18.079 Botschaft zur Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)» vom 7. November 2018

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

7. November 2018

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Die Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)» will Bund und Kantone verpflichten, für eine ausreichende, allen zugängliche Pflege von hoher Qualität zu sorgen und dazu insbesondere genügend diplomiertes Pflegefachpersonal auszubilden. Der Bundesrat lehnt es ab, einer spezifischen Berufsgruppe eine Sonderstellung in der Verfassung einzuräumen und ihr insbesondere die Berechtigung zur direkten Abrechnung von Leistungen zu erteilen. Er beantragt dem Parlament deshalb, die Initiative Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

Ausgangslage Die Pflege steht anerkanntermassen vor grossen zukünftigen Herausforderungen aufgrund der Zunahme der älteren Bevölkerung und dem drohenden Fachkräftemangel. Angesichts dieser Herausforderung reichte der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner nach einer rund 8-monatigen Sammelfrist am 7. November 2017 die Pflegeinitiative ein. Unmittelbarer Anlass der Initiative war die Ablehnung der parlamentarischen Initiative 11.418 «Gesetzliche Anerkennung der Verantwortung der Pflege» von Nationalrat Rudolf Joder durch das Parlament am 27. April 2016. Diese sollte ermöglichen, dass diplomierte Pflegefachkräfte als eigenständig abrechnende Leistungserbringer im Sinne der obligatorischen Krankenpflegeversicherung anerkannt werden. Mit der Ablehnung ist der Nationalrat der Argumentation des Bundesrates gefolgt, welcher trotz Verständnis für das Anliegen der parlamentarischen Initiative den Zugang einer zusätzlichen Berufsgruppe zur direkten Abrechnung zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ablehnte.

Inhalt der Vorlage Die Pflegeinitiative verlangt von Bund und Kantonen die Anerkennung des Pflegeberufs als wichtigen Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Sie will den Zugang aller zu einer ausreichenden Pflege von hoher Qualität gewährleisten. Deshalb sollen Bund und Kantone dafür sorgen, dass eine genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen zur Verfügung steht und dass alle in der Pflege Tätigen entsprechend ihrer Ausbildung und Kompetenzen eingesetzt werden. Die Initiative verpflichtet den Bund zudem die Leistungen festzulegen, die Pflegefachpersonen in eigener Verantwortung zulasten der Sozialversicherungen erbringen dürfen sowie Ausführungsbestimmungen
für eine angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen, anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung der in der Pflege tätigen Personen zu erlassen.

Vorzüge und Mängel der Initiative Das Ziel der Initiantinnen und Initianten, die Situation in der Pflege zu verbessern, unterstützt letztlich auch der Bundesrat. Deshalb hat er einen direkten Gegenentwurf, mit welchem die Pflege auf Verfassungsstufe verankert und gleichzeitig den

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Partikularinteressen einzelner Berufsgruppen entgegengewirkt werden könnte, eingehend geprüft. Der Bundesrat hat die Initiative dennoch ohne direkten Gegenentwurf abgelehnt. Mit dem bestehenden Artikel 117a BV sind Bund und Kantone denn auch bereits heute verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine ausreichende, allen zugängliche medizinische Grundversorgung von hoher Qualität zu sorgen. Die Pflege, obwohl nicht explizit genannt, ist dabei integraler Bestandteil dieser medizinischen Grundversorgung. Zudem können berechtigte Anliegen der Pflegenden gestützt auf die bestehenden Verfassungsgrundlagen schon heute berücksichtigt werden, was die zahlreichen bereits ergriffenen Massnahmen von Bund und Kantonen zur Stärkung der Pflege zeigen.

Der Bundesrat lehnt insbesondere die mit den Übergangsbestimmungen verlangte direkte Abrechnung von Pflegeleistungen zulasten der Sozialversicherungen ab. Er will keine neue Berufsgruppe zur direkten Abgeltung ihrer Leistungen zulassen, wenn nicht gleichzeitig koordinierende und die zu erwartende Mengenausweitung eindämmende Massnahmen ergriffen werden. Zusammen mit der verlangten besseren Abgeltung der Pflegeleistungen würde dies erfahrungsgemäss zu unerwünschten Kostensteigerungen für die obligatorische Krankenpflegeversicherung führen. Der Bundesrat lehnt es überdies ab, dass der Bund Ausführungsbestimmungen zu den Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten der in der Pflege tätigen Personen erlassen und damit in den Kompetenzbereich der Kantone und der Betriebe eingreifen soll.

