17.070 Botschaft zur Verlängerung des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen vom 22. November 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zur Verlängerung des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

22. November 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf soll die Geltungsdauer des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen um vier Jahre verlängert werden. Durch die Verlängerung soll eine Schwächung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung des Terrorismus in der Schweiz vermieden werden, die vor der Verabschiedung und Umsetzung des Gesetzesentwurfs zur Angleichung von Artikel 74 des Nachrichtendienstgesetzes an Artikel 2 des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen entstehen könnte.

Ausgangslage Das Parlament verabschiedete das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen (im Folgenden «Gesetz über das Verbot von ») am 12. Dezember 2014. Das Gesetz ist aus der Vereinigung von zwei Verordnungen hervorgegangen: der Verordnung über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen, die ab 2001 mehrere Male verlängert worden war, und der Verordnung über das Verbot der Gruppierung «Islamischer Staat» und verwandter Organisationen, die im Oktober 2014 verabschiedet wurde. Die Geltungsdauer des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» läuft am 31. Dezember 2018 ab. Kern des Gesetzes bildet Artikel 2, wonach mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft wird, wer sich an den Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandten Organisationen beteiligt oder sie in einer anderen Form unterstützt. Die Verfolgung dieser Straftat unterliegt der Bundesgerichtsbarkeit.

In den parlamentarischen Beratungen vom Oktober 2014 zum Nachrichtendienstgesetz (NDG) haben die eidgenössischen Räte den vom Bundesrat vorgeschlagenen Gesetzestext mit einem neuen Artikel 74 ergänzt, in dem der Bundesrat namentlich ermächtigt wird, per Verfügung terroristische Organisationen zu verbieten. Im neuen Artikel werden wie in Artikel 2 des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» die Beteiligung oder jede andere Form von Unterstützung einer verbotenen Organisation unter Strafe gestellt. Die Kompetenz zur Verfolgung und Sanktionierung dieser Straftat wird jedoch nicht den Bundesbehörden übertragen, und die Strafdrohung ist auf eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
Geldstrafe beschränkt. Das NDG ist am 1. September 2017 in Kraft getreten.

Inhalt der Vorlage Im Rahmen der Vorlage zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll schlägt der Bundesrat verschiedene Massnahmen zur Stärkung des Instrumentariums im Kampf gegen den Terrorismus vor. Gemäss der im Juni 2017 in die Vernehmlassung geschickten Vorlage sollen unter anderem die eben erwähnten Differenzen zwischen Artikel 74 NDG (tiefere Strafe und keine Bundesstrafkompetenz) und Artikel 2 des

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Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» bereinigt werden. Da es zeitlich nicht möglich ist, dass diese Vorlage vom Parlament beraten und per Verfügung vom Bundesrat in Kraft gesetzt werden kann, bevor das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» am 31. Dezember 2018 abläuft, muss dieses um vier Jahre verlängert werden. Dadurch kann eine Schwächung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung des Terrorismus in der Schweiz vermieden werden. Gleichzeitig erhalten das Parlament und der Bundesrat genügend Zeit für die Beratung der Revision von Artikel 74 NDG bzw. für die Verfügung eines Verbots. Sobald der geänderte Artikel 74 NDG in Kraft getreten und umgesetzt ist, kann das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» aufgehoben werden.

Der vorliegende Gesetzesentwurf dient folglich ausschliesslich der Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» um vier Jahre. Dessen Inhalt bleibt unverändert.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Von der Verordnung des Bundesrates 2001 zum dringlichen Bundesgesetz von 2014 Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und auf Grundlage der Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV)1 erliess der Bundesrat am 7. November 20012 die Verordnung über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaida» und verwandter Organisationen. Nachdem diese drei Mal verlängert worden war (2003, 2005 und 2008), wurde sie am 1. Januar 2012 durch die Verordnung der Bundesversammlung vom 23. Dezember 20113 über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen ersetzt, deren Geltungsdauer auf den 31. Dezember 2014 beschränkt war. Im Oktober 2014 erliess der Bundesrat, wiederum gestützt auf die Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3 BV, die Verordnung über das Verbot der Gruppierung «Islamischer Staat» und verwandter Organisationen, deren Geltungsdauer auf den 8. April 20154 beschränkt war. Die beiden Verordnungen der Jahre 2012 und 2014 sanktionierten die Beteiligung an den genannten Organisationen oder deren Unterstützung jeder anderen Form mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Die Straftat unterlag der Bundesgerichtsbarkeit nur in der Verordnung von 2014.

Im Februar 2014 überwies der Bundesrat dem Parlament den Entwurf eines Bundesgesetzes über den Nachrichtendienst5. Im Oktober 2014 haben die eidgenössischen Räte den vom Bundesrat unterbreiteten Text in den parlamentarischen Beratungen um eine neue Bestimmung zum Verbot von Organisationen aus Gründen der inneren oder äusseren Sicherheit ergänzt. Bei der Erarbeitung dieser Bestimmung, dem heutigen Artikel 74 des Bundesgesetzes vom 25. September 20156 über den Nachrichtendienst (NDG), stützte sich das Parlament auf Artikel 2 der genannten Verordungen, die zu jenem Zeitpunkt in Kraft waren. Durch die Verabschiedung von Artikel 74 NDG hat das Parlament eine dauerhafte Gesetzesgrundlage für das Verbot terroristischer oder gewalttätig-extremistischer Organisationen oder Gruppierungen geschaffen. Zu jenem Zeitpunkt war bereits klar, dass das neue Nachrichtendienstgesetz erst in Kraft treten würde, nachdem die Verordnungen ablaufen.

