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Kreisschreiben des

Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend den Rückzug von Unterschriften bei Eeferendums- oder Initiativbegehren, (Vom 15. November 1933.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

In jüngerer Zeit sind im Gebiet des eidgenössischen Beferendumsverfahrens bisher unbekannte Erscheinungen aufgetreten, die uns zur Stellungnahme zwangen. Es handelt sich 1. um die Auflage eines Beferendumsbegehrens durch verschiedene Parteien ; 2. um den Bückzug von Unterschriften, die auf Beferendumsbogen gesetzt worden sind.

Zu l. Die Auflage eines Beferendumsbegehrens durch zwei verschiedene Parteien beim Beferendum gegen das Bundesgesetz vom 15. Dezember 1932 über die vorübergehende Herabsetzung der Besoldungen, Gehälter und Löhne der im Dienst des Bundes stehenden Personen hat uns die Anfrage eingetragen, ob ein und derselbe Stimmberechtigte die Beferendumsbogen beider Parteien unterzeichnen dürfe und wie solche doppelte Unterschriften zu behandeln seien. Die Antwort konnte nicht zweifelhaft sein. Gegen einen gesetzgeberischen Erlass, der dem fakultativen Beferendum unterliegt, ist erstens nur ein Bef erendumsbegehren denkbar ; wenn auch ein solches Begehren von verschiedenen Parteien ausgeht, so ist es doch immer ein und dasselbe Begehren, nämlich das Begehren um Veranlassung einer Volksabstimmung über den betreffenden Erlass. Zweitens aber bildet die Unterzeichnung eines Beferendumsbegehrens die Ausübung eines Volksrechts, die der Teilnahme an einer Abstimmung gleichzusetzen ist. Sowenig aber ein Stimmberechtigter aein Stimmrecht, sowenig darf er sein Beferendumsrecht doppelt ausüben. Zwar fehlt es an einer Bestimmung, die ihm verbieten würde, die von verschiedenen Parteien aufgelegten Beferendumsbogen zu unterzeichnen, wohl aber ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass seine Unterschrift nur einmal gezählt werden darf. Diese Schlussfolgerung ist auch aus der Vorschrift von Art. 3, Abs. 4,

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der Verordnung vom 2. Mai 1879 betreffend Begehren um Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse und um Eevision der Bundesverfassung zu ziehen. Danach sind, wenn sich in einer Referendumseingabe Unterschriften finden, die offenbar von einer und derselben Hand gezeichnet sind, diese Unterschriften mit Ausnahme einer einzigen als ungültig zu beseitigen.

Diese Vorschrift hatte zwar den hier zur Erörterung stehenden Fall der Unterzeichnung eines Referendumsbegehrens auf mehreren, von verschiedenen Parteien aufgelegten Bogen kaum im Auge, allein ihr Wortlaut deckt auch diesen Fall.

Zu 2. Über den Rückzug von Unterschriften, die unter ein Referendumsbegehren gesetzt worden sind, enthält die bestehende Bundesgesetzgebung keinerlei Vorschriften. Er mag wohl hie und da in der Weise vorgekommen sein, dass ein Stimmberechtigter, nachdem er andern Sinnes geworden war, seine auf einen Beferendumsbogen gesetzte Unterschrift wieder ausstrich.

Zur Kenntnis der Bundesbehörden kamen Fälle von Unterschriftenrückzug erstmals beim kommunistischen Beferendum gegen das Bundesgesetz vom 18. Dezember 1930 über die Besteuerung des Tabaks. Damals gingen der Bundeskanzlei 112 Bückzugserklarungen zu. Beim Beferendum gegen das Bundesgesetz vom 15. Dezember 1932 über die vorübergehende Herabsetzung der Entlöhnung des Bundespersonals sind 509 solche Bückzugserklarungen abgegeben worden. Dieser neuen Erscheinung im Referendumsverfahren, dem Bückzug von Unterschriften durch ausdrückliche Erklärung, kam zwar in den beiden eben genannten Fällen keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Sie kann aber eines Tages eine solche bekommen, nämlich dann, wenn ein Beferendumsbegehren nur knapp die nötige Zahl von Unterschriften auf sich zu vereinigen vermag. Hier kann das Zustandekommen des Referendums allenfalls an einigen wenigen Bückzugserklarungen scheitern. Es ist daher geboten, einige Bichtünien aufzustellen für die Beurteilung der Erklärungen, womit Stimmberechtigte ihre unter ein Referendumsbegehren gesetzten Unterschriften zurückziehen. Zunächst erhebt sich die Frage, binnen welcher Frist der Rückzug einer Unterschrift erklärt werden kann und muss. Es liegt nahe, hiefür die gleiche Begel anzuwenden wie für die Abgabe der Unterschrift, und wir haben in diesem Sinn Beschluss gefasst: Der Rückzug der Unterschrift ist
rechtsgültig, wenn er vor Ablauf der Beferendumsfrist oder vor Einreichung des Initiativbegehrens beim Bundesrat erklärt worden ist.

