Asylsuchende Personen aus Eritrea Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 23. März 2018

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Bericht 1

Einleitung

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) hat anfangs 2016 beschlossen, das Thema der Asylsuchenden aus Eritrea zu vertiefen, da diese Angelegenheit in der Öffentlichkeit eine grosse Resonanz auslöste und ein wichtiges und aktuelles Thema darstellt. Eritrea ist in der Schweiz eines der umstrittensten Migrationsdossiers überhaupt. Die zuständige Subkommission der GPK-N führte im Zeitraum vom 23. Juni 2016 bis zum 12. Oktober 2017 Anhörungen mit Vertretern des SEM und des EDA durch. Sie konsultierte auch verschiedene Berichte des SEM.

So hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) unter anderem für das Europäische Asylunterstützungsbüro (EASO) den Bericht Länderfokus Eritrea erstellt. Zudem wurde an der Sitzung der Subkommission vom 23. Juni 2016 der neueste Bericht «Focus Eritrea»1 durch Vertreter des SEM vorgestellt.

Der vorliegende Bericht soll verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit asylsuchenden Personen aus Eritrea klären und zusammenfassend darstellen. Weiter ist es auch ein Anliegen der GPK-N, dem Bundesrat und den betroffenen Behörden mit diesem Bericht eine Rückmeldung aus der Perspektive der Oberaufsicht zu geben.

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Ausgangslage

Gemäss der Asylstatistik 2017 des SEM leben zurzeit 21 598 anerkannte eritreische Flüchtlinge in der Schweiz. 4526 Eritreer befinden sich noch im Asylverfahrensprozess. Zudem lebten Ende 2017 9337 Personen aus Eritrea in der Schweiz als vorläufig Aufgenommene.2 Die Asylgesuche von Personen aus Eritrea stiegen seit 2005 (181 Gesuche) markant an und erreichten 2015 (9966 Gesuche) den bisherigen Höhepunkt.

Die Prüfung von Asylgesuchen und der Entscheid über eine Wegweisung bei abgelehnten Gesuchen liegen in der Kompetenz des SEM. Dessen Entscheide können jedoch ans Bundesverwaltungsgericht oder ­ in Einzelfällen ­ ans Bundesgericht weitergezogen werden. Das SEM prüft die jeweiligen Gesuche im Einzelfall. Eine Pauschal- oder Fernbeurteilung gibt es nicht. Bei der Frage, ob jemand vorläufig aufzunehmen ist, wird u.a. Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK3) angewandt und untersucht, ob eine unmenschliche Behandlung bzw.

Bestrafung droht. Zudem prüft das SEM weitere potentielle Gründe, die eine Rückführung allenfalls nicht zulassen.4 1

2 3 4

Staatssekretariat für Migration, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, Bern-Wabern, 22.6.2016, www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/ herkunftslaender/afrika/eri/ERI-ber-easo-update-nationaldienst-d.pdf (Stand: 14. Sept. 2017).

Staatssekretariat für Migration, Asylstatistik 2017, S. 11 f.

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, abgeschlossen in Rom am 4. Nov. 1950 (EMRK; SR 0.101).

So prüft das SEM die Zulässigkeit und die Zumutbarkeit einer Rückkehr nach Eritrea.

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Gemäss den Angaben des SEM wurde im Jahr 2015 rund ein Viertel aller Asylgesuche von Personen aus Eritrea gestellt ­ fast 10 000 Gesuche. Ein Problem in Bezug auf die Dublin III-Verordnung5 ist gemäss dem SEM darin zu sehen, dass Italien lange Zeit ankommende Personen nicht bzw. nur ungenügend registriert hat. Die Folgen für die Schweiz bestanden darin, dass erstens mehr Asylsuchende in die Schweiz gelangten und zweitens ­ mangels Registrierung in Italien ­ Asylsuchende nicht gemäss dem Dublin-Verfahren nach Italien überstellt werden konnten. Da Eritrea das wichtigste Herkunftsland von Asylsuchenden darstellt, betraf dies viele Eritreer. Dies habe sich mittlerweile aber stark verbessert.6 Bei der Asylgewährung und vorläufigen Aufnahme liege die Schweiz etwa im europäischen Schnitt. In Bezug auf Eritrea sei die Asylgewährung in der Schweiz am Sinken.

Gemäss den Informationen des SEM beruhen dessen Analysen zur Lage in Eritrea auf drei Quellen: 1.