Um die beiden Verordnungen in einem Erlass zusammenzufassen und jegliche Gesetzeslücken vor dem Inkrafttreten des Nachrichtendienstgesetzes zu vermeiden, überwies der Bundesrat dem Parlament im November 2014 den Entwurf zu einem dringlichen Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und 1 2 3 4 5 6

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SR 101 AS 2001 3040 AS 2012 1 AS 2014 3255 BBl 2014 2237 SR 121

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«Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen7 (im Folgenden «Gesetz über das Verbot von »). Das vom Parlament am 12. Dezember 2014 verabschiedete Gesetz8 ist am 1. Januar 2015 in Kraft getreten. Seine Geltungsdauer ist auf den 31. Dezember 2018 beschränkt. Abweichend von den Verordnungen der Bundesversammlung (und somit auch von Art. 74 NDG) wird nach Artikel 2 dieses Gesetzes mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren (und nicht drei Jahren) oder Geldstrafe bestraft, wer sich an der Gruppierung «Al-Qaïda» oder der Gruppierung «Islamischer Staat» oder verwandten Organisationen beteiligt oder diese in einer anderen Weise unterstützt; Überdies wird die Verfolgung dieser Straftat der Bundesgerichtsbarkeit unterstellt.

Inkrafttreten des NDG (insbesondere von Art. 74) Das in der Volksabstimmung vom 25. September 2016 angenommene Bundesgesetz vom 24. September 20159 über den Nachrichtendienst ist am 1. September 2017 in Kraft getreten. Nach Artikel 74 NDG kann der Bundesrat eine Organisation oder Gruppierung verbieten, welche mittelbar oder unmittelbar terroristische oder gewalttätig-extremistische Aktivitäten propagiert, unterstützt oder in anderer Weise fördert und damit die innere oder äussere Sicherheit konkret bedroht (Abs. 1). Ein Verbot stützt sich auf einen entsprechenden Beschluss der Vereinten Nationen (UNO) oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) (Abs. 2).

Wer sich auf dem Gebiet der Schweiz an einer nach Absatz 1 verbotenen Gruppierung oder Organisation beteiligt oder sie unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Abs. 4).

Wie oben erwähnt unterscheidet sich die Strafnorm nach Artikel 74 NDG materiell in zwei Punkten von Artikel 2 des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS»: Erstens kommt die Kompetenz zur Verfolgung und Beurteilung der betreffenden Straftaten nicht den Bundesbehörden zu, zweitens ist eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vorgesehen, also eine niedrigere Strafe als in Artikel 2 des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS». Der zweite Punkt hat namentlich zur Folge, dass der Verstoss gegen Artikel 74 NDG nicht als Vortat zur Geldwäscherei im Sinne von Artikel 305bis des Strafgesetzesbuches10 (StGB) gilt.

Vom Verfahren her ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 74 NDG im
Gegensatz zum Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» seine Wirkung erst entfaltet, wenn der Bundesrat eine Organisation verbietet. Das Verbot muss Gegenstand einer verwaltungsrechtlichen Verfügung sein. Da eine solche Verfügung die Rechte der betroffenen Organisationen und deren Mitglieder schwerwiegend beeinträchtigen kann, wird das Verbot nach Artikel 74 Absatz 3 NDG zeitlich auf höchstens fünf Jahre befristet. Es kann jedoch mehrmals um jeweils weitere fünf Jahre verlängert werden. Durch diese Regelung sind die Behörden gezwungen, regelmässig zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für das Verbot weiterhin erfüllt sind. Die Verfügung des Bundesrates kann beim Bundesverwaltungsgericht gemäss dem Verfahren nach dem Bundesge-

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BBl 2014 8939 SR 122 SR 121 SR 311.0

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setz vom 20. Dezember 196811 über das Verwaltungsverfahren (VwVG) angefochten werden. Abweichend vom VwVG wird in Artikel 83 Absatz 2 NDG jedoch präzisiert, dass Beschwerden gegen Verfügungen über Organisationsverbote keine aufschiebende Wirkung haben. Gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts kann in der Folge beim Bundesgericht Beschwerde erhoben werden.

Vorlage zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus Im Juni 2017 hat der Bundesrat den Vorentwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens vom 16. Mai 2005 des Europarates zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll vom 22. Oktober 2015 und die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität in die Vernehmlassung geschickt.12 Im Zentrum dieser Vorlage steht die Einführung eines neuen Artikels 260sexies StGB über die Anwerbung, Ausbildung und Reisen im Hinblick auf eine terroristische Straftat sowie die Änderung von Artikel 260ter StGB (Kriminelle und terroristische Organisationen). Ferner wird eine Änderung von Artikel 74 NDG vorgeschlagen, damit er in Bezug auf das Strafmass und die Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden mit Artikel 2 des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» übereinstimmt.13 Sobald der geänderte Artikel 74 NDG in Kraft getreten und umgesetzt worden ist, kann das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» aufgehoben werden. Da der geänderte Artikel jedoch nicht in Kraft treten kann, bevor das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» am 31. Dezember 2018 abgelaufen ist, muss eine Lösung gefunden werden, mit der eine Schwächung des rechtlichen Rahmens für die Verfolgung, die Bekämpfung und das Verbot terroristischer Organisationen vermieden werden kann.

