18.052 Botschaft zur Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» vom 1. Juni 2018

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

1. Juni 2018

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2018-0757

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Übersicht Die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» will den Bund verpflichten, einen mindestens vierwöchigen gesetzlich vorgeschriebenen und über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigten Vaterschaftsurlaub einzuführen. Ein solcher Urlaub würde die Wirtschaft mit zusätzlichen Abgaben belasten und die Unternehmen vor grosse organisatorische Herausforderungen stellen. Der Bundesrat anerkennt zwar das Anliegen des Vaterschaftsurlaubs; der Ausbau eines bedarfsgerechten familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots hat für ihn jedoch Priorität. Er beantragt dem Parlament deshalb, die Initiative Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

Ausgangslage Die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» wurde am 4. Juli 2017 mit 107 075 gültigen Unterschriften durch das Initiativkomitee «Vaterschaftsurlaub jetzt!», einen Zusammenschluss der vier Dachverbände Travail.Suisse, männer.ch, Alliance F und Pro Familia Schweiz, eingereicht. Die Initiantinnen und Initianten verlangen die Einführung eines im Bundesrecht verankerten und über die EO entschädigten Vaterschaftsurlaubs.

Inhalt der Vorlage Die Initiative will dem Bund die Aufgabe übertragen, eine Vaterschaftsversicherung einzurichten. Sie verlangt, dass Väter Anspruch auf mindestens vier Wochen Vaterschaftsurlaub erhalten und die Vaterschaftsentschädigung analog zur Mutterschaftsentschädigung geregelt wird.

Der Bund verfügt bereits heute über eine ausreichende Verfassungsgrundlage, um einen solchen Vaterschaftsurlaub einführen zu können; durch die verlangte Anpassung der Verfassungsbestimmungen würde der Bund jedoch dazu verpflichtet.

Heute hat der Vater bei der Geburt eines Kindes in der Regel Anspruch auf 1 bis 2 bezahlte Urlaubstage. Gestützt auf eine vertragliche Bestimmung kann dem Vater ein länger währender Vaterschaftsurlaub gewährt werden.

Die Kosten eines vierwöchigen über die EO entschädigten Vaterschaftsurlaubs würden sich gemäss Schätzung des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) auf rund 420 Millionen Franken pro Jahr belaufen. Diese Kosten würden die Unternehmen mit zusätzlichen Abgaben belasten. Ferner würde ein solcher Urlaub die Unternehmen vor grosse organisatorische
Herausforderungen stellen. Der Bundesrat ist deshalb der Meinung, dass die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs wie bis anhin in der Verantwortung der Arbeitgeber respektive der Sozialpartner bleiben soll.

Zudem legt der Bundesrat seinen Schwerpunkt in der Familienpolitik auf Massnahmen für die Förderung des familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots. Im Vergleich zu einem gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaub tragen diese Massnahmen nicht nur unmittelbar nach der Geburt des Kindes, sondern auch in den

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nachfolgenden Familienphasen dazu bei, dass Mütter und Väter Familie und Erwerbstätigkeit besser vereinbaren können. Zudem weisen diese Massnahmen ein günstigeres Kosten-Nutzen-Verhältnis auf.

Antrag des Bundesrates Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 116 Sachüberschrift und Abs. 3 und 4 Familienzulagen, Mutterschafts- und Vaterschaftsversicherung Er [der Bund] richtet eine Mutterschaftsversicherung und eine Vaterschaftsversicherung ein. Er kann auch Personen zu Beiträgen verpflichten, die nicht in den Genuss der Versicherungsleistungen gelangen können.

3

Er kann den Beitritt zu einer Familienausgleichskasse, die Mutterschaftsversicherung und die Vaterschaftsversicherung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsgruppen obligatorisch erklären und seine Leistungen von angemessenen Leistungen der Kantone abhängig machen.

4

Art. 197 Ziff. 122 Übergangsbestimmung zu Art. 116 Abs. 3 und 4 (Vaterschaftsversicherung) Im Obligationenrecht3 wird ein Anspruch auf Vaterschaftsurlaub von mindestens vier Wochen festgelegt. Die Vaterschaftsentschädigung wird analog zur Mutterschaftsentschädigung im Erwerbsersatzgesetz vom 25. September 19524 geregelt.

1

Ist die Ausführungsgesetzgebung zur Änderung von Artikel 116 Absätze 3 und 4 drei Jahre nach deren Annahme durch Volk und Stände noch nicht in Kraft getreten, so erlässt der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt hin die Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg.

2

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» wurde am 10. Mai 2016 von der Bundeskanzlei vorgeprüft5 und am 4. Juli 2017 mit den nötigen Unterschriften durch das Initiativkomitee «Vater1 2 3 4 5

SR 101 Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

SR 220 SR 834.1 BBl 2016 4105

3702

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schaftsurlaub jetzt!», einen Zusammenschluss der vier Dachverbände Travail.Suisse, männer.ch, Alliance F und Pro Familia Schweiz, eingereicht.

Mit Verfügung vom 2. August 2017 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 107 075 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.6 Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag.

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20027 (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 4. Juli 2018 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 4. Januar 2020 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung8 (BV): a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

Geltendes Recht

2.1.1

Bestimmungen im Bundesrecht

Der Vaterschaftsurlaub ist gesetzlich nicht geregelt. Der Vater kann nach der Geburt des Kindes gestützt auf Artikel 329 Absatz 3 des Obligationenrechts 9 (OR) im Rahmen eines «üblichen freien Tags» Anspruch auf einen Urlaub geltend machen. Ein solcher Urlaub gilt als Sonderurlaub, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beziehen können, um persönliche Angelegenheiten zu regeln (z. B. Arztbesuch, Tod eines nahen Verwandten, Heirat oder Umzug).

Heute werden dem Vater bei der Geburt eines Kindes in der Regel ein bis zwei bezahlte Urlaubstage gewährt, womit diese als üblich im Sinne von Artikel 329 6 7 8 9

BBl 2017 5473 SR 171.10 SR 101 SR 220

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Absatz 3 OR angesehen werden.10 Der Urlaub wird nach Artikel 329 Absatz 4 OR ferner unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zugebilligt. Unternehmen können zudem grosszügigere Regelungen vorsehen. Der Urlaub kann folglich von Unternehmen zu Unternehmen und von Mitarbeiter zu Mitarbeiter variieren.

Für Väter besteht ausserdem die Möglichkeit, nach der Geburt des Kindes Ferientage zu beziehen. Nach Artikel 329c OR muss der Arbeitgeber dem Zeitpunkt der Ferien allerdings zustimmen.

2.1.2

Branchen- und betriebsspezifische Bestimmungen

Gestützt auf einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) oder eine arbeitsvertragliche Bestimmung auf Betriebsebene kann ein länger währender, in der Regel bezahlter Vaterschaftsurlaub gewährt werden.

