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Bundesblatt

85. Jahrgang.

Bern, den 11. Oktober 1933.

Band II,

Erscheint wöchentlich, Preis 2O Franken im Jahr, IO Franken im Halbjahr, zazügltcH Nachnahme- und Posnestetlungsgebühr.

Einräckungsgebtlhr : 50 Rappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stampali £ de. m Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Brasilien.

(Vom 9. Oktober 1933.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Die Erfahrung hat gezeigt, dass Brasilien zu dea Ländern gehört, die ohne das Vorhandensein eines Auslieferungsvertrages fluchtige Rechtsbrecher nicht ausliefern. Die Schweiz hat es daher nicht an Versuchen fehlen lassen, zum Abschluss eines solchen Vertrages zu gelangen. Die ersten Verhandlungen, die allerdings auf die Initiative Brasiliens zurückzuführen sind, gehen ins Jahr 1874 zurück. Sie führten zu keinem Erfolg, weil die damalige brasilianische Eegierung den vom Bundesrat vorgelegten Entwurf nicht beantwortete.

1884 beantragte die Schweiz die Wiederaufnahme der Verhandlungen. Im Laufe derselben kam es 1886 zum Austausch von Gegenrechtserklärungen, die für die Dauer der Verhandlungen Gültigkeit haben sollten. Diese selbst gerieten 1901 wieder ins Stocken und führten zu keinem Ergebnis. Im Jahre 1906 lehnte Brasilien das von der Schweiz gestellte Auslieferungsbegehren gegen den Festkommas H. W., der nach Unterschlagung von Fr. 100,000 nach Brasilien geflüchtet war, mit dem Hinweis darauf ab, es bestehe kein Auslief erungs vertrag und die Gegenrechtserklärungen aus dem Jahr 1886 seien nicht verbindlich, weil sie in Brasilien nie ratifiziert worden seien (vgl. Geschäftsbericht Bundesbl.

1907, I, S. 564/565). Der Fall gab dem Bundesrat Veranlassung, die Verhandlungen neuerdings in Gang zu bringen, und Brasilien erklärte sich mit deren Wiederaufnahme bereit. Während der folgenden Jahre wurde der schriftlich geführte Meinungsaustausch ziemlich weit gefördert. Allein bevor ein greifbares Ergebnis erzielt werden konnte, brach der Weltkrieg aus, der auf Jahre hinaus weitere Bemühungen verumnöglichte. Erst Ende 1926 erteilte der Bundesrat der Gesandtschaft in Eio de Janeiro den Auftrag, erneut den Versuch zu unternehmen, die Brasilianische Eegierung zur Weiterführung der Bundesblatt. 85. Jahrg. Bd. II.

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426 Verhandlungen auf Grund des letzten schweizerischen Entwurfes aus dem Jahr 1913 zu bewegen. Auch diesmal zeigte sich Brasilien unseren Wünschen geneigt. Es griff allerdings nicht auf die früheren Entwürfe zurück, sondern legte im Frühjahr 1927 ein ganz neues Vertragsprojekt vor, das es nötig machte, sozusagen von vorne zu beginnen. Immerhin waren damit die Verhandlungen wieder in Fluss gekommen, und der beiderseits vorhandene Verständigungswille sorgte dafür, dass diesmal die Fäden nicht mehr abrissen. Nach Austausch einer Anzahl von Entwürfen und Gegeneutwürfen waren.im Sommer 1982 die letzten Meinungsverschiedenheiten überwunden. Am 23. Juli 1982, also 58 Jahre nach den ersten Versuchen, wurde der schweizerisch-brasilianische Auslieferungsvertrag in Eio de. Janeiro unterzeichnet. Er unterliegt in beiden Staaten der Eatifikation und soll einen Monat nach Austausch der Batifikationsurkunden, der in Bern stattfinden soll, in Kraft treten.

