13.407 Parlamentarische Initiative Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 3. Mai 2018

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

3. Mai 2018

Im Namen der Kommission Der Präsident: Pirmin Schwander

2018-1643

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Übersicht Die parlamentarische Initiative 13.407 verlangt, die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in den Straftatbestand von Artikel 261 bis StGB aufzunehmen.

Der nun von der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates ausgearbeitete Entwurf schlägt vor, die Bestimmung neben dem Kriterium der «sexuellen Orientierung» auch um das Kriterium der «Geschlechtsidentität» zu ergänzen. Damit soll der Anwendungsbereich von Artikel 261bis StGB nicht nur Hasskriminalität und Diskriminierungen wegen Hetero-, Homo- und Bisexualität erfassen, sondern auch solche wegen Transidentität- und Intergeschlechtlichkeit. Letztere gelten nicht als Ausdrucksformen der sexuellen Orientierung, sondern beziehen sich auf die Geschlechtsidentität.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Parlamentarische Initiative

Die parlamentarische Initiative 13.407 «Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung» wurde am 7. März 2013 von Nationalrat Mathias Reynard eingereicht. Sie lautet wie folgt: «Artikel 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches wird wie folgt geändert: Art. 261bis Diskriminierung und Aufruf zu Hass Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder Diskriminierung aufruft, wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung gerichtet sind, wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt, wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht, wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung verweigert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.» Der Initiant hält fest, dass in der Verfassung zwar die Diskriminierung aufgrund der Lebensform (Art. 8 Abs. 2) untersagt sei, bei der strafrechtlichen Verfolgung von Aufrufen zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung von Menschen aber eine Gesetzeslücke bestehe. Das Bundesgericht versage den Vereinigungen zum Schutz der Rechte homosexueller Personen die Klagebefugnis im Bereich der Ehrverletzungen (Art. 173 ff. StGB). Ebenso könne sich eine homosexuelle Person nicht auf die Verletzung ihrer Ehre berufen, wenn die homophoben Äusserungen an die homosexuelle Gemeinschaft gerichtet seien, da die Gerichte die Zielgruppe für solche Äusserungen als für zu unbestimmt erachten würden.1

1

Urteil (des Bundesgerichts) 6B_361/2010 vom 1. November 2010.

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Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates prüfte die Initiative an ihrer Sitzung vom 21. Februar 2014 vor und gab ihr mit 14 zu 10 Stimmen Folge. Ihre ständerätliche Schwesterkommission beschloss am 3. Juli 2014 mit 4 zu 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen, diesem Entscheid keine Zustimmung zu erteilen. Die Kommission des Nationalrates befasste sich deshalb am 13. November 2014 erneut mit der Initiative und beantragte ihrem Rat mit 14 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung, der Initiative Folge zu geben. Der Nationalrat gab der Initiative am 11. März 2015 mit 103 zu 73 Stimmen bei 9 Enthaltungen Folge. Daraufhin erteilte die Kommission des Ständerates am 23. April 2015 ihre Zustimmung und gab der Initiative mit 11 zu 1 Stimmen ebenfalls Folge. Am 17. März 2017 verlängerte der Nationalrat auf Antrag der Kommission die Frist zur Ausarbeitung einer Vorlage bis zur Frühjahrssession 2019.

1.2

Arbeiten der Kommission

Die Kommission diskutierte an ihrer Sitzung vom 3. Februar 2017 zwei Umsetzungsoptionen der parlamentarischen Initiative. Die erste Variante bestand darin, sich auf die primäre Zielsetzung der Initiative zu konzentrieren: Das Bekämpfen der Homophobie, sowie den Wortlaut des mit der Initiative vorgeschlagenen Gesetzestextes. Die zweite Variante sah vor, weiter zu gehen als die parlamentarische Initiative und neben der Ergänzung von Artikel 261bis des Strafgesetzesbuches2 (StGB) mit dem Kriterium «sexuelle Orientierung» zusätzlich das Kriterium «Geschlechtsidentität» in die Bestimmung aufzunehmen. Die Kommission kam zum Schluss, dass Transidente und Intergeschlechtliche Menschen betreffend Hasskriminalität und Diskriminierungen oft mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben wie Homo- oder bisexuelle Personen. Sie entschied sich deshalb mit 15 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung für die weitergehende Variante mit Aufnahme des Kriteriums «Geschlechtsidentität». Damit soll die Revision von Artikel 261bis StGB das Problem umfassend lösen und den Schutzbereich der Bestimmung auf sämtliche LGBTIPersonen3 erstrecken. Die Kommission hat die Petition 14.2034 «Jugendsession 2014. Ergänzung des Artikels 261bis StGB über die Rassendiskriminierung» gemäss Artikel 126 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20024 (ParlG) zusammen mit der parlamentarischen Initiative 13.407 behandelt. Die Petenten verlangen, Artikel 261bis StGB so zu ergänzen, dass jede Diskriminierung einer Person oder Personengruppe aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung strafbar ist.

Die Kommission hat sich an ihrer Sitzung vom 3. Februar 2017 zudem mit 13 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen gegen die Abschreibung der Initiative ausgesprochen und hat mit 16 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung die Frist für die Ausarbeitung einer Vorlage um zwei Jahre verlängert. Der Nationalrat hat sich am 17. März 2017 2 3

4

SR 311.0 LGBTI ist die internationale Bezeichnung für «Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Intersex» und steht für Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell und/oder transgender sind oder intergeschlechtliche Merkmale aufweisen.

