischen Bereich, d.h. der zukunftsorientierten Weiterentwicklung der Berufsbildung dienen. Genannt seien die Modernisierung der Berufsbildung in all ihren Facetten; ferner die Integration der bisher kantonalen Berufsbildungen Gesundheit, Soziales und Kunst in ein eidgenössisches Berufsbildungswesen. Auch die Einbettung der Berufsbildung in das gesamte Bildungswesen ist von strategischer Bedeutung.

Die zukunftsbezogene Entwicklung der Berufsbildung wird hauptsächlich über ein Austesten von Innovationsprojekten vorangetrieben. Der Innovationsrat besitzt ein Antragsrecht gegenüber den Bundesbehörden über den Einsatz jenes Teils der Berufsbildungkredite, die für Innovationen und für besondere Leistungen im öffentlichen Interesse bestimmt sind (vgl. Ziffer 3.1.4).

Dem Innovationsrat kommt im Bildungswesen Pilotcharakter für die Bündelung der vielfältigen Interessen zu. Um seine Aufgabe kompetent wahrnehmen zu können, darf er eine bestimmte Mitgliederzahl (sieben bis elf) nicht überschreiten. Er muss daher aus Mitgliedern bestehen, die das Vertrauen der massgebenden Kreise genies5730

sen, ohne sie direkt zu repräsentieren. Die Mitglieder des Innovationsrats werden vom Bundesrat ad personam bestellt.

Die heutige Berufsbildungskommission nimmt eine andere Aufgabe wahr, die sie auch weiterhin erfüllen soll. Als breit angelegtes repräsentatives Organ dient sie hauptsächlich als Drehscheibe für Informationen vom und zum Bund sowie unter den einzelnen Akteuren. Diese Informationsplattform behält ihre Bedeutung für den inneren Zusammenhalt der Berufsbildung. Es ist gerade im Bildungsbereich sehr wichtig, dass sich die vielen Betroffenen mit den Entscheiden identifizieren und sie mittragen können, soll das System nicht in beliebiger Eigendynamik auswuchern.

2.7.3

Qualitätsentwicklung

Je komplexer ein Bereich ist, desto bedeutsamer wird die Übernahme von Verantwortung durch alle Beteiligten. Flexibilität und Offenheit auf Entwicklungen sind ein Grundgebot künftiger Systemsteuerung. Das bedarf der Ergänzung durch neue, der Selbstverantwortung angemessene Kontrollinstrumente: Entwicklung und Sicherung der Qualität haben dafür zu sorgen, dass die angebotenen Inhalte den erwünschten Standards entsprechen.

Die Expertenkommission für das neue Berufsbildungsgesetz hat sich für den Begriff der «Qualitätsentwicklung» entschieden. Sie bringt damit zum Ausdruck, dass Qualität nur gesichert werden kann, wenn sie sich in ständiger Entwicklung befindet.

Die rechtliche Verankerung der Qualitätsentwicklung stellt einen bedeutsamen Teil der neuen Berufsbildungsordnung dar. Heute schon werden Instrumente der Evaluation oder des Controllings zur Verbesserung der Angebote angewendet. Aber erst die gesetzliche Verankerung verpflichtet die Akteure, Qualitätsentwicklung bewusst bei allen Projekten und Handlungen konsequent einzusetzen. Auf dieser Grundlage dürfte sich der Qualitätsgedanke selbst als ein wesentliches Steuerungselement entwickeln, ohne dass das Gesetz eine bestimmte Methode vorschreiben würde.

Die Diskussionen zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen sind ein getreuer Spiegel der jeweiligen Reformbestrebungen. In den Achtzigerjahren bezogen sie sich in erster Linie auf strukturelle Merkmale. Heute orientieren sie sich an der Einzelinstitution. Es hat sich aber noch keine Tradition systematischer Qualitätsentwicklung herausgebildet. Verschiedenes ist ungeklärt, so die Frage nach besonders erfolgreichen Modellen, nach Leistungsindikatoren oder die Einbettung von interner und externer Evaluation in das gesamte Steuerungssystem. Die nicht immer leicht zu verbindenden Elemente sind: ­

Der Evaluation und Qualitätssicherung kommen widersprüchliche Funktionen zu. Sie sollen in der Autonomie der Institution liegen, aber gleichzeitig als Mittel zur Kontrolle, Aufsicht und Steuerung sowie zur Legitimation und Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden.

­

Aufsichtsbehörden bzw. Staat formulieren Minimalstandards bzw. Minimalziele, die von den einzelnen Institutionen erreicht und von externer Seite überprüft werden.

­

Die erweiterte Autonomie bringt neue Aufgaben und Verantwortungen, wozu die Kompetenzen erst noch aufzubauen sind.

5731

­

Mit der erhöhten Autonomie erhalten die lokalen Bildungssysteme die Auflage, eine Selbstevaluation der Organisation vorzunehmen (interne Evaluation). Um «blinde Flecken» zu vermeiden, braucht es aber auch externe Evaluation.

Der Begriff der «Qualität» ist vielschichtig und kann nicht eindeutig definiert und für alle Interessengruppen vorgegeben werden. Daher sind verschiedene Qualitätsbegriffe zu berücksichtigen. Es braucht die Verständigung auf gemeinsame Indikatoren und Standards. Resultate von Forschungen zur Frage «Was sind gute Schulen?» zeigen, dass die Qualität und Effektivität der Lernprozesse nicht lediglich durch das Element Unterricht, sondern auch durch Elemente wie Management, Organisation, Schulklima oder Leistungsanforderungen beeinflusst werden. Konsequenterweise muss die bisher fast ausschliesslich auf den Unterricht fokussierte Qualitätsbeurteilung auf die Bildungsinstitution insgesamt ausgedehnt werden.

Abbildung 11

Neben den neu diskutierten Modellen sind folgende traditionellen Elemente der Qualitätssicherung nicht zu vergessen: ­

Grund- und Weiterbildung der Lehrkräfte. Die Umsetzung von Neuerungen technischer und didaktischer Art stösst häufig in der Verfügbarkeit von entsprechenden Lehrkräften an ihre Grenzen. Um in der Berufspädagogik die erforderliche kritische Masse zu erreichen und rasch flächendeckende Neuerungen umzusetzen, steht dem Bund heute das Schweizerische Institut für Berufspädagogik (SIBP) zur Verfügung (vgl. Ziffer 2.7.5).

­

Finanzierung. Im Sinn der Verantwortlichkeit der Betroffenen sollen die Bundesbeiträge neu in Form von Pauschalen, verbunden mit Leistungsaufträgen, ausgerichtet werden. Ausserdem soll, namentlich in der berufsorientierten Weiterbildung, der Übergang zu einer vermehrt nachfrageorientierten Finanzierung getestet werden können (vgl. Ziffer 3).

­

Organisation. Vorschriften und Organisationsmassnahmen bewirken nichts, wenn sie nicht sachbezogen in die Qualitätssystematik eingesetzt sind. Z.B.

5732

zeitigten Beurteilungsvorschriften so lange keine Wirkung, bis sie als Element der Abschlussnote eine entscheidende Funktion bekamen (zum Prüfungssystem vgl. Ziffer 2.7.6).

­

Lehrpläne. Auch Lehrplanrevisionen können Qualitätsentwicklungsschübe auslösen. Insbesondere sei auf den neuen Lehrplan Allgemeinbildung für die gewerblich-industriellen Berufsschulen verwiesen. Er hat in den letzten vier Jahren vielerorts wesentliche Impulse zur Zusammenarbeit unter der Lehrerschaft und zur Schulentwicklung ausgelöst.

In der Vernehmlassung wurde zu Recht davor gewarnt, aufwändige Systeme zum Mass aller Dinge zu erheben. Im Zentrum soll vielmehr die Kontrolle des eigenen Tuns stehen. Sie muss bei allen Anwendungen gesichert sein und fällt in einer Schule anders aus als in einer Verwaltung, einem Kleinbetrieb oder einem Verband.

Einen pragmatischen Weg haben die Berufsbildungs- und Arbeitsmarktbehörden von Bund und Kantonen mit dem Projekt «EduQua ­ Schweizerisches Qualitätszertifikat für Weiterbildungsinstitutionen» eingeschlagen. Die im Aufbau befindliche Zertifizierung beruht auf Mindeststandards, die die Qualität des Angebotes fördern, Transparenz schaffen und damit den Konsumentinnen und Konsumenten sowie den Subventionsbehörden als Orientierungshilfe dienen.

2.7.4

Berufsbildungsforschung

Berufsbildungsforschung hat in der Schweiz einen geringen Stellenwert, obwohl das gegenwärtige Bundesgesetz bereits einen Forschungsförderungsartikel kennt. Die einschränkenden Bedingungen, wie sie der geltende Artikel 62 formuliert, liessen jedoch weder kritische Masse noch Kontinuität entstehen 15.

Die OECD stellte in ihrem Länderexamen von 1990 für die Schweiz einen Mangel an Koordination in der staatlich geförderten Bildungsforschung fest und sprach sich für eine bessere Abstimmung gerade auch im Berufsbildungsbereich aus. 1992 wurde die Koordinationskonferenz Bildungsforschung (CORECHED) gegründet, in der Bund und Kantone vertreten sind. Ihr Mandat wird derzeit überarbeitet, damit die Berufsbildungsforschung künftig gleich wie die Bildungsforschung auf der nationalen Ebene besser koordiniert werden kann.

Gemäss einem Expertenbericht von 1999 über die Berufsbildungsforschung zuhanden der EDK bestehen die alten Mängel nach wie vor:

15

­

Die Berufsbildungsforschung hat als Forschungsdisziplin eine schwache Identität.

­

An den Universitäten gilt sie als wenig interessant.

­

Innerhalb der Berufsbildungspolitik orientiert sie sich stark an der Aktualität der Politik, was zu wenig Forschungskontinuität erlaubt.

­

Es fehlen nationale Schwerpunkte und eine nationale Koordination.

­

Vielen Institutionen fehlt die kritische Masse von Bildungsforschenden.

Die Berufsbildungsforschung «wird in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und den Institutionen der Berufsbildung betrieben ...».

5733

Der wichtigste Auftraggeber für Berufsbildungsforschung ist das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT. In der Folge des Nationalen Forschungsprogramms 10 «Bildung und das Wirken in Gesellschaft und Beruf» wurde 1986 die Schweizerische Gesellschaft für angewandte Berufsbildungsforschung SGAB gegründet. Grössere Kantone unterhalten pädagogische Arbeitsstellen. Dokumentiert wird die Berufsbildungsforschung von der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung SKBF. Mit der Schaffung von Pädagogischen Hochschulen wird sich in der Schweiz ­ zumindest mittelfristig ­ das Potenzial auch für die Berufsbildungsforschung erhöhen.

Die bisherigen Aktivitäten des Bundes haben dazu beigetragen, die Berufsbildungsforschung an den Hochschulen zumindest punktuell zu fördern. Eine konkrete Möglichkeit zur Schaffung von stabilen, langfristig angelegten Kompetenznetzwerken und nationalen Forschungsschwerpunkten eröffnet sich mit der vom Parlament verabschiedeten Botschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Technologie in den Jahren 2000 ­ 2003. In diesem Rahmen wurde der Aufbau eines Leistungsbereichs Berufsbildungsforschung der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) angekündigt und mit zehn Millionen Franken für vier Jahre ausgestattet.

Durch den neuen Leistungsbereich der KTI soll die Berufsbildungspolitik künftig besser mit empirischen Daten über die Berufsbildung, mit Prognoseinstrumenten und Trendberichten sowie mit Evaluationen von Teilen des Berufsbildungssystems unterstützt werden. Am Schweizerischen Institut für Berufspädagogik (SIBP) und geeigneten Hochschulinstituten soll wissenschaftliche Kompetenz für die Berufsbildungsforschung auf- bzw. ausgebaut werden. Unerlässlich für den Aufbau von Forschungskompetenz ist ein international zusammengesetzter wissenschaftlicher Beirat.

Folgende Forschungsthemen stehen derzeit im Vordergrund: ­

Kosten und Nutzen der Berufs- und Weiterbildung; Steuerung und Sicherung der Qualität;

­

Lehren und Lernen; Übergänge in den Arbeitsmarkt;

­

Analyse und Entwicklung neuer Berufe, Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologie für die Berufsbildung;

­

Förderung der Frauen;

­

Förderung der Lernbegabten, der Lernschwachen und der Bildungsbenachteiligten.

2.7.5

Neuorientierung des SIBP

Das heutige Schweizerische Institut für Berufspädagogik (SIBP) soll unter neuem Namen zu einem Kompetenzzentrum von Bund und Kantonen für Bildung und Forschung mit einem klaren Schwerpunkt in der Berufspädagogik ausgebaut werden.

Für andere Bereiche der Berufsbildungsforschung sind die erforderlichen Kompetenzen primär an den Hochschulen aufzubauen, mit denen das Institut kooperiert.

Durch die intensivierte Zusammenarbeit mit den Kantonen soll namentlich im Lehr-

5734

bereich für die Weiterbildung der Lehrkräfte auf Sekundarstufe II ein Kompetenznetzwerk heranwachsen.

Das SIBP hat sich als Institution des Bundes für die Grund- und Weiterbildung von Berufsschul-Lehrkräften etabliert. Gesamtschweizerischer Schwerpunkt ist die Bildung der Fachkundelehrkräfte aus gewerblich-industriellen Berufen. Der sprachregionale Zusammenzug von Lehrkräften aus anderen Bereichen (z.B. Allgemeinbildung, kaufmännische Fächer) erlaubt es darüber hinaus, die kritische Grösse von Klassen zu erreichen. Die gegenwärtige Neuorientierung der schweizerischen Lehrerbildung insgesamt und die regional unterschiedlichen Nachfrageprofile an den drei SIBP-Standorten Zollikofen bei Bern, Lausanne und Lugano verlangen nach einer Neupositionierung der Leistungsangebote des Institutes in einer veränderten Umwelt.

Die Neuordnung des SIBP hat sich primär an der Frage zu orientieren, welche Aufgaben künftig von einer solchen Institution im nationalen Rahmen zu erfüllen sein werden. Genannt seien insbesondere: ­

Grund- und Weiterbildung von Lehrkräften für Berufsschulen (einschliesslich Praxisberater und -beraterinnen, betriebliche Instruktoren und Instruktorinnen sowie Fachpersonen für Lernförderung);

­

Weiterbildung auf Sekundarstufe II für Berufsschul- und Mittelschullehrkräfte sowie allenfalls für Fachhochschuldozierende im Rahmen eines nationalen Kompetenzzentrums;

­

angewandte Forschung im Bereich Berufspädagogik (z.B. Berufsfelddidaktik, Nutzung von I+K-Technologien usw.), Entwicklung und Wissenstransfer durch Aus- und Weiterbildung, Pilotversuche in Schulen und Betrieben, Förderung benachteiligter Gruppen usw.;

­

Modularisierung und Akkreditierung von Berufsbildungs-Modulen;

­

Qualitätsentwicklung als Steuerungsinstrument der Berufsbildungspolitik insbesondere bezogen auf Berufsschulen (z.B. Entwicklung von Standards, Qualitätsmodellen, Indikatoren für Effizienzprüfungen);

­

Schweizerische Plattform für Information und Dokumentation über Berufsbildung (z.B. für Lehrkäfte, betriebliche Bildungsverantwortliche, Berufsberatende usw.);

­

Kooperationen und Kontakte mit Institutionen der Berufsbildung im In- und Ausland.

Wegweisend für Trägerschaft, Führungsstruktur und Führungsgrundsätze des Instituts wird die Bestimmung des künftigen Kerngeschäftes auf nationaler Ebene und des sprachregionalen Wirkungskreises sein. Zudem haben sie sich an der neuen Realität der schweizerischen Lehrerbildung (z.B. Pädagogische Hochschulen) und an den Kernkompetenzen künftiger Partner auszurichten.

Berufsbildung und Sekundarstufe II sind bedeutende Berührungsfelder von Bund und Kantonen, deren Abgrenzung im Hinblick auf die Bildung der Lehrkräfte noch zu leisten ist. Die Berufspädagogik braucht eine kritische Masse, die mit der Integration in die kantonalen Lehrerinnen- und Lehrerbildungen nicht erreicht würde. Es besteht aber ein Interesse an einer eigenständigen Berufspädagogik, die sich von der allgemeinen Bildung der Lehrkräfte durch die Herkunft der Lehrenden (Berufsleute 5735

als Fachkundelehrer) und durch die besonderen didaktischen Anforderungen unterscheidet. Letztere charakterisieren sich durch eine Vielzahl verschiedener Fachkunde-Richtungen, ein sehr breites Fach Allgemeinbildung (Sprache, Wirtschaft, Politik u.a.m.) sowie durch die Tatsache, dass der Unterricht als einziger nach der Sekundarstufe I für die Lernenden obligatorisch ist.