Berichte von internationalen Organisationen, Menschenrechtsorganisationen, Journalisten, Regierungen, Wissenschaftlern, etc.

2.

Kontakte zu Partnerbehörden und Personen vor Ort.

3.

Fact-Finding-Missionen vor Ort.

Es sei jedoch äusserst schwierig an objektive Informationen betreffend die Menschenrechtssituation in Eritrea zu gelangen.7 Mittels Fact-Finding-Missionen, der Auswertung verschiedener Berichte und dem Dialog mit anderen Staaten wird versucht diese Lücke bei der Informationsbeschaffung zu schliessen.8

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8

Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013 L 180/31).

Aussage des Vizedirektors Direktionsbereich Asyl des SEM an der Anhörung der Subkommission EJPD/BK der GPK-N vom 23. Juni 2016 und des Vizedirektors Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit des SEM an der Anhörung der Subkommissionen EJPD/BK der GPK vom 28. Juni 2017: «Heute [...] registriert Italien etwa 95 Prozent aller anlandenden Personen [...].» EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, www.sem.admin.ch/sem/de/home/asyl/eritrea.html (Stand: 13. Sept. 2017), S. 9; zu diesem Schluss kommt auch das Bundesverwaltungsgericht, siehe dazu BVGer D-2311/2016, Urteil vom 17. Aug. 2017, E. 10.

Aussage des Staatssekretärs des SEM im Gespräch mit der Rundschau des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) vom 6. Sept. 2017.

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Die Fact-Finding Mission 2016 und der Bericht Focus Eritrea

Das SEM betont die Wichtigkeit der Fact-Finding-Mission, welche im März 2016 durchgeführt wurde, da diese spezifisch auf die Aussagen der eritreischen Asylbewerber abgestimmt wurde (etwa die Flucht vor dem Nationaldienst). Sie wurde in Zusammenarbeit mit den Behörden der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt.

Das Ziel dieser Mission war zweierlei: Zum einen ging es um die Beantwortung der Frage, mit welchen Folgen eine Person bei einer allfälligen Rückkehr rechnen muss und welchen Asylstatus diese Person aufgrund dieser Erkenntnisse in der Schweiz erhalten soll. Zum anderen sollten Informationen zusammengetragen werden, um die Glaubhaftigkeit der entsprechenden Äusserungen ein- bzw. abschätzen zu können, ob diese Personen überhaupt Nationaldienst geleistet haben und Eritreer sind. Die wichtigsten Ergebnisse und Erkenntnisse aus dieser Fact-Finding-Mission wurden in den Bericht «Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise»9 integriert.

Gemäss dem Bericht des SEM werden Deserteure verhaftet und für eine unbestimmte Zeit willkürlich inhaftiert und bestraft.10 Danach werden die Betroffenen in den militärischen bzw. zivilen Dienst zurückgeführt. Gemäss dem Bericht gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich die Lage grundlegend geändert hätte, wobei die Strafen weniger streng geworden seien.11 Zudem werde ein Teil der Desserteure nicht (mehr) bestraft, wobei diese Personen aber keinen Zugang zu staatlichen Dienstleistungen haben.12 Dienstverweigerer werden ebenfalls inhaftiert ­ ohne Verfahren oder Anklage ­ und anschliessend in die militärische Ausbildung in wüstenhaften Gegenden und unter harschen Bedingungen gesteckt.13 Es ist den Behörden jedoch aufgrund fehlender Kapazitäten nicht möglich, sämtliche Dienstverweigerer aufzuspüren. Die Sicherheitskräfte organisieren aber Razzien, um die Bewohner gewisser Stadtteile bzw.

Dörfer systematisch zu überprüfen.14 Personen, die illegal ausreisen wollen, können für mehrere Monate bis hin zu zwei Jahre inhaftiert werden. Diese Dauer wurde reduziert, wobei die Strafen weiterhin aussergerichtlich, willkürlich und intransparent verhängt werden.15 Handelt es sich nicht um Deserteure oder Dienstverweigerer, so werden sie in der Regel in die Freiheit entlassen. Personen, welche freiwillig nach Eritrea zurückkehren, würden gemäss Aussagen des
Präsidenten straffrei bleiben. Bemängelt wird jedoch, dass dazu die rechtlichen Grundlagen fehlen. Die gängige Praxis sieht nämlich vor, dass jene Personen eine Steuer bezahlen und je nach dem ein Schuldeingeständnis unterschreiben müssen.