SR 171.10

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mit 127 zu 49 Stimmen bei 20 Enthaltungen für die Fristverlängerung und gegen den Abschreibungsantrag der Kommissionsminderheit ausgesprochen.

An ihrer Sitzung vom 11./12. Mai 2017 hat die Kommission den Vorentwurf und den erläuternden Bericht genehmigt.

Zu diesem Vorentwurf wurde nach dem Vernehmlassungsgesetz vom 18. März 20055 (VlG) eine Vernehmlassung durchgeführt. Die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens, das vom 16. Juni 2017 bis zum 9. Oktober 2017 dauerte, sind Gegenstand eines Berichts6. Am 23. Februar 2018 nahm die Kommission Kenntnis von den Vernehmlassungsergebnissen und beschloss, die endgültige Fassung des Entwurfs, anzunehmen. Eine Minderheit (Nidegger, Bauer, Egloff, Geissbühler, Reimann Lukas, Rickli Natalie, Walliser, Zanetti) beantragt, auf den Entwurf nicht einzutreten. Sie ist der Ansicht, das Vorhaben gehe zu weit und löse auch nicht das Problem der Diskriminierung. In ihren Augen stellt eine solche Bestimmung ausserdem eine Gefahr für die Meinungsfreiheit dar. Die Minderheit kritisiert schliesslich den Wortlaut der Bestimmung und weist auf die Auslegungsprobleme rund um die Begriffe sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität hin.

Aufgrund der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens beschloss die Kommission, im erläuternden Bericht, die Ausdrücke «Transsexualität» und «Intersexualität» durch «Transidentität» und «Intergeschlechtlichkeit» zu ersetzen. Am 3. Mai 2018 verabschiedete sie den vorliegenden erläuternden Bericht und überwies ihren Entwurf dem Bundesrat zur Stellungnahme (Art. 112 Abs. 3 ParlG). Die Kommission wurde bei ihrer Arbeit gemäss Artikel 112 Absatz 1 ParlG vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unterstützt.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Ausgangslage im geltenden Recht

2.1.1

Artikel 261bis Strafgesetzbuch

Artikel 261bis StGB wurde durch Artikel 1 des Bundesgesetzes vom 18. Juni 1993 7 im Strafgesetzbuch eingefügt und ist seit dem 1. Januar 1995 in Kraft. Hintergrund der Schaffung des Artikel 261bis StGB sowie des analogen Artikel 171c des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 19278 (MStG) war der Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen von 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung9 (UN-Rassendiskriminierungskonvention). Gegen die Einführung von Artikel 261bis StGB wurde das fakultative Referendum ergriffen. Die Vorlage wurde

5 6

7 8 9

SR 172.061 Dieser Bericht kann auf der Webseite der Kommissionen für Rechtsfragen abgerufen werden: www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Sachbereichskommissionen > Kommissionen für Rechtsfragen > Berichte und Vernehmlassungen > Vernehmlassungen > 13.407.

AS 1994 2887 2888; BBl 1992 III 269 SR 321.0 SR 0.104

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in der Volksabstimmung vom 25. September 1994 mit einer Mehrheit von 54,6 % der Stimmenden angenommen.10 Die Norm ist im zwölften Titel des Strafgesetzbuches aufgeführt, der sich auf Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden bezieht. Bei den in Artikel 261bis StGB geregelten strafbaren Handlungen handelt es sich um Vergehen. Das Rechtsgut, das durch die Bestimmung geschützt wird, ist die Würde des Menschen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer Rasse, Ethnie oder Religion und nur mittelbar oder akzessorisch der öffentliche Friede.11 Artikel 261bis StGB wurde als Anpassung an das Völkerrecht konzipiert. Auf die Aufnahme anderer Kriterien, wie das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder die Weltanschauung wurde bewusst verzichtet. Zur Begründung wurde in der Botschaft vom 2. März 1992 festgehalten, dass dies einerseits den Rahmen der Gesetzesrevision sprengen würde und es sich andererseits um eine Anschlussgesetzgebung in Bezug auf den Beitritt der Schweiz zur UN-Rassendiskriminierungskonvention handle. Schliesslich passe ein allgemeiner Diskriminierungsartikel nicht in den Kontext der Straftaten gegen den öffentlichen Frieden.12 Artikel 261bis StGB stellt ein Offizialdelikt dar, das heisst die Strafverfolgung erfolgt von Amtes wegen. Vereinigungen und Verbände haben entsprechend dem allgemeinen Prinzip im Straf- und Strafprozessrecht keine Parteistellung (vgl.

Ziff. 3.1).

Angriffsobjekt von Artikel 261bis StGB sind entweder einzelne Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten rassischen, ethnischen oder religiösen Gruppe oder ­ anders als bei den Ehrverletzungsdelikten (vgl. Ziff. 2.1.2) ­ unmittelbar die Gruppe selbst. Gemeinsame Voraussetzung der in Absatz 1 bis 5 umschriebenen Tathandlungen ist eine Verletzung der Menschenwürde. Die Menschenwürde gilt als verletzt, wenn einer Person oder Personengruppe aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeiten die Gleichberechtigung bzw. die Gleichwertigkeit als menschliches Wesen abgesprochen wird.13 Die Tathandlung muss grundsätzlich öffentlich erfolgen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts gelten Tathandlungen als öffentlich, wenn sie an einen grösseren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhängenden Kreis von Personen gerichtet sind. Öffentlich sind danach Handlungen, die nicht im privaten Rahmen erfolgen,
d. h. nicht «im Familien- und Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägtes Umfeld». Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hängt von den konkreten Umständen ab, wobei auch die Zahl der Adressaten von Bedeutung, aber nicht allein ausschlaggebend sein kann.14 10 11

12

13 14

BBl 1994 V 531 D. Schleiminger Mettler, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht II, Art. 111-392 StGB, 3. Aufl., Basel 2013, Art. 261bis N 7; BGE 130 IV 111, 118; BGE 140 IV 67, 69.