Antrag des Bundesrates Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 117c2

Pflege

Bund und Kantone anerkennen und fördern die Pflege als wichtigen Bestandteil der Gesundheitsversorgung und sorgen für eine ausreichende, allen zugängliche Pflege von hoher Qualität.

1

Sie stellen sicher, dass eine genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen für den zunehmenden Bedarf zur Verfügung steht und dass die in der Pflege tätigen Personen entsprechend ihrer Ausbildung und ihren Kompetenzen eingesetzt werden.

2

Art. 197 Ziff. 123 12. Übergangsbestimmung zu Art. 117c (Pflege) Der Bund erlässt im Rahmen seiner Zuständigkeiten Ausführungsbestimmungen über: 1

1 2

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a.

die Festlegung der Pflegeleistungen, die von Pflegefachpersonen zulasten der Sozialversicherungen erbracht werden: 1. in eigener Verantwortung, 2. auf ärztliche Anordnung;

b.

die angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen;

c.

anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen für die in der Pflege tätigen Personen;

d.

Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung von den in der Pflege tätigen Personen.

SR 101 Die endgültige Nummer dieses Artikels wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt; diese stimmt die Nummerierung ab auf die Bestimmungen der Bundesverfassung, wie sie im Zeitpunkt der Annahme dieses Artikels durch Volk und Stände gelten, und nimmt die nötigen Anpassungen im ganzen Text der Initiative vor.

Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

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Die Bundesversammlung verabschiedet die gesetzlichen Ausführungsbestimmungen innert vier Jahren seit Annahme von Artikel 117c durch Volk und Stände. Bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Ausführungsbestimmungen trifft der Bundesrat innerhalb von achtzehn Monaten nach Annahme von Artikel 117c durch Volk und Stände wirksame Massnahmen zur Behebung des Mangels an diplomierten Pflegefachpersonen.

2

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Am 17. Januar 2017 hat der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) die Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)» lanciert. Der SBK hat die Initiative am 7. November 2017 eingereicht. Mit Verfügung vom 29. November 2017 stellt die Bundeskanzlei fest, dass von insgesamt 114 403 eingereichten Unterschriften 114 078 gültig waren. Die Volksinitiative ist formell zustande gekommen.

Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag.

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20024 (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 7. November 2018 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 7. Mai 2020 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.

1.3

Träger der Initiative

Träger der Initiative ist der SBK. Das Initiativkomitee besteht aus 27 Personen. Im Initiativkomitee sind Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller Bundesratsparteien mit Ausnahme der FDP vertreten.

Das Unterstützungskomitee besteht aus insgesamt 34 Organisationen, darunter sind wichtige Akteure des Gesundheitswesens wie die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), der Schweizer Apothekerverband Pharmasuisse sowie zahlreiche weitere Berufsverbände aus den Bereichen Pflege und Ernährungsberatung.

Weiter unterstützen der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), die Gewerkschaft Travail.Suisse und der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) die Initiative.

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SR 171.10

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1.4

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung5 (BV): a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

Situation in der Pflege

Die Initiantinnen und Initianten sehen verschiedene aktuelle und künftige Probleme in der Pflege, die sie zum Einreichen der Initiative veranlasst haben. Sie verweisen auf den steigenden Pflegebedarf angesichts der Zunahme der älteren Bevölkerung und den in der Pflege herrschenden Fachkräftemangel. Zudem halten sie fest, dass die kontinuierlich abnehmende durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Spital zu mehr Komplexität in der Pflege führe. Die Datenlage stützt diese Einschätzungen.

Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Spital ist von 7,2 Tagen im Jahr 2000 auf 5,4 Tage im Jahr 2016 gesunken. Sowohl in der Akutpflege als auch in der Langzeitpflege steigen dadurch die Anforderungen an die Pflege sowie an die Koordination, die für reibungslose Aus- oder Übertritte aus dem Spital in ein anderes Versorgungssetting notwendig sind.