Geprüfte Lösungen Unter Berücksichtigung der geltenden rechtlichen Ausgangslage und der laufenden Änderungsvorlagen sind folgende Lösungsansätze geprüft worden: ­

auf die Verlängerung des Gesetzes über das Verbot von «Al-Qaïda» verzichten;

­

das Gesetz über das Verbot von «Al-Qaïda» verlängern, damit die Änderung von Artikel 74 NDG in Kraft treten kann, bevor es abläuft.

Auf die Verlängerung des Gesetzes über das Verbot von «Al-Qaïda» verzichten Gemäss diesem Lösungsansatz würden das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen ab dem 1. Januar 2019

11 12

13

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SR 172.021 Erläuternder Bericht des Bundesrates vom Juni 2017 betreffend die Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll und Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, abrufbar unter www.bj.admin.ch > Sicherheit > Laufende Rechtssetzungsprojekte > Verhütung des Terrorismus.

Erläuternder Bericht des Bundesrates vom Juni 2017 (siehe Fn. 12 oben), Ziff. 4.3.

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und nach diesem Datum begangene Taten14 zur Beteiligung an diesen Organisationen und zu deren Unterstützung hauptsächlich durch Artikel 74 NDG (in der Fassung vom 25. September 2015) und dem geltenden Artikel 260ter StGB (Kriminelle Organisation) geregelt. Diese Bestimmungen weisen allerdings deutliche Unterschiede zum Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» auf. Der Geltungsbereich von Artikel 260ter StGB ist enger gefasst, da er die Organisation von Propagandaaktionen oder die «auf andere Weise» erbrachte Förderung der Aktivitäten terroristischer Organisationen nicht ausdrücklich unter Strafe stellt. In der Strafnorm nach Artikel 74 NDG andererseits werden die strafbaren Handlungen zwar in den gleichen Begriffen wie in Artikel 2 des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» umschrieben, der Strafrahmen ist jedoch tiefer angesetzt, und es ist keine Bundesgerichtsbarkeit vorgesehen. Angesichts der Gefahr, die von den Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» und den verwandten Organisationen ausgeht, ist es nicht hinnehmbar, den rechtlichen Rahmen zum Verbot dieser Organisationen sowie zur Bekämpfung ihrer Unterstützung auch nur vorübergehend zu schwächen.

Unter dem Blickwinkel der Effizienz der Strafverfolgung und des Beschleunigungsgebot ist es ausserdem nicht angebracht, die Gerichtsbarkeit vom 1. Januar 2019 bis zum Inkrafttreten des revidierten Artikels 74 NDG in der Fassung des Vorentwurfs zum Bundesbeschluss vorübergehend auf die Kantonsbehörden zu übertragen.

Das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» verlängern, damit die Änderung von Art. 74 NDG in Kraft treten kann, bevor es abläuft Dieser Lösungsansatz bestünde einfach darin, die Geltungsdauer des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» um vier Jahre bis zum 31. Dezember 2022 zu verlängern.

So erhielte das Parlament genügend Zeit, um die Vorlage zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung des Terrorismus ­ die die Änderung von Artikel 74 NDG umfasst ­ zu beraten, bevor das Gesetz erneut abläuft. Die neue Fassung von Artikel 74 NDG sowie die weiteren von der Vorlage betroffenen Bestimmungen (namentlich Art. 260ter und 260sexies StGB) würden folglich gleichzeitig und vor dem 31. Dezember 2022 in Kraft treten. Der Bundesrat hätte ebenfalls Zeit, um vor Ablauf dieser Frist Verbote zu verfügen. Ab diesem Zeitpunkt könnte das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» aufgehoben werden, und es würde zugleich durch eine vollständige, kohärente und zeitlich unbefristete Regelung ersetzt.

1.2

Überblick über den Inhalt des Gesetzes

Das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» besteht aus vier Artikeln, wobei die Artikel 1 und 2 von besonderer Bedeutung sind.

Artikel 1 statuiert das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen. Die Organisationen, die auf der durch den

14

Vor dem 1. Januar 2019 begangene Taten unterstünden abweichend von Artikel 2 Absatz 2 StGB weiterhin dem Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» (siehe insb. Gauthier, in: Roth/Moreillon, Commentaire romand, Code pénal I, Basel 2009, N 36 ad Art. 2).

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Sicherheitsrat der UNO erstellten «Sanktionsliste gegen den IS und Al-Qaïda»15 aufgeführt sind, fallen unter diese Bestimmung. Dies ist jedoch keine unabdingbare Voraussetzung, da die Strafverfolgungsbehörden diesbezüglich über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen.

Nach Artikel 2 wird bestraft, wer sich auf dem Gebiet der Schweiz an einer nach Artikel 1 verbotenen Gruppierung oder Organisation beteiligt, sie personell oder materiell unterstützt, für sie oder ihre Ziele Propagandaaktionen organisiert, für sie anwirbt oder ihre Aktivitäten auf andere Weise fördert. Die Straftat wird in Anlehnung an die Artikel 260ter und 260quinquies StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Das Verbrechen gilt damit als mögliche Vortat zu Geldwäscherei im Sinne von Artikel 305bis StGB. In seiner Botschaft vom 12. November 201416 zum Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen hält der Bundesrat fest: «Damit ist sichergestellt, dass auch aus dieser Strafnorm herrührende terroristische Vermögenswerte dem Geldwäschereiverbot unterliegen, wie dies namentlich auch für Vermögenswerte der Terrorfinanzierung und krimineller Organisationen gilt.» Artikel 3 weist darauf hin, dass die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches zur Einziehung von Vermögenswerten, insbesondere die Artikel 70 Absatz 5 und 72 StGB, anwendbar sind. In Artikel 4 wird das Gesetz für dringlich erklärt, dem fakultativen Referendum unterstellt und auf vier Jahre ab dem 1. Januar 2015 befristet. Im vorliegenden Entwurf wird ausschliesslich Artikel 4 geändert: Gemäss dem neuen Absatz 3 wird die Geltungsdauer des Gesetzes um vier weitere Jahre verlängert.