Der Vertrag hält sich an die im internationalen Auslieferungsverkehr anerkannten Grundsätze und steht auch mit den Vorschriften des Bundesgesetzes über die Auslieferung gegenüber dem Ausland vom 22. Januar 1892 im Einklang. Über die einzelnen Vertragsbestimmungen können wir uns daher kurz fassen, Die Art. I bis VI enthalten die Bestimmungen über das materielle Auslieferungsrecht.

Art, I setzt fest, welche Personen ausgeliefert werden sollen. Einzig die Angehörigen des ersuchten Staates unterliegen der Auslieferungspflicht nicht.

Nach Art. II findet die Auslieferung für die im Auslieferungskatalog vorgesehenen Verbrechen und Vergehen statt, sofern diese mit einer einjährigen oder einer schwereren Strafe bedroht sind. Wir weisen besonders darauf hin, dass in der Tabelle auch der Frauen- und Kinderhandel und die Vergehen gegen die Gesetzgebung über die Betäubungsmittel als auslieferungsfähige Delikte aufgeführt sind. Die Liste der Auslieferungsdelikte kann bei Bedarf im Bahmen der beidseitigen Gesetzgebung erweitert werden. Die Formulierung des Art. II bot bis zuletzt grosse Schwierigkeiten, weil das brasilianische Ausliefermigsgesetz von 1911 keinen Deliktskatalog enthält, die Schweiz.

jedoch mit Bücksicht auf das Bundesauslieferungsgesetz von 1892 auf die Aufzählung der Straftaten angewiesen ist. Sehliesslich hat sich Brasilien mit der nun bestehenden
Formulierung einverstanden erklärt.

Die Auslieferung findet nach Art. III nicht statt, wenn die Tat auf dem Gebiet des ersuchten Staates begangen oder wenn sie dort endgültig beurl eilt worden ist; wenn Verjährung vorliegt; wenn der Verfolgte vor ein Ausnahmegericht gestellt werden sollte und wenn die Tat politischen oder militärischen Charakter trägt oder ein Presse- oder Eeligionsdelikt darstellt. Die Fiskaldelikte, die in Brasilien anscheinend als gemeinrechtliche Straftaten gelten, sind auf Verlangen Brasiliens nicht ausdrücklich als Nichtauslieferungsdelikte aufgeführt worden. Da sie aber auch nicht in der Enumerationstabelle figurieren, stellen sie schon aus diesem Grunde keine zur Auslieferung verpflichtende

427 Delikte dar. Wir haben der brasilianischen Eegierung übrigens erklären lassen, dass eine Auslieferung wegen solcher Straftaten von der Schweiz nicht erhältlich sei.

An Stelle der Nichtauslieferung der eigenen Angehörigen des ersuchten Landes sollen diese, wie in Art. IV vorgesehen ist, vor die eigenen Gerichte des Heimatstaates gestellt werden, wenn ihnen ein .Auslieferungsdelikt gemäss dem Vertrag zur Last gelegt wird. Eine nochmalige Verfolgung im Begehungsstaat ist ausgeschlossen, wenn der Verfolgte freigesprochen oder verurteilt wurde und er in letzterem Palle die Strafe erstanden hat oder wenn diese verjährt ist.

Das Spezialitätsprinzip ist in Art. Y in herkömmlicher Weise geregelt.

In Art. VI ist vereinbart, dasa, wenn die Tat mit einer Körperstrafe oder mit der Todesstrafe bedroht ist, die Auslieferung nur unter der Bedingung der Umwandlung der Strafe in eine Freiheitsstrafe gewährt werden soll. Da das brasilianische Auslieferungsgesetz eine dem Sinn nach analoge Bestimmung enthält und Brasilien auf der Annahme einer entsprechenden Vorschrift bestand, erteilten wir ihr unsere Zustimmung. Wir erinnern daran, dass schon der Auslieferungsvertrag mit Portugal vom 30. Oktober 1878 und derjenige mit Uruguay vom 27. Februar 1923 ähnliche Vorbehalte aufweisen. Wir dürfen daher insbesondere auf die Erläuterungen in der bundesrätlichen Botschaft zum Vertrag mit Uruguay (Bundesbl. 1923, II, S. 598) hinweisen. Eine ähnliche Bestimmung enthält auch der Auslieferungsvertrag mit der Türkei vom 1. Juni 1933.

