Administrativhaft im Asylbereich Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 1. November 2017

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Das Wichtigste in Kürze Die Administrativhaft erreicht ihr Ziel, den Vollzug der Wegweisung von abgewiesenen Asylsuchenden sicherzustellen, gut. Sie wird insgesamt zweckmässig eingesetzt, doch gibt es beträchtliche kantonale Unterschiede, die auch Fragen zur Rechtmässigkeit aufwerfen. Der Bund zeigte sich bisher zurückhaltend, doch zeichnet sich eine Entwicklung hin zu einer stärkeren Bundesaufsicht ab.

Die Kosten des Bundes für die Administrativhaft von abgewiesenen Asylsuchenden von gegenwärtig rund 20 Millionen Franken pro Jahr dürften künftig mit der Subventionierung des Baus von Haftanstalten deutlich steigen. Es ist jedoch unklar, wie die Haft eingesetzt wird. Deshalb beauftragten die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) im Januar 2016 mit einer Evaluation zur Administrativhaft im Asylbereich.

An ihrer Sitzung vom 23. Juni 2016 hat die zuständige Subkommission EJPD/BK der GPK des Nationalrates entschieden, dass die Evaluation insbesondere die Wirksamkeit der Administrativhaft und die Zweckmässigkeit ihrer Anwendung sowie die Rolle des Bundes untersuchen soll. Aspekte der Rechtmässigkeit und die Situation von Minderjährigen in Administrativhaft sollten soweit möglich berücksichtigt werden. Zudem wünschte die Subkommission einen europäischen Vergleich.

Die PVK hat in der Folge ein Expertenmandat an BASS vergeben für eine statistische Analyse der Aufenthaltsverläufe der abgewiesenen Asylsuchenden, die bis 2014 ­ also noch vor Inkrafttreten der Änderungen aufgrund der Dublin III-Verordnung der EU ­ aus der Schweiz weggewiesen wurden. Die PVK hat zudem Gespräche mit rund 50 Personen, vorwiegend aus kantonalen Migrationsbehörden und dem Staatssekretariat für Migration (SEM), durchgeführt und eine ausgiebige Dokumentenanalyse gemacht. Für den europäischen Vergleich hat sie statistische Daten sowie vorhandene Evaluationen ausgewertet.

Administrativhaft ist wirksam, setzt aber internationale Zusammenarbeit voraus Bei 12 227 der gesamthaft 61 677 negativen Asylentscheide, die zwischen 2011 und 2014 gefällt worden sind, wurden die Betroffenen in Administrativhaft genommen.

Die Administrativhaft erreicht das Ziel, den Vollzug der Wegweisung von abgewiesenen Asylsuchenden sicherzustellen, bei Dublin-Fällen praktisch immer und
bei Wegweisungen in den Heimatstaat in zwei Drittel der Fälle. Die Administrativhaft ist damit wirksam. Sie darf jedoch nur angeordnet werden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Ausreise absehbar ist. Ob dies der Fall ist, hängt in erster Linie vom Bestimmungsstaat ab, der bereit sein muss, den Personen Papiere auszustellen und sie aufzunehmen. Eine gute internationale Migrationszusammenarbeit ist hierfür Voraussetzung, doch wurde von Seiten der kantonalen Migrationsbehörden bemängelt, diese erhalte in der Schweizer Aussenpolitik zu wenig Gewicht.

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Kantonale Unterschiede werfen Fragen nach der Rechtmässigkeit auf Die Evaluation hat beträchtliche Unterschiede zwischen den Kantonen aufgezeigt, sowohl was die Häufigkeit und den Zeitpunkt der Anordnung der Administrativhaft wie auch ihre Dauer, die Inhaftierung von Minderjährigen und die Zielerreichung anbelangt. Die unterschiedliche Zusammensetzung der abgewiesenen Asylsuchenden bezüglich Geschlecht, Alter, Familiensituation oder Herkunftsstaat erklärt diese Unterschiede höchstens zu einem Drittel. Die kantonalen Unterschiede sind vor allem Ausdruck eines unterschiedlichen Verständnisses der Verhältnismässigkeit der Haft, das sowohl durch die kantonale Politik wie die Gerichte geprägt wird. Es stellt sich sodann die Frage, inwiefern die Differenzen unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit einerseits und des Vollzugsföderalismus andererseits gerechtfertigt sind.

Verstärkte Aufsicht des Bundes bietet Chancen und birgt Risiken Das SEM setzte bisher in seiner Aufsichtsfunktion beim Wegweisungsvollzug auf den Dialog mit den Kantonen, welchen diese schätzen. Die kantonalen Unterschiede verdeutlichen aber, dass damit nur beschränkt eine Harmonisierung erzielt wurde.

Neu nutzt der Bund mit den Subventionen von Haftanstalten finanzielle Anreize für eine Verbesserung der Haftbedingungen. Seit Herbst 2016 hat das SEM zudem die gesetzliche Aufgabe, den Wegweisungsvollzug zu überwachen. Es kann den Kantonen, wenn diese ihrer Pflicht des Vollzugs der Wegweisungen ungenügend nachkommen, auch finanzielle Abgeltungen streichen. Dies ist einerseits eine Chance für eine stärkere Harmonisierung der Vollzugspraxis. Andererseits bergen die Neuerungen das Risiko, dass die Administrativhaft angesichts von möglichen Sanktionen vermehrt in Fällen eingesetzt wird, bei welchen die rechtlichen Voraussetzungen nicht klar erfüllt sind.

Datenverwaltung des SEM ist ineffizient und fehleranfällig Zwischen den bestehenden Datenverwaltungssystemen im Bereich des Wegweisungsvollzugs gibt es zahlreiche Doppelspurigkeiten, die Mehraufwand generieren.

Die elektronischen Systeme sind ungenügend miteinander gekoppelt, weshalb die gleichen Daten mehrmals eingetippt werden müssen, was eine Fehlerquelle darstellt. Dass die Daten zur Administrativhaft korrekt erfasst werden, stellte bisher keine Priorität dar, weder bei vielen
Kantonen noch beim SEM. Die Daten zu einigen Kantonen erwiesen sich denn auch als ungenügend für die statistische Analyse im Rahmen der vorliegenden Evaluation. Der Nutzen, der sich bisher aus den durch das SEM verwalteten Daten zum Wegweisungsvollzug ziehen lässt, ist beschränkt.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

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1

Einleitung 1.1 Anlass und Fragestellungen der Evaluation 1.2 Vorgehen 1.2.1 Analysemodell 1.2.2 Datenerhebungen und -auswertungen 1.2.3 Grenzen der Evaluation 1.3 Aufbau des Berichts

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2

Rechtliche Grundlagen zur Administrativhaft 2.1 Arten von negativen Entscheiden 2.2 Haftformen und Haftdauer 2.2.1 Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft 2.2.2 Haft im Dublin-Verfahren 2.3 Haftüberprüfung und Haftbedingungen 2.4 Administrativhaft bei Minderjährigen 2.5 Kostenbeteiligung des Bundes

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3

Wirksamkeit der Administrativhaft 3.1 Ergebnisse des Wegweisungsvollzugs 3.1.1 Knapp die Hälfte der abgewiesenen Asylsuchenden reist kontrolliert aus 3.1.2 Der Wegweisungsvollzug ist im europäischen Vergleich erfolgreich 3.2 Beitrag der Administrativhaft zum Wegweisungsvollzug 3.2.1 Haftquote hängt von der Art des Entscheids ab 3.2.2 Dublin-Fälle: Haft äusserst wirksam 3.2.3 Wegweisungen in den Heimatstaat: Haft länger und etwas weniger wirksam

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Zweckmässigkeit der Anwendung durch die Kantone 4.1 Auswirkungen der Haft auf Zahl und Art der Ausreisen 4.1.1 Dublin-Fälle: Mehr Administrativhaft führt zu mehr Ausreisen unter teilweise mehr Zwang 4.1.2 Wegweisungen in den Heimatstaat: Mehr Administrativhaft geht mit mehr Rückführungen und mehr selbständigen Ausreisen einher 4.2 Kantonale Unterschiede sind nur teilweise strukturell erklärbar

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Hinweise zur Rechtmässigkeit 5.1 Haftdauer eingehalten, Beschleunigungsgebot jedoch unterschiedlich gewichtet 5.2 Verhältnismässigkeit kantonal unterschiedlich ausgelegt

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4

5

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5.3 5.4 6

7

Administrativhaft bei Minderjährigen, auch unter 15 Jahren Haftregime und Haftbedingungen bleiben in der Kritik

7568 7571

Angemessenheit der Rolle des Bundes 6.1 Rechtliche Grundlagen 6.1.1 Weisungen sind teilweise nicht aktualisiert 6.1.2 Kleinere Ungereimtheiten in den Kostenregelungen 6.1.3 Anwendung der Administrativhaft liegt fast ausschliesslich in kantonaler Kompetenz 6.1.4 Aufsicht des Bundesrates ist nur komplementär, hat jedoch an Bedeutung zugenommen 6.2 Informationsstand des SEM 6.2.1 Daten zur Administrativhaft sind lückenhaft, Anreize für korrekte Erfassung fehlen 6.2.2 Viele Doppelspurigkeiten und Medienbrüche bei der Datenverwaltung 6.2.3 SEM kann seine Daten nur beschränkt nutzen 6.3 Zusammenarbeit mit den Kantonen 6.3.1 Dialog wird geschätzt, erzielt jedoch beschränkte harmonisierende Wirkung 6.3.2 Neues Monitoring eignet sich nur bedingt als Überwachungsinstrument 6.3.3 Kostenabgeltungen sind grundsätzlich angemessen und werden neu als Steuerungsinstrument genutzt

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Schlussfolgerungen 7.1 Administrativhaft ist wirksam, ihr Einsatz setzt aber gute internationale Zusammenarbeit voraus 7.2 Kantonale Unterschiede werfen Fragen nach der Rechtmässigkeit auf 7.3 Verstärkte Aufsichtsfunktion des Bundes bietet Chancen und birgt Risiken 7.4 Datenverwaltung des SEM ist ineffizient, fehleranfällig und von beschränktem Nutzen

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Abkürzungsverzeichnis

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Literatur und Dokumentenverzeichnis

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Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner

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Anhänge: 1 Vorgehensweise der Evaluation 2 Übersicht Haftformen 3 Übersicht zusätzliche Haftformen im Dublin-Verfahren

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Impressum

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Anlass und Fragestellungen der Evaluation

Abgewiesene Asylsuchende, die nicht vorläufig aufgenommen werden, haben die Schweiz zu verlassen. Gibt es Anzeichen, dass sie sich ihrer Wegweisung entziehen wollen, können die Behörden eine Administrativhaft umgangssprachlich wird oft von Ausschaffungshaft gesprochen anordnen. Für die Anordnung der Haft sind in der Regel die Kantone zuständig. Der Bund leistet bei Personen aus dem Asylbereich, nicht jedoch für jene aus dem Ausländerbereich, einen Kostenbeitrag.

2014 hat der Bundesrat die Tagespauschale für die Administrativhaft im Asylbereich erhöht. Zudem will der Bund künftig den Bau und Betrieb von kantonalen Haftanstalten mitfinanzieren. Die Kosten des Bundes für die Administrativhaft dürften somit steigen. Dabei bleibt unklar, wie das Instrument eingesetzt wird. Eine Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) im Jahr 20051 sowie eine sechs Jahre später durchgeführte Nachkontrolle2 offenbarten kantonale Unterschiede und warfen insbesondere im Asylbereich Fragen bezüglich der Wirksamkeit der Haft auf. Die rechtlichen Vorgaben zur Administrativhaft wurden seither als Folge des Schengen/Dublin-Beitritts der Schweiz geändert.

Angesichts dieser Ausgangslage haben die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) an ihrer Sitzung vom 28. Januar 2016 beschlossen, die PVK mit einer Evaluation zur Administrativhaft im Asylbereich zu beauftragen. Die für die Evaluation zuständige Subkommission EJPD/BK der GPK des Nationalrates (GPK-N) hat am 23. Juni 2016 anhand einer Projektskizze der PVK entschieden, dass folgende Fragestellungen untersucht werden sollen: 1.

Inwiefern ist die Administrativhaft ein wirksames Instrument, d. h. inwiefern wird mit der Administrativhaft der Wegweisungsvollzug sichergestellt?

2.

Inwiefern setzen die Kantone die Administrativhaft zweckmässig ein?

3.

Inwiefern gibt es allenfalls Hinweise zur Rechtmässigkeit der Anwendung der Administrativhaft?

4.

Inwiefern sorgt der Bund angemessen dafür, dass die Administrativhaft zweckmässig eingesetzt wird?

Die zuständige Subkommission beschloss zudem, die PVK solle einen europäischen Vergleich durchführen. Ausserdem wünschte sie, dass der Situation von minderjährigen Asylsuchenden in Administrativhaft besondere Beachtung geschenkt wird.

1 2

Evaluation der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Schlussbericht der PVK zuhanden der GPK-N vom 15. März 2005 (BBl 2006 2603).

Anwendung und Wirkung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Bericht der GPK-N vom 24. Aug. 2005 auf der Grundlage einer Evaluation der PVK, Stellungnahme des Bundesrates vom 29. Juni 2011 zum Schreiben der GPK-N vom 16. Febr. 2010.

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1.2

Vorgehen

Um die Fragestellungen zu beantworten, folgte die Evaluation dem Analysemodell unter Ziffer 1.2.1, welches die Datenerhebungen und -analysen leitete (vgl. Ziff. 1.2.2 und Anhang 1). Die Aussagekraft der Ergebnisse unterliegt jedoch gewissen Einschränkungen (vgl. Ziff. 1.2.3).

1.2.1

Analysemodell

Die Administrativhaft soll sicherstellen, dass abgewiesene Asylsuchende die Schweiz tatsächlich verlassen, d. h. dass sie kontrolliert ausreisen (vgl. dunkle Formen in Abbildung 1). Die Anwendung und die Zielerreichung der Administrativhaft wird jedoch von weiteren Massnahmen des Wegweisungsvollzugs (vgl. Abbildung 1, Mitte) sowie von strukturellen Voraussetzungen beeinflusst (vgl. Abbildung 1, links). Einige dieser Faktoren konnten im Rahmen der Evaluation berücksichtigt werden, andere höchstens am Rande (vgl. unterschiedliche Farben in Abbildung 1).

Abbildung 1 Administrativhaft als Teil des Wegweisungsvollzugs

: interessierender Zusammenhang; : in Evaluation berücksichtigt; : in Evaluation nur am Rande berücksichtigt.

Neben der Administrativhaft können gegenüber abgewiesenen Asylsuchenden weitere Massnahmen des Wegweisungsvollzugs angewendet werden. Es gibt die Möglichkeit anderer ausländerrechtlicher Zwangsmassnahmen, namentlich die kurzfristige Festhaltung sowie die Ein- und Ausgrenzung, oder die Anwendung von polizeilichem Zwang bei der Ausreise. Asylsuchenden wird Rückkehrberatung und Rückkehrhilfe angeboten, um sie zu einer freiwilligen Rückkehr zu bewegen. Auch 7539

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die Tatsache, dass Asylsuchende nach einem negativen Entscheid nur noch Anspruch auf Nothilfe haben, soll einen Anreiz für die Rückkehr darstellen.

Um den Wegweisungsvollzug zu fördern, ergreift der Bund ausserdem Massnahmen für eine bessere internationale Zusammenarbeit mit den Bestimmungsländern. Er schliesst Rückübernahmeabkommen ab, welche die Überstellung von weggewiesenen Staatsangehörigen aus den jeweiligen Staaten regeln. In eine ähnliche Richtung gehen Migrationsabkommen und -partnerschaften, welche allerdings breiter angelegt sind. Länderprogramme schliesslich umfassen zeitlich befristete Rückkehrhilfe- und Wiedereingliederungsmassnahmen in ausgewählten Herkunftsstaaten.

Welche Massnahmen zur Anwendung kommen und welche Wirkung diese haben hängt von strukturellen Voraussetzungen auf mehreren Ebenen ab, welche der Bund nur sehr bedingt beeinflussen kann. Erstens sind die soziodemografischen Merkmale der abgewiesenen Asylsuchenden, wie deren Alter, Geschlecht oder Familienkonstellation, aber auch der Verlauf ihres Asylverfahrens (z. B. Art des negativen Entscheids) zu berücksichtigen. Zweitens ist der Wegweisungsvollzug abhängig vom Bestimmungsland. So läuft die Überstellung bei Dublin-Staaten anders als die Rückkehr in den Herkunftsstaat, bei welcher die Sicherheits- und die Wirtschaftslage eine Rolle spielen könnte. Drittens hängen die Wahl der Massnahmen und deren Wirkung von kantonalen Gegebenheiten ab, wie der Grösse und der Verwaltungsorganisation oder, im Falle der Administrativhaft, von der vorhandenen Haftinfrastruktur.

Ziel des Wegweisungsvollzugs ist die kontrollierte Ausreise aus der Schweiz (Abbildung 1, rechts). Die Ausreise kann entweder selbständig oder als Rückführung, d. h.

mit polizeilicher Begleitung (mindestens bis zum Flugzeug), erfolgen. Es ist jedoch auch möglich, dass der Aufenthalt von abgewiesenen Asylsuchenden legalisiert wird, sei dies vorübergehend, während ein neues Verfahren läuft, oder dauerhaft mittels Härtefallentscheid. Schliesslich gibt es abgewiesene Asylsuchende, deren Ausreisestatus unklar ist. Bei einem Teil haben die Behörden eine sogenannte «unkontrollierte Abreise» vermerkt, weil sich diese Personen eine Zeitlang nicht mehr gemeldet haben. Diese Personen sind somit zumindest vorübergehend untergetaucht.

Die übrigen Personen haben keinen
Vermerk zum Ausreisestatus, d. h. ihr Ausreisestatus ist offen. Ein Teil dürfte sich noch in der Schweiz aufhalten, namentlich in den Nothilfestrukturen der Kantone.

Die Bedeutung der einzelnen Faktoren im Analysemodell wurde mittels mehrerer Datenerhebungen und -auswertungen untersucht.

1.2.2

Datenerhebungen und -auswertungen

Um die Fragestellungen zu beantworten, wurden die in Tabelle 1 aufgeführten vier Datenerhebungen und -auswertungen vorgenommen, die in der Folge kurz beschrieben werden.

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Tabelle 1

Nr.

Fragestellung

Statistische Analyse (externes Mandat)

Rechts- und Dokumentenanalyse

Interviews

Europäischer Vergleich

Beitrag der durchgeführten Analysen zur Beantwortung der Fragestellungen

1

Wirksamkeit Administrativhaft









2

Zweckmässigkeit Administrativhaft







3

Hinweise Rechtmässigkeit Administrativhaft







4

Angemessenheit der Rolle des Bundes







Legende: : Hauptanalyse zur Beantwortung der Fragestellung; : ergänzende Analyse zur Beantwortung der Fragestellung.

Für die statistische Analyse hat die PVK ein Mandat an BASS erteilt (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017). Diese Analyse diente in erster Linie der Bewertung der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit der Administrativhaft. BASS hat insbesondere anhand der Daten im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) eine Verlaufsanalyse durchgeführt. Sie zeigt auf, was mit den abgewiesenen Asylsuchenden in den eineinhalb Jahren nach dem negativen Entscheid geschieht. Untersucht wurden alle Personen, deren Gesuch zwischen 2011 und 2014 rechtskräftig abgewiesen oder abgeschrieben wurde und die keine vorläufige Aufnahme erhielten.3 Die übrigen Datenerhebungen und -auswertungen hat die PVK selbst durchgeführt.

Die Analyse der Rechtslage bildete bei sämtlichen Fragestellungen die Grundlage und umfasste die einschlägigen Gesetze, Verordnungen, Weisungen und die aufgrund des Schengen/Dublin-Abkommens für die Schweiz verpflichtenden Bestimmungen der Europäischen Union (EU). Die systematische Analyse von rund 70 Dokumenten, vorwiegend des SEM, diente hauptsächlich der Bewertung der Rolle des Bundes.

Mit insgesamt gut 50 Personen hat die PVK Interviews durchgeführt. Im Zentrum standen die Gruppeninterviews mit den Migrationsbehörden in acht Kantonen unterschiedlicher Grösse, Sprache und geografischer Lage (AR, BL, FR, NE, TG, UR, VD, ZH). An diesen Gesprächen nahmen zwischen zwei und sechs Personen teil.

Daneben führte die PVK zu Beginn der Evaluation rund zehn explorative Interviews durch und liess sich zusammen mit BASS im Rahmen eines Augenscheins vom SEM die Erfassung der Daten im Bereich des Wegweisungsvollzugs erklären. Bei zahlreichen Mitarbeitenden des SEM hat die PVK zudem punktuell telefonische 3

Für die Analyse lagen Daten bis Juni 2016 vor. Asylsuchende, die nach 2014 ihren negativen Entscheid erhielten, können keine 18 Monate mehr beobachtet werden und wurden deshalb aus der Analyse ausgeschlossen. Für nähere Angaben zum Vorgehen bei der statistischen Analyse vgl. Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Kap. 1.4.

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Nachfragen getätigt. Die Ergebnisse der Evaluation wurden in je einem Gespräch mit dem SEM und dem Generalsekretariat der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) diskutiert.

Der europäische Vergleich besteht aus zwei Teilen: einer statistischen Analyse und einer Evaluationssynthese. Verlässliche Daten für eine statistische Analyse der Administrativhaft in den verschiedenen Staaten gibt es nicht, weshalb die PVK lediglich einen Vergleich zur Zielerreichung des Wegweisungsvollzugs in den verschiedenen Staaten vornahm. Anhand von Daten von Eurostat, der Statistikagentur der EU, wurden einerseits die kontrollierten Ausreisen in die Heimat- und Drittstaaten und andererseits die Dublin-Überstellungen verglichen. Die Dublin-Statistiken sind für die Schweiz vollständig, bei anderen Staaten gibt es jedoch Lücken und merkwürdige Angaben, weshalb eine Auswahl getroffen werden musste. Zu den kontrollierten Ausreisen in die Heimat- und Drittstaaten liefert die Schweiz der EU keine Zahlen, weshalb auf die Schweizer Asylstatistik zurückgegriffen werden musste, deren Daten aber nur beschränkt vergleichbar sind.

Bei der Evaluationssynthese wertete die PVK zwei Evaluationen der Europäischen Kommission (Matrix 2013; Jurado/Beirens/Maas et al. 2016) aus, in welchen untersucht wurde, wie die Vorgaben der EU zur Administrativhaft in den verschiedenen Schengen/Dublin-Staaten, darunter die Schweiz, umgesetzt werden. Da sich die Evaluationen teilweise gegenseitig widersprachen und bezüglich der Schweiz zahlreiche Lücken aufwiesen, wurde zusätzlich für Angaben zur Schweiz und ihren Nachbarstaaten auf die von der internationalen Nichtregierungsorganisation European Council on Refugees and Exiles (ECRE) betriebene «Asylum Information Database» (AIDA)4 zurückgegriffen. Schliesslich wurden nur Informationen verwendet, die in den verschiedenen Quellen übereinstimmten.