1.3

Bewertung der vorgeschlagen Lösung

Die Verlängerung des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» ist die vorteilhaftere Lösung. Denn sie bietet gleichzeitig die Möglichkeit: (1) das ausdrückliche Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» und der verwandten Organisationen nahtlos aufrechtzuerhalten; (2) eine vorübergehende Schwächung der Regelung zu vermeiden (namentlich indem derselbe Strafrahmen und die Bundesgerichtsbarkeit beibehalten werden); (3) dem Parlament mehr Zeit für die Beratung der laufenden Revision von Artikel 74 NDG zu bieten; und (4) dem Bundesrat mehr Zeit für die Vorbereitung und die Verfügung eines Verbots einzuräumen. Wie bereits erwähnt wird das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» keine Daseinsberechtigung mehr haben, sobald der revidierte Artikel 74 NDG in Kraft getreten ist und der Bundesrat ein Organisationsverbot verfügt hat, sodass es zu jenem Zeitpunkt unverzüglich aufgehoben werden kann.

Es steht ausser Frage, dass eine Schwächung der Strafdrohung vermieden und die Bundeskompetenz in Sachen Terrorismusverfolgung und -bekämpfung beibehalten werden muss. Wie unter Ziffer 2 dargelegt, hat sich das Gesetz über das Verbot von 15 16

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Die Liste kann unter www.un.org > Conseil de sécurité > Organes subsidiaires > Sanctions > Liste récapitulative des sanctions abgerufen werden.

BBl 2014 8925, hier 8934.

BBl 2018

«AQ/IS» sehr bewährt, und die Aktivität der betroffenen Terrororganisationen hat alles andere als abgenommen.

1.4

Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren

Im erläuternden Bericht betreffend die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus wurde bereits deutlich auf die Absicht des Bundesrates hingewiesen, dem Parlament die Verlängerung des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» zu beantragen: «Im Rahmen der Ausarbeitung dieser Vorlage ist der Bundesrat zum Schluss gekommen, dass die Regelung des Organisationsverbots nach Artikel 74 NDG mit der Regelung der terroristischen Organisationen im erwähnten befristeten Bundesgesetz sowie in Artikel 260ter StGB abzustimmen ist.

Im Interesse der Kohärenz soll das Gesetz gegen Al-Qaïda und IS weiter gelten, bis die Anpassung von Artikel 74 NDG vollzogen ist. Der Bundesrat wird dem Parlament in einer separaten Vorlage die Verlängerung des befristeten Bundesgesetzes beantragen [...], da nicht davon auszugehen ist, dass die hier präsentierte Vorlage bereits am 1. Januar 2019 oder vorher in Kraft gesetzt werden kann.»17 Im Anschluss an diese Erklärung hat der Bundesrat die Vernehmlassungsadressaten in seinem Begleitschreiben vom 22. Juni 2017 explizit eingeladen, zur Frage der Verlängerung des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» Stellung zu nehmen.18 Die Teilnehmer die diese Frage beantwortet haben19 befürworteten die Verlängerung vorbehaltlos. Da zudem der Inhalt des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» im vorliegenden Entwurf materiell keine Änderungen erfährt, war es nicht erforderlich, ein neues Vernehmlassungsverfahren durchzuführen.

2

Bedeutung des Gesetzes und Erfahrungen mit der Anwendung

2.1

Entwicklung der Aktivitäten von «Al-Qaïda» und des «Islamischen Staats»

Bedrohungseinschätzung «Islamischer Staat» Der «Islamische Staat» ist eine aus der «Al-Qaïda» hervorgegangene, seit 2014 von ihr unabhängige, transnationale, dschihadistisch motivierte Terrororganisation, die zeitweise grosse Gebiete in Syrien und im Irak ihrer Gewalt unterworfen hatte und diese teilweise noch heute kontrolliert. Er versucht, in dem von ihm kontrollierten Gebiet seine rigide, auf Gewalt basierende Vorstellung des Islam in die Praxis 17 18

19

Erläuternder Bericht des Bundesrates vom Juni 2017 (Fn. 12), Ziff. 4.3.1.

Siehe das Begleitschreiben des Bundesrates vom 22. Juni 2017, abrufbar unter www.admin > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2017 > EJPD > Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens vom 16. Mai 2005 des Europarates zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll vom 22. Oktober 2015 und die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität.

Zug, Graubünden, Thurgau, Tessin, Genf und die CVP.

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umzusetzen. Bilder, Videos und Berichte von als Kriegsverbrechen einzustufenden Gräueltaten verbreitet er medienwirksam und unter gezielter Verwendung moderner Kommunikationsplattformen weltweit. Gegner des «Islamischen Staats» in Syrien und im Irak sind andersdenkende Sunniten, Schiiten, Kurden und Mitglieder nichtmuslimischer Minderheiten in Syrien und im Irak. Ferner droht der «Islamische Staat» seit September 2014, gegen Staatsangehörige und Interessen aller Staaten Anschläge zu verüben, die der Koalition gegen ihn angehören. Die Verbindungen zu den in diversen europäischen Staaten verübten Anschlägen zeugen vom Willen und den Fähigkeiten der Organisation, auch in Europa Anschläge zu verüben und zu solchen anzustiften. Seit Mitte 2014 sind über 50 Anschläge mit rund 1700 Toten und Verletzten in westlichen Ländern entweder direkt oder indirekt (z. B. durch Inspiration, Unterstützung oder Solidarisierung) auf den «Islamischen Staat» zurückzuführen. Der «Islamische Staat» hat zudem ausserhalb seines Kerngebiets Syrien und Irak Fuss gefasst. So erklärten sich diverse Terrorgruppierungen in anderen Regionen zu offiziellen Ablegern und wurden zu Provinzen des «Islamischen Staats» erklärt (z. B. «Islamischer Staat Khorasan Provinz», aktiv in Afghanistan und Pakistan).