Die Art. VII bis XII beziehen sich auf das Auslieferungsverfahren.

Das Auslief erüngsbegehren muss auf diplomatischem Wege gestellt werden, und zwar innerhalb 60 Tagen vom Zeitpunkt der Verhaftung hinweg gerechnet.

Der ersuchte Staat verzichtet auf die Prüfung der Schuldfrage; er hat grundsätzlich davon auszugehen, dass der im Haftbefehl, im Urteil oder in der Anklageschrift enthaltene genaue Tatbestand objektiv den Tatsachen entspricht. Die Auslieferungsbelege sollen möglichst in französischer Sprache abgefasst sein. Eine bindende Verpflichtung hierüber war aber von Brasilien nicht zu bekommen. Die vorläufige Festnahme in dringenden Fällen auf Verlangen der diplomatischen oder konsularischen Agenten des ersuchenden Staates ist als zulässig bezeichnet worden. Diese Vertretungsbehörden können
sich im Bedarfsfall an die lokalen Behörden wenden. Nach der brasilianischen Praxis wird der Auszuliefernde nach erfolgter Auslieferungsbewilligung dem diplomatischen oder konsularischen Vertreter des ersuchenden Staates übergeben und in Freiheit gesetzt, wenn der Abtransport nicht innert 20 Tagen erlolgt ist. Diese Vorschrift hat aber aul unser Verlangen eine Milderung erfahren, indem bestimmt wurde, dass eine Verlängerung der Frist dann einzutreten habe, wenn zwingende Gründe den Abtransport verzögern.

Da die Schweiz in der Praxis wohl am meisten in die Lage kommen wird, von Brasilien die Auslieferung solcher Bechtsbreeher zu verlangen, die wegen Vermögensdelikten verfolgt werden und denen es gelungen ist, mit einer be-

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deutenden Diebsbeute nach Brasilien zu entkommen, war es wichtig, eine befriedigende Eegeluug der Sachauslieferung anzustreben. Dies ist nach unserem Dafürhalten gelungen. Art. XIII bestimmt, dass die beim Verfolgten bei der Verhaftung oder später vorgefundenen und aus der strafbaren Handlung herrührenden Gegenstände, Wertsachen und Schriftstücke herausgegeben werden müssen, selbst dann, wenn die Auslief erung durch Flucht oder Tod des Verfolgten oder aus andern Gründen nicht stattfinden kann.

Sehr wichtig ist auch die Eegelung der Kostenfrage in Art. XVI. Im oben zitierten Fall W. musste die Schweiz im Auslieferungsverfahren auf ihre Kosten einen Anwalt bestellen und diesem, obschon er die Auslieferung nicht zu erwirken vermochte, ein nach unseren Begriffen phantastisches Honorar bezahlen.

Obschon seit dem Bestehen des brasilianischen Auslieferungsgesetzes das brasilianische Bundesgericht von Amtes wegen die fremden Auslieferungsbegehren zu behandeln hat und ein Auslieferungsprozess, wie man uns versicherte, kaum noch geführt zu werden braucht, haben wir, um eine Wiederholung des Falles W. zu vermeiden, auf der Aufnahme einer Vorschrift bestanden, wonach die allfälligen Kosten des Auslieferungsprozesses vom ersuchten Staat getragen werden müssen. Brasilien ist auf diesen Vorschlag eingegangen.

Art. XVII behandelt die sogenannte akzessorische Eechtshilfe. Es ist danach möglich, mittels eines förmlichen Bequisitorials die Ladung und Abhörung von Zeugen und die Vornahme anderer Untersuchungshandlungen zu erwirken, sofern dem Strafverfahren ein Auslieferungsdelikt zugrunde liegt.