Travail.Suisse hat untersucht, wie der Vaterschaftsurlaub in 45 Gesamtarbeitsverträgen geregelt ist. Die ausgewerteten GAV decken rund 75 bis 80 Prozent der Arbeitnehmenden ab, die einem GAV unterstellt sind.11 Die Auswertung zeigt, dass 46 Prozent der diesen GAV unterstellten Arbeitnehmenden Anspruch auf einen bezahlten Vaterschaftsurlaub von 1 oder 2 Tagen haben, 46 Prozent der Arbeitnehmenden ein Urlaub von 3 oder 5 Tagen gewährt wird und die restlichen 8 Prozent 6 oder mehr Tage Vaterschaftsurlaub geltend machen können.12 Aus der Analyse von Travail.Suisse zu den Regelungen in 35 ausgewählten Unternehmen geht hervor, dass diese im Vergleich zu den analysierten GAV einen grosszügiger bemessenen bezahlten Vaterschaftsurlaub im Umfang von 5 bis 20 Tagen vorsehen.13 Aus dem KMU-Handbuch «Beruf und Familie» des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) geht hervor, dass durchaus auch kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) einen Vaterschaftsurlaub anbieten, dieser allerdings meistens nur wenige bezahlte Urlaubstage umfasst.14 Im Vergleich zu den KMU führen multinationale Unternehmen in jüngster Zeit deutlich grosszügigere Urlaube für ihre Angestellten ein.15 10 11

12

13

14 15

Bundesgerichtsentscheid vom 7.4.1998, 4C.459/1997, E 4.

Die 45 analysierten GAV setzen sich wie folgt zusammen: Allgemeinverbindlich erklärte GAV auf Bundesebene sowie GAV, denen mindestens 10 000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen unterstellt sind (telefonische Auskunft von Travail.Suisse vom 8.8.2017).

Die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, welche den analysierten GAV unterstehen, entsprechen rund 30 Prozent aller Arbeitnehmenden.

www.travailsuisse.ch > Themen > Gleichstellung > Mutterschaft und Vaterschaft > Vaterschaftsurlaub braucht dringend eine gesetzliche Basis > Factsheet «Vaterschaftsurlaub in 45 Gesamtarbeitsverträgen» (Stand: 16.2.2018) www.travailsuisse.ch > Themen > Gleichstellung > Mutterschaft und Vaterschaft > Vaterschaftsurlaub braucht dringend eine gesetzliche Basis > Factsheet «Vaterschaftsurlaub in 45 Gesamtarbeitsverträgen» (Stand: 16.2.2018) SECO: 43 IKEA Schweiz bietet Vätern z. B. ab dem 1.9.2017 einen Vaterschaftsurlaub von bis zu zwei Monaten an. Der US-Konzern Johnson & Johnson führt ab Ende 2017 für alle Angestellten weltweit einen achtwöchigen Vaterschaftsurlaub mit Lohnfortzahlung ein.

Bei Microsoft Schweiz erhalten Väter ab Januar 2018 sechs Wochen Vaterschafsurlaub mit Lohnfortzahlung.

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Die öffentliche Hand als Arbeitgeber auf allen staatlichen Ebenen kann ebenfalls einen Vaterschaftsurlaub anbieten. Mitarbeiter der Bundesverwaltung haben seit dem 1. Juli 2013 Anspruch auf 10 Tage bezahlten Vaterschaftsurlaub. Die meisten kantonalen Verwaltungen sowie die kommunalen Verwaltungen der Kantonshauptorte und grössten Städte gewähren einen 5- oder 10-tägigen bezahlten Vaterschaftsurlaub.16

2.2

Bericht des Bundesrates zum Vaterschaftsund Elternurlaub

Im Oktober 2013 hat der Bundesrat den Bericht in Erfüllung des Postulats Fetz vom 6. Juni 2011 (11.3492 «Freiwillige Elternzeit und Familienvorsorge») verabschiedet.17 In seinem Bericht nimmt der Bundesrat eine Auslegeordnung zu den Voraussetzungen und zum geltenden Recht in der Schweiz, auf internationaler Ebene und in verschiedenen europäischen Staaten vor. Auf dieser Grundlage analysiert er acht verschiedene Modelle eines gesetzlich verankerten Vaterschafts- respektive Elternurlaubs: Modell 1:

Unbezahlter Vaterschafts- oder Elternurlaub Gesetzlicher Anspruch auf Vaterschafts- und/oder Elternurlaub; Dauer festzulegen; keine Entschädigung.

Modelle 2 und 3:

16-wöchiger privat finanzierter Elternurlaub Gesetzlicher Anspruch auf Elternurlaub; Finanzierung durch gebundene Vorsorge (Säule 3a) oder steuerbefreites individuelles Sparguthaben.

Modell 4:

1-wöchiger Vaterschaftsurlaub mit Lohnfortzahlung Gesetzlicher Anspruch auf Vaterschaftsurlaub; Lohnfortzahlung.

Modell 5:

4-wöchiger durch Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigter Vaterschaftsurlaub Gesetzlicher Anspruch auf Vaterschaftsurlaub; Vaterschaftsentschädigung EO.

Modelle 6, 7, 8:

Bezahlter Elternurlaub Gesetzlicher Anspruch auf Elternurlaub (Länge variiert); Elternschaftsentschädigung EO bzw. Mischfinanzierung.

Im Bericht werden die wichtigsten Merkmale jedes Modells (Dauer, Leistung, Finanzierung etc.) dargestellt, Kostenschätzungen für alle acht Modelle präsentiert sowie deren Vor- und Nachteile aufgezeigt. Eine Synthese erlaubt den Vergleich der Modelle hinsichtlich Kosten und Auswirkungen. Der Bundesrat hat in seinem Bericht keines der acht präsentierten Modelle favorisiert (s. Ziff. 4.2.3).

Die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» lehnt sich an das Modell 5 an.

16

17

www.travailsuisse.ch > Themen > Gleichstellung > Mutterschaft und Vaterschaft > Vaterschaftsurlaub braucht dringend eine gesetzliche Basis > Factsheet «Vaterschaftsurlaub bei der öffentlichen Hand» (Stand: 16.2.2018) Bundesrat 2013

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2.3

Parlamentarische Vorstösse

In den vergangenen Jahren wurden im eidgenössischen Parlament zahlreiche Vorstösse eingereicht, welche die Prüfung oder Einführung eines im Bundesrecht geregelten Vaterschaftsurlaubs verlangten.18 Mit Ausnahme des Postulats Fetz vom 6. Juni 2011 (11.3492 «Freiwillige Elternzeit und Familienvorsorge») hat das Parlament alle bisher behandelten Postulate und Motionen abgelehnt (s. Ziff. 2.3).19 In jüngster Zeit wurden sechs Vorstösse eingereicht, welche analog zur Volksinitiative verlangen, dass nicht nur Mütter, sondern auch Väter nach der Geburt bzw.

Adoption des Kindes Anspruch auf einen Urlaub mit einer EO-Entschädigung erhalten: ­

Die parlamentarische Initiative Romano (13.478 «Einführung einer Adoptionsentschädigung») vom 12. Dezember 2013 verlangt die Einführung eines Adoptionsurlaubs, welcher über das Erwerbsersatzgesetz vom 25. September 195220 (EOG) entschädigt wird. Der parlamentarischen Initiative wurde Folge gegeben. Die zuständige Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-NR) hat am 25. Januar 2018 eine entsprechende Vorlage zur Änderung des EOG verabschiedet und in die Vernehmlassung geschickt. Der Vorentwurf sieht für erwerbstätige Eltern einen über die EO finanzierten Adoptionsurlaub von zwei Wochen vor, wenn ein weniger als vier Jahre altes Kind adoptiert wird. Die Adoptiveltern könnten frei wählen, welcher Elternteil den Urlaub bezieht, oder eine Aufteilung des Urlaubs vornehmen. Die Kosten für einen solchen Urlaub veranschlagt die Verwaltung auf weniger als 200 000 Franken pro Jahr. Die Vernehmlassung zum Vorentwurf mit dem erläuternden Bericht dauerte bis zum 23. Mai 2018.