Mit dem steigenden Pflegebedarf befasste sich der Bundesrat bereits in seinem Bericht «Bestandesaufnahme und Perspektiven der Langzeitpflege» vom 25. Mai 2016.

Die neuen Bedarfsprognosen im Nationalen Versorgungsbericht über die Gesundheitsberufe 2016 zeigen, dass bis 2025 rund 40 000 zusätzliche Personen in Pflege und Betreuung benötigt werden. Der höchste Bedarfszuwachs wird bei der Spitex, den Rehabilitationskliniken und den Pflegeheimen erwartet.

Dieser Bericht enthält auch Prognosen zum jährlichen Nachwuchsbedarf der Berufe in Pflege und Betreuung bis 2025. Demnach wurde 2014 nur knapp etwas mehr als die Hälfte des prognostizierten Nachwuchsbedarfs in Pflege und Betreuung ausgebildet. Besonders tief ist der Erfüllungsgrad bei den diplomierten Pflegefachpersonen der Tertiärstufe (Bachelor Fachhochschule FH und Diplome der Höheren Fach-

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SR 101

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schulen [HF]), der 2014 nur 43 Prozent betrug.6 Das fehlende Personal muss deshalb im Ausland rekrutiert werden.

Im besonderen Masse ist der Langzeitpflegebereich davon betroffen. Dort zeigen sich die grössten Rekrutierungsschwierigkeiten beim Pflegepersonal: 92 Prozent der Alters- und Pflegeheime beschreiben ihre Rekrutierungssituation als schwierig oder sehr schwierig. Zudem gibt in Befragungen nur ein Fünftel der jungen Fachangestellten Gesundheit (FaGe) an, ihre Zukunft in der Langzeitpflege zu sehen. Der Mangel an diplomierten Pflegefachkräften kann deshalb dazu führen, dass notwendige Pflegeleistungen nicht zeitgerecht erbracht werden können oder Pflegende Aufgaben übernehmen müssen, für die sie zu wenig qualifiziert sind. Der Mangel an Pflegefachkräften wird zusätzlich verstärkt durch viele Berufsaustritte: gemäss einer Analyse der Daten aus der Strukturerhebung zum Gesundheitspersonal sind 45,9 Prozent der diplomierten Pflegefachpersonen aus dem Beruf ausgetreten.

2.2

Lancierung der Initiative

Vor dem Hintergrund der bestehenden Herausforderungen in der Pflege verlangen die Initiantinnen und Initianten verschiedene Massnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufs. Unmittelbarer Anlass für die Lancierung der Initiative war jedoch das Nichteintreten des Nationalrates auf die parlamentarische Initiative 11.418 «Gesetzliche Anerkennung der Verantwortung der Pflege» von Nationalrat Rudolf Joder (pa.Iv. Joder) am 27. April 2016. Denn mit dem Entscheid des Nationalrates blieb eine der zentralen Forderungen des SBK, nämlich die staatliche Anerkennung der zunehmenden Bedeutung der Pflege als Drehscheibe der interdisziplinären Betreuung der Patientinnen und Patienten und der Wunsch nach mehr Autonomie, unerfüllt.

Der Nationalrat folgte mit der Annahme der Argumentation des Bundesrates. Dieser zeigte in seiner Stellungnahme vom 23. März 2016 zwar Verständnis für das Anliegen der parlamentarischen Initiative. Gleichzeitig erachtete er es indessen als verfehlte Entwicklung, zusätzlichen Berufsgruppen Zugang zur direkten Abrechnung zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu ermöglichen, ohne Lösungen für eine bessere Koordination und eine langfristige Steuerung entwickelt zu haben.

6

Bundesamt für Gesundheit (BAG), Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und ­direktoren (GDK) und Nationale Dachorganisation der Arbeitswelt Gesundheit (OdASanté) (Hrsg.): Nationaler Versorgungsbericht für die Gesundheitsberufe 2016. Nachwuchsbedarf und Massnahmen zur Personalsicherung auf nationaler Ebene, 2016. Der Bericht ist abrufbar unter www.gdk-cds.ch > Themen > Gesundheitsberufe > Nicht-universitäre Gesundheitsberufe > Versorgungsbericht 2016.