Seit 2015 steht der «Islamische Staat» unter grossem militärischem Druck. Er hat die meisten der zuvor eroberten Gebiete in Syrien und im Irak wieder verloren. Der «Islamische Staat» und auch seine Provinzen haben bisher jedoch grosse Resilienz bewiesen. Wiedereroberungen von Gebieten und Städten, die zuvor vom «Islamischen Staat» kontrolliert worden waren, gelingen. Mit grausamen und medienwirksam inszenierten Hinrichtungen (namentlich öffentlichen Erschiessungen, Enthauptungen und Verbrennungen) hat der «Islamische Staat» zudem mehrfach bewiesen, dass er willens und fähig ist, Drohungen in die Tat umzusetzen.

Die Propaganda, Aktivitäten und Planungen des «Islamischen Staats» prägen die Terrorbedrohung in Europa weiterhin massgeblich. Trotz militärische Niederlagen geht vom «Islamischen Staat» und seinen Ablegern immer noch eine grosse Bedrohung für Europa und westliche Interessen aus. Er entfaltet mit seiner Propaganda bei seinen Zielgruppen weiterhin Wirkung. Die aktuelle Bedrohung durch den dschihadistischen Terrorismus sunnitischer
Prägung wird auch bei weiteren territorialen Verlusten des «Islamischen Staats» nicht verschwinden. Auch nach einem kompletten Zusammenbruch der staatsähnlichen und hierarchischen Strukturen des «Islamischen Staats» in Syrien und im Irak wird dieser seine terroristische Ausprägung behalten und für Europa und andere Weltgegenden eine Bedrohung bleiben Obwohl die Schweiz nicht zur militärischen Koalition gegen den «Islamischen Staat» zählt, ist auch sie von der erhöhten Bedrohungslage in Europa betroffen. Sie gehört zur westlichen, von Dschihadisten als islamfeindlich eingestuften Welt und stellt damit ein mögliches Ziel von Terroranschlägen dar. Vor allem könnten die Interessen von Staaten, die sich an der militärischen Koalition gegen den «Islamischen Staat» beteiligen, auch auf Schweizer Territorium Ziel eines Anschlags werden. Auch Schweizer Interessen im Ausland können von Anschlägen des «Islamischen Staats» betroffen werden.

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Bedrohungseinschätzung «Al-Qaïda» Die «Al-Qaïda» ist seit den Anschlägen vom 11. September 2001 trotz massiver Anstrengungen der Staatengemeinschaft und der Tötung ihres langjährigen Anführers Osama Bin Ladin nicht völlig besiegt worden. Zwar hat die Kern-«Al-Qaïda» an operativen Fähigkeiten verloren. Gerade aber ihre regionalen Ableger haben immer noch grossen Einfluss in ihren jeweiligen Operationsgebieten (wie z. B. «Al-Qaïda auf der Arabischen Halbinsel», «Al-Qaïda im islamischen Maghreb», «Al-Qaïda auf dem indischen Subkontinent», «Al-Shabaab» in Somalia). Die Kern-«Al-Qaïda» und ihre Ableger propagieren weiterhin den weltweiten Dschihad und Anschläge auf den Westen.

Die Bedrohung durch die «Al-Qaïda» besteht fort. Ihre Ausprägung hängt jedoch stark von den lokalen Gegebenheiten ab. Die Kern-«Al-Qaïda» hat weiterhin die Absicht, Anschläge auf westliche Ziele zu verüben, verfügt derzeit aber nur über beschränkte Ressourcen, um solche Attentate eigenständig durchzuführen. Ihre regionalen Ableger stellen in ihren jeweiligen primären Operationsgebieten auch eine Bedrohung für Schweizer Interessen dar. Die Wahrscheinlichkeit eines Anschlags ausserhalb ihres direkten Einflussgebiets, z. B. in Europa, ist derzeit tiefer einzuschätzen. Mittelfristig hingegen könnten die Kern-«Al-Qaïda» und einzelne ihrer Ableger wegen ihrer unveränderten Aspiration und ihrer zur Verfügung stehenden Ressourcen wieder Terroraktionen ausserhalb ihres eigentlichen Einflussgebiets planen und durchführen oder Einzeltäter dazu inspirieren.

Dschihadistisch motivierte Anschläge in Europa Seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «AlQaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen am 1. Januar 2015 wurden in diversen Staaten Europas zahlreiche Terroranschläge verübt, die nachweislich dschihadistisch motiviert waren und in Bezug zu den genannten Organisationen stehen. In diesen gut zweieinhalb Jahren gab es über ein Dutzend Anschläge, bei denen Opfer getötet wurden. So namentlich in Frankreich (insbesondere in Paris und Nizza), in England (London und Manchester), in Deutschland (Berlin), in Belgien (Brüssel), in Spanien (Barcelona und Cambrils), in Finnland (Turku) und in Russland (St. Petersburg und Surgut). Aber auch Dänemark (Kopenhagen) und Schweden (Stockholm) waren
betroffen. Bei weiteren Anschlägen gab es wegen rascher Interventionen (z. B. Angriff mit Schusswaffen auf Passagiere im TGV von Brüssel nach Paris) oder wegen Fehlmanipulationen der Täter (z. B. Selbstmordsprengstoffanschlag auf Besucherinnen und Besucher eines Musikfestivals in Ansbach) «lediglich» Verletzte.