­

Die Motion der Grünliberalen Fraktion «Elternurlaub statt Mutterschaftsentschädigung» (14.3068) vom 12. März 2014 verlangt die Ablösung der Mutterschaftsentschädigung durch einen Elternurlaub. Mütter und Väter sollen gemeinsam Anspruch auf den bestehenden 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub haben. Bei einer ausgeglichenen Aufteilung des Urlaubs würde sich deren gemeinsamer Anspruch auf maximal 20 Wochen erhöhen. Die Motion wurde abgeschrieben, weil sie im Parlament nicht innerhalb der vorgegebenen Fristen behandelt wurde.

Die Motion ist nicht vereinbar mit dem Übereinkommen Nr. 183 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 15. Juni 2000 (Übereinkommen über den Mutterschutz 183 IAO)21, welches für die Schweiz am 4. Juni 2015 rechtsverbindlich wurde. Das Übereinkommen sieht in Artikel 4 explizit vor, dass jede Frau Anspruch auf einen 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub hat, wovon 6 Wochen zwingend unmittelbar nach der Entbindung zu gewähren sind. Dieser Urlaub ist zu entschädigen. Die Finanzierung der Entschädigung

18 19 20 21

Bundesrat 2013: 73­76 Stand: 23.3.2018 SR 834.1 SR 0.822.728.3

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ist durch eine gesetzliche Sozialversicherung oder mittels öffentlicher Mittel sicherzustellen.22

22

23

­

Die Motion Caroni «Elternurlaub. Mehr Wahlfreiheit bei gleichen Kosten» (14.3109) vom 18. März 2014 verlangt die Umwandlung des bestehenden Mutterschaftsurlaubs in einen Elternurlaub, sodass ein Teil des 14-wöchigen Mutterschaftsurlaubs durch den Vater bezogen werden könnte. Auch diese Motion wurde abgeschrieben, weil sie im Parlament nicht innerhalb der vorgegebenen Fristen behandelt wurde. Sie ist ebenfalls unvereinbar mit dem Übereinkommen über den Mutterschutz 183 IAO.

­

Die parlamentarische Initiative Candinas «Zwei Wochen über die EO bezahlten Vaterschaftsurlaub» (14.415) vom 21. März 2014 verlangt, dass das EOG und das OR so anzupassen seien, dass Vätern nach der Geburt eines Kindes analog zum Mutterschaftsurlaub ein zweiwöchiger bezahlter Vaterschaftsurlaub gewährt würde. Dieser parlamentarischen Initiative wurde bei der Vorprüfung durch die zuständigen Kommissionen knapp keine Folge gegeben.

­

Die parlamentarische Initiative (Kessler) Weibel vom 8. Juni 2015 verlangt einen «Mutterschaftsurlaub für hinterbliebene Väter» (15.434). Das EOG und das OR seien so anzupassen, dass bei einem Todesfall der Mutter innerhalb von 14 Wochen nach der Geburt der Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen vollumfänglich dem Vater gewährt würde. Der parlamentarischen Initiative wurde Folge gegeben. Das Geschäft befindet sich in der parlamentarischen Beratung.

­

Die parlamentarische Initiative Bertschy «Elternzeit von 14 Wochen für beide Elternteile bei beidseitiger Erwerbstätigkeit» (16.453) vom 17. Juni 2016 verlangt den Ersatz der Mutterschaftsentschädigung durch einen Elternurlaub.23 Die bisherige 14-wöchige Mutterschaftsentschädigung soll durch eine 14-wöchige Vaterschaftsentschädigung ergänzt werden. Die Vaterschaftsentschädigung würde nur gewährt, wenn beide Elternteile erwerbstätig wären. Der parlamentarischen Initiative wurde keine Folge gegeben.

Das Übereinkommen ist am 7. Februar 2002 in Kraft getreten. Es wurde von der Schweiz 2014 ratifiziert und ist seit dem 4. Juni 2015 auch für die Schweiz verbindlich. Das Übereinkommen kann nur im Abstand von jeweils zehn Jahren seit dem erstmaligen Inkrafttreten gekündigt werden (Art. 16). Die nächstmögliche Periode für eine Kündigung liegt zwischen dem 7. Februar 2022 und 7. Februar 2023. Eine Kündigung des Übereinkommens wäre jedoch für die Reputation der Schweiz schädlich, da die Schweiz es erst kürzlich ratifiziert hat.

Der Begriff «Elternzeit» wird in der parlamentarischen Initiative als Synonym für «Elternurlaub» verwendet.

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3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Die Initiantinnen und Initianten haben die Ziele, welche sie mit ihrer Volksinitiative verfolgen, in einem Argumentarium24 dargelegt. Darauf wird in den folgenden Ausführungen Bezug genommen.

Laut den Initiantinnen und Initianten wollen junge Väter heute von Anfang an Verantwortung für das Familienleben übernehmen. Väter würden indessen nicht mehr zeitgemässe Rahmenbedingungen vorfinden und seien für den Bezug eines Vaterschaftsurlaubs auf den Goodwill des Arbeitgebers angewiesen. Gemäss den Initiantinnen und Initianten bildet ein freiwillig gewährter Vaterschaftsurlaub immer noch die Ausnahme. Die Phase rund um die Geburt sei der entscheidende Moment für den Beziehungsaufbau zwischen Vater und Kind sowie den Aufbau von väterlichen Kompetenzen. Ein Vaterschaftsurlaub stärke das väterliche Engagement lang über die Zeit des Urlaubs hinaus.

Aus Sicht der Initiantinnen und Initianten werden Mütter heute nach der Geburt zu oft allein gelassen. Sie müssten ein bis zwei Tage nach der Geburt die alleinige Verantwortung für das Neugeborene übernehmen, obwohl sie sich noch von den körperlichen und seelischen Strapazen der Geburt erholen, mit dem Schlafmanko zurechtkommen und sich gegebenenfalls um Geschwister des Neugeborenen kümmern müssten. Der Vaterschaftsurlaub bringe Verlässlichkeit, Stabilität und Geborgenheit.

Er führe dazu, dass sich die Mutter des Neugeborenen aufgrund der Entlastung durch den Vater schneller von der Geburt erholen könne.

Die Initiantinnen und Initianten betonen, dass Kinder von Anfang an beide Elternteile brauchen würden. Kinder hätten das Recht auf einen Start ins Leben in der Geborgenheit der Familie. Kinder würden von ihren Vätern profitieren. Die Forschung zeige, dass Kinder von engagierten Vätern gesünder, glücklicher und erfolgreicher seien. Ein frühes väterliches Engagement stärke die Beziehung zum Kind ein Leben lang. Die Nähe zu beiden Elternteilen entspreche dem Wunsch der Kinder und erlaube ihnen schon früh, Beziehungsvielfalt zu erleben.

Laut den Initiantinnen und Initianten bedeutet die Geburt eines Kindes für die Frauen nach wie vor eine starke Beeinträchtigung ihrer beruflichen Perspektive. Durch den Vaterschaftsurlaub werde es normal, dass auch Väter wegen Familienpflichten nicht ununterbrochen am Arbeitsplatz anzutreffen seien. Das gleiche die Benachteiligung
der Mütter auf dem Arbeitsmarkt teilweise aus. Der Vaterschaftsurlaub fördere die faire Verteilung des Erwerbs- und Karriererisikos «Familiengründung». Er stärke dadurch die berufliche Perspektive der Frauen und trage stark zur Erwerbskontinuität der Frauen bei.