Botschaft über den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen von 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und über die entsprechende Strafrechtsrevision vom 2. März 1992; BBl 1992 III 269, 311.

D. Schleiminger Mettler, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht II, Art. 111-392 StGB, 3. Aufl., Basel 2013, Art. 261bis N 8 ff.

BGE 130 IV 111, 113 E. 3.1 und 119 E. 5.2.1.

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Absatz 1 Nach Absatz 1 macht sich strafbar, wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft.

Die Tatvariante «Aufruf zu Hass» erfasst Fälle, in denen andere Personen durch das Schüren von Emotionen dazu gebracht werden sollen, an die genannten Kriterien anknüpfende Hassgefühle zu entwickeln bzw. bereits vorhandenem Hass freien Lauf zu lassen.15 Die Äusserung muss eine bestimmte Intensität erreichen. Massgebend ist, wie die Äusserung von einem unbefangenen Durchschnittsempfänger verstanden werden muss.16 Unter der Tatvariante «Aufruf zur Diskriminierung» sind Fälle zu verstehen, in denen zu einem Verhalten aufgerufen wird, das andere Personen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnisch, rassisch, oder religiös definierten Gruppe in ihrer Menschenwürde beeinträchtigt, das heisst ihren Anspruch auf prinzipiell gleiche Anerkennung als menschliches Wesen missachtet.17 Strafbar ist nur der öffentliche Aufruf (vgl. oben). In subjektiver Hinsicht muss der Täter vorsätzlich handeln.

Absatz 2 Absatz 2 erfasst, das öffentliche Verbreiten von Ideologien, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind. Die Tathandlung besteht darin, dass der Täter das Gedankengut verbreitet, das heisst sich nicht nur dazu bekennt, sondern die Ausdehnung dieses Gedankengutes im Sinne eines «Werbens» mittels Schrift, Bild, Geste, usw.

fördert. Massgebend ist die Zielrichtung der Handlung: Der Täter muss sich an einen möglichst grossen Adressatenkreis wenden, im Bestreben diesen (werbend) zu beeinflussen.18 Das Tatverhalten muss wie bei Absatz 1 öffentlich und vorsätzlich erfolgen.

Absatz 3 Absatz 3 erfasst das Organisieren und Fördern sowie die Teilnahme an Propagandaaktionen, mit denen öffentlich zu Hass oder zur Diskriminierung aufgerufen und/ oder diskriminierende Ideologien öffentlich verbreitet werden. Die Tatbestandsvariante der Teilnahme an Propagandaaktionen ist erfüllt bei aktiver Unterstützung. Die blosse Anwesenheit bei einer einschlägigen Veranstaltung als Zuhörer reicht nicht

15 16 17 18

Stratenwerth/Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 3. Aufl., Bern 2013, Art. 261bis N 2; BGE 123 IV 207.

D. Schleiminger Mettler, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht II, Art. 111-392 StGB, 3. Aufl., Basel 2013, Art. 261bis N 32.

Stratenwerth/Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 3. Aufl., Bern 2013, Art. 261bis N 2; BGE 124 IV 124.

D. Schleiminger Mettler, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht II, Art. 111-392 StGB, 3. Aufl., Basel 2013, Art. 261bis N 36; BGE 140 IV 102.

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aus. Ebenso nicht ausreichend ist der Besitz oder das Einführen von Propagandamaterial, wenn dieses ausschliesslich dem Eigengebrauch dient.

Die Vorbereitung und Teilnahme an Propagandaaktionen müssen nicht öffentlich erfolgen.19 In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich.

Absatz 4 Absatz 4 enthält wiederum zwei Tatvarianten. Nach der ersten macht sich strafbar, wer in irgendeiner Form eine Person oder eine Personengruppe wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion herabsetzt oder diskriminiert. Die Herabsetzung oder Diskriminierung kann durch Wort, Schrift, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise erfolgen. Auch Äusserungen gegenüber Dritten reichen aus.20 Es wird vorausgesetzt, dass der Täter eine Person oder eine Gruppe von Personen «in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise» herabsetzt oder diskriminiert. Begriffe wie «Sau», «Dreck» und ähnliche in Verbindung mit bestimmten Nationalitäten beziehungsweise Ethnien [sowie Rassen und Religionen] werden, jedenfalls soweit sie gegen konkrete einzelne Personen gerichtet sind, vom unbefangenen durchschnittlichen Dritten als mehr oder weniger primitive fremdenfeindlich motivierte Ehrverletzungen, aber nicht als rassistische Angriffe auf die Menschenwürde aufgefasst. Sie erfüllen daher den Tatbestand von Artikel 261 bis Absatz 4 erste Hälfte StGB nicht.21 Das Tatverhalten muss öffentlich und vorsätzlich erfolgen. Dabei reicht es aus, dass der Täter eine rassendiskriminierende Interpretation seiner Äusserung respektive seines Verhaltens in Kauf genommen hat.22 Die zweite Tatvariante von Absatz 4 erfasst das Bestreiten sowie Rechtfertigen historisch belegter Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Hauptanwendungsfall ist die sogenannte «Auschwitzlüge» also das Bestreiten bzw. Verharmlosen der Geschichtlichkeit des Holocausts.23 In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich. Zudem muss der Täter mit der Intention handeln, andere wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion herabzusetzen oder zu diskriminieren.24 Am 15. Oktober 2015 kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zum Schluss, dass die Schweiz im Fall Perinçek im Zusammenhang mit Artikel 261bis Absatz 4 StGB die Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 10 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 25 [EMRK]) verletzt habe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in die19 20 21 22 23 24 25

Stratenwerth/Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 3. Aufl., Bern 2013, Art. 261bis N 11.