2.7.6

Qualifikationsverfahren ­ Prüfungen und Abschlüsse

Abschlussprüfungen sind eines der wesentlichsten Steuerungselemente der Berufsbildung. Sie wirken mittelbar und unmittelbar bis in die tägliche Vermittlung des Wissens hinein. Nicht nur der Stoff, auch die Lehrmittel sind häufig auf die Prüfungen ausgerichtet. Veränderte Anforderungen an die berufliche Bildung verlangen deshalb nach neuen Prüfungsmethoden. Qualifikationsverfahren, die Fach-, Sozialund Methodenkompetenzen berücksichtigen, sehen anders aus, als wenn es nur um das Abfragen von Fachwissen geht.

Das neue Berufsbildungsgesetz spricht nicht mehr nur von Prüfungen, sondern von Qualifikationsverfahren. Dadurch wird der Einsatz unterschiedlicher Methoden und Instrumente ermöglicht. Es erlaubt den Branchen und Schulen, die für sie passenden Modelle selbst zu bestimmen. Indem Entscheide über Form und Inhalt der Verfahren beim Bund liegen, ist es trotzdem möglich, mit unterschiedlichen Bildungsgängen zu gleichen Abschlüssen zu kommen. Eine weitere Objektivierung ist gegeben, indem die Qualifikationsverfahren auf dem Prinzip der Fremd- und nicht der Selbstevaluation beruhen.

Prüfen, was wirklich gebraucht wird Ursprünglich wurden Berufslehren mit der Fertigung eines «Gesellenstückes» abgeschlossen. Später kamen Prüfungsgespräche über die Berufstheorie und über allgemein bildende Kenntnisse hinzu. Nach und nach wurden die Prüfungen immer mehr formalisiert: Die Arbeitsprüfung wurde an einem Prüfungsstück ohne praktischen Nutzen abgenommen, Theorie und Allgemeinbildung in schriftlichen Tests überprüft. Objektivität und Zuverlässigkeit nahmen zu. Hingegen wurde immer fraglicher, ob solche Prüfungen wirklich das prüfen, was für die berufliche Tätigkeit benötigt wird.

Gegenwärtig kehrt man verstärkt zu praxisnahen Verfahren zurück, die zudem in der Lage sind, auch Methoden- und Sozialkompetenzen zu erfassen. Bestandteil der Lehrabschlussprüfung kann z.B. auch eine Projektarbeit zu einem betrieblichen Thema sein, die vom Betrieb und der Schule gemeinsam betreut wird. Parallel dazu werden formalisierte Prüfungen weiterentwickelt, zum Beispiel zu computergestützten Tests. So können Kenntnisse rasch, objektiv und zuverlässig erfasst werden.

Bei grossen Kandidatenzahlen sind sie zudem wirtschaftlich.

Die neuen Verfahren sind wichtige Ergänzungen zur Flexibilisierung des Systems.

Auf absehbare Zeit werden aber nach wie vor die Lehrabschlussprüfungen im Zentrum stehen, deren Formen sich ebenfalls im Umbruch befinden.

5736

Bildungsweg und Abschlusspapier getrennt Die klassischen «stromlinienförmigen» Laufbahnen weichen immer mehr so genannten Patchwork-Karrieren mit Brüchen und Lücken, mit Aufgabe von Berufstätigkeit für eine Familienphase und anschliessendem Wiedereinstieg. Auch auf Grund der Migration stellen sich Probleme verpasster oder nachträglicher Zusatzqualifizierungen.

Der Entwurf zum Berufsbildungsgesetz trennt Bildung und Qualifikationsverfahren.

Damit wird sichergestellt, dass verschiedene Bildungswege zum Ziel, d.h. zu einem anerkannten Abschluss führen können. Alternativen zur Lehrabschlussprüfung sind namentlich Baukastensysteme: Modulare Wege setzen flexible Angebote zur Anerkennung von Qualifikationen, d.h. zur Möglichkeit von Abschlüssen voraus. Das steht im Einklang mit internationalen Entwicklungen. Vor allem in wettbewerbsorientierten Bildungssystemen wird die Prüfung von unabhängigen Instanzen abgenommen, in den USA sogar von privaten Unternehmen, beispielsweise dem Educational Testing Service.

Zentrale und dezentrale Prüfung In der Berufsbildung sind heute Prüfungen die Regel, in denen über einen Kanton oder sogar über eine ganze Sprachregion hinweg mit den gleichen Aufgaben und nach den gleichen Massstäben geprüft wird. Anders in den Gymnasien. Hier wird seit jeher nach dem Grundsatz «Wer lehrt, der prüft» gehandelt. Der Entwurf zum neuen Berufsbildungsgesetz lässt beide Varianten zu.

Zentrale Prüfungen sind effizient in der Vorbereitung, gestatten eine übergreifende Qualitätssicherung, indem die Leistungen von Absolventen mehrerer Schulen und Betriebe verglichen werden können, und scheinen darum den Kriterien der Objektivität zu genügen. Dennoch wird immer wieder bezweifelt, dass solche Prüfungen wirklich objektiv sind. Sie bestimmen zudem den Unterricht mehr, als der Lehrplan dies tut («Das müssen wir können, das wird geprüft!»). Ferner gibt es keine Verfahren, mit denen Sozial- und Methodenkompetenzen in einer zentralen Prüfung geprüft werden können, und die Prüfungsanforderungen haben sich oft sehr weit von der Praxis der Berufstätigkeit entfernt.

Bei dezentralen Qualifikationsverfahren, zu denen auch die Erfahrungsnoten zählen, definiert eine Schule, ein Betrieb oder ein Berufsbildner selbst die Anforderungen innerhalb eines vorgegebenen Rahmens. Dezentrale Qualifikationsverfahren
werden gegenwärtig beim allgemein bildenden Unterricht und bei der Arbeitsprüfung in den Berufen der Maschinenindustrie eingeführt. Sie zeichnen sich durch Flexibilität aus.

Insbesondere erlauben sie die Berücksichtigung der Möglichkeiten der Lehrbetriebe, aber auch der Interessen von Lernenden und Lehrenden. Für den übergreifenden Vergleich ­ Voraussetzung für die Qualitätssicherung ­ sind jedoch zusätzliche Instrumente erforderlich. Vorbereitung und Auswertung sind aufwändig, was sich in entsprechenden Kosten niederschlägt.

Teilprüfungen Bei der Berufslehre wird üblicherweise der ganze Unterrichtsinhalt in einer einzigen Prüfungssession am Schluss der Bildung geprüft. Das neue Berufsbildungsgesetz sieht hingegen Teilprüfungen ausdrücklich vor. Dies entspricht den Gepflogenheiten im schulischen Bereich und kann auch einer sinnvollen Selektion dienen.

5737

Gegen Teilprüfungen in der beruflichen Grundbildung spricht die Befürchtung, dass übergreifende Gesichtspunkte verloren gehen. Von den Betroffenen selbst werden sie befürwortet, weil der Prüfungsstress abnimmt. Teilprüfungen stellen zudem eine Voraussetzung für eine stärkere Gliederung von Bildungsgängen dar, sei es in Grund- und Aufbaustufen, sei es eine vermehrte Modularisierung.

Portfolio Eine neue Entwicklungslinie besteht darin, dass Experten die vorhandenen Kompetenzen anhand eines Portfolios des Kandidaten beurteilen. Unter einem Portfolio wird eine Sammlung von Arbeitszeugnissen, Arbeitsergebnissen, Kursausweisen und weiteren Belegen für die vorhandenen Kompetenzen verstanden. Diese dienen als Grundlage für die Beurteilung der Fähigkeiten der Kandidatinnen und Kandidaten.

Ein solches Qualifikationsverfahren ist üblich bei künstlerischen Berufen, aber auch bei der Einstufung durch die «Stiftung der schweizerischen Register der Ingenieure, der Architekten und der Techniker» (REG). Vor allem in Frankreich, Kanada und Australien wird es eingesetzt für Personen mit ungewöhnlichen Bildungsgängen. In Europa wird es zur Zeit stark diskutiert im Zusammenhang mit der Anerkennung von Kompetenzen, die ausserhalb formeller Bildungsgänge erworben wurden, beispielsweise von Frauen oder Männern in der Familienphase.

3

Finanzierung

Die Finanzierung der Berufsbildung stellt neben der neuen Bildungssystematik und den erweiterten Bildungsangeboten ein Kernelement der Revision dar. Im Verlauf der Gesetzesarbeiten machte sich zunehmend eine systembedingt unbefriedigende Datenlage bemerkbar. Wegen unterschiedlichen Verbuchungen in den Kantonen und nicht erkennbaren Finanzströmen selbst innerhalb von Verbänden fehlten zuverlässige Entscheidungsgrundlagen.

Auslöser für weiter gehende Überlegungen war die Abschätzung des Mehraufwands, der sich für den Bund aus der Ausweitung der Bundeskompetenz auf die Gesundheits-, Sozial- und künstlerischen Berufe (GSK) ergibt. Das BBT gab im Frühjahr 1999 bei der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich einen Bericht zur Finanzierung der Berufsbildung durch die öffentliche Hand 16 in Auftrag.

Die von der KOF ermittelten Daten zeigen erhebliche Unterschiede in den Ausgaben pro Schülerinnen und Schüler sowohl nach Berufsgruppen und Ausbildungsstufen als auch nach Kantonen. Ein beträchtlicher Teil dieser Unterschiede ist gemäss KOF-Studie statistischer Natur (Inkonsistenzen zwischen Finanz- und Schülerstatistik, Doppelzählungen usw.). Deutliche Unterschiede bestehen ferner im Anteil der betrieblichen Ausgaben, die nicht direkt mit dem theoretischen Unterricht im Zusammenhang stehen. Während bei der klassischen Betriebslehre der Schulbesuch von der praktischen Ausbildung relativ klar getrennt ist, werden bei Lehrwerkstätten und bei den Ausbildungen im Gesundheitsbereich Kosten für den betrieblichen Unterhalt sowie das Verwaltungs- und Betriebspersonal teilweise unter den Bildungs16

Andres Frick und Daniel Staib, Öffentliche Finanzierung der Berufsbildung in der Schweiz, Oktober 1999, Zürich (www.kof.ethz.ch/papers/BBT_Bericht.pdf).

5738

ausgaben verbucht. Schliesslich spielen auch reale Kostenfaktoren eine Rolle, z.B.

unterschiedliche Lehrerlöhne oder der höhere Sachaufwand im technischen gegenüber dem kaufmännischen Bereich.

Die KOF-Studie legt in aller Schärfe die Intransparenz der Finanzierung der Berufsbildung offen. Im bestehenden Finanzierungssystem ist ein Mehr an Transparenz und damit an Handlungsfähigkeit im Hinblick auf die Effizienz der eingesetzten Mittel nicht zu erreichen. Dazu bedarf es ­ bei aller Unsicherheit auch hier ­ eines Systemwechsels in der Finanzierung. Die Chance eines Neubeginns ist insofern günstig, als sich durch die umfassende Bundeskompetenz auch neue Konstellationen für die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Berufsbildung ergeben.

3.1

Ein neues Finanzierungsmodell

Das gegenwärtige System ist nicht nur intransparent, sondern setzt auch falsche Signale. Sein Konzept der «anrechenbaren Kosten» unterstützt den Aufwand, statt leistungsorientierte Anreize für einen effizienteren Einsatz der verfügbaren Ressourcen zu vermitteln. Verschiedene Pro-Kopf- und Äquivalenz-Berechnungen zeigen zudem, dass der angestrebte Finanzausgleich sein Ziel in keiner Weise erreicht. Die Kantone erhalten stark unterschiedliche Bundesbeiträge, die weder durch Unterschiede in der Finanzkraft noch durch unterschiedliche Anteile an schulischen Angeboten hinreichend erklärt werden können. Insofern drängt sich ein Systemwechsel auf.

Der in die Vernehmlassung gegebene Gesetzesentwurf schlug eine Status-quoLösung vor, ergänzt um Möglichkeiten einer vermehrten Leistungsorientierung.

Dem an sich sachfremden und in der Berufsbildung auch verfehlten Finanzausgleich stellte der Entwurf einen durchschnittlichen Einheitssatz entgegen in der Überlegung, dass sich die Probleme der Berufsbildung ebenso wenig an kantonale Grenzen halten wie z.B. zusätzliche Agglomerationskosten bzw. -vorteile. In der Vernehmlassung wurde die Orientierung am Status quo ebenso kritisiert wie die Abkehr vom Finanzausgleich. Als Alternative kommt nur ein grundlegender Systemwechsel in Frage.

3.1.1

Höhere Bundesleistungen

In dem einen Punkt ist die Vernehmlassung eindeutig: Berufsbildung ist eine strategische Aufgabe; die öffentliche Hand darf ihr Engagement nicht abbauen, dasjenige des Bundes ist zu erhöhen. Die Kantone fordern einen durchschnittlichen Bundesanteil an den Berufsbildungsausgaben der öffentlichen Hand von 30 Prozent gegenüber heute rund 20 Prozent. Das entspreche der umfassenden Regelungskompetenz, die der Bund neu in der Berufsbildung innehabe und die den Kantonen bei jedem kostenwirksamen Entscheid überproportionale Kosten aufbürde.

Eine Erhöhung des Bundesengagements drängt sich insofern auf, als gemäss der auf Januar 2000 in Kraft getretenen nachgeführten Verfassung auch die Bereiche Gesundheit, Soziales und Kunst in die Regelungskompetenz des Bundes zu überführen sind. Stellt man auf die bisherige Regelung für die gewerblich-industriellen Berufe ab, so beziffern sich die mit dem neuen Verfassungsauftrag verbundenen Kosten ­ 5739

gemäss Schlussbericht der KOF und von den beteiligten Kreisen als sachgerecht empfunden ­ auf jährlich siebzig Millionen Franken. Sie liegen damit wesentlich unter dem in den Vernehmlassungsunterlagen vom Mai 1999 genannten ersten Schätzwert von 190 Millionen Franken.

Neuerungen in der Berufsbildung sind ohne zusätzliche Kosten nicht zu verwirklichen. Im Sinne einer Zukunftsinvestition und wegen seiner Zuständigkeit für die strategische Weiterentwicklung der Berufsbildung hat der Bund auch unter diesem Titel ein höheres Engagement zu übernehmen. Dafür werden auf Grund der Erfahrungen mit den Lehrstellenbeschlüssen jährliche Zusatzkosten für den Bund von 25 Millionen Franken veranschlagt. Die für Innovationen zur Verfügung stehenden Mittel dürften sich nahezu verdoppeln, weil sie in der Regel durch entsprechende Eigenleistungen der Kantone oder sonstiger Interessierter ergänzt werden sollen.

Wir schlagen künftig eine Kostenbeteiligung des Bundes von 25 Prozent an den Berufsbildungsausgaben der öffentlichen Hand vor17. Diesem Richtwert von einem Viertel entspricht aus heutiger Sicht eine Erhöhung der Bundesausgaben von rund 150°Millionen Franken pro Jahr.

Eine modernisierte und deshalb attraktivere Berufsbildung mit ihren differenzierten Angeboten verursacht allerdings nicht nur Mehrkosten, sondern vermag die öffentlichen Haushalte (Bildungs- und Sozialetats) in verschiedener Hinsicht zu entlasten: ­

Effizienzgewinne dank einer auf Durchschnittsleistungen bezogenen Pauschalierung der Bundesbeiträge;

­

Entlastung der allgemein bildenden Schulen (z.B. Gymnasien) infolge attraktiverer Berufsbildungsangebote (etwa 10 Mio. Fr./J. pro 1000 Lernende);

­

Entlastung der Sozialversicherungen dank systematischerer Integration von Problemfällen in die Berufswelt (bis zu 18 Mio. Fr./J. pro 1000 Jugendliche);

­

Konzentrationsprozesse, die sich akzentuieren werden, z.B. Zusammenlegen industriell-gewerblicher und kaufmännischer Bildungen in regionale Berufsbildungszentren, Integration der Gesundheits-, Sozial- und Kunst-Berufe, vermehrte überregionale Kooperationen.

