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Parlamentarische Initiative Strässenverkehrsgesetz. Wohnquartiere Bericht der Verkehrskommission des Nationalrates vom 27. Mai 1982

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, Am 12. März 1980 /eichte Nationalrat Bratschi eine Initiative in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs mit folgendem Wortlaut ein: Das Bundesgesetz über den Strassenverkehr (SVG) vom 19. Dezember 1958 wird in Artikel 3 durch Anfügen eines Absatzes 7 wie folgt ergänzt: 7 Die Kantone und Gemeinden können zur Entlastung von Wohnquartiereu den Durchgangsverkehr beschränken und besondere Parkierungsregelungen einführen, dieden Anwohnern ;eine bevorzugte Stellung einräumen.

Gestützt auf Artikel 21 sePties Absatz 2 des Geschäftsverkehrsgesetzes (SR 171.11) beauftragte das Büro des Nationalrates die Verkehrskommission, den eingereichten Vorschlag zu prüfen.

Die Kommission beantragt der Initiative Folge zu geben, legt aber gestützt auf Artikel 27, Absatz 3 des Geschäftsreglementes des Nationalrates (SR 171.13) einen abgeänderten Text vor.

Gemäss Artikel 21octies des Geschäftsverkehrsgesetzes unterbreiten wir den Gesetzesentwurf und den erläuternden Bericht dem Bundesrat zur Stellungnahme und den Ratsmitgliedern zur Kenntnisnahme.

Beilagen 1 Gesetzesentwurf der Kommission 2 Begründung des Initianten 3 Erwägungen der Kommission Antrag

Die Verkehrskommission beantragt einstimmig, der Initiative in der geänderten Fassung zuzustimmen.

27. Mai 1982

1982-432

Im Namen der Verkehrskommission Der Präsident: Räz '

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Beilagen l

Gesetzesentwurf der Kommission

Bundesgesetz über den Strassenverkehr

Entwurf

Änderung vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 37bis der Bundesverfassung, nach Prüfung einer parlamentarischen Initiative, nach Einsicht in den Bericht einer Kommission des Nationalrates vom 27. Mai 1982') 2 und in die Stellungnahme des Bundesrates vom \ beschliesst: I

Das Bundesgesetz über den Strassenverkehr3> wird wie folgt geändert: Art. 3 Abs. 4 zweiter Satz (neu) 4 )... erfordern. Insbesondere können zum Schutz von Wohnquartieren vor Lärm und Luftverschmutzung der Verkehr von Motorfahrzeugen oder deren Parkieren verboten oder beschränkt werden; den Verkehrsbedürfnissen der Quartierbewohner und gleichermassen Betroffener ist dabei angemessen Rechnung zu tragen. Gegen

II 1 2

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

'> BB1 1982 II 871 > BBI ....

> SR 741.01

2

3

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2

Begründung des Initianten

21 Die Bevölkerungsentwicklung der Städte beweist, dass die aktive Bevölkerung seit rund zehn Jahren stark abnimmt (Stadt Bern: 1500 Personen, darunter 600 Familien jährlich). Sie ziehen ins Grüne der Agglomerationsgemeinden. Es ist dort ruhiger, hat weniger Verkehr, die Kinder können noch draussen spielen die Wohnqualität ist höher. Sie behalten den Arbeitsplatz in der Stadt und werden zu Pendlern. Die Stadtbewohner sehen sich dadurch einer täglichen Lawine einrollender Motorfahrzeuge gegenüber. Als Durchgangsverkehr einerseits und als parkplatzsuchender vagabundierender Verkehr anderseits, belasten sie die Wohnquartiere ausserordentlich. Der Motorfahrzeugverkehr ist der grösste überall wirkende Lärmerzeuger in den Städten; die Stadtbevölkerung atmet (unfreiwillig) giftigste Abgase und Bleirückstände (Stadt Bern: 63% aller Abgase von Motorfahrzeugen); die Unfallgefahr ist wegen der hohen Dichte von Fussgängern und Fahrzeugen grösser; Schäden an Gebäuden, Brücken und weiteren Strassenanlagen durch Erschütterungen und korrosive Gase an den Strukturen und Fassaden verursachen hohe materielle Kosten.