BGE 126 IV 25 BGE 140 IV 67, 73 BGE 133 IV 312 D. Schleiminger Mettler, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht II, Art. 111-392 StGB, 3. Aufl., Basel 2013, Art. 261bis N 58.

Stratenwerth/Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 3. Aufl., Bern 2013, Art. 261bis N 11.

SR 0.101

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sem Urteil jedoch nicht die Vereinbarkeit von Artikel 261 bis StGB mit Artikel 10 EMRK an sich in Frage gestellt, sondern die Anwendung der Strafnorm im Einzelfall gerügt.26 Absatz 5 Absatz 5 erfasst Fälle, in denen der Täter eine von ihm angebotene, für die Allgemeinheit bestimmte Leistung einer Person oder einer Personengruppe wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert. Wird eine Leistung an jedermann gerichtet, darf sie nicht aus ethnisch, rassisch oder religiös motivierten Gründen vorenthalten werden. Wird eine Leistung von Beginn an nur einer bestimmten Gruppe angeboten, greift Absatz 5 dann, wenn keine sachlichen Gründe für die Beschränkung gegeben sind und diese der Umgehung des Diskriminierungsverbotes dient. Wenn sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung bestehen, ist der Tatbestand nicht erfüllt.27 Öffentliches Handeln ist bei der Tatvariante von Absatz 5 nicht erforderlich. Der Täter muss jedoch vorsätzlich handeln.

Absatz 6 Für alle diese Tathandlungen lautet die Strafandrohung Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

2.1.2

Weitere Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierungen

Nach Artikel 8 Absatz 2 Bundesverfassung28 (BV) darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. Die Aufzählung ist nicht abschliessend. Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung (Hetero-, Homo- oder Bisexualität; vgl.

Ziff. 2.2) fallen nach herrschender Lehre und Praxis unter das Kriterium «Lebensform»29, und das Diskriminierungsverbot aufgrund der Geschlechtsidentität (Inter-

26

27 28 29

Bericht des Bundesamtes für Justiz vom 2. Februar 2016 über die Umsetzung des Urteils Perinçek gegen die Schweiz zuhanden des Ministerkomitees des Europarates (Bilan d'action, Perinçek contre Suisse [Grande Chambre], arrêt du 15 octobre 2015); abrufbar unter: www.coe.int/fr/web/execution > Affaires > Communications > Suisse > Affaire Perinçek c. Suisse (27510/08) > DD(2016)157 ­ Communication des autorités suisses ­ Bilan d'action ­ 04.02.2016.

D. Schleiminger Mettler, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht II, Art. 111-392 StGB, 3. Aufl., Basel 2013, Art. 261bis N 75a.

SR 101 R. Schweizer, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender (Hrsg.), Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl., Zürich 2014, Kommentar zu Art. 8 BV, Rz 75.

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geschlechtlichkeit und Transidentität; vgl. Ziff. 2.2) wird von der Lehre unter das Kriterium «Geschlecht» subsumiert30.

Im Strafgesetzbuch finden sich heute schon Straftatbestände, die bei Hasskriminalität und Diskriminierungen gegen LGBTI-Personen relevant sein können, indem sie ein bestimmtes Verhalten für alle Personen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität unter Strafe stellen. Zu denken ist insbesondere an die Ehrverletzungsdelikte (Art. 173 ff. StGB). Artikel 177 StGB (Beschimpfung) schützt vor Angriffen gegen die Ehre eines Menschen durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten. Wird jemand beispielsweise aufgrund oder unter abschätziger Nennung seiner sexuellen Orientierung in seiner Ehre angegriffen und beschimpft, kann der Täter, auf Antrag, wegen Beschimpfung im Sinne von Artikel 177 StGB mit einer Geldstrafe von bis zu 90 Tagessätzen bestraft werden.

Weiter relevant sind die Strafnormen der üblen Nachrede (Art. 173 StGB)31, der Verleumdung (Art. 174 StGB) oder der Drohung (Art. 180 StGB)32. Auch die Strafnorm der sexuellen Belästigung (Art. 198 StGB) oder die Körperverletzungsdelikte (Art. 122 ff. StGB) können zur Anwendung kommen.

Die Ehrverletzungsdelikte (Art. 173 ff. StGB) schützen allerdings die persönliche Ehre einer einzelnen Person bzw. einer bestimmten, konkreten Personengruppe. Die Strafbarkeit setzt damit voraus, dass sich die ehrverletzende Äusserung auf einzelne, konkrete Personen bezieht. Nur diesen Personen wird die Opfereigenschaft zugesprochen und nur sie sind befugt, den bei Ehrverletzungsdelikten nötigen Strafantrag zu stellen. Personenmehrheiten ohne eigene Rechtspersönlichkeit haben keine eigene Ehre. Eine Äusserung, die gegen ein Kollektiv gerichtet ist, kann nur dann die Ehre der einzelnen Mitglieder verletzen, wenn die Personengruppe, die angegriffen wird, so klein ist, dass man die Behauptung auch auf einzelne Mitglieder dieser Gruppe beziehen kann.33 Bei herabwürdigenden und diskriminierenden Äusserungen gegen eine grosse Gruppe als Ganzes sind die geltenden Strafbestimmungen der Ehrverletzungsdelikte nicht anwendbar. Zudem sind Vereinigungen nicht berechtigt, Strafantrag zu stellen.34 Im Zivilrecht schützen die Artikel 28 ff. Zivilgesetzbuch 35 (ZGB) vor Persönlichkeitsverletzungen. Wird eine Person wegen ihrer
sexuellen Orientierung oder wegen ihrer Geschlechtsidentität in ihrer Persönlichkeit verletzt, kann sie dem Gericht beantragen, die Verletzung zu verbieten, zu beseitigen oder die Widerrechtlichkeit festzustellen, wenn sich diese weiterhin störend auswirkt.36 Sie kann auch das Recht 30 31