Die Initiantinnen und Initianten vertreten die Meinung, dass der Vaterschaftsurlaub die Familiengründung zu einem gemeinsamen Projekt des Paares mache sowie der Familie Sicherheit und Stabilität gebe. Der Vaterschaftsurlaub stärke egalitäre Familienmodelle, erhöhe die Beziehungszufriedenheit und mache Partnerschaften stabiler, da beide Elternteile sowohl berufliche wie häusliche Erfahrungswelten teilen 24

www.vaterschaftsurlaub.ch > Initiative > Argumentarium (Stand: 18.2.2018)

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würden. Komme es zur Trennung oder Scheidung, so sei die Gefahr eines Scheidungskrieges nachweislich kleiner, wenn die elterliche Verantwortung von Anfang an geteilt worden sei. Wenn beide Elternteile im Arbeitsprozess bleiben würden, verhindere dies das wirtschaftliche Klumpenrisiko des traditionellen Alleinernährermodells.

Laut den Initiantinnen und Initianten trägt der Vaterschaftsurlaub dazu bei, dass die Wirtschaft das Potenzial der Mütter nutzen kann. Väterliches Engagement zuhause fördere das mütterliche Engagement im Job. Dadurch trage ein Vaterschaftsurlaub zur stärkeren Beteiligung der Mütter an der Erwerbsarbeit bei und sei damit ein wichtiger Baustein gegen den Fachkräftemangel. Der Vaterschaftsurlaub werde mit einer Lösung über die Sozialversicherungen bezahlbar für alle Unternehmen, nicht nur für Grossunternehmen, wodurch die heutige Willkür überwunden werden könne.

Mit einem gesetzlichen Vaterschaftsurlaub seien Schweizer Unternehmen international in der Familienpolitik konkurrenzfähiger. Als Element einer zukunftsorientierten Familienpolitik fördere der Vaterschaftsurlaub die Wohlfahrt und stärke das Wirtschaftswachstum.

Die Initiantinnen und Initianten weisen ferner darauf hin, dass der Vaterschaftsurlaub eine sinnvolle Investition in eine junge Gesellschaft sei. Wenn die Politik gute Bedingungen für Familien schaffe, gebe es mehr Kinder. Dadurch entstehe eine Verjüngung der Gesellschaft, wodurch die Sozialwerke künftig besser gesichert werden könnten. Mit einem Vaterschaftsurlaub für alle werde zudem die väterliche Präsenz gefördert und damit eine Vielzahl von gesellschaftlichen Problemen besser angegangen.

3.2

Inhalt der Initiative

Die Initiative verlangt, dass Artikel 116 Absätze 3 und 4 BV dahingehend geändert wird, dass er dem Bund die Aufgabe überträgt, eine Vaterschaftsversicherung einzurichten. Zusätzlich soll in die Bundesverfassung eine neue Übergangsbestimmung zu Artikel 116 Absätze 3 und 4 aufgenommen werden, welche festhält, dass Väter Anspruch auf mindestens vier Wochen Vaterschaftsurlaub erhalten und die Vaterschaftsentschädigung analog zur Mutterschaftsentschädigung im EOG geregelt wird.

3.3

Erläuterung des Initiativtextes

Die Initiantinnen und Initianten geben folgende Erläuterungen25 zur Volksinitiative: Vier Wochen würden im EOG 28 Tagen entsprechen, da auch Taggelder für die Wochenenden ausbezahlt würden. Das EOG müsste folglich so angepasst werden, dass während des Vaterschaftsurlaubs maximal 28 Taggelder ausbezahlt würden. Da die betroffenen Väter in ihrer Wahrnehmung 20 freie Arbeitstage erhalten würden, sei in der Öffentlichkeit diese Zahl kommuniziert worden.

25

www.vaterschaftsurlaub.ch > Initiative > Argumentarium (Stand: 18.2.2018)

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Laut den Initiantinnen und Initianten könnte der Vater den Urlaub innerhalb eines Jahres nach der Geburt des Kindes beziehen. Im Unterschied zum Mutterschaftsurlaub soll der Bezug des Vaterschaftsurlaubs flexibel ausgestaltet werden. Der Vater könnte den Urlaub am Stück, fraktioniert (mehrmaliger Bezug einzelner Wochen oder Arbeitstage) oder in Form einer befristeten Arbeitszeitreduktion (z. B. während 20 Wochen Reduktion des Erwerbspensums von 100 auf 80 Prozent) beziehen. Die unterschiedlichen Bezugsformen sollen kombinierbar sein.

3.4

Auslegung des Initiativtextes

Für die Umsetzung der Volksinitiative ist einerseits eine gesetzliche Grundlage für die Einführung des Anspruchs auf Vaterschaftsurlaub und andererseits eine gesetzliche Grundlage für die finanzielle Abgeltung des Vaterschaftsurlaubs erforderlich.

Was die Einführung des Anspruchs auf Vaterschaftsurlaub betrifft, müsste im OR in den Artikeln zu den Pflichten des Arbeitgebers betreffend Freizeit und Ferien (Art. 329­329f) eine neue Bestimmung verankert werden, welche Vätern Anspruch auf einen Vaterschaftsurlaub von mindestens vier Wochen gewährt. Gemäss Artikel 122 Absatz 1 BV ist die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts Sache des Bundes. Er hat diese Aufgabe insbesondere durch den Erlass des Zivilgesetzbuches26 und des OR erfüllt.

Für die finanzielle Abgeltung des Vaterschaftsurlaubs müssten im EOG und in der Verordnung vom 24. November 200427 zum Erwerbsersatzgesetz (EOV) neue Bestimmungen verankert werden, welche Vätern während des Vaterschaftsurlaubs eine Vaterschaftsentschädigung gewähren. Artikel 116 Absatz 3 BV hält fest, dass der Bund eine Mutterschaftsversicherung einrichtet. Dieser Artikel befugt den Bund, die Leistungen der Mutterschaftsversicherung auf Erwerbsersatzentschädigungen bei einem Vaterschaftsurlaub auszuweiten.28 Der Bund verfügt also bereits heute über eine ausreichende Verfassungsgrundlage, um einen gesetzlich verankerten und durch die EO entschädigten Vaterschaftsurlaub einführen zu können. Die neue Verfassungsbestimmung würde den Bund dagegen verpflichten, einen solchen einzuführen.

4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

Der Bundesrat erachtet die Förderung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen, zu denen auch der Vaterschaftsurlaub zählt, als wichtig. Ein Vaterschaftsurlaub kann zu einer partnerschaftlicheren Rollenteilung in der Familie beitragen, indem er der Mutter und dem Vater bereits unmittelbar nach der Geburt des Kindes die Möglich26 27 28

SR 210 SR 834.11 Bundesrat 2013: 34­39

3710

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keit eröffnet, sich intensiv an dessen Betreuung und Erziehung zu beteiligen. Beide Eltern können dadurch ihre familiären Aufgaben wahrnehmen, ohne dass sie gezwungen werden, ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Familie aufzugeben. 29 Mit den Initiantinnen und Initianten ist der Bundesrat der Meinung, dass Väter, Mütter, Paare und Kinder von einem Vaterschaftsurlaub profitieren können. In diesem Sinn lehnt der Bundesrat den Vaterschaftsurlaub nicht grundsätzlich ab.

