17.069 Botschaft zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes sowie zur Genehmigung zweier Abkommen der Weltorganisation für geistiges Eigentum und zu deren Umsetzung vom 22. November 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Modernisierung des Urheberrechts), den Entwurf zum Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags von Peking über den Schutz von audiovisuellen Darbietungen sowie den Entwurf zum Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags von Marrakesch über die Erleichterung des Zugangs zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen und über seine Umsetzung (Änderung des Urheberrechtsgesetzes).

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2010

P

10.3263

Braucht die Schweiz ein Gesetz gegen das illegale Herunterladen von Musik?

(S 10.6.2010, Savary)

2012

P

12.3326

Für ein Urheberrecht, das fair ist und im Einklang mit den Freiheiten der Internetgemeinde steht (S 5.6.2012, Recordon)

2012

P

12.3173

Angemessene Entschädigung von Kulturschaffenden unter Einhaltung der Privatsphäre der Internetnutzer (N 15.6.2012, Glättli)

2014

M

14.3293

Abgabe auf leeren Datenträgern (N 12.6.2014, Kommission für Wirtschaft und Abgaben NR; S 26.11.2014)

2015

P

14.4150

URG-Revision. Einführung eines Verleihrechts (N 19.3.2015, Bieri)

2017-1799

591

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

22. November 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Der Bundesrat will das Urheberrecht modernisieren. Im Zentrum der Gesetzesrevision stehen Massnahmen, mit denen die Internetpiraterie besser bekämpft werden kann, ohne dabei die Konsumentinnen und Konsumenten solcher Angebote zu kriminalisieren. Zudem sollen verschiedene gesetzliche Bestimmungen an neuere technologische und rechtliche Entwicklungen angepasst werden, um die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung im Urheberrecht nutzen bzw. meistern zu können. Profitieren soll insbesondere die Forschung. Gleichzeitig enthält die Vorlage eine Reihe weiterer Massnahmen, mit denen zentrale Anliegen der Kulturschaffenden, der Nutzerinnen und Nutzer sowie der Konsumentinnen und Konsumenten erfüllt werden. Schliesslich sollen zwei Abkommen der Weltorganisation für geistiges Eigentum ratifiziert werden.

Ausgangslage Das Urheberrecht wurde mit der 2008 in Kraft getretenen Teilrevision des Urheberrechtsgesetzes an das digitale Umfeld angepasst. Die seither gemachten Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass in einzelnen Punkten Nachbesserungen erforderlich sind. Die rechtlichen Instrumente zur Pirateriebekämpfung sind gegenwärtig ungenügend. Gleichzeitig erschwert es das Urheberrecht, das Potenzial der Digitalisierung vollständig auszuschöpfen. Auf internationaler Ebene sind zwei neue Abkommen zum Urheberrecht geschlossen worden, welche die Schweiz ratifizieren soll.

Inhalt der Vorlage Die Vorlage umfasst eine Reihe von Massnahmen zur Modernisierung des Schweizer Urheberrechts. Im Zentrum steht eine wirksame, die Konsumentinnen und Konsumenten nicht kriminalisierende Bekämpfung der Internetpiraterie. Auf zahlreichen Internetseiten werden heute Filme, Musikstücke, Videogames und Bücher illegal angeboten. Gegen diese illegalen Angebote will die Vorlage vorgehen.

Die Piraterie soll dort bekämpft werden, wo dies am effizientesten erfolgen kann, nämlich bei den Hosting-Providern*1. Hosting-Provider sind Anbieter von Internetdiensten, die ihren Kundinnen und Kunden Speicherplatz zur Verfügung stellen, damit diese Informationen speichern können. Schweizer Hosting-Provider sollen keine Piraterieplattformen beherbergen und bei Urheberrechtsverletzungen über ihre Server* die betroffenen Inhalte rasch entfernen. Im Vordergrund steht dabei weiterhin die Selbstregulierung der Branche. Bei Piraterieplattformen
genügt die Selbstregulierung jedoch nicht. Einmal entfernte urheberrechtsverletzende Inhalte werden dort oft umgehend wieder zugänglich gemacht. Hosting-Provider, deren Dienste Urheberrechtsverletzungen begünstigen, werden deshalb neu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass einmal entfernte Inhalte auch entfernt bleiben («Staydown*»). Ein erneuter Hinweis durch die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber ist in solchen Fällen nicht notwendig. Damit wird der für die Rechtsinhaberinnen und *1

Die mit einem Sternchen versehenen Begriffe werden im Glossar erklärt.

593

Rechtsinhaber frustrierende Kreislauf aus Abmahnen, Entfernen und wieder Zugänglichmachen durchbrochen. Als weitere Massnahme zur Pirateriebekämpfung soll im Gesetz ausdrücklich festgehalten werden, dass eine Datenbearbeitung zur strafrechtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen zulässig ist. Hingegen wird davon abgesehen, Blocking-Massnahmen* durch Access-Provider* (sog. Netzsperren) sowie den Versand aufklärender Hinweise bei schwerwiegenden Urheberrechtsverletzungen über Peer-to-Peer-Netzwerke* vorzuschlagen.

Weiter enthält die Vorlage Massnahmen zur Anpassung des Schweizer Urheberrechts an die neuesten technologischen und rechtlichen Entwicklungen: Zugunsten der Nutzerinnen und Nutzer sowie der Konsumentinnen und Konsumenten enthält sie das Verzeichnisprivileg*, die vergütungsfreie Wissenschaftsschranke und eine Regelung für die Nutzung von verwaisten Werken. Zugunsten der Kulturschaffenden umfasst die Vorlage die Verlängerung der Schutzfrist für verwandte Schutzrechte, den Schutz von Fotografien ohne individuellen Charakter sowie die Video-onDemand-Vergütung* für Urheberinnen und Urheber und Interpretinnen und Interpreten. Diese Massnahmen korrigieren das von den Kulturschaffenden als «Valuegap» bezeichnete Missverhältnis zwischen der zunehmenden Online-Nutzung ihrer Werke und den Vergütungen, die sie hierfür erhalten. Schliesslich sieht die Vorlage die Einführung von erweiterten Kollektivlizenzen*, Verbesserungen im Tarifgenehmigungsverfahren sowie die elektronische Nutzermeldung an die Verwertungsgesellschaften vor.

Die Vorlage enthält ausgewählte wichtige Anpassungen. Bei der Zusammensetzung des Pakets wurde darauf geachtet, dass dieses ausgewogen ist und die Interessen der verschiedenen Gruppen berücksichtigt. Die Vorlage basiert auf einem Kompromiss, der im Rahmen der Arbeitsgruppe zum Urheberrecht (AGUR12*) mit den Vertreterinnen und Vertretern der Kulturschaffenden, der Produzentinnen und Produzenten, der Nutzerinnen und Nutzer, der Konsumentinnen und Konsumenten sowie der Internet-Service-Provider* geschlossen wurde.

Schliesslich wird die Ratifikation von zwei internationalen Abkommen vorgeschlagen, die im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum abgeschlossen wurden. Die beiden Abkommen garantieren im internationalen Verhältnis einen Standard, der in der Schweiz
bereits gesetzlich verankert ist. Beide Abkommen wurden von zahlreichen Staaten und auch von der EU unterzeichnet. Ihre Umsetzung erfordert einzig eine Anpassung der bestehenden Schrankenbestimmung zugunsten von Menschen mit Behinderungen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.2 Die beantragte Neuregelung 1.2.1 Modernisierung des Urheberrechts 1.2.1.1 Massnahmen zur Bekämpfung der OnlinePiraterie 1.2.1.2 Weitere Änderungen zur Modernisierung des Urheberrechts 1.2.2 WIPO-Abkommen 1.2.2.1 Vertrag von Peking 1.2.2.2 Vertrag von Marrakesch 1.3 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung 1.3.1 Die Ergebnisse aus der Vernehmlassung 1.3.1.1 Durchführung und Ergebnis 1.3.1.2 Unbestrittene Punkte 1.3.1.3 Strittige Punkte 1.3.1.4 Diverse Anliegen 1.3.2 Begründung und Bewertung der Modernisierung des Urheberrechts 1.3.3 Begründung und Bewertung des Vertrags von Peking und des Vertrags von Marrakesch 1.4 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht 1.4.1 Modernisierung des Urheberrechts 1.4.2 Vertrag von Peking und Vertrag von Marrakesch 1.5 Umsetzung 1.5.1 Modernisierung des Urheberrechts 1.5.2 WIPO-Abkommen 1.5.2.1 Vertrag von Peking 1.5.2.2 Vertrag von Marrakesch und Umsetzungserlass 1.6 Erledigung parlamentarischer Vorstösse und Berichte des Bundesrates

598 598 600 600

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 2.1 Modernisierung des Urheberrechtsgesetzes 2.2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Vertrags von Peking und des Vertrags von Marrakesch 2.2.1 Vertrag von Peking 2.2.2 Vertrag von Marrakesch 2.3 Umsetzung des Vertrags von Marrakesch

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2

600 602 605 605 605 606 606 606 606 607 609 610 611 611 611 615 615 615 616 616 617 617

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3

Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.1.1 Finanzielle Auswirkungen 3.1.2 Personelle Auswirkungen 3.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden 3.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 3.3.1 Notwendigkeit und Möglichkeit staatlichen Handelns 3.3.2 Auswirkungen auf einzelne gesellschaftliche Gruppen 3.3.3 Beurteilung einzelner konkreter Massnahmen 3.3.3.1 Internetpiraterie bekämpfen 3.3.3.2 Die kollektive Verwertung optimieren 3.3.3.3 Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit schaffen 3.3.3.4 Anreize setzen 3.3.3.5 Internationale Abkommen 3.3.4 Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft 3.4 Alternative Regelungen 3.5 Zweckmässigkeit im Vollzug

670 670 670 670 671 671 671 672 673 673 674 675 677 678 678 679 680

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates 4.1 Verhältnis zur Legislaturplanung 4.2 Verhältnis zu Strategien des Bundesrates

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Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.1.1 Gesetzesvorlage zur Modernisierung des Urheberrechts 5.1.2 Vertrag von Peking und Vertrag von Marrakesch 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 5.2.1 Gesetzesvorlage zur Modernisierung des Urheberrechts 5.2.2 Vertrag von Peking und Vertrag von Marrakesch 5.3 Erlassform 5.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 5.5 Datenschutz

681 681 681 681 681 681 681 682 683 683

5

Abkürzungsverzeichnis

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Glossar

688

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Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) (Entwurf)

693

Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags von Peking über den Schutz von audiovisuellen Darbietungen (Entwurf)

703

Vertrag von Peking über den Schutz von audiovisuellen Darbietungen

705

Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags von Marrakesch über die Erleichterung des Zugangs zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen und über seine Umsetzung (Änderung des Urheberrechtsgesetzes) (Entwurf)

717

Vertrag von Marrakesch über die Erleichterung des Zugangs zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen

719

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Jede Revision des Urheberrechts sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass die Interessenlage in diesem Bereich ausserordentlich vielfältig ist. Die Gegensätze beschränken sich nicht auf das Schutzbedürfnis der Urheberinnen und Urheber einerseits und das Bedürfnis der Konsumentinnen und Konsumenten nach einem möglichst freien Zugang zu den Werken andererseits.2 Zwischen den beiden Interessengruppen stehen die Produzentinnen und Produzenten, die Bibliotheken, die Universitäten und die Internet-Service-Provider mit je unterschiedlichen Anliegen. Die Kulturschaffenden sowie die Produzentinnen und Produzenten streben grundsätzlich nach umfassenden Exklusivrechten, die ihnen eine Lebens-, Geschäfts- und Investitionsgrundlage bieten. Die Nutzerinnen und Nutzer sowie Konsumentinnen und Konsumenten ihrerseits wünschen sich einen möglichst umfassenden und günstigen Zugang zu Inhalten. Nutzerinnen und Nutzer können wiederum Kulturschaffende oder wissenschaftliche Autorinnen bzw. Autoren sein, die im Rahmen ihrer Arbeit auf bestehende Werke zurückgreifen.3 Diese Vielfalt der Interessen macht die Suche nach einer tragfähigen Lösung im Urheberrecht besonders anspruchsvoll. Die letzte Teilrevision des URG4 dauerte nicht umsonst 11 Jahre.

Gleichzeitig macht im Bereich des Urheberrechts die technische Entwicklung eine periodische Neubeurteilung der gesetzlichen Grundlagen notwendig.5 Die Verbreitung des Internets sowie die Digitalisierung haben das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer nachhaltig verändert. Rund ein Drittel der über 15-jährigen Schweizerinnen und Schweizer hat bereits einmal Musik, Filme oder Computerspiele heruntergeladen, ohne dafür bezahlt zu haben.6 Vor diesem Hintergrund hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) im Sommer 2012 die AGUR12 eingesetzt. In dieser waren Kulturschaffende, Produzentinnen und Produzenten, Nutzerinnen und Nutzer sowie Konsumentinnen und Konsumenten vertreten. Die Einsetzung der AGUR12 fusste auf der Überzeugung, dass eine Gesetzesrevision im Bereich des Urheberrechts nur dann reelle politische Chancen hat, wenn sich die verschiedenen Interessengruppen auf einen Kompromiss einigen können. Inhaltlich richtete die Arbeitsgruppe ihre Arbeit an folgenden Punkten aus: Die Künstlerinnen und Künstler sollten einen angemessenen Schutz für ihre Arbeit erhalten, die Produzentinnen und Produzenten ihre 2 3 4 5 6

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Govoni, Carlo, Die Revision des schweizerischen Urheberrechtsgesetzes, UFITA 114/1990, S. 8.

Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (Hrsg.), Das Urheberrecht im digitalen Zeitalter ­ Herausforderung oder Sackgasse, Bern 2006, S. 14.

SR 231.1 Bericht des Bundesrates zur unerlaubten Werknutzung über das Internet in Erfüllung des Postulats 10.3263 Savary, August 2011, S. 7 f.

Bericht des Bundesrates zur unerlaubten Werknutzung über das Internet in Erfüllung des Postulats 10.3263 Savary, August 2011, S. 7 f.

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Rechte durchsetzen können, die Konsumentinnen und Konsumenten nicht unnötig kriminalisiert werden und die Internet-Service-Provider sollten Rechtssicherheit und Schutz vor Schadenersatzansprüchen erhalten.

Nach insgesamt zwölf Sitzungen konnten sich die Mitglieder der AGUR12 am 28. November 2013 auf eine Reihe von gemeinsamen Empfehlungen für die Modernisierung des Urheberrechts einigen. Diese Empfehlungen gaben den Anstoss zur Ausarbeitung eines Vernehmlassungsentwurfs über eine Teilrevision des URG.

Die Vernehmlassung zur Vorlage endete am 31. März 2016. Insgesamt gingen 1224 Stellungnahmen ein. Die Vernehmlassung hat gezeigt, dass eine Modernisierung des Urheberrechts grundsätzlich begrüsst wird. Die Vorstellungen über den konkreten Inhalt der Vorlage gingen jedoch stark auseinander.

Das EJPD hat deshalb im Anschluss an die Vernehmlassung mit den Mitgliedern der AGUR12 offene Fragen aus der Vernehmlassung geklärt, um die Akzeptanz der Vorlage zu erhöhen. Die Arbeitsgruppe traf sich unter der Leitung des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) zwischen dem 28. September 2016 und dem 2. März 2017 zu fünf Sitzungen. Teilgenommen haben neben Kulturschaffenden, Produzentinnen und Produzenten, Nutzerinnen und Nutzern sowie Konsumentinnen und Konsumenten auch Internet-Service-Provider und das Bundesamt für Justiz (BJ) sowie weitere Vertreterinnen und Vertreter der Verwaltung. An ihrer letzten Sitzung einigten sich die Mitglieder der AGUR12 auf ein KompromissPaket. Um die Pirateriebekämpfung herum gruppiert, enthält das Kompromiss-Paket eine Reihe von Vorschlägen, von denen die verschiedenen Interessengruppen profitieren ­ also die Künstlerinnen und Künstler, die Konsumentinnen und Konsumenten, die Wissenschaft und die Gedächtnisinstitutionen*, die Internet-ServiceProvider sowie die Produzentinnen und Produzenten. Keine der in der AGUR12 vertretenen Interessengruppen hat ihre Forderungen vollumfänglich durchsetzen können. Aber alle haben gewisse für sie wichtige Anliegen in das KompromissPaket einbringen können und gleichzeitig Abstriche in anderen Punkten gemacht.

Das Paket schafft so einen Ausgleich. Genau das war das Ziel, das mit der Einsetzung der AGUR12 verfolgt worden war: Die Modernisierung des Urheberrechts soll breit abgestützt sein, bevor das Geschäft der Bundesversammlung
vorgelegt wird.

Diese Arbeiten der AGUR12 bilden deshalb zusammen mit den Ergebnissen aus der Vernehmlassung die Grundlage für die Revision. Kern der Vorlage bleibt die Pirateriebekämpfung.

Die vorgeschlagenen Massnahmen zur Verbesserung der Möglichkeiten der Pirateriebekämpfung tragen auch den Bedenken des US-Handelsbeauftragten Rechnung.

Dieser erstellt einen jährlichen Bericht, den sogenannten Special-301-Report*, über den weltweiten Schutz von Immaterialgüterrechten. Länder, die aus Sicht der USA Defizite beim Schutz von Immaterialgüterrechten aufweisen, werden auf einer Liste geführt (sog. Watch-List). Die Schweiz wurde auf Verlangen der US-Urheberrechtsindustrie im Jahr 2016 erstmals auf diese «Watch-List» gesetzt.7 Dies hatte keine unmittelbaren rechtlichen, politischen oder wirtschaftlichen Folgen, belastet aber die bilateralen Beziehungen. Der Special-301-Report attestiert der Schweiz, die 7

Vgl. Office of the United States Trade Representative, 2016 Special 301 Report, April 2016, S. 55 f.

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Rechte am geistigen Eigentum auf einem hohen Niveau zu schützen, und begrüsst die von der Schweiz geplanten Massnahmen im Bereich des Urheberrechts.

1.2

Die beantragte Neuregelung

Die Vorlage besteht aus zwei Teilen. Zum einen wird das Urheberrecht punktuell angepasst. Dabei stehen die Erfahrungen mit der Digitalisierung im Vordergrund.

Zum anderen werden dem Parlament zwei Abkommen der WIPO zur Gutheissung unterbreitet.

1.2.1

Modernisierung des Urheberrechts

1.2.1.1

Massnahmen zur Bekämpfung der Online-Piraterie

Zentrales Thema der Gesetzesrevision ist die Pirateriebekämpfung. Urheberrechtsverletzungen im Internet haben ein grosses Schadenspotenzial. Sie können zu zahlreichen Folgeverletzungen durch weitere Internetnutzerinnen und Internetnutzer führen. Die Möglichkeiten der Pirateriebekämpfung sind gegenwärtig ungenügend.

Die Simsa, der Branchenverband der Hosting-Provider, sieht für Urheberrechtsverletzungen eine Selbstregulierung in der Form des Code of Conduct Hosting8* vor.

Die Selbstregulierung versagt indessen in denjenigen Fällen, in denen ein HostingProvider Urheberrechtsverletzungen direkt oder indirekt zu seinem Geschäftsmodell macht, indem er Plattformen betreibt oder beherbergt, die Piraterie begünstigen.

Wird ein Hosting-Provider darüber informiert, dass eine seiner Kundinnen oder einer seiner Kunden urheberrechtlich geschützte Inhalte auf seinem Server abgelegt hat und diese Inhalte unerlaubt zugänglich macht, stehen dem Hosting-Provider gemäss dem Code of Conduct Hosting der Simsa zwei Vorgehensweisen offen.

Zum einen kann er seine Kundinnen oder Kunden über den Eingang der Meldung («Notice*») informieren, sie ihnen weiterleiten und sie auffordern, die beanstandeten Inhalte zu entfernen oder die Rechtmässigkeit der Inhalte in einer Stellungnahme an die Absenderin oder den Absender der Meldung zu begründen. Bei klaren Fällen kann der Hosting-Provider zum anderen den Zugang zur betroffenen Webseite nach eigenem Ermessen und, ohne vorher seine Kundin oder seinen Kunden zu kontaktieren, ganz oder teilweise sperren, bis die Angelegenheit zwischen den betroffenen Personen oder durch die Gerichte und Behörden geklärt ist.

In denjenigen Fällen, in denen ein Hosting-Provider Urheberrechtsverletzungen zu seinem Geschäftsmodell macht, versagt die Selbstregulierung. In diesen Fällen werden urheberrechtsverletzende Inhalte unmittelbar nach deren Entfernung regelmässig wieder aufgeschaltet und die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber sehen sich gezwungen, erneut zu reagieren. Um dieses Katz-und-Maus-Spiel zu durchbrechen, wird die Selbstregulierung um eine gesetzliche Pflicht für jene HostingProvider ergänzt, die eine besondere Gefahr für Verletzungen von Urheberrechten schaffen. Derartige Hosting-Provider müssen dafür sorgen, dass urheberrechtsverlet8

600

www.simsa.ch > Services > Code of Conduct Hosting

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zende Inhalte, die bereits einmal entfernt wurden, auch entfernt bleiben («Staydown»-Pflicht). In der Praxis bedeutet das aber nicht, dass die betreffenden HostingProvider alle Inhalte auf ihren eigenen Servern überwachen, sondern dass sie manuell oder mit Hilfe von Software prüfen, ob im Internet die betreffenden Inhalte über Links*, die auf ihre Server führen, angeboten werden. Stellt der Hosting-Provider fest, dass solche urheberrechtsverletzenden Inhalte über seine Server angeboten werden, muss er die entsprechenden Inhalte entfernen. Der Aufwand für diese Überwachung findet seine Grenze an der technischen und wirtschaftlichen Zumutbarkeit.

Um präventiv das erneute Aufschalten urheberrechtsverletzender Inhalte zu unterbinden, haben die Hosting-Provider die Möglichkeit, dies in ihren Kundenbeziehungen vertraglich zu regeln.

Der Code of Conduct Hosting der Simsa bietet keine Lösung, wenn die urheberrechtsverletzenden Inhalte nicht über Server von Hosting-Providern angeboten werden. Das ist der Fall bei Peer-to-Peer-Netzwerken. In diesen Netzwerken können private Computer über spezielle Software so vernetzt sein, dass Inhalte direkt geteilt werden können (von Personal Computer zu Personal Computer). Werden Peer-toPeer-Netzwerke in urheberrechtsverletzender Weise für den Austausch von Inhalten verwendet, so steht den Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhabern der strafrechtliche Weg offen. Um ein Strafverfahren einzuleiten, haben Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber den Strafverfolgungsbehörden bisher die IP-Adresse* mitgeteilt, über die Inhalte in urheberrechtsverletzender Weise angeboten wurden. Die damit einhergehende Datenbearbeitung ist jedoch mit Unsicherheiten behaftet. Gemäss einem jüngeren Bundesgerichtsurteil (BGE 136 II 508; Logistep) ist die Dokumentierung von IP-Adressen durch Vertreter des Rechtsinhabers nicht mit dem DSG9 vereinbar.

Mit Artikel 77i wird deshalb eine gesetzliche Grundlage für die Datenbearbeitung zur strafrechtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen geschaffen. Dadurch werden die durch den Logistep-Entscheid entstandenen Unklarheiten beseitigt.

Die Datenbearbeitungsgrundlage in Artikel 77i ist nicht auf die strafrechtliche Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen in Peer-to-Peer-Netzwerken beschränkt, weil die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber auch zur
Identifikation des HostingProviders, der eine Webseite mit urheberrechtsverletzenden Inhalten beherbergt, oftmals die IP-Adresse der betreffenden Webseite benötigen.

Die Datenbearbeitungsgrundlage in Artikel 77i respektiert die Empfehlungen des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB)10 und geht dem DSG nicht vor. Das DSG findet auf Datenbearbeitungen, die gestützt auf Artikel 77i erfolgen, vollumfänglich Anwendung. Erlaubt ist weiter, diese Daten auch für die adhäsionsweise Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen oder für deren Geltendmachung nach abgeschlossenem Strafverfahren zu verwenden. Dabei handelt es sich um eine Klarstellung, dass die Vorgehensmöglichkeiten, welche die StPO11 bietet, durch die Datenbearbeitungsnorm nicht ausgeschlossen werden.

9 10 11

SR 235.1 www.edoeb.admin.ch > Dokumentation > Tätigkeitsberichte > 19-2011/12 > Internet-Tauschbörsen ­ Rechtslage nach dem Logistep-Entscheid SR 312.0

601

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1.2.1.2

Weitere Änderungen zur Modernisierung des Urheberrechts

Neben den Massnahmen zur Bekämpfung der Online-Piraterie enthält die vorgeschlagene Neuregelung Massnahmen, um das Potenzial der Digitalisierung besser zu nutzen.

Das Verzeichnisprivileg, die Schranke zur Nutzung von verwaisten Werken und die Wissenschaftsschranke sind wichtige Elemente im Interesse inhaltsvermittelnder Institutionen wie Museen, Archive und Bibliotheken, der Hochschulen und anderer Forschungseinrichtungen sowie der Konsumentinnen und Konsumenten.

Das Verzeichnisprivileg regelt, wie Gedächtnisinstitutionen (öffentliche oder öffentlich zugängliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen, Sammlungen und Archive) die Online-Verzeichnisse ihrer Bestände ausgestalten können, um ihren Vermittlungsauftrag zeitgemäss und den technischen Möglichkeiten entsprechend wahrnehmen zu können. Die neue Norm erlaubt die Wiedergabe von Buchumschlägen, Zusammenfassungen, kleinformatigen Bildern sowie von Ausschnitten von Filmen und Musikwerken in Online-Verzeichnissen. Die Nutzerinnen und Nutzer der Gedächtnisinstitutionen können sich so ein genaueres Bild über das ihnen zur Verfügung stehende Angebot machen, als es bisher möglich war. Das steigert letztlich die Attraktivität und den Wert dieser Einrichtungen.

Die Schranke zur Nutzung von verwaisten Werken korrigiert Nachteile, die sich aus der relativ langen Schutzfrist des Urheberrechts ergeben. Oftmals müssen Werknutzungen deshalb unterbleiben, weil keine Erlaubnis eingeholt werden kann, da die Rechtsinhaberin oder der Rechtsinhaber unbekannt oder unauffindbar ist. Die Schranke zur Nutzung von verwaisten Werken ermöglicht eine Lizenzierung der Verwertungsrechte an Werken (Art. 10), die sich in den Beständen von Gedächtnisinstitutionen befinden und bei denen die Rechtsinhaberin oder der Rechtsinhaber nicht mit einem verhältnismässigen Aufwand identifiziert oder aufgefunden werden konnte. Von dieser Möglichkeit können nicht nur die Gedächtnisinstitutionen, sondern auch Dritte profitieren, die verwaiste Werke* aus den Beständen von Gedächtnisinstitutionen nutzen möchten. Die Schranke zur Nutzung von verwaisten Werken ist nicht neu. Die bestehende Schranke ist aber zu spezifisch auf die Archive von Sendeunternehmen ausgerichtet. Die neu formulierte Schranke erfasst nun auch die Bestände von öffentlichen oder öffentlich zugänglichen Bibliotheken,
Bildungseinrichtungen, Museen, Sammlungen und Archiven.

Die Wissenschaftsschranke stellt im Interesse der Forschung sicher, dass Urheberinnen und Urheber das für das Text- und Data-Mining* notwendige Kopieren nicht verbieten dürfen. Text- und Data-Mining, d. h. das elektronische Verarbeiten grosser Text- und Datenmengen zur Analyse von Texten und Informationssammlungen und zur Identifizierung von Querbezügen, ist ein wichtiges Forschungsinstrument geworden. Dabei fallen grosse Mengen an technisch bedingten, aber nicht vorübergehenden Vervielfältigungen an. Es ist ungeklärt, inwiefern hierzu eine Rechteeinräumung erforderlich ist. Falls eine Rechteeinräumung erfolgen muss, ist es praktisch unmöglich, die notwendigen Bewilligungen für die Vervielfältigungen in der Form individueller Lizenzen einzuholen. Der dafür erforderliche Aufwand und allenfalls auch die dafür zu entrichtende Vergütung wären in zahlreichen Fällen unverhältnismäs602

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sig. Die Wissenschaftsschranke erfasst bewusst auch die kommerzielle Forschung, weil eine Beschränkung auf die nicht-kommerzielle Forschung in der Praxis zu schwierigen Abgrenzungsproblemen führen würde. Die Grenze zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller Forschung lässt sich etwa bei Kooperationen von Hochschulen mit Unternehmen, bei Hochschulforschungen, die zu Spin-off-Unternehmen führen, oder bei allfälligen Forschungen an sich kommerziell orientierter Unternehmen im nicht-kommerziellen Bereich, wie z. B. bei der Erforschung vernachlässigter Krankheiten, kaum ziehen. Die vorgeschlagene umfassende und vergütungsfreie Wissenschaftsschranke erleichtert massgeblich die Forschung und trägt so zu einer Stärkung des Forschungsstandorts Schweiz bei. Die neue Wissenschaftsschranke ergänzt die schon im geltenden Recht vorhandenen und auch weiterhin gültigen Schranken, wie etwa die Eigengebrauchsschranke oder das Zitatrecht, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre wissenschaftliche Tätigkeit in Anspruch nehmen können.

Zugunsten der Kulturschaffenden enthält das Paket eine Verlängerung der Schutzfrist für verwandte Schutzrechte, einen Sonderschutz für Herstellerinnen und Hersteller nicht individueller (und damit nicht urheberrechtlich geschützter) Fotografien und eine Video-on-Demand-Vergütung für Urheberinnen und Urheber sowie für Interpretinnen und Interpreten.

Die Schutzfrist für die verwandten Schutzrechte der Interpretinnen und Interpreten sowie der Herstellerinnen und Hersteller von Ton- und Tonbildträgern wird von 50 auf 70 Jahre erhöht. Eine solche Schutzfrist von 70 Jahren existiert in der EU für Interpretinnen und Interpreten auf Tonträgern sowie für Tonträgerproduzentinnen und Tonträgerproduzenten. Die Verlängerung der Dauer der Schutzfrist wird für die Interpretinnen und Interpreten damit begründet, dass sie ihre Laufbahn im Allgemeinen in relativ jungen Jahren beginnen, sodass ihre Darbietungen bei der derzeitigen Schutzdauer von 50 Jahren für Aufzeichnungen von Darbietungen gegen Ende ihres Lebens häufig nicht mehr geschützt sind. Deshalb entsteht für einige ausübende Künstlerinnen und Künstler am Ende ihres Lebens eine Einkommenslücke.12 Den Produzentinnen und Produzenten soll die Verlängerung der Schutzfrist helfen, ihre Investitionen in neue Talente aufrechtzuerhalten.13
Die Vorlage erhöht das Schutzniveau aus Gleichbehandlungsgründen auch für Interpretinnen und Interpreten im audiovisuellen Bereich sowie Audiovisionsproduzentinnen und Audiovisionsproduzenten.

Fotografien sind nur dann urheberrechtlich geschützt, wenn sie einen individuellen Charakter aufweisen. Das führt dazu, dass Fotografien, die z. B. das Zeitgeschehen dokumentieren, oder Produktfotografien auf handwerklich höchstem Niveau oft ungeschützt bleiben. Die Fotografinnen und Fotografen, die diese Aufnahmen geschaffen haben, können sich nicht gegen eine Weiterverwendung ihrer Bilder wehren und mit ihnen auch kein Einkommen erzielen. Das Problem hat sich mit dem Internet 12

13

Richtlinie 2011/77/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2011 zur Änderung der Richtlinie 2006/116/EG über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABl. L 265 vom 11.10.2011, S. 1.

ec.europa.eu/internal_market/copyright/term-protection/index_de.htm (Stand: 14.07.2017).

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noch verstärkt, da Fotografien in einfachster Weise heruntergeladen und wieder verwendet werden können. Ein im Vergleich zum Urheberrecht eingeschränkter Sonderschutz schafft hier Abhilfe. Die Schutzfrist ist begrenzt auf 50 Jahre ab der Veröffentlichung bzw. ab der Herstellung, falls keine Veröffentlichung erfolgte.

Die Video-on-Demand-Vergütung für Urheberinnen und Urheber sowie Interpretinnen und Interpreten komplementiert deren ausschliessliches Recht, ihre Werke und Darbietungen auf Anbieterplattformen online zugänglich zu machen. Das ausschliessliche Recht bleibt frei auf die Produzentinnen oder Produzenten übertragbar.

Wird jedoch dieses Recht auf die Produzentin oder den Produzenten übertragen, so wird die dafür geschuldete Vergütung über die Verwertungsgesellschaften direkt bei den Betreiberinnen und Betreibern der Anbieterplattformen, mit denen die Produzentinnen oder Produzenten Vereinbarungen getroffen haben, eingezogen. Die Kulturschaffenden versprechen sich von der kollektiven Verwertung eine gewisse Korrektur der ungleichen Verhandlungsmacht, wie sie bei der individuellen Rechteverwertung vorliegt, und dadurch eine Verringerung des Ungleichgewichts zwischen der zunehmenden Online-Nutzung von Werken und den nur geringen Erlösen, welche die Kulturschaffenden aus diesen Online-Nutzungen ziehen (sog. Valuegap). Diese Einziehung der Vergütung über die Verwertungsgesellschaften ist in der Schweiz für Urheberinnen und Urheber von audiovisuellen Werken bereits heute bestehende Praxis. Grössere international tätige Betreiberinnen und Betreiber von Online-Plattformen sind mit dieser Praxis zum Teil nicht vertraut, was zu Problemen bei der Geltendmachung der Vergütung für die Urheberinnen und Urheber führt. Um die Position der Kulturschaffenden zu verbessern, wird die Schweizer Praxis nun gesetzlich verankert. Das System der Video-on-Demand-Vergütung ist beschränkt auf Filme von Schweizer Produzentinnen und Produzenten sowie auf Filme aus Ländern, die einen kollektiv wahrzunehmenden Vergütungsanspruch vorsehen.

Damit wird vermieden, dass es im internationalen Verhältnis zu Doppelvergütungen kommt.

Schliesslich umfasst die Vorlage Anpassungen im Bereich der kollektiven Verwertung von Urheberrechten. Dabei stehen die Einführung der erweiterten Kollektivlizenz und Verbesserungen des Tarifverfahrens
im Vordergrund.

Die erweiterte Kollektivlizenz ermöglicht den Verwertungsgesellschaften auch in Bereichen, die nicht über das Gesetz der kollektiven Verwertung unterstellt sind, Lizenzen für alle Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber zu erteilen. Diejenigen Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber, die durch einen solchen Lizenzvertrag nicht gebunden sein wollen, können von der lizenzierenden Verwertungsgesellschaft verlangen, dass ihre Rechte von einer bestimmten Kollektivlizenz ausgenommen werden (sog. Opt-out). Die erweiterte Kollektivlizenz bietet sich vor allem in denjenigen Fällen an, in denen es um die Nutzung grösserer Rechtebestände geht und die Kosten für den Erwerb individueller Lizenzen für alle betroffenen Werke in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Einnahmen aus der beabsichtigten Verwertung stehen würden. Geht es z. B. um die Nutzung mehrerer Fotografien aus dem Bestand eines Archivs, so kann eine individuelle Abklärung der Rechtsinhaberschaft sinnvoll sein. Lässt sich die Rechtsinhaberin oder der Rechtsinhaber identifizieren, so kann eine individuelle Lizenz eingeholt werden. Sind die Rechtsinhaberinnen oder Rechtsinhaber aber sehr zahlreich oder bleiben sie auch nach einer mit verhält604

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nismässigem Aufwand durchgeführten Recherche unbekannt oder unauffindbar, kann eine Gesamtlösung in der Form einer erweiterten Kollektivlizenz Abhilfe schaffen. Im Falle verwaister Werke sollen die Nutzerinnen oder Nutzer einen Anspruch auf Erteilung einer solchen Lizenz durch die zuständige Verwertungsgesellschaft erhalten, sofern sie die Tarifbedingungen einhalten.

Die Neuerungen im Tarifverfahren und auch die Pflicht zur elektronischen Nutzermeldung dienen der Beschleunigung und Effizienzsteigerung in der kollektiven Verwertung. Eine Konzentration der Sachverhaltsaufklärung vor der ersten Gerichtsinstanz trägt wesentlich dazu bei, Verzögerungen durch Sachverhaltsaufklärungen in einem fortgeschrittenen Verfahrensabschnitt zu vermeiden. Die weiteren verfahrensbeschleunigenden Massnahmen wurden bereits im KVG14 eingeführt und haben sich dort bewährt.

1.2.2

WIPO-Abkommen

1.2.2.1

Vertrag von Peking

Der von der Schweiz ratifizierte WIPO-Vertrag vom 20. Dezember 199615 über Darbietungen und Tonträger (WPPT) führte zu einer Verbesserung des Schutzes der Interpretinnen und Interpreten von Musik sowie der Produzentinnen und Produzenten von Tonträgern. Nicht geschützt werden Schauspielerinnen und Schauspieler. Im internationalen Verhältnis können sich also Musikerinnen und Musiker, nicht aber Schauspielerinnen und Schauspieler gegen eine unerlaubte Verwendung ihrer Darbietungen wehren. Mit dem Vertrag von Peking über den Schutz von audiovisuellen Darbietungen (BTAP) wird diese Ungleichbehandlung beseitigt. Das URG schützt Interpretinnen und Interpreten von Musik sowie Filmschauspielerinnen und Filmschauspieler gleichermassen. Sie können sich in der Schweiz gegen eine unerlaubte Verwendung ihrer Darbietungen wehren.

1.2.2.2

Vertrag von Marrakesch

Der Vertrag von Marrakesch erleichtert den Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken für Menschen mit Sehbehinderungen und trägt auf diese Weise zur Verbesserung der Chancengleichheit zwischen Sehenden und Sehbehinderten bei.

Gemäss der Weltblindenunion (WBU) werden weniger als 5 Prozent der jährlich weltweit erscheinenden Werke in einer für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglichen Form veröffentlicht. Der Zugang dieser Menschen zu gedruckten Dokumenten wird bereits durch ein internationales Urheberrechtsumfeld mit unterschiedlichen nationalen Regeln beschränkt. Im Übrigen verfügt nur eine Minderheit von Ländern in ihrem nationalen Urheberrecht über besondere Bestimmungen zu Beschränkungen und Ausnahmen zugunsten von Menschen mit Sehbehinderungen. Die Anwendung des innerstaatlichen Urheberrechts ist ausserdem auf das nationale 14 15

SR 832.10 SR 0.231.171.1

605

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Staatsgebiet beschränkt. Angesichts dieses territorialen Charakters gelten die im nationalen Recht vorgesehenen Ausnahmen meist nicht für die Ein- oder Ausfuhr von Werkexemplaren in einer für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglichen Form, auch nicht zwischen Ländern mit ähnlichen Regeln. Heute müssen daher die zuständigen Organisationen jedes Landes mit den Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhabern über Lizenzen verhandeln, um Werke in einer für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglichen Form zwischen Ländern auszutauschen oder um ihre eigenen Versionen herzustellen. Mit dem Vertrag von Marrakesch sollen die Herstellung und der grenzüberschreitende Austausch solcher Werkexemplare gesetzlich erlaubt werden.