Dieser verhängnisvollen Entwicklung, wonach die aktive Bevölkerung wegen sinkender Lebensqualität abwandert und durch tägliches Pendeln die Verkehrs-, Immissions- und Kostenprobleme in der Stadt nun selbst verschärfen hilft, muss unbedingt Einhalt geboten werden.

22

Die Städte unterhalten über Steuergelder der Einwohner öffentliche Verkehrsmittel, die auch den Erwerbstätigen aus den Agglomerationsgemeinden zugänglich sind. Der umweltschonende und wirtschaftlich effizientere Gebrauch von Bus, Trolleybus, Tram und Bahn ist für Pendler eine ebenso gültige Alternative wie für die Stadtbewohner üblich. Grosse Anstrengungen werden von den Städten unternommen, um die öffentlichen Verkehrsmittel über den Stadtrand hinauszuziehen. Zwei Voraussetzungen sind dazu notwendig: Eine Unterstützung durch verkehrsregelnde Massnahmen in den Städten selbst und eine Beteiligung der Agglomeratipnsgemeinden an den Kosten.

23 Eine sinnvolle verkehrsplanerische Massnahme stellt ein Berner Versuch dar. In Wohnquartieren soll unter anderem die Blaue Zone vorgesehen werden, wobei Anwohnern und im Quartier ansässigen Geschäftsleuten das unbeschränkte Parkieren ermöglicht wird. Erfahrungsgemäss sind die Quartierbewohner nicht bereit, generelle Parkbeschränkungen, Blaue Zonen oder Taxameter zu akzeptieren, wird dadurch doch eine Rechtsungleichheit geschaffen. Während der Pendler keine Mühe hat, sein Motorfahrzeug an seinem Wohnort zu parkieren, werden die Abstellplätze für den Stadtbewohner zunehmend eingeschränkt.

Schon seit Jahren kann der Stadtbewohner nicht mehr mit seinem Motorfahr873

zeug an den Arbeitsplatz in der Stadt fahren, während es der Pendler mit den beschriebenen Folgen immer wieder versucht.

Die Stellung des Stadtbewohners ist also bereits heute schlechter. Jede Einschränkung seiner Parkmöglichkeiten trifft ihn härter als den Pendler, kann doch das Interesse des Wohnens in seiner Bedeutung nicht auf die gleiche Stufe gesetzt werden, wie das des Pendlers. Hinzu kommt, dass auch viele Nichtautomobilisten in den Städten ein vitales Interesse am Wohnen manifestieren und sich durch das rücksichtslose Verhalten der Pendlermassen (Stadt Bern: täglich 20 000 Motorfahrzeuge) belästigt fühlen.

24 Der Bundesrat hält dafür, die geltende Rechtslage stehe diesem «Berner Modell» entgegen (Entscheid vom 16. Jan. 1980 i. S. Beschwerde der Einwohnergemeinde Bern). Auch wenn die dafür vorgebrachte Begründung keineswegs einleuchtet, muss folglich der Weg einer Ergänzung des Strassenverkehrsgesetzes gegangen werden, um den Schutz der Wohnquartiere, der zeitlich und sachlich sehr dringend ist, bald erreichen zu können.

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Erwägungen der Kommission

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Vorgeschichte

Die Behörden der Stadt Bern haben im Jahre 1973 ein Modell entwickelt, um in den Wohnquartieren das Parkieren von Pendlerfahrzeugen einzuschränken.