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3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Kernforderungen der Initiative

Die Kernforderungen der Initiantinnen und Initianten7 lassen sich wie folgt zusammenfassen: ­

Bund und Kantone sollen dringend mehr diplomierte Pflegefachkräfte ausbilden.

­

Die Betriebe sollen deshalb verpflichtet werden, genügend Personal auszubilden und dafür abgegolten werden. Insbesondere sollen die in der Pflege tätigen Fachangestellten Gesundheit finanziell besser unterstützt werden, wenn sie die Diplomausbildung absolvieren möchten und ihre Eltern nicht mehr unterstützungspflichtig sind.

­

Der Bund soll die pflegerischen Leistungen festlegen, die in eigener Verantwortung erbracht und direkt abgerechnet werden können. Dazu gehörten Bedarfsabklärungen, die Beratung der Patientinnen und Patienten sowie der Angehörigen im Umgang mit der Krankheit, pflegerische Arbeiten wie das Anziehen von Kompressionsstrümpfen oder die Unterstützung bei der Körperpflege.

­

Pflegeleistungen sollen besser abgegolten werden, damit den Qualifikationen entsprechende Löhne bezahlt werden können und die Stellenpläne wo nötig aufgestockt werden können.

­

Die Berufsrollen der Pflegenden verschiedener Ausbildungsstufen sollen klar definiert werden. Zudem soll die Attraktivität des Pflegeberufs mit besseren Aus- und Weiterbildungsangeboten sowie Laufbahnmöglichkeiten mit mehr Entscheidungsbefugnissen gestärkt werden.

­

Es brauche in diesem Frauenberuf familienfreundlichere Arbeitsbedingungen mit individuellen Arbeitszeitmodellen und mehr Plätzen für die ausserfamiliäre Kinderbetreuung.

­

Die professionelle Pflege könne angesichts der Verschiebung der Krankheitslast von der Akutversorgung hin zu mehr chronisch und mehrfach erkrankten Menschen eine noch stärkere Rolle in der Grundversorgung einnehmen.

Die Adressaten der einzelnen Forderungen werden von den Initiantinnen und Initianten nicht in jedem Fall genannt. Sie stellen jedoch allgemein fest, dass es für die Umsetzung konkreter Massnahmen das Zusammenspiel von Bund und Kantonen brauche. Die Initiantinnen und Initianten anerkennen auch, dass ein bedeutender Teil der Verbesserungen durch die Institutionen der Gesundheitsversorgung zu leisten wäre.

7

FAQ und Antworten sowie Argumentarium, abrufbar unter:www.pflegeinitiative.ch > Argumente > FAQ und Antworten bzw. Medien (Stand: 20. Juli 2018).

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3.2

Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

3.2.1

Begriffe

Zwei im Initiativtext verwendete Begriffe (Art. 117c Abs. 2 BV) werden nachfolgend für ein besseres Verständnis erläutert: «in der Pflege tätige Personen» bezeichnet alle Pflegenden, ungeachtet dessen, ob sie über einen Bildungsabschluss auf Tertiär- oder Sekundarstufe II, einen Pflegehelferkurs des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) oder über gar keine Ausbildung in der Pflege verfügen. Mit «diplomierte Pflegefachpersonen» sind nach Auffassung der Initiantinnen und Initianten Pflegende zu bezeichnen, die über Ausbildungsabschlüsse auf Tertiärstufe verfügen: Dabei handelt es sich einerseits um Abschlüsse an Höheren Fachschulen (Pflege HF) und andererseits um solche an Fachhochschulen (FH) oder universitären Hochschulen (UH) (Bachelor of Science Pflege FH/UH). Synonym für diese Abschlüsse verwenden die Initiantinnen und Initianten die Begriffe «Diplompflege», «diplomierte Pflegefachpersonen» oder nur «Pflegefachpersonen». Diese Begriffe werden in der vorliegenden Botschaft aus Gründen der besseren Verständlichkeit analog verwendet.