Ein Kostenersatz findet nur statt, wenn ein Saehverständigenbericht eingefordert und geliefert worden ist.

Art. XVIII (Schlussartikel) enthält die Vorschriften über die Eatifikation, die Dauer und die Kündigung des Vertrages.

Wir sind davon überzeugt, dass der vorliegende Vertrag ein brauchbares und unseren Bedürfnissen im Verkehr mit Brasilien genügendes Instrument der Verbrechensverfolgung darstellt, und beantragen Ihnen daher, ihm durch Annahme des mitfolgenden Beschlussesenfrwurfes die Genehmigung zu erteilen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommene" Hochachtung.

Bern, den 9. Oktober 1933.

Im Namen des Schweiz. Bundegrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Sclmltliess.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

429 (Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Genehmigung des zwischen der Schweiz und der Republik Brasilien abgeschlossenen Auslieferungsvertrages vom 23, Juli 1932.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 9. Oktober 1983, beschliesst:

Art. 1.

Dem zwischen der Schweiz und der Republik Brasilien unterm 23. Juli 1982 abgeschlossenen Auslieferungsvertrag wird die Genehmigung erteilt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

430 Übersetzung.

Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Brasilien.

Der Schweizerische Bundesrat und der Chef der provisorischen Begierung der Eepublik der Vereinigten Staaten von Brasilien haben sich, vom Wunsche geleitet, der internationalen Bechtshilfe zur Verbrechensbekämpfung zu dienen, zum Abschluss eines Auslieferungsvertrages entschlossen und hiet'ür als ihre Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat: Herrn Alfred Gertsch, ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der Bepublik der Vereinigten Staaten von Brasilien, der Chef der provisorischen Begierung der Eepublik der Vereinigten Staaten von Brasilien: Herrn Dr. Afranio de Mello Franco, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, welche nach Überreichung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten nachstehende Bestimmungen vereinbart haben: Art. I.

Die vertragschliessenden Parteien verpflichten sich, gegenseitig auf Antrag, entsprechend den in jedem Land in Kraft bestehenden Gesetzen und gemäss den Eegeln dieses Vertrages die Personen auszuliefern, die von den zuständigen Behörden des einen der beiden Staaten verfolgt oder verurteilt sind und die auf dem Gebiet des andern Landes wohnen oder sich vorübergehend aufhalten.

Art. II.

Die Auslieferung findet für folgende Straftaten statt, sofern die Handlung nach dem Eecht des ersuchten Staates mit einer Gefängnisstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht ist: 1. Tötung, umfassend Mord, Totschlag, Elternmord, Kindesmord, Vergiftung und vorsätzliche Abtreibung; 2. absichtliche Körperverletzung, welche den Tod oder einen bleibenden Nachteil, dauernde Arbeitsunfähigkeit oder eine schwere Verstümmelung eines Gliedes oder Organes des Körpers verursacht hat;

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3. Notzucht, gewalttätiger Angriff auf die Schamhaftigkeit, Kuppelei, Frauen- und Kinderhandel ; 4. mit oder ohne Gewalt verübter Angriff auf die Schamhaftigkeit von Kindern beider Geschlechter unter 14 Jahren; 5. Doppelehe; 6. Menschenraub und widerrechtliche Gefangenhaltung von Personen, Unterdrückung des Personenstandes, Unterschiebung von Kindern; 7. Aussetzung und bösliches Verlassen von Kindern oder hilflosen Personen. Entführung von Minderjährigen; 8. Fälschung oder Verfälschung von Münzen oder Papiergeld, von Banknoten oder andern Kreditpapieren mit gesetzlichem Kurs, von Aktien und andern Wertpapieren, die der Staat, Körperschaften, Gesellschaften oder Einzelpersonen ausgegeben haben; Fälschung oder Verfälschung von Postwertzeichen.