Es ist nicht zu verkennen, dass nicht nur bei der Abgabe, sondern auch beim Rückzug der Unterschriften Missbräuche vorkommen können. Sie würden sich in beiden Fällen nur dann wenigstens zum grössten Teil vermeiden lassen, wenn der Stimmberechtigte verhalten würde, vor der Gemeindebehörde seine Unterschrift auf den Referendumsbogen zu setzen oder den Bückzug zu erklären. Das Bundesrecht kennt aber keinen solchen Zwang und, obgleich beim Referendumsverfahren der Grundsatz der geheimen Ausübung des Stimmrechts keine Rolle spielt, ist an die Einführung eines solchen Zwangs

708 kaum zu denken. -Er würde mit dem immer zügigen Schlagwort, dass er die Ausübung der Volksrechte erschwere, bekämpft und eben erschlagen. Nun liessen sich allerdings Missbräuche beim Bückzug von Unterschriften auch auf andere Weise bekämpfen, z. B. dadurch, dass die Beglaubigung der Unterschrift auf der Bückzugserklärung verlangt würde. Allein selbst wenn die Beglaubigung, was kaum zu umgehen wäre, gebührenfrei gemacht würde, liessen sich solche Massnahmen doch nicht wohl ohne Abänderung oder Ergänzung der bestehenden Gesetzgebung einführen, und da sie in ähnlicher Weise wie der vorerwähnte Zwang bekämpft würden, hätten sie kaum Aussicht, vor dem Volk Gnade zu finden, das in diesem Gebiet an schrankenlose Freiheit und Formlosigkeit gewöhnt ist. Wir haben denn auch davon abgesehen, irgendeine Erschwerung der Abgabe oder des Bückzugs von Unterschriften in Aussicht zu nehmen.

Um so grösseres Gewicht muss aber darauf gelegt werden, dass mit den Mitteln, die die geltende Gesetzgebung bereitstellt, eine möglichst sorgfältige Überwachung und Überprüfung der Unterschriften Platz greife. Diese Aufgabe ist den Gemeindebehörden und letzten Endes dem Bundesrat übertragen, Es ist ohne weiteres klar, dass die endgültige Bereinigung der Unterschriftenbogen und die Feststellung der Gesamtzahl der Stimmberechtigten, die ein Beferendumsbegehren gültig unterstützen, Sache der Bundesbehörden sein muss. Gemäss Art-, 5, Abs.. 8, des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, Art. 4, Ziff. 8, des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Bevision der Bundesverfassung und Art. 2 der Verordnung vom 2, Mai 1879 betreffend Begehren um Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse und um Bevision der Bundesverfassung haben aber die Gemeindebehörden die Zahl der Unterzeichner .eines Beferendums- oder Initiativbogens festzustellen und zu bezeugen, dass diese Bürger in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt sind und ihre politischen Bechte in der Gemeinde ausüben. Sie sind also durch diese Vorschriften schon mit einer wichtigen Überprüfungshandlung betraut. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Überprüfung der Beferendumsbogen einzig darauf hin, ob die Unterzeichner in der Gemeinde
stimmberechtigt sind, nicht genügt, um alle allenfalls ungültigen Unterschriften auszumerzen. Denn, wenn jene Bescheinigung auch in durchaus richtiger Weise unter jeden Bogen gesetzt wird, so schliesst das die mehrfache Zählung einer und derselben Unterschrift auf verschiedenen Bogen und die mehrfache Beglaubigung des Stimmrechts des Unterzeichners noch nicht aus. Und doch sind die Gemeindebehörden, die anhand des Stimmregisters die Stimmberechtigung der Unterzeichner zu prüfen haben, am ehesten in der Lage, Doppelunterschriften und auch sonst ungültige Unterschriften zu finden und auszumerzen. Sie stehen mit den Stimmberechtigten in enger Fühlung und haben den besten Einblick in die Umstände, unter denen in ihrem Umkreis die Bürger zum Beferendums-