Zudem nimmt die Anzahl der auszubildenden Personen pro Jahrgang nach 2005 aus demografischen Gründen tendenziell ab.

3.1.2

Systemwechsel

Die Festlegung eines Bundesanteils als Richtgrösse für die Finanzierung stellt noch keinen Systemwechsel dar. Der vorgeschlagene Systemwechsel besteht darin, dass die bisher an «anrechenbaren Kosten» (hauptsächlich plafonierte Lehrerlöhne und Schulmaterial) orientierten Bundesbeiträge durch leistungsorientierte Lehr- bzw.

Ausbildungsvertragspauschalen ersetzt werden, ergänzt um die Subventionierung 17

Im Fachhochschulbereich subventioniert der Bund 33 Prozent auf Grund von Kopfpauschalen. Im Bereich der kantonalen Universitäten partizipiert der Bund an den Betriebsausgaben insgesamt mit 26 Prozent. In beiden Bereichen werden die Bundesbeiträge nicht nach Finanzkraft der Kantone abgestuft.

5740

von Neuerungen und von besonderen im öffentlichen Interesse erbrachten Leistungen. Für die gezielte Subventionierung der Innovationen und der besonderen Leistungen sollen zehn Prozent der Bundesmittel eingesetzt werden. Der Einsatz dieser Mittel wird durch den Innovationsrat gesteuert (vgl. Ziffer 2.7.2) Die dem Richtwert von einem Viertel der Berufsbildungsaufwendungen der öffentlichen Hand entsprechende Summe ist vom Parlament zu bestimmen. Sie soll jeweils alle vier Jahre im Rahmen der Botschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Technologie (BFT) ausgehandelt werden. Diese Aushandlung hat sich an einem längerfristigen Durchschnitt der Gesamtausgaben der vorangehenden Jahre zu orientieren. Wir stellen heute bei den Bundesbeiträgen von einem Jahr zum anderen Ausschläge fest, die teilweise zehn Prozent der Gesamtsumme klar übersteigen.

Jeder Systemwechsel hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Betroffenen. Der Zeitpunkt für einen Wechsel scheint indessen günstig: Der Übergang wird vor allem dadurch abgefedert, dass der erweiterte Geltungsbereich zusätzliche Subventionen auslöst. Weil zudem jede Anpassung an ein neues System ihre Zeit braucht, ist eine weitere Abfederung durch eine Übergangslösung in Form einer stufenweisen Überführung des frankenmässigen Status quo in eine neue Ordnung beabsichtigt, abgestimmt auf die Übergangsfrist des Gesetzes. Zudem soll in der Berechnung der Pauschalen die kantonale Finanzkraft in geeigneter Weise berücksichtigt werden, solange der neue Finanzausgleich nicht in Kraft ist.

3.1.3

Pauschalen

Aus Gründen der Einfachheit, der Transparenz, der klaren Zuweisung von Verantwortlichkeiten und wirksamer Anreize favorisieren wir an Stelle der bisherigen aufwandorientierten «anrechenbaren Kosten» ein neues System mit Pauschalen, die auf Lehr- bzw. (vor allem für Berufe im Gesundheits- und Sozialbereich) auf Ausbildungsverträge abstellen. Eine wesentliche Voraussetzung für die einfache Handhabe der Pauschalen besteht darin, sie nicht zu sehr nach den unterschiedlichsten Gesichtspunkten zu differenzieren.

Die Pauschalen werden mit den gesetzlichen Vorgaben oder mit projektbezogenen Auflagen verbunden. Die Pauschalbeiträge an die Kantone decken die gesetzlich festgelegte Grundlast ab. Das lässt den Betroffenen die Wahl und damit auch die Verantwortung des Mitteleinsatzes. Die Pauschalen sollen auch dort, wo sie Dritte betreffen, grundsätzlich über die Kantone abgewickelt werden.

5741

Abbildung 12

Berechnungen: KOF / BSS Betriebsbeiträge des Bundes an die Kantone (Durchschnitt 1993-1996), ergänzt durch höhere Bundesbeteiligung von 150 Millionen Franken/Jahr; zunächst proportional hochgerechnet, dann umgelegt auf Lehrvertragspauschalen ohne Korrektur, korrigiert nach durchschnittlichem Subventionsanteil gemäss geltender Regelung und nach Finanzkraft-Index. Die Referenzperiode wurde so gewählt, dass verschiedene Parameter im Hinblick auf differenzierte Pauschalen durchgerechnet werden konnten (vgl. Ziffer 3.1.1).

5742

Diese haben die Aufsicht vor Ort und sind heute bereits mit der Subventionsabwicklung nach BBG betraut. Sie unterstützen auch zusätzlich, über den Bundesbeitrag hinaus, verbandliche Angebote wie überbetriebliche Kurse («Einführungskurse») und Vorbereitungen auf Berufs- und höhere Fachprüfungen sowie teilweise höhere Fachschulen.

Lehr- bzw. Ausbildungsvertragspauschalen weisen folgende Vorzüge auf: ­

Sie beruhen auf der genauesten Statistik, sind am schnellsten verfügbar und umfassen eine grosse Zahl (statistischer Ausgleich).

­

Sie setzen ein Zeichen, das die Berufsbildung nicht verschult, weil der finanzielle Handlungsspielraum der Schulträger eingeschränkt wird.

­

Es gibt gegenüber heute am wenigsten Verlierer, wie der Vergleich mit Modellrechnungen auf anderer Grundlage zeigt.

­

Sie entsprechen dem Lehrort-Prinzip des Gesetzes und privilegieren die Schulkantone nicht.

Ob und wie die Pauschalen differenziert werden müssen ­ d.h. allenfalls abgestuft nach Grund- und Weiterbildung oder nach einigen wenigen grossen Berufsfeldern ­, ist eine technische Frage und wurde im Hinblick auf den Verordnungsentwurf im Einvernehmen mit kantonalen Experten anhand von Modellrechnungen genauer untersucht.18 Die Abklärungen haben ergeben, dass sich eine Abstützung auf die Lehr- bzw. Ausbildungsverträge nicht wesentlich von Differenzierungen nach Berufs-, Bevölkerungs- oder Bildungsanteilen unterscheidet.

Als Gegenstück zu den Pauschalen sind auf Bundesseite ein effektives Controlling sowie Sanktionsbestimmungen bei Missbräuchen zu schaffen. Auch wird klar zu unterscheiden sein zwischen den an einer Grundlast orientierten Kopfpauschalen, längerfristig angelegten besonderen Leistungen und der eindeutig begrenzten Förderung von innovativen Forschungs- und Entwicklungsprojekten.

3.1.4

Innovationen und besondere Leistungen

Für die Weiterentwicklung der Berufsbildung ist die Ergänzung der Pauschalen in Form von gezielt eingesetzten Beiträgen für Innovationen wichtig. Dazu kommt, auch aus Gründen der Transparenz, ein Lastenausgleich zu Gunsten besonderer Aufgaben im öffentlichen Interesse.

Es wird immer Leistungen geben, die trotz grundsätzlich defizitärer Natur im öffentlichen Interesse zu erbringen sind: z.B. die Integration von Problemgruppen, die Aufrechterhaltung struktur- bzw. regionalpolitisch erwünschter Angebote (z.B. für sprachliche Minderheiten, für Berufe mit besonders kleinen Lehrlingszahlen). Diese Art von Leistungen ist längerfristig angelegt.

Zu den besonderen Leistungen kommen zeitlich befristete Fördermassnahmen für Innovationsprojekte, sei dies in Form von Studien und Pilotprojekten oder um in be18

Patrick Parisi, Pauschalierung von Bundesbeiträgen für die Berufsbildung, verschiedene Modelle und deren Auswirkungen für die Kantone, BSS Volkswirtschaftliche Beratung, Basel 2000.

5743

stimmten Bereichen eine Infrastruktur überhaupt erst herzustellen (Anschubfinanzierungen). Die Kantone und andere Interessierte sollen in der Regel die Hälfte an die Kosten von Innovationsprojekten beitragen. Auf diese Weise wird ein ausreichender Betrag für Innovationen ebenso gesichert wie das Engagement und die Mitwirkung der beteiligten Akteure. Besonders in diesem Bereich ist darauf zu achten, dass sich Vorhaben nicht in ständigen Anschlussprojekten perpetuieren, sondern dass der Übergang bewährter Innovationen in den Bereich der pauschalierten Grundangebote gesichert wird.

Die Gewährung von Subventionen für einzelne Projekte stützt sich auf entsprechende Anträge des Innovationsrates ab. Die vorgesehenen Finanzmittel von zehn Prozent des jeweiligen Berufsbildungskredites sollten eine effiziente Einflussnahme garantieren.

3.2

Branchenbezogene Berufsbildungsfonds

Über Berufsbildungsfonds sollen Unternehmungen, die sich nicht selbst in der beruflichen Grundbildung engagieren, an deren Kosten beteiligt werden.

Die steigenden Anforderungen an die Berufsbildung führen in verschiedenen Kreisen immer wieder zur Frage, wie die entsprechenden Mehrausgaben zu finanzieren seien. Neben einem Mehrengagement der öffentlichen Hand wird vor allem von gewerkschaftlicher Seite eine vermehrte Beteiligung der Wirtschaft gefordert. Innerhalb der Wirtschaft wird die Problematik der «Trittbrettfahrer« thematisiert.

Durch die im Herbst 1999 eingereichte Volksinitiative «für ein ausreichendes Berufsbildungsangebot (Lehrstelleninitiative) ­ Lipa» ist die Problematik von Berufsbildungsfonds zum Politikum geworden. Die Lipa spricht sich für eine staatliche Lösung aus, die die Wirtschaft insgesamt vermehrt in die Pflicht nimmt. Sie fordert einen eidgenössischen Berufsbildungsfonds und darüber hinaus ein Recht auf Bildung. Diese Forderungen sind Gegenstand einer separaten Botschaft, die der Bundesrat den eidgenössischen Räten demnächst unterbreiten wird.

Hingewiesen sei auch auf die im Kanton Zürich lancierte Volksinitiative der Jungfreisinnigen für eine Lehrstellengutschrift. Sie fordert eine Reduktion der Staatssteuer um 4000 Franken pro Lehrstelle und Kalenderjahr. Seit der parlamentarischen Behandlung des Berufsbildungsberichts im Jahr 1997 ist die Forderung nach einem Bonus/Malus und anderen Massnahmen zur Förderung von Lehrstellen (Bevorzugung bei Submissionen usw.) nicht mehr verstummt. Im Frühjahr 2000 wurde der parlamentarischen Initiative «Berufsausbildungspflicht für konzessionierte Privatanbieter bei Telecom, Post und Bahnen» (99.450) Folge gegeben.

Die Auswertung der Erfahrungen von Ländern, die ebenfalls ein duales System praktizieren, zeigt als Fazit, dass es den Königsweg nicht gibt ­ seien dies Fondslösungen, steuerliche Entlastungen, gesetzliche Ausbildungspflicht in Verbindung mit der Möglichkeit des steuerlichen Freikaufs oder die Bevorzugung von ausbildenden Betrieben bei der öffentlichen Auftragsvergabe (vgl. Anhang 1).

Der Gesetzesentwurf verfolgt eine Linie, die privatwirtschaftliche Eigeninitiative mit subsidiärem staatlichen Handeln verbindet. In Ergänzung zur Finanzierung der Berufsbildung aus den öffentlichen Haushalten und dem bereits vorhandenen finanziellen Engagement der für die Berufsbildung zuständigen Organisationen ermög5744

licht der Gesetzesentwurf privatwirtschaftliche branchenbezogene Ausbildungsfonds, an denen sich auch Branchenangehörige zu beteiligen haben, die nicht Mitglied des entsprechenden Verbandes sind. Unternehmen, die sich nicht freiwillig an den Berufsbildungsausgaben der zuständigen Organisationen in einem Wirtschaftszweig beteiligen ­ sogenannte Trittbrettfahrer ­ sollen zur Entrichtung angemessener Solidaritätsbeiträge verpflichtet werden können.

Gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf wurde die Rolle des Bundes zurückgenommen und ausschliesslich auf eine «Allgemeinverbindlicherklärung» privatwirtschaftlicher Fondslösungen beschränkt. Eine finanzielle Beteiligung des Bundes wird gestrichen. Die Aufsicht liegt beim Bund. Er kann für die Ausübung seiner Aufsichtstätigkeit Dritte beiziehen. Eine Verbands-Zwangsmitgliedschaft bleibt ausgeschlossen, und es wird nach wie vor ein substanzielles Quorum für die von Staates wegen verfügte allgemeine Verbindlichkeit eines Branchenfonds erforderlich sein.

Eine Konkurrenz von Branchen- und kantonalen Fonds19 ist nicht zu befürchten.

Ziele und Mittelverwendung sind völlig unterschiedlich.

Aus ordnungspolitischer Sicht ist die Einrichtung derartiger Berufsbildungsfonds unbedenklich. Branchenbezogene Fonds ermöglichen eine solidarische Lastenverteilung. Staatliches Handeln erfolgt ausschliesslich auf Antrag der Betroffenen. Insbesondere aber ermöglichen solche Fonds eine unerlässliche Differenzierung. Lange nicht überall fallen mit einer Berufsbildung Kosten an, die nicht durch die produktive Leistung der Lernenden kompensiert würden.

Zur Abklärung der wirtschaftlichen Aspekte, die mit den so genannten Bonus-/Malus-Lösungen verbunden sind, hat das BBT ebenfalls bei der KOF eine Studie in Auftrag gegeben20. Diese unterscheidet drei Stufen der Interventionsintensität: ­

Die reine Marktlösung.

­

Eine Marktlösung mit Korrektur für externe Effekte zwischen identifizierbaren privaten Wirtschaftsakteuren. Dabei werden die Verursacher von positiven externen Effekten durch die Nutzniesser entschädigt.

­

Die Korrektur des Marktergebnisses durch Mittel aus dem allgemeinen Staatshaushalt. Dabei werden die Verursacher von positiven externen Effekten auf die gesamte Volkswirtschaft durch die Öffentlichkeit entschädigt.

Die Entschädigung kann die Form von Subventionen oder von Steuerermässigungen annehmen.

Nach dem Äquivalenzprinzip ist der Studie zufolge eine stärkere Beteiligung der Unternehmen dort angemessen, wo ein direkter Vorteil ersichtlich ist. Im Falle von Bildungsinvestitionen mit allgemeinen und in ihren Auswirkungen oft schwer festzustellenden Erträgen ist ein stärkeres finanzielles Engagement des Staates nötig (öffentliches Gut; gesamtwirtschaftliche, positive externe Effekte). In einer wirtschaftspolitischen Betrachtung biete die vorgeschlagene Lösung die Möglichkeit, auf differenzierte und flexible Weise auf das Trittbrettfahrer-Problem zu reagieren.

Gleichzeitig werde das Erfordernis einer verstärkten öffentlichen Finanzierung anerkannt. Im Vergleich dazu weise der gesamtschweizerische Berufsbildungsfonds ge19 20

Kantonale Fonds bestehen in Genf, Freiburg und seit kurzem in Neuenburg.

Andres Frick und Petra Huth, Finanzierungsmodelle für die Berufsbildung. Studie im Auftrag des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT), Konjunkturforschungsstelle ETH-Zürich, Januar 2000.

5745

mäss Lehrstellen-Initiative beachtliche Mängel auf: überzogene Anreizmechanismen und ein fehlgeleitetes Umlagesystem mit der Folge unerwünschter Struktureffekte.

Die angestrebte Überwälzung eines Teils der Kosten von allgemeinen Bildungsangeboten auf die Unternehmen lasse sich ökonomisch nicht rechtfertigen.

Die ebenfalls zur Diskussion gebrachten Steuergutschriften für Ausbildungsbetriebe qualifiziert die Studie als undifferenziert und ebenfalls mit unerwünschten Strukturwirkungen verbunden, insbesondere zu Gunsten strukturschwacher Gewerbebetriebe. Sie lösten weder das Trittbrettfahrer-Problem noch würden sie zur Finanzierung zusätzlicher Bildungsanstrengungen beitragen.

3.3

Der neue Finanzausgleich (NFA)

Die Vernehmlassung zum Berufsbildungsgesetz wurde kurz vor der Vernehmlassung über die Expertenvorschläge für einen neuen Finanzausgleich (NFA) eröffnet.