Dieses Modell sah folgende Massnahmen vor: a) An der Peripherie ist das Parkieren zeitlich unbeschränkt und gebührenfrei (im Sinne von Park and Ride).

b) An ausgewählten, verkehrsmässig gut erschlossenen, gegen Immissionen weniger empfindlichen Stellen im Wohnquartier selber werden gebührenpflichtige Parkplätze mit einer bescheidenen Gebühr und einer Höchstparkierungsdauer von 12 Stunden angeordnet.

c) Im übrigen Quartier wird die Blaue Zone eingeführt. Anwohnern und im Quartier ansässigen Geschäftsleuten für ihre Geschäftsfahrzeuge werden auf Gesuch hin Bewilligungen abgegeben, die zum zeitlich unbeschränkten Parkieren in der Blauen Zone berechtigen.

Mit diesen Massnahmen sollte die Zahl der in den Wohnquartieren abgestellten Fahrzeuge und damit auch der Parkplatzsuchverkehr vermindert werden. Vertreter der Bevölkerung (Vertreter der Quartiervereine, der Privatwirtschaft, der Verkehrsverbände usw.) stimmten diesem Modell mit deutlicher Mehrheit zu.

Es wurde beschlossen, das System zunächst in einem begrenzten Versuch auszuprobieren, wobei der Anstoss von der Quartierbevölkerung ausgehen sollte. Das Mattequartier ergriff als erstes die Initiative für einen solchen Versuch. Die Polizeidirektion der Stadt Bern erliess deshalb am 21. Oktober 1977 folgende Verfügung: Parkzeitbeschränkung Matte Zum Sammeln von Erfahrungen wird im gesamten Mattequartier (inkl. Läuferplatz) versuchsweise die Blaue Zone eingeführt. Ausgenommen bleiben 9 Plätze an der Gerberngasse, wo die Parkzeit auf 12 Stunden beschränkt und mit Parkuhren eine Parkgebühr von 50 Rp. pro Stunde erhoben wird.

Anwohnern stellt die Polizei auf Gesuch hin Ausnahmebewilligungen aus, die zu unbeschränktem Parkieren in der Blauen Zone berechtigen. Gleiche Vergünstigungen sind vorgesehen für Geschäftsinhaber usw., für Geschäftsfahrzeuge, die regelmässig zum Güterumschlag oder für ähnliche Transporte benützt werden.

Im Mattequartier stehen etwa 270 öffentliche und rund 80 private Abstellplätze zur Verfügung. Die Polizeidirektion rechnete mit etwa 130 Ausnahmebewilligungen im Sinne der zitierten Verfügung. Auf dem benachbarten Parkplatz «Klösterli» stehen rund 120 Plätze zur Verfügung.

Gegen diese Verfügung reichte eine in der Nähe des Mattequartiers ansässige Firma Beschwerde beim Regierungsstatthalter ein. Sie begründete die Beschwerde damit, dass durch die Bevorzugung der Einwohner des Mattequartiers die Rechtsgleichheit verletzt werde. Die Firma sei auf einen unbeschränkten Parkplatz in der Nähe des Geschäfts angewiesen, und die Mieter in ihrem Hause benötigten ebenfalls einen Platz im Mattequartier, weil sie sonst in der Nähe der Wohnung nirgends ihr Auto abstellen könnten.

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Am 20. März 1978 hiess der Regierungsstatthalter die Beschwerde gut und hob die angefochtene Verfügung vom 21. Oktober 1977 auf. Er begründete diesen Entscheid damit, dass nach Lehre und Praxis den Anstössern am Gebrauch einer öffentlichen Sache kein besseres Recht zukomme als den anderen Bürgern.

Die Benützung einer öffentlichen Strasse stehe daher jedem Bürger in gleichem Masse zu wie den Anstössern. Allfällige Ausnahmebewilligungen dürfen dem in Artikel 4 der Bundesverfassung festgelegten Grundsatz der Rechtsgleichheit '' nicht widersprechen. Die Einführung einer Blauen Zone solle der Schaffung einer möglichst grossen Zahl von Parkplätzen dienen. Dieser Zweck werde indessen wiederum zum grossen Teil vereitelt, wenn bei einer Zahl von etwa 270 bestehenden öffentlichen Parkplätzen etwa 130 Ausnahmebewilligungen zugunsten der Anwohner erteilt werden. Eine solche Privilegierung der Quartierbewohner verletze das Gebot der Rechtsgleichheit.