32

33

34 35 36

Müller/Schefer, Grundrechte in der Schweiz, Im Rahmen der Bundesverfassung, der EMRK und der UNO-Pakte, 4. Aufl., Bern 2008, S. 737.

Urteil des Bundesgerichts 6B_562/2011 vom 5. Dezember 2011: Artikel 173 Absatz 1 StGB erfüllt, indem einem Mann gedroht wurde, ihn am Arbeitsplatz und in seiner Familie als homosexuell zu denunzieren.

Urteil des Bundesgerichts 6B_351/2007 vom 9. November 2007: Artikel 180 StGB erfüllt. Ein Mann wurde am Telefon unter anderem als «schwule Sau mit Ohrring» beschimpft und mit dem Herausreissen des Ohrrings bedroht.

Riklin, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht II, Art. 111-392 StGB, 3. Aufl., Basel 2013, vor Art. 173 N 52; Urteil des Bundesgerichts 6B_361/2010 vom 1. November 2010.

vgl. Art. 31 StGB; Urteil des Bundesgerichts 6B_361/2010 vom 1. November 2010.

SR 210 Art. 28a ZGB

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auf Gegendarstellung beanspruchen, sofern die Verletzung durch die Medien begangen wurde.37 Die Presse darf beispielsweise keine (wahren) Tatsachen aus dem Geheim- oder Privatbereich einer homosexuellen Person bekanntgeben, wenn die homosexuelle Person dadurch in unzulässiger Weise herabgesetzt wird, weil die Form der Darstellung unnötig verletzt.38

2.1.3

Empfehlungen

In Erfüllung des Postulates von Nationalrat Martin Naef 12.3543 «Bericht zum Recht auf Schutz vor Diskriminierung» wurde das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) beauftragt, eine Studie über den Zugang zur Justiz bei Diskriminierungen in der Schweiz zu erstellen. Die Studie befasste sich unter anderem mit dem Diskriminierungsbereich LGBTI. Der Bericht des Bundesrates «Recht auf Schutz vor Diskriminierung» vom 25. Mai 2016 fasst die Ergebnisse der Studie und die Empfehlungen des SKMR zusammen. Betreffend den Diskriminierungsbereich LGBTI empfiehlt das SKMR unter anderem explizit eine Ausweitung des Schutzbereichs von Artikel 261bis StGB, um öffentliche Verleumdungen und Herabsetzungen von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ahnden zu können.

In den letzten Jahren haben sich auch die internationalen Menschrechtsorgane für die Durchsetzung der Menschenrechte im LGBTI-Bereich eingesetzt und entsprechende Empfehlungen an die Adresse der Staaten formuliert. So hat beispielsweise das Ministerkomitee des Europarates die Mitgliedstaaten in ihrer Empfehlung «CM/Rec(2010)5, Massnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität vom 31. März 2010» aufgefordert, «angemessene Massnahmen zu ergreifen, um alle Formen des Ausdrucks [...] zu bekämpfen, die begründeterweise dahingehend verstanden werden könnten, dass sie Hass oder andere Formen der Diskriminierung von lesbischen, schwulen, bisexuellen Personen und Transgendern schüren, verbreiten oder fördern. Diese sollten verboten und öffentlich verurteilt werden, wann immer sie geäussert werden».39

37 38

39

Art. 28g ZGB BGE 126 II 305; Urteil des Bundesgerichts 5A_376/2013 vom 29. Oktober 2013: Ehrverletzung des Sängers Michael von der Heide durch den «Blick» bejaht. Der Blick veröffentlichte nach der Niederlage von Michael von der Heide am Eurovision Song Contest eine Fotomontage, welche den Kopf des Sängers auf dem Körper der deutschen Gewinnerin Lena Meyer-Landrut zeigte, begleitet von der Schlagzeile: «Wir wollen auch eine Lena! ... aber keine mehr von der Heide.» Das Bundesgericht bejahte die Persönlichkeitsverletzung und hielt im Urteil fest, dass Michael von der Heide als bekennender Homosexueller der Lächerlichkeit preisgegeben werde und durch die Fotomontage als das dargestellt werde, was salopp und abwertend unter dem Begriff «Tunte» verstanden werden könne.

Empfehlung Ziff. 6.

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Zudem hat der Bundesrat am 29. April 2015 beschlossen, die Absichtserklärung von Valletta zu genehmigen, die von einer Gruppe von Mitgliedstaaten des Europarates ausgearbeitet und von 18 dieser Länder angenommen wurde. Darin wird die Verpflichtung bekräftigt, die im Rahmen der oben genannten Empfehlung des Ministerausschusses des Europarates abgegeben wurde. Die Erklärung soll die Empfehlung von 2010 ergänzen, indem sie eine ausdrückliche Ausweitung des Schutzes auf Intersexmenschen und die Bekämpfung aller Formen der sozialen Ausgrenzung wegen Nichtkonformität mit Geschlechterstereotypen vorsieht.