9 10 11 12 13 14 15

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise (siehe Fn. 1).

Siehe dazu Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 16 ff.

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 20.

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 20.

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 23.

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 23.

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 28.

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Über Personen, welche nach Eritrea zurückkehren, liegen sehr wenige Informationen vor.16 Ein Hauptproblem hierbei besteht darin, dass es bisher nicht gelang, mit Eritrea Rückübernahmeabkommen abzuschliessen und auf diesem Weg zu mehr Informationen zu gelangen. Was mit den wenigen Personen geschieht, die von anderen Staaten an Eritrea überstellt werden, darüber sind gemäss dem Bericht keine gesicherten Informationen verfügbar.17 Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass aufgrund der illegalen Ausreise die Strafen verschärft wurden.

Als Zusammenfassung ist festzuhalten, dass die eritreischen Behörden den Nationaldienst ­ entgegen eigener Ankündigungen ­ noch immer nicht auf 18 Monate begrenzt haben.18 Gewisse Änderungen würden sich jedoch trotzdem abzeichnen: bessere Entlöhnung und vermehrte Einteilung von Rekruten in den zivilen Nationaldienst.19 Schätzungen gehen davon aus, dass der zivile Nationaldienst zwischen fünf und zehn Jahren andauert. Die Erfolgsaussichten auf eine Entlassung aus dem militärischen Nationaldienst seien jedoch nach wie vor gering.20

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Keine Beziehungen zu Eritrea ­ Anhörung der Vertreter des EDA

Die Lage in Eritrea sei ­ gemäss den Anhörungen der Vertreter des SEM und des EDA ­ weiterhin angespannt: Eritrea sei kein Rechtsstaat; die Verfassung aus dem Jahre 1997 sei immer noch nicht in Kraft; das Parlament habe seit mehr als zehn Jahren nicht mehr getagt; Strafen würden aussergerichtlich verhängt. Das Regierungssystem habe quasi-kommunistische Züge angenommen, da die gesamte Bevölkerung von Aufgaben zugunsten des Staates betroffen sei.21 Eritrea ist ein wirtschaftlich armes Land. In den Bereichen des Sozialen, der Gesundheit und der Bildung hat Eritrea jedoch Fortschritte erzielt. Erwähnenswert sind dabei auch die Investitionen, welche vor allem Kanada und China in die eritreischen Minen tätigen.

Die Schweiz besitzt keine eigenständige Vertretung in Eritrea. Der Botschafter mit Sitz in Khartum (Hauptstadt Sudans), welcher für Eritrea zuständig ist, besucht das Land vier- bis fünfmal im Jahr. Um die Verhandlungsposition gegenüber Eritrea zu verstärken, hat das EDA beschlossen, eine Zusammenarbeit mit anderen europäischen Staaten einzugehen. Innerhalb dieses Dialogs spielen auch Fragen bzgl. Migration eine wichtige Rolle.

2006 haben sich die Bedingungen in Eritrea dermassen verschlechtert, dass sich die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) gezwungen sah, sich aus Eritrea zurückzuziehen. In erster Linie wurde diese Massnahme ergriffen, weil die bilaterale Zusammenarbeit mit den Behörden nicht mehr möglich war. Ende 2016 16 17 18 19 20 21

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 39.

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 34.

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 48 Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 47 f.

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 48.

Aussage der Chefin der Abteilung Subsahara-Afrika und Frankophonie des EDA an der Anhörung der Subkommission EJPD/BK der GPK-N vom 10. Okt. 2016.

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wurde der Beschluss gefasst, schrittweise erneut Kooperationsprojekte aufzunehmen, insbesondere im Bereich der Berufsbildung, welche durch vor Ort ansässige internationale Nichtregierungsorganisationen oder Agenturen der Vereinten Nationen umgesetzt werden. Die eritreische Regierung wird laufend über diese Projekte informiert.22 Am 13. März 2017 reichte die Schweizerische Volkspartei eine Motion im Nationalrat ein, welche verlangt, dass die Schweiz in Eritrea wieder eine Botschaft eröffnen solle. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Behörden vor Ort selber ein Bild der Situation machen können. Zudem sollen die nötigen Netzwerke aufgebaut werden, um schliesslich ein Rückübernahmeabkommen zu erarbeiten. Diese Motion wurde am 14. Juni 2017 mit grosser Mehrheit23 angenommen. Der Bundesrat spricht sich in der Stellungnahme zur erwähnten Motion und in seinem Bericht vom 14. Oktober 2016 für eine vermehrte Präsenz in Eritrea aus, die aber etappenweise erfolgen soll, wobei erste Massnahmen24 bereits getroffen wurden.25 Der Aufbau einer ständigen Vertretung in Eritrea bedinge jedoch, dass Aufwand und politischer Ertrag übereinstimmen würden.