Die Einwohnergemeinde Bern zog den Fall an den Regierungsrat des Kantons Bern weiter; dieser schloss sich aber dem Entscheid und der Begründung des Regierungsstatthalters an (16. Aug. 1978). Gestützt auf Artikels Absatz 4 des Strassenverkehrsgesetzes erhob die Stadt Bern Beschwerde beim Bundesrat, wurde aber am 16. Januar 1980 abgewiesen. Der Bundesrat begründete seinen Entscheid damit, dass «die Ausnahmeregelung in der Form, wie sie von der Polizeidirektion der Stadt Bern am 21. Oktober 1977 verfügt wurde, gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit» verstosse (Verwaltungspraxis der Bundesbehörden, 1980, S. 100-109).

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Arbeit der Kommission

Die Kommission hörte an einer ersten Sitzung vom 18. August 1980 den Initianten an. Sie beschloss, nach eingehender Beratung mit 16 zu l Stimme, auf die Initiative grundsätzlich einzutreten. Sie ersuchte die Herren Etienne Grisel, Professor für öffentliches Recht an der Universität Lausanne, und Jörg P.Müller, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bern, unabhängig voneinander zu folgender Frage Stellung zu nehmen: Ist eine Regelung des Parkierens auf öffentlichem Grund in Wohnquartieren, bei der zwischen Anwohnern und anderen Automobilisten differenziert wird, mit Artikel 4 der Bundesverfassung vereinbar, wenn im Gesetz den Kantonen eine entsprechende Kompetenz gegeben wird? Wenn ja, wie weit darf die Differenzierung gehen?

An der Sitzung vom 23. Februar 1981 lagen die beiden verlangten Gutachten vor. Die Aussprache mit den Experten an dieser Sitzung ergab, dass der Text der Initiative geändert werden sollte. Die beiden Gutachter arbeiteten anschliessend entsprechende Formulierungen aus, die an der Sitzung vom 19. Januar 1982 der Verkehrskommission als Grundlage für ihren eigenen Text dienten.

Der vorliegende Bericht wurde am 27. Mai 1982 verabschiedet.

"> Art. 4 Abs. l BV hat folgenden Wortlaut: «Alle Schweizer sind vor dem Gesetz gleich. Es gibt in der Schweiz keine Untertanenverhältnisse, keine Vorrechte des Orts, der Geburt, der Familien oder Personen.»

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Stellungnahme der Experten

331 Professor Grisel kam zum Schluss, dass die Bundesversammlung den Grundsatz der Rechtsgleichheit verletzen würdej wenn:sie - wie dies der Initiant beantragt --die Kantone und i Gemeinden mit einer Änderung des Strassenverkehrsgesetzes ermächtigte, den Anwohnern eine bevorzugte Behandlung bei Parkierungsregelungen zu gewähren. Diese Beurteilung bezog sich auf den Text der Initiative und auf das konkrete «Berner Modell». Grisel stützte sich auf die Argumentation des Regierungsstatthalters des Amtsbezirkes Bern, des Regierungsrates des Kantons Bern und des Bundesrates. Er führte weitere Gründe auf: In einem Urteil vom 17. März 1922 hielt das Bundesgericht fest, dass der in Artikel 4 der Bundesverfassung verankerte Grundsatz der Rechtsgleichheit verletzt werde, wenn ein Kanton den Verkehr mit Motorfahrzeugen an Sonntagen den im Kanton Niedergelassenen erlaube, den ausserkantonalen Motorfahrzeugbesitzern aber verbiete (BGE 48 I 1). Der Wohnort dürfe nicht Grund für eine unterschiedliche Behandlung sein.