Im Rahmen der zweiten universellen periodischen Überprüfung des UNO-Menschenrechtsrates erhielt die Schweiz 2012 unter anderem die Empfehlung, Massnahmen zur Erweiterung der Strafbestimmungen über Hassreden zu treffen, um neben Rasse, Religion oder Herkunft auch Faktoren wie Sprache, Hautfarbe, Geschlecht, körperliche oder geistige Behinderung, sexuelle Orientierung und ähnliche Gründe einzubeziehen bzw. ein Bundesgesetz zum Schutz vor jeder Form von Diskriminierung zu verabschieden, auch aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität. Die Schweiz hat diese Empfehlung mit der Begründung, dass die Schweiz ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen erfülle, abgelehnt.40 Direkt an die Adresse der Schweiz richtete sich auch der Ausschuss für die Kinderrechte in seinen abschliessenden Bemerkungen von 2015. Es wird empfohlen, die Förderung einer Kultur von Toleranz und gegenseitigem Respekt zu intensivieren sowie umfassende Rechtsgrundlagen gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität zu schaffen und diese in Artikel 261 bis StGB zu verankern.41 Dieselbe Empfehlung findet sich auch im fünften Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) vom 19. Juni 2014, wo der Schweiz nahegelegt wird, «eine umfassende Gesetzgebung gegen Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität zu verabschieden und diese Gründe in Artikel 261bis StGB aufzunehmen».42

2.2

Die beantragte Neuregelung

Die Kommission ist der Meinung, dass der Anwendungsbereich von Artikel 261 bis StGB nicht nur auf Hasskriminalität und Diskriminierungen wegen Hetero-, Homound Bisexualität erweitert werden soll, sondern auch auf solche wegen Transidentität43 und Intergeschlechtlichkeit44. Transidente und Intersexmenschen haben betref-

40 41 42 43

Stellungnahme der Schweiz zu den offenen UPR Empfehlungen vom 27. Februar 2013, S. 11.

Empfehlung Ziff. 25.

Empfehlung Ziff. 19 und 78.

Transidentität beschreibt Menschen, deren Geschlechtsidentität sich von dem Geschlecht, welches ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde, unterscheidet. Diese Menschen kommen mit einem eindeutig männlich oder eindeutig weiblichen Körper zur Welt, sie identifizieren sich aber als das andere Geschlecht, als zwischen den Geschlechtern oder als ein bisschen von beiden. Transmenschen befinden sich in einer Diskrepanz zwischen ihrer Geschlechtsidentität und dem zugeschriebenen Geschlecht. Sie können eine homosexuelle, heterosexuelle oder bisexuelle Orientierung haben (vgl. Hammarberg, 2011, S. 132).

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fend Hasskriminalität und Diskriminierungen oft mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie homo- und bisexuelle Personen. Zudem stellen auch die ausländischen Rechtsordnungen, die einen Straftatbestand wegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung enthalten, gleichzeitig die Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität oder des Geschlechts unter Strafe (vgl. Ziff. 2.3). Und auch die unter Ziffer 2.1.3 erwähnten Empfehlungen fordern einen Diskriminierungsschutz aufgrund beider Kriterien. Deshalb beantragt die Kommission, Artikel 261 bis StGB mit den Kriterien «sexuelle Orientierung» und «Geschlechtsidentität» zu ergänzen, obwohl sie Merkmale sind, die in der Bundesverfassung in Artikel 8 Absatz 2 nur implizit mit den Merkmalen «Lebensform» und «Geschlecht» erwähnt sind.

Unter sexueller Orientierung versteht man die Fähigkeit eines Menschen, sich emotional und sexuell intensiv zu Personen desselben (homosexuell) oder eines anderen Geschlechts (heterosexuell) oder mehr als eines Geschlechts (bisexuell) hingezogen zu fühlen und vertraute und sexuelle Beziehungen mit Ihnen zu führen. 45 Vom Begriff der sexuellen Orientierung ist der Begriff der sexuellen Präferenz/ Sexualpräferenz (auch sexuelle Neigung) zu unterscheiden. Sexualpräferenz ist ein Oberbegriff für sexuelle Vorlieben, Neigungen, Wünsche und Phantasien, die sich in entsprechenden sexuellen Verhaltensweisen äussern können. Die Vorlieben können sich auf bestimmte sexuelle Praktiken, auf bestimmte Sexualpartner oder -objekte bzw. generell auf ein bestimmtes Geschlecht gerichtet beziehen. Die Begriff Sexualpräferenz und sexuelle Neigung werden auch für solche sexuellen Vorlieben oder Neigungen gebraucht, die als von einer Norm abweichend angesehen werden können. Pathologische, krankhaft gestörte Sexualpräferenzen werden als Paraphilien bezeichnet (z. B. Sadomasochismus, Fetischismus oder Pädophilie).

Der Begriff der Geschlechtsidentität bezieht sich auf das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, das mit dem Geschlecht, welches der betroffene Mensch bei seiner Geburt hat, übereinstimmt oder nicht.

Dies schliesst die Wahrnehmung des eigenen Körpers (darunter auch die freiwillige Veränderung des äusseren körperlichen Erscheinungsbildes oder der Funktion des Körpers durch medizinische,
chirurgische oder andere Eingriffe) sowie andere Ausdrucksformen des Geschlechts, z. B. durch Kleidung, Sprache und Verhaltensweisen, ein.46 Transidentität und Intergeschlechtlichkeit gelten nicht als Ausdrucksformen der sexuellen Orientierung, sondern beziehen sich auf die Geschlechtsidentität.