5

Neueste Entwicklungen

Wie bereits aus den vorstehenden Informationen hervorgeht, sind im Zusammenhang mit eritreischen Asylbewerbern verschiedene Entwicklungen zu beachten.

5.1

Lage in Eritrea

Sowohl die Berichte des SEM als auch die Aussagen der eritreischen Regierung deuteten 2015/2016 darauf hin, dass sich die Situation in Eritrea in naher Zukunft hätte verbessern sollen:26 Der Nationaldienst sollte auf 18 Monate begrenzt und die Verfassung überarbeitet und in Kraft gesetzt werden. Zudem zeigte sich die eritreische Regierung offen für Gespräche mit der International Organization for Migration (IOM). Die Versprechen, sowohl die Verfassung in Kraft zu setzen, als auch 22 23 24 25

26

Information der Staatssekretärin des EDA in der Stellungnahme vom 30. Nov. 2017 zur Verwaltungskonsultation.

Für die Annahme der Motion stimmten 140 Parlamentarierinnen und Parlamentarier, 13 stimmten dagegen.

Entsendung eines Schweizer Attachés nach Asmara, Dialog mit anderen europäischen Staaten.

Stellungnahme des Bundesrates vom 24. Mai 2017 zur Motion 17.3098 «Eröffnung einer Schweizer Botschaft in Eritrea. Aussennetz im Dienste der Landesinteressen» und Eritrea: Analyse der Situation und Skizzierung mittelfristiger politischer Ansätze, Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Pfister 15.3954 «Endlich klare Informationen zu Eritrea» vom 24.09.2015, vom 14. Oktober 2016, www.admin.ch/gov/de/start/ dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-64352.html (Stand: 14. Sept. 2017), S. 20 ff.

Sondierungsreise, Bericht vom 9. Febr. 2015, S. 5; Eritrea: Analyse der Situation und Skizzierung mittelfristiger politischer Ansätze, Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Pfister 15.3954 «Endlich klare Informationen zu Eritrea» vom 24.09.2015, vom 14. Oktober 2016, S. 10 und S. 25; Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 45.

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den Nationaldienst zu befristen, wurden bis heute nicht eingelöst.27 Ein zentrales Problem in Eritrea liegt jedoch auch darin, dass die Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung ­ unter anderem die Schaffung neuer Arbeitsplätze ­ fehlen.28

5.2

Abnahme der Asylanträge aus Eritrea

Die Schweiz entpuppt sich ­ im Gegensatz zu früher und zu anderen Aufnahmestaaten ­ als weniger attraktiver Staat für eritreische Asylbewerber. Dies belegen die rückläufigen Zahlen des Staatssekretariats für Migration. Im Jahr 2014 reichten 6923 Personen aus Eritrea ein Asylgesuch ein, im Jahr 2015 waren es gar 9966 Eritreer. 2016 nahm diese Zahl im Vergleich zum Vorjahr um 4788 Personen ab, was einer Abnahme von 48 % entspricht. Im Jahr 2017 gingen 3375 Asylgesuche von Personen aus Eritrea ein, was im Vergleich zum Jahr 2016 (5178 Gesuche) eine weitere Abnahme bedeutet.29

5.3

Änderungen in der Asylpolitik

Die dritte Entwicklung betrifft direkt das schweizerische Asylwesen. Das SEM hat im Juni 2016 bei der Beurteilung von Asylgesuchen aus Eritrea wichtige Änderungen vorgenommen, welche unter anderem verhindern sollen, dass nicht berechtigte Personen als Flüchtlinge anerkannt werden. Diese Änderungen wurden gestützt auf den Eritrea-Bericht vom 22. Juni 2016 vorgenommen.30 1.

Falls eine Person gar nicht, noch nicht oder nicht mehr nationaldienstpflichtig ist, soll diese allein aufgrund der illegalen Ausreise nicht mehr als Flüchtling anerkannt werden.

2.