Stempeln, Marken oder Siegeln des Staates oder öffentlicher Stellen; betrügerischer Gebrauch der gefälschten oder verfälschten Gegenstände der genannten Art. Einführung, Ausgabe oder Inverkehrbringen derselben in betrügerischer Absicht; betrügerischer Gebrauch oder Missbrauch von Siegeln, Stempeln und Marken; 9. Fälschung von öffentlichen oder privaten Urkunden; Verfälschung von amtlichen Urkunden oder aller Art Handelspapieren; betrügerischer Gebrauch solcher gefälschter oder verfälschter Urkunden; Unterschlagung von Urkunden; 10. falsches Zeugnis, Verleitung von Zeugen zu falscher Aussage, Meineid in Zivil- und Strafsachen; 11. Bestechung von öffentlichen Beamten; 12. Veruntreuung im Amte oder Unterschlagung öffentlicher Gelder; Erpressung, verübt durch Beamte oder Verwalter; 18. vorsätzliche Brandstiftung; Missbrauch von Sprengstoffen; 14. vorsätzliche Handlungen, welche die Zerstörung oder Beschädigung von Eisenbahnen, Dampfschiffen, Postwagen, elektrischen Apparaten oder Leitungen (Telegraphen und Telephone) und die Gefährdung ihres Betriebes bewirken können; 15. Eaub, Erpressung, Diebstahl, Hehlerei; 16. Seeräuberei, vorsätzliche Handlungen, welche das Sinken, die Strandung, die Zerstörung, Unbrauchbarmachung oder Beschädigung eines Schiffes bewirken, sofern dabei eine Gefahr für andere Menschen entstehen kann; 17. Betrug; 18. Veruntreuung und Unterschlagung; 19. betrügerischer Bankerott; 20. Vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen die gesetzlichen Bestimmungen betreffend die Betäubungsmittel.

432 Die vorstehenden Bezeichnungen umfassen die Tat, den Versuch, die Teilnahme, so-wie Anstiftung und Begünstigung.

Die Aufzählung der in diesem Artikel bezeichneten Handlungen schliesst nicht aus, dass eine der vertragschliessenden Parteien, unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit, die Auslieferung verfolgter oder verurteilter Personen wegen anderer Handlungen beim andern Teil beantragt oder die Auslieferung an diesen bewilligt, sofern die Gesetzgebung des ersuchten Staates dem nicht entgegensteht,

Art. III.

Die Auslieferung findet nicht statt: a. wenn die Straftat auf dem Gebiet des ersuchten Staates begangen worden ist; l>. wenn die Person, deren Auslieferung verlangt worden war, wegen der nämlichen Straftat im ersuchten Land bereits verurteilt oder freigesprochen worden ist; c. wenn die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach dem Eecht des ersuchten oder des ersuchenden Landes verjährt ist, bevor das Verhafts- oder Auslieferungsbegehren der Eegierung des ersuchten Staates zugekommen ist; d. wenn die beanspruchte Person im ersuchenden Staat vor ein Ausnahmegericht oder einen Ausnahmerichter gestellt werden soll; e. wenn die Straftat politischer oder rein militärischer Natur ist oder ein Beligions- oder Press vergehen darstellt.

Das Vorschützen eines politischen Zweckes oder Beweggrundes genügt aber nicht, um die Auslieferung zu verhindern, wenn die Straftat vorwiegend gemeinrechtlicher Natur ist.

In diesem Fall und wenn die Auslieferung bewilligt wird, hängt ihre Vollziehung von einer Zusicherung des ersuchenden Staates ab, dass wegen des politischen Zwecks oder Beweggrundes keine Verschärfung der Strafe erfolgen werde. Die Behörden des ersuchten Staates sind allein befugt, im Einzelfall den Charakter der Straftat zu würdigen.

Art. IV.

Die vertragschliessenden Parteien sind zur Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen nicht verpflichtet.

Wird die Auslieferung eines eigenen Angehörigen nicht bewilligt, so können die Behörden des Landes, wo die Straftat begangen wurde, seine Verfolgung unter Vorlage der Beweisakten bei den Behörden des Zufluchtsstaates beantragen, welche die verfolgte Person, sofern die Gesetzgebung es zulässt, vor die eigenen Gerichte stellen werden.