Zu einem Entwurf des vorliegenden Berichts hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) im August 2017 im Rahmen der Verwaltungskonsultation Stellung genommen.5

1.2.3

Grenzen der Evaluation

Aus dem Analysemodell in Abbildung 1 gehen wichtige Grenzen der Evaluation hervor. In der statistischen Analyse konnten der Einfluss von anderen Massnahmen des Wegweisungsvollzugs abgesehen von der Administrativhaft sowie der Einfluss der strukturellen Faktoren auf Kantonsebene nicht direkt berücksichtigt werden.

Entweder erwies sich die Datenlage als ungenügend oder die Faktoren stellten sich als nicht signifikant heraus und wurden deshalb aus den Analysen ausgeschlossen (vgl. auch Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 6­9). Statistisch nicht erklärt werden

4

5

ECRE: Asylum Information Database (AIDA), konsultiert unter: www.asylumineurope.org > Countries > Austria/France/Germany/Italy/Switzerland > Detention of Asylum Seekers (Stand: 21. Dez. 2016).

Evaluation zur Administrativhaft im Asylbereich: Verwaltungskonsultation vom 14. Juli bis 1. Sept. 2017, Stellungnahme des EJPD (SEM-BJ) zuhanden der PVK vom 28. Aug. 2017.

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kann zudem das Untertauchen von Personen, weil dieses nicht verlässlich erfasst wird (vgl. Ziff. 3.1.1 und 6.2.3).

In zeitlicher Hinsicht besteht eine wichtige Einschränkung darin, dass die Auswirkungen der Dublin III-Verordnung6, welche die Anordnung der Administrativhaft bei Dublin-Fällen einschränkte, aus der statistischen Analyse nicht mehr hervorgehen. Die geänderten Gesetzesbestimmungen7, die am 1. Juli 2015 in Kraft traten, kamen bei den untersuchten Personen, die bis Ende 2014 den negativen Entscheid erhielten, grösstenteils nicht mehr zum Tragen.

Die Ergebnisse des europäischen Vergleichs schliesslich können aufgrund der Probleme mit der Verfügbarkeit und Qualität der Daten und Informationen nur punktuell verwendet werden.

1.3

Aufbau des Berichts

Der Bericht stellt im folgenden Kapitel die rechtlichen Grundlagen zur Administrativhaft vor. Danach folgen vier Kapitel, die jeweils der Beantwortung einer Fragestellung gewidmet sind: das dritte Kapitel beurteilt die Wirksamkeit der Administrativhaft, das vierte Kapitel setzt sich mit der Zweckmässigkeit ihrer Anwendung auseinander, im fünften Kapitel werden die Hinweise zur Rechtmässigkeit zusammengefasst und im sechsten Kapitel wird die Rolle des Bundes bewertet. Im siebten Kapitel werden die Schlussfolgerungen gezogen.

2

Rechtliche Grundlagen zur Administrativhaft

Geregelt ist die Administrativhaft in den Artikeln 75 bis 82 des Ausländergesetzes (AuG)8. Sie ist Teil der ausländerrechtlichen Zwangsmassnahmen, zu welchen neben der Administrativhaft die kurzfristige Festhaltung und die Ein- und Ausgrenzung gehören.9 In der Folge sind die ab 2011 (Beginn des Untersuchungszeitraums der Evaluation) geltenden Bestimmungen zur Administrativhaft beschrieben.10 Zuerst 6

7

8 9

10

Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.

Änderung des Ausländergesetzes gemäss Anhang Ziff. I 1 des Bundesbeschlusses vom 26. Sept. 2014 (Übernahme der Dublin III-Verordnung), in Kraft seit 1. Juli 2015 (AS 2015 1841; BBl 2014 2675).

Bundesgesetz vom 16. Dez. 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (SR 142.20).

Davon zu unterscheiden ist polizeilicher Zwang bei der Ausschaffung (z. B. Fesselung), der durch das Bundesgesetz vom 20. März 2008 über die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes (Zwangsanwendungsgesetz, ZAG; SR 364) geregelt ist.

Die Ausführungen stützen sich auf die im Untersuchungszeitraum geltenden Weisungen zum AuG (SEM, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. In: Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich [Weisungen AuG] vom 1. Juli 2009, 30. Sept. 2011, 25. Okt. 2013, 4. Juli 2014, 13. Febr. 2015, 1. Juli 2015, 24. Okt. 2016, 3. Juli 2017, Kapitel 9) sowie das Handbuch Asyl und Rückkehr des SEM (2015).

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wird auf die Arten von negativen Entscheiden eingegangen, die bestimmen, welche der im Anschluss dargestellten Haftformen angewendet werden können. Danach wird auf die richterliche Haftüberprüfung und die Haftbedingungen eingegangen.

Zum Schluss werden die rechtlichen Grundlagen zur Administrativhaft bei Minderjährigen und zur Kostenbeteiligung des Bundes erläutert.

2.1

Arten von negativen Entscheiden

Im vorliegenden Bericht werden drei Arten von negativen Entscheiden betrachtet, die dazu führen, dass Asylsuchende die Schweiz verlassen müssen:11 1.

Nichteintretensentscheid im Dublin-Verfahren (NEE Dublin): Die betroffene Person wird in einen anderen Dublin-Mitgliedstaat weggewiesen, der für die Behandlung ihres Asylgesuchs zuständig ist.

2.

Ablehnung des Asylgesuchs nach materieller Prüfung oder Nichteintretensentscheid ausserhalb des Dublin-Verfahrens (Ablehnungen/NEE): Die betroffene Person wird in ihren Heimat-, Herkunfts- oder einen sicheren Drittstaat weggewiesen, wobei in der Folge bei Ablehnungen/NEE der Einfachheit halber von Wegweisungen in den Heimat- oder den Herkunftsstaat gesprochen wird.

3.

Abschreibung des Asylgesuchs: Das Asylgesuch wird insbesondere dann abgeschrieben, wenn sich eine Person bereit erklärt, ihr Asylgesuch zurückzuziehen und freiwillig in ihren Herkunftsstaat oder einen sicheren Drittstaat zurückzukehren, womit sie ihr Aufenthaltsrecht als asylsuchende Person in der Schweiz verliert.12

Die Art des Entscheids beeinflusst, welche Haftformen angewandt werden können.

2.2

Haftformen und Haftdauer

Das AuG sieht verschiedene Formen der Administrativhaft vor. Deren Ausgestaltung wurde teilweise durch Bestimmungen der EU13, an welche die Schweiz aufgrund der Schengen/Dublin-Assoziierung gebunden ist, beeinflusst. In der Folge werden die Hauptformen der Administrativhaft beschrieben, bevor separat auf die Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens, deren rechtliche Regelung sich im Untersuchungszeitraum geändert hat, eingegangen wird.

11 12

13

Zusätzlich gibt es den Asyl-Widerruf sowie die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme, die aber vergleichsweise selten sind und deshalb nicht näher untersucht wurden.

Bei der Abschreibung handelt es sich streng juristisch nicht um einen Entscheid, sondern um den Beschluss einer Verwaltungsbehörde zur formellen Beendigung eines Verwaltungsverfahrens (SEM, Handbuch Asyl + Rückkehr, Artikel E5).

Die Rückführungsrichtlinie der EU (Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger) wurde am 1. Jan. 2011, die unter Ziff. 1.2.3 erwähnte Dublin III-Verordnung per 1. Juli 2015 in nationales Recht umgesetzt.

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2.2.1

Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft

Eine Administrativhaft kann grundsätzlich dann angeordnet werden, wenn es Anzeichen gibt, dass sich eine Person ihrer Wegweisung entziehen will und der Vollzug innert absehbarer Frist durchführbar ist. Dies gilt im Prinzip für alle Haftformen.

Zusätzlich müssen je nach Haftform weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Die verschiedenen Haftformen werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Verfahren angewendet und verfolgen unterschiedliche Zwecke (vgl. Details in Anhang): ­

Vorbereitungshaft (Art. 75 AuG): Wird vor der Eröffnung des Wegweisungsentscheids angeordnet und soll die Vorbereitung des Wegweisungsentscheids sicherstellen.

­

Ausschaffungshaft (Art. 76 AuG): Wird nach der Eröffnung des Wegweisungsentscheids angeordnet und soll dessen Vollzug sicherstellen.

­

Durchsetzungshaft (Art. 78 AuG): Wird nach Ablauf der Ausreisefrist angeordnet und soll Personen, deren Ausschaffung ohne ihr Mitwirken nicht möglich ist, zu einer Verhaltensänderung bewegen.

Artikel 79 AuG legt fest, dass die Gesamtdauer über sämtliche Haftformen, einschliesslich einer Haft im Dublin-Verfahren, maximal sechs Monate beträgt. Diese maximale Haftdauer kann mit Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde höchstens um zwölf Monate verlängert werden. Dies ergibt einschliesslich der Verlängerungen eine Maximaldauer der Administrativhaft von 18 Monaten.

Neben den drei erwähnten gibt es zwei kürzere Formen der Ausschaffungshaft: die Haft ab Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) des Bundes und die sogenannte kleine Ausschaffungshaft. Bei diesen sind die Haftgründe einfacher erfüllt: Es reicht, dass der Wegweisungsentscheid in einem EVZ eröffnet wurde und der Vollzug absehbar ist bzw. dass die Behörde die Reisedokumente beschaffen musste, unabhängig vom Verhalten der Person.

2.2.2

Haft im Dublin-Verfahren

Personen im Dublin-Verfahren konnten bis Mitte 2015 wie alle anderen Personen in Vorbereitungs-, Ausschaffungs- oder Durchsetzungshaft genommen werden, wenn die Voraussetzungen erfüllt waren. Zusätzlich konnte eine Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft bereits angeordnet werden, wenn die Person verneinte, dass sie in einem anderen Dublin-Staat ein Asylgesuch gestellt hatte, ihr Fingerabdruck aber bereits in einem anderen Staat registriert worden war (vgl. Details in Anhang 3). Bis zu 30 Tage konnten auch Personen inhaftiert werden, die zugaben, bereits in einem anderen Staat ein Asylgesuch gestellt zu haben. Es reichte, dass der DublinWegweisungsentscheid innert absehbarer Frist vollziehbar war. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Administrativhaft bei Personen mit NEE Dublin waren somit wenig anspruchsvoll.

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Mit der Umsetzung der Dublin III-Verordnung wurden die Haft-Voraussetzungen auf den 1. Juli 2015 jedoch deutlich verschärft. Nun müssen gemäss dem neuen Artikel 76a AuG und den übergeordneten EU-Bestimmungen im Einzelfall konkrete Anzeichen für eine erhebliche Untertauchensgefahr gegeben sein. Die Haft vor der Eröffnung des Entscheids darf noch maximal sieben Wochen, die Haft zwecks Vollzugs höchstens sechs Wochen dauern. Hinzu kommt eine maximal fünfwöchige Haft während einem Verfahren, bei dem der andere Dublin-Staat nach einer ersten ablehnenden Antwort nochmals angefragt wird (sog. Remonstrationsverfahren). Die Haft im Dublin-Verfahren wird ausserdem der Gesamthaftdauer der Haft nach Artikel 79 AuG (vgl. oben) angerechnet.

2.3

Haftüberprüfung und Haftbedingungen

Der Haftentscheid unterliegt der Gerichtsbarkeit. Die Art der richterlichen Haftüberprüfung ist in den Artikel 80 und 80a AuG geregelt und hängt von der Haftform ab (vgl. Anhang und Anhang 3, letzte Zeilen). Bei den kürzeren Haftformen ist in der Regel eine schriftliche Haftüberprüfung vorgesehen, die nur auf Antrag der inhaftierten Person stattfindet, während die potentiell länger dauernden Haftformen spätestens nach 96 Stunden aufgrund einer mündlichen Verhandlung überprüft werden müssen. Geprüft wird die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft. Die richterliche Behörde hat dabei auch die familiären Verhältnisse der inhaftierten Person und die Umstände des Haftvollzugs zu berücksichtigen.

Die Haftbedingungen sind in Artikel 81 AuG präzisiert. So ist beispielsweise zu den Aussenkontakten festgehalten, dass die inhaftierte Person mit ihrer Rechtsvertretung und ihren Familienangehörigen verkehren kann. Bezüglich der Räumlichkeiten wurde das Gesetz geändert: Ursprünglich hiess es, dass Personen in Administrativhaft von jenen in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug gesondert unterzubringen seien und ihnen soweit möglich eine geeignete Beschäftigung anzubieten sei.

Seit 1. Februar 2014 wurde das Trennungsgebot gelockert: Die Zusammenlegung mit Personen in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug ist nach Möglichkeit zu vermeiden und darf höchstens vorübergehend und zur Überbrückung von Engpässen im Bereich der Administrativhaft angeordnet werden. Die Beschäftigungsmöglichkeiten hat das Parlament aus dem Gesetz gestrichen.

Schliesslich verlangt das Gesetz, dass den Bedürfnissen von Schutzbedürftigen, unbegleiteten Minderjährigen und Familien mit Minderjährigen bei der Ausgestaltung der Haft Rechnung zu tragen ist. Für die Administrativhaft bei Minderjährigen gelten zudem die im folgenden Abschnitt zusammengefassten Bestimmungen.

2.4

Administrativhaft bei Minderjährigen

Die Administrativhaft bei Minderjährigen ist gemäss Artikel 80 Absatz 4 AuG ausgeschlossen «gegenüber Kindern und Jugendlichen, die das 15. Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben.» Umgekehrt bedeutet dies, dass Jugendliche, die mindestens 15 Jahre alt sind, inhaftiert werden können. Das gleiche gilt gemäss Artikel 80a 7546

BBl 2018

Absatz 5 AuG für die Haft im Dublin-Verfahren. Die Anordnung einer Durchsetzungshaft bei Minderjährigen unter 15 Jahren wurde im Gesetz erst per 1. März 2015 ausgeschlossen.

Die maximale Haftdauer ist bei Minderjährigen in Artikel 79 AuG auf 12 Monate beschränkt, gegenüber 18 Monaten bei Erwachsenen.

2.5

Kostenbeteiligung des Bundes

Der Bund leistet an die Kosten der Administrativhaft laut Artikel 82 AuG in zweierlei Hinsicht einen Beitrag. Einerseits beteiligt er sich gemäss Absatz 2 mit einer Tagespauschale an den Betriebskosten der Kantone «für den Vollzug der Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft». Die Haft im Rahmen des DublinVerfahrens ist in Artikel 82 AuG nicht erwähnt. Im Verordnungsartikel, der die Höhe der Tagespauschale regelt,14 heisst es, die Pauschale werde für die Haft nach Artikel 75 bis 78 AuG entrichtet, womit die Dublin-Haft enthalten ist. Diese Pauschale wurde per 1. Februar 2014 von 140 Franken auf 200 Franken pro Hafttag erhöht.

Die Personengruppen, für welche die Tagespauschale ausgerichtet wird, sind im Gesetzesartikel aufgezählt. Dazu gehören neben Personen aus dem Asylbereich auch Ausländerinnen und Ausländer, deren Inhaftierung im Zusammenhang mit einer Wegweisungsverfügung des SEM angeordnet wurde.

Andererseits wurde dem Bund in Artikel 82 Absatz 1 AuG per 1. Februar 2014 die Möglichkeit eingeräumt, den Bau und die Einrichtung kantonaler Haftanstalten, die dem Vollzug der Administrativhaft dienen und eine bestimmte Grösse aufweisen, ganz oder teilweise zu finanzieren.15 In den konkretisierenden Verordnungsbestimmungen16 wird der Anteil der Bundesfinanzierung davon abhängig gemacht, inwiefern die Anstalt dem Vollzug von Wegweisungen von Asylsuchenden ab Bundesunterkunft dient.

3

Wirksamkeit der Administrativhaft

Zusammenfassung: Die Administrativhaft ist wirksam. Zwar reist insgesamt nur knapp die Hälfte der abgewiesenen Asylsuchenden kontrolliert aus, doch dürfte dies im europäischen Vergleich, der allerdings mangels Zahlen nur beschränkt möglich ist, einem guten Ergebnis entsprechen. Die Anwendung und Wirksamkeit der Administrativhaft ist je nach negativem Entscheid unterschiedlich. Von den Personen mit NEE Dublin vor 2015 wurden 39 % innerhalb der 18 Monate nach dem Entscheid inhaftiert und nach der Haft praktisch immer an einen anderen 14 15

16

Art. 15 Abs. 1 Verordnung vom 11. Aug. 1999 über den Vollzug der Weg- und Ausweisung sowie der Landesverweisung von ausländischen Personen (VVWAL; SR 142.281).

Eine ähnliche Bestimmung war 2008 gestrichen worden. Anlass für die Wiedereinführung war die Neustrukturierung des Asylbereichs, in deren Rahmen in gewissen Kantonen Ausreisezentren entstehen, die zu einem erhöhten Bedarf an Haftplätzen führen könnten.

Art. 15j bis 15o VVWAL

7547

BBl 2018

Dublin-Staat überstellt. Die Administrativhaft ist damit bei Dublin-Fällen sehr wirksam. Dagegen wurden nur 7 % der Personen mit einer Wegweisung in den Heimatstaat inhaftiert, und nur zwei von drei der Inhaftierten wurden tatsächlich zurückgeführt. Diese Quote ist allerdings noch immer höher als die Ausreisequote von Personen ohne Haft.

In diesem Kapitel werden zunächst die Ergebnisse des Wegweisungsvollzugs in der Schweiz aufgezeigt, bevor untersucht wird, inwiefern die Administrativhaft dazu beiträgt, dass der Wegweisungsvollzug von abgewiesenen Asylsuchenden gelingt.

3.1

Ergebnisse des Wegweisungsvollzugs

Nicht alle Asylsuchenden, die aus der Schweiz weggewiesen werden, reisen tatsächlich aus. Dies wird im ersten Teil des Kapitels aufgezeigt. Anschliessend wird die Schweizer Ausreisequote von weggewiesenen Personen im Vergleich zu anderen europäischen Staaten dargestellt.

3.1.1

Knapp die Hälfte der abgewiesenen Asylsuchenden reist kontrolliert aus

BASS (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 31­44) hat im Auftrag der PVK untersucht, welchen Ausreisestatus rechtskräftig abgewiesene Asylsuchende anderthalb Jahre nach einem negativen Entscheid aufweisen.17 Vorläufige Aufnahmen wurden ausgeschlossen, d. h. bei den untersuchten Personen wurde der Vollzug der Wegweisung als zulässig, möglich und zumutbar beurteilt. Die Gesamtheit der Personen, die im gleichen Jahr einen negativen Entscheid erhielten, bezeichnet man als «Kohorte».

In der Evaluation wurden alle Asylsuchenden mit einem rechtskräftigen negativen Entscheid zwischen 2011 und 2014 untersucht, d. h. es gibt vier Kohorten.

Bei den total 61 677 negativen Asylentscheiden im untersuchten Zeitraum reisten 47 % der Betroffenen innert eineinhalb Jahren kontrolliert aus der Schweiz aus (vgl.

Abbildung 2). Bei gut 8 % (5269 Entscheide) wurde der Aufenthalt in der Schweiz legalisiert. Neun von zehn Legalisierungen waren allerdings temporär, indem ein neues Verfahren eröffnet wurde; insgesamt wurden nur 560 Härtefallentscheide getroffen. Bei einem Viertel aller negativen Entscheide wurde in ZEMIS eine «unkontrollierte Abreise» verzeichnet, weil die Behörden während einer gewissen Zeit keinen Kontakt mehr zu diesen Personen hatten. Diese Personen sind somit untergetaucht, wobei unklar ist, inwiefern sie sich noch in der Schweiz befinden oder ob sie tatsächlich «abgereist» sind. Bei einem Fünftel ist der Ausreisestatus offen, d. h. in ZEMIS ist in den anderthalb Jahren nach dem negativen Entscheid nichts zur Ausreise vermerkt. Bei einem Drittel dieser Personen mit offenem Ausreisestatus haben die kantonalen Behörden den Bund nach dem negativen Entscheid um Vollzugsun17

Die Periode von 18 Monaten wurde gewählt, weil sich in dieser Zeit ein relativ stabiles Ergebnis des Wegweisungsvollzugs einstellt, d. h. bei einer längeren Dauer ändert der Ausreisestatus nur noch bei wenigen Personen.

7548

BBl 2018

terstützung (Papierbeschaffung, Ausreiseorganisation) ersucht, doch wurde innerhalb der betrachteten anderthalb Jahre keine kontrollierte Ausreise erzielt.

Abbildung 2 Ausreisestatus 1½ Jahre nach negativem Entscheid Ausreisestatus offen 20%

Kontrolliert ausgereist 47% Unkontrolliert abgereist 25% Legalisierung 8%

N=61 677 negative Asylentscheide, Kohorten 2011 bis 2014 Quelle: Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Anhang Tab. 4 und Abb. 13. Berechnungen PVK

Um mehr über die Personen mit offenem Ausreisestatus und unkontrollierter Abreise zu erfahren, hat BASS bei einem Teil von ihnen geprüft, ob sie in den anderthalb Jahren nach dem negativen Entscheid in der Nothilfe auftauchen (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 42­44). Bei 41 % der geprüften Personen mit offenem Ausreisestatus war dies der Fall, d. h. sie verblieben zumindest eine Zeitlang nach dem negativen Entscheid in der Schweiz. Die restlichen 59 % der Fälle mit offenem Ausreisestatus bezogen hingegen in den anderthalb Jahren nach dem Entscheid keine Nothilfe. Es kann angenommen werden, dass ein grosser Teil dieser Personen untergetaucht ist, ohne dass dies in ZEMIS als «unkontrollierte Abreise» registriert wurde. Zudem hat BASS geprüft, ob Personen nach dem Vermerk einer unkontrollierten Abreise in ZEMIS dennoch Nothilfe bezogen haben. Bei 9 % der geprüften Fälle traf dies zu, womit diese Personen nach dem Untertauchen wieder aufgetaucht sein dürften, ohne dass dies in ZEMIS registriert wurde.

Anhand dieser Überprüfung können die in Abbildung 2 dargestellten Ergebnisse des Wegweisungsvollzugs präzisiert werden: So ist wohl eher ein Drittel als ein Viertel der abgewiesenen Asylsuchenden eineinhalb Jahre nach dem Entscheid untergetaucht, während sich gut 10 % weiterhin in den Nothilfestrukturen in der Schweiz aufhalten dürften.

7549

BBl 2018

3.1.2

Der Wegweisungsvollzug ist im europäischen Vergleich erfolgreich

Um die Ergebnisse des Wegweisungsvollzugs der Schweiz zu bewerten, hat die PVK einen Vergleich mit anderen EU-Staaten gemacht, die eine vergleichbare Anzahl Asylgesuche pro Kopf und Jahr aufweisen. Zu den kontrollierten Ausreisen in die Herkunftsstaaten gibt es bei der EU Daten, die allerdings neben dem Asylauch den Ausländerbereich umfassen. Die Schweiz liefert der EU diese Daten nicht, weshalb die PVK gezwungen war, auf Zahlen des SEM zu den Rückführungen in Heimat- und Drittstaaten ausserhalb des EU/Schengen-Raums zurückzugreifen. In diesen Zahlen fehlen jedoch die in den EU-Daten zusätzlich enthaltenen selbständigen Ausreisen nach einem Wegweisungsentscheid.18 Damit dürfte die Zahl der kontrollierten Ausreisen für die Schweiz tendenziell unterschätzt werden.19 Es ist deshalb erstaunlich, dass die Schweiz dennoch eine hohe Anzahl Ausreisen im Verhältnis zur Zahl der weggewiesenen Personen aufweist, wie Abbildung 3 zeigt.