Personen, welche eine besondere Regierungsnähe aufweisen bzw. gute Beziehungen mit der Regierung unterhalten, sollen kein Asyl erhalten, da sie nicht verfolgt werden.

Zudem stützte das Bundesverwaltungsgericht in bislang zwei wegweisenden Entscheiden die Verschärfung der Asylpraxis. Erstens wird einem eritreischen Staatsangehörigen nicht bloss wegen der illegalen Ausreise aus Eritrea Asyl gewährt, da nicht per se mit einer Verfolgung zu rechnen sei.31 Zweitens hielt das Bundesverwaltungsgericht im zweiten Entscheid fest, dass bei einem Eritreer oder einer Eritreerin, welche(r) Nationaldienst geleistet und diesen abgeschlossen hat oder von

27 28 29 30 31

Aussagen des Staatssekretärs für Migration und der Staatssekretärin des EDA an der Anhörung der Subkommission EJPD/BK der GPK-N vom 12. Okt. 2017.

Sondierungsreise, Bericht vom 9. Febr. 2015, S. 4.

Staatssekretariat für Migration, Asylstatistik 2017, S. 13 und Staatssekretariat für Migration, Asylstatistik 2016, S. 13.

Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22. Juni 2016.

BVGer D-7898/2015, Urteil vom 30. Jan. 2017; BVGer D-2311/2016, Urteil vom 17. Aug. 2017, E. 6 und 9.

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der Dienstpflicht befreit worden ist, eine Rückkehr grundsätzlich zumutbar und zulässig sei.32

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Das «Problem» der Heimatreisen

Im August 2016 ist beim Sekretariat der Geschäftsprüfungskommissionen eine Aufsichtseingabe eingegangen. Dabei wurde geltend gemacht, dass sehr viele eritreische Staatsangehörige, die sich in der Schweiz entweder in einem Asylverfahren befinden bzw. vorläufig aufgenommen wurden (Ausweis F), vorübergehend nach Eritrea reisen würden. Die Subkommission EJPD/BK der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates nahm sich der Eingabe an und forderte zum einen beim Aufsichtseingeber und zum anderen beim SEM weitere Informationen an. Der Eingeber machte geltend, dass sich Eritreer ein Visum der angrenzenden Staaten beschaffen (erwähnt wird der Sudan) und daraufhin über die Türkei nach Karthum (Sudan) oder Addis Abeba (Äthiopien) fliegen und von da aus auf dem Landweg weiter nach Eritrea reisen würden. Gemäss den Angaben des Aufsichtseingebers stammten diese Informationen von einer Kontaktperson, die am Flughafen Zürich arbeitet, welcher der Eingeber absolute Vertraulichkeit zugesichert hat.

In der ersten Stellungnahme des SEM vom 10. Januar 2017 macht das Staatssekretariat unmissverständlich klar, dass Asylgesuche von asylsuchenden Personen im Falle einer vorübergehenden Heimatreise abgelehnt werden. Falls ein anerkannter Flüchtling vorübergehend in seinen Heimatstaat reist, wird ihm grundsätzlich ebenso der Flüchtlingsstatus aberkannt. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes muss dies aber in jedem Einzelfall geprüft werden.33 Im September 2015 wurde auf Bestreben der Kantone hin eine Meldestelle beim SEM geschaffen, bei welcher der Missbrauch eines Reisedokumentes ­ auch für potentielle Heimatreisen ­ geltend gemacht werden kann.

In der Praxis sei es jedoch häufig schwierig, eine vermutete Heimatreise nachzuweisen, zumal es verschiedene Möglichkeiten einer Vertuschung gebe: Es bestehen keine Direktflüge zwischen der Schweiz und Eritrea, weshalb Flüge über einen Drittstaat durchgeführt werden und damit die Reisedestination, bzw. die Herkunft vertuscht werden kann. Zudem können verschiedene Reisedokumente verwendet werden und die Einreise kann über einen anderen Schengen-Staat führen, weshalb die fraglichen Personen keine schweizerischen Grenzkontrollen passieren müssen.

In einer zweiten Stellungnahme des SEM vom 29. März 2017 wird festgehalten, dass alleine aufgrund einer Reise in
einen Nachbarstaat des Heimatstaates nicht auf eine Heimatreise geschlossen werden könne. Weiter gibt das SEM zu bedenken, dass viele Eritreer nach Sudan und Äthiopien geflohen sind, weshalb viele in der Schweiz lebende Eritreer in diese Nachbarstaaten Eritreas reisen, um Familienmitglieder und Bekannte zu treffen. Dies verstösst nicht gegen geltendes Recht. Zudem leben viele Eritreer schon seit Jahren in der Schweiz und wurden entweder eingebürgert oder sind im Besitz des Aufenthaltsstatus C, weshalb sie nach geltendem 32 33

BVGer D-2311/2016, Urteil vom 17. Aug. 2017, insbesondere E. 13.3 und 14.