Im Rahmen der Vernehmlassung wurde das Argument vorgebracht, dass die Intergeschlechtlichkeit nicht einer Geschlechtsidentität entspreche, sondern sich auf die 44

45 46

Unter Intergeschlechtlichkeit ist «ein biologisch nicht eindeutiges Geschlecht» zu verstehen. Das heisst, dass die Entwicklung des chromosomalen, genodalen und anatomischen Geschlechts atypisch verläuft und infolgedessen die geschlechtsdifferenzierenden Merkmale nicht übereinstimmend eindeutig männlich oder weiblich sind. Der Genotyp (genetische Anlagen) entspricht als nicht dem Phänotyp (körperliches Erscheinungsbild), und auch der Phänotyp kann unter Umständen nicht eindeutig einem weiblichen oder einem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Dieser Umstand kann bereits bei der Geburt erkennbar sein, während der Pubertät offenbar werden oder nur durch eine medizinische Untersuchung sichtbar werden (vgl. Hammarberg, 2011, S. 132; UNHCR Guidelines NR. 9, S. 4).

Yogyakarta-Prinzipien, Hirschfeld Eddy Stiftung, S. 11 Fn 1.

Yogyakarta-Prinzipien, Hirschfeld Eddy Stiftung, S. 11 Fn 2.

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physischen (geschlechtlichen) Merkmale beziehe, weshalb der Begriff der «Geschlechtsmerkmale» in die Liste der Kriterien von Artikel 261bis StGB aufzunehmen sei. In den strafrechtlichen Normen zur Anti-Diskriminierung der europäischen Staaten ist die Intergeschlechtlichkeit trotz allem in den Begriffen Geschlecht, Geschlechtsidentität oder noch generelleren Begriffen enthalten47. Ausserdem erwähnen die oben genannten internationalen Empfehlungen zum strafrechtlichen Schutz gegen Diskriminierung (Ziff. 2.1.3) keine anderen Kriterien als die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität.

Es wird hingegen auf den Begriff sexuelle Identität verzichtet, denn er wird uneinheitlich verwendet. Sexuelle Identität bezeichnet die auf sexueller Orientierung basierende Identität eines Menschen. Die sexuelle Identität ist auf das Individuum bezogen und beschreibt, wie sich die Person selbst definiert, währendem die sexuelle Orientierung auf eine andere Person gerichtet ist und das nachhaltige Interesse einer Person bezüglich des Geschlechts eines potenziellen Partners definiert. Andererseits wird teilweise davon ausgegangen, dass die sexuelle Identität das grundlegende Selbstverständnis der Menschen ist, wer sie als geschlechtliches Wesen seien, wie sie sich selbst wahrnehmen und wie sie von anderen wahrgenommen werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Begriff sowohl das geschlechtliche Selbstverständnis (biologisches, psychisches und soziales Geschlecht), als auch die sexuelle Orientierung umfasse. Bei diesem Verständnis des Begriffs sexuelle Identität gelten homosexuelle Männer und Frauen ebenso wie heterosexuelle, bisexuelle, transidentensexuelle oder intergeschlechtliche Menschen als erfasst. Andererseits wird der Begriff sexuelle Identität häufig auch als Synonym für sexuelle Orientierung verwendet, so dass Transidentität und Intergeschlechtlichkeit nicht erfasst sind.

Die neuen Kriterien sollen mit den erforderlichen sprachlichen Anpassungen in die Absätze 1­5 von Artikel 261bis StGB eingefügt werden. Die Tatvarianten sollen darüber hinausgehend jedoch keine materiellen Änderungen erfahren. Auch die Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe soll unverändert bleiben.

Schliesslich sollen die Ergänzungen in gleicher Weise auch in das Militärstrafgesetz vom 13. Juni 192748 (MStG) aufgenommen werden.

2.3

Rechtsvergleich

Verschiedene europäische Länder kennen bereits Strafbestimmungen gegen Aufrufe zu Hass, Gewalt oder Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung.

In Österreich stellt Artikel 283 Strafgesetzbuch (StGB-A) die Verhetzung unter Strafe. Die Strafdrohung ist Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren.49 Artikel 283 Straf47

48 49

Vgl. Ziff. 2.3, sowie die vergleichende rechtliche Analyse 2015 der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte «Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität sowie der Geschlechtsmerkmale in der EU», Ziff. 4.2.

SR 321.0 Abweichende Strafdrohungen in den qualifizierten und privilegierten Tatvarianten nach Absatz 2­4.

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gesetzbuch (StGB-A) schützt Personen und Personengruppen, die anhand folgender Kriterien definiert werden können: Kirche oder Religionsgemeinschaft, Rasse, Hautfarbe, Sprache Religion oder Weltanschauung, Staatsangehörigkeit, Abstammung oder nationalen oder ethnischen Herkunft, Geschlecht, körperliche oder geistige Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung. Die Kriterien Hautfarbe, Sprache, Weltanschauung, Geschlecht, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung wurden am 1. Januar 2012 in Artikel 283 StGB-A aufgenommen.50 Der Verhetzungsparagraph bestraft einerseits Äusserungen, die auf die Herbeiführung von Gewalt oder Hass gegen bestimmte Personen und Personengruppen abzielen, andererseits werden Äusserungen bestraft, die auf die Verächtlichmachung von bestimmten Personen und Personengruppen abzielen. Die Äusserungen müssen darauf abzielen, den Adressaten in der Achtung seiner Mitmenschen als unwert oder unwürdig hinzustellen. Die Verhetzung muss öffentlich erfolgen. Das heisst, sie muss für zumindest 30 Personen («viele Menschen») wahrnehmbar sein. Ist sie für über 150 Personen wahrnehmbar («breite Öffentlichkeit»), drohen strengere Strafen. 51 Nach Artikel 225 Absatz 1 bis 4 des Code pénal von Frankreich sind diskriminierende Handlungen wegen der Herkunft, des Geschlechts, der familiären Situation, der Schwangerschaft, des Aussehens, des Familiennamens, des Gesundheitszustandes, einer Behinderung, genetischer Merkmale, Sitten, der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität, des Alters, der politischen Meinung, gewerkschaftlicher Aktivitäten, der Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit oder einer bestehenden oder vermuteten Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation, Rasse oder Religion verboten.