In den Jahren 2013 bis 2015 liegt die Schweizer Quote sogar über 100 %, aber auch die Quoten von Deutschland und Luxemburg steigen über die 100 %-Marke. Dies liegt daran, dass ein Teil der Personen, welche in diesen Jahren kontrolliert ausgereist sind, den Wegweisungsentscheid bereits früher erhalten hatten. Die Quoten der übrigen Staaten liegen während allen Jahren deutlich tiefer als jene der Schweiz.

18

19

Die Zahlen zu den selbständigen Ausreisen in der Asylstatistik des SEM sind nicht vergleichbar, weil sie namentlich auch alle freiwilligen Ausreisen ohne vorgängigen Wegweisungsentscheid umfassen, die bei den EU-Zahlen fehlen.

Auf den geplanten Vergleich der Rückführungen in einzelne Staaten hat die PVK verzichtet, weil die nicht berücksichtigten selbständigen Ausreisen die Ergebnisse verzerren können.

7550

BBl 2018

Abbildung 3 Verhältnis der kontrollierten Ausreisen* zu den Wegweisungen in Heimatund Drittstaaten bei Staaten mit vergleichbaren Asylzahlen pro Kopf 120% 100% 80% 60% 40% 20% 0%

2012 Schweiz Luxemburg

2013

2014 Deutschland Norwegen

2015 Österreich Belgien

*: Zahlen zu den kontrollierten Ausreisen aus der Schweiz sind nur beschränkt vergleichbar Quelle: Eurostat 2016, Asylstatistik SEM 2016. Berechnungen PVK

Die hohe Ausreisequote der Schweiz erklärt sich in erster Linie durch die zahlreichen Rückführungen in die drei Staaten Albanien (durchschnittliche Quote 2012 bis 2015: 212 %), Serbien (125 %) und Nigeria (111 %). Albanien gehörte im Zeitraum, der im internationalen Vergleich betrachtet wurde (2012 bis 2015) aber nicht zu den wichtigsten Herkunftsstaaten von Asylsuchenden, d. h. die Quote der Schweiz ist für den Asylbereich nur beschränkt aussagekräftig. Mit Serbien hat die Schweiz 2010 ein Rückübernahmeabkommen abgeschlossen und mit Nigeria ist sie 2011 eine Migrationspartnerschaft eingegangen. Dies hat es wohl ermöglicht, im betrachteten Zeitraum ab 2012 vermehrt Wegweisungen in die beiden letztgenannten Staaten zu vollziehen. Mit Albanien verfügt die Schweiz ausserdem bereits seit dem Jahr 2000 über ein Rückübernahmeabkommen. Die hohe Ausreisequote dürfte somit auch die gute internationale Zusammenarbeit mit gewissen Staaten widerspiegeln.

Für den Asylbereich aufschlussreicher als der obige Vergleich, der auch den Ausländerbereich umfasst, ist jener zum Vollzug des Dublin-Abkommens. Abbildung 4 zeigt, dass die Schweiz im Verhältnis zur jährlichen Anzahl neuer Asylgesuche vergleichsweise viele Dublin-Gesuche stellt (dunkle Balken). Bei 46 % der Asylgesuche, die in der Schweiz gestellt wurden, reichte das SEM im Zeitraum zwischen 2012 und 2015 ein Gesuch um Überstellung an einen anderen Dublin-Staat ein.

Die Quote der Staaten mit einer ähnlich hohen Zahl an Asylgesuchen pro Jahr und 7551

BBl 2018

Kopf, darunter Deutschland und Österreich, ist nicht einmal halb so hoch. Auch bei den Dublin-Überstellungen im Verhältnis zu den Asylgesuchen (helle Balken) liegt die Schweiz oben: Die Dublin-Überstellungen machen rund 12 % an den Asylgesuchen aus.

Abbildung 4 Dublin-Gesuche und Dublin-Überstellungen im Verhältnis zu Asylgesuchen bei Staaten mit vergleichbaren Asylzahlen pro Kopf Schweiz

Österreich Luxemburg

Norwegen Deutschland Belgien 0%

10%

20%

30%

40%

50%

Dublin-Gesuche im Verhältnis zu Asylgesuchen Dublin-Überstellungen im Verhältnis zu Asylgesuchen

Durchschnitt 2012 bis 2015 Quelle: Eurostat 2016. Berechnungen PVK

Für die Schweiz, Deutschland und Österreich hat die Dublin-Überstellungsquote von 2012 bis 2015 abgenommen (vgl. Abbildung 5). Dies erklärt sich im Wesentlichen durch den starken Einbruch der Dublin-Überstellungen dieser Staaten nach Italien, das sich ab 2014 wegen dem starken Anstieg der Asylzahlen nicht in der Lage sah, sämtliche ankommenden Personen zu registrieren. In der Folge konnten die Partnerländer weniger Dublin-Übernahmegesuche an Italien stellen. Da Italien für die Schweiz mit fast zwei Dritteln der Dublin-Gesuche der weitaus wichtigste Partnerstaat ist, wirkte sich dieser Rückgang besonders stark aus. Bei Deutschland, Österreich und den weiteren Vergleichsstaaten ist der Anteil der Dublin-Gesuche an Italien geringer, weshalb die Überstellungsquoten weniger stark abgenommen haben.

7552

BBl 2018

Abbildung 5 Dublin-Überstellungsquote für Staaten mit vergleichbaren Asylzahlen pro Kopf 70% 60% 50%

40% 30% 20% 10% 0% 2012

2013 Schweiz Luxemburg

2014 Deutschland Norwegen

2015 Österreich Belgien

Quelle: Eurostat 2016. Berechnungen PVK

Insgesamt weisen sowohl die Zahlen zum Wegweisungsvollzug in Heimat- und Drittstaaten wie auch jene zum Dublin-Vollzug darauf hin, dass verglichen mit anderen Staaten ein grosser Anteil der weggewiesenen Personen aus der Schweiz ausreist. Nun stellt sich die Frage, inwiefern die Administrativhaft hierzu einen Beitrag leistet.

3.2

Beitrag der Administrativhaft zum Wegweisungsvollzug

Die Häufigkeit der Anwendung und die Wirksamkeit der Administrativhaft hängen von der Art des negativen Entscheids ab. Zuerst werden die unterschiedlichen Haftquoten dargestellt, bevor die Wirksamkeit der Haft bei Dublin-Fällen und anschliessend bei Wegweisungen in den Heimatstaat bewertet wird.

3.2.1

Haftquote hängt von der Art des Entscheids ab

Bei 12 227 der gesamthaft 61 677 negativen Asylentscheide, die zwischen 2011 und 2014 gefällt worden sind, wurden die betreffenden Personen in den anderthalb Jahren nach dem Entscheid mindestens einmal in Administrativhaft genommen. In

7553

BBl 2018

9 % der Fälle wurden die Personen mehrmals inhaftiert (Guggisberg/Abrassart/ Bischof 2017: 20­21).

Wie bei den rechtlichen Grundlagen erläutert (vgl. Ziff. 2.2), gab es im Dublin-Verfahren bis Mitte 2015 Formen der Administrativhaft, für deren Anordnung tiefere Voraussetzungen galten. Diese wurden jedoch nicht gesondert erfasst, sondern entweder als Ausschaffungshaft oder als Vorbereitungshaft registriert. Mit 95,2 % macht die Ausschaffungshaft in ihren verschiedenen Varianten weitaus den grössten Teil der Haftfälle aus. Auf die Vorbereitungshaft entfallen 3,9 %, auf die Durchsetzungshaft lediglich 0,3 % (41 Fälle). Die nach dem 1. Juli 2015 angeordneten 78 Fälle von Dublin-Haft entsprechen 0,6 % der Haftfälle.

Aussagekräftiger als die Haftformen ist die Unterscheidung der Haftfälle nach Art des negativen Entscheids (vgl. auch Ziff. 2.1). Tabelle 2 zeigt zunächst, wie oft die einzelnen Entscheidarten im untersuchten Zeitraum vorkommen. In 44 % der negativen Entscheide handelte es sich um NEE Dublin, in 38 % um Ablehnungen und sonstige NEE, welche mit einer Wegweisung in den Herkunftsstaat einhergehen, und in 18 % wurde das Asylgesuch abgeschrieben. Die Zahl der Entscheide, nach welchen mindestens eine Inhaftierung stattgefunden hat, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Entscheide pro Entscheidart ergibt die Haftquote, also den Anteil der Personen mit einer bestimmten Art von Entscheid, die anschliessend mindestens einmal inhaftiert wurden. Dieser Anteil variiert sehr stark: Von den Dublin-Fällen wurden 39 % inhaftiert, also beinahe zwei von fünf Personen. Bei jenen, die nach einer Ablehnung oder einem NEE in ihren Herkunftsstaat weggewiesen wurden, waren es 7 % und bei denjenigen, deren Gesuch abgeschrieben wurde, nur 2 %.

Tabelle 2 Häufigkeiten der verschiedenen Arten von negativen Entscheiden total und mit Haft Art des Entscheids

Anzahl Entscheide

NEE Dublin Ablehnung/NEE Abschreibung

26 973 23 699 11 005

Total

61 677

Anteil Entscheidart

Anzahl Entscheide mit Haft

Haftquote

44 % 38 % 18 %

10 429 1 601 197

39 % 7% 2%

100 %

12 227

20 %

Kohorten 2011 bis 2014 Quelle: Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Tab. 3, Tab. 10 und Anhang Tab. 4

In den Interviews haben die kantonalen Migrationsbehörden fast durchwegs gesagt, dass Dublin-Fälle in der Vergangenheit «systematisch» inhaftiert wurden. Aufgrund der Dublin III-Verordnung sei dies nun nicht mehr möglich, weshalb die Haftquote deutlich gesunken sei. In den statistischen Daten ist kaum ein Rückgang der Haftquote erkennbar, wohl weil die neuen Gesetzesbestimmungen erst bei Personen griffen, die nach 2014 einen negativen Asylentscheid erhielten.

Die Administrativhaft wurde somit zumindest bis 2014 vorwiegend bei DublinFällen angewendet: Auf sie entfallen im Untersuchungszeitraum 85 % aller Haft7554

BBl 2018

fälle. 13 % aller Fälle von Administrativhaft betrafen Personen mit einer Ablehnung oder einem NEE. Personen mit einer Abschreibung machten nur 1,6 % der Inhaftierungen aus, weshalb die Wirksamkeit der Haft bei dieser Gruppe nicht genauer untersucht wurde.

3.2.2

Dublin-Fälle: Haft äusserst wirksam

39 % der Personen mit einem NEE Dublin wurden, wie im vorherigen Abschnitt erwähnt, mindestens einmal in den anderthalb Jahren nach dem negativen Entscheid in Administrativhaft genommen. Im Mittel dauerte eine Inhaftierung bei DublinFällen 14 Tage. 90 % waren weniger als 30 Tage inhaftiert (Guggisberg/Abrassart/ Bischof 2017: 25).

Der Anteil der kontrollierten Ausreisen nach einer Administrativhaft ist bei den Dublin-Fällen über alle vier betrachteten Jahrgänge sehr hoch (vgl. Abbildung 6).

Mit einer durchschnittlichen Ausreisequote von 99 % ist die Wirksamkeit der Administrativhaft bei den Dublin-Fällen extrem hoch. Nur etwa 1 % der Inhaftierten mit NEE Dublin ist nach der Haft nicht kontrolliert ausgereist.

Hingegen hat der Anteil der kontrollierten Ausreisen ohne Haft bei Dublin-Fällen im Verlaufe der Zeit abgenommen, von 37 % für Personen, die 2011 ihren negativen Entscheid erhielten, auf 20 % für jene, die im Jahr 2014 aus der Schweiz weggewiesen wurden. Im Durchschnitt reisten 28 % der Dublin-Fälle, die nicht in Haft genommen wurden, kontrolliert aus.

Abbildung 6 Dublin-Fälle: Anteil kontrollierte Ausreisen mit und ohne Haft nach Kohortenjahr 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 2011

2012 NEE Dublin mit Haft

2013

2014

NEE Dublin ohne Haft

N=25 974 NEE Dublin mit Ausreisepflicht (10 347 mit und 15 627 ohne Haftanwendung) Quelle: Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Abb. 27

7555

BBl 2018

Inwiefern die Wirksamkeit der Administrativhaft bei Dublin-Fällen von strukturellen Einflüssen abhängt, konnte nur begrenzt statistisch geprüft werden. Es gibt nur sehr wenige Personen, die nach der Haft nicht ausreisten, und diese Ausnahmen beeinflussen die statistischen Resultate sehr stark. Hingegen konnte eine Reihe von Faktoren identifiziert werden, die eine kontrollierte Ausreise ohne vorgängige Inhaftierung begünstigen. So werden Frauen, Personen über 40 Jahre und Personen im Familienverbund (d. h. begleitete Minderjährige und Erwachsene in Begleitung Minderjähriger) sowie die sehr kleine Gruppe der unbegleiteten Minderjährigen öfter ohne vorgängige Haft überstellt als Männer, jüngere Personen oder Erwachsene, die nicht in Begleitung Minderjähriger in die Schweiz gekommen sind. Bei vulnerablen Personen scheint eine Haft somit weniger notwendig, um die Dublin-Überstellung sicherzustellen.

3.2.3

Wegweisungen in den Heimatstaat: Haft länger und etwas weniger wirksam

Wie unter Ziffer 3.2.1 erwähnt, kamen von den Personen, die nach einer Ablehnung des Asylgesuchs oder einem NEE in ihren Herkunftsstaat weggewiesen wurden, 7 % mindestens einmal in den anderthalb Jahren nach dem negativen Entscheid in Administrativhaft. Die Haftdauer ist mit 24 Tagen im Mittel 10 Tage länger als bei Dublin-Fällen. Zudem kommen längere Haftdauern häufiger vor: knapp 10 Prozent der Personen mit Ablehnung/NEE blieben mehr als ein halbes Jahr in Haft (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 25).

Von den Asylsuchenden, die zwischen 2011 und 2014 in den Heimatstaat weggewiesen und die in Administrativhaft genommen wurden, reisten 69 % nach der Haft kontrolliert aus, was gut zwei von drei Inhaftierten entspricht. Bei einem knappen Drittel der Inhaftierten wurde das Ziel einer kontrollierten Ausreise dagegen nicht erreicht. Im Zeitverlauf schwankte die Ausreisequote zwischen 73 % und 64 % (vgl.

Abbildung 7).

Die Ausreisequote der Inhaftierten ist bei Wegweisungen in den Heimatstaat mit 69 % im Durchschnitt zwar tiefer als bei den Dublin-Fällen mit 99 %, aber immer noch fast doppelt so hoch wie jene der Nicht-Inhaftierten mit einer Ablehnung oder einem NEE (Durchschnitt 37 %). Die Ausreisequote der Personen ohne Haftanwendung schwankt recht stark. Von den Personen, welche im Jahr 2012 in ihren Heimatstaat weggewiesen und nicht in Administrativhaft gesetzt wurden, reiste die Hälfte innert eineinhalb Jahren kontrolliert aus. Von jenen, die im Jahr 2014 den negativen Entscheid erhielten, war es nur etwa ein Viertel.

7556

BBl 2018

Abbildung 7 Ablehnungen/NEE: Anteil kontrollierte Ausreisen mit und ohne Haft nach Kohortenjahr 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 2011

2012

Ablehnung/NEE mit Haft

2013

2014

Ablehnung/NEE ohne Haft

N=20 508 Ablehnungen/NEE mit Ausreisepflicht (1541 mit und 18 967 ohne Haftanwendung) Quelle: Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Abb. 19

Es gibt eine Reihe von strukturellen Einflüssen, welche die Wahrscheinlichkeit einer kontrollierten Ausreise in den Heimatstaat erhöhen, und zwar sowohl bei Personen mit als auch solchen ohne Haft: Personen über 40 Jahre sowie Minderjährige und Erwachsene im Familienverbund reisen deutlich öfter kontrolliert aus als Jüngere und Erwachsene ohne Minderjährige. Dies trifft, wie im obigen Abschnitt dargestellt, auch auf die Dublin-Fälle (ohne Haft) zu. Frauen reisen nach einer Haft öfter kontrolliert in den Heimatstaat aus als Männer. Für die kontrollierten Ausreisen ohne Haft spielt das Geschlecht dagegen, wenn gleichzeitig die Familiensituation und weitere Faktoren berücksichtigt werden, keine Rolle.

Unbegleitete Minderjährige reisen ohne Haft in etwa gleich oft aus wie Erwachsene ohne Minderjährige, nach einer Administrativhaft sogar seltener. Damit ist die Administrativhaft bei unbegleiteten Minderjährigen weniger wirksam, doch ist diese Gruppe mit 2 % an allen Ablehnungen und NEE sehr klein.

Weiter zeigt sich bei den Wegweisungen in den Heimatstaat generell, dass Personen eher kontrolliert ausreisen, wenn sie in einen Staat zurückkehren müssen, der als sicher gilt (z. B. EU-Staaten, Serbien, Mazedonien, Senegal, Ghana oder Indien).

Und schliesslich werden die Chancen einer kontrollierten Ausreise durch die internationale Zusammenarbeit des Bundes positiv beeinflusst: So erhöht ein aktives Rückkehrhilfe-Länderprogramm oder eine Migrationspartnerschaft die Wahrscheinlichkeit, dass jemand kontrolliert ausreist. Rückübernahmeabkommen mit den Heimatstaaten erhöhen zwar die kontrollierten Ausreisen ohne Haft, für die Ausreisen mit Haft konnte hingegen kein Effekt festgestellt werden. Dies ist überraschend, weil diese Abkommen insbesondere die zwangsweisen Rückführungen regeln und ihnen in den meisten Gesprächen eine wichtige Bedeutung zugemessen wurde. Doch 7557

BBl 2018

wurde auch mehrmals gesagt, dass einzelne Rückübernahmeabkommen wie jenes mit Algerien nicht wirklich umgesetzt werden, was die fehlende statistische Bedeutung erklären könnte.

4

Zweckmässigkeit der Anwendung durch die Kantone

Zusammenfassung: Die Administrativhaft wird insgesamt zweckmässig eingesetzt: Bei mehr Inhaftierungen reisen auch tatsächlich mehr Personen kontrolliert aus. Bei den Dublin-Fällen erklärt sich dies ausschliesslich damit, dass mehr Personen direkt ab Haft überstellt werden können. Die zusätzlichen Überstellungen ab Haft gehen zum Teil auf Kosten von Rückführungen ohne Haft und von selbständigen Ausreisen. Die Ausreisequote ab Haft ist bei den Dublin-Fällen in allen Kantonen sehr hoch, doch gibt es grosse kantonale Unterschiede bei der Häufigkeit der Anwendung der Administrativhaft, welche sich durch die strukturellen Merkmale der abgewiesenen Asylsuchenden (Geschlecht, Alter usw.) kaum erklären lassen. Bei den Wegweisungen in den Heimatstaat nehmen bei mehr Inhaftierungen nicht nur die Rückführungen ab Haft zu (teilweise ebenfalls auf Kosten von Rückführungen ohne Haft), sondern es finden auch mehr selbständige Ausreisen statt, wobei unklar ist, wie dieser Zusammenhang zustande kommt. Die Anwendung der Haft in den einzelnen Kantonen ist unterschiedlich zweckmässig. Es gibt Kantone, die mit der Administrativhaft deutlich mehr Wegweisungen in die Heimatstaaten vollziehen können als andere. Die strukturellen Merkmale der abgewiesenen Asylsuchenden erklären dies nur zum Teil.

Wie im vorherigen Kapitel aufgezeigt wurde, ist die Administrativhaft grundsätzlich wirksam, d. h. Personen in Administrativhaft können häufig zurückgeführt werden.

In diesem Kapitel wird zunächst untersucht, inwiefern die Haft tatsächlich notwendig ist, um eine kontrollierte Ausreise zu erreichen, und inwiefern sie die Art der Ausreise beeinflusst. So kann die Zweckmässigkeit der Anwendung der Administrativhaft insgesamt beurteilt werden. Anschliessend werden die Unterschiede zwischen den Kantonen sowohl bei der Administrativhaft als auch den Ergebnissen des Wegweisungsvollzugs dargestellt, um zu einer Aussage zur Zweckmässigkeit der Anwendung auf kantonaler Ebene zu gelangen.

4.1

Auswirkungen der Haft auf Zahl und Art der Ausreisen

Die Evaluation untersuchte nicht nur die Frage, inwiefern dank der Administrativhaft mehr kontrollierte Ausreisen stattfinden, sondern auch, wie sich die Haft auf die Art der Ausreisen auswirkt. In Abbildung 8 sind die Anteile der verschiedenen Arten von Ausreisen aufgeschlüsselt nach Art des Entscheids dargestellt. Einerseits gibt es Rückführungen, d. h. kontrollierte Ausreisen unter polizeilicher Begleitung bis zum Transportmittel (Flugzeug) oder bis ins Zielland. Andererseits gibt es selbständige Ausreisen, bei welchen sich die Personen selbst zum Transportmittel begeben.

Selbständig ausreisende Personen erhalten unter Umständen eine finanzielle Rück-

7558

BBl 2018

kehrhilfe. Zwischen Dublin-Fällen und Personen mit abgelehntem Asylgesuch bzw.

NEE gibt es deutliche Unterschiede, auf die in der Folge eingegangen wird.

Abbildung 8 Ausreisestatus nach Art der Ausreise und Art des Entscheids 100%

16%

90%

36%

80% 28%

70% 60%

4% 13%

50% 40%

24%

30% 20%

32%

39%

10%

3% 5%

0% Dublin-Fälle

Ablehnungen/NEE

Rückführung mit Haft

Rückführung ohne Haft

Unkontrollierte Abreise

Ausreisestatus offen

Selbständig

N=25 972 NEE Dublin bzw. 17 060 Ablehnungen/NEE mit Ausreisepflicht, Kohorten 2011 bis 2014 Quelle: Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Anhang Tab. 8 und Tab. 9

4.1.1

Dublin-Fälle: Mehr Administrativhaft führt zu mehr Ausreisen unter teilweise mehr Zwang

Wie aus Abbildung 8 ersichtlich, werden Dublin-Fälle zu 39 % mit Haft und zu 13 % ohne Haft zurückgeführt. Nur 4 % reisen selbständig aus. Total reisen somit von allen Dublin-Fällen 56 % kontrolliert aus, während bei 28 % eine unkontrollierte Abreise registriert wurde. Bei den restlichen Fällen ist der Ausreisestatus offen. In den Gesprächen mit den Vollzugsverantwortlichen in den Kantonen zeigte sich, dass sowohl die Dublin-Partnerstaaten als auch das SEM und die Fluggesellschaften die Art und Weise der Überstellung mitbestimmen. Die Kantone haben damit nur einen beschränkten Einfluss auf die Art der kontrollierten Ausreise.