Die unterschiedlichen Lösungen der beiden Vorlagen riefen insbesondere in Berufsbildungskreisen etwelche Verwirrung hervor. Es handelte sich dabei um die weitere Unterstützung der «Mieten und Bauten», die Bundeskompetenz in der Berufsberatung sowie die Aus- und Weiterbildung der Berufsschullehrkräfte.

Auf Grund der Ergebnisse beider Vernehmlassungen wird die Reform der Berufsbildung ausserhalb des NFA weiterverfolgt. Diesem wichtigen Vorhaben wird aber auch in der Revision des BBG Rechnung getragen. Das betrifft den Finanzkraftausgleich ebenso wie allfällige Kompensationen in der Globalbilanz. Rechtlich und technisch ist es kein Problem, z.B. Pauschalen weiterhin abgestuft nach Finanzkraft der Kantone auszurichten oder einzelne Beträge bzw. Rubriken für die Globalbilanz des NFA auszuscheiden. Auf jeden Fall soll im Rahmen eines kommenden NFA alles kompensiert werden, was über einen Bundesanteil von einem Viertel der öffentlichen Berufsbildungsausgaben hinausgeht. Die einzelnen im Verhältnis zum NFAExpertenbericht kontroversen Punkte werden wie folgt gelöst: ­

Mieten und Bauten: Die Beiträge an Mieten und Bauten werden nicht mehr separat ausgewiesen, sondern gehen in die geplanten Pauschalen ein. Mit dem Übergang zu einem leistungsorientierten Pauschalsystem verliert die Unterscheidung von Betriebsausgaben einerseits sowie Aufwendungen für Mieten und Bauten andererseits ohnehin ihre Bedeutung. In Pauschalsystemen wird eine Grundlast abgegolten ­ unabhängig davon, wie sie sich zusammensetzt.

­

Berufsberatung: Die Berufsberatung wird inskünftig nicht mehr subventioniert. Der Bund zieht sich damit aus dem verbliebenen Rest von Vorschriften im Bereich der Berufsberatung zurück. Die Berufsberatung ist bereits heute weitestgehend kantonalisiert. Der Bund sorgt nur noch «in Zusammenarbeit mit den Kantonen und den zuständigen Berufsverbänden für die Ausbildung und Fortbildung der Berufsberater» (BBG Art. 5). Ausserdem fördert er die Verbesserung der Information und Dokumentation. In der Vernehmlassung haben sich indessen nur wenige für ein echtes Bundesengagement in der Berufsberatung eingesetzt. Zudem spricht einiges dafür, dass die Kantone ihre Berufsberatung als umfassende Dienstleistung auch über den Geltungsbereich des BBG hinaus organisieren. Von Seiten des

5746

Bundes fallen inskünftig Subventionen von rund vier Millionen Franken pro Jahr weg. Nach wie vor besteht hingegen die Möglichkeit, BerufsbildungsInformation und Dokumentation von gesamtschweizerischer Bedeutung zu unterstützen.

­

Berufsschullehrkräfte: Die laufenden Klärungen zur Neugestaltung des Schweizerischen Instituts für Berufspädagogik (SIBP) haben eine Fokussierung auf Aufgaben zum Gegenstand, die sinnvollerweise auch künftig im nationalen Rahmen wahrzunehmen sind (vgl. Ziffer 2.7.5). Wo valable regionale Angebote bestehen, soll das künftige Institut zwecks kritischer Masse mit bestehenden Trägern zusammenarbeiten oder sich zurückziehen. Auf Grund der Vernehmlassung ist eine vollständige Kantonalisierung der Berufspädagogik selbst unter den Verfechtern einer NFA-konformen Lösung kein Thema mehr.

4

Erläuterung der Gesetzesbestimmungen

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen Das Berufsbildungsgesetz enthält neu ein Kapitel mit allgemeinen Bestimmungen.

Sie gelten für das ganze Gesetz.

Art. 1

Grundsatz

Der Grundsatzartikel wurde noch vor den Geltungsbereich gesetzt, um der Zusammenarbeit im Rahmen der Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt ein besonderes Gewicht zu verleihen21. Die hier bewusst gewählte, neue Terminologie trägt dem Umstand Rechnung, dass die Wirtschaft einerseits ein wesentlicher Akteur der Berufsbildung bleibt, dass aber neben Industrie, Gewerbe und Handel auch andere Bereiche wie Land- und Forstwirtschaft sowie ­ seit der Verfassungsabstimmung vom 18. April 1999 neu in Bundeskompetenz ­ Gesundheit, Soziales und Kunst einzubeziehen sind. Die ausdrückliche Erwähnung der Sozialpartner und der Berufsverbände wurde in der Vernehmlassung von breiten Kreisen gewünscht.

Art. 2

Gegenstand und Geltungsbereich

Gemäss neuer Bundesverfassung, Artikel 63 Absatz 1, erlässt der Bund «Vorschriften über die Berufsbildung». Grundsätzlich fallen damit alle Bildungsbereiche mit Ausnahme der Hochschulbildungen unter dieses Gesetz. Eine Ausnahmeklausel auf Gesetzesstufe und eine Kompetenzdelegation an den Bundesrat, gewisse Berufe aus dem Geltungsbereich des Gesetzes auszunehmen, sorgen aber dafür, dass bezüglich der Regelungsmöglichkeiten keine Optionen verbaut sind.

21

Die Zusammenarbeit ist im geltenden Gesetz weniger zentral (vgl. BBG Strafverfolgung Abs. 1; Bund, Abs. 2)

5747

Hervorzuheben ist die Trennung von höherer Berufsbildung und berufsorientierter Weiterbildung (Buchstaben b/c) sowie diejenige von Bildung und Qualifizierungsverfahren (Buchstabe d).

Im heutigen Gesetz ist die höhere Berufsbildung ein wesentlicher Teil der Weiterbildung, während die Qualifizierungsverfahren immer eine bestimmte Bildung abschliessen. Die Trennung von höherer Berufsbildung und berufsorientierter Weiterbildung trägt der Tatsache Rechnung, dass Tertiärstufe und Weiterbildung nicht gleichgesetzt werden können.

Die Trennung von Bildung und Qualifizierungsverfahren hebt die Bindung von Abschlüssen an einen bestimmten Bildungsgang auf. Es sollen verschiedene Wege zum Nachweis eines Abschlusses führen können. Das entspricht den Grundsätzen von Durchlässigkeit und Flexibilität sowie Frauenpostulaten und dem stärkeren Einbezug «gebrochener» Bildungsgänge im Allgemeinen.

Neu wird auch die Berufsberatung als kantonale Aufgabe bezeichnet. Die bisherige, eng auf die in Zusammenarbeit mit den Kantonen erfolgende Aus- und Weiterbildung der Berufsberater beschränkte Bundeskompetenz (Art. 5 BBG), wird gestrichen. Einer gesamtschweizerischen Ausbildung der Berufsberatenden steht dadurch aber nichts im Wege (z.B. höhere Fachprüfung oder Fachhochschule). Die Möglichkeit zur Unterstützung der Herstellung von Informations- und Dokumentationsmaterial besteht im Rahmen des allgemeinen Informationsauftrags gemäss Artikel 5 weiter.

Art. 3

Ziele

Der Zweckartikel enthält wegleitende Ziele für die Umsetzung des Gesetzes auf Verordnungsstufe bzw. deren Umsetzung in der Praxis.

Buchstaben (a) und (b) nennen die Spannungsfelder, zwischen denen sich die Berufsbildung bewegt: Wirtschaft und Gesellschaft, Individuum und Allgemeinheit.

Bildung des Einzelnen, seine Integration in die Arbeitswelt und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe sind in der Berufsbildung gleichermassen wichtig und aufeinander abzustimmen.

Buchstabe (c) betont die Notwendigkeit der Chancengleichheit im Allgemeinen und derjenigen der Geschlechter im Besonderen. Die Bildungsgänge sind so zu gestalten, dass sie für alle wählbar sind. Das wird insbesondere durch die Gesetzesbestimmungen konkretisiert, die auf individuelle Leistungsfähigkeit abstellen und die Einbettung von «Patchwork»-Bildungen in die Strukturen der Berufsbildung erlauben.

Unter «regional» sind Wirtschafts- und Sprachregionen zu verstehen.

Buchstabe (d) trägt dem Umstand Rechnung, dass die wirtschaftliche und die technologische Entwicklung die Menschen im Erwerbsprozess vermehrt vor neue Anforderungen stellen, die Bildungsprofile unschärfer und Berufswechsel immer mehr zur Regel werden.

Buchstabe (e) geht davon aus, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer weiterhin auf vergleichbare Qualifikationsnachweise angewiesen sind. Transparenz soll jedoch auch in Bezug auf die Bildungsgänge und die Qualität der Angebote herrschen.

5748

Art. 4

Entwicklung der Berufsbildung

Angesichts der beschleunigten Entwicklungen auf dem Arbeits- und Bildungsmarkt wird die Pflicht aller Akteure zur Entwicklung auch der Berufsbildung verankert.

In Bezug auf die Berufsbildungsforschung verzichtet der Gesetzesentwurf auf Vorschriften, wie die Forschenden ihre Aufgaben wahrzunehmen haben. Die Zusammenarbeit soll aber auch hier verstärkt werden.

Die Kompetenz des Bundesrates zur Abweichung vom Gesetz schafft die notwendige Flexibilität, um Neuerungen auszutesten.

Art. 5

Information, Dokumentation und Lehrmittel

Auf Grund der Vernehmlassung werden gesonderte Bestimmungen zur Information und Dokumentation aufgenommen. Das erlaubt es dem Bund namentlich auch, die Berufsberatungsinformation im Rahmen gesamtschweizerischer Projekte zu unterstützen. «Gesamtschweizerisch» schliesst sprachregionale Bedürfnisse ein.

Art. 6

Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften

Bei der Förderung der Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften ist etwa an besondere Massnahmen im Fremdsprachenunterricht oder an den Austausch von Lernenden über die Sprachgrenzen hinweg gedacht. Solche Massnahmen sollen auch unter diesem Gesetz weiterhin gefördert werden können.

Art. 7

Förderung benachteiligter Regionen und Gruppen

Die Förderung benachteiligter Regionen und Gruppen ist, wie auch die genannte Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften, eine Aufgabe im öffentlichen Interesse (vgl. Art. 56). Gedacht ist etwa an das Führen von kleinen Berufsschulklassen in Randregionen, an Massnahmen zu Gunsten von Berufen, die trotz wenig Lernenden eine besondere volkswirtschaftliche oder kulturelle Bedeutung haben (z.B. Rheinmatrosin/Rheinmatrose, Geigenbauerin/Geigenbauer) oder an besondere Vorhaben zur Integration von ausländischen Jugendlichen.

Art. 8

Qualitätsentwicklung

Qualitätsentwicklung bildet in einem vielfältigen System unterschiedlicher Akteure ein wesentliches Element der (Selbst-)Steuerung bzw. der Anpassung an zukunftsbezogene Entwicklungen auf allen Ebenen. Sie ist verstärkt auf selbstverantwortliches Handeln aller Beteiligten angewiesen, weshalb die Verantwortung dafür den Anbietern von Berufsbildung zu überbinden ist. Wesentlich ist, dass Methodenfreiheit herrscht und die Qualitätsentwicklung nicht auf die grossen Qualitätssicherungssysteme reduziert wird.

Art. 9

Förderung der Durchlässigkeit

Angemessene Anrechnung anderweitig erbrachter Lernleistungen und erworbener Kompetenzen ist im Sinne einer besseren Erschliessung der vorhandenen menschlichen und materiellen Ressourcen systematisch zu ermöglichen. Dies soll ausdrück-

5749

lich nicht nur auf berufliche Erfahrungen eingeschränkt sein und bereits beim Erstellen der jeweiligen Bildungsverordnung berücksichtigt werden.

Art. 10

Mitwirkungsrechte der Lernenden

Das bereits im geltenden Gesetz erwähnte «Mitspracherecht» für die Lernenden in Betrieb (Berufsschule Abs. 2) und Schule (Höhere Fachschulen Abs. 7) wird auf alle Anbieter beruflicher Bildung ausgedehnt.

Art. 11

Private Anbieter

Das Verhältnis öffentlicher zu privaten Anbietern ist im heutigen Gesetz nicht geregelt. Neu wird dieses Verhältnis für die höhere Berufsbildung und die berufsorientierte Weiterbildung unter wettbewerbspolitischen Aspekten thematisiert. Für die berufliche Grundbildung stellt sich das Problem nicht, weil kein vergleichbarer Markt besteht. Der Ausdruck «nicht in ungerechtfertigter Weise» trägt der Tatsache Rechnung, dass in gewissen Bereichen Wettbewerbsbedingungen nur beschränkt verwirklicht werden können.

Im Streitpunkt zwischen «marktverzerrenden» subventionierten Angeboten und nicht subventionierten privaten Angeboten wird zu Gunsten einer flexibleren und dem Wettbewerbskonzept besser entsprechenden Regelung mit «Marktpreisen» entschieden.

Private Angebote haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Subventionen, ausgenommen sie werden im Auftrag der öffentlichen Hand erbracht. In diesem Fall liegt es an den Subventionsgewährenden, auch die entsprechenden Bedingungen zu formulieren.

2. Kapitel: Berufliche Grundbildung 1. Abschnitt: Allgemeines Art. 12

Gegenstand

Der Artikel betont die Gleichgewichtigkeit der fachlichen und allgemeinen, der beruflich-wirtschaftlichen und bildungsmässigen Komponente in der Berufsbildung.

Wenn im Gesetzesentwurf von Qualifikationen die Rede ist, so sind sie in diesem umfassenden Sinn zu verstehen.

Der Sportunterricht gehört zum allgemein bildenden Unterricht der Berufsbildung.

In diesem Sinn ist er hier erwähnt, nicht jedoch ­ wie im Vernehmlassungsentwurf vorgeschlagen ­ gleichberechtigt neben praktischer und allgemeiner Bildung als drittes Element der Berufsbildung.

Art. 13

Duale Bildung

Die Aufteilung von Theorie und Praxis soll im Rahmen der jeweiligen Bildungsverordnungen sachgerecht vorgenommen werden. Absatz 3 präzisiert, dass die allgemeine Zusammenarbeitspflicht auch für die Lernorte (Betrieb, Berufsschule und überbetriebliche Kurse) gilt.

5750

Art. 14

Bildungstypen und Dauer

Der mit einem Fähigkeitszeugnis nachgewiesene Abschluss der Lehre bzw. einer Berufsfachschule gewährleistet sowohl berufliche Handlungsfähigkeit als auch den Anschluss an die höhere Berufsbildung. Die entsprechende Bildungsdauer soll mindestens drei Jahre dauern.

Für berufliche Qualifikationen, die auf Grund ihrer Anforderungen an die Breite oder an die Tiefe des Vermittelten keine dreijährige Bildung erfordern, sollen kürzere eidgenössisch anerkannte berufspraktische Bildungen möglich sein. Das abschliessende Attest öffnet als weiterführende Möglichkeit den Weg zum Fähigkeitszeugnis, nicht aber zur höheren Berufsbildung (vgl. Art. 30 Abs. 2).

Weniger strukturierte Bildungen nach dem Baukastensystem kommen vor allem für erwachsene Arbeitskräfte in Frage.

Im Sinne der individuellen Flexibilisierung lässt Absatz 2 für besonders Leistungsfähige bzw. Leistungsschwache Abweichungen von den Regelbildungszeiten zu.

Art. 15

Aufsicht

Die Aufsichtsfunktion der Kantone soll durch betreuende, fördernde und moderierende Funktionen verstärkt werden.

Der Ausdruck »sorgen für» erhält im Zusammenhang mit der neuen Pauschalfinanzierung (Art. 54) eine wichtige Bedeutung. Er steht dafür, dass die Kantone für etwas ­ hier konkret die Aufsicht ­ die Verantwortung übernehmen, es aber nicht unbedingt selber durchführen oder anbieten müssen. Sie können es auch an Dritte abtreten oder interregional lösen, haben dann die entsprechenden Bundesgelder aber auch an letztere weiterzugeben.

Art. 16

Bildungsverordnungen

Die Ordnung der Grundbildung in den jeweiligen Bildungsvorschriften wird flexibler gestaltet und fördert zukunftsbezogene Anpassungen. Die entsprechenden Verordnungen sollen nur noch die Ziele und Leistungsanforderungen umschreiben. Es ist Sache der zuständigen Anbieter, wie die Anforderungen im Einzelnen inhaltlich und organisatorisch an die Bedürfnisse einer angemessenen und gehaltvollen Grundbildung anzupassen sind.