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Grisel hält weiter fest, dass eine Gemeinde ein auf ihre Kosten und für ihre Bedürfnisse erstelltes Schwimmbad für die eigenen Einwohner reservieren dürfe (BGE 100 la 292-293). Hingegen müsse die öffentliche Strasse dem allgemeinen Gebrauch offenstehen. Die Tatsache, dass die Kantone ortsansässigen Taxihaltern Standplätze reservieren dürfen (BGE 99 la 398-400), sei als Ausnahme zu betrachten und lasse sich damit begründen, dass die Taxis einen öffentlichen Dienst versehen.

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Grisel vertrat aber !die Ansicht, dass das Zier der Initiative mit einem anderen Text teilweise auch erreicht werden könne, ohne Artikel 4 der Bundesverfassung zu verletzen.

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Professor Müller ibeurteilte eine Änderung des Strassenverkehrsgesetzes im Sinne des Initianten nicht zum vornherein als verfassungswidrig: Konkret zu beurteilen ist, ob die vom Initianten vorgeschlagene Norm als abstrakte Ermächtigung an Kantone und Gemeinden Art. 4 der Bundesverfassung verletzt. Dies ist zu bejahen, wenn jedes Gemeinwesen, das ,von der Ermächtigung Gebrauch macht, - unter dem Schutz des Bundesgesetzes Artikel'4 der Bundesverfassung verletzen darf 1 oder notwendigerweise verletzt. : Zu verneinen ist die Frage, wenn die Norm auch einen vernünftigen Sinn ergibt,, wenn sie verfassungskonform von Kanton und Gemeinden konkretisiert wird.

Der Experte schlug vor, am Gesetzestext verschiedene Änderungen anzubringen, insbesondere sollte festgehalten werden, dass eine Differenzierung zugunsten der Quaitierbewohner nur im öffentlichen Interesse aus städteplanerischen Gründen vorgenommen werden dürfe, nicht einfach aus Bequemlichkeitsgründen der Stadtbewohner. Zudem werde «bei den konkreten Ausgestaltungen der Parkordnungen zu prüfen sein, ob unhaltbare Rechtsungleichheiten bestehen zwischen Erstellern privater Abstellflächen und ändern Bewohnern. Dem ist al41 Bundesblatt. 134. Jahrg. Bd. II .

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lenfalls durch entsprechende Gebühren für die Privilegierung entgegenzuwir,ken.» Professor Müller betonte aber in seinem Gutachten, dass mit der Beantwortung der Frage, ob eine Gesetzesbestimmung im Sinne der Initiative verfassungskonform ist, noch nicht entschieden sei, ob die von einem Kanton oder einer Gemeinde später konkret angeordnete Parkierregelung mit Artikel 4 der Bundesverfassung vereinbar ist.

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Begründung von besonderen Parkierregelungen in Wohnquartieren

Im Laufe der letzten Jahre hat die Zahl der auswärtigen Automobilisten, die ihr Auto in städtischen Wohnquartieren den ganzen Tag hindurch abstellen, stark zugenommen. Zum Teil haben diese Leute ihren Arbeitsplatz im Stadtzentrum, können aber dort nicht parkieren, weil das Parkieren auf öffentlichem Grund nur für relativ kurze Zeit erlaubt ist. Aus Kostengründen wollen diese Automobilisten ihr Fahrzeug nicht in ein gebührenpflichtiges Parkhaus stellen, sondern parkieren im Wohnquartier und gehen zu FUSS an ihren Arbeitsplatz.

Die Zunahme der in Wohnquartieren tagsüber abgestellten Autos von Pendlern ist zudem darauf zurückzuführen, dass in den letzten Jahren zahlreiche Arbeitsplätze vom Stadtzentrum in Wohnquartiere verlegt wurdeii; aus städtebaulichen Gründen konnten aber nicht genügend private Parkplätze erstellt werden.