3.2.2

Inhalt und Erläuterung

Der mit der Initiative vorgeschlagene neue Verfassungsartikel 117c BV mit der Sachüberschrift «Pflege» umfasst zwei Absätze und wird ergänzt durch die Übergangsbestimmungen in Artikel 197 Ziffer 12 BV: Art. 117c Abs. 1 Absatz 1 stellt in erster Linie eine an Bund und Kantone gerichtete Ziel- und Handlungsvorgabe dar. Bund und Kantone sollen die Pflege als wichtigen Bestandteil der Gesundheitsversorgung anerkennen und fördern und für eine ausreichende, allen zugängliche Pflege von hoher Qualität sorgen. Die Bestimmung verwendet damit im Wesentlichen den gleichen Wortlaut wie Artikel 117a Absatz 1 BV über die medizinische Grundversorgung, mit zwei Ausnahmen: Zum einen wird ­ im Unterschied zu Artikel 117a «medizinische Grundversorgung» ­ der Begriff «Gesundheitsversorgung» verwendet. Zum anderen fehlt ein auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen bezugnehmender Hinweis (z.B. «im Rahmen ihrer Zuständigkeiten»). Ob mit diesem Verzicht tatsächlich eine (neue) parallele oder konkurrierende Kompetenz des Bundes mit Bezug auf die Pflege verankert werden soll, bleibt unklar; auch die begleitenden Texte zur Initiative äussern sich hierzu nicht (zur Aufgaben- und Kompetenzverteilung vgl. Ziff. 4.4.1).

Abs. 2 In Absatz 2 sind zwei an Bund und Kantone gerichtete Forderungen aufgeführt, die unterschiedliche Zielgruppen betreffen:

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Zum einen haben Bund und Kantone sicherzustellen, dass eine genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen für den zunehmenden Bedarf zur Verfügung steht.

Die Initiantinnen und Initianten knüpfen hier an die Problematik der zu geringen Zahl der Diplomabschlüsse in der Pflege und des hohen Anteils im Ausland ausgebildeter Pflegefachkräfte an (vgl. Ziff. 2.1).

Zum andern sollen Bund und Kantone gewährleisten, dass alle in der Pflege tätigen Personen entsprechend ihrer Ausbildung und ihren Kompetenzen eingesetzt werden.

Hierzu halten die Initiantinnen und Initianten fest, dass der Fachkräftemangel im Pflegebereich auch dazu führe, dass Personen in sie überfordernden Funktionen eingesetzt würden. Dies wirke sich nachteilig auf die Berufsverweildauer aus wie auch auf die Motivation, sich in der Pflege weiterzuqualifizieren.8 Durch die Ausbildung von mehr diplomiertem Pflegepersonal könnten gemäss Initiantinnen und Initianten die Patientensicherheit potenziell gefährdende Situationen vermieden werden.

Wie bei Absatz 1 fehlt der Hinweis, ob dieses Mandat im Rahmen der Erfüllung der Aufgaben beziehungsweise im Rahmen der bestehenden Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen zu erfolgen hat (vgl. hierzu Ziff. 4.4.1).

Art. 197 Ziff. 12 Abs. 1 im Allgemeinen Die in Absatz 1 der Übergangsbestimmungen enthaltenen Vorgaben entsprechen einem materiellen Gesetzgebungsprogramm auf Bundesebene und konkretisieren die in Artikel 117c enthaltenen Forderungen.

Im Gegensatz zu Artikel 117c Absatz 1 beschränkt Absatz 1 der Übergangsbestimmungen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf die Zuständigkeit des Bundes («im Rahmen seiner Zuständigkeiten»).

Abs. 1 Bst. a Buchstabe a verlangt Änderungen der Sozialversicherungsgesetzgebungen, namentlich des Bundesgesetzes vom 18. März 19949 über die Krankenversicherung (KVG) und der Krankenpflege-Leistungsverordnung vom 29. September 199510 (KLV). Er nimmt inhaltlich die Anliegen der pa.Iv. Joder auf und fordert vom Bund, dass er diejenigen Pflegeleistungen definiert, die Pflegefachpersonen in eigener Verantwortung ­ und somit ohne Anordnung der Ärztin oder des Arztes ­ zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) und der übrigen Sozialversicherungen erbringen können.