Wo es keine Anbieter im Sinne des Gesetzes gibt oder wo sich sonst Neuerungen aufdrängen, soll das Bundesamt auch von sich aus tätig werden können. Dies kann neben Bildungsverordnungen auch ­ immer in Zusammenarbeit mit den Kantonen und gegebenenfalls mit den Organisationen der Arbeitswelt ­ grundlegende Modelle möglicher oder erwünschter Bildungswege umfassen. Die Kompetenz des Bundesamtes (bisher Departement) zum Erlass der Bildungsverordnungen soll die flexible Anpassung an neue Bedingungen fördern.

Art. 17

Vorbereitung auf die berufliche Grundbildung

Vorbereitungsmassnahmen auf eine Bildung der Sekundarstufe II gewinnen an Bedeutung. Die Kantone sind gehalten, die spezifische Bildungsleistung der Berufsbil-

5751

dung für integrations- und sozialpolitische Belange einzusetzen (z.B. Einfügen in die Arbeitswelt, Förderung der Sprachkompetenz ...). Der Bund unsterstützt sie für diese Leistungen (vgl. Art. 54 Abs. 2 Bst. a Ziff. 1). Zusätzlich wird der Bund auch Pilotprojekte im Zusammenhang mit solchen Massnahmen unterstützen.

Art. 18

Ungleichgewichte auf dem Markt für berufliche Grundbildung

Die Kompetenz des Bundesrates zur Vorbeugung oder möglichst raschen Bekämpfung von Ungleichgewichten auf der Angebots- und Nachfrageseite darf nicht zu unumkehrbaren Sachzwängen führen. Auch schliesst sie die Zusammenarbeit mit den Kantonen und der Wirtschaft ein.

2. Abschnitt: Berufslehre Art. 19

Gegenstand

Die Bestimmungen über die Berufslehre orientieren sich grundsätzlich an der heutigen Betriebslehre, gelten aber auch für andere Institutionen als Betriebe im engeren Sinn.

Die Bestimmungen über das Lehrverhältnis werden gegenüber dem geltenden Gesetz um Verfahrens- und Verhaltensvorschriften entlastet. Ausdrücklich wird auf die Möglichkeit von Bildungsverbünden hingewiesen.

Art. 20

Anbieter der betrieblichen oder praktischen Bildung

Anders als im geltenden Gesetz wird der Lehrbetrieb als wichtigster Partner der Berufslehre ausdrücklich genannt. Die rechtlichen Voraussetzungen, die für das Erteilen der Bildungsbewilligung erfüllt sein müssen, sind in verschiedenen Erlassen geregelt (z.B. Obligationenrecht, Arbeitsgesetz). Die Lehrwerkstätten werden als eine Form der Betriebslehre genannt, im Übrigen aber als Spezialform im Gesetz nicht mehr besonders erwähnt. Das Verbot von kantonalen Gebühren ist neu.

Art. 21

Lehrvertrag

Die Bestimmungen über den Lehrvertrag werden von Detailvorschriften entlastet.

Der Vertrag soll den kantonalen Behörden nur noch zur Kenntnis gebracht, nicht mehr von ihnen genehmigt werden. Eine allfällige Eingriffsmöglichkeit ist über die Aufsicht gegeben. Die Möglichkeit für zeitlich begrenzte Lehrverträge wurde wegen den besonderen Bedingungen in der Landwirtschaft eingefügt. Eine Ausdehnung auf analoge Fälle ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Art. 22

Berufsschule

Die Organisation der Berufsschule ist Aufgabe der Kantone (Art. 23). Der Gesetzesentwurf enthält nur die allgemeinen Grundsätze. Der Begriff «eigenständiger Bildungsauftrag» ist bereits im geltenden Gesetz (Art. 27 Abs. 1 BBG) enthalten. Er wird neu in Buchstaben a ­ c präzisiert. Eigenständigkeit bedeutet keine Legitimation für Alleingänge (vgl. Art. 13 Abs. 3), sondern verdeutlicht den Wert, der den schulischen Bildungsteilen zukommt.

5752

Es ist sinnvoll, die vorhandene Infrastruktur optimal zu nutzen. Die Berufsschulen sollen daher berufsorientierte Weiterbildung und Kurse der höheren Berufsbildung anbieten können, nicht aber dazu verpflichtet werden.

Art. 23

Angebot an Berufsschulen

Hier handelt es sich um Präzisierungen im Rahmen des Status quo. Das Grundangebot der Berufsschulen soll unentgeltlich sein. Allfällige Kostenbeteiligungen für weiterführende Angebote sind den Kantonen freigestellt. Zu «sorgen für» vgl. die Erläuterung zu Artikel 15.

Absatz 3 schränkt die heutige Regelung insofern ein, als der Besuch von Freikursen nicht mehr im Belieben des berechtigten Lernenden liegt, sondern ­ praxisnäher ­ auch auf die Erfordernisse des Betriebs abzustimmen ist.

Art. 24

Überbetriebliche Kurse

Mit Ausnahme der Bezeichnung «überbetriebliche Kurse» (geltendes Gesetz: «Einführungskurse» zur berufsspezifischen Vermittlung von grundlegenden Fertigkeiten) und der ausdrücklichen Erwähnung der Kostenbeteiligung in Absatz 4 werden gegenüber den bisherigen Bestimmungen zu den Einführungskursen keine Änderungen vorgenommen. Die Namensänderung trägt der Tatsache Rechnung, dass «Einführungskurse» nicht nur zu Beginn der Lehre ihren Platz haben, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt der Einführung in allgemeine Berufs- bzw. Berufsfeldkenntnisse dienen.

3. Abschnitt: Berufsfachschule Art. 25

Gegenstand und Angebot

Unter «Berufsfachschulen» werden nicht besondere Berufsschulen verstanden, sondern ein Angebot von Bildungsgängen in Bereichen, wo die berufliche Bildung hauptsächlich schulisch zu vermittelnde Theorie erfordert (z.B. Hightech-, anspruchsvolle Dienstleistungsberufe). Um die berufliche Handlungsfähigkeit zu gewährleisten, sind betriebliche Praktika zwingend ins Gesamtangebot zu integrieren.

Daher kann in der Regel nicht mehr der Betrieb die Hauptverantwortung für den Bildungsgang übernehmen. Eine Art von Berufsfachschule stellen heute diejenigen Handelsmittelschulen dar, die ihre Praktika zumindest teilweise bereits erweitert und auf die schulische Bildung abgestimmt haben.

Für die Bildungsgänge an Berufsfachschulen sind eigene Ausbildungsvorschriften erforderlich, die wie alle Bildungsverordnungen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Organisationen erarbeitet werden müssen (vgl. Art. 16 Abs. 3). Damit wird eine schulische Parallelberufsbildung verhindert und dafür gesorgt, dass die Abnehmer im Hinblick auf die erforderlichen Qualifikationen und auf das Bereitstellen von Praktikumsplätzen wesentlich einbezogen sind.

Lehrwerkstätten bieten Grundbildungen gemäss den Vorschriften der Betriebslehre.

Sie zählen demzufolge nicht zu den Berufsfachschulen. Es schliesst aber nicht aus, dass sie Praktika für Bildungsgänge der Berufsfachschule anbieten.

5753

Art. 26

Praktika

Die duale Bildung gemäss diesem Gesetz führt grundsätzlich zu einer beruflichen Handlungskompetenz, setzt also betriebliche Praxis voraus. Absatz 1 setzt die dafür erforderliche zeitliche Mindestgrenze, die nicht ein Schul-, sondern ein Arbeitsjahr umfasst.

4. Abschnitt: Berufspraktische Bildung Art. 27

Gegenstand

Die berufspraktische Bildung regelt den Bereich der beruflichen Grundbildung, der ein flexibleres Eingehen auf besondere Umstände und Bedingungen ermöglicht, seien sie individueller oder bildungsmässiger Art. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass es eine Nachfrage nach Qualifikationen gibt, die weniger als einen Lehrabschluss erfordern. Andererseits besteht eine wichtige bildungspolitische Herausforderung darin, möglichst vielen jener rund 15 Prozent der Erwerbstätigen eine berufliche Grundbildung zu ermöglichen, die heute über keinen nachobligatorischen Abschluss verfügen.

Von der berufspraktischen Bildung ist die verkürzte Lehre zu unterscheiden, die zwei Jahre dauern kann. Diese beruht auf bereits erbrachten Vorleistungen. Unter solchen allgemeinen Durchlässigkeitsbedingungen kann auch die berufspraktische Bildung kürzer gehalten werden (z.B. berufliche Zusatzbildung auf der Grundlage eines Lehrabschlusses oder einer allgemeinen Maturität).

Art. 28

Berücksichtigung individueller Bedürfnisse

In der berufspraktischen Bildung ist gegenüber der Berufslehre eine vermehrte Individualisierung vorgesehen. Im Gegensatz zur heutigen Anlehre sollen dabei aber nicht die Anforderungen an die Einzelnen angepasst werden. Es ist vielmehr darauf hinzuwirken, dass ein gesamtschweizerisch anerkannter Standard erreicht wird.

Für Lernschwächere erfordert dies zweifellos einen höheren Betreuungsaufwand, an dessen Kosten sich die öffentliche Hand beteiligen soll. Sie sind in Relation zu den Kosten zu sehen, die ungenügend gebildete Erwerbstätige der öffentlichen Hand sonst verursachen. Die Kompetenz zur Festlegung der näheren Bedingungen liegt beim Bundesrat, weil diese hauptsächlich die Kantone betreffen und sie zumindest bis zur Entwicklung einer Praxis flexibel gehandhabt werden müssen.

5. Abschnitt: Eidgenössische Berufsmaturität Art. 29 Die Berufsmatura setzt sich wie bisher aus einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis und einer erweiterten Allgemeinbildung zusammen (vgl. Art.°14 Abs. 5). Auf eine weitergehende inhaltliche Regelung auf Gesetzesstufe wird verzichtet. Damit ist der Spielraum für künftige Anpassungen dieses Instruments gewährleistet. Im Sinn der Attraktivitätssteigerung der Berufslehre soll die von der öffentlichen Hand angebo-

5754

tene Berufsmaturität durchwegs unentgeltlich sein. Die Regelungskompetenz des Bundesrates entspricht der allgemeinen Maturität.

3. Kapitel: Höhere Berufsbildung Art. 30

Gegenstand

Die höhere Berufsbildung schliesst an die höchsten Abschlüsse der Sekundarstufe II (Fähigkeitszeugnis und Berufsmaturität, allgemeine Maturität) an und führt zu einem eidgenössischen Diplom. Der Zugang auch mit einem allgemein bildenden Abschluss ist im Hinblick auf Bildungsgänge des Gesundheits- und Sozialbereichs sowie auf das geltende EU-Recht im Bereich der Diplomanerkennung von Bedeutung.

Bei den Kriterien für die höhere Berufsbildung verzichtet der Entwurf auf die «Vorgesetztenfunktion» zu Gunsten einer allgemeineren Umschreibung («anspruchs- oder verantwortungsvollere Berufstätigkeit»). Es geht um Qualifikationen, nicht um Hierarchien. Das Qualifikationsniveau entspricht dem Nichthochschulbereich der Tertiärstufe (ISCDE97: 5B) und ist eng mit beruflicher Praxis verbunden.

Die Vielfalt der höheren Berufsbildung ­ durch den Einbezug der Berufsbildungen in Gesundheit, Sozialem und Kunst noch verstärkt ­ erlaubt keine allgemeine Zugangsberechtigung. Für die einzelnen Richtungen braucht es zusätzliche, von den Anbietern der höheren Berufsbildung zu definierende Zutrittsbedingungen, die der jeweiligen Spezifizität des Bildungsgangs Rechnung tragen. Sie kann inhaltlicher Art oder durch die Struktur des Angebots bedingt sein. Beispielsweise sind die notwendigen Bildungsvoraussetzungen oder die erforderliche Praxis in gewissen Fällen in die Bildungsgänge eingebaut, in anderen Fällen sind sie durch vorangehende Berufstätigkeit zu erwerben.

Art. 31

Formen der höheren Berufsbildung

Zur weiterführenden Berufsbildung zählen gemäss Status quo die eidgenössischen Berufs- und die eidgenössischen höheren Fachprüfungen einerseits und alle höheren Fachschulen (Technikerschulen usw.) andererseits. Sie unterscheiden sich darin, dass die eidgenössischen Berufs- und eidgenössischen höheren Fachprüfungen ausschliesslich über die Prüfungen definiert sind, während bei den höheren Fachschulen der vollzeitliche oder berufsbegleitende Bildungsgang geregelt ist.

Art. 32

Eidgenössische Berufsprüfungen und eidgenössische höhere Fachprüfungen

Die eidgenössischen Berufsprüfungen und die eidgenössischen höheren Fachprüfungen werden von den zuständigen Organisationen der Arbeitswelt in eigener Verantwortung durchgeführt und dienen Personen mit Berufserfahrung zum Nachweis ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse. Das Bundesamt genehmigt die Prüfungsvorschriften nach den Vorgaben des Bundesrates.

Mit den Berufs- und höheren Fachprüfungen steht der Berufsbildung ein äusserst flexibles und nachgefragtes Instrument höherer beruflicher Qualifizierung zur Verfügung. Da dieses Instrument über die Prüfungen gesteuert wird, ist es hauptsächlich

5755

unter dem Titel Qualifizierungsverfahren (vgl. Art. 46) zu behandeln. Mit «Anforderungen» sind auch die Prüfungsvorschriften gemeint.

Die Unterscheidung zwischen Berufs- und höherer Fachprüfung im geltenden Gesetz kann nicht befriedigen (Art. 51ff BBG): Die häufig als niedriger eingestufte Berufsprüfung stützt sich auf die Vorgesetztenfunktion und verlangt «wesentlich höhere Anforderungen als die Berufslehre»; die Diplomstufe der höheren Fachprüfung ihrerseits wird über die selbständige Betriebsführung und «höhere Ansprüche» im Beruf definiert.

Faktisch ist eine qualifikationsbezogene Unterscheidung zwischen den Berufs- und höheren Fachprüfungen nur innerhalb einer Branche möglich. Im Quervergleich verschwimmen die Kriterien. Gestützt auf das Vernehmlassungsverfahren enthält der Gesetzesentwurf weiterhin beide Bezeichnungen, ohne jedoch eine inhaltliche Unterscheidung zu treffen. Diese ist von den entsprechenden Branchen selbst festzulegen.

Weil die Kantone nicht verpflichtet sind, Angebote bereitzustellen, werden Kantone ohne Angebote einen Teil ihrer in Form von Pauschalen erhaltenen Bundesbeiträge auf Grund von Schulgeldabkommen an diejenigen Kantone weitergeben, die entsprechende Bildungsgänge führen.

Art. 33

Höhere Fachschulen

Die höheren Fachschulen haben sich als Bildungsstätten für praktisch orientierte Fachleute bewährt. Mit Ausnahme des Verzichts auf die gesetzliche Unterscheidung «Technikerschulen» und «andere höhere Fachschulen» sowie der Anerkennung von Bildungsgängen anstelle von Schulen wird nichts geändert. Neu haben die Kantone, wie in der Vernehmlassung gefordert, auch hier für die Aufsicht zu sorgen.

Die höheren Fachschulen dürften durch den Zuzug des Gesundheits- und Sozialbereichs an Bedeutung gewinnen. Sie sollen im Gesamtsystem der Berufsbildung vermehrt als eigenständiger Bereich der Berufsbildung positioniert werden.

Zu den Bundesbeiträgen vgl. die Ausführungen zu Artikel 32.

4. Kapitel: Berufsorientierte Weiterbildung Art. 34

Gegenstand

Der Bund hat gemäss Verfassung keine allgemeine Weiterbildungskompetenz. Die im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes unterstützte Weiterbildung hat sich deshalb auf berufliche Aspekte zu beziehen. Unter Wahrung der verfassungsmässigen Schranken spricht sich der Entwurf für eine extensive Interpretation des Begriffs «beruflich» aus, was mit dem neuen Wort «berufsorientiert» signalisiert wird.

Die berufsorientierte Weiterbildung dient der ständigen Anpassungs- und der Vertiefungs-Qualifikation, sei sie durch die Arbeitsmarktlage oder durch persönliche Interessen bedingt. Allgemein bildende Elemente können und sollen nicht durchwegs ausgeschlossen werden. Viele der so genannten Schlüsselkompetenzen beruhen auch auf Grundlagen, die die Allgemeinbildung zu legen hat. Abgrenzungs- und Förderkriterien sind somit weniger Inhalte als vielmehr der Bezug zu beruflichen 5756

Bedürfnissen. Auch neuere statistische Erhebungsmethoden richten sich vermehrt nach subjektiver Deklaration als nach «allgemeinen» Massstäben.