2.2

Anwendung des Gesetzes in der Praxis

Ab Inkrafttreten des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» am 1. Januar 2015 bis Ende Juni 2017 hat die Bundesanwaltschaft 75 Fälle in Anwendung dieses Gesetzes bearbeitet. 32 wurden mit rechtskräftigen Entscheiden abgeschlossen (Nichtanhandnahmeverfügungen, Einstellungsverfügungen, Urteile). Drei Fälle führten zu Verurteilungen. 13 Fälle wurden sistiert. 28 sind zurzeit bei der Bundesanwaltschaft hän97

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gig, und zwei gaben Anlass zu Vorermittlungen. Ausserdem bearbeitete fedpol per Ende Juni 16 Fälle in Anwendung dieses Gesetzes, die sich zu jenem Zeitpunkt in einem frühen Stadium der polizeilichen Ermittlungen befanden.

Die meisten dieser Fälle wurden auch wegen Beteiligung an oder Unterstützung einer terroristischen kriminellen Organisation im Sinne von 260ter StGB eröffnet. Zu Beginn eines Falls kann nicht immer klar unterschieden werden, in Bezug auf welche verschiedenen Straftaten ein Verdacht besteht.

Das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» ermöglicht den Strafverfolgungsbehörden, ihre Ermittlungs- und Untersuchungsarbeit effizienter zu gestalten. Einerseits werden die verbotenen terroristischen Organisationen ­ Al-Qaïda und der Islamische Staat sowie die verwandten Organisationen ­ spezifisch genannt, sodass die Strafverfolgungsbehörden nicht in jedem Einzelfall und vor jeder Beschuldigung wegen einer anderen Straftat feststellen müssen, dass es sich um eine terroristische kriminelle Organisation im Sinne von Artikel 260ter StGB handelt, in dem dieser Begriff generell-abstrakt definiert wird. Da im Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» ausdrücklich die Bundesgerichtsbarkeit vorgesehen ist (Art. 2 Abs. 3 des Gesetzes), müssen die Strafverfolgungsbehörden des Bundes auch nicht in jedem Verfahren den Nachweis erbringen, dass der Bund zuständig ist. Andererseits erfasst das Gesetz eine breitere Palette strafbarer Handlungen in Verbindung mit terroristischen Aktivitäten: die Beteiligung an einer nach Artikel 1 des Gesetzes verbotenen Gruppierung auf dem Gebiet der Schweiz, die personelle oder materielle Unterstützung, Propagandaaktionen oder die Anwerbung für solche Gruppierungen oder Organisationen oder die Förderung ihrer Aktivitäten auf andere Weise. Der letzte Straftatbestand ist absichtlich sehr weit gefasst, damit jegliche Handlungen bestraft werden können, mit denen der Fortbestand und die Aktivitäten der verbotenen terroristischen Organisationen gefördert werden. Mit seinem vom Bundesgericht bestätigten20 Urteil vom 15. Juli 2016 beispielsweise hat das Bundesstrafgericht einen jungen Mann, der im Flughafen Zürich verhaftet worden war, als er das Flugzeug Richtung Türkei besteigen wollte, wegen dieser Straftat verurteilt. Das Gericht befand, der junge Mann habe eine Dschihad-Reise angekündigt
und habe sie angetreten. Damit sei er bereits zu einer Tat geschritten, die die Rekrutierungsaktivitäten des Islamischen Staates in seinem Umfeld fördern könne.

Zudem kann gestützt auf das Gesetz über das Verbot von «Al-Qaïda» auch dann eine Untersuchung eingeleitet werden, wenn die betreffende Person nicht direkt in Verbindung zur terroristischen Organisation steht. Die Strafnorm entspricht damit auch den neueren Anforderungen der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei (Groupe d'Action Financière, GAFI) sowie indirekt der Resolution 2178 der UNO21. Nicht zuletzt erweitert das Gesetz den Geltungsbereich der Strafverfolgung auf Personen, die im Ausland gekämpft haben oder kämpfen und die nicht Schweizer Staatsangehörige sind ­ ein Fall, der von grosser praktischer Tragweite ist.22 Gestützt auf Artikel 260ter StGB könnten diese Personen für ihre Taten im Ausland 20 21 22

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BGE vom 22. Februar 2017, 6B_948/2016.

Abrufbar unter www.un.org > Documents > Résolutions du Conseil de sécurité > 2014 > Menaces contre la paix et la sécurité internationales résultant d'actes de terrorisme.

Vorbehalten bleibt die Strafverfolgung wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Art. 264m StGB.

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auch dann nicht verfolgt werden, wenn sie eine Schweizer Aufenthaltsbewilligung haben, denn die Strafverfolgung von im Ausland begangenen Taten nach Artikel 260ter StGB ist enger gefasst als jene nach der besonderen Bestimmung in Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS». Schliesslich ist die Anwendung des Gesetzes eindeutig der Bundesgerichtsbarkeit unterstellt, womit vor allem in der Anfangsphase des Verfahrens (positive oder negative) Kompetenzkonflikte vermieden werden können.