8

9 10

Zaugg Helena: Lancierung der eidgenössischen Volksinitiative für eine starke Pflege (Pflegeinitiative), Referat vom 17. Jan. 2017. Das Referat ist abrufbar unter: www.sbk.ch > Newsroom > Medienmitteilungen > Medienmitteilung vom 17. Jan. 2017 «Pflegenotstand droht! Pflegende schlagen Alarm» > Redebeiträge ReferentInnen Pressekonferenz > Helena Zaugg.

SR 832.10 SR 832.112.31

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Abs. 1 Bst. b Gefordert wird, dass der Bund die notwendigen Bestimmungen zur angemessenen Abgeltung der Pflegeleistungen erlässt. Die von den Initiantinnen und Initianten angesprochene höhere Abgeltung der Pflegeleistungen gemäss KLV soll ermöglichen, mehr diplomierte Pflegefachkräfte anzustellen oder die Höhe der Löhne anzupassen.

Abs. 1 Bst. c Nach Buchstabe c soll der Bund verpflichtet werden, Bestimmungen über anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen für die in der Pflege tätigen Personen zu erlassen.

Den allgemeinen Ausführungen der Initiantinnen und Initianten zufolge kann geschlossen werden, dass mit Bezug auf die Gestaltung anforderungsgerechter Arbeitsbedingungen keine Anpassung im Bereich des Arbeitsgesetzes vom 13. März 196411 (ArG) gefordert wird. Stattdessen ist wohl entscheidend, dass der dem effektiven Pflegebedarf entsprechende Anteil an diplomiertem Pflegepersonal eingesetzt wird: Je komplexer und umfangreicher die pflegerischen Herausforderungen in einer Abteilung sind, desto mehr diplomiertes Pflegepersonal braucht es. Die Initiantinnen und Initianten verzichten in ihren Ausführungen auf eine Konkretisierung dieses Anteils. Ihr Anliegen besteht allgemein darin, dass Stellenpläne, soweit notwendig, aufgestockt werden.

Abs. 1 Bst. d Dieser Vorgabe zufolge soll der Bund Ausführungsbestimmungen zu Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung der in der Pflege tätigen Personen erlassen. Aus den Materialien zur Initiative geht nicht klar hervor, ob mit dieser Forderung die Weiterentwicklung der Bildungssystematik durch den Bund angestrebt wird oder ob es um die Verbesserung betrieblicher Weiterbildungsangebote geht.

Abs. 2 Der Bundesversammlung wird eine Frist von vier Jahren nach Annahme der Initiative durch Volk und Stände gesetzt, um die gesetzlichen Ausführungsbestimmungen zu erlassen. Der Bundesrat ist gehalten, zwischenzeitlich wirksame Massnahmen zur Behebung des Mangels an diplomierten Pflegefachpersonen zu treffen. A priori wird der Bundesrat durch diese Bestimmung nur beauftragt, seine bereits nach geltendem Recht eingeräumten Kompetenzen zu nutzen, um das Ziel, den Mangel an diplomierten Pflegefachpersonen zu verringern, zu erreichen; es scheint sich also nicht um eine direkt dem Bundesrat zugewiesene, befristete Gesetzgebungskompetenz zu handeln.

11

SR 822.11

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4

Würdigung der Initiative

4.1

Anliegen der Initiative

Anerkannte Herausforderungen Der Bundesrat ist sich der grossen Herausforderungen der Pflege und der notwendigen Verstärkung der Anstrengungen für eine sichere und qualitativ hochstehende Pflege bewusst. Die schwierige Situation in der Pflege zeigt sich wie unter Ziffer 2.1 dargelegt bei den erhöhten Anforderungen durch die verkürzte Aufenthaltsdauer im Spital, einem hohen Anteil an Berufsaussteigerinnen und Berufsaussteigern, sowie einer unzureichenden Anzahl an Ausbildungsabschlüssen bei den diplomierten Pflegefachkräften. Dies führt zu einem Mangel an diplomierten Pflegefachkräften in allen Versorgungsbereichen, besonders aber im Langzeitpflegebereich.