Das Parkieren der Pendler bringt den Quartierbewohnern erhebliche Nachteile.

Die an- und wegfahrenden Fahrzeuge verursachen Lärm und gefährden die Quartierbewohner, insbesondere Kinder. Die Leute werden durch Abgase belästigt, auch wenn die Abgasvorschriften vom 1. März 1982 für die neu in Verkehr gesetzten Autos mit Benzinmotoren mit der Zeit eine beträchtliche Reduktion der Schadstoffe zur Folge haben werden. Zudem hat der Ortsansässige Mühe, sein eigenes Auto in der Nähe der Wohnung abzustellen. In den traditionellen städtischen Wohnquartieren, die vor einigen Jahrzehnten gebaut wurden, sind wenig private Abstellplätze zu finden, weil diese früher gar nicht nötig waren.

Wohl wird in verschiedenen kantonalen Baugesetzen bei Neubauten sowie bei Erweiterungen und Zweckänderungen von bestehenden Bauten die Errichtung einer ausreichenden Anzahl von Parkplätzen auf privatem Grund verlangt. Die Schaffung von Parkplätzen erfordert meistens die Umwandlung von Grünfläche; unterirdische Abstellplätze sind sehr teuer (rund das fünffache von ebenerdigen Plätzen) und sind oft aus bautechnischen und architektonischen Gründen gar nicht möglich. Solange die in den Wohnquartieren zur Verfügung stehenden Parkplätze auf öffentlichem Grund nur von den Quartierbewohnern benützt wurden, reichten diese aus. Mit der Zunahme der Pendler, die ihren Arbeitsplatz im Stadtzentrum haben und im Wohnquartier parkieren, und mit der Verlegung von Arbeitsplätzen in Wohnquartiere wurde der Platz in den
Quartieren knapp.

Das Fehlen von Parkplätzen ist für die Quartierbewohner ein Nachteil, besonders dann, wenn sie das Auto tagsüber abstellen wollen, bevor die Pendler weggefahren sind.

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Die Belästigung durch den Pendlerverkehr in Wohnquartieren und das Fehlen von Parkplätzen für die Bewohner beeinträchtigen die Wohnqualität in den Städten in erheblichem Masse und haben mit zur Abwanderung in die Agglomerationsgemeinden geführt. In neu erstellten Gebäuden, bei denen private Abstellplätze vorhanden sind, sind die Mietzinse meistens hoch, was ebenfalls zur Abwanderung beiträgt.

Besondere Parkierungsregelungen für Wohnquartiere sollen dieser Stadtflucht entgegenwirken und die Anwohner vor Lärm und Luftverschmutzung schützen.

Sie sollen im öffentlichen Interesse erlassen werden können, nicht bloss für die Bequemlichkeit der i Quartierbewohner. Indem die entsprechenden Massnahmen eine zweckmässige i Nutzung des .Bodens und, eine geordnete Besiedlung des Landes sichern wollen, erfüllen sie einen verfassungsrechtlich ausdrücklich;anerkannten öffentlichen Zweck (Art. 22«uater BV). Das Bundesgericht hat;in seinem Entscheid vom 21. Januar 1976 Massnahmen gegen die Entleerung von: bestehenden Ortszentren als legitime planerische Anliegen beurteilt (BGE 702 la 117). Auch der Schutz des Menschen vor Lärm und Abgasen stellt ein öffentliches Interesse dar (vgl. unten Ziff. 36).

