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II. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Junisession 1933).

(Vom 23. Mai 1933.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten, über weitere 10 Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen.

138. Mathäus Merlo, 1883, Baumeister, Grenchen (Solothurn).

(Unfallversicherung, Prämienhinterziehung.)

138. Mathäus Merlo ist am 2. März 1932 vom Amtsgericht SolothurnLebern gemäss Art. 64 des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung vom 13. Juni 1911 und zudienenden Vollzugsbestimmungen zu Fr. 400 Busse verurteilt worden.

Das Urteil betrifft unrichtige Lohndeklarationen als Baumeister und mangelhafte Lohnhstenführung, mit bewusster Prämienhinterziehung von 1919 bis 1980.

Für Merlo ersucht die Ehefrau mit Eingabe vom Oktober 1932 um Erlass der Busse. Diese könne wegen Zahlungsunfähigkeit nicht entrichtet werden.

Der Antritt der Umwandlungsstrafe sei wegen schwerer Krankheit des Verurteilten, verbunden mit längerem Spitalaufenthalt, nicht möglich. Da die Eheleute in sehr prekärer Lage seien, wäre der Strafvollzug ein harter Schlag.

Ein Polizeibericht vom April 1933 teilt mit, dass sich der Gesundheitszustand Merlos zwar gebessert habe, dass er aber monatelang erwerbsunfähig gewesen sei, heute in ärmlichen Verhältnissen lebe und als Folge von Bürgschaf tsschulden vor dem Konkurse stehe.

Das Polizeidepartement des Kantons Solothurn beantragt Herabsetzung der Busse bis Fr. 100 oder doch Fr. 200. Bei Vergehen dieser Art werde in der Eegel die Begnadigung berechtigterweise verweigert; der Antrag, einen Bussenteil zu erlassen, erfolge ausschliesslich in Würdigung der Notlage des Bestraften.

851 Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt vorweist auf ihre ablehnende Stellungnahme zu früheren Gesuchen, anerkennt aher, dass ein besonderer Fall vorliege. Es sollten weitgehend Teilzahlungen ermöglicht werden. Eine vollständige Begnadigung sei keinesfalls angezeigt und die Frage einer allfälligen Teilbegnadigung werde dem Ermessen der Bundesversammlung anheimgestellt.

Unserseits ziehen wir angesichts der eindeutigen Praxis der Begnadigungsbehörde in Betracht, dass bei Gesuchen dieser Art Abweisung zu beantragen ist, solange sich ein anderer Entscheid nicht geradezu auf zwingt. Bei Merlo beantragen wir Abweisung zurzeit, in der Meinung, dass zunächst abgewartet werden soll, ob und welche Teilzahlungen erfolgen können, wobei die kantonale Strafvollzugsbehörde weitgehendes Entgegenkommen zeigen mag; sollte die Anordnung der Umwandlungsstrafe wirklich unumgänglich sein, so wäre dann allenfalls ihre gnadenweise Ermässigung näher zu überprüfen.

Die Gesuchserledigung kann unter keinen Umständen an der Tatsache vorbeigehen, dass jahrelange Verfehlungen vorliegen, die nach der Überzeugung des urteilenden Gerichtes wissentlich erfolgt sind.

189. Hans Stettier, 1910, Melker, Bünzen (Aargau), 140. Augustin Schreier, 1896, Landwirt, Horriwil (Solothurn), 141. Walter Kunmüi, 1899, Landwirt, Laufen (Bern), 142. Hans Schluep, 1901, Landwirt, Wengi (Bern).

(Milchfälschung.)

G-emäss Bundesgesetz betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. Dezember 1905 sind verurteilt worden: 189. Hans Stettier, verurteilt am 28. November 1932 vom Bezirksgericht Muri zu 5 Tagen Gefängnis und Fr. 50 Busse. Die Beschwerde an das Obergericht des Kantons Aargau ist abgewiesen worden.

Am 80. Mai 1932 enthielt die aus dem Betriebe des Landwirtes Kühn in die Käserei Bünzen gelieferte Milch einen Wasserzusatz von zirka 14,s %. Die beiden urteilenden Gerichte sind, laut Erwägungen, im Wege des Indizienbeweises zur zwingenden Überzeugung von der Schuld Stettiers gekommen.