Der Bundesrat spricht sich jedoch gegen die Einführung eines gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaubs aus. Ein solcher Vaterschaftsurlaub würde zum einen die Wirtschaft mit zusätzlichen Abgaben belasten und die Unternehmen vor grosse organisatorische Herausforderungen stellen. Zum anderen hat der Ausbau eines bedarfsgerechten familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots für den Bundesrat Priorität, da diese Angebote nicht nur unmittelbar nach der Geburt, sondern auch im Vorschul- und Schulalter des Kindes für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit von entscheidender Bedeutung sind. Zudem weisen diese Massnahmen ein günstigeres Kosten-Nutzen-Verhältnis auf.

4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

4.2.1

Finanzielle Auswirkungen

Die Initiantinnen und Initianten schätzen die Kosten des neu einzuführenden Vaterschaftsurlaubs in Anlehnung an die Kostenschätzung des Bundesrates aus dem Jahr 2013 auf rund 380 Millionen Franken pro Jahr.30 Gemäss aktueller Schätzung des BSV würden sich die Kosten eines vierwöchigen über die EO entschädigten Vaterschaftsurlaubs auf rund 420 Millionen Franken pro Jahr belaufen. Dieser Betrag entspricht einem EO-Beitragssatz von 0,11 Prozent.

Für die Finanzierung des Vaterschaftsurlaubs müsste der Beitragssatz der EO folglich von gegenwärtig 0,45 auf 0,56 Prozent angehoben werden. Das BSV geht davon aus, dass die Vorlage zum Vaterschaftsurlaub im Jahr 2021 in Kraft treten würde.

Durch die Erhöhung des Beitragssatzes der EO um 0,11 Prozentpunkte ab diesem Zeitpunkt würde sichergestellt, dass das Umlageergebnis der EO unter Berücksichtigung des aktuellen Szenarios der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung in den kommenden Jahren ausgeglichen wäre.

Die Kosten für die öffentliche Hand als Arbeitgeber würden unterschiedlich hoch ausfallen, da die Länge des Vaterschaftsurlaubs, den Bund, Kantone und Gemeinden ihren Angestellten gewähren, variiert (vgl. Ziff. 2.2). Die meisten Arbeitgeber der öffentlichen Hand müssten einen länger währenden Urlaub gewähren als bisher. Die damit einhergehenden Mehrkosten für die Arbeitgeber würden teilweise kompensiert, weil sich die Arbeitnehmenden paritätisch an der Finanzierung des Vaterschaftsurlaubs beteiligen würden.

29 30

Bundesrat 2013: 66 Bundesrat 2013: 52

3711

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In Zusammenhang mit den Kosten, welche die EO belasten, ist darauf hinzuweisen, dass drei weitere Gesetzgebungsprojekte hängig sind, welche eine Entschädigung für die Betreuung von Kindern und Angehörigen durch die EO vorsehen: ­

die oben erwähnte «Einführung einer Adoptionsentschädigung» in Erfüllung der parlamentarischen Initiative Romano (13.478) (s. Ziff. 2.4) (Kostenschätzung: weniger als 200 000 Fr. pro Jahr);

­

die Einführung eines durch die EO entschädigten Betreuungsurlaubs für erwerbstätige Eltern akut schwerkranker oder verunfallter Kinder im Rahmen der Umsetzung des «Aktionsplans zur Unterstützung und Entlastung betreuender und pflegender Angehöriger» (Kostenschätzung: je nach Ausgestaltung bis zu 80 Mio. Fr. pro Jahr);

­

die Motion «Länger dauernde Mutterschaftsentschädigung bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen» der SGK-SR (16.3631) (Kostenschätzung: 5,5 Mio. Fr. pro Jahr).

4.2.2

Auswirkungen auf die Unternehmen und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft

Für den Bundesrat sprechen in erster Linie die Kosten gegen den von den Initiantinnen und Initianten geforderten Vaterschaftsurlaub. In Folge der Erhöhung des paritätisch getragenen EO-Beitragssatzes um 0,11 Prozentpunkte würden die Arbeitgeber mit zusätzlichen Abgaben belastet.

Ferner würde die Einführung eines gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaubs die Unternehmen in ihrer Organisationsfreiheit beträchtlich einschränken: Die freiwillige Einführung eines Vaterschaftsurlaubs auf Betriebsebene dient Unternehmen dazu, im Wettbewerb um junge Arbeitskräfte einen Vorteil zu erzielen und Mitarbeiter vor und nach der Geburt des Kindes an das Unternehmen zu binden.

Eine Untersuchung aus den USA zeigt, dass die Kosten, welche in Unternehmen aufgrund der Personalfluktuation entstehen, beträchtlich sind. Die Autorinnen weisen darauf hin, dass familienfreundliche Massnahmen wie ein Elternurlaub oder ein flexibler Arbeitsplatz dazu beitragen können, Mitarbeitende ans Unternehmen zu binden und dadurch die Personalfluktuationskosten zu verringern.31 Im KMUHandbuch «Beruf und Familie» des SECO werden ähnliche Vorteile der Gewährung eines familienbezogenen Urlaubs angeführt: grössere Loyalität gegenüber der Firma, höhere Motivation am Arbeitsplatz, grösseres Engagement und Zufriedenheit der Mitarbeitenden, höherer Anteil von Müttern, die erwerbstätig bleiben, sowie grössere Attraktivität des Betriebes auf dem Arbeitsmarkt.32 Die im Handbuch aufgeführten Beispiele von Unternehmen zeigen, dass in der Schweiz durchaus auch kleinere und mittlere Unternehmen einen Vaterschaftsurlaub anbieten.

31 32

Boushey und Glynn 2012: 4 SECO 2016: 41

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Im Unterschied zu einer gesetzlichen Regelung des Vaterschaftsurlaubs kann ein Unternehmen im Rahmen einer betrieblichen Lösung die Kosten für Regelungen steuern, welche über das gesetzliche Minimum hinausgehen. Sind die doppelten Personalkosten, die während des Urlaubs entstehen, für ein kleines oder mittleres Unternehmen finanziell nicht tragbar, so besteht beispielsweise die Möglichkeit, zusätzliches Ferienguthaben aus einer Lohn-Zeit-Option (13. Monatslohn oder Überzeit kann als Urlaub eingelöst werden) anzurechnen.33 Die Arbeitnehmer können ihre individuellen Bedürfnisse anbringen und die Arbeitgeber ihre betrieblichen Möglichkeiten ausloten, um gemeinsam massgeschneiderte Lösungen zu finden. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass eine solche pragmatische Umsetzung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen den unterschiedlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten der Unternehmen am besten gerecht wird.

Die Einführung eines gesetzlich vorgeschriebenen Vaterschaftsurlaubs würde die Unternehmen, insbesondere KMU, dagegen vor grosse organisatorische Herausforderungen stellen. Ihr Handlungsspielraum bei der Ausgestaltung von flexiblen Urlaubsregelungen würde massiv eingeschränkt. Dies gilt nicht nur für den Vaterschaftsurlaub, sondern auch für weitere Massnahmen zur Ausgestaltung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen. Ein Unternehmen, für welches beispielsweise der Ausbau eines betriebsinternen familienergänzenden Kinderbetreuungsangebotes eine zielführendere Massnahme als die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs wäre, müsste unter Umständen aus organisatorischen und finanziellen Gründen darauf verzichten.

Der Bundesrat gibt daher einer vertraglichen gegenüber einer gesetzlichen Regelung des Vaterschaftsurlaubs den Vorzug. Auf diese Weise ist am ehesten gewährleistet, dass den unterschiedlichen Bedürfnissen der Branchen und Vertragsparteien Rechnung getragen wird.