1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

1.3.1

Die Ergebnisse aus der Vernehmlassung

1.3.1.1

Durchführung und Ergebnis

Das Vernehmlassungsverfahren wurde am 11. Dezember 2015 eröffnet und dauerte bis zum 31. März 2016. Der Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens ist auf den Internetseiten der Schweizerischen Bundeskanzlei (BK)16 und des IGE17 veröffentlicht. Insgesamt gingen 1224 Stellungnahmen mit einem Volumen von rund 8000 Textseiten ein. Diese aussergewöhnlich hohen Zahlen zeigen, dass es sich bei der Modernisierung des Urheberrechts um ein anspruchsvolles Projekt handelt, das in der Praxis zahlreiche Kreise betrifft und beschäftigt.

Grundsätzlich anerkannt wurde von den Vernehmlassungsteilnehmenden die Notwendigkeit, das Urheberrecht zu modernisieren. Die Vorstellungen über die Stossrichtung gingen hingegen in weiten Teilen stark auseinander. Deshalb führte das EJPD im Anschluss an die Vernehmlassung mit den betroffenen Kreisen Gespräche, um Massnahmen auszuarbeiten, welche die Akzeptanz der Vorlage erhöhen.

1.3.1.2

Unbestrittene Punkte

Die Vernehmlassungsteilnehmenden begrüssten insbesondere den Vertrag von Peking und den Vertrag von Marrakesch. Beide Verträge sind weiterhin Teil der Vorlage. Auf Zustimmung stiess zudem das Instrument der erweiterten Kollektivlizenzen. Sowohl Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber als auch Nutzerinnen und Nutzer, Konsumentinnen und Konsumenten sowie die Kantone sprachen sich für die Einführung der erweiterten Kollektivlizenzen aus. Diese Rechtsfigur ist in der Vorlage weiterhin vorgesehen, wobei einige Aspekte im Lichte der Vernehmlassungsergebnisse angepasst wurden. Ebenfalls befürwortet wurde die Regelung, wonach 16 17

606

www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2015 > EJPD www.ige.ch > Recht und Politik > Immaterialgüterrecht National > Urheberrecht > Modernisierung des Urheberrechts

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die Eidgenössische Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK) zur Sachverhaltsabklärung Zeugen einvernehmen darf. Auch sie ist weiterhin Teil der Vorlage.18

1.3.1.3

Strittige Punkte

Massnahmen zur Bekämpfung der Internetpiraterie Die Pflicht von Hosting-Providern zu einem «Stay-down» ist weiterhin in der Vorlage enthalten. Ebenfalls umfasst die Vorlage eine Erlaubnis zugunsten der Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber, Personendaten zum Zweck der Strafantragsstellung oder der Strafanzeigeerstattung zu bearbeiten.19 Als nicht mehrheitsfähig erwiesen sich hingegen die Massnahmen zur Einbindung der Access-Provider in die Pirateriebekämpfung. Access-Provider ermöglichen ihren Kunden den Zugang zum Internet. Umstritten waren insbesondere die BlockingMassnahmen (Sperrung des Zugangs zu Piraterieangeboten) durch Access-Provider.

Auch der Versand eines aufklärenden Hinweises bei schwerwiegenden Urheberrechtsverletzungen über Peer-to-Peer-Netzwerke (einschliesslich der darauffolgenden zivilrechtlichen Vorgehensmöglichkeit im Falle der Nichtbeachtung des aufklärenden Hinweises) ist auf Ablehnung gestossen. Diese Massnahmen sahen eine Meldung an Benützerinnen und Benützer vor, über deren Anschluss schwerwiegende Urheberrechtsverletzungen begangen wurden. Hätten die Verletzungen trotz dieser Meldung angedauert, wäre eine gerichtliche Teilnehmeridentifikation möglich gewesen. Die Teilnehmeridentifikation hätte sich dabei auf Daten gestützt, die von der Rechtsinhaberin oder dem Rechtsinhaber gesammelt wurden (Personendatenbearbeitung zu zivilrechtlichen Zwecken). Ein grosser Teil der Vernehmlassungsteilnehmenden erachtete die vorgeschlagenen Massnahmen als unverhältnismässig, zu kompliziert und zu aufwändig. Da sie insgesamt stark umstritten und nicht mehrheitsfähig waren, sind sie nicht mehr in der Vorlage enthalten. Mit dem Wegfall der Personendatenbearbeitung zu zivilrechtlichen Zwecken durch Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber braucht das Fernmeldegeheimnis nicht angepasst zu werden.

Ausserdem konnte mit dem weitgehenden Verzicht auf Providerpflichten auch von einem Ausschluss der Verantwortlichkeit in Bezug auf die Erfüllung dieser Pflichten abgesehen werden.

Ausbau des materiellen Urheberrechts Die Vernehmlassungsvorlage sah zwei Vorschläge zum Ausbau des materiellen Urheberrechts vor, nämlich die Einführung eines Verleihrechts* und die Einführung eines Schutzes von Pressefotografien.

18 19

Für ausführliche Erläuterungen zur beantragten Neuregelung vgl. Ziff. 1.2.

Vgl. zur beantragten Neuregelung Ziff. 1.2.1.1.

607

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Mit einem Verleihrecht erhalten Urheberinnen und Urheber eine Vergütung, wenn ihre Werke ausgeliehen werden (z. B. in einer Bibliothek). Das Verleihrecht war in der Vernehmlassung stark umstritten. Dies bestätigte sich in den Gesprächen im Anschluss an die Vernehmlassung, weshalb von einer Aufnahme in die Vorlage abgesehen wird.

Mit der Einführung eines Schutzes von Pressefotografien wären die Fotografien von Pressefotografinnen und Pressefotografen während einer bestimmten Dauer vor unerlaubter Übernahme geschützt. Auch dieser Vorschlag war in der Vernehmlassung umstritten und wurde in eine Regelung für den Schutz der Rechte an Fotografien und ähnlich hergestellten Erzeugnissen ohne individuellen Charakter überführt.20 Urheberrechtsschranken Gegen die Anpassungen der Urheberrechtsschranken (amtliche Werke, Leerträgervergütung, verwaiste Werke, Archivierungs- und Sicherungsexemplare, Wissenschaftsschranke und Verzeichnisprivileg) zeigte sich in der Vernehmlassung zwar keine fundamentale Opposition, doch standen sich die Haltungen der Vernehmlassungsteilnehmenden in einigen Punkten diametral gegenüber. Die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber erachteten die Schranken als zu weitgehend. Den Nutzerinnen und Nutzern, den Kantonen sowie den Gemeinden gingen die vorgeschlagenen Änderungen hingegen zu wenig weit. Zudem standen sie den mit den Schranken verbundenen Vergütungen ablehnend gegenüber.

Im Anschluss an die Vernehmlassung konnte bei folgenden Schranken ein Kompromiss gefunden werden: Verwaiste Werke, Archivierungs- und Sicherungsexemplare, Wissenschaftsschranke und Verzeichnisprivileg.21 Die übrigen Themenbereiche blieben umstritten und sind deshalb nicht mehr in der Vorlage enthalten: Die Regelung der Leerträgervergütung sah vor, das Nebeneinanderbestehen von Zahlungen an Online-Plattformen und Gebühren auf Leerdatenträgern zu harmonisieren. Die Erweiterung der Schranke zu den amtlichen Werken (inkl. einer Anpassung des BGA22) hätte generell amtliche Dokumente vom Urheberrechtsschutz ausgenommen. Für all diese Vorschläge konnten keine mehrheitsfähigen Regelungen gefunden werden.

Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften und Tarifgenehmigungsverfahren Die Vernehmlassungsvorlage sah eine doppelte Erweiterung der Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften vor. Zum einen sollten neu auch die
Bereiche der freiwilligen kollektiven Verwertung unter Bundesaufsicht gestellt werden. Zum anderen sah die Vernehmlassungsvorlage vor, dass das IGE über die Geschäftsführung und die Grundlagen der Verteilung der jeweiligen Verwertungsgesellschaft nicht nur eine Rechtskontrolle, sondern darüber hinaus auch eine Angemessenheitskontrolle durchführt. In der Vernehmlassung wurden die Massnahmen zur Erweiterung der Aufsicht insbesondere von den Verwertungsgesellschaften und den Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhabern stark kritisiert. Sie waren daher insgesamt umstritten.

20 21 22

608

Vgl. dazu die Ausführungen zur beantragten Neuregelung, Ziff. 2.1.

Vgl. dazu die Ausführungen zur beantragten Neuregelung, Ziff. 1.2.1.2.

SR 152.1

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Das geltende Genossenschafts- bzw. Vereinsrecht sowie die darauf basierenden internen Regelwerke der jeweiligen Verwertungsgesellschaft stellen bereits Instrumente zur Kontrolle durch die eigenen Mitglieder zur Verfügung. Ausserdem kommt eine durch das IGE in Auftrag gegebene externe Studie zu den Verwaltungskosten der Verwertungsgesellschaften23 zum Schluss, dass diese Kosten «insgesamt betrachtet angemessen» sind.24 Mit Blick auf die Ausübung der Aufsicht erlauben unbestimmte Rechtsbegriffe, wie die Pflicht zur geordneten und wirtschaftlichen Verwaltung, dem IGE, die Aufsicht über die Geschäftsführung und die Grundlagen der Verteilung je nach Situation differenziert auszugestalten und dort eine strengere Auslegung des gesetzlichen Rahmens vorzunehmen, wo es erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund sieht der Bundesrat von einer verschärften Staatsaufsicht über die Verwertungsgesellschaften ab, ohne dass beim Ziel einer effizienten kollektiven Verwertung Abstriche gemacht werden.

Eine allgemeine Aufsichtsabgabe der Verwertungsgesellschaften an das IGE wurde in der Vernehmlassung klar abgelehnt, weshalb auf ihre Einführung verzichtet wird.

Dieser Verzicht hat jedoch keine Auswirkungen auf Kostenfragen in Verfahren der Aufsicht des IGE über die Verwertungsgesellschaften generell.

Ausserdem waren in der Vernehmlassung die Auskunftspflicht gegenüber den Verwertungsgesellschaften und der Vorschlag zur Verkürzung des Instanzenzuges im Tarifgenehmigungsverfahren umstritten. An den Massnahmen zur Beschleunigung des Tarifgenehmigungsverfahrens wird punktuell festgehalten. Die Auskunftspflicht gegenüber den Verwertungsgesellschaften findet sich in modifizierter Form ebenfalls in der Vorlage wieder.25

1.3.1.4

Diverse Anliegen

Die Vernehmlassungsteilnehmenden haben in ihren Stellungnahmen zahlreiche weitere Anliegen geäussert.26 Zwei Anliegen (Video-on-Demand-Vergütung für Urheberinnen und Urheber sowie für Interpretinnen und Interpreten, Verlängerung der Schutzdauer für verwandte Schutzrechte27) wird in der Vorlage Rechnung getragen, weil sie sich in der Folge als mehrheitsfähig im Sinne eines Kompromisses erwiesen.

Alle anderen geäusserten Anliegen28 blieben auch in der Folge umstritten. Sie werden deshalb nicht in die Vorlage aufgenommen.

23

24 25 26

27 28

Fark, Johannes / Meyer, Beatrice / Zöbeli, Daniel, Analyse zur Angemessenheit der Verwaltungskosten der Verwertungsgesellschaften, Dezember 2015, www.ige.ch > Etwas schützen > Urheberrecht > Verwertungsgesellschaften > Aufsicht über Verwertungsgesellschaften > Bericht.

Ibid., S. IV im Management Summary.

Vgl. Ausführungen zur beantragten Neuregelung, Ziff. 2.1.

Vgl. dazu den Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens, Ziff. 4.3., www.ige.ch > Recht und Politik > Immaterialgüterrecht National > Urheberrecht > Modernisierung des Urheberrechts > Ergebnisbericht.

Vgl. zur beantragten Neuregelung Ziff. 1.2.1.2.

Vgl. Fn. 26.

609

BBl 2018

Nicht in der Vorlage enthalten ist auch die Forderung verschiedener Vernehmlassungsteilnehmenden, das Zitatrecht auf Werke der bildenden Kunst und Fotografien auszudehnen. Obwohl der Gesetzestext keine solche Ausnahme vorsieht, wurde in der Literatur gestützt auf eine historische Auslegung verschiedentlich angenommen, dass Werke der bildenden Kunst und Fotografien nicht zitierfähig sind. In der jüngeren Lehre hat sich nun aber die Auffassung durchgesetzt, dass auch diese Werke vom Zitatrecht erfasst sind.29 Bei dieser Ausgangslage ist eine Gesetzesänderung nicht angezeigt, zumal der Gesetzestext an sich eindeutig ist. Gleiches gilt für die Forderung nach der gesetzlichen Verankerung des Vollzitats. Das Bundesgericht hat sich im BGE 131 III 480 (Schweizerzeit) eingehend mit dem zulässigen Umfang von Zitaten auseinandergesetzt und dabei auch das Vollzitat nicht ausgeschlossen.

Eine gesetzliche Verankerung des Vollzitats wäre der durch das Bundesgericht geschaffenen Rechtssicherheit eher abträglich, weil damit eine neue Diskussion über die Voraussetzungen des Vollzitats eröffnet würde. Die Kulturschaffenden haben in der Vernehmlassung denn auch ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, dass eine ausdrückliche Anerkennung des Vollzitats zu einer Aushöhlung des ihnen zustehenden Ausschliesslichkeitsrechts auf Werkwiedergaben gemäss Artikel 10 URG führen würde, zumal bei einem umfassend bestehenden Zitatrecht jede Bildreproduktion, und zwar in analoger wie auch in digitaler Form, von den Nutzerinnen und Nutzern als Zitat aufgefasst würde. Schliesslich bleibt auch die Forderung nach einer ausdrücklichen Ausdehnung des Katalogprivilegs in Artikel 26 URG auf Online-Kataloge und auf heute in der Form noch nicht bekannte neue Medien unberücksichtigt.

Das URG ist technologieneutral*. Es versteht sich deshalb von selbst, dass auch neue Formen von Katalogen von Artikel 26 URG erfasst sind.

1.3.2

Begründung und Bewertung der Modernisierung des Urheberrechts

Die Vorlage passt das Urheberrecht an verschiedenen Stellen an die technische und rechtliche Entwicklung an. Durch die Massnahmen zur Bekämpfung der OnlinePiraterie wird unter anderem Raum für legale Angebote geschaffen, was zu Verwertungsmöglichkeiten im Interesse der Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber sowie zu einem verbesserten Angebot im Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten führt.

Die neue gesetzliche Grundlage für die Datenbearbeitung zur strafrechtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen schafft Rechtssicherheit und sorgt dafür, dass der Datenschutz die Rechtsdurchsetzung nicht ungerechtfertigt behindert.

Damit wird gleichzeitig den diesbezüglichen Bedenken des US-Handelsbeauftragten Rechnung getragen.30

29 30

610

Macciacchini, Sandro / Oertli, Reinhard, Stämpflis Handkommentar, 2. Auflage, Bern 2012, URG 25, RN 5­8.

Vgl. Office of the United States Trade Representative, 2016 Special 301 Report, April 2016, S. 55 f.

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Die Nutzerinnen und Nutzer sowie die Konsumentinnen und Konsumenten kritisieren das Urheberrecht, weil Nutzungen oftmals an der Rechteeinholung scheitern, sei es weil die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber unbekannt oder unauffindbar sind oder weil der Aufwand für eine individuelle Lizenzierung in keinem Verhältnis zur beabsichtigten Nutzung stehen würde. Die Anpassung der Urheberrechtsschranken und die Einführung der erweiterten Kollektivlizenzen tragen diesen Anliegen Rechnung und verringern Barrieren bei der Werknutzung. Die Vorlage trägt damit zur Realisierung des Potenzials der Digitalisierung bei.

Die Umsätze von Online-Plattformen haben sich in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert. Gleichzeitig haben die Vergütungen der Kulturschaffenden für die von ihnen geschaffenen Inhalte nicht proportional zugenommen. Dieser Effekt wird als «Value-gap» bezeichnet.31 Zugunsten der Kulturschaffenden enthält die Vorlage drei Massnahmen (Verlängerung der Schutzfrist für verwandte Schutzrechte, Schutz von Fotografien ohne individuellen Charakter und Video-on-Demand-Vergütung für Urheberinnen und Urheber sowie Interpretinnen und Interpreten), die diesen «Valuegap» korrigieren.

1.3.3

Begründung und Bewertung des Vertrags von Peking und des Vertrags von Marrakesch

Die sich aus dem Vertrag von Peking ergebenden Verbesserungen der Stellung von Filmschauspielerinnen und Filmschauspielern sind in der Schweiz bereits Gesetz.

Seine Ratifizierung dehnt den Schutz der Schweizer Filmschauspielerinnen und Filmschauspieler auf die anderen Vertragsparteien aus.

Der Vertrag von Marrakesch verbessert den Zugang zu Werken für Menschen mit Sehbehinderungen. Das Schweizer Recht enthält bereits Regelungen für einen verbesserten Zugang zu Werken für Menschen mit Behinderungen. Die Ratifizierung des Vertrags von Marrakesch setzt jedoch auf internationaler Ebene ein wichtiges Zeichen in Übereinstimmung mit dem verfassungsmässigen Auftrag, im Gesetz Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen vorzusehen (Art. 8 Abs. 4 BV32).

1.4

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

1.4.1

Modernisierung des Urheberrechts

Bezüglich der Pflicht zum «Stay-down» für Hosting-Provider ist die Regelung in der EU uneinheitlich. Während in Deutschland der BGH eine Pflicht zum «Stay-down» anerkannt hat33, hat der französische Kassationsgerichtshof eine solche Pflicht abge31 32 33

Leistner, Matthias / Metzger, Axel, The EU Copyright Package: A Way Out of the Dilemma in Two Stages, IIC 4/2017, S. 381.

SR 101 BGH, Urteil vom 12. Juli 2012 ­ I ZR 18/11 «Alone in the Dark».

611

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lehnt34. In England (und auch in den USA) wird die Einführung einer gesetzlichen Pflicht zum «Stay-down» gefordert. Die Einführung ist indessen umstritten.35 Mit der neuen Pflicht zum «Stay-down» müssen ausschliesslich Hosting-Provider, die durch ihre technische Funktionsweise oder wirtschaftliche Ausrichtung Urheberrechtsverletzungen begünstigen, dafür sorgen, dass einmal auf Hinweis von ihren Servern entfernte urheberrechtsverletzende Inhalte beseitigt bleiben, indem sie eine erneute Zugänglichkeit verhindern oder auch ohne erneuten Hinweis durch die Rechtsinhaberin oder den Rechtsinhaber die urheberrechtsverletzenden Inhalte wieder entfernen. Mit der Einführung einer eingeschränkten Pflicht zum «Staydown» für Hosting-Provider, die eine besondere Gefahr für Urheberrechtsverletzungen schaffen, beschreitet die Vorlage einen Mittelweg, der den Argumenten der Befürworterinnen und Befürworter sowie der Gegnerinnen und Gegner gleichermassen Rechnung trägt. Die Anwendung ist beschränkt auf Fälle, in denen aufgrund der besonderen Gefährdung eine weitergehende Pflicht zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen gerechtfertigt ist. In der Praxis setzen solche Massnahmen eine eingeschränkte Überwachung oder eine Filterung voraus. Der EuGH hat sich zweimal mit dem Einsatz von Filtern befasst.36 Er erachtete die Verpflichtung zur Filterung als mit dem Recht der EU vereinbar, solange sie im Sinne der E-CommerceRichtlinie37 gerecht, verhältnismässig und nicht übermässig kostspielig ist. Der Vorschlag der Europäischen Kommission COM(2016) 593 final38 sieht in Artikel 13 implizit39 den Einsatz von Filterungsmassnahmen in bestimmten Fällen vor und verlangt auch, dass diese geeignet und angemessen sind. Unzulässig ist gemäss dem EuGH eine Verpflichtung der Hosting-Provider, die auf ihren Servern gespeicherten Informationen generell zu überwachen.40 Die vorgeschlagene Regelung respektiert diese Eckwerte.

Dass Internetnutzerinnen und Internetnutzer, deren Anschluss für Urheberrechtsverletzungen verwendet wurde, in Zivilverfahren identifiziert werden sollen, ist in der Vorlage nicht vorgesehen. Der Bundesrat gewichtet das Fernmeldegeheimnis höher als die Möglichkeit, neben der bestehenden strafrechtlichen Rechtsdurchsetzung zusätzlich eine rein zivilrechtliche Vorgehensmöglichkeit zu schaffen. Eine Identifikation von Internetnutzerinnen und Internetnutzern, deren Anschluss für Urheberrechtsverletzungen verwendet wurde, bleibt damit den Strafverfolgungsbehörden im 34 35

36

37 38

39 40

612

Cour de cassation, Arrêt no 831 du 12 juillet 2012 (11-13.669) ­ ECLI: FR: CCASS: 2012: C100831.

www.theguardian.com/technology/2016/mar/24/bpi-british-music-labels-piracy-policygoogle (Stand: 14.07.2017); www.billboard.com/articles/business/7326371/ comments-copyright-office-dmca-safe-harbor-review-music-industry-digital-services (Stand: 14.07.2017).

EuGH, Urteil vom 24. November 2011, Rs. C-70/10, Scarlet/SABAM, ECLI:EU:C:2011:771; EuGH, Urteil vom 16. Februar.2012, Rs. C-360/10, SABAM/Netlog, ECLI:EU:C:2012:85.

ABl. L 178 vom 17.07.2000, S. 1.

Vorschlag der Europäischen Kommission vom 14. September 2016 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, COM(2016) 593 final.

Die in Art. 13 festgelegte Pflicht setzt nämlich in der Praxis eine Filterung voraus, damit die betroffenen Inhalte identifiziert werden können.

EuGH, Urteil vom 24. November 2011, Rs. C-70/10, Scarlet/SABAM (Fn. 36), RN 35; EuGH, Urteil vom 16. Februar.2012, Rs. 360/10, SABAM/Netlog, (Fn. 36), RN 33.

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Strafverfahren vorbehalten. Dieser Ansatz ist mit dem Rechtsrahmen der EU vereinbar. Ein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch gegen Access-Provider ist gemeinschaftsrechtlich weder vorgegeben noch ausgeschlossen. Gemäss Artikel 8 Absatz 1 der Durchsetzungs-RL (2004/48/EG)41 stellen die Mitgliedstaaten zwar sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der Klägerin oder des Klägers anordnen können, dass Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren und Dienstleistungen, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, erteilt werden.

Vorausgesetzt wird weiter, dass die Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmass vorgenommenen wurden. Jedoch kann nach Ansicht des EuGH diese Bestimmung in Verbindung mit Artikel 8 Absatz 3 der Durchsetzungs-RL nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten ­ im Hinblick auf die Sicherstellung eines effektiven Schutzes des Urheberrechts ­ die Pflicht zur Weitergabe der personenbezogenen Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorsehen müssen.42 Die weiteren Ansätze zur Pirateriebekämpfung sind im internationalen Vergleich weitgehend uneinheitlich. In den USA und in Frankreich wurde versucht, die Piraterie mit einem Eskalationssystem zu bekämpfen. Fehlbare Benützerinnen und Benützer werden zunächst aufgeklärt und erst im Wiederholungsfalle sanktioniert. Beide Systeme scheinen jedoch nicht den gewünschten Erfolg gebracht zu haben. Das als «Copyright Alert System» bezeichnete amerikanische System wurde wieder eingestellt.43 Das französische Modell existiert weiterhin, wird aber stark kritisiert.44 Auch Blocking-Massnahmen durch Access-Provider, sogenannte Netzsperren, werden uneinheitlich gehandhabt. In der EU hat der EuGH entschieden, dass die Anordnung einer Netzsperre mit dem EU-Recht vereinbar sein kann.45 Das EU-Recht sieht aber keine Pflicht zu Netzsperren vor. Auch in der Schweiz wurde der Vorschlag eines Eskalationssystems mit aufklärenden Hinweisen in der Vernehmlassung stark kritisiert. Es sei zu aufwändig, zu kompliziert und zu teuer. Die Vorlage verzichtet auf eine entsprechende Lösung ebenso wie auf Netzsperren durch Access-Provider.

Bei der Überprüfung der Schrankenregelungen verfügt die Schweiz über einen grösseren Spielraum als die EU-Mitgliedstaaten. Die EU hat den Schrankenkatalog in Artikel 5 der Urheberrechtsrichtlinie46
abschliessend geregelt. Auch die EU verfügt indessen über eine Bestimmung betreffend verwaiste Werke. Ebenso sieht der am 14. September 2016 veröffentlichte Vorschlag der Europäischen Kommission COM(2016) 593 final47 in Artikel 3 (Text- und Data-Mining) eine Schranke für Vervielfältigungen und Entnahmen vor, die durch Forschungsorganisationen vorgenommen wurden und erklärt zuwiderlaufende Vertragsbestimmungen für unwirksam.

41 42 43 44 45 46 47

ABl. L 157 vom 30.04.2004, S. 45.

EuGH, Urteil vom 29.01.2008, Rs. C-275/06, Promusicae/Telefónica, ECLI:EU:C:2008:54, RN 58.

variety.com > Digital > News > Internet Service Providers, Studios and Record Labels Call It Quits on Copyright Alert System www.lepoint.fr/chroniqueurs-du-point/guerric-poncet/rapport-lescure-l-hadopi-est-mortevive-l-hadopi-13-05-2013-1666125_506.php (Stand: 14.07.2017).

EuGH, Urteil vom 27. März 2014, Rs. C-314/12, UPC Telekabel, ECLI:EU:C:2014:192.

ABl. L 167 vom 22.06.2001, S. 10.

Vorschlag der Europäischen Kommission, COM(2016) 593 final (Fn. 38).

613

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Auch im Bereich der kollektiven Verwertung entsprechen die vorgeschlagenen Änderungen des URG den Entwicklungen auf EU-Ebene.48 Die neue Vorschrift zur elektronischen Meldung von Nutzungen spiegelt einen europäischen Trend zur elektronischen Datenverarbeitung wieder. Zudem wird für die ESchK die Möglichkeit geschaffen, Zeugen einzuvernehmen. Diese Konzentration der Sachverhaltsaufklärung vor der ersten Instanz und die Straffungen im Tarifgenehmigungsverfahren zielen auf die Verringerung von Kosten und Rechtsunsicherheiten ab. Diese Massnahmen liegen damit im europäischen Trend, die kollektive Verwertung effizienter zu gestalten.

Artikel 43a E-URG zu den erweiterten Kollektivlizenzen gibt den Verwertungsgesellschaften Instrumente in die Hand, um auf neue Bedürfnisse im digitalen Zeitalter flexibel reagieren zu können. Insbesondere die nordeuropäischen Länder haben gute Erfahrungen mit erweiterten Kollektivlizenzen gemacht. Schon in der Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27. September 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung und in der Richtlinie 2012/28/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke werden erweiterte Kollektivlizenzen ausdrücklich als mögliche Lösungen für den Rechteerwerb genannt. Auch der Vorschlag der EU vom 14. September 201649 für eine Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt enthält eine Norm zu erweiterten Kollektivlizenzen, allerdings mit einem sehr engen Anwendungsbereich, nämlich beschränkt auf die Nutzung vergriffener Werke durch Einrichtungen des Kulturerbes. Der Anwendungsbereich des neuen Artikels 43a geht weit über denjenigen des EU-Vorschlags hinaus und erlaubt somit grösstmögliche Flexibilität bei der Lizenzierung.

Der neue Schutz der Rechte an Fotografien ohne individuellen Charakter weist Parallelen zum deutschen und österreichischen Lichtbildschutz* auf. Er ist aber gesetzessystematisch anders konzipiert, da es sich materiell um eine Erweiterung des Urheberrechtsschutzes und nicht um die Schaffung eines verwandten Schutzrechts handelt.

Die Verlängerung der Schutzdauer für Leistungen von ausübenden Künstlerinnen und Künstlern und von Herstellerinnen und Herstellern
von Ton- oder Tonbildträgern folgt einem Trend. Die EU hat im Bereich der Musik bereits eine entsprechende Verlängerung vorgenommen. Die Schweiz geht hier weiter und verlängert die Schutzdauer aus Gleichbehandlungsgründen auch im audiovisuellen Bereich.

Demgegenüber wird mit dem Entscheid, das Herunterladen unlizenzierter Angebote zum Eigengebrauch auch weiterhin als durch die Eigengebrauchsschranke erfasst anzusehen, eine Differenz zum Recht der EU beibehalten.50 Der schweizerische Ansatz ist pragmatischer. Er führt nämlich dazu, dass Kopien, die bei der Verwendung unlizenzierter Angebote zum Eigengebrauch anfallen, ebenfalls von der Leerträgervergütung erfasst sind.

48 49 50

614

Vgl. die Richtlinie 2014/26/EU, ABl. L 84 vom 20.03.2014, S.72 und Art. 7 des Vorschlags der Europäischen Kommission, COM(2016) 593 final (Fn. 38).

Art. 7 des Vorschlags der Europäischen Kommission, COM(2016) 593 final (Fn. 38).

Vgl. EuGH, Urteil vom 10. April 2014, Rs. C-435/12, ACI Adam, ECLI:EU:C:2014:254.

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1.4.2

Vertrag von Peking und Vertrag von Marrakesch

Die 2008 verabschiedeten Gesetzesänderungen waren weitgehend von der Urheberrechtsrichtlinie51 geleitet. Seither ist das schweizerische Recht auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte mit dem EU-Recht weitgehend harmonisiert. Dies lässt sich insbesondere beim Schutz der ausübenden Künstlerinnen und Künstler feststellen, der bereits sowohl hinsichtlich ihrer akustischen als auch ihrer audiovisuellen Darbietungen gilt. Da der Vertrag von Peking keinen weitergehenden Schutz vorsieht, lässt seine Ratifizierung den Harmonisierungsgrad zwischen dem schweizerischen und dem EU-Recht in diesem Bereich unberührt.

Der Vertrag von Marrakesch erleichtert den Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken für Menschen mit Sehbehinderungen, indem er Mindeststandards für entsprechende Schranken vorsieht. Die geltende Gesetzgebung der EU enthält hierzu keine spezifischen Regelungen und überlässt es den Mitgliedstaaten, in gewissen besonderen Fällen entsprechende Schranken vorzusehen. Um die internationalen Verpflichtungen aus dem Vertrag von Marrakesch auf EU-Ebene umzusetzen, hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie52 erarbeitet. Dieser Vorschlag würde das EU-Recht in diesem Bereich teilweise harmonisieren und dem geltenden Schweizer Recht, das bereits eine Schranke zugunsten von Menschen mit Behinderungen vorsieht (vgl. Ziff. 1.5.2.2), näher bringen.

1.5

Umsetzung

1.5.1

Modernisierung des Urheberrechts

Mit der Vorlage wird der Urheberrechtsschutz den neuen Technologien angepasst.

Bei der Pirateriebekämpfung wird die Selbstregulierung um eine gesetzliche «Staydown»-Verpflichtung für Hosting-Provider, die eine besondere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen schaffen, ergänzt. Diese Massnahme ermöglicht eine effiziente und wirksame Bekämpfung einer allfälligen Ansiedelung von Piraterieplattformen in der Schweiz. Zudem wird eine gesetzliche Grundlage für die Datenbearbeitung zur strafrechtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen geschaffen, und die aus BGE 136 II 508 (Logistep) resultierenden Unsicherheiten werden geklärt.

51 52

ABl. L 167 vom 22.06.2001, S. 10.

Vorschlag der Europäischen Kommission vom 14. September 2016 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte zulässige Formen der Nutzung urheberrechtlich oder durch verwandte Schutzrechte geschützter Werke und sonstiger Schutzgegenstände zugunsten blinder, sehbehinderter oder anderweitig lesebehinderter Personen und zur Änderung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, COM(2016) 596 final, und Vorschlag der Europäischen Kommission vom 14. September 2016 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den grenzüberschreitenden Austausch von Kopien bestimmter urheberrechtlich oder durch verwandte Schutzrechte geschützter Werke und sonstiger Schutzgegenstände in einem zugänglichen Format zwischen der Union und Drittländern zugunsten blinder, sehbehinderter oder anderweitig lesebehinderter Personen, COM(2016) 595 final.

615

BBl 2018

Gleichzeitig werden Fotografien ohne individuellen Charakter neu zu geschützten Werken erklärt, die Vergütung von Urheberinnen und Urhebern sowie Interpretinnen und Interpreten bei Video-on-Demand-Nutzungen wird gesetzlich kollektiv geregelt, die Schutzfrist für verwandte Schutzrechte wird verlängert, es werden eine Wissenschaftsschranke und ein Verzeichnisprivileg geschaffen und die Schranke für die Nutzung verwaister Werke wird ausgedehnt.

Im Bereich der Kollektivverwertung werden die Auskunftspflicht der Werknutzerinnen und Werknutzer gegenüber den Verwertungsgesellschaften aktualisiert, die Möglichkeit des Datenaustauschs zwischen den Verwertungsgesellschaften vorgesehen und Verbesserungen im Tarifgenehmigungsverfahren vorgenommen. Ausserdem wird die erweiterte Kollektivlizenz als zusätzliches Instrument der kollektiven Verwertung eingeführt.

1.5.2

WIPO-Abkommen

1.5.2.1

Vertrag von Peking

Der Vertrag von Peking gewährt den im audiovisuellen Bereich tätigen ausübenden Künstlerinnen und Künstlern den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte (Art. 5) und das ausschliessliche Recht, die Sendung, die öffentliche Wiedergabe und die Festlegung ihrer bisher nicht festgelegten audiovisuellen oder visuellen Darbietungen zu erlauben (Art. 6). In Bezug auf die audiovisuellen Festlegungen haben sie das ausschliessliche Recht auf Vervielfältigung (Art. 7), Verbreitung (Art. 8), Vermietung (Art. 9), öffentliche Zugänglichmachung (Art. 10) sowie Sendung und öffentliche Wiedergabe (Art. 11).53 Auf nationaler Ebene sind die in den Artikeln 5­8, 10 und 11 BTAP genannten Rechte in Artikel 33a und 33 Absatz 2 Buchstabe a­e URG verankert. Für das Vermieten von Werkexemplaren sieht die Schweizer Gesetzgebung einen der Kollektivverwertung unterstellten Vergütungsanspruch (Art. 13 und 38 URG) vor und gewährt kein ausschliessliches Recht, wenn die Werkexemplare von der Künstlerin oder vom Künstler oder mit ihrer oder seiner Zustimmung veräussert wurden (weil in diesem Fall das Recht auf Inverkehrbringen nach Art. 12 URG erschöpft ist). Da die Einnahmen aus der Vermietung jedoch seit Jahren rückläufig sind54, ist Artikel 9 Absatz 2 des Vertrags von Peking anwendbar und befreit die Schweiz von der Verpflichtung, ein ausschliessliches Recht vorzusehen.

Der BTAP sieht in Artikel 14 eine Mindestschutzdauer von 50 Jahren ab der Festlegung der audiovisuellen Darbietung vor. Das URG schützt heute diese Darbietungen während 50 Jahren ab der Veröffentlichung von deren Festlegung oder, wenn keine Veröffentlichung erfolgt, ab der Herstellung des Trägers. Die Vorlage sieht neu eine Schutzdauer von 70 Jahren vor (Art. 39 Abs. 1 E-URG). Sowohl das geltende Recht als auch die vorgeschlagene längere Schutzdauer stehen im Einklang mit der Mindestschutzdauer des Vertrags von Peking.

53 54

616

Vgl. Erläuterungen dazu unter Ziff. 2.2.1.

Vgl. Rückgang der Vergütungen gemäss dem Gemeinsamen Tarif 5 (Vermieten von Werkexemplaren) seit 2008.

BBl 2018

Schliesslich verpflichtet der BTAP die Vertragsparteien, die technischen Vorkehrungen sowie die auf den audiovisuellen Festlegungen angebrachten Informationen für die Wahrnehmung der Rechte auf nationaler Ebene zu schützen (Art. 15 und 16).

Auch diese Verpflichtungen sind auf nationaler Ebene bereits umgesetzt (Art. 39a und 39c URG).55 Folglich erfordert die Ratifizierung des BTAP keine Anpassungen.

1.5.2.2

Vertrag von Marrakesch und Umsetzungserlass

Der Vertrag von Marrakesch verpflichtet die Vertragsparteien, in ihrer nationalen Gesetzgebung Schranken bezüglich des Rechts auf Vervielfältigung, Verbreitung und Zugänglichmachung einzuführen, um blinden, sehbehinderten oder sonst lesebehinderten Menschen Werke in einer für sie zugänglichen Form leichter zugänglich zu machen (Art. 4). Ferner sind sie verpflichtet, unter bestimmten Bedingungen den grenzüberschreitenden Austausch von Werkexemplaren in einer zugänglichen Form (Art. 5) sowie die Einfuhr solcher Werkexemplare (Art. 6) zu gestatten.

Das geltende Recht sieht in Artikel 24c URG bereits eine Schranke zugunsten von Menschen mit Behinderungen vor. Diese Bestimmung gilt für alle Kategorien von Werken und für alle Arten von Behinderungen, welche die Wahrnehmung eines Werks beeinträchtigen.56 Der flexible Wortlaut ermöglicht in Bezug auf die Mehrheit der Verpflichtungen des Vertrags von Marrakesch eine vertragskonforme Auslegung. Das geltende Recht steht namentlich der Ausfuhr von gemäss einer gesetzlichen Schranke hergestellten Werkexemplaren in einer für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglichen Form nicht entgegen. Eine Gesetzesänderung ist allerdings erforderlich, damit Werkexemplare in einer für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglichen Form aus einer Vertragspartei in die Schweiz eingeführt werden können (vgl. nachfolgend die Ausführungen in Ziff. 2.3). Die übrigen Verpflichtungen aus dem Vertrag von Marrakesch erfordern keine Gesetzesänderungen.