Für den Vorsatz spreche namentlich die Menge des Wasserzusatzes von rund 20 Litern.

Für Stettier ersucht ein Rechtsanwalt um Erlass der Gefängnisstrafe, allenfalls um deren Umwandlung in Geldbusse. Stettier habe die Urheberschaft an der Wässerung ständig bestritten. Es liege ein blosser Indizienbeweis vor, der Grundsatz «indubio pro reo» sei nicht zur Anwendung gelangt und der bedingte Strafvollzug habe von Bundesrechts wegen nicht gewährt werden können, welche Härte im Begnadigungsweg zu mildern sei.

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Das Bezirksgericht Muri kann die Begnadigung nicht empfehlen. Das Eidgenössische Gesundheitsamt zieht in Erwägung, dass es sich sicher um ein einmaliges Vergehen handle, was bei der sonstigen Unbescholtenheit Stettiers die Präge zulasse, ob nicht eine mildere Bestrafung am Platze gewesen wäre.

Da aber das Bezirksgericht Abweisung beantragt, stellt das Gesundheitsamt keinen Gegenantrag, um nicht allgemein eine mildere Gerichtspraxis hervorzurufen.

Wie in früheren Fällen (zu vgl. neuestens die Antragsbegründung zu Fall 21 im I. Bericht vom 18. November 1982 Bundesbl. II, 844/845) ist auch hier davon Umgang zu nehmen, irgendwie auf die Frage der Urheberschaft und des Vorsatzes zurückzukommen. Nach der ganzen Aktenlage ist hinwiederum zu sagen, dass das sehr günstig lautende Leumundszeugnis des Gemeinderates Bünzen die bedingte Begnadigung des 23jahrigen Gesuchstellers nahe legen kann. Angesichts der Stellungnahme des Bezirksgerichtes Mûri entschliessen wir uns jedoch zum A n t r a g , das Gesuch abzuweisen. Wir wollen damit jeden Anschein vermeiden, dass die Begnadigung in Wirklichkeit doch eine verkappte Nachprüfung des Beweises in sich schliesse.

140. Augustin Schreier, verurteilt am 14. Dezember 1932 vom Amtsgericht Bucheggberg-Kriegstetten zu Fr. 100 Busse.

Die von Schreier am 18. Juli letzten Jahres in die Käserei Horriwil gelieferte Milch erwies sich als zu 18 % gewässert.

Für Schreier ersucht ein Eechtsanwalt um Erlass von Busse und Kosten.

Schreier habe die Milchfälschung ständig bestritten und behaupte heute noch, dass ein Kacheakt vorliege. Ferner wird Notlage geltend gemacht; Schreier sei als Kleinbauer, der seinerzeit zu teuer gekauft habe, seit einigen Wochen Konkursit, so dass die Umwandlungsstrafe drohe.

Das Sanitätsdepartement des Kantons Solothurn kann das Gesuch nicht empfehlen. Das kantonale Polizeidepartement beantragt den ganzen oder teilweisen Bussenerlass.

Mit dem Eidgenössischen Gesundheitsamt beantragen wir deshalb Abweisung, weil das Urteil offenbar milde ist, und die von Schreier gelieferte Milch dem Käser schon früher verdächtig war. Im Vergleich zu Art und Mass der Strafe in anderen Urteilen betreffend Lebensmittelpolizei wäre im vorliegenden Falle auch eine Strafumwandlung keine ausserordentliche Härte.

Allenfalls könnte heute Abweisung zurzeit erfolgen, zwecks
Herbeiführung von Teilzahlungen und erneuter Überprüfung, sofern der Vollzug der Umwandlungsstrate wirklich bevorstehen sollte.

141. Walter Kurnmli, verurteilt am 27. Oktober 1932 vom Amtsgericht Dorneck-Thierstein zu Fr. 200 Busse.

Die am 2. August 1982 aus dem Betriebe Kurnmh's für Kunden in Barschwil bestimmte Milch erwies sich als zu 6 % gewässert. Das Gericht verurteilte wegen fahrlässigen Inverkehrbringens verwässerter Milch.

853

Kummli ersucht um Erlass der Busse. Er bezeichnet sich als zu Unrecht verurteilt. Die Appellationsfrist habe er verpasst. Er sei Konkursit mit Familienlasten.