709 begehren Stellung nehmen. Sie sind am ehesten in der Lage, durch eine sorgfältige Kontrolle von vornherein dazu beizutragen dass die an den Eef erendumsausschuss zu leitenden Untorschriftenbogen nach Möglichkeit von ungültigen Unterschriften gereinigt sind. Die Bundesbehörde, der trotzdem die endgültige Überprüfung der Unterschriftenbogen verbleiben muss, kann ihrer Aufgabe nur dann mit der erforderlichen Genauigkeit gerecht werden, wenn sie sich bei der Ausübung ihrer Kontrolle auf die zuverlässige Vorarbeit der Gemeindebehörden stützen kann. Einige Gemeindebehörden haben schon viel Verständnis hiefür gezeigt. So hat beim letzten Eeferenduin eine Gemeindebehörde auf Grund von Eückzugserklärungen die entsprechenden Unterschriften auf den Bogen mit einem Hinweis auf den Eückzug gestrichen, und sie hat die Eückzugserklärungen als Belege für die Streichungen den Bogen beigeheftet, so dass der Beferendumsausschuss und die Bundesbehörde diese Fälle nachprüfen konnten. Es wäre nur zu wünschen, dass alle Gemeindebehörden sich dieses vorbildliche Verfahren zu eigen machten und dass es auch auf die Ausmerzung von Unterschriften ausgedehnt würde, die nicht wegen Eückzugs, sondern aus andern Gründen als ungültig zu betrachten sind. Wenn bis anbin die mit der Beglaubigung der Unterschriftenbogen betrauten Gemeindebehörden bei ihrer Kontrolltätigkeit der Beseitigung ungültiger Unterschriften nicht immer die wünschenswerte Aufmerksamkeit schenkten, so mag dies darauf zurückzuführen sein, dass die gesetzlichen Vorschriften über die Ungültigkeit von Unterschriften im Zusammenhang mit der Überprüfung der Bogen durch die Bundesbehörde niedergelegt sind. Es handelt sich dabei um Art. 5 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, wonach, wer eine andere Unterschrift als die seinige unter ein Eeferendumsbegehren setzt, der Anwendung der Bestimmungen der Strafgesetze unterliegt; um Art. l, Abs. 8, der Verordnung vom 2. Mai 1879 betreffend Begehren um Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse und um Eevisión der Bundesverfassung, wonach die Beisetzung eines Namens «im Auftrag» oder «mit Zustimmung» seines Trägers unstatthaft ist; um Art. 3, Abs. 4, der ebengenannten Verordnung, der bestimmt, dass, wenn sich in einer Eingabe .Unterschriften
finden, welche offenbar von einer und derselben Hand gezeichnet sind, diese Unterschriften mit Ausnahme einer einzigen als ungültig zu beseitigen sind; um Art. 5 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung, wonach ausser Betracht fallen die Unterschriften auf einem Initiativbogen, der den Anforderungen in Art. 4 des Gesetzes nicht entspricht, oder die offenbar von ein und derselben Hand gezeichnet sind.

Trotzdem diese Bestimmungen in den genannten Erlassen in engem Zusammenhang mit der Prüfung der Unterschriftenbogen durch die Bundesbehörde erscheinen, sind sie doch zweifellos für alle Instanzen bindend, die mit der

710 Kontrolle der Unterschriften betraut sind, also auch.für die Gemeindebehörden.

Ihre Beachtung und Anwendung von den Gemeindebehörden zu verlangen ist somit durchaus gerechtfertigt ; sie sowohl wie die Bundesbehörden sind verpflichtet, das Ihre dazu beizutragen, dass das Ergebnis einer Unterschriftensammlung dem möglichst unverfälschten Volkswillen entspreche. Die Bundesbehörde kann der Mitarbeit der Gemeindebehörden in diesem Gebiet um so weniger entraten, als sie, die der praktischen Durchführung einer solchen Unterschriftensammlung durchaus fern steht, viel weniger leicht in der Lage ist, den Bestimmungen über Ausmerzung ungültiger Unterschriften zu uneingeschränkter Nachachtung zu verhelfen als die Gemeindebehörden.

Wir sind uns, wenn wir so eine vermehrte Mitwirkung der Gemeindebehörden verlangen, durchaus bewusst, dass die Gemeindebehörden schon aus rein praktischen Gründen nicht in der Lage sind, alle ungültigen Unterschriften aus den Bogen zu tilgen. Die Bogen werden ja nicht von den Gemeindebehörden dem Bundesrat eingereicht, sondern von dem betreffenden Ausschuss zu diesem Zweck eingesammelt. Sie verbleiben also nicht bis zum letzten Tag der Beferendumsfrist oder bis zum letzten Tag vor der Einreichung des Initiativbegehrens in den Händen der Gemeindebehörde, die also z. B. den Eückzug von Unterschriften, der erst nach Übermittlung der beglaubigten Bogen an den Ausschuss erklärt wird, nicht mehr berücksichtigen können. Dies muss dann eben die Bundesbehörde tun, und um sie hiezu instandzusetzen, wären die Gemeindebehörden zu verhalten, die ihnen nach Ablieferung der Eeferendums- oder Initiativbogen an den Ausschuss zugehenden Bückzugserklärungeii unmittelbar der Bundeskanzlei einzusenden.

Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen laden wir Sie hiemit ein, den Gemeindebehörden Ihres Kantons die nötigen Weisungen zukommen zu lassen.

Wir benützen den Anlass, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

Bern, den 15. November 1983.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schulthess.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

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Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend den Rückzug von Unterschriften bei Referendums- oder Initiativbegehren (Vom 15. November 1933.)

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22.11.1933

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