1.6

Erledigung parlamentarischer Vorstösse und Berichte des Bundesrates

Mit der Vorlage werden die folgenden Vorstösse abgeschrieben: ­

55

56 57

Das Postulat Savary vom 19. März 201057 verlangt die Prüfung der Situation der Kunstschaffenden. Die Einführung von Massnahmen zur Pirateriebekämpfung, die Video-on-Demand-Vergütung, die von 50 auf 70 Jahre angehobene Schutzfrist für verwandte Schutzrechte und der Schutz von Rechten an Fotografien ohne individuellen Charakter haben eine Verbesserung der Für einen detaillierten Kommentar zu diesen Bestimmungen vgl. Botschaft vom 10. März 2006 zum Bundesbeschluss über die Genehmigung von Abkommen der Weltorganisation für geistiges Eigentum und zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes, BBl 2006 3389, hier 3424­3435 und 3427.

In dieser Hinsicht enthält das URG eine umfangreichere Beschränkung als der Vertrag von Marrakesch.

10.3263 «Braucht die Schweiz ein Gesetz gegen das illegale Herunterladen von Musik?».

617

BBl 2018

Bedingungen für die Kunstschaffenden zum Ziel und tragen damit den Anliegen der Postulantin Rechnung.

­

Die Postulate Recordon vom 16. März 201258 und Glättli vom 14. März 201259 fordern die Prüfung einer Systemanpassung, die den Anliegen der Kunstschaffenden und der Internetgemeinde gleichermassen Rechnung trägt.

Wie in der Vernehmlassungsvorlage die Ziffern 1.2.1­1.2.4 zeigten, stellt eine Systemanpassung, wie sie den Postulanten vorschwebt, keinen gangbaren Weg dar.60 Das Vernehmlassungsergebnis bestätigt die Auffassung des Bundesrates. Es wird deshalb auf einen entsprechenden Systemwechsel verzichtet. Mit den erweiterten Kollektivlizenzen und der Ausdehnung der Schranke für verwaiste Werke werden jedoch wichtige Interessen der Nutzerinnen und Nutzer berücksichtigt und digitale Nutzungen vereinfacht.

­

Die Motion der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats vom 8. April 201461 beauftragt den Bundesrat, Alternativen zum System der Leerträgervergütung vorzuschlagen. Das Abspeichern auf physischen Datenträgern wird immer mehr durch internetbasierte Datenspeicherungsdienste ersetzt. Dennoch ist derzeit nicht vom Bestehen einer Regelungslücke in Bezug auf solche Cloud-Dienste* auszugehen, da auch in diesen Fällen ein vergütungspflichtiger Eigengebrauch vorliegt. Das Speichern von Daten (u. a. geschützter Werke) auf einem ausgelagerten Server (der Anbieterin oder des Anbieters von Cloud-Diensten) stellt eine Verwendung des Werks zum Eigengebrauch dar (Art. 19 Abs. 1 Bst. a URG). Cloud-Dienste gelten dabei als Dritte im Sinne von Artikel 19 Absatz 2 URG, die ihren Benützerinnen und Benützern während der Vertragsdauer Kopiermöglichkeit und Speicherkapazität zur Aufzeichnung auch geschützter Werke und Leistungen zur Verfügung stellen. Dritte im Sinne von Artikel 19 Absatz 2 URG sind von Artikel 20 Absatz 2 URG erfasst (und damit vergütungspflichtig). Für spezielle Cloud-Nutzungen, namentlich die sogenannten virtual Personal Video Recorder (vPVR), gibt es mit dem gemeinsamen Tarif 1262 der Verwertungsgesellschaften bereits heute eine kollektive Lösung. Ein Systemwechsel ist damit nicht erforderlich.

­

Das Postulat Bieri vom 11. Dezember 201463 zielt auf die Einführung eines Verleihrechts ab. Im Lichte des Vernehmlassungsergebnisses wurde auf die Aufnahme des Verleihrechts in die Vorlage verzichtet.64

58 59 60 61 62 63 64

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12.3326 «Für ein Urheberrecht, das fair ist und im Einklang mit den Freiheiten der Internetgemeinde steht».

12.3173 «Angemessene Entschädigung von Kulturschaffenden unter Einhaltung der Privatsphäre der Internetnutzenden».

www.ige.ch > Recht und Politik > Immaterialgüterrecht National > Urheberrecht > Modernisierung des Urheberrechts > Erläuternder Bericht 14.3293 «Abgabe auf leeren Datenträgern».

Vgl. Art. 46 und 47 URG.

14.4150 «URG Revision. Einführung eines Verleihrechts».

Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens, S. 10; www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2015.

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2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

2.1

Modernisierung des Urheberrechtsgesetzes

Art. 2 Abs. 3bis Fotografien jeglichen Charakters dokumentieren unser Leben auf unterschiedlichste Weise. Als Momentaufnahmen unseres Alltags und des Zeitgeschehens nehmen sie eine wichtige Funktion in unserer Gesellschaft wahr. Fotografien können unabhängig davon, ob sie individuellen Charakter aufweisen oder nicht, von Bedeutung sein.

Urheberrechtlich geschützt sind sie heute jedoch nur, wenn sie individuell sind und somit Werkcharakter haben. Eine Fotografie ohne individuellen Charakter ist demzufolge urheberrechtlich nicht geschützt, so bedeutend sie auch sein mag. So hat das Bundesgericht beispielsweise einer Fotografie, die den ehemaligen Wachmann Meili mit zwei Folianten zeigt, den Schutz verweigert, da sie nicht den geforderten individuellen Charakter aufweise.65 Alle nicht individuellen Fotografien dürfen verwendet werden, ohne dass dafür die Fotografinnen und Fotografen um Erlaubnis gefragt werden müssen. An diesem Umstand stören sich die Schweizer Fotografinnen und Fotografen. Sie fordern deshalb seit Längerem auch für die Schweiz einen Schutz von Fotografien ohne individuellen Charakter, wie ihn beispielsweise Deutschland und Österreich unter dem Begriff des Lichtbildschutzes kennen.

Die vorgeschlagene Ergänzung von Artikel 2 trägt dieser Forderung Rechnung. Sie erweitert den Werkbegriff auf Fotografien und ähnlich wie Fotografien hergestellte Abbildungen ohne individuellen Charakter. Dadurch werden in Zukunft sämtliche Fotografien urheberrechtlich geschützt, unabhängig davon, ob sie individuellen Charakter aufweisen oder nicht. Ohne Bedeutung ist auch die Qualifikation der Fotografin oder des Fotografen. Geschützt sind sowohl die Fotografien von professionellen Fotografinnen und Fotografen als auch die Fotografien von Laien.

Fotografien ohne individuellen Charakter können jeglicher Art sein, z. B. kann es sich um alltägliche Familien- und Urlaubsfotos oder um Produktbilder handeln. Wie bei allen anderen Werken (Art. 2 Abs. 1 URG) ist auch bei Fotografien der ästhetische Wert oder der Zweck der Aufnahme für die Schutzbegründung unerheblich. Es gibt keine Unterscheidung zwischen bedeutenden und unbedeutenden Fotografien.

Voraussetzung für den Schutz ist aber, dass die Fotografie ein dreidimensionales Objekt wiedergibt. Die Fotokopie oder andere Formen der Wiedergabe von Textvorlagen,
Plänen, grafischen Darstellungen, anderen Fotografien und sonstigen zweidimensionalen Vorlagen sind folglich nicht schutzfähig. Die neue Bestimmung schützt nur Fotografien, die physisch vorhandene dreidimensionale Objekte abbilden.

Ähnlich wie Fotografien hergestellte Erzeugnisse sind ebenfalls schutzfähig. Durch diese Erweiterung soll der Begriff der Fotografie auf Verfahren ausgedehnt werden, bei denen ein Bild unter Benutzung strahlender Energie erzeugt wird (z. B. Bilder, die durch Infrarot- oder Röntgenstrahlen entstehen), und auf Mikro- und Makrokopien sowie Abzüge eines Negativfilms.66 Aber auch Einzelbilder aus visuellen 65 66

BGE 130 III 714 Schulze, Gernot, in: Dreier / Schulze, UrhG, Urheberrechtsgesetz Urheberrechtswahrnehmungsgesetz Kunsturhebergesetz, Kommentar, 3. Auflage, München 2008, § 72 RN 6.

619

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und audiovisuellen Werken (wie z. B. Filmstills) können geschützt sein. Werden einzelne Fotografien so aneinandergereiht, dass diese den Eindruck eines bewegten Bildes erzeugen (Laufbild), so ist dieses Laufbild als Werk gemäss Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe g URG geschützt, wenn es individuellen Charakter aufweist.

Bei Fotografien ohne individuellen Charakter beschränken sich die Schutzvoraussetzungen auf das Vorliegen einer geistigen Schöpfung der Literatur und Kunst. Geistig ist eine Schöpfung nur dann, wenn ihr ein menschliches Handeln zugrunde liegt. Im Sinne der vorliegenden Norm können also nur Menschen Urheberinnen und Urheber sein. Damit sind automatisiert hergestellte Fotografien, wie beispielsweise Radarfotos, Fotos von Überwachungskameras oder von Kamerafallen, vom Schutzbereich ausgeschlossen.

Den Fotografinnen und Fotografen von Bildern, die keinen individuellen Charakter haben, stehen die gleichen Verwertungs- und Urheberpersönlichkeitsrechte zu wie allen anderen Urheberinnen und Urhebern. Sie können folglich unter anderem auf ihrer Namensnennung bestehen und auch bestimmen, wann, wie und wo die Bilder verwendet werden (Art. 9 und 10 URG). Ein Unterschied besteht einzig hinsichtlich der Schutzdauer: Fotografien ohne individuellen Charakter sollen lediglich für eine Dauer von 50 Jahren ab ihrer Herstellung geschützt werden (Art. 29 Abs. 2 Bst. abis E-URG).

In Verbindung mit Artikel 80 Absatz 1 URG führt die Erweiterung des Schutzumfangs auf Fotografien ohne individuellen Charakter dazu, dass der Urheberrechtsschutz solche Fotografien auch dann erfassen wird, wenn sie vor seinem Inkrafttreten dieser Teilrevision geschaffen wurden. Das ergibt sich aus dem übergangsrechtlichen Grundsatz des URG von 1992, wonach das Gesetz auch vor seinem Inkrafttreten bestehende Schutzobjekte erfassen soll, soweit sie nicht bereits gemeinfrei geworden sind. Gemäss dieser Übergangsregelung ist auch der im Rahmen der Teilrevision von 2007 erweiterte Schutz von Darbietungen (Art. 33 Abs. 1 URG) insofern rückwirkend, als er sich auch auf Ausdrucksformen der Volkskunst bezieht, die vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung entstanden sind. Dementsprechend wird auch für die Ausdehnung des Urheberrechtsschutzes auf fotografische und ähnlich wie Fotografien erzeugte Wiedergaben dreidimensionaler Objekte ohne
individuellen Charakter der sich aus Artikel 80 ergebende Grundsatz gelten, dass auch vorbestehende Werke unter der Voraussetzung geschützt sind, dass sie nicht bereits gemeinfrei geworden sind.

Diese neu geschützten Fotografien sind oft Teil von Büchern, Zeitschriftenartikeln, Prospekten, Internetseiten, Ausstellungen und vielen andern Formen von Veröffentlichungen. Ein rückwirkender Schutz all dieser Abbildungen könnte zu Anwendungsproblemen führen. Deshalb beugt Artikel 80 Absatz 2 einer Rückwirkung des neuen Rechts vor, indem er die Anwendung des neuen Rechts auf Verwendungstatbestände beschränkt, die nach seinem Inkrafttreten erfolgen. Somit ist das neue Recht nicht anwendbar auf einen unter altem Recht zulässigen abgeschlossenen Tatbestand, der unter dem neuen Recht als Rechtsverletzung anzusehen wäre (vgl.

BGE 126 III 382). Wurde z. B. in der Vergangenheit in einem Pressebericht oder in einem Buch ein (nicht individuelles) Symbolbild verwendet, so muss für die damalige Verwendung nicht nachträglich eine Einwilligung eingeholt werden. Durch Artikel 2 Absatz 3bis E-URG ist z. B. auch die Fotografie, die Christoph Meili zeigt 620

BBl 2018

(gemäss BGE 130 III 714 eine Fotografie ohne individuellen Charakter) neu vor unerlaubten Verwendungen geschützt. Mit Blick auf die damalige Verwendung der Fotografie in einer Sendung der British Broadcasting Corporation kann die Fotografin dafür jedoch nicht rückwirkend Rechte geltend machen. Eine Verwendung der Fotografie nach Inkrafttreten der revidierten Gesetzesfassung bedürfte hingegen der Einwilligung der Fotografin (bzw. der Rechtsinhaberin oder des Rechtsinhabers), solange die Fotografie noch geschützt ist.

Des Weiteren klärt Artikel 80 Absatz 2 URG, dass Verwendungen, die vor Inkrafttreten der revidierten Gesetzesfassung begonnen wurden und ohne Zustimmung der Rechtsinhaberin oder des Rechtsinhabers zulässig waren, vollendet werden dürfen.67 Für das Zugänglichmachen von Fotografien ohne individuellen Charakter bedeutet dies, dass diese Verwendung weiterhin erlaubt ist, sofern sie unter altem Recht begonnen wurde. Es dürfen aber keine neuen Verwendungen ohne Erlaubnis der Rechtsinhaberin oder des Rechtsinhabers erfolgen, soweit diese nicht gesetzlich erlaubt sind. Wurden z. B. vor Inkrafttreten der neuen Norm Bildbände gedruckt, welche Fotografien ohne individuellen Charakter enthalten, so dürfen diese auch nach Inkrafttreten der revidierten Gesetzesfassung veräussert werden. Gleiches gilt aufgrund der Technologieneutralität des Gesetzes auch in Bezug auf Internetsachverhalte. Sind auf einer Internetseite Fotografien ohne individuellen Charakter enthalten, so ist der Weiterbetrieb dieser Internetseite mit diesen Fotografien auch nach dem Inkrafttreten des Schutzes der Fotografien ohne individuellen Charakter weiterhin erlaubt. Werden hingegen nach dem Inkrafttreten dieses Schutzes solche Fotografien in eine bereits bestehende oder eine neue Internetseite aufgenommen, so ist dafür eine Einwilligung der Inhaberin oder des Inhabers der Rechte an diesen Fotografien ohne individuellen Charakter erforderlich. Damit ist im Sinne der Rechtssicherheit geklärt, dass Nutzerinnen und Nutzer für Verwendungen von Fotografien ohne individuellen Charakter, mit denen sie unter dem neuen Recht beginnen, Einwilligungen einholen müssen.

Art. 13a

Zugänglichmachen von audiovisuellen Werken

Die Urheberinnen und Urheber audiovisueller Werke (Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren, Regisseurinnen und Regisseure usw.) vereinbaren im Vertrag mit der Produzentin oder dem Produzenten das Honorar für ihr Tätigwerden. Gleichzeitig treten sie in diesem Vertrag sämtliche Verwertungsrechte, darunter auch ihre ausschliesslichen Online-Rechte (Video-on-Demand, VoD), an die Produktion ab. Die Beteiligung an den Erlösen aus der Verwertung dieser Online-Rechte wird aber nicht über die Produzentinnen oder Produzenten, sondern durch die Verwertungsgesellschaften wahrgenommen. Diese Praxis wird mit Artikel 13a gesetzlich verankert.

Den Urheberinnen und Urhebern steht für die Verwertung der von ihnen geschaffenen audiovisuellen Werke über Online-Plattformen ein Vergütungsanspruch zu. Die zur Geltendmachung der Vergütung aufzustellenden Tarife können entweder an den 67

Vgl. Botschaft vom 19. Juni 1989 zu einem Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG), zu einem Bundesgesetz über den Schutz von Topographien von integrierten Schaltungen (Topographiengesetz, ToG) sowie zu einem Bundesbeschluss über verschiedene völkerrechtliche Verträge auf dem Gebiete des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte, BBl 1989 III 477, hier 571.

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Abonnementseinnahmen oder an den Werbeeinnahmen der Plattformen anknüpfen.

Da die Tarife der Angemessenheitskontrolle unterstehen, ist sichergestellt, dass die Urheberinnen und Urheber auch in Zukunft eine faire Entschädigung für die OnlineNutzung erhalten. Die Produzentinnen und Produzenten behalten aber alle erforderlichen Rechte in der Hand, um mit den Betreiberinnen und Betreibern der jeweiligen Plattformen zu verhandeln. Urheberinnen und Urheber, die ein audiovisuelles Werk schaffen, sind in erster Linie die Regisseurinnen und Regisseure, ausnahmsweise auch die Verantwortlichen für die Kameraführung, die Ausstattung, die Filmarchitektur oder den Schnitt. Wird in einem Film eine vorbestehende Musik verwendet, so entsteht nach schweizerischem Recht (Art. 7 URG) keine Miturheberschaft.

Urheberinnen und Urheber originaler Filmmusik sind von der Regelung nur erfasst, falls sie Miturheberinnen oder Miturheber am audiovisuellen Werk sind. Wo für einen Film in Zusammenarbeit mit der Regie eine Original-Filmmusik geschaffen wird, können auch die Komponistinnen und Komponisten Miturheberinnen und Miturheber sein. Sie treten in der Regel ihre Rechte ebenfalls an die Produktionsfirma ab und erhalten mit der neuen Bestimmung auch einen Vergütungsanspruch.

Absatz 2 sieht eine Reihe von Ausnahmen vom VoD-Vergütungsanspruch vor. Absatz 2 Buchstabe a schliesst einen Vergütungsanspruch aus, wenn die Urheberinnen und Urheber ihre Werke persönlich verwerten. Der Vergütungsanspruch für die Verwertung der Online-Rechte soll dazu dienen, eine kollektive Verwertung vornehmen zu können, auch wenn das ausschliessliche Recht an die Produzentin oder den Produzenten abgetreten wurde. Dieser Fall liegt bei der persönlichen Verwertung durch die Urheberinnen und Urheber nicht vor. Werke, die von ihren Urheberinnen und Urhebern auf Plattformen wie YouTube persönlich verwertet werden, sollen damit vom Vergütungsanspruch grundsätzlich nicht erfasst werden. Es handelt sich um eine analoge Bestimmung zu Artikel 40 Absatz 3 URG, die sich aber nur auf den Musikbereich bezieht. In Absatz 2 Buchstabe b Ziffer 1 werden eine Reihe von Werkkategorien ausgenommen, die für Video-on-Demand-Geschäftsmodelle irrelevant sind oder bei denen dieser zusätzliche Vergütungsanspruch ebenfalls keinen Sinn macht. Neben audiovisuellen Werken aus
dem Bereich der Wirtschaftskommunikation geht es dabei vor allem um Dienst- und Auftragswerke von Fernseh- und anderen Medienunternehmen. Dazu gehören durch das Unternehmen selbst oder in seinem Auftrag und auf seine Kosten produzierte Reportagen zur Tagesaktualität, Bildungsprogramme und Magazinsendungen, aber auch Unterhaltungsformate wie Quizsendungen, Game Shows, Reality-TV und dergleichen. Bei Firmenportraits, Industriefilmen, Werbe- und Promotionsfilmen spielen VoD-Nutzungen keine Rolle.

Werbefilme sind kürzere Filme, die dazu dienen, ein Produkt zu verkaufen, wie z. B.

Werbespots. Diese Formate sollen daher nicht erfasst sein. In der Regel werden diese Formate auch nicht auf Bezahlplattformen zum Abruf bereitgehalten. Computerspiele werden regelmässig in einem Arbeitsverhältnis bei Ausübung dienstlicher Tätigkeiten sowie in Erfüllung vertraglicher Pflichten geschaffen. Gemäss Artikel 17 URG sind die Arbeitgeberinnen oder Arbeitgeber in diesen Fällen allein zur Ausübung der ausschliesslichen Verwendungsbefugnisse berechtigt. Bei Dienstwerken von Sendeunternehmen und anderen journalistischen Dienstwerken befinden sich die Urheberinnen und Urheber ebenfalls in einem Anstellungsverhältnis. Die Vergütung für nachfolgende VoD-Nutzungen wird vertraglich abgegolten. Bei Auftragswerken von Sendeunternehmen, wie z. B. Reality- und Gameshows, und ande622

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ren journalistischen Auftragswerken treten die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gleichzeitig als Produzentinnen und Produzenten sowie Anbieterinnen und Anbieter von VoD-Plattformen auf, sodass das Konstrukt von Artikel 13a keinen Sinn macht.

Absatz 2 Buchstabe b Ziffern 2 und 3 verhindern Überschneidungen von Vergütungen. Danach steht den Urheberinnen und Urhebern dann kein Vergütungsanspruch zu, wenn das Gesetz bereits gestützt auf eine andere Regelung einen Vergütungsanspruch für das Zugänglichmachen vorsieht. Konkret geht es dabei um die Zugänglichmachung von Archivwerken der Sendeunternehmen (Art. 22a URG) oder von verwaisten Werken (Art. 22b E-URG).

Absatz 3 ergänzt Absatz 2 und stellt sicher, dass die gesetzliche Regelung in der Praxis auch sonst nicht zu Doppelvergütungen führt. Da die Vergütungsansprüche der Urheberinnen und Urheber bereits heute über Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden, ist eine Verteuerung für die Konsumentinnen und Konsumenten nicht zu erwarten. Mit der neuen Regelung muss die Höhe der Vergütung mit den massgebenden Nutzerverbänden ausgehandelt werden und anschliessend die Angemessenheitskontrolle durch die ESchK passieren. Es ist den Plattformen daher bekannt, in welchem Umfang sie Zahlungen an die Urheberinnen und Urheber zu leisten haben. Sie können diese Kosten bei den Verhandlungen mit den Produzentinnen und Produzenten, deren Produktionen unter die Regelung fallen, in ihre Kalkulation miteinbeziehen.

Absatz 4 gewährleistet, dass es auch im internationalen Verhältnis nicht zu Doppelvergütungen kommt. Der Anspruch auf Vergütung setzt voraus, dass im betreffenden ausländischen Staat dieselbe Branchenpraxis herrscht. Das bedeutet nicht, dass eine entsprechende gesetzliche Regelung vorhanden sein muss, sondern lediglich, dass die Vergütungsansprüche der Urheberinnen und Urheber für die Verwertung eines audiovisuellen Werks, an deren Schaffung sie beteiligt waren, ebenfalls kollektiv geltend gemacht werden. Das ist gegenwärtig namentlich in den folgenden Ländern der Fall: Argentinien, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Französisch-Kanada, Italien, Luxemburg, Monaco, Polen und Spanien.

Art. 22b

Verwendung von verwaisten Werken

Die Regelung schafft einen gesetzlichen Rahmen für die Verwendung von verwaisten Werken. Schätzungen gehen davon aus, dass je nach Werkkategorie bis zu 90 Prozent der Werke in Museen und Archiven verwaist sind.68 Heute können diese Werke nicht rechtmässig genutzt werden, da die Zustimmung der Rechtsinhaberin oder des Rechtsinhabers nicht eingeholt werden kann. Das geltende Recht enthält in Artikel 22b zwar eine Regelung zur Nutzung verwaister Werke. Sie ist aber nur auf verwaiste Werke auf Ton- und Tonbildträgern anwendbar, obwohl die Problematik alle Werkkategorien betrifft. Deshalb soll der geltende Artikel 22b angemessen ausgeweitet werden.

In der Praxis besonders betroffen sind Fotografien in öffentlich zugänglichen Archiven, die aus Nachlässen bedeutender Persönlichkeiten oder von Sammlerinnen und Sammlern stammen. Während die abgebildeten Personen in vielen Fällen bekannt 68

Weitere Angaben siehe Ziffer 3.3.3.3 und insbesondere Fussnote 123.

623

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sind, lässt sich die Identität der Fotografin oder des Fotografen oft nicht mehr ermitteln. Dies hat zur Folge, dass die Fotografien, trotz grossem öffentlichem Interesse, mangels Zustimmung der Urheberinnen und Urheber nicht verwendet werden können. Mit der neuen Regelung werden solche Nutzungen in Zukunft möglich sein.

Ein Werk gilt nach Absatz 1 als verwaist, solange die Inhaberin oder der Inhaber der Rechte an dem Werk unbekannt oder unauffindbar ist. Die Kriterien für die Charakterisierung eines Werks als verwaist gelten für alle Werke im Sinne des URG.

Absatz 1 verlangt von den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern eine mit verhältnismässigem Aufwand durchgeführte Recherche. Diese Pflicht gilt als erfüllt, wenn sie die für die entsprechende Werkkategorie massgeblichen Datenbanken konsultiert haben und die Rechtsinhaberin oder der Rechtsinhaber gestützt darauf nicht bestimmt werden konnte oder unauffindbar ist. Die Nutzerinnen und Nutzer tragen die Beweislast dafür, dass die Recherche mit einem verhältnismässigen Aufwand durchgeführt wurde und ergebnislos geblieben ist (Art. 8 ZGB69). Da sich die Recherchemöglichkeiten laufend verändern, können die jeweils massgeblichen Verzeichnisse nicht gesetzlich vorgeschrieben werden. Sie werden aber wohl in den jeweils geltenden Tarifen der Verwertungsgesellschaften (Art. 46 und 47 URG) oder in dazugehörigen Leitfäden spezifiziert. Zum jetzigen Zeitpunkt müsste eine Recherche beispielsweise Folgendes umfassen: Für monografische Werke müsste eine Nutzerin oder ein Nutzer die massgeblichen Buchhandelsverzeichnisse der lieferbaren Bücher, die Kataloge von Nationalbibliotheken, das globale ISBN-Register und das elektronische Telefonbuch konsultieren. Für visuelle Werke der bildenden Kunst, Fotografien oder Illustrationen wären in die Recherche das Künstlerverzeichnis der deutschen Verwertungsgesellschaft VG Bild-Kunst sowie die Datenbanken von Keystone, Sikart, Foto.ch und wiederum die elektronischen Telefonbücher einzubeziehen.

Absatz 2 unterstellt die Ausübung der Verwendungsrechte nach Artikel 10 URG der Kollektivverwertung. Davon unberührt bleiben das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft (Art. 9 URG) und das Bearbeitungsrecht (Art. 11 URG). Damit dürfen ohne die Einwilligung der Rechtsinhaberin oder des Rechtsinhabers weder Werkänderungen vorgenommen
noch Werke zweiter Hand geschaffen werden. In Bezug auf die Rechte nach Artikel 10 URG werden die Verwertungsgesellschaften gesetzlich zur Verwertung von verwaisten Werken legitimiert. Die gesetzliche Ermächtigung gilt, bis der Urheberrechtsschutz endet oder bis die wirklichen Berechtigten wieder bekannt und wieder kontaktierbar sind. Das Wiederauftauchen der Rechtsinhaberin oder des Rechtsinhabers beendet den Status als verwaistes Werk und damit auch die Verwertungsbefugnis der Verwertungsgesellschaften.

Die Beendigung des Status als verwaistes Werk wirkt sich nur auf künftige Sachverhalte aus. Eine von der zuständigen Verwertungsgesellschaft bereits erlaubte Verwertung bleibt zulässig. Hierfür erhält die Rechtsinhaberin oder der Rechtsinhaber die von der Verwertungsgesellschaft bezogene Entschädigung. Erlaubte Nutzungen dürfen auch zu Ende geführt werden. Wenn jemand beispielsweise die Berechtigung erhalten hat, eine Auflage eines Buches zu drucken, dann bleibt der Vertrieb dieser Auflage auch nach der Beendigung des Status als verwaistes Werk zulässig. Im Hin69

624

SR 210

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blick auf eine weitere Auflage müsste dann allerdings nicht mehr mit der Verwertungsgesellschaft, sondern direkt mit der Rechtsinhaberin oder dem Rechtsinhaber verhandelt werden.

In den Buchstaben a und b werden die Voraussetzungen zur Verwendung verwaister Werke festgelegt. Laut Buchstabe a muss sich das zur Nutzung bestimmte Werkexemplar in Beständen von öffentlichen oder öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen, Sammlungen und Archiven oder in Beständen von Archiven der Sendeunternehmen befinden. Damit erstreckt sich die Regelung neben den öffentlich zugänglichen Kollektionen der Institutionen, die das kollektive Gedächtnis aufbewahren, auch auf die Werkexemplare in nicht direkt öffentlich zugänglichen Kollektionen von öffentlichen Gedächtnisinstitutionen und in nicht direkt öffentlich zugänglichen Archiven von Sendeunternehmen.

Absatz 3 sieht die Fiktion vor, dass verwaiste Werke als veröffentlicht gelten. Das Recht der Erstveröffentlichung (Art. 9 Abs. 2 URG) ist ein Urheberpersönlichkeitsrecht. Es wird in der Regel gleichzeitig mit einem Verwendungsrecht nach Artikel 10 URG ausgeübt, z. B. mit der Herausgabe eines Buches oder mit der Aufführung von Musik. In den Beständen der bereits erwähnten Gedächtnisinstitutionen (Abs. 1 Bst. a) befinden sich auch Werkexemplare verwaister Werke, bei denen weder eruierbar ist, woher sie kommen, noch von wem sie der Institution übergeben worden sind. In vielen Fällen, z. B. bei Briefen und Tagebuchnotizen, bei Fotografien aus dem privaten Bereich oder bei Entwürfen zu Texten und Bildern, ist unklar, ob das Werk bereits einmal veröffentlicht worden ist, und eine nachträgliche Abklärung ist kaum möglich. Mit der Fiktion, wonach verwaiste Werke in Gedächtnisinstitutionen als veröffentlicht gelten, können die sich daraus ergebenden Probleme gelöst werden. Gemäss der Fiktion gilt ein Werk, dessen Status als verwaistes Werk im Sinne von Absatz 1 festgestellt ist, automatisch auch als veröffentlicht.

Diese Fiktion ist nicht widerlegbar und auch nicht umkehrbar: Das Werk gilt auch dann noch als veröffentlicht, wenn der Rechtsinhaber oder die Rechtsinhaberin nachträglich bekannt oder auffindbar werden und das Werk dadurch seinen Status als verwaist verliert.

Des Weiteren betrifft Absatz 3 auch andere Werke und Werkteile, die in einem
verwaisten Werk im Sinne von Absatz 1 integriert sind. Absatz 3 unterstellt ihre Nutzung denselben Voraussetzungen, die für die Nutzung des verwaisten Werks selbst gelten. Diese Regelung orientiert sich an der geltenden Bestimmung, welche die Nutzung von Archivwerken der Sendeunternehmen regelt (vgl. Art. 22a Abs. 2 URG). Die integrierten Werke dürfen aber nicht für die Eigenart des Werks bestimmend sein. Will jemand z. B. einen Bildband nutzen, dessen Rechtsinhaberin oder Rechtsinhaber zwar unbekannt oder unauffindbar ist, bei welchem aber die Rechtsinhaberinnen oder Rechtsinhaber einzelner Fotografien bekannt sind, so kann Absatz 1 nicht auf das ganze Werk Anwendung finden, da die einzelnen Fotografien für die Eigenart eines Bildbandes bestimmend sind. Ist dagegen eine Gedichtsammlung, deren Rechtsinhaberin oder Rechtsinhaber unbekannt oder unauffindbar ist, mit einzelnen Fotografien illustriert, so ist die Mitverwendung erlaubt, weil die Fotografien für die Eigenart der Gedichtsammlung nicht bestimmend sind.

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In Absatz 4 wird klargestellt, dass die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber Anspruch auf eine Vergütung für die vergangene Nutzung ihrer Werke haben. Die Höhe dieser Vergütung ist auf die im massgebenden Verteilungsreglement vorgesehene Vergütung begrenzt. Damit ist sichergestellt, dass unbekannte und unauffindbare Urheberinnen und Urheber keine höhere Entschädigung erhalten können als bekannte und persönlich erreichbare Berechtigte.

Die neue Regelung zielt nicht darauf ab, für die Nutzung verwaister Werke unabhängig von deren Schutzdauer eine volle Vergütung sicherzustellen. Sie bedeutet auch nicht, dass die Nutzung von in die Public Domain gefallenen Werken neu kostenpflichtig wird. Untechnisch gesprochen handelt es sich vielmehr um eine Art Versicherungsprämie, die dazu bestimmt ist, den Nutzerinnen und Nutzern das Risiko abzunehmen, das mit der Nutzung verwaister Werke verbunden ist. Werden nämlich Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber, deren Werke genutzt wurden, nachträglich bekannt, so werden sie durch die Verwertungsgesellschaft für die vergangenen erlaubten Nutzungen entschädigt. Sie haben keinen Anspruch gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern, welche die Nutzung mit Erlaubnis der Verwertungsgesellschaft vorgenommen haben. Die Nutzerinnen und Nutzer entscheiden aber frei, ob sie sich gegen dieses Risiko absichern wollen oder nicht. Wenn von Vornherein klar ist, dass ein Werk in die Public Domain gefallen ist, wie z. B. bei einem Werk aus dem Mittelalter, ist eine Erlaubnis nach Artikel 22b E-URG nicht nötig. In unklaren Fällen bringt das System von Artikel 22b E-URG aber Rechtssicherheit. Auch die Tarife werden sich an dieser Zielsetzung auszurichten haben: Wo die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sich Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber noch melden, sollen auch die «Versicherungsprämien» niedrig sein. Es geht nicht darum, allgemeine Reserven zu bilden, sondern einzig darum, für die direkt betroffenen Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber die Zahlung der ihnen zustehenden Entschädigungen sicherzustellen. Diesem Grundgedanken werden auch die Verteilungsreglemente Rechnung zu tragen haben.

Absatz 5 sieht vor, dass bei Verwendung einer grösseren Anzahl von Werken die Bestimmungen über die erweiterten Kollektivlizenzen Anwendung finden (Art. 43a E-URG). Will beispielsweise eine Bibliothek
ihre umfangreiche Plakatsammlung digitalisieren, so kann sie auf der Basis von Artikel 43a E-URG bei der zuständigen Verwertungsgesellschaft die Erteilung einer entsprechenden Kollektivlizenz beantragen. Damit muss nicht mehr für jedes einzelne Werk eine gesonderte Recherche durchgeführt werden, sondern die Lizenz umfasst sowohl Werke von bekannten Urheberinnen und Urhebern als auch verwaiste Werke. Absatz 5 ist in diesem Sinne eine Ausnahmeregelung zu der in den Absätzen 1­4 statuierten Urheberrechtsschranke: Die Nutzung ist im Falle von Absatz 5, also beim Vorliegen einer grösseren Anzahl verwaister Werke, auch ohne vorgängige Recherche zulässig, sofern die Verwertungsgesellschaft in Form einer erweiterten Kollektivlizenz das mit dieser, nicht von den unbekannten Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhabern autorisierten Nutzung verbundene Risiko absichert. Die Erfahrungen aufgrund des bisherigen Artikels 22b URG haben gezeigt, dass Rechtssicherheit für die Nutzung solcher Werkbestände nur auf diesem Weg erzielt werden kann.

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Absatz 6 regelt die Verwendung des Verwertungserlöses durch die betroffene Verwertungsgesellschaft für den Fall, dass sich die Rechtsinhaberin oder der Rechtsinhaber innert 10 Jahren nach der erteilten Erlaubnis nicht meldet. Damit keine unnötigen Reserven gebildet werden, sieht das Gesetz vor, dass nach dieser Frist die Rückstellungen aufgelöst und die freiwerdenden Mittel gesamthaft zum Zweck der Sozialvorsorge und der angemessenen Kulturförderung verwendet werden müssen.

Damit ist dieser Absatz Lex specialis zu Artikel 48 Absatz 2 URG, der die Verwendung von Verwertungserlösen zum Zweck der Sozialvorsorge und der angemessenen Kulturförderung nur in begrenztem Umfang und nur mit Zustimmung des obersten Organs der Gesellschaft erlaubt.

Art. 24 Abs. 1bis Die neue Formulierung von Absatz 1bis nimmt eine inhaltliche Anpassung an Artikel 22b und Artikel 24e E-URG vor. Damit sind in allen drei Artikeln sowohl öffentlich zugängliche als auch öffentliche Institutionen erfasst. Der Begriff der Öffentlichkeit bezieht sich damit sowohl auf öffentlich zugängliche Institutionen (wie z. B.

Bibliotheken, Museen und private Ausstellungen) als auch auf Institutionen mit öffentlicher Trägerschaft, die zwar eine öffentliche Aufgabe erfüllen, aber nicht zwingend öffentlich zugänglich sein müssen (wie z. B. die Bundeskunstsammlung, Literaturarchive und Staatsarchive).

Art. 24d

Verwendung von Werken zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung

Im Zuge der Digitalisierung sind Informationen (Texte, Töne, Bilder und andere Daten) heute in grossen Mengen elektronisch verfügbar. Diese Informationsmengen werden vermehrt automatisch ausgewertet. Die dafür eingesetzte Technik ist das «Text- und Data-Mining». Dabei handelt es sich um eine wissenschaftliche Methode, bei der mit Hilfe von auf Algorithmen basierenden Analyseverfahren in einer wenig strukturierten oder gar unstrukturierten Datenmenge nach Mustern gesucht wird, um beispielsweise neue wissenschaftliche Thesen zu entwickeln oder bestehende Thesen zu überprüfen. Das «Text- und Data-Mining» kommt insbesondere in der Forschung zum Einsatz und schliesst regelmässig Vervielfältigungen der benutzten Werke mit ein, indem Werkexemplare umformatiert und Kopien der zu analysierenden Informationen auf einem gesonderten Speicher abgelegt werden. Das in diesem Zusammenhang zur Anwendung kommende Vervielfältigungsrecht des URG hat zu Unsicherheiten geführt. Fraglich war insbesondere, ob diese Speicherungen als «vorübergehend» im Sinne von Artikel 24a URG qualifiziert werden können, und damit auch, ob eine Rechteeinräumung durch die Urheberinnen und Urheber erforderlich ist. Angesichts der grossen Bedeutung der Forschung in der Schweiz sollen die bestehenden Unsicherheiten beseitigt und eine klare Regelung eingeführt werden.

Die neue Regelung, die sogenannte Wissenschaftsschranke, erklärt Vervielfältigungen zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig. Diese Vervielfältigungen dürfen anschliessend auch zu Archi-

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vierungs- und Sicherungszwecken aufbewahrt werden. Ein Vergütungsanspruch entsteht aufgrund dieser gesetzlich erlaubten Nutzungen nicht.

Auf internationaler Ebene70 und in der EU71 wurde die Aufnahme ähnlicher Bestimmungen andiskutiert bzw. vorgeschlagen. Es erscheint indessen nicht als sinnvoll, die weitere Entwicklung abzuwarten. Vielmehr könnte die rasche Einführung einer solchen Wissenschaftsschranke für den Forschungsstandort Schweiz einen wesentlichen Vorteil bringen und ihn weiter stärken.