Angesichts der heutigen terroristischen Bedrohung ist es für die Strafverfolgungsbehörden unerlässlich, dass die im Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» statuierten Strafbestimmungen weiterhin bestehen. Der Inhalt des Gesetzes sollte mit dem Inkrafttreten des Bundesbeschlusses über die Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll und die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität23 auf Dauer verankert werden.

Aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden, die das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» in der Praxis anwenden, ist es äusserst wichtig, dass es seine Wirkung über den 31. Dezember 2018 hinaus bis zum Inkrafttreten des Bundesbeschlusses entfalten kann.

2.3

Fazit

Die Aktivitäten sowohl des «Islamischen Staates» wie auch von «Al-Qaïda» stellen weiterhin eine Bedrohung für die innere und äussere Sicherheit der Schweiz und der internationalen Staatengemeinschaft dar.

Der NDB führt im Bereich dschihadistischer Terrorismus eine Liste mit Risikopersonen, die im besonderen Masse eine Bedrohung für die Sicherheit der Schweiz darstellen. Der grösste Teil dieser Risikopersonen weist eine Verbindung zu den genannten dschihadistischen Organisationen auf.

Es ist deshalb auch aus nachrichtendienstlicher Sicht wichtig, dass sämtliche Aktivitäten dieser Organisationen in der Schweiz und im Ausland weiterhin unverändert unter Strafe gestellt bleiben, ebenso wie alle Handlungen, die darauf abzielen, diese Organisationen finanziell, materiell oder personell zu unterstützen, z. B. durch Propagandaaktionen, Geldsammlungen oder das Rekrutieren neuer Mitglieder.

Gesamthaft gesehen zeigt sich somit, dass das Verbot der Gruppierungen «AlQaïda», «Islamischer Staat» und verwandter Organisationen nach wie vor geboten ist, und dass sich dieses Verbot in der Strafverfolgungspraxis bewährt.

23

Siehe Ziff. 1.3.

99

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3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Verlängerung des Erlasses Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf wird das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» lediglich um einen Absatz 3 in Artikel 4 ergänzt, der die Geltungsdauer des Gesetzes um vier Jahre bis zum 31. Dezember 2022 verlängert. Entsprechend der diesbezüglichen gesetzestechnischen Praxis wird somit die bisherige Befristung des Gesetzes (vorliegend in Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes) nicht überschrieben, sondern bleibt weiterhin sichtbar. Die Verlängerung erfolgt aus zwei Gründen: Erstens soll der revidierte Artikel 74 NDG in Kraft treten können, bevor das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» abläuft, zweitens soll der Bundesrat genügend Zeit erhalten, damit er die von einem Verbot betroffenen Organisationen nach dem Verfahren gemäss Artikel 74 NDG24 bezeichnen kann.

Inkrafttreten und Geltungsdauer Damit gewährleistet ist, dass das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» ununterbrochen gilt, muss die Verlängerung am 1. Januar 2019 in Kraft treten. Aufgrund der Geltungsdauer von vier Jahren ist garantiert, dass das Parlament die Vorlage zur Revision von Artikel 74 NDG beraten und dass der Bundesrat die Verbote verfügen kann.

Verhältnis zu anderen Bestimmungen über das Verbot terroristischer Organisationen und die Bestrafung ihrer Aktivitäten Da das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» teilweise Punkte betrifft, die unter das Strafgesetzbuch und das NDG fallen können, ist im Folgenden auf allfällige Kollisionen zwischen den verschiedenen Bestimmungen einzugehen.

In Bezug auf den am 1. September 2017 in Kraft getretenen Artikel 74 NDG ist vorweg festzuhalten, dass kein Problem besteht. Denn solange der Bundesrat kein Verbot verfügt, besteht Artikel 74 NDG sozusagen nur auf dem Papier. Während das Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» in Kraft ist, hat der Bundesrat nämlich keinen Grund, das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie der verwandten Organisationen zu verfügen. Mit anderen Worten kann ein reibungsloser Übergang vom Gesetz über das Verbot von «AQ/IS» auf den revidierten Artikel 74 NDG sichergestellt werden, indem das Gesetz zum Zeitpunkt aufgehoben wird, an dem die auf Artikel 74 NDG gestützte Verfügung über das Organisationsverbot in Kraft tritt. Es ist somit keine Kollision zwischen den beiden Gesetzen zu befürchten.

In Bezug auf das Verhältnis von Artikel 2 des
Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» und Artikel 260ter StGB hat das Bundesstrafgericht befunden, dass ersteres als jüngeres Spezialgesetz letzterem vorgeht.25 Mit anderen Worten konsumiert Artikel 2 des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» Artikel 260ter StGB, und es besteht lediglich eine scheinbare (unechte) Konkurrenz.

24 25

100

Das Verfahren wird unter Ziff. 1.2 oben genauer beschrieben.

Urteil des Bundesstrafgerichts vom 15. Juli 2016 (SK.2016.9) E. 1.15.