Wenn bei Dublin-Fällen mehr Administrativhaft angewendet wird, steigt gemäss der statistischen Analyse (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Kap. 5.2) die Zahl der kontrollierten Ausreisen. Angesichts der hohen Wirksamkeit der Haft sind insbesondere mehr Rückführungen nach Haft zu erwarten. Gleichzeitig sinkt jedoch der Anteil der Ausreisepflichtigen, die ohne Haft in den Dublin-Partnerstaat überstellt

7559

BBl 2018

werden. Bei einer hohen Haftquote wird somit ein Teil der Rückführungen, die allenfalls auch ohne Haft hätten vollzogen werden können, mit Haft durchgeführt.

Ebenfalls sinkt bei einer häufigeren Inhaftierung die Zahl der Personen, die selbständig ausreisen, wenn auch weniger stark. Das heisst, es werden vereinzelt Personen inhaftiert, die auch selbständig ausreisen würden. Der Rückgang bei den selbständigen Ausreisen und den Rückführungen ohne Haft wird jedoch durch die zusätzlichen Rückführungen mit Haft mehr als kompensiert, so dass bei einer höheren Haftquote insgesamt mehr Dublin-Überstellungen vollzogen werden könnten.

Schliesslich weist die Analyse darauf hin, dass mit zunehmender Haftquote die Zahl der Dublin-Fälle mit unkontrollierter Abreise sinkt bzw. umgekehrt, dass mit sinkender Haftquote die Zahl der Untergetauchten steigt.

Generell gilt somit: Mehr Administrativhaft bedeutet mehr Dublin-Überstellungen, aber anteilsmässig mehr Ausreisen unter mehr Zwang. Die Administrativhaft stellt damit zwar ein zweckmässiges Instrument dar, doch stellt sich die Frage nach der Verhältnismässigkeit (vgl. Ziff. 5.2).

4.1.2

Wegweisungen in den Heimatstaat: Mehr Administrativhaft geht mit mehr Rückführungen und mehr selbständigen Ausreisen einher

Aus Abbildung 8 wird deutlich, dass nach einer Ablehnung des Asylgesuchs oder einem NEE 32 % der Personen selbständig ausreisen. 5 % werden mit Haft und 3 % ohne Haft ins Heimatland zurückgeführt. Insgesamt findet somit bei 40 % der Fälle nach einer Ablehnung oder einem NEE eine kontrollierte Ausreise statt. Bei 24 % wird eine unkontrollierte Abreise vermerkt, bei den übrigen ist der Ausreisestatus offen.

Gemäss den statistischen Berechnungen (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Kap. 5.1) würden die kontrollierten Ausreisen in den Heimatstaat bei einer Erhöhung der Haftquote zunehmen. Wie bei den Dublin-Fällen könnten mehr Personen ab Haft rückgeführt werden, wobei die Zunahme hier angesichts der tieferen Wirksamkeit der Haft etwas geringer ausfallen würde. Gleichzeitig würden bei einer höheren Haftquote die Rückführungen ohne Haft abnehmen. Einige Inhaftierte könnten also auch ohne Haft zurückgeführt werden. Die selbständigen Ausreisen würden bei einer höheren Haftquote aber ebenfalls zunehmen. Gemäss Berechnungen reisten beinahe gleich viele Personen zusätzlich selbständig aus wie zusätzliche Personen mit Haft zurückgeführt werden könnten. Dies stellt einen Unterschied zu den Dublin-Fällen dar.

Gemäss BASS (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 54) gibt es für die Zunahme der selbständigen Ausreisen mehrere Erklärungen. Erstens könnte es an der abschreckenden Wirkung der Administrativhaft liegen, auf die auch in praktisch allen Gesprächen hingewiesen wurde: Abgewiesene Asylsuchende in Kantonen, die häufig Administrativhaft anwenden, sind eher bereit, selbständig die Schweiz zu verlassen. Gemäss Expertenbericht spricht allerdings dagegen, dass nur ein sehr kleiner Anteil der Personen mit Ablehnungen oder NEE inhaftiert wird (abgesehen von zwei Kantonen zwischen lediglich 4 % und 14 %). Es sei unwahrscheinlich, dass die 7560

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geringe Zahl von Haftfällen eine abschreckende Wirkung entfalte. In den Interviews wurde aber eingewendet, dass es auf die Haftquoten bei einzelnen Nationalitäten ankomme, weil sich die Wegweisungspraxis der Behörden unter den abgewiesenen Asylsuchenden eines bestimmten Staates herumspreche. Die Gesamthaftquote eines Kantons wäre damit wenig aussagekräftig.

Eine zweite Erklärung für die Zunahme der selbständigen Ausreisen bei einer Steigerung der Haftquote ist gemäss BASS, dass Kantone, welche die Administrativhaft oft anwenden, dem Wegweisungsvollzug allgemein eine höhere Priorität einräumen und entsprechende Ressourcen einsetzen. Für diese These spricht, dass eine hohe Haftquote mit einem grossen Anteil an Personen einhergeht, die mit Rückkehrhilfe selbständig in ihr Heimatland zurückkehren. Die selbständigen Ausreisen ohne Rückkehrhilfe stehen dagegen nicht mit der Haftquote in Zusammenhang. Dies könnte darauf hinweisen, dass Kantone mit hoher Haftquote auch die Rückkehrhilfe stärker fördern.

Wenn mehr Ausreisepflichtige inhaftiert werden, reisen somit mehr von ihnen kontrolliert aus. Dies liegt einerseits daran, dass mehr Personen ab Haft zurückgeführt werden, wobei eine gewisse Verlagerung von Rückführungen ohne Haft zu Rückführungen mit Haft stattfindet. Andererseits reisen auch mehr Personen selbständig in ihren Heimatstaat zurück. Wie in der Folge aufgezeigt, wenden die Kantone die Administrativhaft nach Ablehnungen/NEE jedoch unterschiedlich zweckmässig an.

4.2

Kantonale Unterschiede sind nur teilweise strukturell erklärbar

Die statistische Analyse hat sowohl bei der Anwendung der Administrativhaft als auch beim Ergebnis des Wegweisungsvollzugs kantonale Unterschiede offenbart, die anschliessend dargestellt werden. Zudem wird untersucht, inwiefern sich die Unterschiede erklären lassen und wie sie bezüglich der Zweckmässigkeit zu bewerten sind.

Die Haftquoten, d. h. die Anteile der abgewiesenen Asylsuchenden, die mindestens einmal in den eineinhalb Jahren nach dem negativen Entscheid in Administrativhaft kommen, variiert je nach Kanton stark (vgl. Abbildung 9): Sie schwankt bei den Dublin-Fällen zwischen 67 % und 23 %. Bei Personen mit Ablehnungen/NEE, die in ihr Heimatland weggewiesen wurden, beträgt die Quote zwischen 28 % und 4 %. Bei vier Kantonen erwiesen sich die Daten zur Administrativhaft als lückenhaft, weshalb die Haftquoten nicht verlässlich angegeben werden können (vgl.

Ziff. 6.2.1).

7561

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Abbildung 9 Haftquoten nach Kanton und Art des Entscheids 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% OW UR GR GL LU ZG AI SO BL NW BE SG SZ VS TI JU AR ZH BS SH° FR NE° GE AG TG° VD°

0%

Haftquote Dublin-Fälle

Haftquote Ablehnungen/NEE

Mittelwert Dublin-Fälle

Mittelwert Ablehnungen/NEE

Kantone mit ungenügender Datenqualität. N=25 972 NEE Dublin bzw. 17 060 Ablehnungen/ NEE mit Ausreisepflicht, Kohorten 2011 bis 2014 Quelle: Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Anhang Tab. 7

In der Folge wurde untersucht, ob sich die unterschiedlichen Haftquoten dadurch erklären lassen, dass die strukturelle Zusammensetzung der abgewiesenen Asylsuchenden beispielsweise bezüglich Alter, Familiensituation oder Bestimmungsland je nach Kanton unterschiedlich ist. Tatsächlich gibt es diesbezüglich beträchtliche kantonale Unterschiede (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 14­15): Der Anteil der Minderjährigen und Familien liegt z. B. je nach Kanton zwischen 3 % und 25 %.

Der Frauenanteil schwankt zwischen 8 % und 25 %, der Anteil der Personen aus sicheren Staaten gar zwischen 4 % und 41 %. Dennoch erklären diese strukturellen Unterschiede bei den Dublin-Fällen lediglich 10 % der kantonalen HaftquotenDifferenzen; bei den Personen mit Ablehnung oder NEE ist immerhin ein Drittel der Unterschiede in den kantonalen Haftquoten strukturell bedingt (Guggisberg/ Abrassart/Bischof 2017: Anhang Tab. 7). Der überwiegende Teil der kantonalen Unterschiede in der Häufigkeit der Anwendung der Administrativhaft dürfte dagegen eine unterschiedliche Anwendungspraxis widerspiegeln.

Um deren Zweckmässigkeit zu beurteilen, wurde weiter untersucht, inwiefern es zwischen der Häufigkeit der Anwendung der Haft und ihrer Erfolgsquote einen Zusammenhang gibt (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 52­55; 68­70). Die Ausreisequote ab Haft ist in Kantonen mit hoher Haftquote weder systematisch höher noch tiefer als in Kantonen mit einer tieferen Haftquote. Kantone mit häufiger Haft inhaftieren somit bisher anteilsmässig nicht mehr Personen, die sie anschliessend gar nicht ausgeschaffen können.

7562

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Abbildung 10 zeigt jedoch, dass die Erfolgsquote der Administrativhaft bei Personen mit Ablehnung/NEE, die in den Herkunftsstaat weggewiesen wurden, je nach Kanton unterschiedlich hoch ist. Wenn man wiederum die strukturellen Unterschiede berücksichtigt, schwankt der Anteil der inhaftierten Personen, die nach der Haft in ihr Heimatland ausreisen, bei den Kantonen mit verlässlichen Daten zwischen 80 % und 52 %. D. h. es gibt Kantone, in welchen nur gut die Hälfte der Inhaftierten ausgeschafft werden kann, während es in anderen Kantonen vier von fünf Personen sind. Dies weist darauf hin, dass einige Kantone die Administrativhaft zweckmässiger einsetzen als andere. Bei den Dublin-Fällen sind die Ausreisequoten ab Haft unter Kontrolle der strukturellen Faktoren mit 97 % bis 100 % dagegen für sämtliche Kantone hoch.

Abbildung 10 Ausreisequoten der Personen mit Haft, um strukturelle Faktoren bereinigt, nach Kanton und Art des Entscheids 100 % 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30%

20% 10%

AI°° SH° JU°° NE° GL°° GE BS TG° FR GR VD° LU OW BE SG AR°° SO AG UR TI ZG ZH SZ BL VS NW°°

0%

Dublin- Fäl le

Able hnung en/NE E

Kantone mit ungenügender Datenqualität; Kantone mit kleiner Fallzahl. N=25 972 NEE Dublin bzw. 20 505 Ablehnungen/NEE mit Ausreisepflicht, Kohorten 2011 bis 2014 Quelle: Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Anhang Tab. 12 und Tab. 13

Zusätzlich ist unter dem Aspekt der Zweckmässigkeit von Bedeutung, inwiefern die Administrativhaft die Wahrscheinlichkeit einer Ausreise tatsächlich erhöht. Dies zeigt ein Vergleich von Personen mit und ohne Haft (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 51­55; 67­70). In allen Kantonen reist von den Inhaftierten ein grösserer Anteil kontrolliert aus als von den Personen, die nicht in Administrativhaft waren.

Bei den Dublin-Fällen erhöht die Administrativhaft die Wahrscheinlichkeit einer kontrollierten Ausreise deutlich stärker als bei den Wegweisungen in den Heimatstaat. Je nach Kanton sind die Unterschiede zwischen den Ausreisequoten der beiden

7563

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Gruppen ausserdem ungleich hoch, was ein Hinweis auf einen unterschiedlich zweckmässigen Einsatz der Haft ist.

Die kontrollierten Ausreisen machen zwischen 35 % (SH) und 60 % (UR) der negativen Entscheide eines Kantons aus (vgl. Abbildung 11). Aber auch die anderen Ergebnisse des Wegweisungsvollzugs unterscheiden sich je nach Kanton. So schwanken die Legalisierungen zwischen minimal 6 % (TG, SZ) und maximal 13 % (VD) der negativen Entscheide, die unkontrollierten Abreisen zwischen 18 % (AI) und 33 % (AG, AR) und die Personen mit offenem Ausreisestatus zwischen 12 % (OW) und 28 % (VD).

Abbildung 11 Ausreisestatus von Personen mit negativem Entscheid nach Kanton 100 % 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10%

Leg alisierung

Unkontrollierte Abre ise

SH

VD

NE

AR

GE

JU

AG

NW

FR

BS

ZG

AI

SZ

SG

ZH

Kon tro llierte A usr eise

BE

GL

SO

TI

TG

BL

VS

LU

GR

UR

OW

0%

Ausreisestatu s offen

N=61 677 negative Entscheide, Kohorten 2011 bis 2014 Quelle: E-Mail BASS an PVK vom 15.06.2017

Die je nach Kanton unterschiedliche strukturelle Zusammensetzung der abgewiesenen Asylsuchenden bezüglich Alter, Familiensituation, Herkunftsstaat usw. erklären die kantonalen Unterschiede in der Quote der kontrollierten Ausreisen bei den Dublin-Fällen überhaupt nicht und bei den Wegweisungen in den Heimatstaat zu 14 %. Hingegen zeigen die statistischen Schätzungen, dass der unterschiedlich häufige Einsatz der Administrativhaft bei den Wegweisungen in den Heimatstaat rund die Hälfte und bei den Dublin-Fällen 38 % der kantonalen Unterschiede in der Quote der kontrollierten Ausreisen erklärt. Damit stellt die Haftquote einen wichtigen Grund für die kantonalen Unterschiede bei den kontrollierten Ausreisen dar.

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Die Analyse zeigt somit, dass die kantonalen Unterschiede weniger strukturell bedingt sind, als vielmehr eine unterschiedliche kantonale Anwendungspraxis der Administrativhaft widerspiegeln. Dass einige Kantone die Administrativhaft zweckmässiger anwenden als andere, zeigen die unterschiedlich hohen Erfolgsquoten der Haft im Falle der Wegweisungen in den Heimatstaat, aber auch die unterschiedlich hohen Differenzen zwischen der Ausreisewahrscheinlichkeit der Inhaftierten im Vergleich zu den Nicht-Inhaftierten des gleichen Kantons. Bei den Dublin-Fällen erweisen sich auch hohe Haftquoten als zweckmässig, doch stellt sich diesbezüglich die Frage nach der Auslegung der Verhältnismässigkeit und damit auch der Rechtmässigkeit.

5

Hinweise zur Rechtmässigkeit

Zusammenfassung: Die Kantone halten die gesetzlichen Vorgaben zur maximalen Dauer der Haft ein. Bei der mittleren Haftlänge, der Häufigkeit und dem Zeitpunkt, wann auf die Haft zurückgegriffen wird, gibt es grössere kantonale Unterschiede.

Sie weisen darauf hin, dass das Beschleunigungsgebot wie auch das Prinzip der Verhältnismässigkeit von den kantonalen Behörden und den kantonalen Gerichten unterschiedlich ausgelegt wird. Dies dürfte auch mit der Dublin III-Verordnung wenig geändert haben. Die Haft wird in den Dublin-Fällen, welche bisher den Hauptteil ausmachten, in der Schweiz nur auf Antrag gerichtlich überprüft, womit die Verfahrensrechte im europäischen Vergleich schwach sind. Familien werden in der Schweiz vergleichsweise selten inhaftiert, doch befinden sich unter den Inhaftierten auch Kinder unter 15 Jahren, obwohl das Gesetz die Haft bei diesen ausschliesst. Dies wirft Fragen nach der Rechtmässigkeit auf, doch sind die diesbezüglichen Zahlen mit Unsicherheit behaftet und kantonal sehr unterschiedlich.

Schliesslich hat die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter wiederholt die Haftbedingungen für Personen in Administrativhaft in den Kantonen kritisiert.

Die Rechtmässigkeit stand nicht im Fokus der vorliegenden Evaluation, doch wurde die PVK von der zuständigen Subkommission der GPK-N gebeten, die Hinweise, die sich aus den Analysen zu diesem Kriterium ergeben, darzulegen. Zuerst werden die Resultate bezüglich der Dauer der Haft dargestellt, danach wird auf die unterschiedliche kantonale Auslegung der Verhältnismässigkeit eingegangen, bevor die Anwendung der Administrativhaft bei Minderjährigen thematisiert und zum Schluss die Kritik zu Haftregime und Haftbedingungen in den Kantonen zusammengefasst wird. Ein abschliessendes Urteil zur Rechtmässigkeit der Haftanwendungspraxis wird allerdings nicht gefällt.

5.1

Haftdauer eingehalten, Beschleunigungsgebot jedoch unterschiedlich gewichtet

Die statistische Analyse zeigt, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Haftdauer eingehalten werden (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 25­30, 79). So wurde die maximale Haftdauer von 18 Monaten bzw. von 12 Monaten bei Minderjährigen nie überschritten. Die längste in ZEMIS eingetragene Haft betrug 533 Tage, was knapp 7565

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unter der gesetzlich festgelegten Grenze von 18 Monaten liegt.20 Haftdauern über 15 Monate sind ohnehin äusserst selten. Die Haftdauer variiert jedoch zwischen den Kantonen. Im Kanton Jura dauert die Haft in der Hälfte der Fälle höchstens drei Tage, was unter den Kantonen mit verlässlicher Datenqualität der mit Abstand kürzesten mittleren Haftdauer entspricht. Bei den übrigen Kantonen beträgt die mittlere Haftdauer zwischen 8 und 18 Tagen. Im schweizerischen Mittel sind es 15 Tage.

Laut Artikel 75 Absatz 2 AuG hat die für die Anordnung der Administrativhaft zuständige Behörde die im Hinblick auf den Wegweisungsvollzug notwendigen Schritte umgehend einzuleiten. Die Unterschiede in der Haftdauer sind ein Hinweis darauf, dass dieses Beschleunigungsgebot durch die Kantone unterschiedlich verstanden wird. Ein weiterer Indikator hierfür ist, dass es unterschiedlich lange dauert, bis die Kantone für Personen, die sie inhaftieren, beim SEM ein Gesuch um Unterstützung bei der Papierbeschaffung oder bei der Ausreiseorganisation anfordern (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 79). Idealerweise sind die Vorbereitungen für die Ausreise zum Zeitpunkt der Inhaftierung bereits weit fortgeschritten. Schweizweit werden Gesuche um Vollzugsunterstützung bei Personen, die in Administrativhaft genommen werden, nur in einem von vier Fällen erst nach Haftbeginn eingereicht. Der Kanton Wallis reichte jedoch 47 % der Gesuche erst nach Haftbeginn ein, während es beispielsweise beim Kanton Genf nur 4 % waren. Dies zeigt, dass die Kantone das Beschleunigungsgebot unterschiedlich gewichten.

5.2

Verhältnismässigkeit kantonal unterschiedlich ausgelegt

Die Anordnung der Administrativhaft unterliegt dem Prinzip der Verhältnismässigkeit, d. h. die Haft muss geeignet, erforderlich und zumutbar sein. Ob dies im Einzelfall gegeben ist, kann anhand der Evaluation nicht beurteilt werden, doch können die Erkenntnisse zur allgemeinen Anwendungspraxis an den Voraussetzungen der Verhältnismässigkeit gespiegelt werden.

Die Anwendung der Administrativhaft ist als geeignet zu beurteilen, wenn sie das Ziel erreicht, den Wegweisungsvollzug sicherzustellen. Wie in Kapitel 3.2 dargelegt, ist die Administrativhaft bei Dublin-Fällen äusserst wirksam und das Ziel einer kontrollierten Ausreise wird praktisch in allen Fällen erreicht. Die Rückführung in den Heimatstaat gelingt nach einer Administrativhaft immerhin in zwei von drei Fällen, was deutlich mehr ist als bei den Nicht-Inhaftierten. Kapitel 4.1 hat ferner aufgezeigt, dass die Administrativhaft übers Ganze gesehen zweckmässig ist: Eine häufigere Anwendung der Haft führt zu mehr kontrollierten Ausreisen. Allerdings wurden bei einer höheren Haftquote zum Teil auch Personen inhaftiert, die ohne Haft hätten zurückgeführt werden können oder die im Falle von Dublin-Überstellungen selbständig ausgereist wären. Im Einzelfall dürfte die Haft somit nicht durchwegs erforderlich gewesen sein. In diesem Punkt zeigt sich ein Zielkonflikt zwischen der Wirksamkeit der Administrativhaft und ihrer Verhältnismässigkeit.

20

Es gab einzelne Hafteinträge ohne Datum zum Haftende, bei welchen die maximale Dauer längst überschritten war. Dabei dürfte es sich um fehlerhafte Einträge handeln.

7566

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Die Kantone gehen unterschiedlich mit diesem Zielkonflikt um. Wie in Kapitel 4.2 aufgezeigt, gibt es erhebliche kantonale Differenzen in der Haftquote, die bei den Dublin-Fällen besonders ausgeprägt sind und sich durch strukturelle Faktoren kaum erklären lassen. Hinzu kommt, dass die Kantone unterschiedlich schnell zum Mittel der Haft greifen (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 28­30). Bei den Dublin-Haftfällen wurde die Administrativhaft schweizweit bei einem Viertel bereits vor der Rechtskraft des Entscheids angeordnet. Im Kanton Jura gab es bei den Jahrgängen 2011 bis 2014 jedoch keinen einzigen Fall einer Inhaftierung vor Rechtskraft, und auch in Genf, Solothurn, Bern, Zürich und Fribourg liegen die Quoten bei unter 10 % der Inhaftierten. Appenzell-Innerrhoden, Obwalden, Tessin und Uri ordneten die Haft dagegen in mehr als 80 % der Haftfälle bereits vor der Rechtskraft des Entscheids an. Auch bis zu einer Haftanordnung nach der Rechtskraft des Entscheids dauert es je nach Kanton unterschiedlich lange: Bei Personen mit einer Wegweisung in den Heimatstaat aufgrund einer Ablehnung des Asylgesuchs oder einem NEE dauerte es im kantonalen Mittel (Median) zwischen 67 Tagen (GR) und 367 Tagen (GE) nach Eintritt der Rechtskraft des Entscheids, bis sie inhaftiert wurden.

All diese Differenzen sind Hinweise, dass das Verhältnismässigkeitsprinzip kantonal sehr unterschiedlich verstanden wird. Dies wurde auch aus den Gesprächen, welche die PVK mit den kantonalen Migrationsbehörden geführt hat, offensichtlich. Während einige aussagten, sie würden systematisch alle Personen in Haft nehmen, bei welchen die Voraussetzungen erfüllt seien, betonten andere, dass die Verhältnismässigkeit der Haft im Einzelfall sehr genau überprüft werden müsse. In den Interviews wurde deutlich, dass es einerseits verschiedene politische Sensibilitäten und Prioritäten gibt, andererseits wiesen die Migrationsbehörden darauf hin, dass sich ihre Haftanordnungspraxis massgeblich an der kantonalen Gerichtspraxis orientiere.