Die Regelung in Absatz 1 trägt den Erfordernissen der heutigen wissenschaftlichen Forschungstätigkeit Rechnung: Sie nimmt alle urheberrechtlich relevanten Vervielfältigungshandlungen von Werken, zu denen ein rechtmässiger Zugang besteht, vom Schutz aus, soweit die Vervielfältigungen technisch bedingt sind. Der vorliegende Vorschlag ist offen formuliert im Hinblick auf zukünftige vergleichbare Technologien, die ebenfalls erfasst sein sollen. Unter wissenschaftlicher Forschung wird die systematische Suche nach neuen Erkenntnissen innerhalb verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und über deren Grenzen hinweg verstanden. Sie umfasst sowohl die Grundlagenforschung als auch die angewandte Forschung. Es ist denkbar, dass ein Forschungsprojekt neben wissenschaftlichen Zwecken auch anderen Zielen dient. Voraussetzung für die Anwendung der Schutzausnahme ist, dass die wissenschaftliche Forschung Hauptzweck der Arbeiten bleibt.

Die Herstellung der Vervielfältigungen muss im Hinblick auf die Forschungstätigkeit technisch bedingt sein. Die Kopie muss also im Rahmen eines technischen Verfahrens zur Forschung anfallen oder hergestellt werden, um dieses technische Verfahren zur Forschung überhaupt anwenden zu können. Unter die Schutzschranke fallen z. B. Vervielfältigungen, die zur Anwendung des «Text- und Data-Mining» erforderlich sind. Dieses technische Verfahren bedingt auch Vervielfältigungshandlungen, die eindeutig nicht mehr von Artikel 24a URG (vorübergehende Vervielfältigungen) erfasst werden, weil die erzeugten Dateien aus wiederum wissenschaftlichen Gründen längerfristig gespeichert werden müssen. Dementsprechend ist die Wissenschaftsschranke nicht nur auf kurzzeitige Vervielfältigungen anwendbar. Sie erlaubt auch die Vervielfältigung ganzer Werke und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass normalerweise
nicht im Voraus bekannt ist, in welchem Teil eines Werks sich die für die Forschungsarbeit wesentlichen Informationen befinden. Nicht von der Ausnahmeregelung erfasst sind Vervielfältigungen, die lediglich dazu dienen, Kosten für den Erwerb weiterer Werkexemplare zu vermeiden.

Die den Forschungsverfahren vorgelagerte Verwertung der Werke wird durch die Schranke nicht berührt. Nur rechtmässig zugängliche Werke dürfen zum Zweck des «Text- und Data-Mining» vervielfältigt werden. Die Wissenschaftsschranke ist beschränkt auf die zur Forschung notwendigen Kopien. Zwar müssen Forschende die abgespeicherten Daten vor der eigentlichen Analyse oftmals bereinigen und umwandeln. Diese Handlungen stellen indessen keine Bearbeitung im Sinne von Artikel 11 URG dar. Eine über das «Text- und Data-Mining» hinausgehende Erlaubnis 70

71

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WIPO, Provisional Working Document towards an Appropriate International Legal Instrument (in whatever form) on Limitations and Exceptions for Educational, Teaching and Research Institutions and Persons with other Disabilities containing Comments and Textual Suggestions, SCCR/26/4 PROV., S. 33.

Vgl. die Ausführungen unter Ziff. 1.4.1.

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zur Verwendung der im Zuge dieser Verfahren erstellten Kopien ist nicht vorgesehen. Diese Verwendung unterliegt den bestehenden Regeln des Urheberrechts.

Sollte die Auswertung dieser Forschungsergebnisse eine Bearbeitung des Originalwerks darstellen, ist das Bearbeitungsrecht bei der Urheberin oder dem Urheber einzuholen.

Die Norm bezieht sich ausschliesslich auf die wissenschaftliche Forschung und umfasst einzig das Vervielfältigungsrecht. Der enge Anwendungsbereich grenzt die Schranke so auf bestimmte Sonderfälle ein. Sie ergänzt die bereits bestehenden Urheberrechtsschranken, auf welche sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusätzlich berufen können, wie z. B. das Zitatrecht (Art. 25 URG) oder das Recht, Werkexemplare zur internen Information und Dokumentation zu verwenden (Art. 19 Abs. 1 Bst. c URG). Letzteres erlaubt beispielsweise das Verteilen der Kopien innerhalb einer Forschungsgruppe. Hingegen sollen insbesondere das Zugänglichmachen und das Veröffentlichen der verwendeten Werke davon nicht erfasst sein.

Artikel 24d unterscheidet, wie auch der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt72 (Art. 3), nicht zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller Forschung. Im Hinblick auf die oftmals nicht nur einem einzigen Zweck dienenden Forschungstätigkeiten und die verschiedenen Formen ihrer Finanzierung würde eine solche Unterscheidung ein impraktikables Kriterium darstellen. Müsste z. B. ein staatlich finanziertes Forschungsprojekt einer Hochschule, das ein kommerziell verwertbares Ergebnis liefert, als Forschung mit einem kommerziellen oder mit einem nicht-kommerziellen Zweck angesehen werden? Und was gilt bei einem Forschungsprojekt einer Nichtprofitorganisation, das von einem Privatwirtschaftsunternehmen finanziert wird? Artikel 24d will die Vervielfältigungen eines Werks zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung erlauben, unabhängig davon, wer forscht und wie diese Forschung finanziert wird.

Absatz 2 sieht das Recht vor, die unter den Voraussetzungen von Absatz 1 erstellten Vervielfältigungen im Anschluss an die wissenschaftliche Forschung zu Archivierungs- und Sicherungszwecken aufzubewahren. Dies ist notwendig, um die Überprüfbarkeit der Forschungsergebnisse und des Forschungsverfahrens sicherzustellen, schliesst eine
weitergehende freie Verwendung der Vervielfältigungen durch die Forscherinnen und Forscher aber nicht mit ein.

Computerprogramme sind gemäss Absatz 3 von der vorliegenden Schranke nicht erfasst. Für sie gilt die Sonderbestimmung von Artikel 21 URG. Es bleibt somit weiterhin den Urheberinnen und Urhebern von Computerprogrammen vorbehalten, über die Verwendung ihrer Programme zu bestimmen, damit weitere Entwicklungen und entsprechende Investitionen gefördert werden.

Artikel 24d ist klar abzugrenzen von den Regeln des Eigengebrauchs nach den Artikeln 19 und 20 URG. Insbesondere werden die bestehenden Regeln zur Herstellung und Vergütung von Kopien durch die neu eingeführte Wissenschaftsschranke nicht tangiert. Die Wissenschaftsschranke ist auf das Herstellen von Kopien beispielsweise zur anschliessenden Datenanalyse zu wissenschaftlichen Forschungs72

Vgl. Fn. 38

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zwecken beschränkt. Die Lehre und andere wissenschaftliche Tätigkeiten sind darin nicht eingeschlossen. Für die Lehre gibt es eine spezifische Schranke über die Werkverwendung im Unterricht in Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe b URG. Die Verwendung von Werkexemplaren zur betrieblichen Information und Dokumentation ist in der Schrankenbestimmung zum Eigengebrauch in Betrieben und Institutionen (Art. 19 Abs. 1 Bst. c URG) geregelt, die unberührt bleibt.

Art. 24e

Bestandesverzeichnisse

Das «Verzeichnisprivileg» in Artikel 24e lehnt sich an das Archivprivileg gemäss Artikel 24 Absatz 1bis URG an, mit dem der Gesetzgeber den Schritt ins digitale Zeitalter bereits im Jahr 2008 vollzogen hat. Im Sinne einer Vervollständigung soll nun Artikel 24e die auszugsweise Wiedergabe von Werken und Werkexemplaren in Bestandesverzeichnissen in einem eng umschriebenen Umfang erlauben, sofern und soweit dies der Erschliessung und Vermittlung der Bestände dient. Damit wird der übliche Arbeitsprozess von Gedächtnisinstitutionen auch im URG abgebildet und vergütungsfrei ermöglicht. Diese Regelung ist im Interesse einer verbesserten öffentlichen Zugänglichkeit von Wissen und Kultur notwendig. Durch digital optimierte Bestandesverzeichnisse erhalten viele wissenschaftliche und kulturelle Erzeugnisse erst die notwendige Aufmerksamkeit, um von potenziellen Nutzenden überhaupt wahrgenommen zu werden. Dies erweitert ihre Verwertungsmöglichkeiten und dient insofern den Interessen der Urheberinnen und Urheber sowie der Nutzerinnen und Nutzer gleichermassen. Indes soll durch die Voraussetzungen in Absatz 1 und die Spezifizierung in Absatz 2 verhindert werden, dass ein eigentlicher Werkgenuss möglich ist und die normale Verwertung der Werke (z. B. der Handel mit Büchern, Bildwerken und Filmen) beeinträchtigt wird. Dadurch wird Artikel 9 Ziffer 2 RBÜ73 Rechnung getragen.

Dabei gilt es einen Ausgleich zwischen dem Schutz wirtschaftlicher Interessen Berechtigter, dem Schutz der Urheberinnen und Urheber vor Entstellung ihrer Werke sowie dem öffentlichen Informationsinteresse zu finden. Das Format, die Auflösung, die Dauer oder weitere relevante Parameter der Werkwiedergabe sollen in einer Weise reduziert sein, dass eine kommerzielle Weiternutzung der Werke aus dem Verzeichnis heraus verunmöglicht wird. Dennoch dürfen die Parameter genügend ausgeprägt sein, dass die Verzeichnisse ihren Informationszweck erfüllen und die gezeigten Werke als solche grundsätzlich wahrnehmbar bleiben.

Der Begriff «Bestandesverzeichnis» ist in einem weiten und technologieneutralen Sinne zu verstehen und umfasst jede heutige und zukünftige Form eines öffentlich zugänglichen Verzeichnisses, digital wie analog, online wie offline. Darunter fallen auch die im herkömmlichen Sinne als Onlinekataloge bezeichneten Verzeichnisse.

Ebenso ist
die Form der wiedergegebenen Werke nicht relevant. Somit können Werke sowohl in analoger oder digitaler Form als auch rein digitale Werke in Verzeichnissen wiedergegeben werden. Der Begriff der Öffentlichkeit bezieht sich im ersten Fall auf öffentlich zugängliche Sammlungen (z. B. Bibliotheken, Museen, private Ausstellungen) und im zweiten Fall auf Institutionen mit öffentlicher Träger-

73

630

SR 0.231.15

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schaft, die nicht zwingend öffentlich zugänglich sein müssen (z. B. Bundeskunstsammlung, Literaturarchive, Staatsarchive).

Was unter «kurzer Auszug» zu verstehen ist, wird unter Absatz 2 für bestimmte Werkgattungen in einer nicht abschliessenden Liste näher spezifiziert. Bei Werken der bildenden Kunst sowie fotografischen und anderen visuellen Werken im Sinne von Absatz 2 Buchstabe c dürfen in Bestandesverzeichnissen Gesamtansichten der Werke in Form kleinformatiger Bilder mit geringer Auflösung angezeigt werden.

Entsprechendes gilt für Cover von Sprachwerken sowie von musikalischen, filmischen und audiovisuellen Werken. Unter Berücksichtigung des Informationszwecks lassen sich bezüglich Auflösungsgrad und Bildformat keine festen Vorgaben formulieren: Wesentlich ist, ob das gezeigte Werk noch als solches erkennbar ist, ohne kommerziell weiterverwendet werden zu können.

Bei Sprachwerken im Sinne von Absatz 2 Buchstabe a sind umfassendere Wiedergaben des eigentlichen Textinhalts ausgeschlossen, da über den Informationszweck hinausgehend. Deshalb dürfen neben dem Cover nur bestimmte ausgewählte Werkteile mit Informationsfunktion gezeigt werden, das heisst Titel, Frontispiz, Inhaltsund Literaturverzeichnis, Umschlagseiten sowie verfügbare Zusammenfassungen wissenschaftlicher Werke.

Filmwerke, Musikwerke und audiovisuelle Werke können gemäss Absatz 2 Buchstabe b ebenfalls auszugsweise wiedergegeben werden. Soweit die Rechtsinhaberin oder der Rechtsinhaber (beispielsweise die Urheberin oder der Urheber selber oder Produktionsfirmen und Verlage) Werkausschnitte selbst bereits zugänglich gemacht haben (namentlich offizielle Trailer von Filmen oder Online-Ausschnitte von Tonträgern), können diese Ausschnitte in Bestandesverzeichnissen wiedergegeben werden. Ebenso ist die Wiedergabe eines Ausschnitts in reduzierter Auflösung (z. B. bei Filmen) bzw. in reduziertem Format (z. B. bei Musikwerken) zulässig. Es wird der Praxis überlassen sein, die Grenzen der zulässigen Wiedergabe konkret zu bestimmen. Aus heutiger Sicht könnte die Grenze für die maximal zulässige Dauer einer Wiedergabe beispielsweise bei 10 Prozent der Gesamtdauer des Werks, längstens aber 30 Sekunden liegen. Einzelbilder aus visuellen und audiovisuellen Werken, sogenannte Filmstills, können in geringer Anzahl pro Film ebenfalls wiedergegeben
werden. Soweit audiovisuelle Werke verschiedene unterscheidbare Teile umfassen ­ etwa Beiträge einer TV-Sendung ­, können von jedem Teil Auszüge in Verzeichnissen wiedergegeben werden.

Für in Absatz 2 nicht erwähnte gegenwärtige oder zukünftige Werkarten, beispielsweise Werke, die primär in digitaler Form entstehen und verwendet werden, gelten zu den obigen Ausführungen analoge Gesichtspunkte. So sind Gedächtnisinstitutionen aufgrund der neuen Bestimmung etwa berechtigt, zwecks Vermittlung archivierter Webseiten Momentaufnahmen anzufertigen und diese, im Sinne eines Ausschnitts, in Verzeichnissen wiederzugeben, allerdings ohne Bild- und Tonfunktion bei integrierten audiovisuellen Werken, für welche die Kriterien gemäss Absatz 2 Buchstabe c gelten.

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Art. 29 Abs. 2 Bst. abis und 4 In Absatz 1 Buchstabe abis wird neu eine Schutzdauer von 50 Jahren ab Herstellung für fotografische und ähnlich wie Fotografien hergestellte Wiedergaben dreidimensionaler Objekte eingeführt. Die Bestimmung bezieht sich auf die in Artikel 2 Absatz 3bis E-URG neu den Werken gleichgestellte Werkart der Fotografien ohne individuellen Charakter. Die Schutzfrist entspricht derjenigen für die sogenannten Lichtbilder in Deutschland und Österreich, wodurch für den deutschen Sprachraum eine gewisse Harmonisierung erreicht werden kann.

Im Unterschied zu anderen Werken ist bei Fotografien ohne individuellen Charakter die Urheberin oder der Urheber oft unbekannt, während sich der Zeitpunkt der Aufnahme nicht selten aus dem dargestellten Objekt ergibt. Eine Schutzfrist, die sich auf den Zeitpunkt der Herstellung der Fotografie bezieht, ist daher einfacher anzuwenden als eine Schutzfrist, die an der Lebensdauer der Fotografin oder des Fotografen anknüpft. Der neue Absatz 4 stellt klar, dass die 50-jährige Schutzfrist ab Herstellung der Wiedergabe auch in Fällen von Miturheberschaft und unbekannter Urheberschaft gilt.

Art. 35a

Zugänglichmachen von Darbietungen in audiovisuellen Werken

Die ausübenden Künstlerinnen und Künstler vereinbaren im Vertrag mit der Produzentin oder dem Produzenten die Gage für ihre Mitwirkung an einer Darbietung.

Gleichzeitig treten sie in diesem Vertrag sämtliche Verwertungsrechte an ihrer Darbietung, einschliesslich der Online-Rechte, ab. Sie sollen künftig nicht mehr über die Produzentinnen oder Produzenten an den Erlösen aus der Verwertung dieser Rechte an audiovisuellen Werken beteiligt sein, sondern entsprechend der heutigen Praxis bei den Urheberinnen und Urhebern ­ nunmehr gesetzlich verankert in Artikel 13a E-URG ­ separat über die Verwertungsgesellschaften. Die Regelungen in Artikel 35a entsprechen denen in Artikel 13a Absätze 1­4 E-URG. Die dortigen Ausführungen gelten daher entsprechend.

Die ausübenden Künstlerinnen und Künstler im Bereich der Audiovision waren bisher in der Regel nicht in der Lage, über ihre Gage für die Mitwirkung an der Darbietung hinaus eine Beteiligung an den Verwertungserlösen zu erhalten, obwohl ihnen das Gesetz zu diesem Zweck ein ausschliessliches Recht zugesteht. Um sie am Verwertungserlös für ihre Online-Rechte zu beteiligen, soll ihnen deshalb ein über die Verwertungsgesellschaften wahrzunehmender Vergütungsanspruch eingeräumt werden. Die zur Geltendmachung der Vergütung aufzustellenden Tarife können entweder an den Abonnementseinnahmen oder an den Werbeeinnahmen der Plattformen anknüpfen. Da die Tarife der Angemessenheitskontrolle unterstehen, ist sichergestellt, dass die ausübenden Künstlerinnen und Künstler in Zukunft eine faire Entschädigung für die Online-Nutzung erhalten. Die Produzentinnen und Produzenten behalten nach wie vor alle erforderlichen Rechte in der Hand, um mit den jeweiligen Plattformen zu verhandeln.

Absatz 2 sieht eine Reihe von Ausnahmen vom Vergütungsanspruch vor. Hierzu zählen neben der persönlichen Verwertung des ausschliesslichen Rechts durch die ausübenden Künstlerinnen und Künstler (Art. 35a Abs. 2 Bst. a) verschiedene Werkkategorien, die für Video-on-Demand-Geschäftsmodelle irrelevant sind oder bei 632

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denen dieser zusätzliche Vergütungsanspruch ebenfalls keinen Sinn macht (Art. 35a Abs. 2 Bst. b Ziff. 1). Absatz 2 Buchstabe b Ziffern 2 und 3 verhindern, dass sich Vergütungen überschneiden. Zur Begründung kann hier auf die Ausführungen zu Artikel 13a Absatz 2 E-URG verwiesen werden.

Absatz 3 ergänzt Absatz 2 und stellt sicher, dass die gesetzliche Regelung in der Praxis auch sonst nicht zu Doppelvergütungen führt. Mit der neuen Regelung muss die Höhe der Vergütung mit den massgeblichen Verbänden ausgehandelt werden und anschliessend die Angemessenheitskontrolle durch die ESchK passieren. Es ist den Plattformen daher lange im Voraus bekannt, in welchem Umfang sie Zahlungen an die ausübenden Künstlerinnen und Künstler zu leisten haben. Sie können diese Kosten bei den Verhandlungen mit den Produzentinnen und Produzenten, deren Produktionen unter die Regelung fallen, in ihre Kalkulation miteinbeziehen. Es ist nicht zu erwarten, dass die neu eingeführte Vergütung zu einer Erhöhung der Konsumentenpreise führt.

Absatz 4 gewährleistet, dass es auch im internationalen Verhältnis nicht zu Doppelvergütungen kommt. Der Anspruch auf Vergütung setzt voraus, dass im betreffenden ausländischen Staat dieselbe Branchenpraxis herrscht. Das bedeutet nicht, dass die Regelung identisch sein muss, sondern lediglich, dass die Vergütung bei den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern für die Verwertung der Darbietung in einem audiovisuellen Werk, an deren Schaffung sie beteiligt waren, ebenfalls kollektiv wahrgenommen wird. Die EU-Kommission hat in ihrem Vorschlag COM(2016) 593 final74 ebenfalls die Einführung einer «zusätzlichen und angemessenen Vergütung» für Urheberinnen und Urheber sowie für ausübende Künstlerinnen und Künstler vorgeschlagen. Sollte sich daraus in der EU eine vergleichbare kollektive Verwertung ergeben, wäre der Vergütungsanspruch in Zukunft wechselseitig auf die Zugänglichmachung europäischer audiovisueller Werke in der Schweiz und auf die Zugänglichmachung von Schweizer Filmen in der EU anwendbar.

Art. 39 Abs. 1 Absatz 1 wird dahingehend geändert, dass die Schutzfrist für Leistungen von ausübenden Künstlerinnen und Künstlern sowie von Herstellerinnen und Herstellern von Ton- oder Tonbildträgern von heute 50 auf 70 Jahre verlängert wird. Schweizer Interpretinnen und Interpreten sowie Produzentinnen
und Produzenten werden in Zukunft aus einem Albumverkauf während 70 Jahren eine Beteiligung erhalten.

Mit der neuen Regelung werden die Schutzfristen im Bereich der Musik an das EU-Recht angeglichen, was die grenzüberschreitende Verwertung und insbesondere die Verteilung im Rahmen der kollektiven Verwertung vereinfachen dürfte (weil z. B. organisatorische Zusatzkosten vermieden werden können). Im Unterschied zur Regelung in der EU, die einen 70 Jahre dauernden Schutz nur für den Phonobereich gewährt, gilt die Verlängerung der Schutzdauer aus Gleichbehandlungsgründen auch für den audiovisuellen Bereich. Aus dieser punktuellen Differenz zum EU-Recht sind aber keine Nachteile zu erwarten: Im Unterschied zum Phonobereich werden bei audiovisuellen Werken in aller Regel sowohl das Urheberrecht am Werk als auch das Schutzrecht der ausübenden Künstlerinnen und Künstler im Aussenver74

Vgl. Fn. 38

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hältnis durch die Produzentin oder den Produzenten bzw. durch eine Verwertungsgesellschaft wahrgenommen. Eine Verlängerung der Schutzfrist für die Schutzrechte der ausübenden Künstlerinnen und Künstler wirkt sich deshalb in diesen Fällen nur auf die Aufteilung des Verwertungserlöses zwischen den Berechtigten aus.

In BGE 124 III 266 äusserte sich das Bundesgericht zur Frage, ob im Rahmen der Schutzfristverlängerung bereits abgelaufene Urheberrechte wieder aufleben sollen.

Das Bundesgericht hat sich gegen ein Wiederaufleben entschieden. Es gibt keinen sachlichen Grund, für den Schutz von Darbietungen und von Ton- oder Tonbildträgern etwas anderes vorzusehen. Im Sinne des bundesgerichtlichen Entscheides lebt auch die Schutzfrist von Darbietungen und von Ton- oder Tonbildträgern, deren Schutzdauer bereits vor Inkrafttreten der neuen Schutzfrist abgelaufen war, nicht wieder auf. Damit sollen diejenigen Personen geschützt werden, die im Vertrauen auf den weggefallenen Schutz gehandelt haben. Dieses Vorgehen steht zudem im Einklang mit Artikel 18 RBÜ.

Die Schutzfrist für Sendungen bleibt unverändert und erlischt 50 Jahre nach der Ausstrahlung.

3b. Titel

Pflicht der Betreiber und Betreiberinnen von Internet-HostingDiensten, die von Benützern und Benützerinnen eingegebene Informationen speichern

Massnahmen zur Pirateriebekämpfung sollen bei den Hosting-Providern getroffen werden, da sie dort am effizientesten sind. Herkömmliche Hosting-Provider stellen die technische Infrastruktur für die automatisierte Aufschaltung von Daten zur Verfügung. Je nach Konstellation sind sie technisch in der Lage, auf Urheberrechtsverletzungen zu reagieren und nötigenfalls auch die auf ihren Servern gespeicherten und als unerwünscht erkannten Inhalte zu entfernen.75 In der Vorlage werden Hosting-Provider als «Betreiber und Betreiberinnen von Internet-Hosting-Diensten, die von Benützern und Benützerinnen eingegebene Informationen speichern»76 bezeichnet. Unter «Speichern» ist dabei aus Sicht der Betreiberin oder des Betreibers ein passives Speichern zu verstehen, während die jeweilige Benützerin oder der jeweilige Benützer (aktiv) Inhalte auf den Servern der Betreiberin oder des Betreibers abspeichert.

Hosting-Provider sollen keine Piraterieplattformen beherbergen und bei Urheberrechtsverletzungen über ihre Server rasch handeln. Um dieses Ziel zu erreichen, wird das heutige System der Selbstregulierung um eine gesetzliche Pflicht ergänzt.

Sie zielt auf Hosting-Provider ab, die Piraterieplattformen beherbergen, da dort urheberrechtsverletzende Inhalte in der Regel unmittelbar nach deren Entfernung wieder aufgeschaltet werden. Die Pflicht, dafür zu sorgen, dass solche Inhalte nach deren Entfernung auch entfernt bleiben («Stay-down»-Pflicht) in Artikel 39d trifft deshalb ausschliesslich diejenigen Hosting-Provider, die eine besondere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen schaffen, und auf deren Servern urheberrechtsverletzende Inhalte wiederholt aufgeschaltet werden, nachdem diese bereits einmal davon 75 76

634

Vgl. dazu auch den Bericht des Bundesrates vom 11. Dezember 2015 «Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Providern», S. 19.

Vgl. Art. 39d E-URG.

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entfernt worden sind. Sie müssen sicherstellen, dass von ihren Servern entfernte urheberrechtsverletzende Inhalte beseitigt bleiben und, falls die betroffenen Inhalte über ihre Server erneut zugänglich werden, diese auch ohne erneuten Hinweis durch die Rechtsinhaberin oder den Rechtsinhaber entfernen. Mit der neuen gesetzlichen Pflicht wird ein Instrument eingeführt, das die effiziente und nachhaltige Bekämpfung des Betriebs von Piraterieplattformen in der Schweiz ermöglicht, ohne das geltende System (inkl. Selbstregulierung77) in Frage zu stellen. So konkretisiert die «Stay-down»-Pflicht den geltenden Unterlassungsanspruch (Art. 62 Abs. 1 Bst. a URG) in Bezug auf Hosting-Provider, die eine besondere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen schaffen, und stellt sicher, dass Unterlassungsansprüche gegen diese Hosting-Provider durchgesetzt werden können. Im Übrigen bleiben die Ansprüche bei Urheberrechtsverletzungen unberührt.

Art. 39d Beim «Notice and Notice»-Verfahren, wie es im Branchencodex vorgesehen ist, erhält der Hosting-Provider eine Mitteilung von einer Rechtsinhaberin oder einem Rechtsinhaber, wonach ein bestimmter Inhalt auf seinem Server rechtsverletzend ist.

Er leitet diese Mitteilung an die betroffene Internetnutzerin oder den betroffenen Internetnutzer weiter. Diese oder dieser erhält so die Möglichkeit, den beanstandeten Inhalt zu entfernen oder dessen Rechtmässigkeit zu begründen. Wenn die Mitteilung auf eine klare Rechtsverletzung hinweist (z. B. auf das unerlaubte Zugänglichmachen eines Films vor seiner Erstveröffentlichung), kann der Hosting-Provider auch von sich aus den betroffenen Inhalt sperren oder von seinen Servern entfernen; er informiert die betroffene Internetnutzerin oder den betroffenen Internetnutzer sowie die Rechtsinhaberin oder den Rechtsinhaber umgehend. Werden die entfernten Inhalte nachträglich wieder auf den Servern aufgeschaltet, so muss dieses Vorgehen wiederholt werden.

Das geltende Recht enthält seinerseits ein Instrument zur Entfernung von rechtsverletzenden Inhalten. Gestützt auf Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe b URG können Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber vor Gericht die Beseitigung einer bestehenden Verletzung verlangen. Werden die entfernten Inhalte nachträglich wieder auf den Servern aufgeschaltet, so muss das Verfahren ebenfalls wiederholt werden.
Diese Situation ist aus Sicht der Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber unbefriedigend. In Fällen, in denen urheberrechtsverletzende Inhalte unmittelbar nach ihrer Entfernung wieder auf den entsprechenden Servern aufgeschaltet werden, sind weder die Selbstregulierung («Notice and Notice» und «Take-down») noch der gesetzliche Beseitigungsanspruch (Art. 62 Abs. 1 Bst. b URG) zielführend. Letzterer wird nur unter engen Voraussetzungen gewährt, so dass eine gewisse Rechtsunsicherheit besteht.78 Die neue Bestimmung schafft hier Abhilfe, indem sie den geltenden Unterlassungsanspruch in Bezug auf Hosting-Provider, die eine besondere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen schaffen, konkretisiert. Artikel 39d verpflichtet diese Hosting-Provider, zu handeln, wenn ein Werk oder ein anderes Schutzobjekt mit77 78

Vgl. «Code of Conduct Hosting» der Simsa (Fn. 8).

Vgl. dazu den Bericht des Bundesrates vom 11. Dezember 2015 «Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Providern», S. 44 ff.

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hilfe ihres Dienstes erneut widerrechtlich zugänglich wird. So wird sichergestellt, dass Unterlassungsansprüche gegen Hosting-Provider, die eine besondere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen schaffen, durchgesetzt werden können. Ausserdem wird die umgehende Wiederzugänglichkeit von entfernten urheberrechtsverletzenden Inhalten unterbunden und das für Piraterieangebote typische Katz-und-MausSpiel verunmöglicht.

Die «Stay-down»-Pflicht gilt nur unter den kumulativen Voraussetzungen von Absatz 1 Buchstaben a­c. Gemäss Buchstabe a muss das betroffene Werk oder Schutzobjekt bereits über denselben Dienst Dritten widerrechtlich zugänglich gemacht worden sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein direktes Zugänglichmachen von auf den Servern des Hosting-Providers gespeicherten Werken handelt oder um ein indirektes Zugänglichmachen über auf den Servern des Hosting-Providers gespeicherte Links, die auf anderswo gespeicherten Werke führen. Es geht also um rechtsverletzende Inhalte oder Links, die bereits einmal von den Servern des Hosting-Providers entfernt und dort später wieder aufgeschaltet wurden.

Buchstabe b verlangt, dass die Betreiberin oder der Betreiber des Dienstes auf die Rechtsverletzung hingewiesen wurde. Dieser Hinweis dürfte in der Praxis mittels einer elektronischen Meldung erfolgen. Diese Meldung soll die Rechtsverletzung darlegen und ausreichende Angaben für eine klare Identifizierung des betroffenen Werks oder Schutzobjekts enthalten (z. B. durch die Angabe seines elektronischen Fingerabdrucks).

Die neue Regelung zielt auf die Betreiberinnen und Betreiber ab, welche eine besondere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen schaffen. Eine besondere Gefahr liegt nach Buchstabe c vor, wenn eine Betreiberin oder ein Betreiber durch die technische Funktionsweise des Dienstes oder durch dessen wirtschaftliche Ausrichtung solche Urheberrechtsverletzungen begünstigt. Schon die Erfüllung eines der Kriterien nach Buchstabe c gilt als Begünstigung solcher Rechtsverletzungen. Die Kriterien werden mittels unbestimmter Rechtsbegriffe definiert und sind im Einzelfall von der Richterin oder vom Richter zu konkretisieren. Dies ermöglicht insbesondere die Berücksichtigung künftiger Entwicklungen.

Bei der Prüfung der Kriterien nach Buchstabe c wird die Richterin oder der Richter im Einzelfall eine
Reihe verschiedener Elemente berücksichtigen, die in ihrer Gesamtwürdigung eine besondere Gefahr bilden können. Diese Elemente müssen aber nicht bereits per se eine besondere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen darstellen.

Elemente, die es Benützerinnen und Benützern erleichtern oder ermöglichen, entfernte Inhalte bzw. Links dazu schnell und ohne Aufwand wieder über den Dienst zugänglich zu machen, können auf eine gefährdende technische Funktionsweise hinweisen. Für sich genommen stellt eine solche Funktionsweise keine besondere Gefahr im Sinne von Buchstabe c dar. Hingegen kann sie im Zusammenspiel mit weiteren Elementen eine solche Gefahr mit sich bringen. Zu denken ist etwa an eine ungewöhnlich hohe Zahl berechtigter Anzeigen von Urheberrechtsverletzungen, eine Häufung der Verlinkung auf Linksammlungen zu urheberrechtsverletzenden Inhalten oder eine Funktionsweise, welche die Nutzung des Dienstes ermöglicht, ohne dass die Benützerinnen und Benützer ihre Identität genügend nachweisen müssen.

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Ein System, das Anreize dafür schafft, dass seine Benützerinnen und Benützer fremde Inhalte einer möglichst grossen Öffentlichkeit zugänglich machen (wie z. B.

Vergütungen, Bonusgutschriften oder andere Vergünstigungen aufgrund von Zugriffs- oder Downloadzahlen des von der Benützerin oder vom Benützer zugänglich gemachten Inhalts), dürfte eine gefährdende wirtschaftliche Ausrichtung aufweisen.

Die «Stay-down»-Pflicht kann im Einzelfall durch verschiedene Massnahmen umgesetzt werden. Die Wahl der Massnahmen wird dem betroffenen Hosting-Provider überlassen. Damit die gesetzliche Pflicht als erfüllt gilt, müssen die Massnahmen geeignet sein. Absatz 2 beschränkt die «Stay-down»-Pflicht allerdings auf Massnahmen, die der Betreiberin oder dem Betreiber unter Berücksichtigung der von ihr bzw. ihm ausgehenden Gefahr technisch und wirtschaftlich zuzumuten sind. Der Umfang dieser Pflicht variiert also im Einzelfall und ist insbesondere von Speicherkapazität, Grösse und Professionalität der Betreiberin oder des Betreibers abhängig.

Kleinstanbieterinnen und Kleinstanbietern werden keine umfangreichen Pflichten aufgebürdet, wenn ihre Dienste gar nicht die Kapazität für Online-Piraterie haben und dementsprechend im Rahmen der Bekämpfung der Online-Piraterie nicht im Vordergrund stehen. So verfügt beispielsweise ein privater Server, der zum Austausch von Fotos und anderen Dateien in der Familie betrieben wird, in der Regel nicht über eine genügende Bandbreite, um als Piraterieplattform benutzt werden zu können. In einem solchen Fall könnte die «Stay-down»-Pflicht beispielsweise bereits mit der Umsetzung von Massnahmen zur Beschränkung der Zugriffsmöglichkeit auf bestimmte Familienmitglieder (z. B. unter Verwendung eines Passworts) erfüllt sein.

Wenn der betroffene Hosting-Provider keine oder ungenügende «Stay-down»-Massnahmen trifft, kann die Rechtsinhaberin oder der Rechtsinhaber vom Gericht eine Anordnung auf Unterlassung (Art. 62 Abs. 1 Bst. a URG i. V. m. Art. 62 Abs. 1bis und Art. 39d E-URG) verlangen.

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Abbildung Pflicht zur Verhinderung des erneuten widerrechtlichen Zugangs im Internet (Stay-down)

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Art. 40 Abs. 1 Bst. b Artikel 40 Absatz 1 Buchstabe b URG wird aufgrund der neuen, zwingend kollektiv wahrzunehmenden Vergütungsansprüche im Bereich der Online-Rechte (Art. 13a und 35a E-URG) erweitert.

2a. Kapitel

Erweiterte Kollektivlizenzen

Artikel 43a E-URG führt erweiterte Kollektivlizenzen in einem neuen Kapitel 2a in das URG ein. Weil es sich um ein neues Instrument in der schweizerischen Rechtsordnung handelt, werden zunächst Hintergrund, Ziel und historische Vorbilder dargestellt, bevor die einzelnen Absätze erläutert werden.

Das URG sieht zahlreiche Schranken des Urheberrechts vor (5. Kapitel des 2. Titels).

Sie zielen darauf ab, die Nutzung von geschützten Werken in einem allgemeinen Interesse zu erleichtern. Gleichzeitig stellen die Bestimmungen sicher, dass die Urheberinnen und Urheber trotz dieser Einschränkungen ihrer Rechte eine Vergütung erhalten, wenn eine solche angezeigt ist. Bei diesen Schutzausnahmen werden auch öffentliche Interessen berücksichtigt, beispielsweise beim Schulgebrauch (Art. 19 Abs. 1 Bst. b URG) oder im Rahmen der Schranken für Archive und Gedächtnisinstitutionen zur Erstellung von Archivierungs- und Sicherungskopien (Art. 24 URG).

Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Regelung solcher Schutzausnahmen durch den Gesetzgeber mit der technischen Entwicklung nicht Schritt halten kann; im digitalen Zeitalter ist mehr Flexibilität erforderlich, um neuen Nutzungsbedürfnissen gerecht zu werden. Wenn beispielsweise die Herkunft einer grossen Anzahl historisch wertvoller Fotografien unklar ist, kann das dazu führen, dass ein Museum nicht in der Lage ist, die für die Digitalisierung der Fotografien und für ihre Aufschaltung auf der Webseite notwendigen Rechte einzuholen. Die Transaktionskosten zur Identifizierung und Lokalisierung der Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber können sich in solchen Fällen, die nicht nur Fotografien, sondern auch andere Werkkategorien (z. B. Archivfilme, Bücher und historisch oder kulturell wertvolle Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften) betreffen, als unverhältnismässig erweisen. Nutzungen, die in einem öffentlichen Interesse als erwünscht erscheinen, können dann aus solchen praktischen Gründen nicht realisiert werden. Ohne ein anpassungsfähiges Lizenzierungsinstrument können viele Kulturgüter der Allgemeinheit nicht zur Verfügung gestellt werden.

Unter dem Titel «Erweiterte Kollektivlizenzen» bestimmt der neue Artikel 43a E-URG, dass die Verwertungsgesellschaften die Verwendung einer grösseren Anzahl von veröffentlichten Werken und geschützten Leistungen unter gewissen
Voraussetzungen lizenzieren können. Gegenstand der Lizenzierungen können dabei auch Werke und Leistungen von Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhabern sein, die weder Mitglieder der lizenzierenden Verwertungsgesellschaft noch von bestehenden Gegenseitigkeitsverträgen erfasst sind. Auf diesem Wege bleiben den Nutzerinnen und Nutzern die Transaktionskosten zur Identifizierung und Lokalisierung der Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber sowie zum individuellen Erwerb aller Rechte erspart, was schliesslich auch den Zugang zu Werken vereinfacht. Die Verwertungsgesellschaften vertreten in diesen Fällen die von der Lizenzvereinbarung erfassten Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber und beteiligen sie, unabhängig davon, ob sie

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Mitglieder sind oder nicht, an der Verteilung der eingenommenen Verwertungserlöse. Sie dürfen dies allerdings nur tun, wenn sie für den entsprechenden Nutzungsbereich repräsentativ sind, wenn sich also unter ihren Mitgliedern eine massgebende Zahl direkt betroffener Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber findet. Alle Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber können sich auf zu diesem Zweck eingerichteten Portalen (z. B. auf der Internetseite der betreffenden Verwertungsgesellschaft) im Voraus über geplante Nutzungen informieren und einer Nutzung ihrer Werke oder Leistungen gegebenenfalls widersprechen.