Auch beispielsweise in den Niederlanden52 und in Dänemark53 wurden Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung der Rassendiskriminierung gleichgestellt und sind strafbar.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Strafgesetzbuch

Art. 261bis

Diskriminierung und Aufruf zu Hass

Die Aufzählung der Merkmale «Rasse, Ethnie oder Religion» in den geltenden Absätzen 1­5 ist mit den Merkmalen «sexuelle Orientierung» und «Geschlechtsidentität» zu ergänzen. In Absatz 2 ist vor dem Hintergrund dieser Ergänzung zudem eine sprachliche Anpassung notwendig. Die Änderungen führen dazu, dass neu auch Hasskriminalität und Diskriminierungen von LGBTI-Personen in den Anwen50

51 52 53

Am 1. Januar 2016 trat eine Neufassung des Artikels 283 StGB-A in Kraft: Die Aufzählung der geschützten Personen und Personengruppen blieb grundsätzlich unverändert.

Neu wurde jedoch ausdrücklich festgelegt, dass die geschützte Gruppe sowohl positiv als auch negativ definiert werden kann. Nun unterliegt auch die Hetze gegen «Ausländer» oder «Ungläubige» dem Anwendungsbereich des Artikels 283 StGB-A.

Art. 283 Abs. 2 StGB-A; Strafdrohung: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

Art. 137d StGB-NL Art. 266b StGB-DEN

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dungsbereich von Artikel 261bis E-StGB fallen. Diskriminierende Äusserungen und Hasskriminalität wegen pathologisch, krankhaft gestörten Sexualpräferenzen wie beispielsweise Pädophilie fallen hingegen nicht in den Schutzbereich der vorgeschlagenen Norm (vgl. Ziff. 2.2).

Aufgrund der Erweiterung der Merkmale erweist sich die Marginale des geltenden Artikel 261bis StGB (Rassendiskriminierung) als zu eng. Sie ist deshalb anzupassen und soll neu «Diskriminierung und Aufruf zu Hass» lauten.

Weitergehend soll Artikel 261bis StGB keine Änderungen erfahren. Die eigentlichen Tatvarianten bleiben unverändert. Insofern kann diesbezüglich auf die Ausführungen zum geltenden Recht in Ziffer 2.1.1 verwiesen werden. Allgemein ist festzuhalten, dass damit Artikel 261bis E-StGB diskriminierende Äusserungen und neu insbesondere auch homophobe Äusserungen nach wie vor nur unter Strafe stellt, wenn sie in der Öffentlichkeit stattfinden und die Betroffenen in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzen (vgl. Ziff. 2.1.1). Der Meinungsäusserungsfreiheit kommt damit nach wie vor ein hoher Stellenwert zu.

Auch die Strafandrohung in Absatz 6 soll unverändert bleiben und auf Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahre lauten. Schliesslich soll Artikel 261 bis E-StGB ein Offizialdelikt bleiben. Das bedeutet, dass die Strafverfolgungsbehörden Hasskriminalität und Diskriminierungen wegen der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität von Amtes wegen zu verfolgen haben. Nach wie vor keine Parteistellung und damit keine Rechtsmittelmöglichkeiten kommen hingegen Vereinigungen und Verbänden zu. Das geltende Straf- und Strafprozessrecht kennt keine Verbandslegitimation, denn mit der Staatsanwaltschaft ist bereits eine Behörde tätig, die allgemeine, überindividuelle Rechte zu wahren und den Strafanspruch von Amtes wegen durchzusetzen hat.

3.2 Art. 171c

Militärstrafgesetz Diskriminierung auf Aufruf zu Hass

Diese Bestimmung lautet im geltenden Recht gleich wie Artikel 261 bis StGB. Um die Übereinstimmung zu bewahren, gelten die in Artikel 261bis E-StGB vorgeschlagenen Änderungen gleichermassen auch für diese Bestimmung.

4

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Auf den Bund hat die Vorlage keine finanziellen oder personellen Auswirkungen.

Eine Zunahme der Anzahl der Strafverfahren und damit ein Mehraufwand für die kantonalen Strafverfolgungsbehörden kann nicht ausgeschlossen werden. Die aktuellen Ressourcen werden zur Bewältigung dieses Mehraufwands genügen, ist er doch auf einen sehr spezifischen Kriminalitätsbereich beschränkt.

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5

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die vorgeschlagenen Änderungen sind mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

6

Rechtliche Grundlagen

6.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 123 Absatz 1 BV, der dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Straf- und Strafprozessrechts gibt.

6.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Der Entwurf enthält keine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen.

6.3

Erlassform

Beim vorgeschlagenen Entwurf handelt es sich um die Revision von Bundesgesetzen.

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