Gemäss zahlreicher Aussagen werden die Anforderungen für eine Administrativhaft je nach Gericht oder sogar je nach Richter oder Richterin unterschiedlich hoch angesetzt.

Die Dublin III-Verordnung, aufgrund welcher die Anforderungen für die Anordnung einer Haft bei Dublin-Fällen seit Mitte 2015 deutlich erhöht wurden,
dürfte ebenfalls kantonal unterschiedlich umgesetzt werden (vgl. auch Hruschka/Nufer 2017). So gab die Mehrheit der befragten kantonalen Migrationsbehörden an, ihre Haftanordnungspraxis habe sich bei Dublin-Fällen nicht zuletzt aufgrund kantonaler Gerichtsentscheide markant geändert. Einzelne Personen sagten jedoch, in ihrem Kanton habe sich wenig geändert und es sei kaum je ein Fall von einem Gericht beurteilt worden.

Im Unterschied zu allen Nachbarstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich) sowie einer Reihe weiterer europäischer Staaten erfolgt die gerichtliche Haftüberprüfung bei Dublin-Fällen in der Schweiz nur auf Antrag der betroffenen Person
dies im Gegensatz zu den übrigen Fällen, deren Inhaftierung automatisch nach
96 Stunden überprüft wird (vgl. Ziff. 2.3). Gleichzeitig gibt es für Dublin-Haftfälle, wiederum im Unterschied zu den Nachbarstaaten mit Ausnahme Deutschlands, keinen unentgeltlichen Rechtsbeistand. Die Verfahrensrechte der inhaftierten DublinFälle sind somit in der Schweiz im internationalen Vergleich eher schwach.

Insgesamt wird das Prinzip der Verhältnismässigkeit somit kantonal unterschiedlich ausgelegt, was Ausdruck einer unterschiedlichen Behörden- und Gerichtspraxis ist.

7567

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Die Verfahrensrechte, um die Verhältnismässigkeit im Einzelfall gerichtlich überprüfen zu lassen, sind in der Schweiz im internationalen Vergleich bei den DublinFällen schwächer ausgeprägt.

5.3

Administrativhaft bei Minderjährigen, auch unter 15 Jahren

Bei Minderjährigen wie auch bei Erwachsenen, die im Familienverbund mit Minderjährigen aus der Schweiz weggewiesen werden, stellt sich die Frage nach der Verhältnismässigkeit einer Inhaftierung besonders. In der Folge wird auf die Häufigkeit der Administrativhaft und ihre Wirksamkeit bei diesen Gruppen eingegangen.

In den Gesprächen mit den kantonalen Migrationsbehörden wurde mehrmals darauf hingewiesen, dass es schwierig sei, das Alter von Asylsuchenden festzustellen. Die registrierten Altersangaben, auf welchen die folgenden Ausführungen beruhen, sind daher mit Unsicherheit behaftet. Grundsätzlich bestätigen die Zahlen jedoch die Aussagen aus den in der Evaluation geführten Gesprächen, dass die Inhaftierung von Minderjährigen eine Seltenheit darstellt. In den vier Jahren von 2011 bis 2014 kam es nur 200 Mal vor, dass Personen in den 18 Monaten nach dem negativen Asylentscheid zu einem Zeitpunkt inhaftiert wurden, als sie noch minderjährig waren. An der Gesamtzahl der Fälle mit einer Inhaftierung machen die Minderjährigen in Haft nur gerade 1,6 % aus.

Gemäss den gesetzlichen Vorgaben können Minderjährige ab 15 Jahren in Administrativhaft genommen werden (vgl. Ziff. 2.4). Die statistischen Analysen ergaben allerdings, dass es sich bei der Mehrheit der Minderjährigen in Haft um solche unter 15 Jahren handelt (vgl. Tabelle 3). Etwa ein Drittel der Fälle von Administrativhaft bei Minderjährigen entfällt auf Kleinkinder bis 4 Jahre im Familienverbund, ein zweites Drittel auf Kinder zwischen 5 und 14 Jahren im Familienverbund, und beim restlichen Drittel der über 15-Jährigen in Haft handelt es sich in zwei von drei Fällen um unbegleitete Minderjährige. Diese Zahlen bestätigen Aussagen aus verschiedenen Gesprächen der PVK, dass zuweilen auch Kinder unter 15 Jahren, vor allem Kleinkinder, zusammen mit ihren Eltern in Haft genommen würden. Begründet werde dies mit dem Kindeswohl, wobei gewisse Gesprächspartner die Rechtmässigkeit dennoch als fragwürdig bezeichneten.21

21

Im Nachgang zur Evaluation hielt das SEM in seiner Stellungnahme vom 12. April 2018 zum Berichtsentwurf der Subkommission EJPD/BK der GPK-N fest, es handle sich bei den eingetragenen unter 15-jährigen Inhaftierten überwiegend um «systematische Fehlerfassungen im ZEMIS». Im Rahmen einer Anhörung des SEM durch die zuständige Subkommission am 8. Mai 2018 wurde deutlich, dass Inhaftierungen im Familienverbund kantonal unterschiedlich erfasst worden sind. Es konnte nicht abschliessend geklärt werden, inwiefern mitinhaftierte Kinder jeweils registriert werden.

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Tabelle 3 Anzahl Minderjährige in Administrativhaft nach Alter und Familiensituation Alter

Minderjährige, begleitet

Minderjährige, unbegleitet

Gesamt

0 bis 4 Jahre 5 bis 14 Jahre 15 bis 17 Jahre

63 64 22

0 1 50

63 65 72

Gesamt

149

51

200

Anzahl Fälle von zu Haftbeginn Minderjährigen, Kohorten 2011 bis 2014, N=61 677 negative Entscheide Quelle: Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017, Anhang Tab. 14 und Kap. 3.1.1 (Erläuterung zu Tab. 12)

In der Mehrheit der Kantone gab es jedoch keine Minderjährigen unter 15 Jahren in Administrativhaft (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017, Anhang Tab. 15). Die Haftfälle der unter 15-Jährigen stammen zu 89 % aus dem Kanton Bern und die restlichen verteilen sich auf sechs weitere Kantone. Auch die gesetzlich vorgesehene Haft von Minderjährigen über 15 Jahren wendet der Kanton Bern mit Abstand am häufigsten an (35% der Fälle). Zehn Kantone inhaftierten in den untersuchten Kohorten keine Minderjährigen; in den Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt ist die Administrativhaft bei Minderjährigen gesetzlich oder durch Regierungsbeschluss untersagt.

Um die Fälle von Minderjährigen in Haft besser einordnen zu können, werden die Haftquoten betrachtet. Für die verschiedenen Familiensituationen werden dazu jeweils die Fälle mit Haft den Fällen ohne Haft gegenübergestellt (vgl. Abbildung 12). Massgebend dafür, ob eine Person als minderjährig zählt, ist dabei ihr Alter zum Zeitpunkt des negativen Entscheids. Die Abbildung zeigt, dass eine Inhaftierung nach einer Wegweisung in einen anderen Dublin-Staat bei allen Familienkonstellationen häufiger ist als bei einer Wegweisung in den Heimatstaat. Personen im Familienverbund, d. h. begleitete Minderjährige und Erwachsene in Begleitung von Minderjährigen, werden relativ seltener inhaftiert als Erwachsene ohne Minderjährige. Dennoch reisen diese Personengruppen überdurchschnittlich oft kontrolliert aus, und zwar ungeachtet einer Administrativhaft (vgl. Ziff. 3.2.2 und 3.2.3). Bei Wegweisungen in den Heimatstaat reisen begleitete Minderjährige und ihre erwachsenen Begleiter grossmehrheitlich selbständig aus, während die meisten DublinÜberstellungen als Rückführungen ohne Haft abgewickelt werden.

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Abbildung 12 Haftquote nach Familiensituation zum Zeitpunkt des negativen Entscheids und Art des Entscheids

Dublin NEE

Minderjährige, unbegleitet Minderjährige, begleitet

Erwachsene, mit Minderjährigen

Ablehnungen/NEE

Erwachsene, ohne Minderjährige

Minderjährige, unbegleitet Minderjährige, begleitet Erwachsene, mit Minderjährigen

Erwachsene, ohne Minderjährige 0%

10%

20%

30%

40%

50%

N=22 500 NEE Dublin bzw. 17 064 Ablehnungen/NEE mit Ausreisepflicht (ohne Kantone VD, TG, SH, NE wegen ungenügender Datenqualität), Kohorten 2011 bis 2014 Quelle: Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: Tab. 21 und Tab. 22, Berechnungen PVK

Unbegleitete Minderjährige werden dagegen, wie Abbildung 12 zeigt, nur wenig seltener inhaftiert als Erwachsene ohne Minderjährige, und zwar sowohl bei den Dublin-Fällen als auch bei den Ablehnungen/NEE. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass bei letzteren fast zwei Drittel der zum Zeitpunkt des Entscheids unbegleiteten Minderjährigen zu Haftbeginn bereits volljährig sind. Dies könnte die beschränkte Wirksamkeit der Haft bei dieser Gruppe teilweise erklären (vgl. Ziff. 3.2.3). Bei den Dublin-Fällen sind von den zum Zeitpunkt des Entscheids unbegleiteten Minderjährigen hingegen rund fünf von sechs Inhaftierten zu Haftbeginn noch immer minderjährig. Wie unter Ziffer 3.2.2 aufgezeigt, können unbegleitete Minderjährige auch ohne Haft öfter an einen anderen Dublin-Staat überstellt werden als Erwachsene. Es gibt somit gewisse Hinweise, dass die Administrativhaft für die Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs bei unbegleiteten Minderjährigen weniger erforderlich ist als bei Erwachsenen. Dies könnte gemäss der Antwort des EJPD in der Verwaltungskonsultation daran liegen, dass bei unbegleiteten Minderjährigen ein Dublin-Verfahren nur durchgeführt werden darf, wenn eine Überstellung im Interesse des Kindeswohls liegt.

Auch die Haftquoten sind im Kanton Bern vergleichsweise hoch mit knapp 14 % bei unbegleiteten Minderjährigen und knapp 12% bei begleiteten, während beispielsweise Zürich eine Quote von knapp 3 % bei den unbegleiteten und 0,4% bei den begleiteten Minderjährigen aufweist.

7570

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Angesichts der Unsicherheit der Altersangaben und der tiefen Zahlen sind die statistischen Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren. Laut den Gesprächen mit Kantonsbehörden wird die Haft bei Minderjährigen nur als letztes Mittel angewendet, schon rein deshalb, weil es kaum geeignete Haftplätze gebe.

5.4

Haftregime und Haftbedingungen bleiben in der Kritik

Die Administrativhaft dient der Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs. Die betroffenen Personen sind nicht aufgrund einer Straftat in Haft, weshalb lockerere Haftbedingungen gelten (vgl. Ziff. 2.3). Im Rahmen der Evaluation wurden die kantonalen Migrationsbehörden nach den Räumlichkeiten, in welchen die Administrativhaft vollzogen wird, befragt. In der Mehrheit der besuchten Kantone besteht für die Administrativhaft ein von anderen Haftformen räumlich getrennter Gefängnisteil, allerdings werden die Administrativhaftplätze zum Teil auch für andere Haftformen genutzt bzw. wird die Administrativhaft zum Teil auch in anderen Räumlichkeiten vollzogen. Auf Administrativhaft spezialisierte Anstalten bilden die Ausnahme.

Diese Feststellungen decken sich mit jenen der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF), welche seit 2010 die Situation von Personen im Freiheitsentzug ­ darunter auch Personen in Administrativhaft ­ im Rahmen von Besuchen überprüft und ihre Feststellungen und Empfehlungen den zuständigen Behörden unterbreitet.22 Eine systematische Auswertung der Tätigkeitsberichte der NKVF der Jahre 2010 bis 2016 hat ergeben, dass die Kommission in insgesamt 20 Anstalten in 13 Kantonen Probleme beim Vollzug der Administrativhaft festgestellt hat.

Die Kritik der NKVF betraf namentlich die fehlende Trennung: In neun Anstalten waren Personen in Administrativhaft nicht oder nur auf Ebene der Zelle von jenen im Strafvollzug oder in Untersuchungshaft getrennt. Weiter bemängelte die NKVF in zehn Anstalten die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, vor allem zu lange Einschlusszeiten in den Zellen (häufig bis zu 23 Stunden). Besonders oft stand das Haftregime für Frauen im Fokus der Kritik. In sieben Anstalten wurde die Haftinfrastruktur bemängelt und in fünf Anstalten waren die Beschäftigungsmöglichkeiten ungenügend. Bei drei Anstalten wurde die Regelung der Aussenkontakte als zu restriktiv beurteilt. Einige Anstalten hat die NKVF mehrmals besucht und dabei zum Teil auch Verbesserungen festgestellt. Insgesamt hat die Kritik der NKVF über die Jahre aber weder eindeutig ab- noch zugenommen. Auch in verschiedenen Interviews, welche die PVK im Rahmen der Evaluation geführt hat, wurde Kritik bezüglich der Haftbedingungen geäussert.

Die Nachbarstaaten Österreich, Frankreich und Italien sowie etwa zehn
weitere europäischen Staaten vollziehen die Administrativhaft vorwiegend in getrennten Anstalten (Matrix 2013; Jurado/Beirens/Maas 2016; ECRE: AIDA). Die Situation in der Schweiz stellt somit im europäischen Vergleich eher die Ausnahme dar. In der Schengen-Evaluation im Jahr 2014 wurden die Schweizer Bestimmungen zum Tren22

Bundesgesetz über die Kommission zur Verhütung von Folter vom 20. März 2009, SR 150.1.

7571

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nungsgebot denn auch bemängelt. In einem Vernehmlassungsentwurf schlägt der Bundesrat deshalb vor, in Artikel 81 AuG künftig festzuschreiben, dass die Administrativhaft in Haftanstalten zu vollziehen ist, die ausschliesslich dem Vollzug dieser Haftform dienen, oder dass, wenn dies nicht möglich ist, Personen in Administrativhaft gesondert von jenen in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug unterzubringen sind.23 Zudem versucht der Bund, über die Subventionierung des Baus und der Einrichtung von Haftanstalten auf verbesserte Haftbedingungen hinzuwirken (vgl. Ziff. 6.3.3)

6

Angemessenheit der Rolle des Bundes

Zusammenfassung: Im Grossen und Ganzen ist die Rolle des Bundes bei der Administrativhaft angemessen, in verschiedenen Punkten aber nicht gänzlich zufriedenstellend. Die rechtlichen Grundlagen zur Administrativhaft, die der Bund erlassen hat, weisen punktuell Ungereimtheiten auf. Da die Anwendung der Administrativhaft weitestgehend in kantonaler Kompetenz liegt und durch die Gerichte und die NKVF beaufsichtigt wird, ist die Aufsichtsfunktion von Bundesrat und Bundesverwaltung beschränkt. Sie hat aber über die Zeit an Bedeutung gewonnen, nicht zuletzt mit der neu eingeführten gesetzlichen Pflicht des SEM, den Wegweisungsvollzug zu überwachen. Das SEM verfügt hierfür jedoch nicht über geeignete Datenverwaltungssysteme und kann die vorhandenen Daten nur beschränkt nutzen. In der Aufsichtspraxis setzt das SEM bisher vorwiegend auf den Dialog mit den Kantonen, welchen diese schätzen. Eine Harmonisierung der Anwendung der Administrativhaft hat das SEM dadurch jedoch kaum erzielt. Das neue Monitoring Wegweisungsvollzug des SEM eignet sich als Überwachungsinstrument nur bedingt. Offen ist, wie sich die neuen finanziellen Anreize des Bundes (Subventionierung von Haftanstalten, Streichung von Pauschalen bei Nicht-Vollzug von Wegweisungen) auf die Anwendung der Administrativhaft auswirken werden.

In diesem Kapitel wird die Rolle des Bundes in Bezug auf die Administrativhaft beleuchtet. Erstens wird beurteilt, inwiefern die rechtlichen Grundlagen angemessen sind. Zweitens wird dargelegt, inwiefern das SEM über die Anwendung der Administrativhaft und ihre Wirkung im Wegweisungsvollzug informiert ist. Drittens wird auf die Zusammenarbeit zwischen der Bundesverwaltung und den Kantonen eingegangen.

6.1

Rechtliche Grundlagen

Die Anwendung der Administrativhaft wird durch Bundesrecht geregelt. Das SEM hat Weisungen erlassen, die im folgenden Abschnitt bewertet werden, bevor verschiedene kleinere Inkohärenzen bei den gesetzlichen Regelungen aufgezeigt werden. Danach wird auf die rechtlichen Kompetenzen und ihre Einschätzung durch die Kantone und das SEM eingegangen, wobei zuerst die Anordnung der Administra23

Anpassungen des AuG, «Verfahrensnormen und Informationssysteme», Vorentwurf und erläuternder Bericht des SEM vom Juni 2016.

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tivhaft und anschliessend die Aufsicht von Bundesrat und Bundesverwaltung behandelt wird.

6.1.1

Weisungen sind teilweise nicht aktualisiert

Die Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich des SEM (SEM, Weisungen AuG) behandeln in Kapitel 9 die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, darunter die Administrativhaft. Das SEM verfügt im Bereich der Zwangsmassnahmen jedoch nicht über eine rechtlich verankerte Weisungsbefugnis. Dementsprechend handelt es sich bei den Weisungen um eine kommentierte Übersicht zu den bestehenden Gesetzesbestimmungen, jedoch nicht um eine Konkretisierung derselben. Erwähnt sind beispielsweise die verschiedenen Haftformen und die Voraussetzungen, die für ihre Anordnung erfüllt sein müssen. Der grösste Mehrwert der Weisungen dürfte darin bestehen, dass zu jedem Thema die bestehenden Urteile des Bundesgerichts aufgelistet sind, womit ein Überblick über die Rechtsprechung gewährt wird. Die Liste ist jedoch nicht immer aktuell. Zwar werden die Weisungen gemäss Stellungnahme des EJPD in der Verwaltungskonsultation nach jeder Änderung des AuG angepasst, doch fehlte auch in der Version vom 3. Juli 2017 noch das Grundsatzurteil des Bundesgerichts vom Mai 2016 zur Haft im Dublin-Verfahren unter der Dublin III-Verordnung.24 Aus den Interviews wurde deutlich, dass sich bei diesen Fällen die Frage nach der Rechtmässigkeit der Haft am häufigsten stellt. Das EJPD stellt sich auf den Standpunkt, bei den Weisungen handle es sich um eine Dienstleistung ohne Gewähr auf Vollständigkeit. Zudem mache es die Kantone in seinen Dublin-NEE auf das Bundesgerichtsurteil aufmerksam. Die Weisungen dürften aber nicht nur den Kantonen, sondern einem grösseren Kreis von Akteuren als Referenz dienen. Von daher stellen solche Lücken bezüglich zentraler Entscheide den Nutzen der Weisungen etwas in Frage.

Neben den Weisungen AuG ist auf der Website des SEM zusätzlich das Handbuch Asyl und Rückkehr verfügbar, das ebenfalls ein Kapitel zu den Zwangsmassnahmen enthält. Das Handbuch ist für den SEM-internen Gebrauch bestimmt und bietet in seiner Kürze einen gut verständlichen Überblick zu den geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Es enthält auch Angaben auf weiterführende Informationen, wobei Verweise auf die entsprechenden Kapitel der Weisungen AuG fehlen.

6.1.2

Kleinere Ungereimtheiten in den Kostenregelungen

Wie bereits unter Ziffer 2.5 dargelegt, sind in Artikel 82 Absatz 2 AuG zur Haftpauschale, die der Bund bezahlt, zwar die Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft, nicht jedoch die Dublin-Haft erwähnt. Im daraus abgeleiteten Verordnungsartikel ist die Dublin-Haft hingegen enthalten. In der Praxis hat das SEM die Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens immer erstattet. Die PVK vermutet, dass bei der Einführung von Artikel 76a AuG zur Dublin-Haft die Anpassung von Artikel 82 Absatz 2 AuG vergessen ging. Das EJPD hingegen stellte sich in der Verwaltungs24

Entscheid des Bundesgerichtes 2C_207/2016 vom 2. Mai 2016.

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konsultation auf den Standpunkt, die Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens «als spezielle Ausgestaltung der Vorbereitungs- bzw. Ausschaffungshaft» falle unter die Bestimmung. Im Gesetz gibt es jedoch keine Hinweise, dass die Dublin-Haft eine Spezialform der anderen Haftformen darstellen würde. Vielmehr erscheint sie als eigene, in separaten Bestimmungen (Art. 76a und 80a AuG) geregelte Haftform, weshalb die PVK die Auslegung des EJPD nicht teilt.

Eine andere Ungereimtheit in den gesetzlichen Grundlagen hat für den Bund dagegen Kostenfolgen: Reist eine Person, für die laut dem Dublin-Abkommen ein anderer Staat zuständig ist, in die Schweiz ein, ohne jedoch ein Asylgesuch zu stellen, so erlässt das SEM gemäss Artikel 64a Absatz 1 AuG eine Wegweisungsverfügung.

Diese Person wird nicht zum Asyl-, sondern zum Ausländerbereich gezählt. Folglich haben die Kantone die Kosten des Wegweisungsvollzugs selbst zu tragen. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Der Bund bezahlt die Tagespauschale an die Haftkosten.

Der Grund liegt in der Formulierung von Artikel 82 Absatz 2 Buchstabe c AuG: Demnach bezahlt der Bund die Pauschale für «Ausländerinnen und Ausländer, deren Inhaftierung im Zusammenhang mit einer Wegweisungsverfügung des SEM angeordnet wurde». In der Kostenregelung zwischen Bund und Kantonen stellt dies eine Inkohärenz dar.25 In den Gesprächen der PVK forderten die Kantonsbehörden allerdings, dass der Bund bei Dublin-Fällen aus dem Ausländerbereich nicht nur die Haftkosten, sondern sämtliche Kosten übernehmen müsste, weil die Kantone auf die Modalitäten der Dublin-Überstellungen und damit auf deren Kosten keinen Einfluss hätten. Gemäss EJPD stand eine solche Kostenübernahme bisher nicht zur Debatte.

Neben den erwähnten Ungereimtheiten wird teilweise kritisiert, die Gesetzesbestimmungen zur Dublin-Haft entsprächen der Dublin III-Verordnung teilweise nicht (Hruschka 2017; Hruschka/Nufer 2017). In der Schengen-Evaluation 2014 wurde zudem kritisiert, dass Artikel 81 AuG zur Trennung der Personen in Administrativhaft von jenen im Strafvollzug oder in Untersuchungshaft (vgl. auch Ziff. 2.3 und Kritik der NKVF unter Ziff. 5.4) der Rückführungsrichtlinie der EU nicht genügend nachkomme, weshalb der Bundesrat eine Gesetzesänderung vorgeschlagen hat.26

6.1.3

Anwendung der Administrativhaft liegt fast ausschliesslich in kantonaler Kompetenz

Das Asylverfahren ist Sache des Bundes (Art. 119 des Asylgesetzes [AsylG]27); die Kantone haben weder auf das Verfahren noch seinen Ausgang einen Einfluss. Die negativen Asylentscheide, welche zu einer Wegweisung in den Heimatstaat oder einen Dublin-Staat führen, werden durch das SEM gefällt.