4.2.3

Auswirkungen auf die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit

Der Bundesrat hat in den vergangenen Jahren mehrere Berichte veröffentlicht, in denen er darlegt, dass seine Priorität in der Familienpolitik bei der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit liegt.34 Im Bericht zum Vaterschafts- und Elternurlaub (s. Ziff. 2.3) hat der Bundesrat unterschiedliche Massnahmen für die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit priorisiert. Er hält fest, dass der Vaterschafts- respektive Elternurlaub zwar zu den Massnahmen zähle, welche die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit für junge Familien zu verbessern vermögen. Der bedarfsgerechte Ausbau der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuungsangebote habe jedoch 33 34

SECO 2016: 42 www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Medienmitteilung des Bundesrates vom 21.5.2015 «Mit zusätzlicher Unterstützung der familienexternen Kinderbetreuung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern» (Stand: 27.2.2017); www.parlament.ch > 12.3144 und 01.3733 > Bericht in Erfüllung der parlamentarischen Vorstösse: 55.

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Priorität, da diese Angebote nicht nur unmittelbar nach der Geburt, sondern auch im Vorschul- und Schulalter des Kindes von entscheidender Bedeutung seien.35 Die Massnahmen, welche der Bundesrat im Rahmen der Fachkräfteinitiative (FKI) verfolgt, zielen ebenfalls auf die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung ab.36 Bundesrat und Parlament haben verschiedene Massnahmen für die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung in die Wege geleitet:

35 36 37 38 39

­

Das Bundesgesetz vom 4. Oktober 200237 über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung ist seit dem 1. Februar 2003 in Kraft. Es handelt sich um ein befristetes Impulsprogramm, welches die Schaffung zusätzlicher Plätze für die Tagesbetreuung von Kindern fördern soll, damit Eltern Familie und Erwerbstätigkeit bzw. Ausbildung besser vereinbaren können. In den 15 Jahren seit Inkrafttreten des Bundesgesetzes hat der Bund die Schaffung von rund 57 400 neuen Betreuungsplätzen mit insgesamt 370 Millionen Franken unterstützt.38 Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats (WBK-N) beantragt, das Impulsprogramm um weitere vier Jahre zu verlängern und dafür finanzielle Mittel in der Höhe von 130 Millionen Franken vorzusehen. Der Bundesrat erinnert daran, dass die primäre Zuständigkeit im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung bei den Kantonen und Gemeinden liegt, während dem Bund lediglich eine subsidiäre Rolle zukommt. Er fordert die Kantone und Gemeinden auf, ihren Handlungsspielraum auszuschöpfen und nach einer Programmlaufzeit von insgesamt 16 Jahren eigenständig für den Aufbau eines bedarfsgerechten Angebots zu sorgen. Deshalb hat er sich in seiner Stellungnahme vom 16. Mai 2018 zuhanden der WBK-N gegen eine Verlängerung des Impulsprogramms um weitere vier Jahre ausgesprochen. Der Nationalrat wird das Geschäft in der Sommersession 2018 behandeln.

­

Am 29. Juni 2016 hat der Bundesrat die Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung ans Parlament überwiesen. Der Gesetzesentwurf sieht die Einführung von zwei zusätzlichen Finanzhilfen vor. Damit sollen mittels einer stärkeren Subventionierung der familienergänzenden Kinderbetreuungsangebote die Kinderdrittbetreuungskosten gesenkt und die Angebote besser auf die Bedürfnisse der Eltern abgestimmt werden. Für diese beiden zusätzlichen Finanzhilfen hat der Bundesrat einen Verpflichtungskredit von maximal 100 Millionen Franken mit einer Laufzeit von fünf Jahren beantragt. Das Parlament hat der Gesetzesänderung am 16. Juni 2017 zugestimmt.39 Die neuen Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen treten am 1. Juli 2018 in Kraft.

Bundesrat 2013: 66 www.fachkraefte-schweiz.ch > Beruf und Familie (Stand: 16.2.2018) SR 861 Stand: 1.2.2018 BBl 2017 4235

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­

Nach geltendem Recht können bei der direkten Bundessteuer jährlich die nachgewiesenen Kosten für die Drittbetreuung eines Kindes bis zu einem Maximalbetrag von 10 100 Franken pro Kind in Abzug gebracht werden.

Auf kantonaler Ebene beläuft sich der Abzug je nach Kanton auf 3000 bis 20 400 Franken pro Kind. In einem Kanton können sämtliche nachgewiesenen Kosten für die Kinderdrittbetreuung in Abzug gebracht werden. Bei der direkten Bundessteuer sollen Eltern künftig die nachgewiesenen Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung bis maximal 25 000 Franken pro Kind und Jahr vom Einkommen abziehen können. Der Bundesrat hat am 9. Mai 2018 eine entsprechende Botschaft zuhanden des Parlaments verabschiedet.

Der Bundesrat hält an seiner Priorisierung fest. Der bedarfsgerechte Ausbau der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuungsangebote kommt nicht nur jungen Familien, sondern auch Eltern und Kindern in späteren Familienphasen zugute.

Diese Angebote tragen wesentlich dazu bei, dass Väter und Mütter während der ganzen Zeitspanne, in welcher ihre Kinder betreuungsbedürftig sind, Familie und Erwerbstätigkeit vereinbaren können.

Der Bundesrat ist der Meinung, dass Massnahmen für die Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung im Vergleich zum Vaterschaftsurlaub, den die Initiantinnen und Initianten fordern, einen bedeutsameren Beitrag für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit leisten, da sie Familien über einen deutlich längeren Zeitraum entlasten. Zudem weisen diese Massnahmen ein günstigeres Kosten-Nutzen-Verhältnis auf.

4.2.4

Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frau und Mann

In der Schweiz bestehen bezüglich der Beteiligung von Müttern und Vätern am Arbeitsmarkt sowie deren Engagements in der Kinderbetreuung und Hausarbeit beträchtliche geschlechtsspezifische Unterschiede. In Paarhaushalten mit jüngstem Kind unter 7 Jahren wenden Mütter mit rund 58 Stunden pro Woche beinahe doppelt so viel Zeit für die unbezahlte Familien- und Hausarbeit auf wie Väter, die rund 33 Stunden wöchentlich dafür einsetzen. Die Väter investieren dagegen deutlich mehr Zeit in die bezahlte Erwerbsarbeit, nämlich rund 38 Stunden pro Woche, wohingegen Mütter rund 14 Stunden dafür aufwenden.40 Es stellt sich die Frage, wie sich die Annahme der Initiative auf die Aufteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit zwischen Vätern und Müttern auswirken würde.

Die Verankerung des Rechtsanspruchs auf einen Vaterschaftsurlaub allein reicht nicht, um eine egalitärere Rollenteilung zwischen Müttern und Vätern zu fördern.