Das Sanitätsdepartement des Kantons Solothurn kann die Begnadigung nicht empfehlen. Das kantonale Polizeidepartement beantragt, dem Gesuche ganz oder doch weitgehend zu entsprechen.

Mit dem Eidgenössischen Gesundheitsamt beantragen wir Abweisung.

Kummli hat in raffinierter Weise versucht, die Stallprobe zu erschweren und die mit den Erhebungen betrauten Personen derart zu täuschen, dass in den Milchgefässen Spülwasser belassen wurde. Wie bei Schreier mag allenfalls auch hier Abweisung zurzeit erfolgen.

142. Hans Schluep, verurteilt am 9. November 1932 vom Gerichtspräsidenten von Buren zu 6 Tagen Gefängnis.

Die von Schluep am 2. September 1982 in die Käserei gebrachte Milch war zu 8 % gewässert.

Für Schluep ersucht ein Eechtsanwalt um bedingte Begnadigung, da der Verurteilte ohne Vorstrafe und gut beleumdet sei. Der Strafvollzug werde seine Existenz, wenn nicht ruinieren, so doch erschweren. Bei Zulässigkeit des bedingten Strafvollzuges wäre dieser zweifellos gewährt worden.

Der Begieruugsstatthalter des Amtsbezirkes und die Polizeidirektion des Kantons Bern beantragen Abweisung, wogegen die kantonale Direktion des Innern auffälligerweise dafür hält, von einer Gefängnisstrafe hätte abgesehen werden können.

Wir b e a n t r a g e n ohne weiteres Abweisung und verweisen hierfür auf die zutreffenden Urteilserwägungen, wo unter anderem betont wird, dass nicht etwa Notlage vorhanden sei.

143. Gottfried Marti, 1873, Eeisender, Wyssachen (Bern), 144. Camille Bonze, 1896, Eeisendor, Montfaucon (Bern).

(Handelsreisendengesetz.)

Gemäss Bundesgesetz über die Handelsreisenden vom 4. Oktober 1980 sind verurteilt worden: 143. Gottfried Marti, verurteilt am 81. März 1933 vom Gerichtspräsidenten von Trachselwald zu Fr. 30 Busse, Fr. 200 Taxe und Fr. 4. 50 Kosten.

Marti hat bei Privaten Bestellungen auf Kaffee usw. aufgenommen, obschon er nur die Ausweiskarte als Grossreisender besass.

Marti ersucht in einer, nach dem Strafmandat ergangenen, Einvernahme um Begnadigung. Er stützt sich auf den Bericht des Gemeinderates Wyssachen, worin bescheinigt wird, dass Marti nach jahrzehntelangem Aufenthalt aus Deutschland, unter Zurücklassung seiner Familie, arbeits- und mittellos zurückgekehrt sei; es handle sich um einen herzkranken, pflegebedürftigen Mann, den die Gemeinde unterstütze.

854 Der Begierungsstatthalter des Amtsbezirkes und die Polizeidirektion des Kantons Bern beantragen den Bussenerlass.

Mit der Handelsabteilung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes beantragen -wir kommiserationsweise Herabsetzung der Busse bis Fr, 5. Auf die Taxnachzahlung ist bereits verzichtet worden.

144. Camille Donzé, verurteilt am 22. Dezember 1982 vom Gerichtspräsidenten von Delsberg zu Fr. 60 Busse.

Donzé hat im Dezember 1932 an mehreren Tagen in Courtetelle bei Privaten Bestellungen auf Lebensmittel aufgenommen, ohne die taxpflichtige Ausweiskarte zu besitzen. Es ha.tte ihm übrigens damals wegen einer bestehenden Vorstrafe keine Karte verabfolgt werden können.

Donzé ersucht um Herabsetzung der Busse bis Fr. 20. Er bestreitet den ihm zur Last gelegten Sachverhalt, behauptet den seitherigen Bezug einer taxpflichtigen Karte und verweist auf die Schwierigkeit, sich als entlassener Lehrer mit Familienlasten durchzuschlagen.