Durch die Einführung von Pauschalierungen verliert die Abgrenzungsproblematik insofern an Schärfe, als die Kantone ohnehin auch für die allgemeine Weiterbildung zuständig sind. Auf Projektebene andererseits reicht die Trennschärfe aus.

Das geltende Gesetz subsumiert unter «Weiterbildung» auch die höhere Berufsbildung. Angesichts des üblichen Sprachgebrauchs trennt der Gesetzesentwurf die klar auf Diplomabschlüsse hin angelegte höhere Berufsbildung von der weniger strukturierten und formalisierten, vertiefenden und ergänzenden Weiterbildung. Diese hat im Übrigen bereits auf der Stufe der Grundbildung einzusetzen.

Art. 35

Angebot an berufsorientierter Weiterbildung

Die konkreten Weiterbildungsangebote sind von den Kantonen zu beurteilen und zu fördern. Angesichts ihrer Zuständigkeit für die Bildungspolitik auf ihrem Gebiet und die Vielzahl privater Anbieter wäre jede über Innovationsförderung, Koordination, Transparenz und Qualitätsentwicklung hinaus gehende Tätigkeit des Bundes zufällig.

Art. 36

Massnahmen des Bundes

Der Bund soll dort tätig werden, wo Angebote gesamtschweizerisch und im öffentlichen Interesse erforderlich sind, diese jedoch nicht selbsttragend bereitgestellt werden können.

Neben der allgemeinen Förderungskompetenz wird die Unterstützung bestimmter Organisationen durch den Bunde ermöglicht. Gedacht ist namentlich an Zertifizierungsstellen im Zusammenwirken von Kantonen, Wirtschaft und anderen Bildungsanbietern bzw. -abnehmern.

Die Erfahrung der vergangenen Jahre mit höheren Arbeitslosenraten hat gezeigt, dass die Abstimmung mit den direkten arbeitsmarktlichen Massnahmen gemäss Arbeitslosenversicherungsgesetz sehr wichtig ist. Sehr schnell entwickeln sich sonst kostspielige parallele Strukturen.

5. Kapitel: Qualifikationsverfahren, Ausweise und Titel 1. Abschnitt: Allgemeines Art. 37

Prüfungen und andere Qualifikationsverfahren

Für die Qualifikationsnachweise wird ein neues Gesetzeskapitel geschaffen, um die Diplome, Prüfungen usw. von den Bildungsgängen abzuheben. Es soll vermehrt möglich werden, bestimmte Qualifikationsnachweise auf verschiedenen Wegen zu erreichen. Der Gesetzesentwurf sieht deshalb auch davon ab, die Grundbildung konstitutiv mit einer bestimmten Altersstufe zu verbinden.

Neu wird die Möglichkeit von Teilprüfungen (z.B. Credits, d.h. Einheiten, die einzeln bewertet werden und zusammengerechnet Abschlüsse ergeben), die auch selektiv sein können, und der Anerkennung von modularen bzw. anderen Vorleistungen

5757

für eine Gesamtprüfung gesetzlich verankert. Neben Prüfungen sollen für die Ausstellung eines Ausweises «andere Qualifikationsverfahren» möglich sein, z.B. die Anerkennung von Berufs- oder sonstiger Praxis, der Nachweis von Theorie-Modulen usw. Solche freiere Qualifikationsverfahren kommen eher für Erwachsene in Frage.

Für die Berufsbildung von Jugendlichen sind formalisiertere Bildungsgänge angemessener, weil sie einerseits einen festeren Rahmen bieten und andererseits dem Erlernen der notwendigen Vernetzungen dienlicher sind, wenn die Erfahrung fehlt.

Das schliesst Vertiefungs- und Erweiterungsmodule für Jugendliche nicht aus.

Art. 38

Anforderungen an Qualifikationsverfahren

Für die neu eingeführten Qualifikationsverfahren wird der Bundesrat Kriterien festgelegen, damit die Vergleichbarkeit mit den traditionellen Prüfungen gesichert ist.

Mit den neuen Verfahren dürfen die bereits bestehenden Prüfungen nicht unterlaufen werden.

Art. 39

Förderung anderer Qualifikationsverfahren

«Andere Qualifikationsverfahren» gehören zum Bereich der Innovationen. Sie sollen aber auch als institutionalisiertes längerfristiges Angebot und nicht nur im Sinne einer Anschubfinanzierung unterstützt werden können.

Art. 40

Titelschutz

Wegen der differenzierten Angebote in der Grundbildung sollen die Berufsbildungsabschlüsse gegenüber heute nicht mehr mit kollektiven Begriffen wie «gelernte Berufsangehörige» (Art. 43 Abs. 1 BBG), sondern mit der Abkürzung des Zeugnisses, Attests, Diploms usw. verbunden werden (z.B. «Maurer EFZ» [eidgenössisches Fähigkeitszeugnis]).

2. Abschnitt: Berufliche Grundbildung Art. 41

Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis

Ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis soll nicht nur im Anschluss an eine Betriebslehre abgegeben werden können. Das Niveau entspricht der Unesco-Klassifikation ISCDE97: 3B. Das neue Gesetz erfasst alle Möglichkeiten, insbesondere die Berufsfachschulen mit vermehrt schulischer Bildung und integrierter Praxis. Die Lehrabschlussprüfung dürfte aber in ihrem Gehalt und in ihrer Bedeutung nach wie vor der Königsweg zum Abschluss der beruflichen Grundbildung vor allem im gewerblich-industriellen, kaufmännischen und landwirtschaftlichen Bereich bleiben.

Ausnahmebestimmungen für «mündige Personen, die den Beruf nicht nach diesem Gesetz erlernt haben» (Art. 41 Abs. 1 BBG), sind wegen der flexibleren Regelung durch «gleichwertige Qualifikationsverfahren» nicht mehr nötig.

5758

Art. 42

Eidgenössisches Berufsattest

Mit dem eidgenössischen Berufsattest wird ein Niveau definiert, das ISCDE97: 3C entspricht. Es bescheinigt kürzere als dreijährige Regelberufsbildungen mit klar definierten, gesamtschweizerisch geltenden Qualifikationen. Die mit dem Attest erworbenen Bildungselemente sollen Weiterbildung auf Sekundarstufe II und weiterführende Grundbildungen mittels verkürzter Lehre ermöglichen.

Art. 43

Eidgenössisches Berufsmaturitätszeugnis

Das Niveau der eidgenössischen Berufsmaturität entspricht ISCDE97: 3A bzw. 4A.

Im Hinblick auf die enge Bindung von Berufsfähigkeit und Allgemeinbildung sowie auf den Gedanken modularer Bildung wird hier ­ in Abweichung zur Regelung der allgemeinen Maturität ­ auf die Verpflichtung des Bundes für ein Prüfungsangebot verzichtet. Die Möglichkeit eines entsprechenden Angebots im Auftrag des Bundes soll jedoch bestehen bleiben.

Art. 44

Durchführung der Qualifikationsverfahren

Die Regelung entspricht dem Status quo. Sie erscheint hier aus gesetzestechnischen Gründen.

Art. 45

Gebühren

Neu wird ausdrücklich festgehalten, dass für Abschlüsse der beruflichen Grundbildung keine Gebühren erhoben werden dürfen. Das schliesst Kostenbeteiligungen durch den Betrieb dort nicht aus, wo besondere Materialkosten entstehen.

3. Abschnitt: Höhere Berufsbildung Art. 46

Eidgenössische Berufs- und eidgenössische höhere Fachprüfung

Zulassungsbedingung zu einer eidgenössischen Berufs- oder höheren Fachprüfung ist grundsätzlich ein Fähigkeitszeugnis oder ein vom Anbieter zu definierender schulischer Abschluss der Sekundarstufe II mit allfälligen zusätzlichen Anforderungen. Diese Prüfungen beruhen in jedem Fall auf einer umfangreichen einschlägigen Fachpraxis. Ihre Dauer wird aber angesichts der unterschiedlichen Gegebenheiten nicht mehr gesetzlich vorgegeben, sondern soll gemäss den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Prüfungsträger in den einschlägigen Vorschriften festgelegt werden. Der Bund muss die Prüfungsaufsicht nicht mehr selber wahrnehmen, sondern hat nur noch für eine wirksame Aufsicht zu sorgen.

Art. 47

Fachausweis und Diplom

Dieser Artikel enthält die formalen Bestimmungen zu Artikel 32.

5759

Art. 48

Höhere Fachschule

An der Diplomabgabe durch die höheren Fachschulen ändert sich inhaltlich nichts.

Eine Erweiterung auf die Diplome der Bereiche Gesundheit, Soziales und Kunst ist möglich.

6. Kapitel: Bildung von Bildungsverantwortlichen Art. 49

Anforderungen an Berufsbildnerinnen und Berufsbildner

Die Anforderungen an Berufsbildnerinnen und Berufsbildner ersetzen die bisherigen Bestimmungen über die «Lehrmeisterkurse» (Art. 10 und 11 BBG). Der Begriff «Lehrmeister» wird durch den weniger eingrenzenden und den tatsächlichen Verhältnissen besser Rechnung tragenden Ausdruck «Berufsbildnerin, Berufsbildner» ersetzt. Das heute unbefriedigend gelöste Obligatorium der Lehrmeisterkurse wird durch die Bestimmung abgelöst, dass die Befähigung zur Bildung nachgewiesen werden muss, aber auch anderweitig erworben werden kann. Inhaltlich gesehen sind «Lehrmeisterkurse» nach wie vor notwendig.

Der Bundesrat legt die Minimalvorschriften für die Berufsbildnerinnen, die Berufsbildner und die Lehrkräfte fest. Dabei sind ihm ausser den fachlichen und pädagogischen Fähigkeiten auch die Sozialkompetenzen wichtig. Zu diesen Fähigkeiten und Kompetenzen zählen auch Gleichstellungsfragen, kommt doch den Ausbildenden eine wichtige Rolle zu, wenn es darum geht, das bisherige Muster von Männer- und Frauenberufen aufzubrechen.

Art. 50

Anforderungen an die Lehrkräfte

Der Artikel über die Anforderungen an die Lehrkräfte schliesst alle in der Berufsbildung tätigen Lehrkräfte ein, nicht wie bisher nur die Berufsschullehrkräfte (z.B.

auch die Lehrkräfte an überbetrieblichen Kursen). Weil die Aufsicht über die Schulen und die Anstellung der Lehrkräfte in die kantonale Kompetenz fällt, wurde die Fortbildungspflicht für Lehrkräfte nicht speziell erwähnt. Fortbildung ist für jede fachlich kompetente Lehrkraft eine Notwendigkeit, die der Bund weiterhin unterstützen wird (vgl. Art. 52) In der Berufsbildung müssen Fach- und Allgemeinbildung zusammenspielen. Daher ist sowohl die fachliche als auch die pädagogische Qualifikation der Lehrperson zu berücksichtigen. Diese Bestimmung trägt der Tatsache Rechnung, dass der Unterricht in der Berufsbildung wesentlich auf nebenamtliche Praktikerinnen und Praktiker angewiesen ist.

Art. 51

Andere Berufsbildungsverantwortliche

Der Bund soll neu die Grund- und Weiterbildung aller in der Berufsbildung Tätigen fördern können. Das ist nicht nur ein wesentliches Element der Qualitätssicherung und -entwicklung, sondern dient auch der raschen flächendeckenden Einführung und Durchsetzung von Neuerungen.

5760

Art. 52

Förderung der Berufspädagogik

Soweit der Bund im Bereich der Bildung der Ausbildenden tätig ist, fällt dies bis jetzt in den Aufgabenbereich des Schweizerischen Instituts für Berufspädagogik (SIBP). Das Institut soll zu einem schweizerischen Kompetenzzentrum für pädagogisch-didaktische Fragen mit Schwerpunkt Berufsbildung entwickelt werden. Dies hat mehr als bisher in enger Zusammenarbeit von Bund und Kantonen zu geschehen. Es besteht ein gesamtschweizerisches Interesse daran, dass in diesem Bereich kritische Massen erreicht werden. Die neue Gesetzesbestimmung ist so offen gehalten, dass keine Lösung präjudiziert wird.

7. Kapitel: Beteiligung des Bundes an den Kosten der Berufsbildung; Berufsbildungsfonds 1. Abschnitt: Beteiligung des Bundes an den Kosten der Berufsbildung Art. 53

Grundsatz

Der Artikel enthält die Grundsätze einer von Grund auf neu konzipierten Finanzierung der Berufsbildung auf Grund von leistungsorientierten Pauschalbeiträgen. Gegenüber heute wird der Bund nicht mehr einen fixierten Teil der von den Anbietern in Rechnung gestellten «anrechenbaren Kosten» vergüten, sondern vielmehr einen «angemessenen» Teil der Kosten tragen.

Für die in Artikel 54 Absatz 2 aufgeführten Aufgaben der Kantone wird ein jährlicher Pauschalbeitrag gewährt. Kantone, die einzelne dieser Aufgaben an Dritte übertragen, haben auch einen angemessenen Teil des Pauschalbeitrags weiterzuleiten.

Es braucht aber zusätzlich zu den Pauschalen nach wie vor gezielte Beiträge. Sie sind nötig, um Innovationen voranzutreiben, sowie um gewisse Angebote im öffentlichen Interesse überhaupt zu ermöglichen oder aufrecht zu erhalten. Ferner ist im Bereich der höheren Berufsbildung der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sowohl die Organisationen der Arbeitswelt als auch die Kantone als Anbieter von Bildungsgängen auftreten.

Grundsätzlich widerspricht es dem Gedanken der Pauschalen ­ sie sollen für erhöhte Transparenz und Effektivität der eingesetzten Mittel sorgen ­, sie mit dem ein völlig anderes Ziel verfolgenden Finanzausgleich zu koppeln. Solange aber kein grundsätzlich erneuertes Finanzausgleichssystem vorliegt, wird der unterschiedlichen Finanzkraft der Kantone weiterhin Rechnung zu tragen sein. Die Modalitäten des Ausgleichs sind Gegenstand der Verordnung, ebenso die Ausgestaltung der Pauschalen.

Diese sollen auf möglichst allgemeinen Kriterien beruhen.

Art. 54

Pauschalbeiträge an die Kantone

Der Artikel nennt die Bereiche, die mit dem Bundesbeitrag abgedeckt sind bzw. abgedeckt werden müssen. Wie die Gelder auf die Einzelaufgaben verteilt werden, ist Sache der Empfänger.

5761

Art. 55

Beiträge für Projekte zur Entwicklung der Berufsbildung und zur Qualitätsentwicklung

Art. 56

Beiträge für besondere Leistungen im öffentlichen Interesse

Zu Gunsten der beiden berufsbildungspolitischen Werkzeuge sollen rund zehn Prozent der Bundesmittel für Berufsbildung reserviert werden. Über den Einsatz der Mittel wacht der unten definierte Innovationsrat (vgl. Art. 72).

Art. 57

Vorbereitende Kurse für eidgenössische Berufsprüfungen und eidgenössische höhere Fachprüfungen, Bildungsgänge höherer Fachschulen

Da im Bereich der höheren Berufsbildung nebst den Kantonen auch private Anbieter auf dem Bildungsmarkt ihre Leistungen anbieten, soll der Bund unter bestimmten Voraussetzungen auch diesen Anbietern Subventionen gewähren können. Die Beiträge sollen den Kantonen zuhanden der Gesuchsteller ausgerichtet werden.

Art. 58

Bedingungen und Auflagen

Art. 59

Kürzung und Verweigerung von Beiträgen

Die Bestimmung über die Kürzung von Beiträgen entspricht dem Subventionsgesetz. Zusätzlich kann der Bund neue Beiträge verweigern, wenn die Beitragsempfänger ihre Aufgaben und Verpflichtungen nach dem Berufsbildungsgesetz in erheblichem Masse vernachlässigen oder verletzen.

Art. 60

Finanzierung

Die Bundesbeiträge sind an die vom Parlament zur Verfügung gestellten Kredite gebunden. Damit die Finanzierung für die Beteiligten berechenbar bleibt, verlangt dieser neue Artikel als Gegengewicht einen mehrjährigen Zahlungsrahmen bzw. Verpflichtungskredite. Für die Festlegung der Kostenbeteiligung von rund einem Viertel der Berufsbildungskosten der öffentlichen Hand wird ein mehrjähriger Durchschnitt aus den vergangenen Jahren zu Grunde gelegt.