Entscheidend ist, dass Väter ihren Anspruch tatsächlich geltend machen. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen zu Ländern, welche langjährige Erfahrun40

www.bfs.admin.ch/bfs/de/home.html > Aktuell > Medienmitteilungen > Medienmitteilung des BFS vom 11.7.2017 «Unbezahlte Arbeit 2016. Männer legen bei Haus- und Familienarbeit zu ­ Frauen bei bezahlter Arbeit» (Stand: 11.4.2018)

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gen mit einem gesetzlich verankerten Vaterschafts- oder Elternurlaub haben, geben Hinweise darauf, unter welchen Voraussetzungen Väter den Urlaub in Anspruch nehmen: Es muss sich um ein individuelles Recht auf Urlaub handeln, welches nicht auf den anderen Elternteil übertragbar ist, und der Urlaub muss ausreichend entschädigt und kollektiv finanziert werden.41 Ein weiterer wesentlicher Faktor für die Arbeitsteilung von Müttern und Vätern ist die Dauer des Urlaubs bzw. die effektive Bezugsdauer. Wissenschaftliche Untersuchungen aus anderen Ländern weisen ab einer Bezugsdauer von 2 bzw. 4 Wochen Urlaub ein höheres familiäres Engagement der Väter nach.42 Die Volksinitiative verlangt die Einführung eines mindestens vierwöchigen Urlaubs, der ausschliesslich für den Vater reserviert ist. Sie sieht eine hohe, sozialversicherungsrechtlich finanzierte Erwerbsersatzrate von 80 Prozent vor.

Diese Ausgestaltung des Vaterschaftsurlaubs lässt mit Blick auf die genannten wissenschaftlichen Untersuchungen den Schluss zu, dass ein solcher Urlaub zu einer egalitäreren Aufteilung der unbezahlten Familien- und Hausarbeit zwischen Müttern und Vätern beitragen würde.

Vorausgesetzt, dass der Bezug des gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaubs ebenso selbstverständlich würde wie der Bezug des Mutterschaftsurlaubs, würde die Umsetzung der Initiative der Diskriminierung von Frauen hinsichtlich Anstellung, Beförderung, Lohn und Weiterbildung entgegenwirken, da das «Risiko Elternschaft» besser auf Mütter und Väter verteilt würde.

4.3

Internationaler Vergleich

Die zwei Urlaubstypen, die Vätern in anderen Staaten gewährt werden, können wie folgt charakterisiert werden:43 Der Vaterschaftsurlaub steht in der Regel ausschliesslich dem Vater zu. Er ist für gewöhnlich kurz nach der Geburt des Kindes zu beziehen und soll dem Vater ermöglichen, Zeit mit dem neugeborenen Kind, der Mutter und gegebenenfalls den älteren Geschwistern des Neugeborenen zu verbringen.

Der Elternurlaub wird Müttern und Vätern gewährt. Gewöhnlich handelt es sich um einen Urlaub, der beiden Elternteilen dieselbe Möglichkeit eröffnen soll, für ihr (Klein-)Kind zu sorgen. Normalerweise kann der Urlaub erst nach dem Mutterschaftsurlaub bezogen werden. In einigen Fällen können die Eltern wählen, ob sie den Urlaub oder einen Teil davon in Teilzeitform beziehen wollen.

Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) sind verpflichtet, arbeitnehmenden Müttern und Vätern gestützt auf die Richtlinie 2010/18/EU vom 8. März 2010 44 je einen mindestens vier Monate währenden Elternurlaub zu gewähren. Nach der Richtlinie haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Fall der Geburt oder 41 42 43 44

Vgl. Valarino (2017): 1 Vgl. Valarino (2017): 3 Vgl. Blum et al. (2017): 5 Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG, ABl. L 68 vom 18.3.2010, S. 13.

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Adoption eines Kindes ein individuelles Recht auf Elternurlaub für eine Dauer von mindestens vier Monaten zur Betreuung des Kindes bis zu einem festzulegenden Alter des Kindes von bis zu acht Jahren. Um eine ausgewogenere Inanspruchnahme des Elternurlaubs durch beide Elternteile zu fördern und insbesondere die Väter zu ermutigen, den Urlaub zu beziehen, ist der Elternurlaub im Grundsatz nicht von einem Elternteil auf den andern übertragbar. Die Mitgliedstaaten können zwar bestimmen, dass der Elternurlaub übertragbar ist, dabei ist ihr Handlungsspielraum aber eingeschränkt: Mindestens einer der vier Monate ist nicht übertragbar, das heisst, er geht verloren, wenn er nicht bezogen wird (Prinzip «use it or lose it»). Die Richtlinie schreibt nicht vor, dass und gegebenenfalls wie der Elternurlaub entschädigt werden muss. Sie ist für die Schweiz nicht anwendbar.

Die Mitgliedstaaten der EU müssen nicht zwingend einen Vaterschaftsurlaub vorsehen. Am 26. April 2017 hat die Europäische Kommission eine Reihe von Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit vorgeschlagen.45 Sie empfiehlt u. a. die Einführung eines Anspruchs auf einen mindestens zehntägigen Vaterschaftsurlaub. Gemäss diesem Vorschlag sollte die Höhe der Entschädigung mindestens gleich hoch sein wie jene während einer Beurlaubung infolge Krankheit.

Die Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben entweder einen gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaub und einen Elternurlaub, einzig einen Vaterschaftsurlaub oder nur einen Elternurlaub eingeführt. Die Schweiz ist das einzige Land der OECD, welches weder einen Vaterschaftsurlaub noch einen Elternurlaub gesetzlich verankert hat.46

4.3.1

Regelung des Vaterschaftsurlaubs in Nachbarstaaten der Schweiz

Deutschland kennt keinen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub. Bei Geburten ab dem 1. März 2017 gibt es in Österreich die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung für Väter, die sich unmittelbar nach der Geburt des Kindes der Familie widmen (sogenannter «Familienzeitbonus für Väter», FZB). Dieser Bonus muss während der 91 Tage, welche der Geburt folgen, bezogen werden und dauert mindestens 28 und höchstens 31 Tage (ohne Unterbrechung). Der FZB wird mit 22.60 Euro pro Tag abgegolten. In Frankreich haben arbeitnehmende Väter Anspruch auf elf Tage bezahlten Vaterschaftsurlaub. Der Urlaub wird mit 100 Prozent des Lohnes bis zu einem Höchstsatz von 86 Euro pro Tag abgegolten und muss innerhalb von vier Monaten nach der Geburt bezogen werden. In Italien sind arbeitnehmende Väter verpflichtet, vier Tage bezahlten Vaterschaftsurlaub zu beziehen. Während des Urlaubs wird dem Vater der volle Lohn ausbezahlt. Der Urlaub muss innerhalb von fünf Monaten bezogen werden.

45

46

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates, COM/2017/0253 final.

www.oecd.org > OECD Family Database > Public policies for families and children > Child-related leave (Stand: 19.2.2018)

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4.3.2

Regelung des Elternurlaubs in Nachbarstaaten der Schweiz

In Deutschland haben beide Eltern Anspruch auf je 36 Monate Elternurlaub («Elternzeit»). Der Urlaub muss in der Regel während der ersten drei Lebensjahre des Kindes bezogen werden. Insgesamt 12 respektive 14 Monate47 werden finanziell abgegolten («Elterngeld»). Diese Leistungen können grundsätzlich nur in den ersten 14 Lebensmonaten des Kindes in Anspruch genommen werden. Die monatliche Entschädigung entspricht im Normalfall 65 bis 67 Prozent des vorherigen Einkommens (mindestens 300 und maximal 1800 Euro pro Monat).