Eine Massnahme zur Einschränkung des Verkehrs. in Wohnquartieren besteht darin, dass ein Fahrverbot erlassen, der Zubringerdienst aber erlaubt wird. Dies ist schon nach dem heutigen Strassenyerkehrsgesetz, möglich. An den entsprechenden Strassen können dann automatisch, nur die Anwohner längere Zeit parkieren. Diese Massnahme benachteiligt aber die Quartierbewohner, die an einer Durchgangsstrasse wohnen und unter Lärm und Abgasen besonders leiden. Sie dürfen nicht an der benachbarten, mit Fahrverbot belegten Quartierstrasse parkieren, weil sie nicht Anwohner im Sinne der Gesetzgebung sind; die wenigen Parkplätze an der Durchgangsstrasse sind von Pendlern besetzt. Mit, einem Fahrverbot lässt sich das Ziel der zur Diskussion stehenden Initiative nur in wenigen, in sich abgeschlossenen Quartieren lösen.

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Das Luzerner Modell

In der Stadt Lüzern gilt seit einiger Zeit folgende Regelung: ;

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Altstadt

Der Kern der Altstadt ist als Sperrgebiet für Motorfahrzeuge mit einem allgemeinen Fahrverbot belegt. Als Ausnahme vom allgemeinen Fahrverbot ist der Zubringerdienst täglich, ausgenommen an öffentlichen Ruhetagen, von 06.00 Uhr bis 10.00 Uhr gestattet. In den übrigen Zeiten ist das Befahren des Sperrgebietes nur im Rahmen von Ausnahmebewilligungen für unaufschiebbare Lieferfahrten erlaubt. Ohne Bewilligung können jederzeit in öffentlichen Diensten stehende Fahrzeuge in das Sperrgebiet einfahren, ferner Motorfahrzeuge, deren Halter im Sperrgebiet über private Abstellplätze verfügen oder die im Sperrgebiet dauernden Wohnsitz haben (nur für die direkte Zu- und Wegfahrt zum Abstellplatz oder zur Wohnung). Im Sperrgebiet gibt es keine öffentlichen Parkplätze.

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Übriges Stadtzentrum

Im übrigen Stadtzentrum ist das Parkieren auf öffentlichen Parkfeldern nur während einer beschränkten Zeit gestattet (Parkuhren oder Blaue Zonen).

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Randgebiete des Stadtzentrums

Die an das Stadtzentrum angrenzenden Wohnquartiere, in denen sehr viele Pendler ihre Autos abstellten, wurden 1977 zur «Blauen Zone mit speziell signalisierter Ausnahmeregelung ohne zeitliche Beschränkung» erklärt. Jeder Automobilist, der die Dauerparkgebühr im Betrage von 15-25 Franken pro Monat bezahlt hat, kann in der Blauen Zone entweder unbeschränkte Zeit, den ganzen Tag oder die ganze Nacht über parkieren, je nachdem, welche Gebühr er bezahlt hat.

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Übriges Stadtgebiet

Im übrigen Stadtgebiet ist das Parkieren auf öffentlichen Parkplätzen ohrie zeitliche Beschränkung zulässig und, sofern die Voraussetzungen der Dauerparkiergebührenpflicht nicht vorliegen, gebührenfrei. Einzig an Orten, wo ein Bedürfnis nach kurzfristigen Parkierungsmöglichkeiten besteht (vor Heimen, öffentlichen Anlagen), wurden Parkingmeter aufgestellt.

Der Erfolg dieser Massnahmen wird von den Luzerner Stadtbehörden als gut beurteilt.

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Erläuterungen zum Gesetzesentwurf

Der heutige Absatz 4 von Artikel 3 des Strassenverkehrsgesetzes gibt den Kantonen bzw. Gemeinden schon das Recht, «andere Beschränkungen oder Anordnungen» aus verkehrspolizeilichen Gründen zu erlassen und «soweit andere in den örtlichen Verhältnissen liegende Gründe dies erfordern». Nach Auffassung des Bundesrates gehören zu diesen «anderen in den örtlichen Verhältnissen liegenden Gründen» auch jene des Umweltschutzes, namentlich der Schutz der Strassenanwohner vor übermässigen Lärm- und Abgaseinwirkungen. ') Die Kommission will den heute in der Praxis bereits angewandten Grundsatz, dass der Schutz der Wohnquartiere vor Lärm und Luftverschmutzung ein öffentliches Interesse darstellt, ausdrücklich im Gesetz verankern.