433 Eine nochmalige Verfolgung findet im Staat, in dem die Straftat begangen wurde, nicht statt, wenn die verfolgte Person im Heimatstaat freigesprochen oder endgültig verurteilt wurde, und im Pali der Verurteilung, wenn sie die Strafe erstanden hat oder wenn Verjährung eingetreten ist.

Art. V.

Die ausgelieferte Person kann wegen einer vor der Auslieferung begangenen Straftat, für welche die Auslieferung nicht beantragt worden ist, nur verfolgt und bestraft werden, nachdem der ersuchte Staat sein Einverständnis zur weitern Verfolgung gegeben hat.

Diese Beschränkung ist nicht anwendbar, wenn der Angeschuldigte sich ausdrücklich und freiwillig mit der Verfolgung wegen anderer Straftaten einverstanden erklärt, oder wenn er nicht innert dreissig Tagen nach seiner Freilassung das Land, an das er ausgeliefert wurde, verlässt und auch, wenn er in dessen Gebiet zurückkehrt, nachdem er es verlassen hatte.

Die vorerwähnte Einverständniserklärung wird dem andern Staat in Urschrift oder beglaubigter Abschrift übermittelt.

Die nämlichen Vorschriften gelten auch im Fall der Weiterlielerung an einen dritten Staat.

Art. VIDie vertragschliessenden Parteien sind darüber einig, dass, wenn dar Person, deren Auslieferung beantragt ist, eine Körperstrafe oder die Todesstrafe angedroht wird, die Auslieferung nur bewilligt wird, wenn der ersuchende Staat sich verpflichtet, diese Strafe in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln.

Art. VII.

Das Auslief erungsbegehren wird auf diplomatischem 'Weg gestellt.

Dem Auslieferungsbegehren wird beigegeben die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift des ergangenen Urteils, des Beschlusses über Versetzung in den Anklagezustand oder des vom zuständigen Eichter oder Staatsanwalt erlassenen Haftbefehls, woraus sich ergeben muss, dass das Strafverfahren gegen den Angeschuldigten eröffnet und die vorläufige Verhaftung nach den geltenden Gesetzen angeordnet ist.

Das in Anwendung des vorhergehenden Absatzes vorgelegte Schriftstück hat eine genaue Darstellung der strafbaren Handlung mit Angabe von Ort und Zeit ihrer Begehung sowie eine Wiedergabe der angewendeten oder anwendbaren Strafbestimmungen des ersuchenden Staates und derjenigen über die Verjährung der Strafe oder der Verfolgung zu enthalten.

Dem Auslieferungsbegehren sind ausserdem alle für die Identifizierung dei beanspruchten Person nötigen Auskünfte und Schriftstücke beizugeben.

Handelt es sich darum, die Auslieferung entwichener Strafgefangener zu erwirken, so genügt die Vorlage eines von der zuständigen Verwaltungs- oder

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Gerichtsbehörde erlassenen Schriftstückes, das eine "Wiedergabe des Urteils und der angewendeten Strafbestimmungen und Angaben über die Dauer des noch zu verbüssenden Strafrestes, über Zeit und Umstände der Flucht, sowie die erforderlichen Mitteilungen über die Identität der beanspruchten Person enthält.

Es wird als zweckmässig bezeichnet, dass da* Auslieferungsbegehren und die Auslieferungsbelege von französischen Übersetzungen begleitet werden, wenn sie nicht in dieser Sprache abgefasst1 sind.

Die Übergabe der Auslieferungsbegehren im diplomatischen "Weg gilt als genügender Nachweis für die Echtheit der vorgelegten Schriftstücke, die dadurch ak beglaubigt zu gelten haben.

Art. VIII.