In Österreich wird ebenfalls zwischen Elternurlaub («Elternzeit») und finanzieller Entschädigung des Urlaubs («Kinderbetreuungsgeld», KBG) unterschieden. Die Eltern haben gemeinsam Anspruch auf insgesamt 24 Monate Elternurlaub. Der Urlaub muss in der Regel während der ersten zwei Lebensjahre des Kindes bezogen werden. Was die finanzielle Entschädigung anbelangt, so können Eltern seit dem 1. März 2017 zwischen einem flexiblen pauschalen KBG-Konto und einem einkommensabhängigen KBG wählen. Das pauschale KBG kann bei der Inanspruchnahme durch einen Elternteil innerhalb von rund 12 bis 28 Monaten ab der Geburt des Kindes flexibel bezogen werden. Bei der Inanspruchnahme durch beide Elternteile kann es innerhalb von rund 15 bis 35 Monaten ab der Geburt des Kindes bezogen werden. Das pauschale KBG variiert zwischen 14.53 und 33.88 Euro pro Tag: Je länger es bezogen wird, desto geringer ist der Tagesbetrag. Für erwerbstätige Eltern steht auch das einkommensabhängige KBG zur Wahl. Nehmen beide Elternteile das einkommensabhängige KBG in Anspruch, so können sie ab der Geburt des Kindes maximal 426 Tage geltend machen. Bezieht ein Elternteil das einkommensabhängige KBG, so kann dieser ab der Geburt des Kindes maximal 365 Tage geltend machen. Das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld beträgt circa 80 Prozent des Nettoarbeitsverdienstes, minimal 33.88 Euro und maximal 66 Euro pro Tag.

In Frankreich haben beide Eltern Anspruch auf maximal je 36 Monate Elternurlaub.

Der Urlaub wird in Form einer monatlichen Pauschale entschädigt. Die Dauer der Entschädigung hängt von der Anzahl Kinder der Familie ab, wird aber im Prinzip während längstens 24 Monaten ausgerichtet. Die Höhe der Pauschale variiert je nach Beschäftigungsgrad der Eltern und Haushaltszusammensetzung zwischen 146 und 641 Euro pro
Monat. Der Urlaub muss während der ersten drei Lebensjahre des Kindes bezogen werden.

In Italien haben beide Eltern Anspruch auf je sechs Monate Elternurlaub, welche sie bis zum 12. Geburtstag des Kindes beziehen dürfen. Wenn beide Eltern ihren Anspruch geltend machen, haben sie insgesamt Anspruch auf maximal zehn respektive elf Monate Elternurlaub: Bezieht der Vater mindestens drei Monate Elternurlaub, so werden elf statt zehn Monate entschädigt. Die Entschädigung entspricht 30 Prozent des Lohnes, der vor Beginn des Anspruchs erzielt wurde. Die Entschädigung wird nur für Kinder unter sechs Jahren gewährt.

47

Bezieht der Vater mindestens 2 Monate Elternurlaub, so werden 14 statt 12 Monate entschädigt.

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4.4

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Es besteht keine internationale Verpflichtung der Schweiz, welche die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs verlangt.

Die EU hat zwecks Erleichterung der Freizügigkeit Regelungen zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit geschaffen. Die Schweiz nimmt seit dem Inkrafttreten des Abkommens vom 21. Juni 199948 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen) am 1. Juni 2002 an diesem Koordinationssystem teil. Dies gilt aufgrund des revidierten Übereinkommens vom 4. Januar 196049 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) auch in den Beziehungen zwischen der Schweiz und den übrigen EFTA-Staaten. Die Schweiz wendet deshalb die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 (VO 883/2004)50 und 987/200951 an.

Das EU-Recht sieht keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unter Beachtung der europarechtlichen Koordinationsgrundsätze selber festlegen. Die Schweiz ist aber nach der VO 883/2004 verpflichtet, Staatsangehörige eines EU- bzw. EFTA-Staates gleich zu behandeln wie Schweizer Bürger (Art. 4 VO 883/2004). Sie ist folglich verpflichtet, diesen Staatsbürgern Leistungen bei Mutterschaft zu gewähren bzw. müsste solche Leistungen ebenso bei Vaterschaft gewähren, sofern sie die erforderlichen Voraussetzungen, nötigenfalls unter Mitberücksichtigung von entsprechenden Versicherungszeiten in einem EU-/EFTA-Staat, erfüllen (Art. 6 VO 883/2004).

5

Schlussfolgerungen

Der Bundesrat stimmt mit den Initiantinnen und Initianten darin überein, dass Väter, Mütter, Paare und Kinder von einem Vaterschaftsurlaub profitieren können. Die Einführung eines mindestens vierwöchigen gesetzlich vorgeschriebenen und über die EO entschädigten Vaterschaftsurlaubs lehnt er hingegen ab. Die Kosten im Umfang 48 49 50

51

SR 0.142.112.681 SR 0.632.31 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.

Geändert durch: Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 43). In der Fassung von Anhang II zum Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit; SR 0.831.109.268.1.

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.

In der Fassung von Anhang II zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit; SR 0.831.109.268.11.

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von schätzungsweise 420 Millionen Franken jährlich würden die Unternehmen mit zusätzlichen Abgaben belasten. Ferner würde ein solcher Urlaub die Unternehmen, namentlich kleine und mittlere Unternehmen, vor grosse organisatorische Herausforderungen stellen. Der Bundesrat ist deshalb der Meinung, dass die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs wie bis anhin in der Verantwortung der Arbeitgeber respektive der Sozialpartner bleiben soll.

Massnahmen für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit haben für den Bundesrat in der Familienpolitik erste Priorität. Diese Zielsetzung verfolgt er auch im Rahmen der Fachkräfteinitiative (FKI). Dabei legt der Bundesrat den Schwerpunkt auf Massnahmen für die Förderung des familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots. Im Vergleich zu einem gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaub tragen diese Massnahmen nicht nur unmittelbar nach der Geburt des Kindes, sondern auch in den nachfolgenden Familienphasen dazu bei, dass Mütter und Väter Familie und Erwerbstätigkeit besser vereinbaren können. Zudem weisen diese Massnahmen ein günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis auf. Der Bundesrat hält an dieser Prioritätensetzung in der Familienpolitik fest und spricht sich deshalb gegen die Einführung eines gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaubs aus.

Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

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Literaturverzeichnis Blum, S., Koslowski, A., & Moss, P. (Hrsg.) (2017): International Review of Leave Policies and Related Research 2017. International network on leave policies and research. Abrufbar unter: www.leavenetwork.org > Leave Policies & Research > Review 2017 (Stand: 19.2.2018).

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Bundesrat (2013): Vaterschaftsurlaub und Elternurlaub. Auslegeordnung und Präsentation unterschiedlicher Modelle. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats (11.3492) Fetz Anita «Freiwillige Elternzeit und Familienvorsorge» vom 6. Juni 2011. Abrufbar unter: www.bsv.admin.ch > Sozialpolitische Themen > Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit > Geburtsbezogene Urlaube > Bericht über den Vaterschafts- und Elternurlaub (Stand: 16.2.2018).

Staatssekretariat für Wirtschaft SECO (2016): KMU-Handbuch «Beruf und Familie» 2016. Massnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie in kleinen und mittleren Unternehmen. Abrufbar unter: www.seco.admin.ch > Publikationen & Dienstleistungen > Publikationen > Arbeit > Arbeitsmarktanalyse > Beruf und Familie (Stand: 16.2.2018).

Valarino, I. (2017): Bald ein Vaterschaftsurlaub in der Schweiz? Chancen und Risiken aus Sicht der Gleichstellung von Mann und Frau. LIVES Impact, 4/2017.

Abrufbar unter: www.lives-nccr.ch > Publications > Outreach > Wissensaustausch > Lives Impact (Policy Briefs) (Stand: 11.4.2018).

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