Unterstützenswerte Ziele und Forderungen der Initiative Die Initiative enthält damit im Grundsatz berechtigte Anliegen. Der Bundesrat erachtet daher einzelne Anliegen der Initiative wie die geforderte Erhöhung der Zahl der Abschlüsse bei den diplomierten Pflegefachpersonen oder der kompetenzgerechte Einsatz der in der Pflege tätigen Personen als unterstützenswert. Namentlich könnte dadurch die Auslandabhängigkeit in der Pflege verringert werden. Die Delegation der Arbeiten an die adäquat qualifizierte Person beziehungsweise der kompetenzgerechte Einsatz ist ökonomisch sinnvoll und stellt zugleich eine geeignete Massnahme zur Stärkung der Zufriedenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dar, indem auf diese Weise eine Über- oder Unterforderung vermieden werden.

Zu weitgehende Ziele und Forderungen der Initiative Andere Anliegen, insbesondere die materiell detaillierten Forderungen in den Übergangsbestimmungen betreffend die direkte Abrechnungsberechtigung und die bessere Abgeltung der Pflegeleistungen, könnten im Rahmen der bestehenden Bundeskompetenz zwar berücksichtigt werden, sind jedoch namentlich aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Kostenentwicklung abzulehnen. Präzisere Qualitätsvorschriften, etwa in Form von konkreten Stellenplänen, sind aufgrund der äusserst verschiedenartigen Anforderungen in den einzelnen Versorgungssettings nicht nur aus finanzieller, sondern auch aus fachlicher Sicht nicht zielführend.

Kommt hinzu, dass die Initiative zu stark den Interessen einer einzelnen Berufsgruppe, den diplomierten Pflegefachpersonen, verpflichtet ist. Sie enthält keine innovativen Ansätze, die zu einer besser koordinierten, multiprofessionell
erbrachten Gesundheitsversorgung führen können. Dies wäre aber zwingend notwendig, wenn eine neue Berufsgruppe Zugang zur direkten Abrechnung zulasten der OKP erhalten soll. Das heutige System der Anordnung der Pflegeleistungen durch die Ärztin oder den Arzt ermöglicht eine gute Koordination von Diagnose und Therapie, was die Qualitätssicherung und die Wirtschaftlichkeit der Leistungen unterstützt.

Verfassungsrechtliche Aspekte der Initiative Die Initiative führte zudem in rechtlicher Hinsicht zu Parallelen und Überschneidungen zu verschiedenen Verfassungsnormen: Anzuführen ist namentlich der in der Volksabstimmung vom 18. Mai 2014 angenommene Artikel 117a BV über die 7664

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medizinische Grundversorgung, der sämtliche Berufe der medizinischen Grundversorgung und damit auch die Pflege umfasst. Bei einer Annahme der Initiative bestünden zahlreiche Doppelungen auf Verfassungsebene, gerade die Ziele und Handlungsaufträge des Initiativtextes betreffend, was nicht als sinnvoll erscheint.

Gestützt auf Artikel 117a BV und weitere Verfassungsbestimmungen (namentlich die Art. 95 und 117 BV) verfügt der Bund im Übrigen bereits heute über verfassungsrechtliche Grundlagen, um ­ eine allenfalls mit der Initiative beabsichtigte Änderung der Aufgaben- und Kompetenzverteilung vorbehalten (vgl. Ziff. 4.4.1) ­ viele der angeführten Anliegen aufnehmen zu können. Aber auch mit Bezug auf die bewährte und das Prinzip der Subsidiarität (vgl. Art. 5a BV) berücksichtigende Aufgabenteilung zwischen dem Staat und Privaten, namentlich den Pflegeinstitutionen beziehungsweise den Arbeitgebern, würde die Umsetzung der vorgeschlagenen Verfassungsnorm zu Unklarheiten führen.

4.2

Massnahmen von Bund und Kantonen

Die nachfolgend beispielhaft aufgeführten Massnahmen von Bund und Kantonen zeigen, dass die Probleme im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel in der Pflege erkannt und Verbesserungen im Rahmen der bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben möglich sind.

4.2.1

Massnahmen des Bundes

Der Bund hat in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Massnahmen zur Stärkung des Pflegeberufs umgesetzt oder mit deren Umsetzung begonnen.

Beispielhaft erwähnt sei hier der Masterplan Bildung Pflegeberufe 2010­201512, der zu einer deutlichen Steigerung insbesondere der Abschlüsse der FaGe geführt hat.