Bei Dringlichkeit kann eine der vertragsclüiessenden Parteien bei der andern unmittelbar durch die Post oder den Telegraphen oder durch ihre diplomatischen oder konsularischen Agenten die vorläufige Festnahme des Angeschuldigten sowie die Beschlagnahme der auf die Straftat bezüglichen Gegenstände beantragen.

Das Begehren soll auf das Vorhandensein eines der in Abs. 2 des vorstehenden Artikels erwähnten Schriftstücke Bezug nehmen und die im Vertrag vorgesehene Straftat angeben.

Die vorläufige Festnahme findet in den Formen und nach den Begeln der Gesetzgebung des ersuchten Staates statt; sie wird, ausser wenn andere Gründe bestimmend sind, nicht aufrechterhalten, wenn der ersuchte Staat nicht innert sechzig Tagen, vom Zeitpunkt der Verhaftung an gerechnet, das Auslieferuügsbegehren, begleitet von den in Art. VII, Abs. 2, erwähnten Schriftstücken, erhalten hat.

Art. IX.

Wenn die beanspruchte Person wegen einer andern, im ersuchten Staat begangenen Straftat verfolgt wird oder eine Strafe zu erstehen hat, so kann die Auslieferung bewilligt werden. Die beanspruchte Person wird aber erst übergeben, nachdem sie der Strafrechtspflege im ersuchten Staat Genüge geleistet hat.

Art. X.

Wenn die Person, deren Auslieferung auf Grund dieses Vertrages begehrt ist, gleichzeitig von einer oder mehreren andern Regierungen zur Auslieferung verlangt wird, so greift folgendes Verfahren Platz: a. handelt es sich um die gleiche Straftat, so erhält das Begehren desjenigen Staates den Vorzug, auf dessen Gebiet die Straftat begangen worden ist ; - fe. handelt es sich um verschiedene Straftaten, so erhält dasjenige Begehren den Vorzug, das nach dein Dafürhalten des ersuchten Staates die mit der schwersten Strafe bedrohte Straftat anführt;

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c. handelt es sich um Straftaten, die der ersuchte Staat als gleich schwer erachtet, so erhält das zuerst gestellte Begehren den Vorzug.

In den Fällen von lit. & und c kann der ersuchte Staat bei Bewilligung der Auslieferung die Bedingung aufstellen, dass die beanspruchte Person später weitergehefert wird.

Art. XL Ist die Auslieferung bewilligt, so wird die beanspruchte Person zur Übergabe an den ersuchenden Staat dessen Vertretet zur Verfügung gestellt.

Wenn innert zwanzig Tagen, vom Datum der entsprechenden Mitteilung an gerechnet, der erwähnte Vertreter für die Ausführung des Transportes nicht gesorgt hat, so wird die beanspruchte Person in Freiheit gesetzt und kann wegen der Straftat, die das Auslieferungsbegehren verursacht hat, nicht wieder verhaftet werden.

Art. XII.

Die Übergabe des Angeschuldigten kann ohne Nachteil für die Auslieferung verschoben werden, wenn aus zwingenden Gründen der Transport nicht innerhalb der in Absatz 2 des vorhergehenden Artikels erwähnten Frist ausgeführt -werden konnte.

Ari. XIII.

Alle Gegenstände, Wertsachen oder Schriftstucke, die mit der das Auslieferuugsbegehren begründenden Straftat im Zusammenhang stehen und die im Zeitpunkt der Verhaftung bei der verfolgten Person, in ihrem Gepäck oder in ihrer Wohnung vorgefunden wurden, werden beschlagnahmt und mit dem Verfolgten dem Vertreter des ersuchenden Staates übergeben.

Das nämliche trifft auf alle nachträglich vorgefundenen Gegenstände dieser Art zu.

Die im Besitze Dritter vorgefundenen Gegenstände und Wertsachen der bezeichneten Art werden ebenfalls beschlagnahmt; sie werden dem ersuchenden Staat übergeben, wenn der ersuchte Staat dies seiner innern Gesetzgebung gemäss verfügen kann.

Die Eechte Dritter bleiben jedenfalls vorbehalten.