Der Geineinderat Montfaucon befürwortet den gänzlichen Bussenerlass, der Eegierungsstatthalter des Amtsbezirkes und die Polizeidirektion des Kantons Bern beantragen die nachgesuchte Teilbegnadigung. Die Handelsabteilung des Eidgenössischen Yolkswirtschaftsdepartements wendet sich gegen eine zu weitgehende Bussenherabsetzung, indem sie Einzelheiten zur Strafsache berichtet, auf die wir verweisen, und erklärt sehliesshch, gegen eine Ermässigung um ein Bussendrittel, mithin bis Fr. 40, nichts einzuwenden.

Demgegenüber beantragen wir auf Grund des Vorstrafenberichtes, und da es sich ausserdem herausstellt, dass wegen Übertretung des Handelsreisendengesetzes bereits die dritte Busse ergangen ist, die gänzliche Abweisung.

145. Gottfried Elsasser, 1871, Küfer, Unterkulm (Aargau).

(Fischereipolizei.)

145. Gottfried Elsasser ist am 14. März 1933 vom Bezirksgericht Kulm gemäss Bundesgesetz betreffend die Fischerei vom 21. Dezember 1888 zu Fr. 100 Busse verurteilt worden.

Elsasser hat neuerdings in ein Fischgewässer Brennereirückstände geworfen, obschon er deswegen schon einmal gebüsst werden musste.

Elsasser ersucht um Erlass oder doch Ermässigung der Busse, die sehr hoch und hart sei. Das Küferhandwerk liege darnieder und die Bussenentrichtung falle dem Gesuchsteller schwer.

Das urteilende Gericht überlässt den Entscheid der Begnadigungsbehörde.

Mit der
Eidgenössischen Inspektion für Forstwesen, Jagd unf Fischerei beantragen wir ohne weiteres Abweisung. Im ersten Straffall ist die Busse von Fr. 50 bis zu Fr. 10 ermässigt worden (hierzu Antrag 29 im L Bericht vom 80. Mai 1929, Bundesbl. I, 819/820) und eine erneute Begnadigung, sollte unterbleiben.

855146. August Seger, 1878, Automechaniker, St. Gallen.

(Jagdvergehen.)

146. August Seger ist am 4. September 1980 vom Bezirksgericht Gossau gemäss Art. 39, Abs. 2, des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz vom.

10. Juni 1925 zu Fr. 800 Busse verurteilt worden.

Seger hat im November 1929, nachdem die Jagd auf Behwild schon einige Tage geschlossen war, eine, nach kantonalem Jagdrecht geschützte, Behgeiss erlegt.

Für Seger, der ratenweise Fr. 680 abbezahlt hat, ersucht ein Bechtsanwalt um Erlass der Bestbusse von Fr. 170. Die erkannte Höchststrafe sei horrend und Seger am Ende seiner Zahlungsfähigkeit.

Demgegenüber beantragen wir mit dem Justizdepartement des Kantons St. Gallen und der Eidgenössischen Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei ohne weiteres Abweisung. Die Vorstrafen wegen Jagdvergehen lassen Seger als einer Begnadigung unwürdig bezeichnen.

147. Gualtiero Troger, 1894, Genf. ' (Militärpflichtersatz.)

147. Gualtiero Troger ist am 21. Juli 1928 vom Kreisgerichtsausschuss Boveredo gemäss Ergänzungsgesetz vom 29. März 1901 über den Militärpflichtersatz zu 10 Tagen Gefängnis verurteilt worden, franz. Fr, 1125 für 1917--1927 betreffend.

Troger, der vormals in Paris lebte, ersucht von Genf aus um Erlass der Gefängnisstrafe. Er beruft sich u. a. auf die im Jahre 1980 erfolgte Zahlung, von franz. Fr. 800 und macht Familienlasten sowie Arbeitslosigkeit geltend.

Das Kreiskommando Chur teilt mit, Troger schulde heute noch fransä.

Fr. 44. 20. Das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Graubünden befürwortet das Gesuch aus Kommiserationsgründen.

Mit der Eidgenüssischen Steuerverwaltung beantragen wir Ermässigung der Gefängnisstrafe von 10 bis zu 2 Tagen. Wir berücksichtigen damit die nachträglich erfolgten Zahlungen.

Genehmigen Sio, tEerr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 23. Mai 1983.

Im Namen des Schweiz. Bundesratcs, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schulthess.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

--"SS--

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II. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Junisession 1933). (Vom 23. Mai 1933.)

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24.05.1933

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