Siehe dazu etwa BVGer E-3801/2013, Urteil vom 20. Jan. 2015.

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schweizerischem Recht nach Eritrea reisen dürfen, ohne dass ein Verstoss gegen die schweizerische Rechtsordnung vorliegen würde.

Ein Blick auf die Zahlen des SEM zu den Asylwiderrufen in den letzten Jahren zeigt, dass 2015 bei sieben und 2016 bei sechs Personen aus Eritrea der Status tatsächlich widerrufen worden ist. Das SEM bekräftigt, dass Artikel 63 AsylG34 ­ Widerruf des Asylstatus ­ konsequent angewandt werde.

Zur Aufdeckung von Heimatreisen werden auch die sogenannten API-Daten (Advanced Passenger Information)35 verwendet, welche bei gewissen Flugreisen den zuständigen Behörden übermittelt werden. Auffällige Konstellationen werden dabei vom Grenzwachtkorps oder durch die Kantonspolizei dem SEM mitgeteilt. Solchen Hinweisen geht das SEM nach und sie können gegebenenfalls zu einem Asylwiderrufsverfahren führen.

Da die Angaben und Aussagen seitens der Behörden nachvollziehbar sind und keine weiteren, die Aufsichtseingabe stützenden Beweise erhoben werden konnten, wurde an der Sitzung vom 22. Mai 2017 nach der Anhörung des Aufsichtseingebers beschlossen, die Aufsichtseingabe abzuschliessen und keine weiteren Massnahmen zu treffen.

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Bewertung und weiteres Vorgehen

Die Oberaufsicht durch die GPK hat zur Aufgabe, zu prüfen, ob die Verwaltung rechtmässig, zweckmässig und wirksam tätig wird (Artikel 52 Absatz 2 des Bundesgesetzes über die Bundesversammlung36). Gestützt auf die Anhörungen und die Analyse der verschiedenen Berichte, hält die GPK-N fest, dass das Staatssekretariat für Migration (SEM) in Bezug auf Eritrea ­ angesichts der sehr spärlichen Informationen und der sehr restriktiven Kommunikationspolitik der eritreischen Regierung ­ gute Arbeit leistet, indem es die Lage in Eritrea bestmöglichst aufarbeitet und den gesetzlichen Auftrag rechtmässig, zweckmässig und wirksam ausführt.

Die GPK-N kommt deshalb zum Schluss, dass derzeit aus Sicht der Oberaufsicht kein Handlungsbedarf besteht. Für die GPK-N ist es jedoch zentral, dass das SEM die Situation und die Entwicklungen in Eritrea genauestens weiterverfolgt und dass die Asylpraxis allenfalls weiter diesen Erkenntnissen angepasst wird.

34 35 36

Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31).

Die API-Daten bestehen aus folgenden Informationen: Vor- und Nachname, Biometriedaten, Geburtsdatum, Nationalität, Passnummer und Geschlecht.

Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10).

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Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates hat an der Sitzung vom 23. März 2018 beschlossen, die Abklärungen zum Thema «Eritrea» abzuschliessen.

23. März 2018

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates: Die Präsidentin der GPK-N: Doris Fiala Die Sekretärin der GPK: Beatrice Meli Andres Der Präsident der Subkommission EJPD/BK: Alfred Heer Der Sekretär der Subkommission EJPD/BK: Stefan Diezig

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Abkürzungsverzeichnis ABl.

Amtsblatt der Europäischen Union

API

Advanced-Passenger-Information

AsylG

Asylgesetz vom 26. Juni 1998, SR 142.31

BK

Bundeskanzlei

DEZA

Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit

EASO

Europäisches Asylunterstützungsbüro

EDA

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten

EJPD

Eidgenössisches Polizei- und Justizdepartement

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EU

Europäische Union

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen

GPK-N

Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates

IOM

International Organization for Migration

ParlG

Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz; SR 171.10)

SEM

Staatssekretariat für Migration

SR

Systematische Rechtssammlung des Bundes

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