Der Vollzug der Wegweisungen stellt dagegen laut Artikel 46 Absatz 1 und 1bis AsylG eine Verpflichtung der Kantone dar. Zudem ist die kantonale Zuständigkeit für zwangsweise Ausschaffungen in Artikel 69 Absatz 1 AuG und jene für den 25 26 27

Das EJPD erachtet diese Ausnahme in seiner Stellungnahme zur Verwaltungskonsultation nicht als «Ungereimtheit».

Anpassungen des AuG, «Verfahrensnormen und Informationssysteme», Vorentwurf und erläuternder Bericht des SEM vom Juni 2016.

Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31).

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Vollzug von Dublin-Wegweisungen in Artikel 64a Absatz 3 AuG festgehalten. Der Wegweisungsvollzug stellt damit ganz klar eine kantonale Kompetenz dar.

Die gesetzlichen Grundlagen weisen den Kantonen verschiedene Befugnisse zu, damit sie den Vollzug der Wegweisungen wahrnehmen können. Dazu gehört namentlich, dass der Zuweisungs- oder Standortkanton eine Administrativhaft anordnen kann (Art. 80 Abs. 1 und Art. 80a Abs. 1 AuG). Wenn sich die Personen in einem EVZ des Bundes befinden und der Vollzug der Wegweisung absehbar ist, kann auch das SEM eine Haft anordnen. Laut den Gesprächen in Standortkantonen von EVZ hat das SEM eine Zeitlang von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die betroffenen Migrationsbehörden beurteilten dies eher kritisch, einerseits, weil der Bund kantonale Haftinfrastrukturen für sich beanspruchte, und andererseits, weil der Bund teilweise eine andere Anordnungspraxis verfolgte als der Standortkanton. Laut Mitarbeitenden ordnet das SEM mittlerweile keine Haft mehr an. Mit der Neustrukturierung des Asylbereichs wird auch die Haft ab Bundeszentren künftig durchwegs von den Kantonen angeordnet.

Dass für den Wegweisungsvollzug im Allgemeinen und für die Administrativhaft im Besonderen die Kantone zuständig sind, wurde in allen von der PVK geführten Gesprächen auf kantonaler Ebene wie auch beim SEM vehement betont. Nur in einem Kanton wurde die Möglichkeit der Schaffung einer Bundeskompetenz für den Wegweisungsvollzug erwogen. Insgesamt lässt sich jedoch festhalten, dass sowohl gemäss den rechtlichen Grundlagen als auch nach dem Selbstverständnis der Akteure die Anwendung der Administrativhaft als Sache der Kantone betrachtet wird.

6.1.4

Aufsicht des Bundesrates ist nur komplementär, hat jedoch an Bedeutung zugenommen

Die Gespräche der PVK mit den Migrationsbehörden ergaben, dass die bestehende «Aufsicht» des SEM über die Anwendung der Administrativhaft von den Kantonen nicht als solche wahrgenommen wird. Eine stärkere Aufsicht ist aus Kantonsperspektive angesichts der kantonalen Zuständigkeit für den Wegweisungsvollzug nicht notwendig und auch nicht erwünscht. Das SEM verwies seinerseits auf die bestehende richterliche Aufsicht und die NKVF und erkannte ebenfalls keinen grundsätzlichen Anpassungsbedarf.

Die Administrativhaft trägt diese Bezeichnung, weil sie im Unterschied zur strafprozessualen Haft durch eine Verwaltungsbehörde und nicht durch eine richterliche Behörde angeordnet wird. Der Haftentscheid unterliegt im Einzelfall aber seit der Einführung der Administrativhaft im Jahr 1995 der Gerichtsbarkeit. Der Haftentscheid des kantonalen Gerichts kann mittels Beschwerde ans Bundesgericht weitergezogen werden. Zwar lässt sich feststellen, dass die Verfahrensgarantien bei der Dublin-Haft im europäischen Vergleich eher schwach sind, weil die richterliche Überprüfung nur auf Antrag stattfindet (vgl. Ziff. 5.4), ansonsten ist die gesetzlich vorgesehene Überprüfung indes umfassend: Sowohl die Rechtmässigkeit als auch die Angemessenheit der Haft und die familiären Verhältnisse der inhaftierten Person sowie die Umstände des Haftvollzugs müssen berücksichtigt werden (vgl. Ziff. 2.3).

Laut den Gesprächen mit den kantonalen Migrationsbehörden werden bei der Inhaf7575

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tierung von Minderjährigen und Frauen teilweise Auflagen für den Haftvollzug gemacht. Für die Überprüfung der Haft im Einzelfall sind somit rechtliche Vorkehrungen vorhanden. Die Haftbedingungen werden zudem auch durch die NKVF überprüft, wobei deren Kritik lediglich Empfehlungscharakter hat (vgl. Ziff. 5.4).

Angesichts der bestehenden Aufsichtsinstanzen und der weitgehend kantonalen Zuständigkeit für die Administrativhaft stellt sich tatsächlich die Frage, wie weit die Aufsicht des Bundesrates geht. Gemäss Artikel 124 Absatz 1 AuG beaufsichtigt der Bundesrat den Vollzug des Ausländergesetzes, in dem auch die Administrativhaft geregelt ist. In der konkretisierenden Verordnung28 wird das SEM verpflichtet, mit den zuständigen kantonalen Behörden einen permanenten Informationsaustausch über Fragen des Vollzugs von Weg- und Ausweisungen zu unterhalten. Was den Gerichten mit ihrer Einzelfalloptik fehlt, ist die Übersicht zur Praxis in den verschiedenen Kantonen. Den Informationsaustausch zu fördern, scheint deshalb grundsätzlich angebracht.

Die in dieser Evaluation betrachtete Zeitperiode zeichnet sich dadurch aus, dass die EU bezüglich der Anwendung der Administrativhaft gegenüber vorher eine wichtigere Rolle spielt. Per 1. Januar 2011 sind die Gesetzesänderungen zur Übernahme der EU-Rückführungsrichtlinie in Kraft getreten. Die Rückführungsrichtlinie enthält Vorgaben zu zahlreichen Aspekten der Administrativhaft (z. B. Haftbedingungen, Dauer, Haftvoraussetzungen, Haft bei Minderjährigen und anderen verletzlichen Gruppen). Am 1. Juli 2015 sind die Gesetzesänderungen zur Umsetzung der Dublin III-Verordnung der EU aus dem Jahr 2013 in Kraft getreten. Diese Verordnung enthält detaillierte Regelungen zur Haft im Dublin-Verfahren. Die Umsetzung der EU-Bestimmungen wird durch die Europäische Kommission periodisch evaluiert.

Auch wenn die Anwendung der Administrativhaft in kantonaler Kompetenz liegt, so ist es in den internationalen Beziehungen doch der Bundesrat, der Auskunft geben muss, wie die Schweiz die EU-Vorgaben erfüllt, und der allfällige Kritik entgegennehmen muss. Durch die verstärkte internationale Komponente hat deshalb die Bedeutung der Aufsicht zumindest bezüglich des erforderlichen Informationsstandes des Bundes, der im folgenden Abschnitt näher untersucht wird, zugenommen.

Am 1. Oktober
2016 ist schliesslich Artikel 46 Absatz 3 AsylG in Kraft getreten, der das SEM verpflichtet, den Vollzug der Wegweisungen im Asylbereich zu überwachen und zusammen mit den Kantonen ein Monitoring des Wegweisungsvollzugs zu erstellen. Zudem erhielt der Bund in Artikel 89b AsylG die Befugnis, Pauschalabgeltungen zurückzufordern bzw. nicht zu bezahlen, wenn ein Kanton die Vollzugsaufgaben «nicht oder nur mangelhaft erfüllt und keine entschuldbaren Gründe vorliegen». Dieses Überwachungselement in der Aufsicht des Bundes über den Wegweisungsvollzug mit der Sanktionsmöglichkeit ist neu. Unter Ziffer 6.3 werden die Auswirkungen dieser Neuerung auf die Zusammenarbeit des Bundes mit den Kantonen genauer beleuchtet.

28

Art. 7 Abs. 2 VVWAL

7576

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6.2

Informationsstand des SEM

Die Information des SEM über die Anwendung der Administrativhaft stellt, wie oben dargelegt, ein wichtiger Teil der Aufsichtsfunktion des Bundes dar. Im folgenden Abschnitt wird zuerst auf die Daten des SEM zur Administrativhaft und anschliessend auf die Datenverwaltungssysteme des SEM zum Wegweisungsvollzug und zum Schluss auf die Nutzung der Daten eingegangen.

6.2.1

Daten zur Administrativhaft sind lückenhaft, Anreize für korrekte Erfassung fehlen

Nach der Evaluation der PVK aus dem Jahr 2005 (PVK 2005) hat der Bundesrat auf Empfehlung der GPK29 hin die Kantone in Artikel 15a VVWAL verpflichtet, die Administrativhaft dem SEM ab 2008 zu melden. Im Rahmen einer Nachkontrolle zur damaligen Evaluation der PVK liess der Bundesrat die Daten erstmals auswerten.30 Für die vorliegende Evaluation hat BASS (Guggisberg/Abrassart/Bischof 2017: 5) geprüft, inwiefern die Hafteinträge im ZEMIS mit den vom Bund zurückerstatteten Tagespauschalen übereinstimmen. Dabei erwiesen sich die damals ausgewerteten Daten zur Administrativhaft bis Ende 2010 als sehr lückenhaft.

Für die vorliegenden statistischen Analysen wurden deshalb erst die Daten ab 2011 verwendet. Seit dann erfassen die Kantone die Haft direkt im ZEMIS. Die Qualitätskontrollen haben jedoch auch nach 2011 in vier Kantonen (TG, NE, SH, VD) erhebliche Abweichungen zwischen den Hafteinträgen im ZEMIS und den abgerechneten Beträgen ergeben, worauf diese Kantone aus der statistischen Analyse ausgeschlossen wurden.31 Gemäss dem Gespräch mit den Migrationsbehörden im Kanton Thurgau dürfte die Differenz daher stammen, dass eine beachtliche Zahl der Haftfälle nicht durch den Kanton, sondern durch das SEM ab dem im Kanton angesiedelten EVZ angeordnet wurde. Der Kanton hat diese Haftfälle nicht im ZEMIS erfasst, jedoch dem Bund in Rechnung gestellt. Für die Abweichungen in den übrigen Kantonen gibt es dagegen keine plausible Erklärung.

Die Dokumentenanalyse wie auch die Gespräche sowohl mit den Kantonsbehörden als auch mit dem SEM haben ergeben, dass im Grossen und Ganzen klar ist, was im ZEMIS erfasst werden soll. Nicht klar geregelt ist jedoch, wann die Daten erfasst werden müssen. Nur einmalig hat das SEM die Kantone Mitte 2015 via E-MailNewsletter aufgefordert, die Daten vollständig und bereits bei Beginn der Haft zu erfassen sowie Einträge ohne Haftende nach einer Überschreitung von 18 Monaten zu korrigieren. Eine klare Frist für die Erfassung der Haft hat das SEM aber nach wie vor nicht festgelegt. Das SEM tritt gegenüber den Kantonen somit bezüglich der 29

30

31

Anwendung und Wirkung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Bericht der GPK-N vom 24. Aug. 2005 auf der Grundlage einer Evaluation der PVK (BBl 2006 2579, hier: 2592).

Anwendung und Wirkung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Bericht der GPK-N vom 24. Aug. 2005 auf der Grundlage einer Evaluation der PVK, Stellungnahme des Bundesrates vom 29. Juni 2011 zum Schreiben der GPK-N vom 16. Febr. 2010.

Die Qualität der Daten des Kantons Zürich konnte nicht überprüft werden, weil dieser Sammelabrechnungen erstellt.

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Pflicht zur Datenübermittlung nicht bestimmt auf. Die Gespräche der PVK mit den Migrationsbehörden ergaben, dass die Haft nach wie vor häufig erst nach dem Haftende erfasst wird und dem Eintrag der Haft im ZEMIS in etlichen Kantonen keine grosse Bedeutung beigemessen wird. Dasselbe gilt für das SEM, das gemäss den Abklärungen der PVK die von ihm angeordnete Haft ab EVZ nicht im ZEMIS erfasst.

Zudem weist ZEMIS vereinzelt Mängel auf. Beispielsweise ist es nicht möglich, nach einer Vorbereitungshaft eine Ausschaffungshaft einzutragen, die an dem Tag beginnt, an welchem die Vorbereitungshaft endet, obwohl dies der Regelfall ist.

Auch gibt es im ZEMIS keine automatischen Fehlerhinweise, beispielsweise wenn die Maximaldauer einer Haftart überschritten wird.

Im Rahmen der Rückerstattung der Haftkosten an die Kantone wird geprüft, ob der Eintrag in ZEMIS mit den Angaben auf dem Rückerstattungsformular übereinstimmt. Stellt das SEM eine Abweichung oder eine Lücke bei den ZEMIS-Einträgen zur Administrativhaft fest, macht es aber weder eine Korrektur noch eine Meldung an den betreffenden Kanton. Ein korrekter Eintrag der Haft in ZEMIS ist nicht Voraussetzung für die Kostenrückerstattung.

Artikel 15a Absatz 2 VVWAL sieht ausserdem vor, dass die kantonalen Behörden bei einer Haft von Minderjährigen melden müssen, ob eine Rechtsvertretung eingesetzt wurde und ob Kindesschutzmassnahmen getroffen wurden. Gemäss den Abklärungen der PVK wird diese Bestimmung kaum umgesetzt. Das SEM konnte nicht angeben, in welcher Form diese Meldung bisher gemacht wird. Gemäss Stellungnahme in der Verwaltungskonsultation hat das EJPD mittlerweile eine Meldung mittels ZEMIS geplant und die notwendige Verordnungsanpassung in die Wege geleitet. Minderjährige werden zwar, wie unter Ziffer 5.3 gezeigt, insgesamt selten in Administrativhaft genommen, da es sich dabei aber mehrheitlich um Kinder unter der gesetzlichen Grenze von 15 Jahren handelt, kommt Schutzmassnahmen eine noch grössere Bedeutung zu.

6.2.2

Viele Doppelspurigkeiten und Medienbrüche bei der Datenverwaltung

Im ZEMIS wird zwar die Administrativhaft erfasst, andere wichtige Angaben fehlen dagegen (z. B. Bestimmungsland einer Ausreise, gescheiterte Rückführungsversuche) oder sind nur rudimentär erfasst (z. B. Angaben zur Vollzugsunterstützung). Im Rahmen der Evaluation wurde deshalb versucht, im ZEMIS fehlende Angaben zum Wegweisungsvollzug aus anderen Datensystemen heranzuziehen. Die PVK stellte dabei fest, dass es zwischen den verschiedenen Datensystemen des SEM im Bereich des Wegweisungsvollzugs zahlreiche Doppelspurigkeiten gibt. Verschiedene Einträge werden zweimal erfasst. Beispielsweise wird sowohl im ZEMIS als auch in den Systemen «Aurora» und «indiRück» das Ausreisedatum erfasst. In den Listen der Rückkehrberatungsstellen wird ebenfalls erfasst, ob eine Person ausgereist ist.

Die Personendaten und das Bestimmungsland müssen sowohl in Aurora als auch im Flugbuchungssystem eingetragen werden. Die finanzielle Rückkehrhilfe wird einerseits im ZEMIS und andererseits in der Datenbank indiRück eingetragen. Die Haft7578

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daten müssen von den Kantonen im ZEMIS und auf dem Antragsformular für die Rückerstattung der Tagespauschale eingetragen werden usw.

Teilweise gibt es automatisierte Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Systemen, doch funktionieren diese nicht in jedem Fall. Dies liegt unter anderem an unterschiedlichen Identifikatoren (ZEMIS-Nummer, AUPER-Nummer, N-Nummer), die dazu führen, dass die Verknüpfung mit ZEMIS fehlschlägt oder falsche Personen miteinander verknüpft werden. Zahlreiche Einträge müssen deshalb von Hand geprüft und bei Bedarf korrigiert werden.

Bei den Kostenrückerstattungen durch den Bund stellte die PVK ausserdem zahlreiche Medienbrüche fest, d. h. elektronisch erfasste Angaben werden auf Papier übermittelt und dann erneut elektronisch erfasst. Bei der Rückerstattung der Haftkostenpauschale z. B. erfassen die Kantone im ZEMIS die Haftperiode. Die gleichen Angaben plus zusätzlich die Personendaten, die sie im ZEMIS nachschlagen, erfassen die Kantone dann in einer vom SEM bereitgestellten Excel-Vorlage. Das ExcelFormular wird auf Papier ausgedruckt und unterschrieben dem SEM zugestellt.

Das SEM kontrolliert anhand des ZEMIS die Personendaten und, wie oben erwähnt, die Hafteinträge. Dann werden im Buchhaltungssystem «SAP» die im ZEMIS nachgeschlagenen Personendaten eingetippt und der Betrag der Haftpauschale erfasst.

Bei der Abgeltung der Rückkehrberatung beispielsweise sind ähnliche Medienbrüche festzustellen. All diese Doppelspurigkeiten und Systembrüche führen nicht nur zu Mehraufwand, sie stellen zudem Fehlerquellen dar, sowohl bei der Erfassung als auch bei einer nachträglichen Korrektur.

Das SEM hat ein Informatikprojekt gestartet, um die Datenverwaltung im Bereich des Wegweisungsvollzugs zu verbessern, doch wurde dieses zwischenzeitlich sistiert.

6.2.3

SEM kann seine Daten nur beschränkt nutzen

Die Daten zur Administrativhaft wertet das SEM jeweils Anfang Jahr aus, doch weisen die Auswertungen methodische Mängel auf (Verzerrungen aufgrund des Ausschlusses periodenübergreifender, tendenziell längerer Haftepisoden in Auswertungen nach Jahren; fehlende Darstellung der zeitlichen Entwicklung in der Mehrjahresbetrachtung). Ihre Aussagekraft ist deshalb, zusätzlich zu den lückenhaften Einträgen (inkl. nicht verlässliche Angaben zur Zahl der Personen mit laufender Haft), begrenzt. Einige grundlegende Informationen daraus, z. B. die Häufigkeit der Anordnung der Administrativhaft, verwendet das SEM vereinzelt für die Öffentlichkeitsarbeit. Die PVK hat jedoch in sämtlichen analysierten Dokumenten (Präsentationen, Sitzungsprotokolle, Fact Sheets) keine Hinweise gefunden, dass das SEM die Zahlen den Kantonen vorgelegt hätte, um einen Dialog über die Vollzugsunterschiede zu führen, obwohl sie sich genau hierfür eignen würden.

In einzelnen Bereichen, wie beispielsweise der Nothilfe, führt das SEM recht weitgehende statistische Auswertungen durch. In den meisten Bereichen des Wegweisungsvollzugs nutzt das SEM seine Daten jedoch kaum. Dies hängt unter anderem mit der oben erwähnten fehlenden Integration der verschiedenen Systeme zusammen. Zudem kann das SEM für statistische Analysen nur beschränkt auf seine eige7579

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nen Daten zugreifen. Die Datenauszüge aus «indiRück», welche es BASS zur Verfügung gestellt hat, erwiesen sich beispielsweise als unvollständig. Da die Datenbank aber extern konzipiert worden war, konnte das SEM weder die Lücken erklären, noch war es in der Lage, eine korrekte Datenabfrage zu machen. Der Statistikdienst des SEM hat nur Zugriff auf ZEMIS, nicht hingegen auf die anderen Datenbanken zum Wegweisungsvollzug. Im Rahmen der Evaluation hat er die notwendigen ZEMIS-Daten zügig geliefert, doch kann er über ihre Bedeutung nur beschränkt Auskunft geben. Hierfür fehlt eine systematische Dokumentation der Daten und der vorgenommenen Änderungen. Für eigene Auswertungen fehlen dem Statistikdienst zudem die Ressourcen.

Nebst den Daten zur Administrativhaft stellten sich auch andere Angaben im ZEMIS als unvollständig heraus, so jene zum Untertauchen von Asylsuchenden. Wie unter Ziffer 3.1.1 erwähnt, wird im ZEMIS eine «unkontrollierte Abreise» vermerkt, wenn die Behörden eine Zeitlang keinen Kontakt mehr zu einer Person hatten. Gemäss den Gesprächen im SEM wird dieser Vermerk aber nur gemacht, wenn es ein offenes Datenbankgeschäft gibt (d. h. vor der Rechtskraft des Entscheids oder bei offener Vollzugsunterstützung), um dieses damit zu schliessen, anderenfalls wird nichts erfasst. Gemäss Stellungnahme des EJPD in der Verwaltungskonsultation liegt dies daran, dass die Kantone nur dann Grund haben, das Untertauchen zu melden, wenn beim SEM noch eine Vollzugsunterstützung offen sei. Mehrere kantonale Migrationsbehörden gaben gegenüber der PVK hingegen an, sie würden das Untertauchen auch sonst dem SEM melden, da diese Informationen beispielsweise wichtig seien, wenn die Personen woanders aufgegriffen würden, dass aber das SEM ihre Meldungen nicht in ZEMIS erfasse. Die enge Administrativlogik der Datenerfassung hat jedenfalls zur Folge, dass es keine verlässlichen Zahlen zum Untertauchen von Personen gibt.

6.3

Zusammenarbeit mit den Kantonen

In diesem Abschnitt werden drei Aspekte der Zusammenarbeit des Bundes mit den Kantonen im Bereich der Administrativhaft beleuchtet: der Informationsaustausch, das neue Monitoring Wegweisungsvollzug sowie die Kostenbeteiligung des Bundes.

6.3.1

Dialog wird geschätzt, erzielt jedoch beschränkte harmonisierende Wirkung

Das SEM macht den Kantonen gegenüber, wie unter Ziffer 6.1.1 dargelegt, keine Vorgaben zur Umsetzung der Administrativhaft, die über die rechtlichen Bestimmungen und die Rechtsprechung hinausgehen. Es setzt bei der Wahrnehmung seiner Aufsicht über den kantonalen Vollzug, der rechtlich verankerten Pflicht zum Informationsaustausch entsprechend (vgl. Ziff. 6.1.4), vor allem auf Dialog. Damit will es gemäss den Gesprächen harmonisierend auf die Anwendungspraxis der Kantone einwirken.

7580

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Das SEM fördert den Austausch mit den Kantonen im Rahmen von verschiedenen Gremien. Zentral sind der Fachausschuss Rückkehr und Wegweisungsvollzug und einige von dessen Arbeitsgruppen (insbesondere Unterarbeitsgruppe Umsetzung Dublin) sowie die jährlich durch das SEM organisierte Tagung der Vollzugskoordinatoren der Kantone. In den anhand der Dokumente des SEM (Sitzungsprotokolle, Fact Sheets, Präsentationen usw.) systematisch untersuchten Jahren 2015 und 2016 stand die Dublin-Haft im Zentrum des Austauschs. Das SEM erläuterte die ab Juli 2015 geltenden Dublin III-Verordnungsbestimmungen, gab hingegen kaum je direkte Empfehlungen zur Anwendung der Administrativhaft ab. Wurden in Diskussionen kantonale Unterschiede deutlich, forderte das SEM die Kantone zu einem Austausch auf, bewertete die unterschiedliche Anwendungspraxis hingegen nicht. Der Austausch mit dem SEM im Rahmen dieser Gremien wurde in den Gesprächen der PVK mit den kantonalen Migrationsbehörden geschätzt.