Die neue Regelung hat zum Ziel, neue Nutzungsformen zu ermöglichen, die sich einem individuellen Rechteerwerb entziehen, aber durch die bereits bestehenden Schutzausnahmen nicht abgedeckt sind. Gleichzeitig erhalten die Nutzerinnen und Nutzer die notwendige Sicherheit, weil sie weder unvorhersehbaren rechtlichen noch finanziellen Ansprüchen der erfassten Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber ausgesetzt sind. In der Praxis dürften vor allem Archivnutzungen von erweiterten Kollektivlizenzen profitieren, weil bei diesen Nutzungen mit einem in der Regel erheblichen Anteil verwaister Werke der enorme Aufwand für die Identifizierung und Lokalisierung der Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber entfällt. Indem sie der Allgemeinheit den Zugang zu diesen Beständen von öffentlichem Interesse ermöglicht, leistet die Regelung einen Beitrag zur Vermittlung des historischen oder kulturellen Erbes. Gleichzeitig werden die Interessen der Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber gewahrt, indem sie für diese Nutzungen entschädigt werden müssen, soweit sie innerhalb der Verjährungsfrist identifiziert werden können. Die Möglichkeit der legalen Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke wird auf diese Weise weiter ausgebaut und illegale Nutzungen werden zurückgedrängt.

Inspirationsquelle für Artikel 43a E-URG sind Erfahrungen mit diesem Instrument in anderen Rechtsordnungen. Die Rechtsfigur der «Erweiterten Kollektivlizenz», international bekannt unter dem Begriff «extended collective license», stammt ursprünglich aus den Rechtsordnungen der nordeuropäischen Länder. Sie hat sich dort seit den 1960er-Jahren bewährt und inhaltlich weiterentwickelt. Ausserdem hat sie das Instrument der erweiterten Kollektivlizenzen in anderen Ländern
inspiriert.

Folgende Länder kennen erweiterte Kollektivlizenzen: Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden, das Vereinigte Königreich, Russland und Ungarn.79 Hauptanwendungsbereiche waren in der Vergangenheit das Vervielfältigen für den Schulgebrauch, der Rechteerwerb durch Sendeanstalten und der Bereich der Weitersendung sowie in jüngerer Vergangenheit auch Massendigitalisierungsprojekte von Bibliotheken.

Neben erweiterten Kollektivlizenzen mit spezifischem, gesetzlich festgelegtem Anwendungsbereich erlauben z. B. das dänische Urheberrechtsgesetz seit 2008 und das schwedische Urheberrechtsgesetz seit 2013 erweiterte Kollektivlizenzen ohne gesetzliche Definition des Anwendungsbereichs,80 was Verträge über alle erdenklichen Nutzungsformen und -zwecke erleichtert. Der Vorschlag der Europäischen Kommis79 80

640

Vgl. Trumpke, Felix: Exklusivität und Kollektivierung, Baden-Baden und Bern 2016, S. 148f.

Vgl. Art. 50 des Dänischen Urheberrechtsgesetzes. Die aktuell geltenden erweiterten Kollektivlizenzen können auf der Webseite des Kulturministeriums eingesehen werden, unter http://kum.dk/Kulturpolitik/Ophavsret/Godkendelser/ (Stand 14.07.2017).

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sion für eine Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt enthält eine Vorschrift zu erweiterten Kollektivlizenzen, die in ihrem sachlichen und personellen Anwendungsbereich jedoch sehr beschränkt ist.81 Um ein hohes Mass an Flexibilität bei der Lizenzierung auf der Grundlage von erweiterten Kollektivlizenzen zu gewährleisten, verzichtet Artikel 43a E-URG auf eine Einschränkung des Anwendungsbereichs durch den Gesetzgeber.

Art. 43a Absatz 1 legt die Voraussetzungen für die Lizenzierung im Detail fest. Die Lizenzierung muss durch eine Verwertungsgesellschaft erfolgen, die über eine Bewilligung nach den Artikeln 40 und 41 URG verfügt («zugelassene Verwertungsgesellschaft»).

Die Verwertungsgesellschaft muss ausserdem gemäss Absatz 1 Buchstabe b im Anwendungsbereich der Lizenz eine massgebende Anzahl Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber vertreten. Mit anderen Worten muss sie im Hinblick auf die von der Lizenz betroffene Kategorie von Werken und Leistungen und auf deren Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber repräsentativ sein. In der Praxis dürfte es für die Anerkennung der Repräsentativität genügen, dass ihre eigenen Mitglieder in der betroffenen Kategorie von Werken und Leistungen tätig sind und dass Gegenseitigkeitsverträge mit ausländischen Schwestergesellschaften bestehen, deren Mitglieder Werke und Leistungen hervorbringen, die im Anwendungsbereich der Lizenz potenziell genutzt werden. So wird gewährleistet, dass die Verwertungsgesellschaften, die auf der Grundlage von Artikel 43a Vereinbarungen abschliessen, ausreichend legitimiert sind, um Vereinbarungen auf Nicht-Mitglieder ausdehnen zu können, also auf Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber, die ihre Rechte weder der lizenzierenden Verwertungsgesellschaft noch einer vertraglich verbundenen Schwestergesellschaft zur Wahrnehmung übertragen haben.

Von der Legitimation zu unterscheiden ist die Frage des Bereichs, innerhalb dessen die zugelassenen Verwertungsgesellschaften erweiterte Kollektivlizenzen erteilen können. Dieser Bereich umfasst nur ausschliessliche Rechte, die keiner Bewilligungspflicht nach den Artikeln 40 und 41 URG unterliegen, also nicht zwingend kollektiv verwertet werden müssen. Er umfasst auch keine Anwendungen, die durch Schrankenbestimmungen geregelt sind. Sowohl die Schrankenbestimmungen des Gesetzes als auch die
gesetzliche Statuierung einer Pflicht zur kollektiven Verwertung haben nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 127 III 26, BGE 133 III 572) zwingenden Charakter und sind damit der Dispositionsbefugnis der Berechtigten entzogen. Sie können daher weder Gegenstand einer individuellen noch einer kollektiven Lizenzvereinbarung sein und liegen damit auch ausserhalb des Anwendungsbereichs einer erweiterten Kollektivlizenz. Allenfalls können in unmittelbar angrenzenden Bereichen, in denen ein praktisches Bedürfnis zur Nutzung von Werken und geschützten Leistungen über den Anwendungsbereich einer Schranke hinaus besteht und in denen die Voraussetzungen von Artikel 43a erfüllt sind, Lizenzvereinbarungen zulässig sein. So könnte beispielsweise durch eine erweiterte Kollektivlizenz auch anderen als den in Artikel 24 Absatz 1bis E-URG 81

Nutzung von vergriffenen Werken durch Einrichtungen des Kulturerbes, Art. 7 des Vorschlags der Europäischen Kommission, COM(2016) 593 final (Fn. 38).

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genannten Institutionen die Erstellung von Archivierungs- und Sicherungsexemplaren erlaubt werden. Es wäre aber nicht zulässig, für die von der gesetzlichen Schrankenregelung erfassten Institutionen eine solche Vereinbarung zu treffen. Einen Sonderfall stellt in dieser Hinsicht die Bestimmung über die Nutzung verwaister Werke (Art. 22b Abs. 4 E-URG) dar. Zwar handelt es sich auch bei Artikel 22b E-URG um eine Urheberrechtsschranke, bei der die genannten Rechte nur durch eine zugelassene Verwertungsgesellschaft und nur auf der Grundlage eines von der ESchK genehmigten Tarifs wahrgenommen werden dürfen. Dies soll nach dem Gesetzesvorschlag aber nur für Nutzungen von einzelnen Werken gelten (Art. 22b Abs. 1­4).

Wo eine grössere Anzahl von Werken einer unauffindbaren Urheberin oder eines unauffindbaren Urhebers oder unbekannter Herkunft verwendet werden soll, findet gemäss der ausdrücklichen Bestimmung von Artikel 22b Absatz 5 E-URG Artikel 43a Anwendung. Das gleiche gilt, wo Archiv- oder Bibliotheksbestände nebeneinander verwaiste und nicht verwaiste Werke in grösserer Zahl umfassen. Wann diese quantitative Schwelle erreicht ist, ist von Fall zu Fall zu entscheiden mit Blick auf die betroffenen Werkkategorien und Rechte sowie insbesondere auf das Ziel der Vorschrift, Massennutzungen zu erleichtern. Ein wesentlicher Unterschied der beiden Regelungen besteht darin, dass eine Nutzung aufgrund der Schranke für verwaiste Werke den Nachweis einer erfolglosen Suche nach der Rechtsinhaberin oder dem Rechtsinhaber voraussetzt, während bei einer Regelung über eine erweiterte Kollektivlizenz die betreffende Verwertungsgesellschaft das Risiko einer Urheberrechtsverletzung selbst beurteilt und mit der Erteilung der Lizenz das damit verbundene Risiko übernimmt.

Für die Abgrenzung zur regulären Verwertung geschützter Werke ist weitere Voraussetzung einer Lizenzierung auf der Grundlage von Artikel 43a, dass die lizenzierte Verwendung die normale Verwertung von Werken oder Leistungen nicht beeinträchtigt (Art. 43a Abs. 1 Bst. a). Entscheidend ist daher, wie die Grenze zwischen erweiterten Kollektivlizenzen und der normalen Verwertung von ausschliesslichen Rechten zu ziehen ist. Ausgangspunkt ist die unterschiedliche Stossrichtung. Erweiterte Kollektivlizenzen zielen primär darauf ab, Massenlizenzierungen dort zu
ermöglichen, wo die Einholung der erforderlichen Lizenzen an unzumutbaren Transaktionskosten oder praktischen Schwierigkeiten scheitern würde. Sie sollen hingegen nicht kommerzielle Angebote ermöglichen, die in Konkurrenz zur individuellen oder freiwillig kollektiven Verwertung stehen könnten. Das betrifft insbesondere Streaming*-Angebote in den Bereichen Musik und Film oder Angebote von E-Books.

Absatz 3 regelt die Bekanntmachung der erweiterten Kollektivlizenzen als Vorbedingung dafür, dass von einer erweiterten Kollektivlizenz erfasste Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber vom sogenannten Opting-out Gebrauch machen können, also dem Recht, von der Lizenz ausgenommen zu werden, welches in Absatz 4 im Detail geregelt ist.

Absatz 4 sieht vor, dass Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber verlangen können, dass ihre Rechte von einer bestimmten Kollektivlizenz ausgenommen werden.

Dieses Recht kommt auch Inhaberinnen und Inhabern ausschliesslicher Lizenzen zu.

Die neue Vorschrift zielt im Wesentlichen darauf ab, Massennutzungen gegen Bezahlung einer pauschalen Entschädigung zu erleichtern bzw. zu ermöglichen. Daher geht sie von der Vermutung aus, dass Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber mit der 642

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Lizenzierung grundsätzlich einverstanden sind. Diese Vermutung mag in Einzelfällen nicht zutreffen. Die Möglichkeit der Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber, sich der Kollektivlizenz zu entziehen, stellt für diese Fälle sicher, dass ihr Recht, die Nutzung zu verbieten bestehen bleibt, und die Vertragsfreiheit Vorrang hat.

Damit vom «Opting-out» auch tatsächlich Gebrauch gemacht werden kann, verpflichtet Absatz 3 die Verwertungsgesellschaften, eine entsprechende Vereinbarung über eine erweiterte Kollektivlizenz vor deren Inkrafttreten bekanntzumachen. Insbesondere für ausländische Betroffene müssen sie sicherstellen, dass diese Veröffentlichung sowohl in angemessener Frist vor dem Inkrafttreten und vor der geplanten Nutzung als auch in adäquater Form, also beispielsweise auch auf Englisch, erfolgt. Eine leicht zugängliche und auffindbare Stelle gemäss Absatz 3 ist beispielsweise eine Internetseite, die direkt von der Einstiegsseite der Verwertungsgesellschaft aus verlinkt und einfach zu finden ist. Denkbar ist, dass die Verwertungsgesellschaften eine separate E-Mail-Adresse oder ein spezielles Internetformular zum Zweck der Wahrnehmung des «Opting-out» zur Verfügung stellen. Inhaltlich muss die Veröffentlichung jedenfalls die Lizenz als solche, die davon erfassten Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber sowie den Hinweis auf die Widerspruchsmöglichkeit enthalten.

Auf Nutzungen aufgrund einer erweiterten Kollektivlizenz sind gemäss Absatz 5 weder die Vorschriften über die Tarife (vgl. Art. 46 und 47 URG) noch diejenigen über die Tarifaufsicht (vgl. Art. 55­60 URG) anwendbar. Hingegen untersteht die Verwertung von Werken auf der Grundlage von erweiterten Kollektivlizenzen sowohl der Auskunfts- und Rechenschaftspflicht (Art. 50 URG) als auch der Aufsicht über die Geschäftsführung (Art. 52­54 URG). Das ist deshalb gerechtfertigt, weil von einer erweiterten Kollektivlizenz auch Werke von Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhabern erfasst sein können, die nicht Mitglieder der lizenzierenden Verwertungsgesellschaft sind, das heisst, die keine Kontrolle über diese Verwertungsgesellschaft ausüben. Die Geschäftsführungsaufsicht bezieht sich insbesondere auch auf die Kontrolle des «Opting-out»-Mechanismus und auf die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 45 Abs. 2 URG).

Die Verteilung richtet sich wie
in anderen Bereichen der kollektiven Verwertung nach Artikel 49 URG. Die Verteilung erfolgt also nach Massgabe des Ertrags der einzelnen Werke und Darbietungen, und es muss sichergestellt werden, dass den Urheberinnen und Urhebern sowie den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern in der Regel ein angemessener Anteil verbleibt. Die Regelungen zum Verwaltungskostenabzug, zum Abzug von Beiträgen für soziale und kulturelle Zwecke sowie zur Verwendung von Beträgen im Falle nicht identifizierbarer Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber gelten auch im Rahmen der erweiterten Kollektivlizenzen. Um die Verteilung bestmöglich organisieren zu können, sollten die Nutzerinnen und Nutzer den Verwertungsgesellschaften detaillierte Informationen über die von einer erweiterten Kollektivlizenz erfassten Werke melden. Eine solche Meldepflicht wäre in der Lizenzvereinbarung zu spezifizieren.

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Art. 51 Abs. 1 und 1bis Der bestehende Artikel 51 Absatz 1 URG verpflichtet Werknutzerinnen und Werknutzer dazu, den Verwertungsgesellschaften alle Auskünfte zu erteilen, die diese im Rahmen der Gestaltung und Anwendung der Tarife sowie bei der Verteilung des Erlöses an die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber benötigen. Diese Pflicht gilt, soweit es den Nutzerinnen und Nutzern zuzumuten ist. Dieser Absatz wird neu insofern konkretisiert, als auch vorgeschrieben wird, dass diese Auskünfte in einer Form zu erteilen sind, die dem Stand der Technik entspricht und eine automatische Datenverarbeitung zulässt. Eine solche Praxis besteht bereits teilweise. Wie bisher werden die Verwertungsgesellschaften die zulässigen Formate auch in Zukunft gemeinsam mit den Nutzerinnen und Nutzern festlegen. Ausserdem wird ein neuer Absatz 1bis eingefügt, der den Austausch dieser Informationen zwischen den Verwertungsgesellschaften erlaubt. Dies ist insbesondere deshalb notwendig, weil die Verwertungsgesellschaften gemäss Artikel 47 URG gezwungen sind, gemeinsame Tarife aufzustellen und eine Gesellschaft als gemeinsame Zahlstelle zu bezeichnen, wenn mehrere von ihnen im gleichen Nutzungsbereich tätig sind. Dies setzt voraus, dass auch ein entsprechender Informationsaustausch möglich ist.

Diese Neuerungen haben zum Ziel, die elektronische Rechteverwaltung weiter auszubauen und dadurch die Verwaltungskosten der kollektiven Verwertung zu senken.

Eine elektronische Rechteverwaltung führt zu administrativen Erleichterungen und Einsparungen sowohl bei den Nutzerinnen und Nutzern als auch auf Seiten der Verwertungsgesellschaften. Davon profitieren wiederum die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber in Form von tieferen Verwaltungskosten sowie zeitnahen Abrechnungen und Ausschüttungen durch die Verwertungsgesellschaften.

Die elektronische Form der Auskunftserteilung, die bereits in der Praxis verwendet wird, wird nun gesetzlich festgeschrieben. Gemäss Artikel 51 Absatz 1 müssen Werknutzerinnen und Werknutzer die Auskünfte in einer Form erteilen, die dem Stand der Technik entspricht und eine automatische Datenverarbeitung zulässt. Standards, Verfahren oder Formate, nach denen bzw. in denen die Informationen erteilt werden, lassen eine automatische Datenverarbeitung zu, wenn die gemeldeten Informationen ohne wesentliche Bearbeitung
durch die Verwertungsgesellschaften in die eigenen Datenverarbeitungssysteme übernommen werden können. Entscheidend ist, dass dadurch manuelle Arbeitsschritte eingespart werden können. Auf Nutzerseite können elektronisch gespeicherte Angaben beispielsweise in den Folgejahren wiederverwendet werden. Ausserdem kann das Fehlerrisiko verringert werden, weil weniger Daten manuell verarbeitet werden müssen.

Angesichts des raschen Wandels der Technik ist eine Auflistung der zulässigen Formate im URG nicht sinnvoll. Datenformate entsprechen dem Stand der Technik, wenn sie auf branchenüblichen internationalen oder europäischen Standards oder Verfahren beruhen.

Wie bis anhin gilt die Auskunftspflicht der Werknutzerinnen und Werknutzer gegenüber den Verwertungsgesellschaften nur, soweit es ihnen zuzumuten ist. Unzumutbar wäre die Erteilung von Auskünften in einem Format, das dem Stand der Technik entspricht und eine automatische Datenverarbeitung zulässt, z. B. dann, wenn die Einhaltung des Formats angesichts der Umstände des Einzelfalls unverhältnismässig

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wäre. Möglich bleiben sollen Meldungen in nutzereigenen Formaten oder formlose Meldungen für diejenigen Werknutzerinnen und Werknutzer, die sporadisch eine geringe Anzahl von Werken nutzen, wie z. B. ein kleiner Verein, der einmal im Jahr Hintergrundmusik bei einer Veranstaltung abspielen lässt.

Der neue Absatz 1bis zielt darauf ab, dass Werknutzerinnen und Werknutzer Auskünfte nur einmal erteilen müssen. Er schafft die gesetzliche Grundlage für den Austausch der entsprechenden Informationen zwischen den Verwertungsgesellschaften. Neu sind die Verwertungsgesellschaften berechtigt, die nach Absatz 1 erteilten Auskünfte an andere Verwertungsgesellschaften weiterzuleiten, die über eine Bewilligung des IGE (vgl. Art. 40 ff. URG) verfügen. Dies gilt jedoch nur, soweit es zur Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlich ist. Ein darüber hinausgehender Datenaustausch erfordert das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes nach Artikel 13 DSG.

Art. 62 Abs. 1bis Die Ergänzung von Absatz 1bis mit der Verletzung der Pflicht nach Artikel 39d E-URG stellt klar, dass die Hosting-Provider82, die eine besondere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen schaffen, durch die Nichterfüllung ihrer neuen Pflicht zum «Stay-down» Urheber- oder verwandte Schutzrechte gefährden. In diesen Fällen können die betroffenen Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber vor einem Zivilgericht die Durchsetzung dieser Pflicht erwirken. Das Gericht wird insbesondere prüfen, ob die beschuldigte Betreiberin oder der beschuldigte Betreiber zur Vornahme eines «Stay-down» verpflichtet gewesen ist oder nicht.

Das Verfahren richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen der ZPO.83 Leistet ein Hosting-Provider dem Urteil des Gerichts keine Folge, so kann die klagende Partei beim Zivilgericht die Vollstreckung des Urteils nach den Bestimmungen der Artikel 335 ff. ZPO verlangen.

Art. 74 Abs. 2 In der kollektiven Verwertung lizenzieren die Verwertungsgesellschaften auf der Grundlage von Tarifen die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke und Leistungen oder sie machen auf diesem Weg gesetzliche Vergütungsansprüche geltend.

Soweit das URG eine kollektive Verwertung zwingend vorsieht, werden hierzu Tarife von den Verwertungsgesellschaften mit den massgebenden Nutzerverbänden verhandelt und anschliessend von der ESchK auf ihre Angemessenheit überprüft.

Gegen den
Entscheid der ESchK kann vor dem Bundesverwaltungsgericht Beschwerde geführt werden (mit der Möglichkeit des Weiterzugs an das Bundesgericht).

Dieser doppelte Instanzenzug besteht erst seit der Einführung des Bundesverwaltungsgerichts im Jahre 2005. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass sich daraus sehr lange Verfahrensdauern ergeben können, die einer effizienten Rechts82

83

Zur Terminologie vgl. die Erläuterungen zu «3b. Titel: Pflicht der Betreiber von Internet-Hosting-Diensten, die von Benützern und Benützerinnen eingegebene Informationen speichern».

SR 272

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anwendung im Wege stehen. So kam es wiederholt vor, dass von der ESchK genehmigte Tarife mit Beschwerde angefochten wurden, und dass das Verfahren erst rechtskräftig abgeschlossen werden konnte, als die Geltungsdauer des betreffenden Tarifs bereits abgelaufen war. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, zielen die Änderungen in Absatz 2 darauf ab, das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zu straffen. Einerseits wird der Beschwerde gegen den Entscheid der ESchK von Gesetzes wegen die aufschiebende Wirkung entzogen. Andererseits werden die Erstreckung der Vernehmlassungsfrist ausgeschlossen und die im Beschwerdeverfahren grundsätzlich zulässigen ergänzenden Begründungen sowie zusätzlichen Schriftenwechsel beschränkt. Durch diese Massnahmen werden Kostenrisiken und Rechtsunsicherheiten verringert, ohne dass dadurch der Rechtsschutz beeinträchtigt wird.

Das Ziel der Straffung des Beschwerdeverfahrens wird im Detail folgendermassen umgesetzt: Neu wird in Absatz 2 für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht generell auf die Anwendbarkeit des VGG84 und des VwVG85 verwiesen. Vorbehalten bleiben verschiedene Ausnahmen, die in Absatz 2 Buchstaben a­d aufgeführt sind.

Buchstabe a ordnet an, dass die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen eine Verfügung der ESchK automatisch entfällt.

Das hat zur Folge, dass sich der Prozess um einen Verfahrensschritt verkürzt, weil das Bundesverwaltungsgericht nicht mehr über die Frage der aufschiebenden Wirkung entscheiden muss. Ausserdem muss die ESchK keine vorsorglichen Massnahmen mehr anordnen, um einen allfälligen tariflosen Zustand zu überbrücken. Ein solcher konnte durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung entstehen, weil in diesem Fall der angefochtene Tarif während der ganzen Dauer des Beschwerdeverfahrens nicht angewendet werden durfte. Neu müssen Nutzerinnen und Nutzer die Entschädigung, die ein von der ESchK genehmigter Tarif vorsieht, auch dann bezahlen, wenn der entsprechende Tarif Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ist. Wird die Beschwerde gutgeheissen, so erhalten sie die bezahlten Entschädigungen zurück. Wird die Beschwerde abgewiesen, kann das eingenommene Geld sofort an die Berechtigten verteilt werden. Dadurch werden Verzögerungen sowie
Nutzungs- oder Entschädigungslücken vermieden.

Die in den Buchstaben b­d vorgesehenen Massnahmen finden sich auch in Artikel 53 KVG. Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass sich Buchstabe d nur auf den in Artikel 57 Absatz 2 VwVG genannten zweiten Schriftenwechsel bezieht; die dort ebenfalls genannte mündliche Verhandlung wird davon nicht berührt. Ausserdem bleibt ein zweiter Schriftenwechsel möglich, wenn es aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderlich ist (vgl. insbesondere BGE 138 I 484). Im Hinblick auf die neu geschaffene Möglichkeit der ESchK, Zeuginnen und Zeugen einzuvernehmen (vgl. dazu den neuen Art. 14 Abs. 1 Bst. g VwVG), soll allen rechtlichen und tatsächlichen Aspekten bereits im Genehmigungsverfahren Rechnung getragen werden.

84 85

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SR 173.32 SR 172.021

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5a. Titel

Bearbeitung von Personendaten zum Zweck der Strafantragsstellung oder der Strafanzeigeerstattung

Werden Urheberrechtsverletzungen über das Internet begangen, sind Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber bei der Dokumentierung solcher Verletzungen oft mit Schwierigkeiten konfrontiert. Sie können eine Verletzung ihrer Rechte zwar rasch erkennen, doch sie wissen in der Regel nicht, wer die Verletzung begangen hat.

Befindet sich das urheberrechtsverletzende Material auf einer Internetseite mit einem Impressum, so kann darüber mit der Betreiberin oder dem Betreiber der Seite Kontakt aufgenommen werden, um die Verletzung beheben zu lassen. Allerdings gibt es viele Fälle, in denen Internetseiten nicht über ein Impressum verfügen oder die Betreiberinnen und Betreiber nicht auf Meldungen reagieren. Analoge Schwierigkeiten entstehen, wo für die Verletzung keine Internetseiten verwendet werden, sondern Peer-to-Peer-Software. Um in diesen Fällen gegen eine begangene Urheberrechtsverletzung vorgehen zu können, müssen die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber mit Hilfe der Strafverfolgungsbehörden die hinter der begangenen Verletzung stehende Person identifizieren lassen können. Ausgangspunkt für eine solche Identifikation ist die Internet-Protokoll-Adresse (IP-Adresse). Diese Adresse wird Geräten zugewiesen, die an das Netz angebunden sind, und macht sie so adressierund damit erreichbar. Es lassen sich insbesondere zwei Arten von IP-Adressen unterscheiden; statische und dynamische. Statische IP-Adressen sind fest an einen Computer oder Server einer Webseite vergeben. Sie sind vergleichbar mit der festen Telefonnummer einer Person oder einer Postadresse. Dynamische IP-Adressen können hingegen stetig ändern. Verbindet sich der Router mit dem Internet, so erhält er eine IP-Adresse zugewiesen, die zu dem Zeitpunkt niemand sonst nutzt. Spätestens bei der nächsten Einwahl ins Internet erhält derselbe Router dann eine (unter Umständen) andere IP-Adresse, die zu diesem Zeitpunkt nicht verwendet wird. Da Internet-Service-Provider die Vergabe der IP-Adressen an ihre Kundinnen und Kunden protokollieren müssen, ist es möglich zu ermitteln, wem eine IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugeteilt war.

Da anhand der IP-Adressen die Identität von natürlichen und juristischen Personen ermittelt werden kann, ist bei der Bearbeitung solcher Daten das DSG zu beachten.

Solange die Möglichkeit besteht, die hinter der IP-Adresse
befindliche natürliche oder juristische Person zu bestimmen, sind IP-Adressen als Personendaten anzusehen. Die Internet Service-Provider müssen die jeweiligen Verbindungsdaten während sechs Monaten aufbewahren (Art. 15 Abs. 3 BÜPF86). Zumindest in dieser Zeit sollte eine Identifikation somit möglich sein. Ist eine Identifikation nicht mehr möglich, handelt es sich auch nicht mehr um Personendaten.

Verfügt die Betreiberin oder der Betreiber einer Webseite über eine statische IPAdresse, so kann beispielsweise ein Screenshot einer Webseite, auf dem der Domainname der Seite ersichtlich ist, bereits als Personendatenbearbeitung angesehen werden. Domainnamen sind nichts anderes als in «lesbare Namen» umgewandelte IP-Adressen. Diese Domainnamen bzw. IP-Adressen lassen sich mit Hilfe entsprechender Datenbanken einer natürlichen oder juristischen Person zuordnen,

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SR 780.1

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weshalb auch bei deren Speicherung, Sammlung und Weitergabe eine Personendatenbearbeitung vorliegt.

In der Regel wird den Geräten privater Internetnutzerinnen und Internetnutzer eine dynamische IP-Adresse zugewiesen. Beenden sie ihre Sitzungen, wird die IPAdresse freigegeben und kann einer anderen Internetnutzerin oder einem anderen Internetnutzer zugeteilt werden. Wer urheberrechtsverletzendes Material über Peerto-Peer-Netzwerke austauscht, ist deshalb meistens nur während der Zeit eines spezifischen Internetzugriffs über eine bestimmte IP-Adresse erreichbar. Eine spätere Erhebung der IP-Adressen durch die Strafverfolgungsbehörden lässt daher allein keinen Rückschluss auf Kundinnen und Kunden zu. Die Strafverfolgungsbehörden können nur dann eine Urheberrechtsverletzung verfolgen, wenn sie die IP-Adresse sowie das Datum und die Uhrzeit der Verletzung erhalten, um so über die AccessProvider die entsprechende Anschlussinhaberin oder den entsprechenden Anschlussinhaber zu identifizieren. Die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber sind für eine Rechtsdurchsetzung deshalb darauf angewiesen, zusätzlich zur Identifikation des verletzten Werks, des Datums und der Uhrzeit, auch die IP-Adresse zur Beweissicherung zu dokumentieren. Das Bundesgericht (vgl. BGE 136 II 508; Logistep) hat in einem konkreten Fall entschieden, dass die Dokumentierung von IP-Adressen durch Private nicht mehr durch das Datenschutzgesetz gedeckt und damit widerrechtlich sei. Gleichzeitig hat es festgehalten, dass «es nicht darum geht, dem Datenschutz generell den Vorrang gegenüber dem Schutz des Urheberrechts einzuräumen.

Es ist Sache des Gesetzgebers und nicht des Richters, die allenfalls notwendigen Massnahmen zu treffen, um einen den neuen Technologien entsprechenden Urheberrechtsschutz zu gewährleisten.»87 Mit der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Datenbearbeitung durch Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber zum Zweck der Strafantragsstellung oder Strafanzeigeerstattung in Artikel 77i wird dem Hinweis des Bundesgerichts Rechnung getragen und die erforderliche Klarheit geschaffen.

Der neue Artikel hat indessen keine Auswirkungen auf das mit dem Strafantrag eingeleitete Verfahren. Insbesondere wird damit nicht das Ermessen der Strafverfolgungsbehörden eingeschränkt, unter gewissen Voraussetzungen auf eine Strafverfolgung
zu verzichten (Opportunitätsprinzip). Auch ändert sich nichts an der Verantwortung der Strafverfolgungsbehörden zur Beweiserhebung oder den Regeln zur Beweisverwertung. Die Behandlung der Strafanträge und der Strafanzeigen insgesamt richtet sich weiterhin nach den Bestimmungen der StPO. So schafft Artikel 77i E-URG beispielsweise keine Rechtfertigung für eine Teilnehmeridentifikation. Die Zulässigkeit einer Teilnehmeridentifikation richtet sich nach Artikel 14 BÜPF. Das Recht, Personendaten zu bearbeiten (Art. 77i E-URG), lässt die Voraussetzungen einer Teilnehmeridentifikation somit unberührt.

In diesem Zusammenhang ist geltend gemacht worden, dass der neue Artikel die Grundproblematik hinter dem Logistep-Entscheid ­ nämlich die Durchsetzbarkeit von urheberrechtlichen Schadenersatzansprüchen bei Rechtsverletzungen im Internet ­ nicht zu lösen vermag, sondern gar verschärft. Eine effizientere und effektivere Lösung müsste im Zivilrecht angesiedelt werden, wie dies der Vorentwurf zum URG vorsah. Artikel 77i ändere nichts am bestehenden System, dass im Zivilrecht keine Klage gegen Unbekannt möglich ist, sondern der Umweg über das Strafver87

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BGE 136 II 508, E. 6.4

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fahren nötig ist. Mit dieser Bestimmung werde die Instrumentalisierung der Strafverfolgungsbehörden gesetzlich abgesichert. Das Bundesgericht habe sich im LogistepEntscheid unter anderem aber gerade gegen diese Instrumentalisierung gewandt (vgl. BGE 136 II 508, E. 6.1 i. V. m. 6.3.3). Das Rechtsmissbrauchsverbot sei kein ausreichendes Korrektiv für die Instrumentalisierung der Strafverfolgungsbehörden, denn die Hürde zum Missbrauch sei beim Strafantragsrecht ausserordentlich hoch.

Es bestehe die Gefahr, dass sich die Strafverfolgungsbehörden auf Grund von Artikel 77i von der einzelfallbezogenen Prüfung der Verwertbarkeit der von Privaten beschafften Beweismittel pauschal dispensiert sehen. Die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber wiederum könnten den Eindruck haben, jede Art der Datenbearbeitung zum Zweck der Strafverfolgung sei durch Artikel 77i gerechtfertigt, unabhängig davon, wie und wo diese erfolgt. Ob eine systematische Internetüberwachung durch Private überhaupt verhältnismässig sein könne, habe das Bundesgericht im Logistep-Entscheid zwar nicht entschieden, lasse aber einige Zweifel durchblicken.

Unter diesem Blickwinkel müsste man Artikel 77i mindestens auf Peer-to-PeerNetzwerke bzw. dezentralisierte Datenaustauschnetzwerke beschränken.

Der Bundesrat kann dieser Sichtweise nicht folgen. Wie bereits in der Botschaft zur StPO erwähnt, dürften zivilrechtliche Ansprüche regelmässig im Zentrum des Interesses der geschädigten Person stehen. Das ist auch der Grund, warum die Zivilklage in der StPO gesondert und ausführlich geregelt wurde.88 Obwohl nicht ausgeschlossen werden kann, dass in gewissen Fällen die geschädigte Person den strafrechtlichen Weg nur beschreitet, um ihre zivilrechtlichen Ansprüche durchzusetzen, ist das Nebeneinander von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Ansprüchen die Norm. Der Bundesrat sieht keinen Grund, im Fall des Urheberrechtes anders vorzugehen. Zudem tangiert der neue Artikel die geltenden Regeln zum Rechtsmissbrauchsverbot nicht.

Der Bundesrat schafft vorliegend auch keine gesonderte zivilrechtliche Lösung. Eine zusätzliche oder sogar reine Lösung über den Zivilweg würde eine Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erfordern.

Nach heute geltendem Recht wird das Fernmeldegeheimnis jedoch nur zur Durchsetzung
strafrechtlicher Ansprüche durchbrochen. Angesichts der Bedeutung des Fernmeldegeheimnisses und der in der Vernehmlassung erhobenen Kritik gegenüber einer zivilrechtlichen Lösung, hält der Bundesrat an diesem Grundsatz fest.

Artikel 77i ist eine spezifische Regelung für die Personendatenbearbeitung durch Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber zum Zweck der Strafantragsstellung bzw.

der Strafanzeigeerstattung bei der Verletzung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten. Daraus kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass dadurch eine Personendatenbearbeitung zu anderen Zwecken und zur Verfolgung anderer Rechtsverletzungen ausgeschlossen ist. Die Bearbeitung von Personendaten folgt den Regeln des DSG. Obwohl die Grundsätze der Datenbearbeitung somit automatisch greifen würden, gibt der Gesetzestext der Klarheit halber diese zum Teil explizit wieder.

88

BBl 2006 1085, hier 1172.

649

BBl 2018

Art. 77i Sind Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber in ihren Urheber- oder verwandten Schutzrechten verletzt, so dürfen sie gemäss Absatz 1 erster Satz Personendaten bearbeiten. Als Personendaten gelten alle Angaben, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen (Art. 3 Bst. a DSG). Soweit beispielsweise IP-Adressen eindeutig einem Rechner zugeordnet werden können und damit die Identifikation einer bestimmten Benutzerin oder eines bestimmten Benutzers oder eines Benutzerkreises zulassen, handelt es sich dabei um Personendaten.

Der Begriff der Bearbeitung ist im Sinne von Artikel 3 Buchstabe e DSG zu verstehen. Erfasst wird jeder Umgang mit Personendaten, wie das Beschaffen, Aufbewahren, Verwenden, Archivieren oder Bekanntgeben. Zudem sieht Absatz 1 erster Satz vor, dass die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber nur soweit Personendaten bearbeiten dürfen, als dies zum Zweck der Strafantragsstellung oder der Strafanzeigeerstattung notwendig ist. Angesprochen werden damit die datenschutzrechtliche Zweckbindung und das Verhältnismässigkeitsprinzip (vgl. Art. 4 Abs. 2 und 3 DSG). Die Datenerhebung muss zum Zweck der Strafantragsstellung oder der Strafanzeigeerstattung erfolgen. Die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber erhalten mit der vorliegenden Norm nicht die Berechtigung, Daten zu beispielsweise Werbeoder Marktforschungszwecken zu erheben oder die zum Zweck der Strafantragsstellung oder der Strafanzeigeerstattung erhobenen Daten darüber hinaus auch zu anderen Zwecken zu verwenden. Sie dürfen zudem nur diejenigen Daten bearbeiten, die sie objektiv tatsächlich benötigen und die mit Blick auf den Bearbeitungszweck und die Persönlichkeitsbeeinträchtigung in einem vernünftigen Verhältnis stehen.89 Es bleibt in der Kompetenz der Strafverfolgungsbehörden, im Falle einer unverhältnismässigen Datenbearbeitung durch die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber eine Interessenabwägung zur Verwertung der erhobenen Daten im Strafverfahren vorzunehmen.

In Bezug auf die Beschaffung der Daten hält die Norm fest, dass die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber nur Personendaten bearbeiten dürfen, auf die sie rechtmässig zugreifen können. Eine rechtswidrige Datenbeschaffung wäre beispielsweise immer dann gegeben, wenn ein Verstoss gegen eine Rechtsnorm, insbesondere gegen eine Norm des StGB90, vorliegt. Die
Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber erhalten folglich nicht die Berechtigung, in ein fremdes, gegen ihren Zugriff gesichertes Datenverarbeitungssystem einzudringen (sog. Hacking), um die benötigten Personendaten zu beschaffen.

Im Sinne von Absatz 1 erster Satz dürfen Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber z. B. IP-Adressen aus Peer-to-Peer-Netzwerken sammeln, um die begangenen Urheberrechtsverletzungen zu dokumentieren und diese Daten anschliessend den Strafverfolgungsbehörden übermitteln.

Gemäss Absatz 1 zweiter Satz dürfen die bearbeiteten Personendaten für die adhäsionsweise Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Rahmen eines Strafverfahrens bzw. für deren Geltendmachung nach Abschluss des Strafverfahrens ver89 90

650

Botschaft vom 23. März 1988 zum Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG), BBl 1988 II 413, S. 450.

SR 311.0

BBl 2018

wendet werden. Damit ist klargestellt, dass Absatz 1 erster Satz die Anwendbarkeit der strafprozessrechtlichen Bestimmungen zur Zivilklage in den Artikeln 122­126 StPO nicht ausschliesst. Zugleich wird damit aber auch unterstrichen, dass die nach Artikel 77i zulässige Personendatenbearbeitung auf die anschliessende Durchführung von Strafverfahren zugeschnitten ist. Den Strafverfahren kommt eigenständige Bedeutung zu und sie dürfen nicht lediglich für die zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung der begangenen Urheberrechtsverletzung instrumentalisiert werden. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sich die Frage der Datenaufbewahrung am Bearbeitungszweck orientiert. Der Fokus der Datenbearbeitung liegt auf der Einreichung einer Strafanzeige oder dem Stellen eines Strafantrags (und der adhäsionsweisen oder nachträglichen Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche). Die Datenaufbewahrung hat sich nach diesen Zwecken sowie den allgemeinen datenschutzund prozessrechtlichen Grundsätzen zu richten.