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Wenn eine Handlung zur Unterstützung einer Organisation oder zur Beteiligung an dieser in Verbindung mit einer ­ schwereren ­ Haupttat der Organisation steht, sollte Artikel 2 des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» grundsätzlich hinter die Haupttat (z. B. Mord, Geiselnahme, schwere Körperverletzung usw.) zurücktreten.26

4

Auswirkungen

4.1

Auswirkungen für den Bund, die Kantone und die Gemeinden

Wie unter Ziffer 2.2 erwähnt sind seit Inkrafttreten des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» am 1. Januar 2015 zahlreiche Fälle gestützt auf dieses Gesetz untersucht worden. Wie ebenfalls unter 2.2 erläutert, wurden die meisten dieser Fälle auch wegen Beteiligung an einer terroristischen kriminellen Organisation im Sinne von Artikel 260ter StGB eröffnet, der seit 1. Januar 1994 in Kraft ist. Folglich ist die Eröffnung dieser Fälle nicht auf das Inkrafttreten des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» zurückzuführen ­ das im Übrigen lediglich die Verordnungen der Bundesversammlung ersetzt hat, die bereits seit vielen Jahren in Kraft waren (siehe Ziff. 1.1) ­ sondern auf eine verstärkte kriminelle Aktivität in diesem spezifischen Bereich. Zudem konnten die zuständigen Behörden alle Fälle mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen bearbeiten. Die Verlängerung des Gesetzes über das Verbot von «AQ/IS» hat somit keine zusätzlichen Ausgaben und keinen erhöhten Personalbedarf zur Folge. Da die Bundesgerichtsbarkeit beibehalten wird, ist ferner kein Mehraufwand für die Kantone und Gemeinden zu erwarten.

4.2

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Das Gesetz über das Verbot von «Al-Qaïda» hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Schweizer Volkswirtschaft gehabt. Da es jedoch die innere Sicherheit stärkt und zum Schutz der Bevölkerung beiträgt, schafft es günstige Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und stärkt dadurch indirekt die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz.

4.3

Auswirkungen auf die Aussenpolitik

Das internationale Ansehen der Schweiz wird gewahrt, insbesondere was ihren auf Dauer gerichteten Willen zur wirkungsvollen Bekämpfung des fundamental-islamistischen Terrorismus betrifft.

26

Siehe analog die subsidiäre Anwendung von Art. 260ter StGB auf die von kriminellen Organisationen begangenen Straftaten (erläuternder Bericht des Bundesrates vom Juni 2017 [Fn. 12], Ziff. 4.1.2.8).

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5

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 27. Januar 201627 über die Legislaturplanung 2015­2019 noch im Bundesbeschluss vom 14. Juni 201628 über die Legislaturplanung 2015­2019 angekündigt. Das ist darauf zurückzuführen, dass das Schicksal des eng mit dem vorliegenden Entwurf verknüpften Nachrichtendienstgesetzes erst nach diesen Daten feststand, d. h. nach dem 25. September 2016, an dem das Gesetz vom Volk angenommen worden ist.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Der Entwurf zur Verlängerung des Bundesgesetzes über das Verbot von «AQ/IS» stützt sich auf die ungeschriebene Kompetenz des Bundes zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit. Es gilt als inhärente Kompetenz des Bundes, die notwendigen Massnahmen zu seinem Schutz bzw. zum Schutz seiner Institutionen und Organe zu treffen und Gefahren abzuwehren, die für den Staat als solchen existenziellen Charakter haben. Für solche Bundeszuständigkeiten, die sich aus der Existenz und der Natur des Staates ergeben und für die eine explizite Kompetenzzuweisung in der Bundesverfassung fehlt, wird nach neuer Praxis Artikel 173 Absatz 2 BV herangezogen. Der Staatsschutz umfasst sowohl Elemente der inneren und äusseren Sicherheit. In Bezug auf letztere verfügt der Bund mit Artikel 54 BV über eine allgemeine Kompetenz, die ebenfalls eine umfassende Rechtssetzungskompetenz beinhaltet.

Der vorliegende Entwurf kann somit auf Artikel 173 Absatz 2 BV und überdies auf die Zuständigkeit des Bundes in auswärtigen Angelegenheiten (Art. 54 Abs. 1 BV) abgestützt werden.

6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Verlängerung des Gesetzes erfolgt zum Teil mit dem Ziel, weiterhin die Konformität des Schweizer Rechts mit internationalen Verpflichtungen zu gewährleisten. Dazu gehören insbesondere: die Resolutionen des Sicherheitsrates der UNO betreffend die Sanktionen gegen die Gruppierungen «Islamischer Staat» und «AlQaïda»29; die Resolution 2178 des gleichen Rates, wonach Reisen zu terroristischen Zwecken sowie die Finanzierung solcher Reisen unter Strafe zu stellen sind; und die Empfehlungen der GAFI, die als internationaler Standard bei der Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung gelten.

27 28 29

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BBl 2016 1105 BBl 2016 5183 Siehe insbesondere die Resolutionen 1267, 1333, 1989, 2083, 2161, 2253 und 2368 und die Resolutionen auf denen sie verweisen.

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Nach ihrem Besuch der Schweiz im Jahr 2016 ist die GAFI zum Schluss gekommen, dass die Strafbestimmungen, die die Terrorismusfinanzierung sowie die Unterstützung einer terroristischen Organisation sanktionieren, die Empfehlung 5 (Straftat der Terrorismusfinanzierung) grösstenteils erfüllen.30 Dieses gute Ergebnis ist auch auf das Gesetz über das Verbot von «Al-Qaïda» zurückzuführen. Dementsprechend ist zu gewährleisten, dass dieses bis zum Inkrafttreten und zur Umsetzung des revidierten Artikels 74 NDG gilt.

6.3

Erlassform

Die Verlängerung eines Bundesgesetzes mit beschränkter Geltungsdauer erfolgt wiederum durch ein Bundesgesetz ­ im vorliegenden Fall durch ein ebenfalls befristetes Bundesgesetz.

30

GAFI, Mesures de lutte contre le blanchiment de capitaux et le financement du terrorisme, Suisse, Rapport d'évaluation mutuelle, Décembre 2016, S. 255.

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