Das SEM stellte sich in Sitzungen dieser Gremien wiederholt zur Verfügung, eine Beschwerde an das Bundesgericht zu machen. Das SEM kann eine Behördenbeschwerde einreichen, wenn «der angefochtene Akt die Bundesgesetzgebung in seinem Aufgabenbereich verletzen kann.»32 Das SEM macht laut Aussagen von Mitarbeitenden bisher nur auf Antrag von kantonalen Behörden, die mit dem Entscheid ihres Gerichts nicht einverstanden sind, davon Gebrauch. Voraussetzung ist laut SEM, dass ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an der rechtlichen Klärung eines Sachverhalts besteht. Die Kantonsbehörden bewerteten die diesbezügliche Zusammenarbeit mit dem SEM als gut.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen findet auf mehreren Niveaus statt. Auf oberster politischer Ebene wurde beispielsweise im so genannten Kontaktorgan EJPD-KKJPD-SODK die finanzielle Beteiligung des Bundes am Bau und der Einrichtung von Haftanstalten besprochen. Umgekehrt gibt es punktuelle Kontakte zwischen einzelnen Mitarbeitenden der kantonalen Migrationsbehörden und des SEM zu konkreten Fällen. Die Beantwortung von Anfragen wurde durch die kantonalen Gesprächspartnerinnen und -partner mehrheitlich positiv, jedoch personenabhängig beurteilt. Tendenziell, so das generelle Echo, habe sich die Zusammenarbeit in den letzten Jahren verbessert. Die Reaktionszeit des
SEM sei kürzer geworden und es sei mehr Wissen vorhanden. Ausdrücklich geschätzt werden überdies auch die vom SEM zusammengestellten Länderinformationen.

Der Dialog mit dem SEM wird durch die Kantone somit eindeutig geschätzt. Gleichzeitig blieb seine harmonisierende Wirkung, wie die beträchtlichen kantonalen Unterschiede zeigen (vgl. Ziff. 4.2 und 5), bisher beschränkt. Soweit diese Unterschiede Ausdruck unterschiedlicher politischer Präferenzen sind, lassen sie sich durch einen Dialog auf Verwaltungsebene kaum verringern. Angesichts der Erkenntnis, dass die unterschiedliche Behördenpraxis zum Teil auch die Folge einer unterschiedlichen Gerichtspraxis darstellt, lässt sich zudem fragen, inwiefern alle relevanten Akteure in den Dialog mit dem Bund eingebunden sind. In den Dokumenten

32

Art. 89 Abs. 2 Bst. a Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 Organisationsverordnung vom 17. Nov. 1999 für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (OV-EJPD; SR 172.213.1).

7581

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des SEM hat die PVK eine Präsentation des SEM vor den Gerichten gefunden. Es scheint sich aber um einen einmaligen Austausch gehandelt zu haben.

6.3.2

Neues Monitoring eignet sich nur bedingt als Überwachungsinstrument

Seit Juli 2016 publiziert das SEM auf der Grundlage einer neuen Gesetzesbestimmung (vgl. Ziff. 6.1.4) einmal jährlich ein Monitoring zum Wegweisungsvollzug im Asylbereich.33 Es soll aufzeigen, wie konsequent die Kantone die Wegweisungen von Asylsuchenden vollziehen.34 In den Interviews mit der PVK hat das SEM dem Monitoring allerdings nicht die Bedeutung eines Überwachungsinstruments gegeben. Vielmehr gehe es darum, Probleme zu erkennen, beispielsweise bei der Papierbeschaffung. Indem die hängigen Fälle mit Vollzugsunterstützung nach Stadium oder Herkunftsstaat aufgeschlüsselt werden, lassen sich aus dem Monitoring gewisse Schlüsse zu Problembereichen ziehen. Aus der Sicht der Evaluation ist aber einzuwenden, dass das Monitoring nicht alle negativen Entschiede erfasst, sondern nur jene mit Vollzugsunterstützung. Die Zahlen können ausserdem nur beschränkt bewertet werden. Ob 3097 Personen mit Vollzugsunterstützung nach einem Asylverfahren am 30. April 2017 viel oder wenig ist, hängt davon ab, wie viele Fälle aus dem Vorjahr sich darunter finden, bei wie vielen der abgewiesenen Personen für die Ausreise überhaupt eine Papierbeschaffung notwendig ist, wie viele Personen direkt nach einem negativen Entscheid untertauchen usw.

Angesichts der statistischen Analyse gilt es zudem zu beachten, dass die beträchtlichen Unterschiede in der strukturellen Zusammensetzung der abgewiesenen Asylsuchenden in den einzelnen Kantonen im Monitoring nicht berücksichtigt werden (vgl. Ziff. 4.2). Zwar erklären diese strukturellen Faktoren die kantonalen Unterschiede der Ausreisequoten insbesondere bei den Dublin-Fällen bisher kaum, doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie mittlerweile, da die Administrativhaft aufgrund der Dublin III-Verordnung weniger oft angewendet wird, eine grössere Rolle spielen. Der Vergleich der Kantone wäre damit zusätzlich nur begrenzt aussagekräftig.

Die befragten kantonalen Migrationsbehörden betrachteten das Monitoring durchaus als Überwachungsinstrument und beurteilten es sehr unterschiedlich. Insbesondere Kantone, welche im Monitoring grössere Vollzugspendenzen aufwiesen, standen ihm kritisch gegenüber. Der Bund hat seit Inkrafttreten der neuen Gesetzesbestimmungen mehrmals vorwiegend oder ausschliesslich bei Dublin-Fällen gewissen Kantonen die Pauschalabgeltung vorenthalten, weil
diese einzelne Wegweisungen nicht vollzogen haben. Da die Administrativhaft gerade bei Dublin-Fällen ein sehr wirksames Mittel ist, um den Wegweisungsvollzug sicherzustellen, könnte die finanzielle Sanktionierung dazu führen, dass gewisse Kantone die Administrativhaft häu-

33 34

SEM, Asylstatistik 2. Quartal 2016 vom 12. Juli 2016; SEM, Asylstatistik 2. Quartal 2017 vom 19. Juli 2017.

Beschleunigung der Asylverfahren: Erste Bestimmungen treten am 1. Oktober 2016 in Kraft, Medienmitteilung des Bundesrates vom 31. Aug. 2016.

7582

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figer einsetzen. Allenfalls tritt somit eine Harmonisierung der kantonalen Anwendungspraxis der Haft ein.

6.3.3

Kostenabgeltungen sind grundsätzlich angemessen und werden neu als Steuerungsinstrument genutzt

Der Bund erstattet den Kantonen für die Administrativhaft im Asylbereich eine Tagespauschale zurück und kann sich seit 2014 finanziell am Bau und der Einrichtung von Haftanstalten beteiligen (vgl. Ziff. 2.5). Die PVK hat die Kostenabgeltungen des Bundes an die Kantone an den Vorgaben des Subventionsgesetzes(SuG)35 gespiegelt und anhand von Dokumenten und Interviews im SEM bewertet. Grundsätzlich erfüllt die Kostenbeteiligung bei der Administrativhaft die subventionsrechtlichen Voraussetzungen für Abgeltungen des Bundes an die Kantone.36 So gehen die Gesetzesnormen des Bundes zur Administrativhaft über reine Rahmenvorgaben und der Vollzug über rein administrative Aufgaben hinaus.

Die Ausgestaltung der Tagespauschale erfüllt die Vorgaben des Subventionsgesetzes37 dagegen nur zum Teil. Erstens bleibt unklar, wie die Tagespauschale bemessen wird. In Artikel 15 Absatz 3 VVWAL wird das SEM zwar verpflichtet, die Betriebskosten zu verfolgen, wie die Pauschale daraus abgeleitet wird, bleibt indes offen. In der Praxis verfolgt das SEM die Betriebskosten nicht regelmässig, führte aber vor einigen Jahren bei den Kantonen eine Umfrage durch. Zwar waren die Kantone laut SEM dabei nicht in der Lage, ihre Betriebskosten genau anzugeben, dennoch wurde die Pauschale aufgrund der Ergebnisse der Umfrage von 140 auf 200 Franken pro Tag angehoben. Die in der Evaluation befragten kantonalen Migrationsbehörden gaben an, dieser Betrag decke die tatsächlichen Kosten in der Regel bei weitem nicht. Häufig werden kantonsintern jedoch nicht die Vollkosten verrechnet.

Zweitens entspricht die Tagespauschale insofern nicht den Vorgaben des Subventionsgesetzes, als die Zielerreichung der Administrativhaft, der Vollzug der Wegweisung, für die Ausrichtung oder Höhe der Abgeltung keine Rolle spielt. Wie unter Ziffer 3.2 aufgezeigt, erreicht die Haft im Dublin-Verfahren fast immer ihr Ziel; bei den Wegweisungen in den Heimatstaat sind die kantonalen Unterschiede in der Zielerreichung hingegen beachtlich (vgl. Ziff. 4.2), auch unter Beachtung von strukturellen Einflüssen. Die Kantone setzen die Administrativhaft somit unterschiedlich zweckmässig, d. h. zielgerichtet ein. Angesichts der Vielzahl von Einflussfaktoren ist der Vollzug der Wegweisung in den Heimatstaat aber nie gänzlich planbar.

Die Aufsicht über die Abgeltung der
Tagespauschalen ist entgegen dem Subventionsgesetz38 auf Gesetzes- und Verordnungsstufe nicht geregelt. In der Praxis müssen die Kantone ihren Anträgen auf Kostenrückerstattung die Haftanordnung sowie gegebenenfalls den richterlichen Haftentscheid beilegen. Das SEM überprüft die Unterlagen und sendet fehlerhafte oder unvollständige Anträge an die Kantone 35 36 37 38

Bundesgesetz vom 5. Okt. 1990 über Finanzhilfen und Abgeltungen (Subventionsgesetz, SuG; SR 616.1).

Art. 9 Abs. 2 SuG Art. 10 SuG Art. 11 und 25 SuG

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zurück, wobei, wie unter Ziffer 6.2.1 erläutert, bei fehlendem oder fehlerhaftem Hafteintrag im ZEMIS nichts unternommen wird.

Gemäss der jährlichen Finanzstatistik des SEM beliefen sich die Kosten für die Tagespauschalen seit ihrer Erhöhung auf 200 Franken (2014 bis 2016) auf 18 Millionen bis 20,5 Millionen Franken pro Jahr. Die durchschnittlichen Kosten pro Fall und die Anzahl rückvergüteter Tage werden nicht ausgewiesen, weshalb keine genauere Bewertung der Kosten möglich ist.39 Die Beiträge zum Bau und zur Einrichtung von Haftanstalten liegen grösstenteils in der Zuständigkeit des Bundesamts für Justiz. Sie sind, soweit es die PVK beurteilen kann, aus subventionsrechtlicher Sicht weitgehend korrekt ausgestaltet. Im Sinne des Subventionsgesetzes hängt die Höhe der Abgeltung vom Interesse sowie der Finanzsituation des Bundes ab, und die Folgen einer mangelhaften Erfüllung und einer Zweckentfremdung sind geregelt. Mit Ausnahme der fehlenden Verpflichtung des zuständigen Amts zur Überprüfung der gesetzestreuen Aufgabenerfüllung sind ausserdem sämtliche subventionsrechtlichen Aufsichtsanforderungen erreicht.

Aus der Dokumentenanalyse und den Gesprächen im SEM geht hervor, dass die Voraussetzungen für diese Bau- und Einrichtungssubventionen absichtlich so definiert wurden, dass die gesetzlichen und völkerrechtlichen Vorgaben sowie die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den Haftbedingungen eingehalten sind. Indem die Hafteinrichtungen in der Regel mehreren Kantonen und dem Bund zur Verfügung stehen müssen, will der Bund zudem die Zusammenarbeit unter den Kantonen fördern. Der Bund fördert mit dem finanziellen Anreiz somit bewusst die Recht- und Zweckmässigkeit der Anwendung der Administrativhaft. Faktisch wurden bisher jedoch erst sehr wenige Subventionsgesuche gestellt und noch keine genehmigt.

7

Schlussfolgerungen

Die Evaluation kommt insgesamt zum Ergebnis, dass die Administrativhaft ein wirksames Instrument für den Wegweisungsvollzug ist. Übers Gesamte betrachtet, wird die Administrativhaft zweckmässig eingesetzt. Die erheblichen kantonalen Unterschiede weisen jedoch darauf hin, dass die Haft in einigen Kantonen zweckmässiger angewendet wird als in anderen und dass die Verhältnismässigkeit unterschiedlich ausgelegt wird. Bundesrat und Bundesverwaltung haben bisher angesichts des Vollzugsföderalismus eine zurückhaltende Aufsicht ausgeübt. Sie setzten vor allem auf Dialog, erzielten damit aber nur beschränkt eine Harmonisierung der Anwendungspraxis der Administrativhaft. Es zeichnet sich jedoch eine Entwicklung hin zu einer stärkeren Aufsicht des Bundes über den Wegweisungsvollzug ab.

In der Folge werden aus den Analysen Schlüsse zu den Voraussetzungen für einen wirksamen Einsatz der Haft und zu den kantonalen Unterschieden gezogen. Darauf wird die Rolle des Bundes gewürdigt und zuletzt werden die festgestellten operativen Mängel bei der Administration des Wegweisungsvollzugs angesprochen.

39

Eine sehr grobe Schätzung der PVK hat durchschnittliche Kosten von zwischen 6000 und gut 7000 Franken pro Haftfall (inkl. kurzfristige Festhaltungen) ergeben.

7584

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7.1

Administrativhaft ist wirksam, ihr Einsatz setzt aber gute internationale Zusammenarbeit voraus

Bei 12 227 von 61 677 negativen Asylentscheiden, die zwischen 2011 und 2014 gefällt worden sind, wurden die Betroffenen in den anderthalb Jahren nach dem Entscheid mindestens einmal in Administrativhaft genommen. Bei Dublin-Fällen lag die Haftquote im untersuchten Zeitraum bei 39 %, und praktisch immer endete die Haft mit der Überstellung der betreffenden Personen. Bei Personen, die in ihren Herkunftsstaat weggewiesen wurden, inhaftierten die Behörden 7 %, und gut zwei von drei reisten nach der Haft aus. Dieser Anteil der Rückreisen ist fast doppelt so hoch wie bei Personen, die nach einer Wegweisung in den Herkunftsstaat nicht inhaftiert wurden. Die Administrativhaft stellt somit ein wirksames Mittel dar.

Insgesamt wird die Haft zudem zweckmässig angewendet: Wenn mehr Personen inhaftiert werden, reisen auch mehr Personen kontrolliert aus. Kantone, welche die Administrativhaft häufiger einsetzen, inhaftieren nicht mehr Personen, die anschliessend nicht zurückgeführt werden können.

Nun kann jedoch die Administrativhaft nur unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen eingesetzt werden. So muss namentlich genügend wahrscheinlich sein, dass die Wegweisung innert absehbarer Frist durchgeführt werden kann. Aus der statistischen Analyse der Wegweisungen in den Heimatstaat geht dabei die Bedeutung einer funktionierenden internationalen Zusammenarbeit deutlich hervor: Unabhängig davon, ob eine Administrativhaft angeordnet wird oder nicht, sind die Chancen für eine kontrollierte Ausreise viel höher, wenn mit dem Herkunftsstaat eine Migrationspartnerschaft oder ein Länderprogramm besteht. Auch Rückübernahmeabkommen erwiesen sich in den statistischen Berechnungen zum Teil als relevant, jedoch nicht durchgehend, was daran liegen könnte, dass einzelne Abkommen toter Buchstabe bleiben.

Dass die internationale Zusammenarbeit für ein Gelingen des Wegweisungsvollzugs sehr wichtig ist, wurde auch in den Interviews der PVK wieder und wieder betont.

Die kantonalen Migrationsbehörden lobten die Anstrengungen des SEM zur Beschaffung von Reisepapieren, bemängelten jedoch, dass dieses an seine Grenzen stosse. Die Migrationszusammenarbeit erhalte in der Aussenpolitik des Bundes zu wenig Gewicht.

7.2

Kantonale Unterschiede werfen Fragen nach der Rechtmässigkeit auf

Die Evaluation hat bezüglich des Vollzugs von Wegweisungen beträchtliche Unterschiede zwischen den Kantonen aufgezeigt. Die strukturellen Merkmale der abgewiesenen Asylsuchenden (Geschlecht, Alter, Familiensituation, Herkunftsstaat) erklären die kantonalen Unterschiede bei der Administrativhaft und bei der Zahl und Art der kontrollierten Ausreisen höchstens zu einem Drittel. Die Kantonsunterschiede dürften somit hauptsächlich Ausdruck der unterschiedlichen Anwendung von Massnahmen des Wegweisungsvollzugs sein. Die verschieden häufige Anwendung der Administrativhaft allein erklärt 40 % bis 50 % der kantonalen Unterschiede

7585

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in den Ausreisequoten, womit sie als wirksames Instrument des Wegweisungsvollzugs einzuschätzen ist.

Doch stellt sich bei der Administrativhaft die Frage ihrer Verhältnismässigkeit, zumal sie einen starken Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen darstellt. Inwiefern heiligt der Zweck der Ausreise die Haft als Mittel? Diese Frage ist umso schwieriger zu beantworten, als der Kantonsvergleich darauf hinweist, dass mit mehr Administrativhaft zwar die Zahl der kontrollierten Ausreisen steigt, aber einige der zusätzlich inhaftierten Personen wohl ohne Haft hätten zurückgeführt werden können oder bei den Dublin-Fällen selbständig ausreisen würden. Bei tieferen Inhaftierungsraten ist mit einer grösseren Zahl von Untergetauchten zu rechnen; es reisen weniger Personen aus, dafür reisen sie anteilsmässig häufiger selbständig aus.

Insbesondere bei den Dublin-Fällen besteht somit ein Zielkonflikt zwischen einer massvollen Anwendung der Administrativhaft und der Zahl der kontrollierten Ausreisen. Bei den Wegweisungen in den Heimatstaat reisen bei mehr Inhaftierungen hingegen auch mehr abgewiesene Asylsuchende selbständig aus. Offen bleibt, ob dies auf die abschreckende Wirkung der Haft zurückzuführen ist oder ob es sich um einen scheinbaren Zusammenhang handelt, der dadurch zustande kommt, dass Kantone, welche die Administrativhaft häufig anwenden, auch selbständige Ausreisen stark fördern.

Aus den Gesprächen mit den kantonalen Behörden und den statistischen Auswertungen wurde offensichtlich, dass sehr unterschiedlich beurteilt wird, wann eine Administrativhaft verhältnismässig ist. So gibt es einzelne Kantone, die mit dem Argument des Kindeswohls sogar Kinder unter 15 Jahren im Familienverbund inhaftieren. In anderen Kantonen hat die Politik Inhaftierungen von Minderjährigen dagegen gänzlich ausgeschlossen. Neben der kantonalen Politik spielen zudem die kantonalen Gerichte eine wichtige Rolle, die gemäss den Interviews die Anforderungen für eine Haftanordnung ungleich hoch ansetzen.

Für die Bewertung der kantonalen Unterschiede und der Rechtmässigkeit der Anwendungspraxis der Administrativhaft gibt es zwei mögliche Orientierungspunkte: die Rechtsgleichheit und den Vollzugsföderalismus. Aus Sicht der Rechtsgleichheit ist es bedenklich, wenn abgewiesene Asylsuchende je nach zuständigem Kanton ungleich
behandelt werden; Asylsuchende können sich den Kanton nicht aussuchen.

Andererseits liegt der Wegweisungsvollzug klar in kantonaler Kompetenz. Aus Sicht des Vollzugsföderalismus ist es dabei wichtig, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundespolitik über Handlungsspielräume verfügen, die sie je nach politischen Präferenzen nutzen können. So pochten denn die kantonalen Migrationsbehörden in den Interviews mit der PVK klar auf ihre Kompetenzen. In diesem Spannungsverhältnis zwischen kantonaler Autonomie und Rechtsgleichheit sowie zwischen Mittel und Zweck bewegt sich auch die Aufsicht durch den Bund.

7586

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7.3

Verstärkte Aufsichtsfunktion des Bundes bietet Chancen und birgt Risiken

Die gesetzlichen Grundlagen zur Administrativhaft mussten wegen Schengen-Weiterentwicklungen in den letzten Jahren mehrmals angepasst werden. Dabei haben sich, wie die Evaluation zeigte, gewisse Ungereimtheiten bei der Kostenregelung eingeschlichen. Die Weisungen des SEM, die den Vollzugsbehörden einen Überblick zu den bestehenden Regelungen und der Rechtsprechung bieten, sind zudem nicht immer auf dem aktuellsten Stand. Bei seinen Aufsichtstätigkeiten setzt das SEM auf den Dialog mit den Kantonen, den es im Rahmen mehrerer Gremien pflegt.

Zudem zahlt das SEM den Kantonen eine Tagespauschale für die Haft und reicht auf Wunsch von kantonalen Migrationsbehörden beim Bundesgericht gelegentlich Beschwerde ein. Von den kantonalen Behörden werden alle diese Tätigkeiten sehr geschätzt. Die Zusammenarbeit mit dem SEM wird grossmehrheitlich als gut bis sehr gut bezeichnet. Die harmonisierende Wirkung des Dialogs, die das SEM erzielen will, blieb jedoch, wie die kantonalen Unterschiede zeigen, beschränkt.

In den letzten Jahren hat sich die Rolle des SEM bzw. des Bundes jedoch verändert.

Erstens musste der Bund wiederholt gegenüber der EU Rechenschaft über die kantonale Anwendung der Administrativhaft ablegen. Zweitens bedeutet die neu eingeführte Subventionierung von Bau und Einrichtung von Haftanstalten ein potentiell erhebliches finanzielles Engagement des Bundes. Bewusst versucht der Bundesrat, damit auf eine Verbesserung der Haftbedingungen hinzuwirken. Drittens ist das SEM seit dem 1. Oktober 2016 gesetzlich verpflichtet, den Vollzug der Wegweisungen zu überwachen und zusammen mit den Kantonen ein Monitoring des Wegweisungsvollzugs zu erstellen. Wenn sich zeigt, dass ein Kanton seine Aufgaben ungenügend erfüllt, kann das SEM finanzielle Abgeltungen streichen. Damit erhält die Aufsicht des SEM über den Wegweisungsvollzug eine neue Kontrollkomponente, die sich auch auf die Administrativhaft auswirken dürfte. Sie bietet namentlich die Chance einer Harmonisierung der Anwendungspraxis der Haft. Allerdings äusserten verschiedene Kantonsbehörden ihren Unmut über das Monitoring, womit das Risiko besteht, dass sich die bisher geschätzte Zusammenarbeit mit dem SEM verschlechtert.