2. Abschnitt: Berufsbildungsfonds Art. 61 Die Möglichkeit, einzelne Betriebe zu Solidaritätsbeiträgen zu Gunsten der Berufsbildung zu verpflichten, ist neu. Sie setzt voraus, dass eine bestimmte Branche ­ nicht der Bund ­ von sich aus einen entsprechenden Fonds schafft, um die sogenannten Trittbrettfahrer an den Kosten der beruflichen Bildung in ihrem Bereich zu beteiligen. Der Bund erscheint hier nur als die Instanz, die die Verbindlichkeit für alle Branchenmitglieder festlegt, wenn ein gewisses Quorum erreicht ist. Die Gegebenheiten sind so unterschiedlich, dass nötigenfalls Ausnahmen für das Quorum gemacht werden können.

5762

Weiter gehende Möglichkeiten des Bundes, namentlich eine allfällige Beteiligung, wurden auf Grund der Vernehmlassung nicht mehr berücksichtigt. Damit liegt die Verantwortung für adäquate Lösungen ganz in der Hand der betroffenen Akteure.

Da Branchenfonds und kantonale Berufsbildungsfonds unterschiedliche Ziele verfolgen und anders orientiert sind, sollen sie auch nebeneinander bestehen können.

8. Kapitel: Rechtsmittel, Strafbestimmungen, Vollzug Die bisherigen Bestimmungen sind im Licht eines optimierten Vollzugsföderalismus überprüft worden. Es drängen sich keine wesentlichen Änderungen auf.

1. Abschnitt: Rechtsmittel Art. 62 In den meisten Fällen wird wie bisher zunächst eine kantonale Rechtsmittelbehörde angerufen werden können, weil die grösste Zahl der Verfügungen von kantonalen Behörden ausgeht. Das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie ist Rechtsmittelinstanz und kommt zum Zug, wenn keine kantonale Behörde angerufen werden kann. Mit der Einführung von Teilprüfungen und der Modularisierung kann sich die Zahl der Anfechtungsobjekte möglicherweise vergrössern, was die bereits eingetretene Überbeanspruchung von Rechtsmitteln verschärfen könnte.

Mit der Öffnung gegenüber privaten Instituten wird es zunehmend Absolventen von Teilabschlüssen privater Schulen geben. Für die Anfechtung ihrer Entscheide steht der zivilrechtliche Weg zur Verfügung. Im Gegensatz dazu stehen die Absolventen öffentlichrechtlicher Anbieter unter dem Rechtsschutz der Verwaltungsrechtspflege.

2. Abschnitt: Strafbestimmungen Art. 63

Zuwiderhandlung und Unterlassung

Die bisherigen Strafandrohungen richteten sich gegen Lehrmeister und Lehrlinge; der Entwurf reduziert sie auf ein praktikables Minimum.

Art. 64

Titelanmassung

Art. 65

Strafverfolgung

Wie bisher.

3. Abschnitt: Vollzug An der grundsätzlichen Ausrichtung der Vollzugsbestimmung ändert sich nichts.

5763

Art. 70

Anerkennung ausländischer Diplome und Ausweise; internationale Zusammenarbeit und Mobilität

Neu soll der Bundesrat in eigener Kompetenz internationale Vereinbarungen abschliessen können, sofern dies die Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Mobilität in der Berufsbildung betrifft. Das Instrument soll auch im Interesse gegenseitiger Anerkennungen eingesetzt werden. Ausserdem werden die im geltenden Gesetz auf verschiedene Artikel verstreuten Bestimmungen zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse in einem Absatz zusammengefasst.

Art. 71

Eidgenössische Berufsbildungskommission

Die eidgenössische Berufsbildungskommission war in der Vernehmlassungsvorlage nicht mehr enthalten. Von vielen Seiten wurde im Zusammenhang mit dem vorgeschlagenen Berufsbildungsrat eine breite Repräsentanz verlangt, was sich nur mit einer eidgenössischen Kommission nach bestehendem Muster verwirklichen lässt.

Für die Zusammensetzung der eidgenössischen Berufsbildungskommission wie auch des eidgenössischen Innovationsrates und der eidgenössischen Berufsmaturitätskommission gilt die Kommissionenverordnung (SR 172.31), die eine ausgewogene Zusammensetzung dieser Gremien hinsichtlich Geschlecht, Sprache und Alter gewährleistet.

Art. 72

Eidgenössischer Innovationsrat

Der eidgenössische Innovationsrat tritt an die Stelle des im Vernehmlassungsentwurf vorgeschlagenen Berufsbildungsrates. Der Innovationsrat ist jedoch ganz auf die konkrete Steuerung der Berufsbildung ausgerichtet, indem er der Subventionsbehörde gegenüber ein Antragsrecht für zu unterstützende Projekte im Bereich von Neuerungen und besonderen Leistungen im öffentlichen Interesse hat.

Der Innovationsrat soll von den wesentlichen Akteuren der Berufsbildung getragen und durch Persönlichkeiten ihres Vertrauens besetzt sein. Im Interesse der Handlungsfähigkeit kann er aber nur einen beschränkten Kreis von Persönlichkeiten umfassen.

Art. 73

Eidgenössische Berufsmaturitätskommission

Wie bisher.

9. Kapitel: Schlussbestimmungen Art. 74

Aufhebung und Änderung bisherigen Rechts

Zu den umfangreichen Anpassungen vgl. Anhang 2.

Art. 75

Übergangsbestimmungen

Die vorgesehene Anpassungsfrist von fünf Jahren ist ambitiös. Im Interesse der Modernisierung der Berufsbildung scheint es aber angebracht, die Frist knapp zu bemessen.

5764

Anhang 1: Übersicht über die Vollzugsorganisation Die Übersicht über die Vollzugsorganisation fasst die im Gesetz festgelegten Kompetenzen und Aufgaben der beteiligten Partner im Sinne vermehrter Transparenz zusammen.

Anhang 2: Aufhebung und Änderung bisherigen Rechts Obligationenrecht: «Lehrmeister» wird durch «Arbeitgeber» ersetzt und es wird klargestellt, dass der Arbeitgeber dafür zu sorgen hat, dass eine befähigte Person die Berufsbildung vermittelt. Artikel 344a wird mit Absatz 2bis und 2ter durch Bestimmungen zur Probezeit aus dem geltenden Berufsbildungsgesetz ergänzt.

Bundesbeschluss betreffend das SRK: Gestrichen wird der Auftrag zur «Überwachung der Ausbildung in den vom Schweizerischen Roten Kreuz anerkannten Krankenpflegeschulen.» Landwirtschaftsgesetz: Im Landwirtschaftsgesetz werden die Bestimmungen zur Berufsbildung gestrichen und die bisher damit verbundenen Bestimmungen zur landwirtschaftlichen Beratung entsprechend angepasst.

Waldgesetz: Die besonderen Subventionstatbestände gemäss Waldgesetz bleiben bestehen.

5

Auswirkungen

5.1

Auswirkungen auf den Bund

5.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Der Gesetzesentwurf schlägt eine Erhöhung des Bundesanteils an den Berufsbildungskosten der öffentlichen Hand von gegenüber heute knapp einem Fünftel auf ein Viertel vor. In absoluten Zahlen bedeutet das gemäss heutiger Berechnungsgrundlage rund 150 Millionen Franken im Jahr. Darin sind inbegriffen: die Unterstellung der Berufsbildung in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Kunst (GSK) unter die Bundeskompetenz sowie die zusätzlichen Kosten für Innovationen. Der Zuwachs kommt zu rund vier Fünfteln vermehrten Bildungsanstrengungen der Kantone im Zusammenhang mit der Berufsbildungsreform zugute.

Eine modernisierte Berufsbildung mit differenzierten Angeboten verursacht nicht nur Mehrkosten, sondern entlastet die öffentlichen Haushalte insbesondere in den Bildungs- und Sozialetats. Das neue leistungsorientierte Finanzierungssystem gewährleistet einen effizienteren Einsatz der verfügbaren Mittel (vgl. Ziffer 3.1).

5.1.2

Personelle Auswirkungen

Die Ausrichtung der Gesetzesrevision auf vermehrte Flexibilität und neue Inhalte verlangt zusätzliche Schulungsanstrengungen. Den Entlastungen durch weniger Regulierungsdichte steht der Einbezug der GSK-Berufe gegenüber.

5765

Mit den neu eingeführten Qualifikationsverfahren erhöht sich möglicherweise die Zahl der anfechtbaren Entscheide. Dies könnte mittelfristig zu einer vermehrten Belastung der Rechtsmittelbehörden (REKO/EVD und BBT) führen.

5.1.3

Ausgabenbremse

Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b der Bundesverfassung sieht zum Zwecke der Ausgabenbegrenzung vor, dass Verpflichtungskredite und Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als zwanzig Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als zwei Millionen Franken nach sich ziehen, in jedem der beiden Räte der Zustimmung der Mehrheit aller Mitglieder bedürfen. Da die Erhöhung des Bundesanteils an den Ausgaben der öffentlichen Hand für die Berufsbildung die Grenze von mehr als zwei Millionen Franken klar übersteigen, brauchen die Finanzierungsbestimmungen die Zustimmung der Mehrheit aller Mitglieder der beiden Räte.

5.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die Erhöhung des Bundesanteils an den Aufwendungen der öffentlichen Hand für die Berufsbildung bringt den Kantonen eine Entlastung im Hinblick auf die Mehraufwendungen, ohne die eine Reform der Berufsbildung nicht möglich ist. Dasselbe gilt für die Gemeinden, die vom gleichen Steuersubstrat partizipieren. Der Anteil der Gemeinden an den Berufsbildungsausgaben ist generell rückläufig, da immer mehr Kantone die Sekundarstufe II vollständig übernehmen.

5.3

Auswirkungen auf die Gleichberechtigung

Die trotz des Verfassungsauftrages vom 14. Juni 1981 auch in der Berufsbildung nach wie vor bestehenden Ungleichheiten von Frau und Mann lassen Bestimmungen zur tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter als notwendig erscheinen (vgl.

Ziffer 1.1.3). Für eine spezielle Berücksichtigung im Berufsbildungsgesetz spricht die Förderung und Entwicklung der in unserer Gesellschaft vorhandenen menschlichen Ressourcen sowie die Notwendigkeit einer guten beruflichen Bildung.

5.4

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Ziffer 1 dieser Botschaft äussert sich eingehend zur Notwendigkeit einer Revision des Berufsbildungsgesetzes aus dem Jahre 1978. Das Vernehmlassungsverfahren hat die Notwendigkeit staatlichen Handelns in diesem Bereich mit den Hinweisen auf ein verstärktes Engagement des Bundes klar an den Tag gelegt.

Die schweizerische Berufsbildung ist seit je eine Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt (Sozialpartner, Verbände, Betriebe, öffentliche und private Anbietende von Lehrstellen und anderen Bildungsangeboten). Die Wahrnehmung dieser Aufgabe erfolgt zum Nutzen unserer ganzen Gesellschaft und 5766

der Wirtschaft. Die Berufsbildung ist für zwei Drittel der Jugendlichen der Weg zum Erwachsenen- und Erwerbsleben.

Die Wirtschaft und mit ihr die Organisationen der Arbeitswelt insgesamt sind ein tragendes Element der Berufsbildung. Ihre Stellung wird durch die Neuordnung gestärkt. Sie arbeiteten bereits im Rahmen der Ausarbeitung des Gesetzesvorentwurfs engagiert mit. Die Anstrengungen für eine vorbildliche Berufsbildung sind eine unverzichtbare Voraussetzung zur Erhaltung und Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit. Zur dualen Berufsbildung gibt es keine Alternative, die einen besseren Bezug zu den erforderlichen Qualifikationen und zum Arbeitsmarkt herstellen würde.

5.5

Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht über die Legislaturplanung 1999­2003 vom 1. März 2000 angekündigt (Anhang 2 in Abschnitt 2.1, Forschung und Bildung, Rubrik «Richtliniengeschäfte», vgl. BBl 2000 2331).

5.6

Verhältnis zum europäischen Recht

Die Schweiz ist durch keine internationalen Verträge, bilateralen und multilateralen Konventionen in ihrer Gesetzgebung bezüglich der Berufsbildung eingeschränkt.

Der vorliegende Entwurf ­ wie auch schon das geltende Gesetz ­ erfüllt uneingeschränkt die einschlägigen Postulate der UN-Konventionen gegen die Geschlechterdiskriminierung, gegen Kinderarbeit und für die Rechte des Kindes.

Nach Inkrafttreten der bilateralen Verträge wird die Schweiz in Bezug auf die gegenseitige Diplomanerkennung wie ein Mitglied der EU behandelt, so dass Inhaberinnen und Inhaber von schweizerischen Ausweisen Zugang zu reglementierten Berufstätigkeiten haben. Reglementierte Berufe sind wie in der Schweiz Berufe, deren unsachgemässe Ausübung mit einer erhöhten Gefährdung verbunden ist (z.B. Medizin, Justiz, Installationsgewerbe, Sprengstoffwesen usw.). Nicht reglementierte Berufe stehen ohnehin der freien Ausübung offen. Was die Anerkennung im Hinblick auf Zulassungen zu Studien betrifft, so liegt diese nach wie vor im Ermessen der entsprechenden EU-Staaten.

Die Mitglieder der Europäischen Union bewahren ihre Souveränität in Bildungsangelegenheiten. Allerdings ergeben sich aus der Anwendung des Gemeinschaftsrechts Konsequenzen für die Politik der Mitgliedstaaten mit denkbaren positiven und negativen Auswirkungen für Drittstaaten. Die enge wirtschaftliche Verzahnung, der durch die bilateralen Abkommen erleichterte Personenverkehr im Hinblick auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit und die in allen Industriestaaten weitgehend identischen Qualifikationserfordernisse legen es nahe, auch die schweizerischen Ausbildungsnormen so anzulegen, dass sie nach Inhalt und Terminologie im europäischen Umfeld verstanden und akzeptiert werden.

Die mittlerweile intensive Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung wie auch in konkreten Bildungs- und Austauschprojekten fand ihren Niederschlag in der revidierten Fassung der Römer Verträge, dem «Vertrag von Amsterdam» vom 2. Oktober 1997. Nach Artikel 150 «(führt die) Gemeinschaft eine Politik der beruflichen

5767

Bildung, welche die Massnahmen der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für Inhalte und Gestaltung der beruflichen Bildung unterstützt und ergänzt.» Die Massnahmen sollen «unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten» erfolgen.

Im erwähnten Artikel 150 verpflichten sich die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten auch zur Zusammenarbeit mit Drittstaaten und internationalen Organisationen.

Demzufolge sind die EFTA-Staaten, «soweit im Europäischen Wirtschaftsraum engagiert», aber auch die ost- und südosteuropäischen Beitrittskandidaten in die Programme voll integriert, nicht aber die Schweiz. Wohl stehen dieser die Ergebnisse von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, soweit veröffentlicht, zur Verfügung.

Aktive Mitwirkung und Einflussnahme auf die Projekte selbst ist jedoch nicht möglich.

5.7

Verfassungsmässigkeit

Die verfassungsmässige Grundlage für die Gesetzgebung des Bundes über die Berufsbildung ist mit Artikel 63 Absatz 1 der neuen Bundesverfassung gegeben: «Der Bund erlässt Vorschriften über die Berufsbildung.». Die Nachführung brachte eine umfassende Bundeskompetenz für die Berufsbildung, die bisher auf «die berufliche Ausbildung in Industrie, Gewerbe, Handel, Landwirtschaft und Hausdienst» (Art. 34ter Abs. 1 Bst. g aBV) beschränkt war.

5.8

Delegationen

Die Zuständigkeiten der einzelnen Akteure sind in der «Übersicht über die Vollzugsorganisation» in Anhang 1 des Gesetzesentwurfs aufgeführt. Die Delegation von Rechtssetzungskompetenzen wird sehr restriktiv gehandhabt, so dass die grundsätzlichen Zuständigkeiten immer beim Bundesrat verbleiben. Die Einzelheiten wurden je nach Tragweite auf Departements- und Amtsstufe verwiesen. Gesetzgebungsdelegationen befinden sich in Artikel 2 Absatz 3, Artikel 4 Absatz 3, Artikel 18, Artikel 28 Absatz 2, Artikel 52 Absätze 3 ­ 7 und Artikel 69 des Gesetzesentwurfes. Sie sind in den Erläuterungen (vgl. Ziffer 5) begründet und betreffen alle den Bundesrat.