Absatz 2 stellt sicher, dass die Datenbearbeitung, insbesondere auch die Datenbeschaffung, transparent erfolgt. Jede Art der Datenbeschaffung und der weiteren Datenbearbeitung muss für die betroffene Person erkennbar sein. Erkennbarkeit bedeutet, dass eine betroffene Person aus den Umständen heraus mit einer Datenbeschaffung rechnen musste oder dass sie entsprechend informiert bzw. aufgeklärt wurde. Die jeweiligen Anforderungen an die Erkennbarkeit beurteilen sich nach den Umständen sowie nach den allgemeinen Grundsätzen der Verhältnismässigkeit und von Treu und Glauben.91 Die Datenbearbeiterinnen und Datenbearbeiter sind vorliegend verpflichtet, von sich aus den Betroffenen den Zweck, die Art und den Umfang der Datenbearbeitung offenzulegen. Die Offenlegung kann beispielsweise in geeigneter Form auf der Internetseite der Datenbearbeiterin oder des Datenbearbeiters erfolgen.92 Ein blosser Verweis auf die Normen des DSG reicht hier nicht aus, weil sich aus dem DSG keine solche Offenlegungspflicht ergibt. Das DSG sieht eine Informationspflicht nur dann vor, wenn in irgendeiner Form ein Kontakt zwischen der betroffenen Person (hier der Teilnehmerin oder dem Teilnehmer) und der bzw.

dem Verantwortlichen (hier der Rechtsinhaberin oder dem Rechtsinhaber) besteht.

Diese Situation liegt hier jedoch nicht vor. Ohne
die vorgesehene Offenlegungspflicht wäre es möglich, dass die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber Daten bearbeiten, ohne dass die betroffene Teilnehmerin oder der betroffene Teilnehmer in irgendeiner Form davon erfährt. Auch das Auskunftsrecht nach dem DSG wäre vorliegend wirkungslos, weil es für die Teilnehmerin oder den Teilnehmer bedeuten würde, ihre bzw. seine Identität offenzulegen. Gleichzeitig könnte dennoch nicht festgestellt werden, ob Daten über sie bzw. ihn bearbeitet werden, weil die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber nur über die IP-Adressen verfügen.

Absatz 3 betont die in Absatz 1 erster Satz festgehaltene Zweckbindung der Datenbearbeitung. Die Personendaten dürfen vorliegend lediglich zum gesetzlich vorgesehenen Zweck verwendet werden. Die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber dürfen 91

92

Botschaft vom 19. Februar 2003 zur Änderung des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG) und zum Bundesbeschluss betreffend den Beitritt der Schweiz zum Zusatzprotokoll vom 8. November 2001 zum Übereinkommen zum Schutz der Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten bezüglich Aufsichtsbehörden und grenzüberschreitender Datenvermittlung, BBl 2003 2101, S. 2125.

Vgl. Eidg. Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter, 19. Tätigkeitsbericht 2011/2012, S. 47.

651

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die bearbeiteten Personendaten nicht mit Daten verknüpfen, die zu anderen Zwecken gesammelt werden. Sind die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber beispielsweise Herstellerinnen und Hersteller von Hard- oder Software und sammeln sie zu Marktforschungszwecken Daten, so müssen sie diese Daten von den gemäss Artikel 77i bearbeiteten Personendaten getrennt halten.

Art. 81 Abs. 3 Um Rechtssicherheit zu gewährleisten, finden die Bestimmungen der Artikel 13a und 35a E-URG auf die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits bestehenden Lizenzverträge keine Anwendung.

Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 Art. 14 Abs. 1 Bst. g und Abs. 2 Absatz 1 regelt, welche Behörden die Einvernahme von Zeuginnen und Zeugen anordnen können, sofern sich ein Sachverhalt auf andere Weise nicht hinreichend abklären lässt. Die ESchK, welche die zwischen den Verwertungsgesellschaften und den massgebenden Nutzerverbänden ausgehandelten Tarife für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke prüft und genehmigt, ist bislang nicht berechtigt, Zeuginnen und Zeugen einzuvernehmen. In Absatz 1 wird deshalb ein Buchstabe g eingefügt. Damit ist neu auch die ESchK zur Einvernahme von Zeuginnen und Zeugen ermächtigt.

Mit Blick auf die Vereinfachung des Tarifgenehmigungsverfahrens wird empfohlen, die im Tarifgenehmigungsverfahren zulässigen Beweismittel zu erweitern, damit die ESchK falls notwendig auch Zeuginnen und Zeugen hören kann. Absatz 1 schafft die nötige Grundlage dazu. Die neue Regelung strebt eine Konzentration der Sachverhaltsfeststellung vor der ersten Instanz an. Sie führt jedoch nicht automatisch zur Anordnung einer Zeugeneinvernahme. Vielmehr setzt die Durchführung einer Zeugeneinvernahme voraus, dass sich ein Sachverhalt nicht auf andere Weise hinreichend abklären lässt, und dass die ESchK diese für erforderlich hält. Eine vollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts in der ersten Instanz trägt wesentlich dazu bei, Verzögerungen in einem fortgeschrittenen Verfahrensabschnitt zu vermeiden. Trotz der Einführung eines neuen prozessualen Instruments wird daher von den Anpassungen als Ganzes (zusammen mit Art. 74 Abs. 2 URG) eine Vereinfachung des Tarifgenehmigungsverfahrens erwartet.

Änderung des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG)
Art. 109 Abs. 2bis Die im URG vorgesehenen gesetzlichen Vergütungsansprüche erlauben bestimmte Nutzungen geschützter Werke und Leistungen, verpflichten im Gegenzug jedoch zur Bezahlung einer Vergütung. Wird diese Vergütung nicht bezahlt, muss sie gerichtlich eingefordert werden. Haben Lizenznehmerinnen und Lizenznehmer keinen Wohnsitz in der Schweiz, stellt sich die Frage nach dem Gerichtsstand. Praktisch 652

BBl 2018

relevant wird sie beispielsweise im Rahmen des neuen gesetzlichen Vergütungsanspruchs gegenüber Online-Plattformen im Bereich von Video-on-Demand. Massgebend für die Bestimmung des Gerichtsstands ist das IPRG93, unter Vorbehalt von Staatsverträgen wie dem Lugano-Übereinkommen. Der Entwurf sieht die Schaffung eines neuen Absatz 2bis in Artikel 109 IPRG vor. Damit soll sichergestellt werden, dass die Regelung von Absatz 2, der die schweizerische Zuständigkeit für «Klagen betreffend Verletzung von Immaterialgüterechten» regelt, nicht nur die widerrechtliche, sondern auch die rechtmässige Nutzung eines Immaterialguts erfasst. Eine gesetzliche Klarstellung in diesem Sinne erscheint sachgerecht. Sie hat zudem den Vorteil, dass gesetzliche Vergütungsansprüche nach dem schweizerischen URG und darauf gestützten Tarifen gegen im Ausland ansässige Lizenznehmerinnen und Lizenznehmer in der Schweiz eingeklagt werden können, was deren Durchsetzung erleichtert. Dies wird dadurch ermöglicht, dass Absatz 2 unter anderem einen Gerichtsstand an dem Ort vorsieht, an dem der Schutz des betroffenen Immaterialguts (z. B. eines Films) beansprucht wird94 bzw. an dem die den Anspruch begründende Nutzung erfolgt («Erfolgsort»).

2.2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Vertrags von Peking und des Vertrags von Marrakesch

2.2.1

Vertrag von Peking

Präambel Der Vertrag von Peking weist auf die beträchtlichen Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Produktion und Nutzung audiovisueller Darbietungen hin und betont gleichzeitig das Erfordernis einer Anpassung der internationalen Regeln an diese Entwicklung. Er anerkennt ferner die Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der ausübenden Künstlerinnen und Künstler und dem umfassenderen öffentlichen Interesse, vor allem in Sachen Bildung, Forschung und Zugang zu Informationen, zu wahren.

Art. 1

Verhältnis zu anderen Übereinkünften und Verträgen

Trotz seiner engen Verbindungen zum von der Schweiz bereits ratifizierten WPPT ist der BTAP ein eigenständiger völkerrechtlicher Vertrag. Er bildet kein Sonderabkommen im Sinne von Artikel 20 RBÜ95, revidiert in Stockholm und keine Ausnahme von den Verpflichtungen aus dem WPPT oder dem Rom-Abkommen96 und berührt keinerlei Rechte oder Pflichten aus anderen Verträgen. Im Sinne einer Klarstellung einigten sich die verhandelnden Parteien auf die vereinbarten Erklärungen zu Artikel 1 und Artikel 1 Absatz 3. Die vereinbarten Erklärungen sind im Vertragstext enthalten (vgl. angehängter Text des BTAP). Sie haben rechtlich gese93 94 95 96

SR 291 Jegher, Gion / Vasella, David, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 3. Auflage, Basel 2013, Art. 109 N. 20.

SR 0.231.14 SR 0.231.171

653

BBl 2018

hen die gleiche Bedeutung wie der Haupttext. Danach berührt keine Bestimmung des Vertrags die Rechte oder Pflichten aus dem WPPT oder dem TRIPS-Abkommen97 und begründet auch keine Pflicht zur Ratifizierung oder zum Beitritt zum WPPT. Im Übrigen berührt der Vertrag den Schutz der Urheberinnen und Urheber in keiner Weise.

Art. 2

Begriffsbestimmungen

Die Bestimmung des Begriffs «ausübende Künstler» entspricht genau der Definition von Artikel 2 Buchstabe a WPPT. Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 2 Buchstabe a bezieht sich insbesondere auf improvisierte Werke. Sie stellt klar, dass die Definition auch diejenigen Personen erfasst, die ein Werk der Literatur oder Kunst darbieten, das im Rahmen der Darbietung geschaffen oder erstmals festgelegt wurde.

Als «audiovisuelle Festlegung» gilt die «Verkörperung von bewegten Bildern mit oder ohne Ton oder von Darstellungen derselben in einer Weise, dass sie mittels einer Vorrichtung wahrgenommen, vervielfältigt oder wiedergegeben werden können». Diese Begriffsbestimmung orientiert sich an der Definition des Begriffs «Festlegung» in Artikel 2 Buchstabe c WPPT und umfasst auch die visuellen Elemente.

Wie die vereinbarte Erklärung zu Artikel 2 Buchstabe b bestätigt, lässt sie die Definition des Begriffs «Festlegung» gemäss WPPT unberührt.

Die Begriffe «Sendung» und «öffentliche Wiedergabe» werden über eine Anpassung der Formulierungen in Artikel 2 WPPT und Artikel 3 des Rom-Abkommens definiert und umfassen auch die drahtlose Übertragung von Bildern. Mit diesen Begriffsbestimmungen gewährleisten die Vertragsparteien eine Gleichbehandlung der ausübenden Künstlerinnen und Künstler hinsichtlich ihrer visuellen, akustischen oder audiovisuellen Darbietungen.

Art. 3

Schutzberechtigte

Der im Vertrag verankerte Schutz gilt in erster Linie für die ausübenden Künstlerinnen und Künstler, die Angehörige einer Vertragspartei sind (Abs. 1). Gemäss Absatz 2 wird der gewöhnliche Aufenthalt der Staatsangehörigkeit gleichgestellt.

Folglich ist der Vertrag auch auf ausübende Künstlerinnen und Künstler anwendbar, die zwar keine Angehörigen einer Vertragspartei sind, aber ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort haben.

Art. 4

Inländerbehandlung

Laut Absatz 1 gilt die Inländerbehandlung nur für die im Vertrag ausdrücklich genannten ausschliesslichen Rechte und das Recht auf angemessene Vergütung gemäss Artikel 11. Sie ist folglich nicht auf zusätzliche Rechte anwendbar, die die nationalen Gesetzgeber möglicherweise einräumen. Der in Artikel 12 Absatz 3 genannte Anspruch auf Lizenzgebühren oder angemessene Vergütung stellt ein solches zusätzliches Recht dar und untersteht somit nicht dem Grundsatz der Inländerbehandlung (im Gegensatz zum Recht auf eine angemessene Vergütung nach Art. 11 97

654

SR 0.632.20

BBl 2018

Abs. 2).98 Eine Vertragspartei, die auf nationaler Ebene einen solchen Anspruch auf Vergütung (als zusätzliches Recht) kennt, ist folglich nicht verpflichtet, diesen auch den Angehörigen der anderen Vertragsparteien zu gewähren.

Aufgrund von Absatz 2 können die Vertragsparteien den Umfang und die Dauer des den Angehörigen einer anderen Vertragspartei gewährten Schutzes hinsichtlich des Rechts auf Sendung und öffentliche Wiedergabe auf die Rechte einschränken, die ihren eigenen Angehörigen durch die andere Vertragspartei gewährt werden (Gegenseitigkeitsprinzip). Folglich ist eine Vertragspartei, die ein ausschliessliches Recht (Art. 11 Abs. 1) vorsieht, berechtigt, den Angehörigen einer anderen Vertragspartei, die sich für ein solches Recht anstelle des ausschliesslichen Rechts entschieden hat (nach Art. 11 Abs. 2), nur ein Recht auf angemessene Vergütung zu gewähren. Eine Vertragspartei, die ein Recht auf angemessene Vergütung gewährleistet, ist jedoch verpflichtet, dieses Recht den Angehörigen einer anderen Partei einzuräumen, unabhängig davon, ob diese sich für ein Recht auf Vergütung (Art. 11 Abs. 2) oder ein ausschliessliches Recht (Art. 11 Abs. 1) entschieden hat.99 Schliesslich ist eine Vertragspartei auch nicht verpflichtet, den Grundsatz der Inländerbehandlung bezüglich des Rechts auf Sendung und öffentliche Wiedergabe gegenüber einer Partei anzuwenden, die einen Vorbehalt nach Artikel 11 Absatz 3 angemeldet hat, oder sofern sie selber von einem solchen Vorbehalt Gebrauch gemacht hat (Abs. 3).

Art. 5

Persönlichkeitsrechte

Die durch den BTAP gewährten Persönlichkeitsrechte bezüglich Live-Darbietungen und in audiovisuellen Festlegungen festgelegten Darbietungen entsprechen mutatis mutandis den Rechten des WPPT hinsichtlich Live-Darbietungen mit Ton und auf Tonträger festgelegter Darbietungen. Somit gewährt Absatz 1 den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern das Recht auf Namensnennung, und das Recht auf Unversehrtheit ihrer Darbietungen. Sie behalten diese Persönlichkeitsrechte selbst bei einer Abtretung ihrer wirtschaftlichen Rechte.

Absatz 2 bezweckt eine Abstimmung der Schutzdauer der wirtschaftlichen Rechte auf die Persönlichkeitsrechte. Gemäss Absatz 3 bestimmen sich die Möglichkeiten des Rechtsschutzes zur Wahrung der nach Artikel 5 gewährten Persönlichkeitsrechte nach dem Recht der Vertragspartei, in deren Gebiet der Schutz beansprucht wird.

Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 5 stellt klar, dass die im Rahmen der von der ausübenden Künstlerin oder vom ausübenden Künstler erlaubten Nutzung vorgenommenen Änderungen, die der üblichen Verwertung einer Darbietung entsprechen, keine Veränderung im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe ii darstellen. Dasselbe gilt für Veränderungen im Zusammenhang mit der Nutzung neuer Techniken oder Träger.

98 99

Siehe auch den Kommentar zu Artikel 12 Absatz 3 BTAP weiter unten.

Brem, Ernst, Der WIPO-Vertrag von Peking zum Schutz audiovisueller Darbietungen vom 24. Juni 2012 (BTAP) und die Schweiz, in: medialex Nr. 1/13, Bern, S. 10.

655

BBl 2018

Art. 6

Wirtschaftliche Rechte der ausübenden Künstler an ihren nicht festgelegten Darbietungen

Dieser Artikel greift den Wortlaut von Artikel 6 WPPT auf und gewährt den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern wirtschaftliche Rechte an ihren nicht festgelegten Darbietungen. Der Schutz erstreckt sich sowohl auf die visuellen, akustischen oder audiovisuellen Darbietungen als auch auf ihre Darstellungen.

Art. 7

Vervielfältigungsrecht

Die Bestimmung gewährt den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern das ausschliessliche Recht auf unmittelbare oder mittelbare Vervielfältigung ihrer in audiovisuellen Festlegungen festgelegten Darbietungen. Der Wortlaut entspricht sinngemäss der Formulierung von Artikel 7 WPPT. Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 7 stellt klar, dass das Vervielfältigungsrecht vollumfänglich auch für den Digitalbereich gilt. Somit stellt die elektronische Speicherung einer bereits in digitaler Form festgelegten Darbietung oder die Digitalisierung einer auf einem analogen Träger festgelegten Darbietung jeweils eine Vervielfältigung im Sinne dieses Artikels dar.

Art. 8

Verbreitungsrecht

Artikel 8 gewährt den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern das ausschliessliche Recht, Vervielfältigungsstücke, die als körperliche Gegenstände in Verkehr gebracht werden können, zu verbreiten (vgl. vereinbarte Erklärung zu Art. 8 und 9). Die Regelung der Frage der Erschöpfung bleibt in der Zuständigkeit der Vertragsparteien.

Art. 9

Vermietrecht

Dieser Artikel gewährt den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern das ausschliessliche Recht, das Original und Vervielfältigungsstücke ihrer in audiovisuellen Festlegungen festgelegten Darbietungen, die als körperliche Gegenstände in Verkehr gebracht werden können, zu vermieten (vgl. vereinbarte Erklärung zu Art. 8 und 9).

Dieses Recht definiert sich nach Massgabe der nationalen Gesetzgebung der Vertragsparteien und gilt für die gewerbsmässige Vermietung an die Öffentlichkeit, auch wenn die Originale oder die Vervielfältigungsstücke der audiovisuellen Festlegungen durch die ausübende Künstlerin bzw. den ausübenden Künstler selbst oder mit ihrer bzw. seiner Erlaubnis verbreitet worden sind.

Der Umfang dieses Vermietrechts wird im Übrigen durch Absatz 2 eingeschränkt.

Dieser verpflichtet die Vertragsparteien nur zur Gewährung dieses Rechts, sofern die gewerbsmässige Vermietung zu einer hohen Anzahl an Vervielfältigungsstücken führt, die das Vervielfältigungsrecht der ausübenden Künstlerinnen und Künstler erheblich beeinträchtigt.

Art. 10

Recht auf Zugänglichmachung festgelegter Darbietungen

Das Recht auf Zugänglichmachung der festgelegten Darbietungen entspricht im Wesentlichen dem Recht auf Verbreitung nach Artikel 8 des Vertrags von Peking.

Dieser Artikel deckt insbesondere die On-Demand-Dienstleistungen ab.

656

BBl 2018

Art. 11

Recht auf Sendung und öffentliche Wiedergabe

Absatz 1 gewährt den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern das ausschliessliche Recht, die Sendung oder öffentliche Wiedergabe der festgelegten Darbietungen zu erlauben. Gemäss Absatz 2 können die Vertragsparteien jedoch einen Vorbehalt anmelden, mit dem sie für diese Art der Nutzung ein Recht auf angemessene Vergütung anstelle des Rechts zu erlauben vorsehen können. Ein solcher Vorbehalt ist dem Generaldirektor der WIPO zu notifizieren. Nach Absatz 3 kann jede Vertragspartei auch einen Vorbehalt anmelden, um die Anwendung des ausschliesslichen Rechts (nach Abs. 1) oder des Rechts auf angemessene Vergütung (nach Abs. 2) zu beschränken oder auszuschliessen.

Die Schweiz wird von der in Artikel 11 Absätze 2 und 3 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen und bei der Ratifizierung des BTAP eine entsprechende Erklärung abgeben.100 Eine solche Erklärung ist notwendig, um die auf nationaler Ebene geltende Regelung beizubehalten: Falls die Sendung, die Weitersendung oder der öffentliche Empfang der audiovisuellen Festlegung aufgrund eines im Handel erhältlichen Ton- oder Tonbildträgers erfolgt, wird das ausschliessliche Recht auf einen Vergütungsanspruch beschränkt (Art. 35 Abs. 1 URG). Dieser Vergütungsanspruch untersteht im Übrigen dem Grundsatz der Gegenseitigkeit (Art. 35 Abs. 4 URG).

Art. 12

Abtretung von Rechten

Der gewählte Wortlaut bewahrt die Vertragsfreiheit der ausübenden Künstlerinnen und Künstler und erlaubt den Vertragsparteien gleichzeitig, gesetzliche Regelungen zu dieser Frage vorzusehen.

Auf der Grundlage von Absatz 1 können die Vertragsparteien eine gesetzliche Vermutung vorsehen, nach der die mit Zustimmung der ausübenden Künstlerin oder des ausübenden Künstlers erfolgte audiovisuelle Festlegung einer Darbietung bedeutet, dass die in den Artikeln 7­11 des Vertrags verankerten ausschliesslichen Rechte zu erlauben beim Hersteller sind oder von ihm ausgeübt oder an ihn abgetreten werden.

Diese Vermutung kann per Vertrag zu den in der nationalen Gesetzgebung vorgesehenen Bedingungen umgekehrt werden. Die nationale Gesetzgebung kann für solche Verträge auch die Schriftform vorschreiben, sofern diese sich auf audiovisuelle Festlegungen beziehen, die in Übereinstimmung mit der nationalen Gesetzgebung hergestellt wurden (Abs. 2). Das Erfordernis der Schriftform gilt somit nicht für Festlegungen, die im Einklang mit einer ausländischen Rechtsordnung vorgenommen werden.

Absatz 3 stellt klar, dass die nationale Gesetzgebung oder ein Einzel- oder Kollektivvertrag einen Anspruch auf Lizenzgebühren oder angemessene Vergütung für jegliche Nutzung der Darbietung und ungeachtet jeder Abtretung von Rechten nach Absatz 1 enthalten kann. Ein solches Recht auf angemessene Vergütung wurde zum

100

Vgl. beigelegter Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags von Peking über den Schutz von audiovisuellen Darbietungen (Entwurf). Die Vorbehalte werden in der AS nicht veröffentlicht. Die französischen und englischen Texte können auf der Internetseite der WIPO (www.wipo.int/wipolex/en/details.jsp?id=13105) eingesehen werden.

657

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ersten Mal in der Richtlinie 92/100/EWG (Art. 4)101 vorgesehen, um die Stellung der ausübenden Künstlerinnen und Künstler (sowie Urheberinnen und Urheber) zu stärken und ihnen eine angemessene Vergütung zu sichern102, z. B. im Rahmen von Vertragsverhandlungen in Bezug auf eine Filmproduktion. Absatz 3 stellt klar, dass solche Regelungen möglich bleiben und in der Zuständigkeit der Vertragsparteien liegen. Dementsprechend bestimmt Artikel 49 Absatz 3 URG, dass der Verwertungserlös zwischen den ursprünglichen Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhabern und anderen Berechtigten so aufgeteilt wird, dass den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern (sowie den Urheberinnen und Urhebern) in der Regel ein angemessener Anteil zukommt.

Der in Absatz 3 genannte Anspruch auf Lizenzgebühren oder angemessene Vergütung zählt nicht zu den ausdrücklich im Vertrag verankerten Rechten (Art. 6 bis 11) und unterscheidet sich folglich in dieser Hinsicht vom Recht auf eine angemessene Vergütung, das eine Vertragspartei anstelle des ausschliesslichen Rechts, die Sendung und öffentliche Wiedergabe zu erlauben (Art. 11 Abs. 2), vorsehen kann. Der Anspruch auf Vergütung nach Artikel 12 Absatz 3 untersteht somit nicht der Anwendung des Grundsatzes der Inländerbehandlung (vgl. Art. 4 Abs. 1).

Art. 13

Beschränkungen und Ausnahmen

Dieser Artikel entspricht der einschlägigen WPPT-Bestimmung (Art. 16) und verlangt, dass die von den Vertragsparteien vorgesehenen Beschränkungen und Ausnahmen dem Drei-Stufen-Test entsprechen. Das heisst, dass Beschränkungen und Ausnahmen nur zulässig sind, wenn sie auf Sonderfälle beschränkt werden (Stufe 1), die weder die normale Verwertung der Darbietungen beeinträchtigen (Stufe 2) noch die berechtigten Interessen der ausübenden Künstlerinnen und Künstler unzumutbar verletzen (Stufe 3).

Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 13 verweist auf die vereinbarte Erklärung zu Artikel 10 WCT und erklärt Letztere mutatis mutandis auch auf diesen Artikel anwendbar. Laut der genannten Erklärung bleiben die in der Berner Übereinkunft vorgesehenen Beschränkungen und Ausnahmen unverändert, weil der Drei-StufenTest dort implizit enthalten ist. Ausserdem gilt der Drei-Stufen-Test auch vollumfänglich für den Digitalbereich.

Art. 14

Schutzdauer

Diese Bestimmung schreibt eine Mindestschutzdauer von 50 Jahren ab der Festlegung der audiovisuellen Darbietung vor. Im WPPT ist eine analoge Mindestschutzdauer vorgesehen.

101

Richtlinie 92/100/EWG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums. Das Recht auf angemessene Vergütung ist heute in Artikel 5 der Richtlinie 2006/115/EG enthalten, welche die Richtlinie 92/100/EWG ersetzt hat.

102 von Lewinski, Silke, The WIPO Treaties on Copyright, A Commentary on the WCT, the WPPT, and the BTAP, 2. Auflage, Oxford 2015, Art. 12 BTAP, N. 9.12.38.

658

BBl 2018

Art. 15

Pflichten in Bezug auf technische Vorkehrungen

Artikel 15 verpflichtet die Vertragsparteien, einen hinreichenden Rechtsschutz gegen die Umgehung wirksamer technischer Vorkehrungen vorzusehen. Damit sollen die ausübenden Künstlerinnen und Künstler die Möglichkeit erhalten, sich wirksam gegen Piraterie zu schützen. Die Nutzung technischer Vorkehrungen ist jedoch nicht obligatorisch.

Dieser Artikel und die vereinbarten Erklärungen entsprechen mutatis mutandis Artikel 11 WCT und Artikel 18 WPPT. Lediglich wirksame technische Vorkehrungen sind gegen eine Umgehung geschützt. Folglich geht es einzig um technische Vorkehrungen, die wenigstens einen minimalen Schutz bieten. Die Vertragsparteien sind zwar nur verpflichtet, die technischen Vorkehrungen zum Schutz der Rechte gemäss diesem Vertrag zu schützen. Sie können diesen Schutz aber auch auf weitere Rechte ausdehnen. Schliesslich steht es ihnen frei, Ausnahmen in ihrer Gesetzgebung vorzusehen.

Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 15 im Verhältnis zu Artikel 13 stellt klar, dass die technischen Vorkehrungen die Fähigkeit einer begünstigten Person, von den in der nationalen Gesetzgebung gemäss Artikel 13 vorgesehenen Beschränkungen und Ausnahmen Gebrauch zu machen, nicht beeinträchtigen dürfen. Die vereinbarte Erklärung erinnert im Übrigen daran, dass die Pflichten im Zusammenhang mit den technischen Vorkehrungen nicht auf die Darbietungen anwendbar sind, die nicht oder nicht mehr durch die nationale Gesetzgebung geschützt sind. Der Verweis auf die «wirksamen und erforderlichen Massnahmen» lässt erkennen, dass die Vertragsparteien dieses Ziel auch erreichen können, ohne ein verwaltungsrechtliches oder gerichtliches Verfahren bzw. eine Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde vorzusehen, was anlässlich der diplomatischen Konferenz in Peking namentlich von der Schweiz in ihrer Auslegungserklärung betont wurde Die Schweiz gab folgende Erklärung ab: «It is Switzerland's understanding that Art. 15 with its agreed statement corresponds mutatis mutandis to those in the WCT and the WPPT. The reference in the agreed statement to indicates a way by which undue barriers to the enjoyment of limitations and exceptions may be avoided. It does not create an obligation either to provide for specific proceedings or to establish an administrative or judicial body prior to the enjoyment of
exceptions and limitations».

Diese Klarstellung ist für die Schweiz wichtig, da das Umgehungsverbot wirksamer technischer Massnahmen nach Artikel 39a Absatz 4 URG nicht geltend gemacht werden kann, wenn die Umgehung ausschliesslich zum Zweck einer gesetzlich erlaubten Nutzung vorgenommen wurde.

Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 15 weist darauf hin, dass der Ausdruck «technische Vorkehrungen durch ausübende Künstler» weit ausgelegt wird und auch diejenigen erfassen sollte, die im Auftrag der ausübenden Künstlerinnen und Künstler handeln.

Art. 16

Pflichten in Bezug auf Informationen für die Wahrnehmung der Rechte

Mit dieser Bestimmung werden die Vertragsparteien verpflichtet, hinreichende materielle Sanktionen und prozessuale Durchsetzungsverfahren vorzusehen. Geschützt 659

BBl 2018

werden die elektronischen Informationen für die Wahrnehmung der Rechte. In Absatz 2 wird die Art der fraglichen Angaben genannt: Diese umfassen Informationen, die die ausübende Künstlerin bzw. den ausübenden Künstler, ihre bzw. seine Darbietung oder die Inhaberin bzw. den Inhaber des Rechts an der Darbietung identifizieren, aber auch Informationen über die Nutzungsbedingungen einer Darbietung oder Zahlen oder Codes, die derartige Informationen darstellen. Diese Angaben sind an der audiovisuellen Festlegung einer Darbietung anzubringen. Den Vertragsparteien steht es frei, weitere Informationen zu schützen.

Der auf Artikel 12 WCT basierende Absatz 1 definiert die Handlungen, für welche die Vertragsparteien hinreichende und wirksame Rechtsbehelfe vorsehen müssen.

Dabei handelt es sich einerseits um die unbefugte Entfernung oder Änderung von elektronischen Informationen und andererseits um die unbefugte Verbreitung, Einfuhr zwecks Verbreitung, Sendung oder öffentliche Wiedergabe oder Zugänglichmachung in Kenntnis des Umstands, dass elektronische Informationen unbefugt entfernt oder geändert wurden.

Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 16 verweist auf die vereinbarte Erklärung zu Artikel 12 WCT und erklärt Letztere mutatis mutandis auch auf diesen Artikel anwendbar. Sie stellt klar, dass Artikel 16 nicht dazu dienen darf, den freien Warenverkehr zu unterbinden oder die Ausübung der durch den BTAP anerkannten Rechte zu beeinträchtigen.

Art. 17

Formvorschriften

Wie Artikel 20 WPPT statuiert diese Bestimmung uneingeschränkt den Grundsatz der Unabhängigkeit des Schutzes von formellen Voraussetzungen.

Art. 18

Vorbehalte und Notifikationen

Mit Ausnahme der in Artikel 11 Absatz 2 und 3 sowie in Artikel 19 Absatz 2 ausdrücklich genannten Vorbehalte sind keine weiteren Vorbehalte in Bezug auf diesen Vertrag zulässig.

Art. 19

Anwendung in zeitlicher Hinsicht

Gemäss Absatz 1 ist jede Partei verpflichtet, den Vertrag auf festgelegte Darbietungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Vertrags existieren, sowie auf alle Darbietungen, die nach diesem Zeitpunkt erfolgen, anzuwenden. Laut Absatz 3 lässt jedoch der Vertrag alle Handlungen, Verträge und Rechte unberührt, deren Vornahme, Abschluss bzw. Erwerb erfolgte, bevor er für eine Vertragspartei in Kraft getreten ist.

Absatz 2 enthält eine Sonderbestimmung, welche jeder Vertragspartei erlaubt, die Anwendung der Artikel 7­11 auf Darbietungen zu beschränken, die nach Inkrafttreten des Vertrags für sie stattgefunden haben. Gemäss dem Grundsatz der Gegenseitigkeit können die anderen Parteien gegenüber dieser Partei ebenfalls eine gleichwertige Beschränkung der fraglichen Rechte vorsehen. Die Rechte von Artikel 7­11 sind auf nationaler Ebene schon verankert. Die Schweiz wird deshalb keinen Vorbehalt nach Artikel 19 Absatz 2 erklären.

660

BBl 2018

Im Rahmen von Absatz 3 kann jede Vertragspartei ausserdem Übergangsbestimmungen für die Anwendung der Rechte nach den Artikeln 5 und 7­11 in Bezug auf Darbietungen erlassen, die vor Inkrafttreten des Vertrags für sie Gegenstand rechtlich zulässiger Handlungen waren.

Art. 20

Rechtsdurchsetzung

Die Rechtsdurchsetzung bleibt in der Zuständigkeit der Vertragsparteien. Diese müssen in Übereinstimmung mit ihren nationalen Rechtsordnungen die für die Anwendung dieses Vertrags notwendigen Massnahmen ergreifen. Die Gesetzgebung der Vertragsparteien muss im Sinne eines Mindestkatalogs Verfahren zur Rechtsdurchsetzung sowie vorsorgliche Massnahmen zur Verhinderung von Verletzungshandlungen und Massnahmen zur Abschreckung entsprechender Handlungen vorsehen.

Ein Strafverfahren wird nicht ausdrücklich verlangt.

Art. 25

Unterzeichnung des Vertrags

Der BTAP lag nach seiner Verabschiedung während eines Jahres zur Unterzeichnung auf. 71 Staaten und die EU haben ihn innerhalb dieser Frist unterzeichnet. Die Schweiz unterzeichnete ihn am 26. Juni 2012 am Ende der diplomatischen Konferenz über den Schutz audiovisueller Darbietungen unter dem Vorbehalt der Ratifikation.

Art. 26

Inkrafttreten des Vertrags

Der BTAP tritt drei Monate nach Hinterlegung der dreissigsten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde in Kraft. Bis heute haben 16 Staaten103 ihre Ratifikations- oder Beitrittsurkunde hinterlegt. Der BTAP ist folglich noch nicht in Kraft getreten.

2.2.2

Vertrag von Marrakesch

Präambel Der Vertrag von Marrakesch weist insbesondere auf die Notwendigkeit hin, die Anzahl der in einer für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen zugänglichen Form verfügbaren Werke zu erhöhen sowie ihren grenzüberschreitenden Austausch zu fördern. Zudem stellt er fest, dass die meisten sehbehinderten oder sonst lesebehinderten Menschen in den Entwicklungsländern und den am wenigsten entwickelten Ländern leben. Er bekräftigt ferner die Verpflichtungen der Vertragsparteien gemäss den internationalen Urheberrechtsverträgen sowie die Bedeutung und Flexibilität des Drei-Stufen-Tests für die Beschränkungen und Ausnahmen (Art. 9 Abs. 2 der Berner Übereinkunft).

103

www.wipo.int > Reference > WIPO-administered treaties > Beijing Treaty on Audiovisual Performances > Contracting parties

661

BBl 2018

Art. 1

Verhältnis zu anderen Übereinkünften und Verträgen

Trotz des ausdrücklichen Verweises in der Präambel auf verschiedene internationale Abkommen (z. B. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Berner Übereinkunft) versteht sich der Vertrag von Marrakesch als selbstständiger völkerrechtlicher Vertrag, der nicht von den Rechten und Pflichten aus anderen Verträgen abweicht. Er begründet keinerlei Pflicht, bestehende Verträge zu ratifizieren oder solchen beizutreten.

Art. 2

Begriffsbestimmungen

Der Begriff «Werk» wird unter Verweis auf die Definition von Artikel 2 Absatz 1 der Berner Übereinkunft definiert. Er wird zum Zwecke dieses Vertrags auf Werke in Form von Text, Notation und diesbezüglichen Illustrationen beschränkt, die veröffentlicht oder der Öffentlichkeit auf jeglichen anderen Trägern zugänglich gemacht werden. Der Geltungsbereich des Vertrags erstreckt sich somit nicht auf alle Kategorien geschützter Werke nach der Berner Übereinkunft. Insbesondere die audiovisuellen Werke wie Filme und die akustischen Werke wie Musik sind ausgeschlossen. Die Formulierung «auf jeglichen anderen Trägern» betont die Tatsache, dass in diesem Zusammenhang der Träger im Gegensatz zur Form des Werks nicht entscheidend ist. Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 2 Buchstabe a weist ausdrücklich darauf hin, dass die Begriffsbestimmung auch Werke im Audioformat, wie Hörbücher, umfasst. Dies zeigt die besondere Aufmerksamkeit, die diesem Format im Rahmen der Verhandlungen geschenkt wurde.

Die Definition des Begriffs «Werkexemplar in einer zugänglichen Form» orientiert sich am Zweck des verwendeten Formats. Dieses muss den Begünstigten einen ebenso leichten und freien Zugang wie nicht sehbehinderten Menschen ermöglichen.

Die Begriffsbestimmung umfasst folglich sowohl die Transliteration von Werken in Blindenschrift als auch ihre Darstellung in einer anderen angepassten Version.

«Autorisierte Stelle» bedeutet eine Stelle, die vom Staat befugt oder anerkannt wurde, um den Begünstigten des Vertrags ohne Erwerbszweck Dienstleistungen im Bereich Bildung, pädagogische Ausbildung, angepasstes Lesen oder Informationszugang anzubieten. Die autorisierten Stellen sind zwar keine Begünstigten des Vertrags, jedoch ratione personae im Geltungsbereich eingeschlossen. Sie stellen gewissermassen Zwischenstellen dar, die für die Begünstigten (gemäss Definition in Art. 3) handeln. Mit der ihnen auferlegten Pflicht, bei der Ausübung ihrer Funktionen ihre eigenen Verfahren zu definieren und zu befolgen sowie die Werkexemplare mit gebührender Sorgfalt zu verwalten (Art. 2 Bst. c Ziff. iv), soll hauptsächlich erreicht werden, dass die nach diesem Vertrag hergestellten, verbreiteten und zugänglich gemachten Werkexemplare in einer für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen zugänglichen Form nicht zweckentfremdet werden und den Markt der veröffentlichten Werke konkurrieren.

Art. 3

Begünstigte

Der Kreis der Begünstigten wurde in Bezug auf ihre Schwierigkeit, gedruckte Texte zu lesen, definiert. Er umfasst Blinde (Bst. a), Menschen mit einer Sehbehinderung, 662

BBl 2018

die nicht so behandelt werden können, dass eine mit einer Person ohne Behinderung annähernd vergleichbare Lesefähigkeit erreicht wird (Bst. b) sowie Menschen mit einer körperlichen Behinderung, die sie daran hindert, ein Buch zu halten oder zu handhaben oder ihre Augen so zu kontrollieren, dass sie lesen können (Bst. c).

Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 3 Buchstabe b stellt klar, dass eine Person mit Sehbehinderung als Begünstigte im Sinne des Vertrags gilt, auch wenn sie nicht alle möglichen Diagnosemethoden und medizinischen Behandlungen versucht hat, um eine mit einer Person ohne diese Sehbehinderung annähernd vergleichbare Sehfähigkeit zu erreichen.

Art. 4

In der nationalen Gesetzgebung vorgesehene Beschränkungen und Ausnahmen betreffend Werkexemplare in einer zugänglichen Form

Absatz 1 verpflichtet die Vertragsparteien, in ihrer nationalen Gesetzgebung bestimmte minimale Beschränkungen zu verankern, um das Zugänglichmachen von Werken in einer zugänglichen Form für die Begünstigten zu erleichtern. Diese Mindestnorm umfasst eine Beschränkung des Rechts auf Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Der Wortlaut stellt klar, dass die für das Zugänglichmachen des Werks in der angepassten Form erforderlichen Änderungen zugelassen werden sollten. Da der Vertrag die Vertragsparteien nicht verpflichtet, eine Beschränkung des ausschliesslichen Rechts auf Veränderung vorzusehen, kommt dieser Klarstellung eine zentrale Bedeutung zu. Die Umwandlung eines Werks in eine für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen zugängliche Form ist in der Praxis immer mit gewissen Veränderungen verbunden. Obwohl der Wortlaut von Absatz 1 Buchstabe a den Konjunktiv benutzt, zeigen der Zweck dieser Bestimmung sowie der zweite Teil der Definition des Begriffs «Werkexemplar in einer zugänglichen Form» in Artikel 2, dass die Absicht sehr wohl darin besteht, die für die Umformatierung notwendigen Veränderungen zu erlauben. Der schweizerische Gesetzgeber hat das Problem bereits früh erkannt und diese Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen (vgl. Art. 24c Abs. 1 URG); die entsprechende Botschaft104 erwähnt als Beispiel den Fall eines in Buchform veröffentlichten Sprachwerks, das in Blindenschrift übertragen werden darf. In Absatz 1 Buchstabe b wird ausgeführt, dass es den Vertragsparteien ausserdem freisteht, eine Beschränkung des Rechts auf öffentliche Aufführungen oder Vorführungen vorzusehen, um den Begünstigten den Zugang zu den Werken zu erleichtern.

Bei der Umsetzung der Pflicht von Absatz 1 haben die Vertragsparteien zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit besteht darin, auf nationaler Ebene eine Regelung gemäss Absatz 2 einzuführen. Diese Regelung legt einerseits die von den autorisierten Stellen einzuhaltenden Bedingungen (Bst. a) und andererseits die auf die Begünstigten sowie die in ihrem Namen handelnden natürlichen Personen anwendbaren Bedingungen (Bst. b) fest. Die autorisierten Stellen dürfen ein Werkexemplar in einer zugänglichen Form herstellen, von einer anderen autorisierten Stelle ein solches Werkexemplar erhalten und diese Exemplare den Begünstigten zugänglich 104

BBl 2006 3389, hier 3433.

663

BBl 2018

machen, wenn sie folgende Bedingungen erfüllen: (i) Sie haben rechtmässigen Zugang zum Werk, (ii) sie nehmen nur diejenigen Änderungen vor, die erforderlich sind, um das Werk in der angepassten Form zugänglich zu machen, (iii) sie bieten die Werkexemplare in zugänglicher Form ausschliesslich zum Gebrauch durch die Begünstigten an, und (iv) sie verfolgen keinen Erwerbszweck.

Aufgrund von Absatz 2 Buchstabe b können die Begünstigten zu ihrem persönlichen Gebrauch ein Werkexemplar in zugänglicher Form herstellen, sofern sie rechtmässigen Zugang zum Werk haben. Solche Werkexemplare in zugänglicher Form dürfen auch im Namen der Begünstigten handelnde Personen herstellen.

Die zweite Möglichkeit für die Vertragsparteien, ihre Pflichten aus Absatz 1 zu erfüllen, wird in Absatz 3 ausgeführt. Nach dieser Bestimmung können die Vertragsparteien in ihrer nationalen Gesetzgebung geeignete Schranken des Urheberrechts verankern, die mit ihren Rechten und Pflichten aus anderen internationalen Abkommen und insbesondere mit dem Drei-Stufen-Test im Einklang stehen. Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 4 Absatz 3 stellt in diesem Zusammenhang klar, dass diese Möglichkeit die in der Berner Übereinkunft vorgesehenen Beschränkungen und Ausnahmen bezüglich der Übersetzungsrechte nicht berührt.

Gemäss Absatz 4 können die Vertragsparteien einen Vorbehalt erklären, welcher auf nationaler Ebene den Geltungsbereich der in diesem Artikel vorgesehenen Schranke auf die Werke beschränkt, die nicht zu angemessenen Preisen in einer zugänglichen Form auf dem Markt erhältlich sind (sog. Bedingung der Verfügbarkeit im Handel).

Ein solcher Vorbehalt ist dem Generaldirektor der WIPO mitzuteilen. Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 4 Absatz 4 stellt klar, dass die Bedingung der Verfügbarkeit im Handel den Drei-Stufen-Test unberührt lässt. Das URG sieht keine entsprechende Bedingung vor. Die Vorlage sieht deshalb vor, dass die Schweiz den Vertrag von Marrakesch ohne Vorbehalt nach Absatz 4 ratifiziert.105 Absatz 5 stellt es den Vertragsparteien schliesslich frei, die Schranken bezüglich der Werkexemplare in einer zugänglichen Form einer Vergütung zu unterstellen. Ein solcher Vergütungsanspruch ist in der Schweiz bereits heute vorgesehen (Art. 24c Abs. 4 URG).

Art. 5

Grenzüberschreitender Austausch von Werkexemplaren in einer zugänglichen Form

Absatz 1 bildet eine zentrale Bestimmung des Vertrags. Er verpflichtet die Vertragsparteien, in ihrer nationalen Gesetzgebung eine Regel zu verankern, die den grenzüberschreitenden Austausch von Werkexemplaren in einer für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen zugänglichen Form durch eine von einer anderen Vertragspartei autorisierte Stelle erlaubt. Der grenzüberschreitende Austausch ist nur zwischen Vertragsparteien möglich. Im Übrigen gilt diese Bestimmung lediglich für die in Anwendung einer Schranke oder kraft Gesetzes hergestellten Werkexemplare in einer zugänglichen Form. Somit dürfen in Anwendung dieser Bestimmung nur die auf dem Hoheitsgebiet der Vertragspartei rechtmässig hergestellten Werkexemplare ausgeführt werden.

105

664

Vgl. Erläuterungen dazu unter Ziff. 1.5.2.2.

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Nach Absatz 1 muss der grenzüberschreitende Austausch von Werkexemplaren in einer zugänglichen Form über eine «autorisierte Stelle» im Einklang mit den Kriterien in Artikel 2 des Vertrags erfolgen. Mit der Einführung eines Netzwerks autorisierter Stellen wollten die Unterhändlerinnen und Unterhändler den Kreis der zur Ausfuhr solcher Werkexemplare berechtigten Personen eingrenzen. Dabei wurde im Rahmen der Verhandlungen klar, dass die gewählte Formulierung keine ausdrückliche Genehmigung durch die Verwaltungsbehörden impliziert. Die Unterhändlerinnen und Unterhändler waren einhellig der Auffassung, dass eine Organisation automatisch als «autorisierte Stelle» gilt, wenn die Kriterien von Artikel 2 des Vertrags erfüllt sind.

Für die Umsetzung der Pflicht in Absatz 1 auf nationaler Ebene sind zwei Möglichkeiten vorgesehen: eine Schranke gemäss Absatz 2 oder andere Schranken gemäss Absatz 3. In beiden Fällen erinnert der Wortlaut daran, dass die Werkexemplare in einer zugänglichen Form zum ausschliesslichen Gebrauch durch die Begünstigten bestimmt sind.

Absatz 2 enthält eine vorformulierte Schranke zur Umsetzung der Verpflichtung aus Absatz 1. Sie gestattet es den autorisierten Stellen, ohne Zustimmung der Rechtsinhaberin oder des Rechtsinhabers Werkexemplare in einer zugänglichen Form einer anderen autorisierten Stelle (Bst. a) oder einer begünstigten Person (Bst. b) in einer anderen Vertragspartei abzugeben oder zugänglich zu machen. Der Wortlaut erinnert daran, dass eine autorisierte Stelle auf die Verbreitung oder Zugänglichmachung verzichten muss, wenn sie weiss oder einen vernünftigen Grund zur Annahme hat, dass die Werkexemplare zugunsten anderer Personen verwendet werden.

Die Möglichkeit in Absatz 3 besteht darin, zur Umsetzung der Verpflichtung aus Absatz 1 eine andere als die vorformulierte Schranke in Absatz 2 im nationalen Recht vorzusehen. Diese haben die Anforderungen der Drei-Stufen-Tests sowie die in Absatz 4 genannten Bedingungen zu respektieren.

Erhält laut Absatz 4 Buchstabe a eine von einer Vertragspartei autorisierte Stelle Werkexemplare in einer zugänglichen Form und unterliegt diese Vertragspartei nicht dem Drei-Stufen-Test der Berner Übereinkunft, so hat sie sicherzustellen, dass diese Werkexemplare im eigenen Hoheitsgebiet ausschliesslich zugunsten der Begünstigten verwendet
werden. Eine Weiterverbreitung dieser Werkexemplare ausserhalb des Hoheitsgebiets ist folglich nicht zulässig.

Absatz 4 Buchstabe b unterstellt die Verbreitung und Zugänglichmachung von in einer Vertragspartei nach Artikel 5 Absatz 1 hergestellten Werkexemplaren in einer zugänglichen Form in einer anderen Vertragspartei der Bedingung, dass der Vertragsstaat, in dem das Werkexemplar hergestellt wird, WCT-Partei ist oder den DreiStufen-Test auf die gemäss dem Vertrag von Marrakesch vorgesehenen Schranken anwendet.

Absatz 5 weist darauf hin, dass die Regelung der Erschöpfungsfrage von diesem Vertrag unberührt bleibt.

665

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Art. 6

Einfuhr von Werkexemplaren in einer zugänglichen Form

Wenn eine Vertragspartei die Herstellung von Werkexemplaren in einer für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen zugänglichen Form in ihrem Hoheitsgebiet zulässt, muss sie auch die Einfuhr der Werkexemplare ohne Zustimmung der Rechtsinhaberin oder des Rechtsinhabers erlauben. Mit diesem Artikel können Begünstigte, in ihrem Namen handelnde natürliche Personen und autorisierte Stellen die im Einzelfall geeignetste Variante wählen. Somit können sie durch die Einfuhr von in einer anderen Vertragspartei verfügbaren Werkexemplaren in einer zugänglichen Form statt der eigenen Herstellung erhebliche Einsparungen erzielen.

Die Einfuhr von Werkexemplaren in einer zugänglichen Form, welche im Ursprungsland aufgrund einer gesetzlichen Schranke hergestellt wurden, ist nach geltendem Recht (Art. 24c URG) nicht erlaubt. Dieses wird deshalb angepasst.106 Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 6 erinnert daran, dass die Vertragsparteien bei der Erfüllung ihrer Pflichten aus Artikel 6 über die in Artikel 4 aufgeführten Flexibilitäten verfügen.

Art. 7

Verpflichtungen bezüglich technischer Schutzmassnahmen

Diese Bestimmung verpflichtet die Vertragsparteien, die einen Rechtsschutz gegen die Umgehung technischer Massnahmen vorsehen, dafür zu sorgen, dass dieser Schutz die Begünstigten nicht daran hindert, in den Genuss der im Vertrag vorgesehenen Schranken zu kommen.

In der Praxis gilt diese Bestimmung nur für die Vertragsparteien, die auch Partei eines oder mehrerer Verträge wie des WCT, des WPPT oder des BTAP sind, die einen Rechtsschutz gegen die Umgehung technischer Massnahmen vorsehen (vgl.

Art. 11 WCT, Art. 18 WPPT und Art. 15 BTAP).

Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 7 stellt klar, dass es den autorisierten Stellen weiterhin freisteht, bei der Herstellung, Verbreitung und Zugänglichmachung von Werkexemplaren in einer zugänglichen Form technische Massnahmen in Übereinstimmung mit der nationalen Gesetzgebung umzusetzen. Solche Massnahmen können sich als unverzichtbar erweisen, damit die autorisierten Stellen ihre Tätigkeit für die Begünstigten fortsetzen können.

Art. 8

Achtung der Privatsphäre

Die Identifizierung der Begünstigten des Vertrags von Marrakesch bringt zwangsläufig ein gewisses Eindringen in ihre Privatsphäre mit sich. Mit dieser Bestimmung werden die Vertragsparteien ermutigt, sich für eine Umsetzung des Vertrags zu entscheiden, die die Privatsphäre der begünstigten Personen gleichberechtigt mit allen anderen schützt.

106

666

Vgl. beigelegter Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags von Marrakesch über die Erleichterung des Zugangs zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen (Entwurf) und die Erläuterungen unter Ziff. 1.5.2.2.

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Art. 9

Zusammenarbeit zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs

Für einen erleichterten grenzüberschreitenden Austausch von Werkexemplaren in einer für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen zugänglichen Form befürwortet der Vertrag die Bereitstellung von Informationen über die autorisierten Stellen. Dank dieser Informationen können sich die autorisierten Stellen insbesondere einfach gegenseitig identifizieren.

Die vereinbarte Erklärung zu Artikel 9 stellt klar, dass dieser Informationsaustausch keinerlei Registrierungspflicht für die autorisierten Stellen begründet und keine Voraussetzung für die Durchführung ihrer Tätigkeiten darstellt.

Art. 10

Allgemeine Grundsätze der Umsetzung

Diese Bestimmung betont, dass es den Vertragsparteien freisteht, über die einzusetzenden Mittel und deren Rechtsform für die Umsetzung des Vertrags gemäss ihren eigenen Rechtssystemen und rechtlichen Verfahren zu entscheiden (Abs. 2). Absatz 3 stellt klar, dass sich die Vertragsparteien für Schranken zugunsten der Begünstigten oder sonstige geeignete Schranken entscheiden können.

Gemäss der vereinbarten Erklärung zu Artikel 10 Absatz 2 gelten die im Vertrag vorgesehenen Schranken mutatis mutandis auch für die verwandten Schutzrechte, sofern ein Werk im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a des Vertrags betroffen ist.

Art. 11

Allgemeine Verpflichtungen betreffend Beschränkungen und Ausnahmen

Artikel 11 wiederholt die Pflicht der Vertragsparteien, bei den vorgesehenen Beschränkungen und Ausnahmen den Drei-Stufen-Test (Art. 10 WCT, Art. 13 TRIPSAbkommen und Art. 9 Abs. 2 RBÜ) zu respektieren. Danach sind Beschränkungen und Ausnahmen von ausschliesslichen Rechten auf bestimmte Sonderfälle einzugrenzen (Stufe 1), die weder die normale Verwertung des Werkes beeinträchtigen (Stufe 2) noch die berechtigten Interessen der Rechtsinhaberin oder des Rechtsinhabers unangemessen verletzen (Stufe 3).

Art. 12

Sonstige Beschränkungen und Ausnahmen

Absatz 1 weist darauf hin, dass die vom Vertrag für die begünstigten Personen vorgesehenen Schranken einen Mindeststandard darstellen. Den Vertragsparteien steht es frei, in Übereinstimmung mit ihren internationalen Rechten und Verpflichtungen weitere Schranken vorzusehen, um besonderen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.

Artikel 12 zeigt die Schwierigkeit, spezifische Schranken zur Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse der Begünstigten des Vertrags zu erlassen, ohne dass diese Regeln die Flexibilitäten der Vertragsparteien im Rahmen anderer internationaler Abkommen, insbesondere der Berner Übereinkunft und des TRIPS-Abkommens, beschränken.

667

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Nach Absatz 2 dürfen die spezifisch für die Begünstigten vorgesehenen Schranken keinerlei Einfluss auf die Schranken haben, welche die Vertragsparteien auf nationaler Ebene zugunsten von Menschen mit Behinderungen vorsehen können.

Art. 16

Rechte und Pflichten nach dem Vertrag

Dieser Artikel legt fest, dass die Vertragsparteien alle Rechte und Verpflichtungen aus dem Vertrag von Marrakesch wahrnehmen, sofern im Vertrag nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist. Der gewählte Wortlaut scheint somit die Möglichkeit auszuschliessen, andere als die in Artikel 4 Absatz 4 genannten Vorbehalte zu erklären.

Art. 17

Unterzeichnung des Vertrags

Der Vertrag von Marrakesch lag nach seiner Verabschiedung noch während eines Jahres zur Unterzeichnung auf. 60 Staaten haben ihn innerhalb dieser Frist unterzeichnet. Die Schweiz hat den Vertrag am 28. Juni 2013 anlässlich der diplomatischen Konferenz für den Abschluss eines Vertrags zur Erleichterung des Zugangs zu veröffentlichten Werken für sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen unter Vorbehalt der Ratifikation unterzeichnet.

Art. 18

Inkrafttreten des Vertrags

Der Vertrag von Marrakesch tritt drei Monate nach der Hinterlegung der zwanzigsten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde in Kraft. Nachdem Kanada den Vertrag am 30. Juni 2016 als zwanzigste Partei ratifizierte, trat er am 30. September 2016 in Kraft.107

2.3

Umsetzung des Vertrags von Marrakesch

Art. 24c

Verwendung von Werken durch Menschen mit Behinderungen

Das geltende Recht sieht in Artikel 24c URG bereits eine Schranke zugunsten von Menschen mit Behinderungen vor. Diese Bestimmung gilt für alle Kategorien von Werken und für alle Arten von Behinderungen, welche die Wahrnehmung eines Werks beeinträchtigen. In dieser Hinsicht enthält das geltende Recht eine umfangreichere Beschränkung als die vom Vertrag von Marrakesch verlangte Schranke.

Eine Gesetzesänderung ist allerdings erforderlich, damit Werkexemplare in einer für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglichen Form aus dem Hoheitsgebiet einer Vertragspartei in die Schweiz eingeführt werden können (vgl. Art. 6 des Vertrags von Marrakesch). Das geltende Recht lässt nämlich nur die Einfuhr von Werkexemplaren in einer für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Form zu, die im 107

668

Bis heute haben bereits 28 Staaten ihre Ratifikations- oder Beitrittsurkunde hinterlegt; vgl. www.wipo.int > Reference > WIPO-administered treaties > Marrakesh VIP Treaty > Contracting parties.

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Ursprungsland von der Urheberin bzw. vom Urheber oder mit ihrer bzw. seiner Zustimmung veräussert wurden (Art. 12 Abs. 1 URG). Um die Anforderungen von Artikel 6 des Vertrags von Marrakesch zu erfüllen, wird durch einen neuen Absatz 3 in Artikel 24c der Geltungsbereich der Regelung erweitert, sodass neu auch die Einfuhr von gemäss einer gesetzlichen Schranke hergestellten Werkexemplaren in einer zugänglichen Form erlaubt ist.

Aus diesem neuen Absatz 3 ergibt sich auch, was in der Schweiz unter dem System eines Netzwerks an «autorisierten Stellen» nach Artikel 2 des Vertrags von Marrakesch zu verstehen ist. Absatz 3 erlaubt nur die Ein- oder Ausfuhr von gemäss einer gesetzlichen Schranke hergestellten Werkexemplaren, die «von einer nicht gewinnorientierten Organisation erlangt wurden, die als eine ihrer Haupttätigkeiten Menschen mit Behinderungen Dienstleistungen in den Bereichen der Bildung, der pädagogischen Ausbildung, des angepassten Lesens oder des Zugangs zu Informationen bereitstellt». In der Praxis erfüllen die Verbände und sonstigen Strukturen, die sich in der Schweiz für behinderte Menschen einsetzen108, wie z. B. der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV), diese Voraussetzungen und können folglich solche Werkexemplare in Anwendung von Absatz 3 ein- und ausführen.

Die durch Artikel 24c Absatz 1 URG erlaubten Verwendungszwecke sind im Lichte des verfolgten Ziels, den Zugang zu geschützten Werken für Menschen mit Behinderung zu erleichtern, auszulegen109. Ebenfalls zu berücksichtigen ist der Zweck des BehiG110. Dieser liegt darin, «Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind»111. Ausserdem soll das im Vertrag von Marrakesch formulierte Ziel erreicht werden, «sehbehinderten oder sonst lesebehinderten Menschen den Zugang und den Gebrauch der Werke zu erleichtern»112. Dementsprechend wird der Geltungsbereich der Beschränkung in Absatz 1 geklärt. Er umfasst zusätzlich zum Vervielfältigungsrecht nun ausdrücklich auch das Recht der Verbreitung und Zugänglichmachung. Eine solche Auslegung von Absatz 1 drängt sich de facto bereits heute auf. Es erscheint unabdingbar, dass ein gemäss der gesetzlichen Beschränkung vervielfältigtes Werk in einer zugänglichen Form an die begünstigten Personen verbreitet oder ihnen
zugänglich gemacht werden kann, damit sie tatsächlich Zugang dazu erhalten. Dieser pragmatische Ansatz zielt im Übrigen in die gleiche Richtung wie die Rechtsprechung des Bundesgerichts in Bezug auf die Tragweite der Beschränkung des Vervielfältigungsrechts zum Eigengebrauch113.

Artikel 24c URG schreibt keine spezifische Form vor, in der ein veröffentlichtes Werk vervielfältigt werden darf, um es den begünstigten Personen zugänglich zu machen. Die Schranke erstreckt sich somit auf jede Form der Vervielfältigung, 108 109

110 111 112 113

Vgl. Gemeinsamer Tarif 10 (2013­2017), Ziff. 2.

Vgl. Botschaft vom 10. März 2006 zum Bundesbeschluss über die Genehmigung von zwei Abkommen der Weltorganisation für geistiges Eigentum und zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes, BBl 2006 3389, hier 3432­3433.

SR 151.3 Vgl. Art. 1 Abs. 1 BehiG.

Vertrag von Marrakesch, letzte Erwägung der Präambel.

Vgl. BGE 133 III 473, E. 3.1. Das Bundesgericht vertrat die Auffassung, dass die Beschränkung des Vervielfältigungsrechts nach Art. 19 Abs. 1 Bst. c URG nicht nur die Vervielfältigung, sondern auch die Verbreitung im Unternehmen erlaubt.

669

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ungeachtet des verwendeten Trägers, sofern das so hergestellte Werkexemplar für die begünstigte Person zugänglich ist.114 Diese Bestimmung ist folglich so auszulegen, dass bestimmte Beeinträchtigungen der Werkintegrität (durch Art. 11 Abs. 1 URG garantiert) stillschweigend gestattet sind, soweit sie für die Herstellung der Werkexemplare in einer für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Form notwendig sind. Neben den technischen Änderungen im Zusammenhang mit dem Träger («format shifting»), wie z. B. der Umwandlung eines schriftlichen Texts auf Papier in eine Blindenschriftversion, der Änderung des Layouts oder der Veränderung von Farbkontrasten, erlaubt die Beschränkung auch andere Veränderungen am Werk, wie die Untertitelung oder Audiodeskription von Filmen.

Die Form des nach Artikel 24c URG herzustellenden Werkexemplars ist mit Rücksicht auf die Behinderung der Person zu wählen, für die es bestimmt ist. Folglich ermöglicht diese Schranke beispielsweise die Vervielfältigung eines in Buchform veröffentlichten Sprachwerks in Blindenschrift, um es einer sehbehinderten Person zugänglich zu machen. Wenn diese Person die Blindenschrift nicht beherrscht, ist dieses Format für sie nicht zugänglich. Deshalb muss in diesem Fall ein anderes Format (z. B. ein Buch mit grossen Druckbuchstaben, ein E-Book oder ein Hörbuch) gewählt werden. Dialoge und sonstige Tonelemente von Filmen können beispielsweise auch mit Untertiteln wiedergegeben werden, um das Werk für Hörbehinderte wahrnehmbar zu machen. Bei Sehbehinderten kann die Technik der Audiodeskription genutzt werden.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

3.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Das IGE ist eine ausgelagerte Einheit des Bundes. Als solche führt das Institut eine eigene Rechnung und finanziert seine Aufwände vollständig über Schutzrechtsgebühren. Die Aufsicht über die neu geschaffenen erweiterten Kollektivlizenzen hat eine minimale Erweiterung der Aufgaben des IGE zur Folge. Sie verursacht jedoch maximal zehn zusätzliche Arbeitsstunden pro Jahr. Diese können vollumfänglich mit den bestehenden Ressourcen bewältigt werden. Mit der Revision entstehen dem Bund demnach keine finanziellen Kosten.

3.1.2

Personelle Auswirkungen

Die Gesetzesrevision hat keine personellen Konsequenzen für den Bund. Der Mehraufwand für die Aufsicht über die neu geschaffenen erweiterten Kollektivlizenzen wird mit den bestehenden Personalressourcen des IGE abgedeckt werden.

114

670

Der gemeinsame Tarif 10 (2013­2017) nennt in Ziff. 1.2 Tonträger, Tonbildträger und Blindenschriftträger sowie Werke in digitaler Form.

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3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Auf die Kantone und Gemeinden hat die Gesetzesrevision keine direkten personellen oder finanziellen Konsequenzen.

Um Online-Piraterie im Internet ahnden zu können, ist es nötig, bei mutmasslichen Urheberrechtsverletzungen Daten zu bearbeiten. Die rechtliche Ausgangslage dazu ist heute unklar und unbefriedigend (siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 77i in Kapitel 2.1). Mit der Revision wird Rechtssicherheit geschaffen. Es ist deshalb möglich, dass von Geschädigten der Rechtsweg bei Urheberrechtsverletzungen wieder öfter beschritten wird. Dies kann für Staatsanwaltschaften gegenüber dem «StatusQuo» einen gewissen Mehraufwand bedeuten (siehe dazu Abschnitt 3.3.3.1).

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

3.3.1

Notwendigkeit und Möglichkeit staatlichen Handelns

Das Urheberrecht schafft staatlich garantierte Eigentumsrechte an kulturellen Werken. Das ist eine notwendige, allerdings noch keine hinreichende Bedingung für ein gesellschaftlich optimales Angebot an kulturellen Werken. Eigentumsrechte müssen zusätzlich auch durchsetzbar sein. Das Urheberrecht wird daher kontinuierlich weiterentwickelt und neuen technologischen Möglichkeiten angepasst.

Insbesondere seit das Internet aufgekommen ist, ist es für die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber zunehmend schwieriger geworden, ihre Eigentumsrechte durchzusetzen. Sind ihre Rechte nicht glaubwürdig durchsetzbar, können längerfristig auch die positiven Urheberrechtsanreize wegfallen. Der Staat muss daher die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Eigentumsrechte garantiert sind.

Ein effizienter Markteingriff des Staates in den Kulturgütermarkt maximiert die positive Anreizwirkung auf Kunstschaffende und minimiert zugleich die negativen Preisverzerrungen und Transaktionskosteneffekte für die Gesamtgesellschaft. Insbesondere zwei Kategorien von Massnahmen können diese beiden unerwünschten Nebenwirkungen korrigieren: ­

Schranken: Grundsätzlich verbietet das Urheberrecht, fremde Werke zu verwenden. Unter gewissen Voraussetzungen muss dies jedoch trotzdem möglich sein. Denn ohne entsprechende Schranken für gewisse Handlungen würde die Produktion zusätzlicher Werke zu stark eingeschränkt. So sind beispielsweise das Zitatrecht (vgl. Art. 25 URG) und die Schranke des Eigengebrauchs (vgl. Art. 19 URG) Voraussetzungen für das Verfassen wissenschaftlicher Artikel. Schranken sind zudem dort sinnvoll, wo das Urheberrecht zu unverhältnismässig hohen Transaktionskosten führen würde, wie z. B. beim Einsatz von Werken in Bildungsinstitutionen; müsste für jedes Kopieren eines Arbeitsblatts aus einem Lehrbuch eine Lizenz erworben werden, wären die Transaktionskosten unverhältnismässig hoch. Die Nutzung der entsprechenden Werke würde verunmöglicht.

671

BBl 2018

­

Kollektive Verwertung: Es gibt Situationen, in denen es zwar theoretisch möglich, aber ökonomisch unsinnig wäre, für jede Nutzung eines Werks individuell eine Lizenz auszuhandeln. In diesen Fällen ist es sinnvoll, Werke kollektiv zu verwerten. Im Jahre 2015 erzielten die Schweizer Verwertungsgesellschaften Gesamteinnahmen aus der Verwertung von Rechten in der Höhe von über 300 Mio. CHF115 Kollektive Verwertung kommt zudem dann zum Einsatz, wenn die individuelle Durchsetzung des Urheberrechts aus praktischen Gründen nicht möglich ist.116

3.3.2

Auswirkungen auf einzelne gesellschaftliche Gruppen

Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber Die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber profitieren von der Abgeltung für verwaiste Werke, von der auf Schauspielerinnen und Schauspieler ausgedehnten Videoon-Demand-Vergütung, von der erweiterten Kollektivlizenz sowie von der von 50 auf 70 Jahre angehobenen Schutzfrist für verwandte Schutzrechte. Zudem werden Fotografien ohne individuellen Charakter neu den geschützten Werken gleichgestellt. Es ist zu erwarten, dass durch diese Massnahmen den Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhabern zusätzliche Mittel zufliessen. Des Weiteren versprechen sich die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber bessere Verwertungsmöglichkeiten dank der effizienteren Bekämpfung der Internetpiraterie (vgl. Ziff. 3.3.3.1). Das kann zu höheren Einnahmen für Kunstschaffende beitragen.

Für die Verwertungsgesellschaften wird die Revision insgesamt keinen nennenswert anderen Ressourcenaufwand zur Folge haben. Sie profitieren von Effizienzsteigerungen dank der vereinfachten Datenverarbeitung (vgl. Ziff. 3.3.3.2).

Hosting-Provider Es besteht bereits eine Selbstregulierung der Branche. Für Hosting-Provider, deren technische Funktionsweise oder deren Geschäftsmodell eine besondere Gefahr von Urheberrechtsverletzungen schafft, entstehen mit der Revision weitergehende Pflichten. Nur wenige Anbieterinnen und Anbieter von Internetdiensten schaffen eine besondere Gefahr und spüren einen gewissen Mehraufwand.117

115

Vgl. www.swisscopyright.ch > Einnahmen und Verteilung > Geldflüsse > Marktentwicklung.

116 So z. B. als Ausgleich für die entgangenen Einnahmen der Urheberinnen und Urheber aufgrund der Schranke des Eigengebrauchs.

117 Die Branche steht der bestehenden Selbstregulierung positiv gegenüber. Zudem sind «Notices» aufgrund von Urheberrechtsverletzungen bereits rückläufig; vgl. dazu die simsa CoC-Umfrage (2015), simsa.ch > http://simsa.ch/_Resources/Persistent/2be6be4bbea4d7d7ee569211184b0631b499ab71/ Auswertung-Umfrage-CCH-2016.pdf (Stand: 14.07.2017).

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Konsumentinnen und Konsumenten Konsumentinnen und Konsumenten sind an einem möglichst grossen Kulturangebot zu fairen Preisen interessiert. Die Revision trägt dazu bei, dass auch in Zukunft genügend Anreize für kreative Schöpfungen existieren, was das bestehende Angebotsniveau an kulturellen Werken sichert.

Für Bibliotheken wird es künftig möglich sein, ihren Kundinnen und Kunden Titelseiten und Inhaltsverzeichnisse in Datenbanken zu präsentieren. Ausserdem dürften sich für die Konsumentinnen und Konsumenten Vorteile aus der Nutzung verwaister Werke ergeben. Da diese Schranke ausgeweitet wird, ist von einer grösseren Verfügbarkeit urheberrechtlich geschützter Werke auszugehen. Dasselbe gilt für die erweiterten Kollektivlizenzen. Schliesslich erhält die Wissenschaft die Möglichkeit, grosse Textbestände technisch zu analysieren, auch wenn diese noch urheberrechtlich geschützt sind. Demgegenüber führt die bessere Position der Interpretinnen und Interpreten im Rahmen der Video-on-Demand-Vergütung für die Konsumentinnen und Konsumenten zu geringen Zusatzkosten, falls die Anbieterinnen und Anbieter solcher Dienstleistungen die Vergütung auf sie abwälzen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass dieser Fall eintritt. Dasselbe gilt für die um 20 Jahre verlängerte Schutzfrist verwandter Schutzrechte (vgl. Ziff. 3.3.3).

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Der allergrösste Teil der am Kulturgütermarkt beteiligten Akteure sind KMU. Je nach Rolle (Rechtsinhaberin oder Rechtsinhaber bzw. Nutzerin oder Nutzer) sind sie unterschiedlich von den Änderungen betroffen. Es ist davon auszugehen, dass die Auswirkungen der Revision auf die KMU als Ganzes insgesamt gering sein werden.

3.3.3

Beurteilung einzelner konkreter Massnahmen

3.3.3.1

Internetpiraterie bekämpfen

«Stay-down» bei Hosting-Providern Die «Stay-down»-Regeln sind ein Instrument, um Piraterieangeboten den Zugang zur Schweizer Internet-Infrastruktur zu erschweren. Für Hosting-Provider, die eine erhebliche Gefahr von Urheberrechtsverletzungen schaffen, kann es einen gewissen Mehraufwand bedeuten, die «Stay-down»-Regeln durchzusetzen. Künftig müssen sie sicherstellen, dass einmal entfernte urheberrechtsverletzende Inhalte auch entfernt bleiben. Brancheninsiderinnen und Brancheninsider schätzen für die wenigen betroffenen Anbieterinnen und Anbieter (ca. fünf) einen Personalaufwand von jeweils bis zu 15 Vollzeitäquivalenten. Der Zusatzaufwand der Branche als Ganzes ist entsprechend gering. Als Nutzen ist zu erwarten, dass dank dieser neuen Regelung die Reputation der Schweiz im Kulturgütermarkt steigt118 und sich die Piraterie in den Bereichen Musik und Film reduziert.

118

So wurde die Schweiz z. B. im sog. Special-301-Report des US Trade Representative in den letzten beiden Jahren als ungenügend eingestuft, https://ustr.gov > Issue Areas > Intellectual Property > Special 301.

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Datenbearbeitung bei Urheberrechtsverletzungen Mit dem digitalen Zeitalter ist es für die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber zunehmend schwieriger geworden, ihre Rechte geltend zu machen, weshalb die Revision eine entsprechende gesetzliche Grundlage schafft. Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag, um zwei zentrale Probleme zu entschärfen: Erstens haben eine unklare Rechtslage und hohe Administrativkosten Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber davon abgehalten, ihre Rechte konsequent durchzusetzen. Zweitens entstehen negative Anreize, wenn Eigentumsrechte ungenügend durchsetzbar sind. Die neuen Regeln schaffen also Rechtssicherheit und Anreize zu kreativem Schaffen.

Beides trägt zu einem gut funktionierenden Kulturgütermarkt bei. Die derzeitige, rechtliche Situation ist unbefriedigend. Für Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber wird es künftig wieder einfacher, den Rechtsweg zu beschreiten (siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 77i in Kapitel 2.1). Daher ist es möglich, dass es im Vergleich zur derzeit unbefriedigenden Situation anfänglich zu einer gewissen Zunahme von Rechtsfällen und damit verbundenem Aufwand kommt. Mehr Rechtsfälle dürften zugleich eine gewisse Signalwirkung entfalten. Daher ist zu erwarten, dass sich der Aufwand mittelfristig wieder normalisiert.

3.3.3.2

Die kollektive Verwertung optimieren

Elektronische Nutzermeldungen Soweit es ihnen zuzumuten ist, müssen Nutzerinnen und Nutzer den Verwertungsgesellschaften künftig Auskünfte in einer Form erteilen, die dem heutigen Stand der Technik entspricht. So sollen die Verwertungsgesellschaften mittels automatischer Datenverarbeitung ihre Verwaltungskosten senken können, was schliesslich zu höheren Zahlungen der Verwertungsgesellschaften an die Urheberinnen und Urheber führt. Im Kulturgütermarkt reduzieren die neuen Vorgaben die Transaktionskosten und fördern so die Effizienz. Auf Seiten einzelner Werknutzerinnen und Werknutzer können Kosten auftreten, wenn Softwareanpassungen nötig sind. Wie die Daten zu übermitteln sind, wird zwischen Nutzerinnen und Nutzer sowie den Verwertungsgesellschaften partnerschaftlich vereinbart. Zudem besteht die Verpflichtung nur, soweit sie für Nutzerinnen und Nutzer zumutbar ist. Somit ist sichergestellt, dass es nicht zu unverhältnismässigen Aufwand kommt.

Zeugeneinvernahme und Straffung des Instanzenzugs beim Tarifgenehmigungsverfahren Die ESchK genehmigt die von den Verwertungsgesellschaften vorgelegten Tarife.

Die Bestimmung der volkswirtschaftlich optimalen Tarifhöhe ist anspruchsvoll. Um verzerrende Tarife zu vermeiden, werden möglichst exakte Informationen benötigt.

Zukünftig soll es der ESchK daher möglich sein, bei Tarifgenehmigungsverfahren Zeuginnen und Zeugen einzuvernehmen. Ausserdem sind in Absprache mit den Betroffenen verschiedene Massnahmen vorgesehen, die das Tarifgenehmigungsverfahren effizienter gestalten. Auch diese Massnahmen senken Transaktionskosten im Kulturgütermarkt und fördern damit die volkswirtschaftliche Effizienz des Urheberrechts.

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3.3.3.3

Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit schaffen

Verwaiste Werke Verwaiste Werke zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Urheberinnen oder Urheber nicht mehr (oder nicht mit vertretbarem Aufwand) ermittelt oder aufgefunden werden können. Dadurch ist auch ungewiss, ob diese Werke noch urheberrechtlich geschützt sind. Ein Beispiel dafür sind Fotografien, die aus dem Nachlass bedeutender Persönlichkeiten stammen (siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 22b in Kapitel 2.1). Bisher war die Nutzung verwaister Werke mit entsprechender Abgeltung über die kollektive Verwertung nur für auf Ton- oder Tonbildträgern festgehaltenen Werken möglich. Wer solche Werke nutzen wollte, konnte dies gegen eine im entsprechenden Tarif festgelegte Vergütung an die zuständige Verwertungsgesellschaft tun. Dieses Instrument wurde jedoch nur in geringem Ausmass genutzt. Im Jahre 2015 wurden damit Einnahmen in der Höhe von CHF 4000 erzielt.119 Die Revision erweitert die Schranke nun auf alle Werke (insbesondere auch Bücher). Für die Nutzerinnen und Nutzer schafft die Revision damit Rechtssicherheit. Sie können neu sämtliche verwaisten Werke verbreiten, ohne dem Risiko einer nachträglichen Klage ausgesetzt zu sein. Das reduziert die Unsicherheit im Kulturgütermarkt und hat Effizienzgewinne zur Folge.