Bei gewissen Kantonen, die Dublin-Fälle nicht fristgerecht überstellt haben, hat das SEM bereits finanzielle Abgeltungen
zurückbehalten. Die Anreize, die dadurch geschaffen werden, sind nicht unbedenklich. Die Anwendung der Haft ist, wie erwähnt, gerade bei Dublin-Fällen höchst wirksam, um den Wegweisungsvollzug sicherzustellen. Für die Behörden schaffen die drohenden finanziellen Sanktionen durch den Bund einen starken Anreiz, den rechtlichen Spielraum auszunutzen und möglichst viele Dublin-Fälle zu inhaftieren. Gleichzeitig hat sich der rechtliche Spielraum der Behörden aufgrund der Dublin III-Verordnung der EU, welche an die Inhaftierung von Dublin-Fällen höhere Anforderungen stellt, verringert. Eine Dublin-Haft darf nur noch angeordnet werden, wenn eine erhebliche Gefahr besteht, dass die Person untertaucht. Angesichts des gestiegenen Anreizes, Personen zu inhaftieren, um den Vollzug der Wegweisung durchführen zu können, und den gleichzeitig rechtlich strengeren Vorgaben für eine Inhaftierung steigt das Risiko, dass die Grenze der Rechtmässigkeit bei der Anordnung der Administrativhaft überschritten wird. Wie der internationale Vergleich ergeben hat, sind zugleich die Verfahrens7587

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rechte gerade bei der Haft im Dublin-Verfahren in der Schweiz schwach ausgestaltet. Es ist deshalb fraglich, ob die vorhandenen Vorkehrungen zum Schutz der abgewiesenen Asylsuchenden weiterhin einen rechtmässigen Einsatz der Administrativhaft sicherzustellen vermögen.

7.4

Datenverwaltung des SEM ist ineffizient, fehleranfällig und von beschränktem Nutzen

Zwischen den bestehenden Datenverwaltungssystemen des SEM im Bereich des Wegweisungsvollzugs gibt es zahlreiche Doppelspurigkeiten. Diverse Angaben müssen mehrfach erfasst werden, was nicht nur doppelten Aufwand generiert, sondern auch eine Fehlerquelle darstellt. Zum Teil sind die Systeme zwar über Schnittstellen verbunden, die aber nicht einwandfrei funktionieren, was wiederum manuelle Nachbearbeitungen erforderlich macht. Ausserdem müssen etliche Daten bei der Kostenabrechnung zwischen Bund und Kantonen mehrmals abgetippt werden. Die Kantone erfassen z. B. die Angaben für die Hafttagespauschale elektronisch in einem Formular, das sie auf Papier dem SEM zustellen, wo die Angaben anhand der Einträge im ZEMIS geprüft und ins elektronische Zahlungssystem eingetippt werden. Die Verwaltung des Wegweisungsvollzugs ist damit eindeutig ineffizient und fehleranfällig.

Bei den Daten zur Administrativhaft, welche die Kantone im ZEMIS erfassen müssten, haben sich zudem Lücken offenbart. In vier Kantonen erwiesen sich diese als so gross, dass sie aus der statistischen Analyse ausgeschlossen wurden. Der Eintrag der Haft hat weder für die Kantone noch für das SEM hohe Priorität. Das SEM prüft den ZEMIS-Eintrag zwar bei der Rückerstattung der Tagespauschale, unternimmt bei Fehlern jedoch nichts. Ein korrekter Hafteintrag stellt keine Voraussetzung für die Kostenabgeltung dar. Damit fehlt den Kantonen ein Anreiz für die Nachführung der Daten. Das SEM hat seinerseits keine klare Frist hierfür festgesetzt. Viele Kantone machen die Einträge nach wie vor erst nach dem Haftende.

Im ZEMIS fehlen ferner Automatismen, welche die Datenaktualisierung unterstützen würden (z. B. Warnung bei Überschreiten der maximalen Haftdauer). Das System ist auf die Arbeitsprozesse im Asyl- und Ausländerbereich ausgerichtet, nicht auf statistische Auswertungen. Das Untertauchen einer Person wird beispielsweise nur erfasst, um in der Datenbank noch offene Geschäfte zu der Person abzuschliessen. Falls es keine solchen gibt, wird nichts registriert. Der Statistikdienst des SEM hat zudem lediglich Zugriff auf ZEMIS, nicht jedoch auf die übrigen Daten zum Wegweisungsvollzug. Ausserdem fehlen systematische Dokumentationen dazu, was wie erfasst wird, weshalb die Daten nur beschränkt interpretiert werden können.

Insgesamt ist die Datenverwaltung des SEM zum Wegweisungsvollzug nicht mehr zeitgemäss. Sie ist verbunden mit grossem Aufwand bei gleichzeitig beschränktem Nutzen.

7588

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Abkürzungsverzeichnis Abb.

Abs.

AG AI AIDA AR Art.

AsylG AuG BASS BBl BE BGG BL BS Bst.

Dublin NEE Dublin IIIVerordnung

ECRE EJPD EU EVZ FR GE GL GPK GPK-N GR JU KKJPD LU NE

Abbildung Absatz Kanton Aargau Kanton Appenzell Innerrhoden Asylum Information Database Kanton Appenzell Ausserrhoden Artikel Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (SR 142.31) Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz; SR 142.20) Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien Bundesblatt Kanton Bern Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz; SR 173.110) Kanton Basel-Landschaft Kanton Basel-Stadt Buchstabe Nichteintretensentscheid im Dublin-Verfahren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist European Council on Refugees and Exiles Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Europäische Union Empfangs- und Verfahrenszentrum des Bundes Kanton Freiburg Kanton Genf Kanton Glarus Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Kanton Graubünden Kanton Jura Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren Kanton Luzern Kanton Neuenburg

7589

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NEE NKVF NW OV-EJPD

Nichteintretensentscheid Nationale Kommission zur Verhütung von Folter Kanton Nidwalden Organisationsverordnung vom 17. November 1999 für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (SR 172.213.1) OW Kanton Obwalden PVK Parlamentarische Verwaltungskontrolle Rückführungs- Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates richtlinie vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger SEM Staatssekretariat für Migration SG Kanton St. Gallen SH Kanton Schaffhausen SO Kanton Solothurn SODK Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren SR Systematische Rechtssammlung SuG Bundesgesetz vom 5. Oktober 1990 über Finanzhilfen und Abgeltungen (Subventionsgesetz; SR 616.1) SZ Kanton Schwyz Tab.

Tabelle TG Kanton Thurgau TI Kanton Tessin UR Kanton Uri VD Kanton Waadt vgl.

vergleiche VS Kanton Wallis VVWAL Verordnung vom 11. August 1999 über den Vollzug der Wegund Ausweisung sowie der Landesverweisung von ausländischen Personen (SR 142.281) ZAG Bundesgesetz vom 20. März 2008 über die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes (Zwangsanwendungsgesetz; SR 364).

ZEMIS Zentrales Migrationsinformationssystem ZG Kanton Zug ZH Kanton Zürich

7590

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Literatur und Dokumentenverzeichnis ECRE: Asylum Information Database (AIDA), konsultiert unter: www.asylumineurope.org > Countries > Austria/France/Germany/Italy/Switzerland > Detention of Asylum Seekers (Stand: 21. Dez. 2016).

GPK-N (2005): Anwendung und Wirkung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Bericht der GPK-N auf der Grundlage einer Evaluation der PVK, 24. August 2005, BBl 2006 2579­2677.

Guggisberg, Jürg / Abrassart, Aurélien / Bischof, Severin (2017): Administrativhaft im Asylbereich: Mandat «Quantitative Datenanalysen». Schlussbericht zuhanden Parlamentarische Verwaltungskontrolle. Bern: Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS).

Hruschka, Constantin (2017): Dublin-Remonstrationsverfahren: Ein Instrument zur Umgehung der Dublin-Fristen? In: Schweizerische Zeitschrift für Asylrecht und -Praxis, 10­16.

Hruschka, Constantin / Nufer, Seraina (2017): Erste Erfahrungen mit der neuen Dublin-Haft. In: Jusletter 22. Mai 2017.

Jurado, Elena / Beirens, Hanne / Maas, Sheila et al. (2016): Evaluation of the Implementation of the Dublin III Regulation, Final report, 18 March 2016.

Brussels: European Commission, Directorate-General Migration and Home Affairs.

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PVK (2005): Evaluation der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Schlussbericht zuhanden der GPK-N, 15. März 2005, BBl 2006, 2603­2666.

SEM (2015): Artikel G5 ­ Die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht.

In: Handbuch Asyl und Rückkehr, 1. Mai 2015.

SEM (2016): Asylstatistik 2. Quartal 2016, 12. Juli 2016.

SEM (2017): Asylstatistik 2. Quartal 2017, 19. Juli 2017.

SEM (div.): Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. In: Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich (Weisungen AuG) vom 1. Januar 2008, 1. Juli 2009, 30. September 2011, 25. Oktober 2013, 4. Juli 2014, 13. Februar 2015, 1. Juli 2015, 24. Oktober 2016, 3. Juli 2017, Kapitel 9.

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Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner Gruppeninterviews mit kantonalen Migrationsbehörden Brodbeck, James Bruderer, Rolf Bugnon, Pascal Cavalheiro, Emanuele Chappuis, Mélanie Corradini, Marija Descloux, Nicolas Diem, Roland Eugster, Max Gamma, Serge Guderzo, Ramiro Guhl, Camillus Hofstetter, Carine Horvath, Stephan Leitz, Jan Macor, Roberto Maucci, Steve Meyer, Beat

7592

Sachbearbeiter Wegweisungsvollzug, Abteilung Asyl und Rückkehr, Amt für Migration, Kanton Basel-Landschaft Leiter Asyl und Vollzug, Migrationsamt, Kanton Thurgau Stv. Leiter Abteilung für Aufenthalt und Niederlassung / Teamleiter Wegweisung, Migrationsamt, Kanton Neuenburg Sachbearbeiterin Asyl der Abteilung Migration, Amt für Inneres, Kanton Appenzell Ausserrhoden Leiterin Abteilung Asyl und Wegweisungsvollzug, Amt für Bevölkerung und Migration, Kanton Freiburg Verantwortliche Wegweisungsvollzug, Abteilung Asyl, Bevölkerungsamt, Kanton Waadt Sachbearbeiter Wegweisungsvollzug, Amt für Bevölkerung und Migration, Kanton Freiburg Leiter Amt für Inneres und Leiter Abteilung Migration, Kanton Appenzell Ausserrhoden Asylkoordinator, Abteilung Sozialhilfe und Asyl, Amt für Soziales, Kanton Appenzell Ausserrhoden Amtsleiter, Migrationsamt, Kanton Neuenburg Stv. Abteilungschef / Teamchef Vollzug, Abteilung Asyl und Vollzug, Migrationsamt, Kanton Zürich Amtsleiter, Migrationsamt, Kanton Thurgau Stv. Leiterin Rechtsabteilung, Migrationsamt, Kanton Neuenburg Sachbearbeiter Wegweisungsvollzug, Abteilung Asyl und Rückkehr, Amt für Migration, Kanton Basel-Landschaft Chef Abteilung Asyl und Vollzug, Migrationsamt, Kanton Zürich Sachbearbeiter Wegweisungsvollzug, Abteilung Asyl und Rückkehr, Amt für Migration, Kanton Basel-Landschaft Amtsleiter, Bevölkerungsamt, Kanton Waadt Abteilungsleiter Asyl und Rückkehr, Amt für Migration, Kanton Basel-Landschaft

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Mosimann, Albin Rieder, Jean-Vincent Rouyard, Frédéric Schlatter, Vincent Weisskopf, Peter Wiedmer, Thierry Zanitti, Urs Zwyssig, Patrik

Stv. Amtsleiter, Direktion Finanzen und Verwaltung, Migrationsamt, Kanton Neuenburg Leiter Abteilung Asyl und Rückkehr, Bevölkerungsamt, Kanton Waadt Verantwortlicher Kommunikation, Bevölkerungsamt, Kanton Waadt Leiter Abteilung Asyl und Soziales, Migrationsamt, Kanton Neuenburg Mitarbeiter Wegweisungsvollzug, Abteilung Asyl und Rückkehr, Amt für Migration, Kanton BaselLandschaft Leiter der Abteilung für Aufenthalt und Niederlassung, Migrationsamt, Kanton Neuenburg Amtsvorsteher, Amt für Arbeit und Migration, Kanton Uri Leiter Abteilung Migration, Amt für Arbeit und Migration, Kanton Uri

Explorative Gespräche, Augenschein und Telefoninterviews Achermann, Alberto Achermann, Christin André, Steve

Astier, Sylvain Bachofner, Christian Baumgartner, Délia Blatter, Gabriela

Boxler, Roger

Assoziierter Professor für Migrationsrecht, Institut für öffentliches Recht, Universität Bern / Präsident NKVF Professorin für Migration, Recht und Gesellschaft, Zentrum für Migrationsrecht, Universität Neuenburg Sachbearbeiter Ausreisekosten, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, Sektion Rückkehrgrundlagen und Rückkehrhilfe, SEM Chef Abteilung Rückkehr, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, SEM Chef Sektion swissREPAT, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, SEM Fachspezialistin, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, Sektion Rückkehrgrundlagen und Rückkehrhilfe, SEM Sachbearbeiterin Ausreisekosten, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, Sektion Rückkehrgrundlagen und Rückkehrhilfe, SEM Chef Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen, Direktionsbereich Asyl, Abteilung EVZ, SEM 7593

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Caminada, Ignaz Cebrian, Alejandro Diodà, Gabriela Elsasser, Anna Feliser, Philippe

Fäh, Peter Friedli, Beat Gut, Bernard Gut, Bernardo Lehmann, Beat Leitz, Jan Lory, Thomas Michel, Martin Perler, Beat Schneeberger, Roger Steiner, Roger Weber, Adrian

7594

Stv. Chef Sektion Finanzaufsicht und Sonderabgabe, Direktionsbereich Asyl, Abteilung Subventionen, SEM Fachreferent, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, Sektion Amerika, Europa, GUS, Ferner Osten, SEM Leiterin Abteilung Asylkoordination, Rückkehrberatung, Sozialamt, Kanton Zürich Leiterin Bereich Rückkehr, Migrationsdienst, Kanton Bern Fachreferent Vollzug, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, Sektion Rückkehrgrundlagen und Rückkehrhilfe, SEM Leiter Fachgruppe Kapazitätsmonitoring Freiheitsentzug, KKJPD Chef Dienst Statistik, Direktionsbereich Planung und Ressourcen, Sektion Finanzen, Amtsplanung, Controlling, Statistik, SEM Amtsleiter, Kantonales Bevölkerungsamt, Kanton Genf Fachreferent GVA, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, Sektion swissREPAT, swissREPAT Genf-Cointrin, SEM Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Direktionsbereich Planung und Ressourcen, Sektion Finanzen, Amtsplanung, Controlling, Statistik, Dienst Statistik, SEM Chef Abteilung Asyl und Vollzug, Migrationsamt, Kanton Zürich Stv. Chef Sektion Rückkehrgrundlagen und Rückkehrhilfe, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, SEM Fachreferent Subventionen, Direktionsbereich Asyl, Abteilung Subventionen, Sektion Subventionen und Grundlagen, SEM Chef Sektion Rückkehrgrundlagen und Rückkehrhilfe, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, SEM Generalsekretär, KKJPD Fachspezialist, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, Sektion Rückkehrgrundlagen und Rückkehrhilfe, SEM Stv. Chef Empfangs- und Verfahrenszentrum Basel, Direktionsbereich Asyl, Abteilung EVZ, SEM

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Weber, Christoph Widmer, Anita

Widmer, Thomas

Fachreferent Subventionsrecht, Direktionsbereich Asyl, Abteilung Subventionen, Sektion Subventionen und Grundlagen, SEM Sachbearbeiterin Ausreisekosten, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, Sektion Rückkehrgrundlagen und Rückkehrhilfe, SEM Professor und Leiter des Forschungsbereichs Policy-Analyse und Evaluation, Institut für Politikwissenschaft, Universität Zürich

Validierungsinterviews Dieffenbacher, Albrecht Gattiker, Mario Perler, Beat Schneeberger, Roger

Chef Stabsbereich Recht, SEM Staatssekretär, SEM Chef Sektion Rückkehrgrundlagen und Rückkehrhilfe, Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, Abteilung Rückkehr, SEM Generalsekretär, KKJPD

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Anhang 1

Vorgehensweise der Evaluation Ziele der Politik:

Die Administrativhaft soll sicherstellen, dass Asylsuchende, die aus der Schweiz weggewiesen wurden und bei welchen es Anzeichen gibt, dass sie sich ihrer Wegweisung entziehen wollen, von den Behörden ausgeschafft werden können.


Dies wird erreicht durch:

Das Gesetz sieht verschiedene Formen der Administrativhaft zu unterschiedlichen Zeitpunkten vor. Für die Haftanordnung sind in der Regel die Kantone zuständig. Der Bund leistet an die Haft von Personen aus dem Asylbereich einen Kostenbeitrag.


Fokus der Evaluation:

Fragestellungen der Evaluation:

Angesichts der Kostenbeteiligung des Bundes fokussierte die Evaluation auf die Administrativhaft im Asylbereich. Nicht untersucht wurde die Administrativhaft im Ausländerbereich. Die Evaluation beleuchtet den Zusammenhang zwischen der Administrativhaft und einer allfälligen kontrollierten Ausreise. Zudem wurde die Anwendung der Haft in den Kantonen sowie die Rolle des Bundes näher untersucht.









Inwiefern ist die Administrativhaft ein wirksames Instrument für den Wegweisungsvollzug?

Inwiefern setzen die Kantone die Administrativhaft zweckmässig ein?

Inwiefern gibt es allenfalls Hinweise zur Rechtmässigkeit der Anwendung?

Inwiefern sorgt der Bund angemessen dafür, dass die Administrativhaft zweckmässig eingesetzt wird?






Durchgeführte Analysen:

7596

Statistische Analyse
(externes Mandat)
Europäischer Vergleich

(Hinweise aus allen durchgeführten Analysen)

Rechts- und
Dokumentenanalyse
Interviews

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Anhang 2

Kleine Ausschaffungshaft

Durchsetzungshaft

Zeitpunkt Anordnung der Haft

Ausschaffungshaft

Gesetzesartikel

Vorbereitungshaft

Übersicht Haftformen

75 AuG

76 AuG

77 AuG

78 AuG

vor Eröffnung des Wegweisungsentscheid

nach erstinstanzlicher Eröffnung des Wegweisungsentscheid

nach Rechtskraft nach Rechtskraft und Ablauf der und Ablauf der Ausreisefrist Ausreisefrist

Zweck

Vollzug der Absehbaren, Absehbaren, Person, deren erwarteten späteren objektiv möglichen objektiv mögli- WegweisungsvollWegweisung Wegweisungschen Wegweizug ohne ihre während der Dauer vollzug sicherstellen sungsvollzug Kooperation nicht der Vorbereitung des bei Vorliegen möglich ist, zu Wegweisungsentder Reisepapiere Verhaltensändescheids sicherstellen sicherstellen rung bewegen

Mögliche Haftgründe

Person weigert konkrete Anzeichen, Behörde musste Wegweisung kann sich, ihre Identität sich der Ausschaf- Reisedokumente aufgrund des offenzulegen, reicht fung zu entziehen, beschaffen persönlichen mehrere AsylAnordnungen der Verhaltens nicht gesuche unter Behörden nicht Folge vollzogen werden verschiedenen geleistet und mildere Identitäten ein, leistet Massnahme führt Anordnungen der Zudem: Eröffnung nicht zum Ziel des WegweisungsBehörden keine entscheids in EVZ Folge

Maximale Dauer ohne Verlängerung*

6 Monate

Gerichtliche Haftüberprüfung

automatisch, innert 96 Stunden, mündlich

nur Angabe zu Haft ab EVZ: 30 Tage

60 Tage

1 Monat

automatisch, automatisch, automatisch, innert innert 96 Stunden, innert 96 Stunden, 96 Stunden, mündlich.

schriftlich mündlich Haft ab EVZ: auf Antrag der inhaftierten Person, schriftlich

Legende: *: Dauer, für welche die jeweilige Haftform erstmalig höchstens angeordnet werden darf; zusätzlich gilt Art. 79 AuG. EVZ: Empfangs- und Verfahrenszentrum des Bundes.

7597

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Anhang 3

Voraussetzung Anordnung

Kurzfristige DublinAusschaffungshaft

Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Gesetzesartikel

Ausschaffungshaft im Dublin-Verfahren

Geltungsdauer der Regelung

Vorbereitungshaft im Dublin-Verfahren

Übersicht zusätzliche Haftformen im Dublin-Verfahren

01.01.2011­ 30.06.2015

01.01.2011­ 30.06.2015

01.01.2011­ 30.06.2015

ab 01.07.2015

Art. 75 Abs. 1bis AuG

Art. 76 Abs. 1 Bst. b Ziff. 1

Art. 76 Abs. 1 Bst. b Ziff. 6

Art. 76a AuG

Person bestreitet, Gleich wie NEE Dublin, kumulativ: dass sie in einem Vorbereitungshaft dessen 1.

konkrete Dublin-Staat ein im DublinVollzug Asylgesuch eingeVerfahren absehbar ist Anzeichen, dass sich Person dem reicht hat oder aufentVollzug entziehen haltsberechtigt ist will + 2. Haft ist verDublin-Gesuch wurde hältnismässig aufgrund Eurodac3.

weniger einTreffer gestellt oder schneidende Dublin-Staat hat dem Massnahmen Gesuch zugestimmt nicht wirksam anwendbar

Maximale Dauer ohne Verlängerung*

6 Monate

Gerichtliche Haftüberprüfung

automatisch, innert 96 Stunden, mündlich

keine Angabe

30 Tage

automatisch, auf Antrag der innert 96 Stunden, inhaftierten mündlich Person, schriftlich

7 Wochen + 6 Wochen (+ 5 Wochen + 3 Monate) auf Antrag der inhaftierten Person, schriftlich

Legende: *: Dauer, für welche die jeweilige Haftform erstmalig höchstens angeordnet werden darf; zusätzlich gilt Art. 79 AuG. Grau: Regelung bis 30. Juni 2015.

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Impressum Durchführung der Untersuchung Dr. Simone Ledermann, PVK (Projektleitung) Dr. Christian Hirschi, PVK (Teilprojektleitung statistischer Staatenvergleich) Elodie Sierro, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit) Christoph Wellig, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit) Andreas Tobler, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit) Expertenbericht «Quantitative Datenanalysen» Jürg Guggisberg, BASS (Projektleitung) Dr. Aurélien Abrassart, BASS (wissenschaftliche Mitarbeit) Severin Bischof, BASS (wissenschaftliche Mitarbeit) Dank Die PVK dankt dem Staatssekretariat für Migration, insbesondere der Sektion Rückkehrgrundlagen und Rückkehrhilfe und dem Statistikdienst, für die Bereitstellung der Daten und der Dokumente sowie für ihre Abklärungen und Auskünfte. Ein Dank gilt zudem allen Gesprächspartnerinnen und -partnern für ihre bereitwillige Teilnahme an den Interviews und für die erteilten Auskünfte. Schliesslich danken wir BASS für die angenehme Zusammenarbeit im Rahmen des externen Mandats.

Kontakt Parlamentarische Verwaltungskontrolle Parlamentsdienste CH-3003 Bern Tel. +41 58 322 97 99 E-Mail: pvk.cpa@parl.admin.ch www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > PVK Originalsprache des Berichts: Deutsch

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