Die Gegenstände und Wertsachen werden selbst dann übergeben, wenn die Auslieferung durch die Flucht oder den Tod des Verfolgten oder infolge eines andern, die Ausführung der Auslieferung hindernden Umstandes nicht vollzogen werden kann.

Art. XIV.

Die Person, der es nach ihrer Übergabe an den ersuchenden Staat gelungen ist, sich der Strafverfolgung zu entziehen und sich neuerdings in das Gebiet

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des ersuchten Landes zu flüchten oder durch dieses hindurchzureisen, wird auf diplomatisches oder konsularisches Ersuchen hin verhaftet und ohne andere Förmlichkeiten von neuem übergeben.

Art. XV.

Die Durchlieferung einer von einem dritten Staat an den andern Vertragsstaat ausgelieferten Person über das Gebiet einer der beiden Vertragsparteien ·wird auf die einfache, in Original oder beglaubigter Abschrift erfolgte Vorlage eines der in Art. VII, Absatz 2, dieses Vertrages bezeichneten Schriftstücke gewährt, sofern der Verfolgte nicht Angehöriger des Transitlandes ist, die das Auslieferungsbegehren begründende Straftat im gegenwärtigen Vertrag vorgesehen ist und nicht unter die in Art, III vorgesehenen Ausnahmen fällt.

Die Durchlieierang des Verfolgten findet unter Aufsicht der Behörden des Transitstaates und auf Kosten des ersuchenden Staates statt.

Art. XVI.

Die durch die Haft, den "Unterhalt und den Transport der beanspruchten Person verursachten Kosten, sowie die Kosten der Aufbewahrung und dea Transportes der herauszugebenden Gegenstände und Wertsachen fallen den beiden Staaten zur Last, soweit sie auf ihrem Gebiet entstanden sind.

Die aus einer Durchlieferung über zwischenliegende Staaten entstandenen Transport- oder andern Kosten fallen zu Lasten des ersuchenden Staates.

Die aus dem Auslieferungsprozess allenfalls sich ergebenden Kosten hat der ersuchte Staat zu tragen, Art. XVII.

Wenn in einer Strafsache wegen einer Handlung, die gemäss dem gegenwärtigen Vertrag zur Auslieferung führen kann, die Vernehmung oder Ladung von Zeugen, die auf dem Gebiet einer der vertragschliessenden Parteien wohnen oder vorübergehend sich dort aufhalten, oder die Vornahme jeder andern Untersuchungshandlung als erforderlich erachtet wird, so kann die andere Partei zu diesem Zweck auf diplomatischem Weg ein von der zuständigen Behörde erlassenes Ersuchsschreiben übersenden, das von einer französischen Übersetzung begleitet sein muss, wenn es nicht in dieser Sprache abgefasst ist.

Die vertragschliessenden Parteien verzichten auf jede sich aus dem Vollzug des Brsuchschreibens ergebende Forderung auf Kostenersatz, es sei denn, dass es sich um Kriminal-, Handels- oder gerichtsmedizinische Gutachten handle.

Art. XVIII.

Der gegenwärtige Vertrag wird ratifiziert, und die Eatifikationsurkunden sollen so bald als möglich in Bern ausgetauscht werden.

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Der Vertrag tritt einen Monat nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft und bleibt wirksam bis sechs Monate nach der jederzeit möglichen Kündigung.

Der Vertrag wird in französischer und portugiesischer Sprache abgefasst; beide Texte sind gleichbedeutend.

Zu Urkund dessen haben die oben aufgeführten Bevollmächtigten den gegenwärtigen Akt unterzeichnet und ihn mit ihren Siegeln versehen.

Also geschehen in Eio de Janeiro, den dreiundzwanzigsten Juli tausendneunhundertundzweiunddreissig.

(L. S.) (gez.) Alfred Gertsch.

(L. 8.) (gez.) Aîraaio de Mello Franco.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Brasilien. (Vom 9. Oktober 1933.)

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11.10.1933

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425-437

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