Studien schätzen den Anteil verwaister Werke in Archiven auf 20­30 Prozent der Bestände. Bei manchen Werkkategorien, wie z. B. bei archivierten Fotografien, kann dieser Anteil bis zu 90 Prozent betragen.120 Diese Zahl dürfte für die Schweiz in einer ähnlichen Grössenordnung liegen.121 Insgesamt stellten die Schweizer Bibliotheken 2016 rund 57 Millionen Medien zur Verfügung. Das würde bedeuten, von rund 11­17 Millionen Medien in Schweizer Bibliotheken wäre die Autorin oder der Autor mit einem vernünftigen Aufwand für die Nutzerin oder den Nutzer nicht mehr eruierbar. Urheberinnen und Urheber profitieren von zusätzlichen Einnahmen durch die neue Kollektivvergütung. Die zusätzlichen Einnahmen dürften sich jedoch auf einem kleinen Niveau bewegen. Die Einführung dieser Schranke in Grossbritannien im Jahr 2014 hat zwar den Zugang zu 91 Millionen Werken geschaffen.122 Bis im 119

Vgl. Jahresbericht Swissperform 2016, S. 22; www.swissperform.ch > Service > SWSSPERFORM Jahresbericht 2015.

120 Vgl. z. B. Intellectual Property Office, impact assessment (final), Orphan works (2012): webarchive.nationalarchives.gov.uk/20140603102744/http://www.ipo.gov.uk/consult-iabis1063-20120702.pdf, (Stand 18.09.2017) oder Korn, Naomi, In from the Cold.

An Assessment of the scope of `Orphan Works' and its impact on the delivery of services to the public, JISC, 2009 sowie: Samuelson, Pamela / Urban, Jennifer M. / Hansen, David R. / Hashimoto, Kathryn / Hinze, Gwen, Solving the Orphan Works Problem for the United States, 37 Colum. J.L. & Arts 1 (2013), S. 6. Die British Library geht sogar davon aus, dass 40 Prozent ihrer urheberrechtlich geschützten Werke verwaist sind (vgl. The Economist vom 2. Mai 2013, «Orphan works: No longer limbo»; www.economist.com/blogs/babbage/2013/05/orphan-works (Stand: 14.07.2017).

Weitere Schätzungen sind z. B. vorhanden in United States Copyright Office, Orphan works and mass digitalization, 2015, www.copyright.gov > More Policy > Orphan Works and Mass Digitization > Orphan Works and Mass Digitization: A Report of the Register of Copyrights.

121 www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > 16 ­ Kultur, Medien, Informationsgesellschaft, Sport > Kultur > Bibliotheken 122 Vgl. www.gov.uk > Announcements > UK opens access to 91 million orphan works.

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April 2017 sind allerdings erst 461 Gesuche zur Nutzung solcher Werke eingegangen.123 Erweiterte Kollektivlizenz Wenn jemand eine Vielzahl von möglicherweise urheberrechtlich geschützten Werken nutzen möchte (z. B. beim Erstellen eines Sammelbandes aus einer nicht dokumentierten Fotosammlung), dann besteht ein Problem: Mit vertretbarem Aufwand ist es kaum möglich, alle Urheberrechtsaspekte abzuklären und sich so gegen allfällige Klagen zu schützen. Die erweiterten Kollektivlizenzen beheben dieses Problem.

Gegen eine zwischen den Nutzerinnen und Nutzern und den Verwertungsgesellschaften frei auszuhandelnde Vergütung kann man sich gewissermassen gegen das Risiko versichern, eine Urheberrechtsverletzung zu begehen. Allfällige urheberrechtliche Ansprüche können mit dieser einmaligen Vergütung abgegolten werden.

Das baut Unsicherheiten im Kulturgütermarkt ab und erhöht dadurch die Effizienz.

Die erweiterten Kollektivlizenzen sind freiwillig. Daher ist auch davon auszugehen, dass sie zu keinen ungewollten Kosten führen werden. Die Verwertungsgesellschaften teilen die Einnahmen aus den Kollektivlizenzen unter den Urheberinnen und Urhebern auf. Ihnen werden so neue Einnahmen zufliessen.

Rechte an Fotografien ohne individuellen Charakter Fotografien, die nicht individuell sind und somit keinen Urheberrechtsschutz geniessen, können dennoch über einen wirtschaftlichen Wert verfügen. Ein Beispiel dafür ist die Fotografie von Wachmann Meili (siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 2 in Kapitel 2.1). Generell können Fotografien, die kulturell oder geschichtlich wichtige Momente festhalten, einen erheblichen Wert haben. Allerdings ist die Nutzung solcher Fotografien heute entschädigungslos möglich. Es ist allenfalls ein Geschäftsgebrauch, dass die Nutzerinnen und Nutzer auch in diesen Fällen eine bilateral vereinbarte Vergütung an die Fotografinnen und Fotografen leisten. Zukünftig werden solche Fotografien nun wie Werke im URG geschützt. Die Revision institutionalisiert so die heutige Branchenpraxis. Wer die entsprechenden Fotografien nutzen bzw. weiterverbreiten möchte, wird wie bei urheberrechtlich geschützten Werken dazu verpflichtet, in der Regel gegen Bezahlung einer Vergütung, die Erlaubnis der Inhaberin oder des Inhabers einzuholen. Die Revision schafft damit Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit.
Video-on-Demand-Vergütung In der Schweiz ist es Branchenpraxis, dass den Filmurheberinnen und Filmurhebern ein Vergütungsanspruch im On-Demand-Segment zusteht. Dieser wird von den Betreiberinnen und Betreibern von Online-Plattformen an die Verwertungsgesellschaften geleistet. Diese Branchenpraxis wird nun gesetzlich institutionalisiert und soll zusätzlich auch für Schauspielerinnen und Schauspieler gelten. Die neuen Regeln

123

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Vgl. das «orphan works register» des Britischen IP-Office, www.orphanworkslicensing.service.gov.uk/view-register/ (Stand: 14.07.2017).

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schaffen so auch hier Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit in einem stark expandierenden Bereich des Kulturgütermarkts.124 Es wird damit eine neue gesetzliche Vergütung geschaffen. Weil die Vergütung neu auch für Schauspielerinnen und Schauspieler gelten soll, werden für die Nutzerinnen und Nutzer zusätzliche Kosten entstehen, die sie in ihren Preiskalkulationen berücksichtigen. Je nach Marktmacht werden die Produzentinnen und Produzenten bzw.

die On-Demand-Filmanbieterinnen und On-Demand-Filmanbieter diese Mehrkosten selbst zu tragen haben. Möglich ist aber auch, dass sie diese über ihre Produktpreise zumindest teilweise an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergeben. Sollten die Konsumentinnen und Konsumenten stärker belastet werden, wird das ihre Nachfrage beeinflussen. Wenn die Nachfrage sinkt, entsteht der Gesamtwirtschaft ein Wohlstandsverlust. Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber würden dann aufgrund der geringeren Nachfrage nur unterproportional von der neuen Vergütung profitieren. Es ist allerdings zu bedenken, dass die neuen Regeln nur für ein kleines Teilsegment des Video-on-Demand-Markts gelten (siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 13a und 35a in Kapitel 2.1).

Schutzdauer verwandter Schutzrechte Die Schutzfrist von Darbietungen ausübender Künstlerinnen und Künstler sowie von Ton- und Tonbildträgern verlängert sich wie bereits erwähnt von 50 auf 70 Jahre.

Das bedeutet, dass den Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhabern von verwandten Schutzrechten 20 Jahre länger eine Vergütung zusteht.125 Die für die Verwertung von verwandten Schutzrechten zuständige Verwertungsgesellschaft Swissperform wies gemäss Jahresbericht 2015 Gesamttarifeinnahmen von 51,6 Mio. CHFaus. Im Vergleich zu den gesamten Tarifeinnahmen aller Verwertungsgesellschaften von über 300 Mio. CHF dürfte die monetäre Auswirkung dieser Verlängerung daher überschaubar bleiben. Analog den Ausführungen zur Video-on-Demand-Vergütung bedeutet eine Verlängerung der Schutzdauer für die Nutzerinnen und Nutzer zusätzliche Kosten. Diese fliessen in die Preiskalkulationen mit ein und können für die Konsumentinnen und Konsumenten zumindest teilweise zu einer geringen Mehrbelastung führen.

3.3.3.4

Anreize setzen

Wissenschaftsschranke Es ist nicht möglich, diese Schranke monetär zu bewerten. Die Folgen für die Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber dürften jedoch gering sein. Zwar kann die 124

Vgl. Pwc, Media Trend Outlook ­ Video-on-Demand: Der digitale Wandel revolutioniert die Home-Entertainment-Branche, 2015. PWC schätzt für den VoD-Markt in Deutschland ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 23 % bis 2019 und erwartet, dass VoD dann etwa ein Drittel des gesamten Home-Entertainment-Marktes ausmachen wird; www.pwc.de > Branchen & Märkte > Technologie, Medien und Telekommunikation > Alle Studien und Broschüren zum Bestellen und Herunterladen > Media Trend Outlook ­ Video-on-Demand: Der digitale Wandel revolutioniert die Home-Entertainment-Branche.

125 Vgl. www.swisscopyright.ch > Einnahmen und Verteilung > Geldflüsse > Marktentwicklung.

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Schranke einzelne Verkäufe überflüssig machen, doch führt die Verwendung für die wissenschaftliche Forschung aufgrund der dort geltenden Referenzpflicht zu erhöhter Reputation für die verwendeten Werke. Die normale Nutzung der Werke und die dafür zu erzielenden Einnahmen sind von der Wissenschaftsschranke nicht tangiert.

So können z. B. Bücher dank der Wissenschaftsschranke zukünftig mit «Text- und Data-Mining» systematisch analysiert werden (siehe dazu die Erläuterungen zu Art. 24d in Kapitel 2.1). Durch die neue Schranke gewinnt der Wissenschaftsstandort Schweiz an Attraktivität. Das gilt zumindest für die Natur- und insbesondere auch für die Sozialwissenschaften.126 Da sie Anreize für Forschungstätigkeiten setzt, stärkt die Wissenschaftsschranke auch den Wirtschaftsstandort Schweiz.

Verzeichnisprivileg Das Verzeichnisprivileg ermöglicht den Bibliotheken, Titelseiten und Inhaltsverzeichnisse von urheberrechtlich geschützten Werken in ihre Datenbanken aufzunehmen, was zu einem Mehrwert für die Nutzerinnen und Nutzer der Bibliothekskataloge führt.

3.3.3.5

Internationale Abkommen

Die Umsetzung der internationalen Verträge von Marrakesch und Peking hat keine finanziellen Auswirkungen. Die verhandelten Grundsätze und Regeln sind in der Schweiz bereits gesetzliche Realität.

3.3.4

Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft

Eine nationale Statistik, die den Kulturgütermarkt als Ganzes erfasst, existiert nicht.

Eine vom Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) und von der Europäischen Patentorganisation (EPO) gemeinsam durchgeführte Studie gibt jedoch einige Hinweise zur ökonomischen Relevanz des Urheberrechts. Gemäss dieser Studie haben Wirtschaftsbranchen, die vom Urheberrecht überdurchschnittlich stark Gebrauch machen, in der EU rund 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet.127 Diese Wertschöpfung steht nicht in kausalem Zusammenhang mit dem Urheberrecht. Sie wird nur von Branchen erwirtschaftet, die das Urheberrecht im Quervergleich überdurchschnittlich stark nutzen. Wenn man für die Schweiz von einer vergleichbaren Grössenordnung ausgeht, würde dies gemäss aktuellsten Zahlen für das Jahr 2015 ca. 40 Mrd. CHF entsprechen.128 126

Vgl. z. B. den Artikel «Geist unter Strom. und die Geisteswissenschaften» in der NZZ vom 20. Juli 2015, S. 35.

127 Vgl. Euipo / Epo, Intellectual property rights intensive industries and economic performance in the European Union, 2016; https://euipo.europa.eu/tunnel-web/secure/ webdav/guest/document_library/observatory/documents/ IPContributionStudy/performance_in_the_European_Union/performance_in_the_ European_Union_full.pdf (Stand: 14.07.2017).

128 BIP-Zahlen gemäss provisorischen Berechnungen des Bundesamtes für Statistik, www.bfs.admin.ch > Statistiken > Volkswirtschaft > Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung > Bruttoinlandsprodukt.

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Die geschätzten Umsätze und die künftige Entwicklung einiger Teilmärkte des Schweizer Kulturgütermarktes können dem Swiss Entertainment and Media Outlook 2016­2020 entnommen werden. Für den Musikmarkt mit einem Volumen von 757 Mio. CHF (2015) prognostiziert die Studie bis 2020 ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 0,9 Prozent. Beim Filmmarkt mit einem Umsatz von 598 Mio.

CHF im Jahr 2015 geht sie von einem jährlichen Rückgang von durchschnittlich 0,6 Prozent für denselben Zeitraum aus.

Auf diese Zahlen werden die vorgeschlagenen Änderungen keinen nachweisbaren Einfluss haben. Das liegt daran, dass die Änderungen grösstenteils sehr spezifisch sind und relativ kleine Teilmärkte beeinflussen. Dennoch tragen sie zu einem besseren Funktionieren der jeweiligen Märkte bei.

Insgesamt stellen die vorgeschlagenen Änderungen eine ausbalancierte Anpassung des Urheberrechts an die neusten technischen Entwicklungen dar. Die Revision erleichtert die Bekämpfung von Trittbrettfahrern im digitalen Zeitalter, optimiert die kollektive Verwertung und garantiert eine höhere Rechtssicherheit. Sie schafft Anreize für kulturelles Schaffen und bringt Verbesserungen für den Wissenschaftsstandort Schweiz.

3.4

Alternative Regelungen

Die Alternative wäre das Modell einer kollektiven Verwertung von Urheberrechten im Internet über einen Pauschaltarif, die sogenannte Kulturflatrate. Sie würde eine radikale Abkehr von der aktuellen Urheberrechtspraxis bedeuten. Heute bestehen keinerlei Erfahrungen zu den Auswirkungen einer entsprechenden Neuregelung.

Eine solch grundlegende Änderung der urheberrechtlichen Rahmenbedingungen käme daher einem Experiment mit ungewissen ökonomischen und sozialen Folgen gleich.129 Ausserdem würde sie die Kündigung einer ganzen Reihe von Abkommen aus dem Bereich des Immaterialgüterrechts notwendig machen. Zum heutigen Zeitpunkt ist eine Kulturflatrate daher keine gangbare Alternative zum vorliegenden Vorschlag des Bundesrates.

Daneben besteht auch die Möglichkeit, die Situation beim «Status quo» zu belassen.

Das im Dezember 2015 eröffnete Vernehmlassungsverfahren hat jedoch gezeigt, dass Revisionsbedarf besteht. Auch aus ökonomischer Sicht erscheint die Modernisierung sinnvoll. Sie garantiert Rahmenbedingungen für eine bessere Durchsetzbarkeit des Urheberrechts. Dadurch kann sie dessen positive Anreizwirkung steigern.

Zugleich verbessert sie die kollektive Verwertung und reduziert damit Transaktionskosten. Den «Status quo» beizubehalten ist unter diesen Gesichtspunkten kein gangbarer Weg.

129

Es existieren vereinzelte Schätzungen zu allfälligen Auswirkungen einer solchen Reform.

Für eine aktuelle Übersicht siehe z. B. Handke, Christian, Urheberrechtsvergütung im digitalen Zeitalter ­ der internationale Forschungsstand, Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, 2016.

679

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3.5

Zweckmässigkeit im Vollzug

Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen basieren auf einem breit abgestützten Kompromiss aller betroffenen Stakeholder. Die beteiligten Spitzenverbände und Unternehmen haben sich an den Diskussionen rege beteiligt. Die vorgeschlagenen Änderungen sind dementsprechend nah an der Praxis (wie z. B. die Regelungen zur Bekämpfung der Piraterie). Solche Verhandlungslösungen stellen sicher, dass gesetzliche Regeln ausbalanciert sind. Das gilt im besonderen Mass für die Revision des URG.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

4.1

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Revision ist in der Legislaturplanung 2015­2019 enthalten und der Leitlinie 1, Ziel 2 («Die Schweiz sorgt für bestmögliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen im Inland und unterstützt so ihre Wettbewerbsfähigkeit.») zugeordnet.

4.2

Verhältnis zu Strategien des Bundesrates

Die bundesrätliche Strategie «Digitale Schweiz» vom April 2016130 enthält unter anderem das Ziel, den Zugang zu digitalen Inhalten zu verbessern. Dazu gehört, dass die Konsumentinnen und Konsumenten auf ihre gekauften Inhalte von überall mobil zugreifen können. Diesem Anspruch stehen Barrieren bei der grenzüberschreitenden Portabilität von urheberrechtlich geschützten Inhalten in Europa und der Welt gegenüber.131 In der EU wird ab dem 20. März 2018 die Verordnung 2017/1128/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 zur grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt gelten, welche die Portabilität der von über Online-Anbieter (wie Netflix, Spotify oder Amazon Prime) abonnierten Inhalten regelt.132 Grundsätzlich stellen sich für Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten ähnliche Fragen nach der Mitnahme von abonnierten Inhalten bei Auslandsaufenthalten. Da die Schweiz grenzüberschreitende Sachverhalte im Urheberrecht grundsätzlich nicht einseitig regeln kann, bedarf es vertiefter Abklärungen, ob und gegebenenfalls wie Barrieren für Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten bei Reisen ins Ausland verringert werden können. Daher sollen im Dialog mit der EU die Chancen des digitalen EU-Binnenmarktes für die Schweiz ausgelotet werden.133 Gegenwärtig wäre in der Schweiz ein gesetzgeberisches Eingreifen im Rahmen des Urheberrechtsverfrüht.

130 131 132

www.bakom.admin.ch > Strategie Digitale Schweiz > Strategie Fn. 133, Ziff. 4.2.3.

Verordnung 2017/1128/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 zur grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt, ABl. L 168 vom 30.06.2017, S 1.

133 Fn. 133, Ziff. 4.8.5.

680

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5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

5.1.1

Gesetzesvorlage zur Modernisierung des Urheberrechts

Die Vorlage stützt sich auf die Artikel 95 und 122 BV, die dem Bund die Gesetzgebungskompetenz verleihen über die Ausübung der privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und auf den Gebieten des Zivil- und Zivilprozessrechts.

5.1.2

Vertrag von Peking und Vertrag von Marrakesch

In Bezug auf die Genehmigung des Vertrags von Peking und die Genehmigung und Umsetzung des Vertrags von Marrakesch stützt sich der Entwurf auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes sind. Des Weiteren überträgt Artikel 184 Absatz 2 BV dem Bundesrat die Kompetenz, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Schliesslich überträgt Artikel 166 Absatz 2 BV der Bundesversammlung die Kompetenz, völkerrechtliche Verträge zu genehmigen; ausgenommen sind die Verträge, für deren Abschluss aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (siehe auch Artikel 24 Absatz 2 ParlG134 und Artikel 7a Absatz 1 RVOG135). Mit dieser Genehmigung sind die Voraussetzungen erfüllt, damit der Bundesrat die beiden WIPO-Verträge ratifizieren kann.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

5.2.1

Gesetzesvorlage zur Modernisierung des Urheberrechts

Die vorgeschlagenen Änderungen haben keine Auswirkungen auf internationale Verpflichtungen der Schweiz und sind folglich mit ihnen auch vereinbar.

5.2.2

Vertrag von Peking und Vertrag von Marrakesch

Die Verpflichtungen des Vertrags von Peking stehen im Einklang mit anderen, von der Schweiz eingegangenen internationalen Verpflichtungen. Ausserdem umfasst das Freihandelsabkommen vom 6. Juli 2013136 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Volksrepublik China ein Kapitel über den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum (Kapitel 11 und Anhang J). Artikel 11.3 Absatz 2 enthält eine «Best-Endeavour»-Klausel, nach der die Vertragsparteien alle erforderlichen 134 135 136

SR 171.10 SR 172.010 SR 0.946.292.492

681

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Schritte unternehmen, um den Vertrag von Peking zu ratifizieren oder ihm beizutreten. Das Freihandelsabkommen wurde von der Bundesversammlung am 20. März 2014 genehmigt137 und ist am 1. Juli 2014 in Kraft getreten. Mit der Ratifizierung des Vertrags von Peking erfüllt die Schweiz folglich auch diese Verpflichtung.

Die Verpflichtungen des Vertrags von Marrakesch stehen ebenfalls im Einklang mit anderen, von der Schweiz eingegangenen internationalen Verpflichtungen, insbesondere mit denjenigen im Rahmen der Berner Übereinkunft und des TRIPS-Abkommens. Der Vertrag enthält insbesondere ein Kriterium (Art. 11), das dem in Artikel 9 Absatz 2 der Berner Übereinkunft verankerten und in Artikel 13 des TRIPS-Abkommens übernommenen Drei-Stufen-Test für Urheberrechtsbeschränkungen entspricht.

5.3

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffern 1­3 BV unterstehen völkerrechtliche Verträge in folgenden Fällen dem Referendum: Wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), wenn sie den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3).

Sowohl der Vertrag von Peking als auch der Vertrag von Marrakesch können jederzeit gekündigt werden. Die Kündigung tritt ein Jahr nach Erhalt der Notifizierung durch den Generaldirektor der WIPO in Kraft (Art. 28 BTAP und Art. 20 des Vertrags von Marrakesch). Jeder Mitgliedstaat der WIPO kann Partei dieser Verträge werden (Art. 23 BTAP und Art. 15 des Vertrags von Marrakesch). Da die Schweiz seit dem 26. April 1970 Mitglied der WIPO ist, kann sie die beiden Verträge ratifizieren. Diese Ratifizierung bedeutet nicht den Beitritt zu einer internationalen Organisation. Folglich ist Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffern 1 und 2 BV nicht auf diese Verträge anwendbar.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstehen völkerrechtliche Verträge, die «wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen» erfordert, ebenfalls dem fakultativen Referendum. In Anlehnung an Artikel 22 Absatz 4 ParlG gilt eine Bestimmung eines Staatsvertrags dann als «rechtsetzend», wenn sie auf unmittelbar verbindliche und generell-abstrakte Weise Pflichten auferlegt, Rechte verleiht oder Zuständigkeiten festlegt. Unter wichtigen Bestimmungen sind solche zu verstehen, die gemäss Artikel 164 Absatz 1 BV im innerstaatlichen Recht in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen wären. Laut Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe c BV gehören die grundlegenden Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Personen zu dieser Kategorie.

Der Vertrag von Peking erweitert im Wesentlichen den Schutz des WPPT für die ausübenden Künstlerinnen und Künstler auf die Schauspielerinnen und Schauspieler.

Der schweizerische Gesetzgeber ging über die für die Umsetzung des WPPT im Schweizer Recht damals notwendigen Anforderungen hinaus und gewährte den Schauspielerinnen und Schauspielern und den ausübenden Künstlerinnen und Künstlern den gleichen Schutz. Somit wurde die auf internationaler Ebene herrschende 137

682

Vgl. Bundesbeschluss vom 20. März 2014 (AS 2014 1315).

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Ungleichbehandlung auf nationaler Ebene beseitigt. Die Ratifizierung des Vertrags von Peking erfordert keine Änderung des Schweizer Rechts. Er enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen; neben der Verpflichtung, Regelungen zu erlassen, enthält er auch Self-Executing-Bestimmungen, d. h. Bestimmungen, die unmittelbar anwendbar sind (z. B. Art. 5 und 10 BTAP). Folglich untersteht der Bundesbeschluss zur Genehmigung seiner Ratifizierung dem fakultativen Referendum.

Der Vertrag von Marrakesch enthält im Wesentlichen Pflichten für den Gesetzgeber der Vertragsparteien. Im Schweizer Urheberrecht gibt es bereits heute eine Schranke zugunsten von Menschen mit Behinderungen (vgl. Art. 24c URG). Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich u. a. auf Blinde sowie Seh- und Lesebehinderte. Obwohl diese Bestimmung die meisten Verpflichtungen des Vertrags abdeckt, ist eine Änderung für die Einfuhr von Werkexemplaren in einer zugänglichen Form nötig (vgl. Erläuterungen in Ziffer 1.5.2.2). Der Vertrag von Marrakesch enthält also Bestimmungen, deren Umsetzung der Form des Bundesgesetzes bedürfen. Ferner ist der Geltungsbereich der Schranke in Übereinstimmung mit dem Vertrag von Marrakesch genauer zu umschreiben. Daraus folgt, dass der Vertrag dazu wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthält. Entsprechend ist der Bundesbeschluss zur Genehmigung seiner Ratifizierung dem fakultativen Referendum zu unterstellen.

5.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Die Kriterien für ein qualifiziertes Mehr im Sinne von Artikel 159 Absatz 3 BV sind nicht erfüllt. Es ist keine Unterstellung unter die Ausgabenbremse erforderlich.

5.5

Datenschutz

Artikel 77i klärt den zulässigen Umfang der Datenbearbeitung zur Bekämpfung von Verletzungen des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte. Die Bestimmung lässt die Rechte und Pflichten des DSG unberührt.

Die Umsetzung des Vertrags von Peking und des Vertrags von Marrakesch hat keinerlei Auswirkungen in Sachen Datenschutz.

683

BBl 2018

Abkürzungsverzeichnis ABl.

Amtsblatt der Europäischen Union

AGUR12

Arbeitsgruppe zum Urheberrecht

AS

Amtliche Sammlung des Bundesrechts

BBl

Bundesblatt

BehiG

Behindertengleichstellungsgesetz vom 13. Dezember 2002; SR 151.3

BGA

Archivierungsgesetz vom 26. Juni 1998; SR 152.1

BGE

Bundesgerichtsentscheid

BGer

Schweizerisches Bundesgericht

BGH

Deutscher Bundesgerichtshof

BIP

Bruttoinlandprodukt

BJ

Bundesamt für Justiz

BK

Schweizerische Bundeskanzlei

BTAP

Vertrag von Peking vom 24. Juni 2012 über den Schutz von audiovisuellen Darbietungen (Beijing Treaty on Audiovisual Performances)

BÜPF

Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs; SR 780.1

BV

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999; SR 101

DSG

Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz; SR 235.1

Durchsetzungs-RL

Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums; ABl. L 157 vom 30.04.2004, S. 45

E-CommerceRichtlinie

Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt; ABl. L 178 vom 17.07.2000, S. 1

EDÖB

Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter

EJPD

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

EPO

Europäische Patentorganisation

ESchK

Eidgenössische Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten

EuGH

Europäischer Gerichtshof

684

BBl 2018

EUIPO

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum

E-URG

Entwurf zur Änderung des URG

Gazzetta

Gazzetta ProLitteris

GRUR Int.

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil (Zeitschrift)

IGE

Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum

IIC

International Review of Intellectual Property and Competition Law

IP

Intellectual property (Geistiges Eigentum)

IP-Adresse

Internet Protokoll-Adresse

IPRG

Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht; SR 291

ISBN

Internationale Standardbuchnummer (International Standard Book Number)

JISC

Britische gemeinnützige Organisation zur Förderung digitaler Technologien in Forschung und Lehre (Joint Information Systems Committee)

KMU

Kleine und mittlere Unternehmen

KVG

Krankenversicherungsgesetz vom 18. März 1994; SR 832.10

medialex

Zeitschrift für Medienrecht

ParlG

Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002; SR 171.10

ProLitteris

Schweizerische Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und bildende Kunst

PwC

PricewaterhouseCoopers

RBÜ

Berner Übereinkunft vom 24. Juli 1971 zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst; SR 0.231.15

Rom-Abkommen

Internationales Abkommen vom 26. Oktober 1961 über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen; SR 0.231.171

RVOG

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997; SR 172.010

SBV

Schweizerischer Blinden- und Sehbehindertenverband

SCCR

Ständiger Ausschuss für Urheberrecht und verwandte Schutzrechte der WIPO (Standing Committee on Copyright and Related Rights)

Simsa

Branchenverband der Schweizer Internet Dienstleister (Swiss Internet Industry Association) 685

BBl 2018

SR

Systematische Sammlung des Bundesrechts

StGB

Strafgesetzbuch; SR 311.0

StPO

Strafprozessordnung; SR 312.0

SUISA

Schweizer Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik (Suisse Auteurs)

Swissperform

Gesellschaft für Leistungsschutzrechte

ToG

Topographiengesetz vom 9. Oktober 1992; SR 231.2

TRIPS-Abkommen Abkommen vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation; SR 0.632.20 UFITA

Archiv für Urheber- und Medienrecht

URG

Urheberrechtsgesetz vom 9. Oktober 1992; SR 231.1

UrhG

Deutsches Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. September 1965

Urheberrechtsrichtlinie

Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft; ABl. L 167 vom 22.06.2001, S. 10

URV

Urheberrechtsverordnung vom 26. April 1993; SR 231.11

Vertrag von Marrakesch

Vertrag von Marrakesch vom 27. Juni 2013 über die Erleichterung des Zugangs zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen

Vertrag von Peking

Vertrag von Peking vom 24. Juni 2012 über den Schutz von audiovisuellen Darbietungen

VGG

Verwaltungsgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005; SR 173.32

VoD

Video-on-Demand

vPVR

virtual Personal Video Recorder

VStrR

Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht; SR 313.0

VwVG

Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968; SR 172.021

WAK

Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben

WBU

Weltblindenunion (World Blind Union)

WCT

WIPO-Urheberrechtsvertrag vom 20. Dezember 1996; SR 0.231.151

WIPO

Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization)

686

BBl 2018

WPPT

WIPO-Vertrag vom 20. Dezember 1996 über Darbietungen und Tonträger; SR 0.231.171.1

ZGB

Zivilgesetzbuch; SR 210

ZPO

Zivilprozessordnung; SR 272

687

BBl 2018

Glossar Access-Provider

Access-Provider sind Unternehmen, die ihren Kunden über ihre technische Infrastruktur den Zugang zum Internet und die elektronische Kommunikation (E-Mails) ermöglichen.

Acces-Provider werden auch Zugangsdienstleister genannt.

AGUR12

Die «Arbeitsgruppe zur Optimierung der kollektiven Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (AGUR12)» wurde am 8. August 2012 von Bundesrätin Sommaruga zur Überprüfung der aktuellen Urheberrechtssituation einberufen. Sie bestand aus Vertreterinnen und Vertretern der Kulturschaffenden, der Produzenten-, der Nutzer- und der Konsumentenseite sowie aus Vertreterinnen und Vertretern der Verwaltung.

BlockingMassnahmen

Durch Blocking-Massnahmen können Access-Provider den Zugang zu über das Internet angebotenen Inhalten sperren (Netzsperren). Sie werden vor allem bei rechtverletzenden Inhalten (z. B. Kinderpornografie) eingesetzt.

Cloud-Dienste

Cloud-Dienste sind Datenspeichermöglichkeiten, die es den Kunden und allenfalls auch Dritten ermöglichen, von überall über das Internet auf die dort abgespeicherten Daten zuzugreifen.

Code of Conduct Hosting

Der Code of Conduct Hosting ist eine Richtlinie des Branchenverbandes der Schweizer Internet-Dienstleister (Simsa) für den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten.

Erweiterte Kollektivlizenz

Die erweiterte Kollektivlizenz ist eine Nutzungserlaubnis durch zugelassene Verwertungsgesellschaften, welche die Nutzung einer Vielzahl von Werken in denjenigen Fällen erlaubt, in welchen die Einholung einzelner Lizenzen praktisch nicht möglich wäre. Von erweiterten Kollektivlizenzen sind zunächst grundsätzlich alle Rechtsinhaberinnen und Rechtsinhaber erfasst. Sie können der Verwertungsgesellschaft jedoch melden, wenn sie von einer erweiterten Kollektivlizenz nicht erfasst sein wollen (sog. Opting-out).

Gedächtnisinstitutionen

Der Begriff Gedächtnisinstitutionen ist ein Sammelbegriff für Institutionen, die Wissen bewahren und vermitteln. Hierzu zählen öffentliche oder öffentlich zugängliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen, Sammlungen und Archive.

Hosting-Provider

Hosting-Provider sind Betreiberinnen und Betreiber von Internet-Hosting-Diensten, die von Benützerinnen und Benützern eingegebene Informationen speichern.

688

BBl 2018

IP-Adresse

Die IP-Adresse (Internet Protocol oder Internetprotokoll) ist die Nummer, die jede Hardware (Computer, Router, Drucker) identifiziert, die an ein mit diesem Protokoll arbeitenden Netzwerk angeschlossen ist. Sie wird für die Zustellung von Daten an diese Adresse verwendet. Die IP-Adresse der Version 4, die derzeit am meisten verwendet wird, besteht aus vier durch Punkte getrennten Zahlen zwischen 0 und 255.

Die IP-Adresse der Version 6, die bereits eingesetzt werden kann, ist länger, was die Zahl der möglichen IP-Adressen bedeutend erhöht.

Internet-ServiceProvider

Internet-Service-Provider sind Internetdienstanbieter, d. h.

Anbieter von Online-Diensten, die den Zugang zum Internet oder seine Nutzung ermöglichen oder vereinfachen (indem sie z. B. Speicherkapazitäten zu Verfügung stellen oder Internetsuchen ermöglichen) oder auf einer technischen Infrastruktur eigene oder fremde Inhalte anbieten. Im Bericht des Bundesrates vom 9. Oktober 2013 «Rechtliche Basis für Social Media» werden in diesem Kontext folgende Akteure genannt: Inhaltsanbieter, Plattformbetreiber, Hosting-Provider, AccessProvider, Traditionelle (Massen-)Medien und andere Mediendienste und Suchmaschinen.

Lichtbildschutz

Lichtbildschutz ist der in Deutschland und Österreich verwendete Begriff für den Schutz von Fotografien ohne individuellen Charakter.

Link

Verknüpfung mit einer anderen Datei oder einer anderen Stelle in derselben Datei, die von der Benutzerin oder vom Benutzer, z. B. per Mausklick, aktiviert werden kann.

Notice

Mit Notice wird im «Code of Conduct Hosting» einerseits die Mitteilung eines Rechtsinhabers bezeichnet, wonach ein vom Kunden des Hosting-Providers öffentlich zugänglich gemachter Inhalt unzulässig sei und andererseits die Mitteilung des Hosting-Providers an den Kunden über den Zugang einer solchen Mitteilung eines Rechtsinhabers.

Peer-to-PeerNetzwerk (P2P)

Ein Peer-to-Peer-Netzwerk ist ein internetbasierter Verbund von gleichberechtigten Rechnern, die mittels eines Peer-to-Peer-Programms zusammenarbeiten. Jeder Rechner, der sich diesem Verbund angeschlossen hat, kann den anderen Rechnern Funktionen und Dienstleistungen anbieten und die jeweils angebotenen Funktionen und Dienstleistungen nutzen. P2P können für den unerlaubten Austausch von urheberrechtlich geschützten Inhalten verwendet werden.

689

BBl 2018

Server

Ein Server ist ein Computer (auch Hardware-Server genannt), der Computerfunktionalitäten wie Dienstprogramme, Daten oder andere Ressourcen bereitstellt, damit andere Computer oder Programme (sog. Clients) darauf zugreifen können, meist über ein Netzwerk.

Special-301Report

Der Special-301-Report ist ein jährlicher Bericht des US-Handelsbeauftragten über den weltweiten Schutz von Immaterialgüterrechten.

Stay-down

Stay-down bezeichnet die Pflicht von Hosting-Providern, die aufgrund ihrer technischen Funktionsweise oder ihres Geschäftsmodells eine besondere Gefahr für Urheberrechtsverletzungen schaffen ­ insbesondere, indem sie Piraterieseiten hosten ­, dafür zu sorgen, dass einmal auf Hinweis einer Rechtsinhaberin oder eines Rechtsinhabers beseitigte urheberrechtsverletzende Inhalte auch entfernt bleiben.

Streaming

Technik zur Übertragung von auf einem Server gespeicherten Daten (meist Videos oder Musik), die direkt und ohne Speichern bei der Endnutzerin oder beim Endbenutzer abrufbar sind.

Take-down

Take-down bezeichnet die Pflicht von Hosting-Providern, urheberrechtsverletzende Inhalte von ihren Servern zu entfernen. Das Take-down ist auch im privatrechtlichen Code of Conduct Hosting des Branchenverbandes Simsa vorgesehen.

Technologieneutral

Ein Gesetz ist technologieneutral, wenn es unabhängig von der eingesetzten Technologie Anwendung findet. Damit bleibt das entsprechende Gesetz auch im Zusammenhang mit neuen Technologien, die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens nicht bekannt waren, anwendbar.

Text- und Data-Mining

Mit Text- und Data-Mining wird ein Forschungsinstrument zur elektronischen Auswertung grosser Text- und Datenmengen bezeichnet. Durch den Einsatz verschiedener statistischer und mathematischer Verfahren lassen sich Querbezüge in grossen Text- und Datenmengen schnell identifizieren.

Verleihrecht

Mit Verleihrecht wird eine Vergütung für die Urheberinnen und Urheber für das Ausleihen ihrer Werke bezeichnet (z. B.

in einer Bibliothek). Hierdurch soll die durch das Verleihen entstehende intensivere Nutzung eines Werkexemplars abgegolten werden.

Verwaiste Werke

Werke, deren Rechtsinhaberinnen oder Rechtsinhaber unbekannt oder unauffindbar sind.

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BBl 2018

Verzeichnisprivileg

Hierbei handelt es sich um eine Urheberrechtsschranke, die es Gedächtnisinstituten, wie z. B. Bibliotheken und Museen, erlaubt, in ihren Bestandesverzeichnissen in einem eng umschriebenen Umfang Auszüge von Werken und weitere Informationen wiederzugeben, sofern und soweit dies der Erschliessung und Vermittlung ihrer Bestände dient.

Video-on-Demand- Mit Video-on-Demand-Vergütung wird ein nichtabtretbarer Vergütung Vergütungsanspruch für das Zugänglichmachen von Inhalten im Rahmen von Video-on-Demand-Angeboten für Filmurheberinnen und Filmurheber sowie Interpretinnen und Interpreten gegenüber den Onlineanbieterinnen und Onlineanbietern bezeichnet.

Watch-list

Die Watch-list ist Teil des Special-301-Reports. Es handelt sich dabei um eine Auflistung von Ländern, die aus Sicht der USA Defizite beim Schutz von Immaterialgüterrechten aufweisen.

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