5.9

Vollzugstauglichkeit

Die Berufsbildung war schon immer eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Kantonen und Wirtschaft. Die Aufgabenteilung ist eingeübt und soll auch für die von der kantonalen neu unter die Bundeskompetenz fallenden Bereiche Gesundheit, Soziales und Kunst gelten. Die betroffenen Kreise waren in die Erarbeitung des Gesetzes ab den ersten Vorbereitungen und in der Expertenkommission einbezogen. Das Gleiche gilt für die Verordnungsarbeiten. Die Zusammenarbeit der Akteure ist für die Berufsbildung zentral und in ausgebauten institutionellen Verfahren festgelegt. Ausserdem finden ständig formelle und informelle Kontakte auf allen Ebenen statt.

5768

Anhang

Finanzierung der Berufsbildung im Ausland In allen mit der Schweiz vergleichbaren Ländern mit dualer Berufsbildung kommt eine Vielzahl von Finanzquellen zur Anwendung: Zentralstaat, Gliedstaaten, Erziehungs-, Sozial- und Arbeitsmarktbehörden, Private, Sozialpartnerschaften. Daraus ergeben sich auch Querfinanzierungen. Jeder internationale Quervergleich über die Berufsbildungsfinanzierung muss daher zwangsläufig unvollständig bleiben.

Ein Vergleich der Aufwendungen führt angesichts allzu unterschiedlicher Rahmenbedingungen zu keinen eindeutigen Schlüssen, etwa über den Zusammenhang zwischen Kosten und Nutzen, oder über die Effektivität staatlicher Leistungen. Es fehlen allgemein anerkannte Indikatoren zum Verhältnis zwischen Aufwendungen und Anzahl Personen oder zu dem geschaffenen Wertschöpfungs-Potenzial (Ausbildungsqualität).

Finanzierungsmodelle tragen den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen und Traditionen Rechnung. Sie lassen sich demzufolge auch nicht ohne weiteres auf andere Staaten übertragen. Von Interesse ist in erster Linie die Frage, in welcher Weise und in welchem Umfang die Wirtschaft direkt oder indirekt für die Berufsbildung aufzukommen hat, vor allem aber, ob eine betriebliche Ausbildungsverpflichtung finanziell honoriert bzw. ein fehlendes Engagement durch eine Abgabe belastet wird (Umlageverfahren).

In den untersuchten Staaten ­ Deutschland, Österreich, Frankreich, Niederlande und Dänemark ­ bestehen sehr unterschiedlich ausgestaltete Anreizsysteme, mit denen die Wirtschaft zu einem direkten Engagement in der Berufsbildung veranlasst werden soll. Ihr Erfolg ist aber gemessen an der Zielsetzung durchwegs gering. Anderseits sind auch die eingesetzten Beträge ­ ob durch die öffentliche Hand oder direkt durch die Unternehmen aufgebracht ­ relativ bescheiden, was die politische Akzeptanz erklärt. Auch neigen Netto-Empfänger dazu, grundsätzliche ordnungspolitische Bedenken beiseite zu schieben.

Nicht berücksichtigt wird im Folgenden die Finanzierung von Massnahmen zur Wiedereingliederung Arbeitsloser. Diese überschneidet sich in allen Staaten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass, mit der Finanzierung beruflicher Grund- und Weiterbildung und geht teilweise zu Lasten des Sozialfonds der Europäischen Union. Dieser Sozialfonds kommt auch für die Berufsbildung zur Anwendung.
Deutschland In Deutschland geht die betriebliche Ausbildung wie in der Schweiz grundsätzlich zu Lasten der Unternehmen. Dabei sind verschiedene Spielarten festzustellen: überbetriebliche Fonds, tarifvertragliche Regelung, Ausbildungsverbünde. Im als Sonderfall bezeichneten Baugewerbe verbringen die Lehrlinge fast das ganze erste Lehrjahr in überbetrieblichen Kursen; hier findet eine tarifvertraglich vereinbarte Finanzierung zu Lasten aller, auch der nicht ausbildenden Betriebe statt.

Die alte Bundesregierung beschloss, von 1997 bis vorerst 2001 bei öffentlichen Auftragsvergaben ausbildende Betriebe bevorzugt zu behandeln. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete bei öffentlichen Aufträgen eine Bevorzugung von Be5769

trieben, die tarifvertragliche Lohnvereinbarungen einhalten, als nicht rechtens. Damit könnte auch das Submissionsprivileg ausbildender Betriebe unter Druck kommen.

Weitere Vorhaben zur Steigerung der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe mittels Kostensenkung (Reduktion von Gebühren, Einfrieren der Lehrlingslöhne, Beschränkung überbetrieblicher Ausbildungen und der Berufsschule «auf das strikte Minimum») wichen unter der neuen Regierung anderen Prioritäten. Die Koalitionsvereinbarung von 1998 sieht vor, «gemeinsam mit Gewerkschaften und Unternehmen ... in einem Bündnis für Arbeit und Ausbildung konkrete Massnahmen (zu) vereinbaren, um allen Jugendlichen einen Arbeitsplatz zu sichern».

Österreich In Österreich durchläuft ein wesentlich höherer Anteil Jugendlicher als in Deutschland oder der Schweiz eine berufsbildende Vollzeitschule in der Art unserer Lehrwerkstätten. Die Finanzierung erfolgt weitgehend durch Bundesmittel. In der Weiterbildung überwiegt die Finanzierung aus nicht staatlichen Mitteln.

Ausgleichszahlungen von nicht ausbildenden zu ausbildenden Betrieben waren während einiger Zeit Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Heute werden sie von keiner grösseren politischen Partei gefordert. Von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite wird auf ein Modell im Bundesland Vorarlberg verwiesen. Dort leisten seit 1978 alle Betriebe der Elektro- und Metallindustrie Beiträge zur Förderung der Berufsbildung in der Branche. Die Belastung stieg im Lauf der Jahre von 1,5 auf 2,8 Lohnpromille, was eine Auszahlung von etwas unter 8000 Franken pro Lehrling (ganze Lehrzeit) ermöglicht. Berücksichtigt werden nur Betriebe, deren Lehrlinge eine Zwischenprüfung erfolgreich bestehen.

Das Modell kann am ehesten mit dem im Kanton Genf angewendeten Verfahren verglichen werden. Hier wird auf sämtlichen Gehältern ein Beitrag zu Gunsten eines auch von der öffentlichen Hand gespiesenen Fonds erhoben, der Aktivitäten der Berufsbildung in Absprache zwischen Kanton und Sozialpartnern unterstützt.

Frankreich Die Berufsbildung erfolgt in Frankreich zum überwiegenden Teil in staatlichen Bildungsstätten («lycées professionnels» u.a.), die aus allgemeinen Mitteln des Staates finanziert werden. Seit 75 Jahren wird bei der Wirtschaft eine «taxe d'apprentissage» in Prozenten der Lohnsumme erhoben. Deren Ertrag kommt zunächst
der beruflichen Weiterbildung, dann auch der Grundbildung in den staatlichen Schulen zu Gute.

Grundsatz ist, dass alle Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitenden ein Prozent der Lohnsumme in einen branchenspezifischen, aber staatlich verwalteten Pool einzahlen. Daraus beziehen diejenigen Leistungen, die sich aktiv an der Weiterbildung beteiligen. Das System wird als bürokratisch aufwändig beurteilt; es bewege vor allem Geldströme zwischen grossen und sehr grossen Unternehmen. Dennoch wurde es im Zusammenhang mit einer Renaissance des dualen Systems der beruflichen Grundausbildung im Ansatz übernommen. Das «système en alternance» (½ Betrieb, ½ Berufschule) soll in absehbarer Zeit mehr Jugendliche rekrutieren als das bisher vorherrschende rein schulische System. Die Unternehmen zahlen 0,5 Prozent der Lohn-

5770

summe. Davon ist befreit, wer diesen Betrag nachweislich direkt für Ausbildungszwecke (im Betrieb oder zu Gunsten überbetrieblicher Veranstaltungen) aufwendet.

Zusätzliche Prämien für Betriebe, die jugendliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anstellen, haben relativ häufig zu Missbräuchen geführt. Die Erfahrungen mit dem Umlageverfahren hingegen werden ­ abgesehen vom bürokratischen Aufwand ­ gesamthaft als positiv beurteilt. Im Ausmass der Mehraufwendungen für die berufliche Grundbildung ging das Engagement des Staates in der Finanzierung der Weiterbildung zurück. Diese wird in zunehmendem Umfang durch sozialpartnerschaftliche Vereinbarungen getragen.

Niederlande In den Niederlanden bestehen zwei Instrumente zur teilweisen Finanzierung der betrieblichen Bildung: Ausbildungsfonds und Steuerprivileg. Ein gesetzlicher Steuerabzug für die Lehrlingsausbildung im dualen System beträgt für ausbildende Betriebe pro Lehrling und Jahr durchschnittlich 3300 Franken. Die Fondslösung besteht in einer gesamtarbeitsvertraglichen Verpflichtung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, einen Lohnprozentsatz in einen brancheneigenen Fonds einzubezahlen. Daraus können Beiträge an ausbildende Betriebe und in Ausbildung stehende Personen geleistet werden. Das Instrument wurde ursprünglich für die Erwachsenenbildung geschaffen, dient heute aber auch für Aktivitäten der Lehrlingsstufe im dualen System. Es wird sozialpartnerschaftlich, aber strikte ausserstaatlich betrieben. Damit ist es den schweizerischen «Parifonds» vergleichbar, wie sie in der Maschinenindustrie und im Baugewerbe bestehen.

Die berufsbildenden Schulen (vollzeitig oder in Ergänzung der Betriebslehre) werden vorwiegend durch die öffentliche Hand finanziert. Sie erheben aber Schulgelder, die unter gewissen Voraussetzungen durch Stipendien abgelöst werden. Ab dem Jahr 2000 soll eine aufwand- und erfolgsbezogene Finanzierung Platz greifen, die u.a. auf ein optimales Verhältnis von Lehrenden und Lernenden, Anzahl und Niveau der zertifizierten Abschlüsse und die erworbene Qualifikationsverbesserung (womit beispielsweise die Förderung Benachteiligter besonders honoriert werden kann) abstellt. Das Ziel sind weniger Ausfälle («drop-outs») und mehr Abschlüsse bei gesamthaft sinkenden Kosten.

Dänemark Zur Bekämpfung einer beträchtlichen Jugendarbeitslosigkeit
wurde in Dänemark ab 1977 ein pro-Kopf-Betrag zu Lasten von Provinzen und Gemeinden eingeführt. Das Anwendungsspektrum umfasste Fürsorge, Entlastung von Lehrbetrieben, Kurse, Berufsberatung, neue Ausbildungsplätze. Trotz ordnungspolitischen Bedenken wurden die Programme in modifizierter Form fortgesetzt, nun mit Schwergewicht auf Ausbau des Ausbildungsangebots im schulischen Bereich und durch Motivation der Lehrbetriebe (Reduktion der Normendichte, Hilfestellung in Ausbildungsfragen, Appelle).

Selbst nach Einführung finanzieller Beiträge an die Betriebe gingen die Lehrstellen aber konstant zurück, bzw. wurden insbesondere in zukunftsträchtigen Betrieben keine geschaffen. 1990 schlossen Regierung und Opposition eine Vereinbarung mit dem Ziel, allen Jugendlichen eine Ausbildung auf Sekundarstufe II zu ermöglichen: Berufsschulen sollen aktiv auf Werbetour bei den Betrieben gehen; Zugang zur Be-

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rufsbildung soll grundsätzlich kostenlos sein; für Schwächere wird eine Art Anlehre geschaffen, finanziert durch Arbeitgeber-Beiträge.

Nach Anfangsschwierigkeiten ­ das Programm litt an fehlendem Sozialprestige, da es als Massnahme zu Gunsten der weniger Begabten galt ­ beginnt das Angebot zu greifen. Sämtliche Betriebe müssen sich an Fonds beteiligen, aus denen den ausbildenden Betrieben die Gehälter der Lehrlinge während ihrer schulischen Abwesenheit rückerstattet werden. Ferner wird aus den Fonds ein schulisches Ausbildungsprogramm mitfinanziert für Jugendliche, die keine Lehrstelle gefunden haben. Andererseits fliessen staatliche Mittel an ausbildende Betriebe, was zwar als nicht sehr effizient erkannt, aber ordnungspolitisch akzeptiert wird. Staatliche Beiträge an Berufsschulen werden pauschal pro Kopf ausgerichtet, multipliziert mit einem Faktor, der den unterschiedlichen Kosten je nach Berufsfeld Rechnung trägt («taximeter»).

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Notwendigkeit und Eckpunkte der Berufsbildungsreform 1.1 Berufsbildung in veränderter Umwelt 1.1.1 Neue Qualifikationsbedürfnisse 1.1.2 Verändertes Lehrstellenangebot 1.1.3 Chancengleichheit der Geschlechter 1.2 Lehrstellenbeschluss I und II 1.3 Umfassende Bundeskompetenz für die Berufsbildung 1.4 Eine Aufgabe - drei Partner 1.5 Ja zum dualen System 1.6 Berufsbildung ­ Teil des Bildungssystems 1.6.1 Schulische und berufliche Bildung 1.6.2 Berufliche Handlungsfähigkeit 1.6.3 Herausforderung an berufliche Schulen 1.6.4 Integration 1.6.5 Ökologische Nachhaltigkeit 1.6.6 Gleich lange Spiesse 1.7 Ergebnis der Vernehmlassung 1.7.1 Hauptproblem: die Finanzierung 1.7.2 Neue Bildungsangebote 1.7.3 Weiterbildung 1.7.4 Berufsbildungsrat

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2 Die neue Berufsbildungsordnung 2.1 Entwicklungsoffenes Rahmengesetz ­ mehr Flexibilität 2.2 Einbezug neuer Bereiche 2.2.1 Gesundheit, Soziales, Kunst 2.2.2 Landwirtschaft 2.2.3 Forstwirtschaft 2.3 Differenzierte Grundbildung ­ Sekundarstufe II 2.3.1 Berufslehre 2.3.2 Die berufspraktische Bildung 2.3.3 Berufsfachschule 2.3.4 Berufsmaturität 2.4 Die höhere Berufsbildung ­ Tertiärstufe 2.4.1 Berufs- und höhere Fachprüfungen 2.4.2 Höhere Fachschulen 2.4.3 Entwicklungslinien 2.5 Berufsorientierte Weiterbildung 2.5.1 Bezug zur Arbeitswelt 2.5.2 Subsidiäre Rolle des Bundes 2.6 Übergänge zwischen den Bildungsstufen

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2.6.1 Berufsvorbereitung 2.6.2 Übertritt zur Tertiärstufe 2.6.3 Durchlässigkeit innerhalb und zwischen den Stufen 2.7 Steuerung der Berufsbildung 2.7.1 Kompetenzordnung 2.7.2 Innovationsrat 2.7.3 Qualitätsentwicklung 2.7.4 Berufsbildungsforschung 2.7.5 Neuorientierung des SIBP 2.7.6 Qualifikationsverfahren ­ Prüfungen und Abschlüsse

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3 Finanzierung 3.1 Ein neues Finanzierungsmodell 3.1.1 Höhere Bundesleistungen 3.1.2 Systemwechsel 3.1.3 Pauschalen 3.1.4 Innovationen und besondere Leistungen 3.2 Branchenbezogene Berufsbildungsfonds 3.3 Der neue Finanzausgleich (NFA)

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4 Erläuterung der Gesetzesbestimmungen

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5 Auswirkungen 5.1 Auswirkungen auf den Bund 5.1.1 Finanzielle Auswirkungen 5.1.2 Personelle Auswirkungen 5.1.3 Ausgabenbremse 5.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden 5.3 Auswirkungen auf die Gleichberechtigung 5.4 Volkswirtschaftliche Auswirkungen 5.5 Legislaturplanung 5.6 Verhältnis zum europäischen Recht 5.7 Verfassungsmässigkeit 5.8 Delegationen 5.9 Vollzugstauglichkeit

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Anhang 1 Finanzierung der Berufsbildung im Ausland

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Deutschland Österreich Frankreich Niederlande Dänemark

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Berufsbildungsgesetz (Entwurf)

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