Deshalb die Formulierung, dass die Kantone bzw. Gemeinden a. den Verkehr in Wohnquartieren beschränken oder verbieten; b. das Parkieren in Wohnquartieren beschränken oder verbieten können.

Zur Berücksichtigung der Verkehrsbedürfnisse der Quartierbewohner und gleichermassen Betroffener muss allenfalls von den kantonalen bzw. kommunalen Behörden festgelegt werden, wer bei einer Beschränkung in einem Quartier fah!

> Verwaltungspraxis der Bundesbehörden, 1975 S. 94-95.

ren oder parkieren darf. Die Beschränkung auf bestimmte Fahrzeuge darf aber Artikel 4 der Bundesverfassung nicht verletzen.

Die Quartierbewohner erhalten keinen Anspruch auf einen Parkplatz auf öffentlichem Grund, aber einen gewissen Anspruch auf Schutz vor Lärm und Luftverschmutzung. Eine Privilegierung bei der Benützung von Parkplätzen kann sich allenfalls als Folge einer Massnahme zum Schutz vor Lärm und Luftverschmutzung ergeben. Durch eine solche Massnahme darf aber nicht eine stossende ungleiche Behandlung von Quartierbewohnern, die selbst für ihren Abstellplatz sorgen können, und solchen, die auf öffentlichem Grund parkieren müssen, entstehen.

Unter den Begriff «Verkehrsbedürfnisse» können unter Umständen auch Parkierbedürfnisse fallen;: bei einer konkreten Parkiervorschrift! müssen allenfalls auch die Möglichkeiten der Quartierbewohner, ihr:Auto längere Zeit abzustellen, berücksichtigt werden, soweit dies aus städteplanerischen Gründen notwendig ist.

Mit der Formulierung, jdass nicht nur den Verkehrsbedürfnissen der Quartierbewohner, sondern auch «gleichennassen Betroffener» Rechnung zu tragen sei, wird den Kantonen bzw. Gemeinden:mehr Spielraum bei konkreten Anordnungen gegeben.

, , Die Verkehrs- und Parkierbeschränkungen im Sinne der Initiative sollen der Beschwerde an den Bundesrat unterliegen, gleich wie bis jetzt schon die in Absatz^ von Artikels des Strassenyerkehrsgesetzes vorgesehenen Massnahmen verkehrspolizeilicher oder technischer Natur. Die Kommission beantragt deshalb auch, die neue Bestimmung in Absatz 4 einzubauen und nicht einen!neuen Absatz 7 anzufügen, wie dies der Initiant vorschlägt.

Zur Diskussion stand in der Kommission die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der .Bürger oder die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Da die von Kantonen oder Gemeinden erlassenen Verkehrs-, Parkier- und Geschwindigkeitsbeschränkungen nach heutigem Recht der Beschwerde an den Bundesrat unterliegen, will die Kommission aus praktischen Überlegungen nicht eine andere Beschwerdeinstàhz für Verkehrs- und Parkierbeschränkungen, die zum Schutz der Wohnquartiere vor Lärm und Luftverschmutzung dienen, einführen.

Mit dieser Gesetzes-Ergähzung will der Gesetzgeber die Auslegung vom Artikel 3 des Strassenverkehrsgesetzes
verdeutlichen bzw. ergänzen und zum Ausdruck bringen, dass! eine Regelung dieser Verkehrsfrage in Berücksichtigung öffentlicher Interessen Artikel 4 der Bundesverfassung nicht verletzt.

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42 Bundesblatt. 134. Jahrg. Bd. II

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Parlamentarische Initiative Strassenverkehrsgesetz. Wohnquartiere Bericht der Verkehrskommission des Nationalrates vom 27. Mai 1982

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

10.08.1982

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