Mit dem voraussichtlich am 1. Januar 2020 in Kraft tretenden GesBG, das sich auf den Verfassungsartikel über die medizinische Grundversorgung stützt, unterstreicht der Bund die hohe Verantwortung der diplomierten Pflegenden HF und FH, indem nur sie oder Personen mit bezüglich Berufsausübungsbewilligung gleichgestellten Bildungsabschlüssen nach bisherigem Recht eine Bewilligung zur Ausübung ihres Berufs in eigener fachlicher Verantwortung erhalten können. Der Bund anerkennt damit die zentrale Funktion der diplomierten Pflegefachkräfte in einem Berufsfeld, das sich durch eine hohe Verantwortung auszeichnet.

Weiter werden die Pflegefachpersonen unterstützt mit Massnahmen, die der Bundesrat im Rahmen der Fachkräfteinitiative beschlossen hat, beispielsweise mit Beiträgen des Bundes an Wiedereinstiegskurse diplomierter Pflegender, der Lancierung

12

Der Schlussbericht zum Masterplan Bildung Pflegeberufe von Januar 2016 ist abrufbar unter www.sbfi.admin.ch > Im Brennpunkt > Bildung > Berufsbildungssteuerung und -politik > Projekte und Initiativen> Abgeschlossene Projekte und Initiativen > Masterplan Bildung Pflegeberufe.

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einer Kampagne im Bereich der Langzeitpflege13 oder den Förderprogrammen «Entlastungsangebote für pflegende Angehörige»14 und «Interprofessionalität im Gesundheitswesen»15.

Der Bund unterstützt zudem die Fachhochschulen Gesundheit: Seit 2008 werden auch die Studiengänge der Pflege an den kantonalen Fachhochschulen vom Bund mitfinanziert. Die Anzahl der Studierenden (in Vollzeitäquivalenten) hat sich von 2008 bis 2016 auf 3104 Studierende erhöht und damit fast verdoppelt. Auch die Bundesbeiträge haben sich in der gleichen Zeitspanne verdoppelt und betrugen 2016 25,1 Millionen Franken.

Im Rahmen des Hochschulförderungs- und koordinationsgesetzes vom 30. September 201116 (HFKG) hat der Bund den Fachhochschulen Gesundheit für die Jahre 2017­2020 projektgebundene Beiträge (PgB) in der Höhe von drei Millionen Franken bewilligt. Von 2017 bis 2020 wird das PgB-Projekt «Strategie gegen den Fachkräftemangel in den Gesundheitsberufen» unterstützt. Das Ziel besteht im Aufbau eines nationalen Kompetenznetzwerks für Fachkräfte in den Gesundheitsberufen bis 2021 mit dem Ziel, Problemstellungen zum Fachkräftemangel in der Pflege anzugehen und Erkenntnisse über Lösungsmöglichkeiten zu gewinnen. Der Bund setzt sich zudem für die familienergänzende Kinderbetreuung ein. Seit 2003 konnten rund 57 400 neue Betreuungsplätze geschaffen werden (Stand Januar 2018). Auf der Liste der bewilligten Gesuche um Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung stehen auch Projekte von Spitälern und Pflegeheimen.17 Am 12. Juni 2018 hat sich der Nationalrat für eine Verlängerung des Impulsprogrammes des Bundes um vier weitere Jahre ausgesprochen.

Ausgehend von der Diskussion zur pa.Iv. Joder und vor dem Hintergrund der Pflegeinitiative hat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) 2018 einen Entwurf zur Änderung der KLV in die Vernehmlassung geschickt.18 Das Verfahren der Bedarfsabklärung durch Pflegefachpersonen soll ­ unter Beibehaltung des im KVG vorgeschriebenen Anordnungsprinzips ­ vereinfacht werden, sodass die von den Initiantinnen und Initianten beklagten administrativen Hürden verringert werden.

Dadurch wird auch die Autonomie der Pflegefachpersonen gestärkt. Das Inkrafttreten der revidierten KLV ist für 2019 vorgesehen.

13

14

15

16 17

18

Vgl. Medienmitteilung des SBFI vom 9. Dez. 2016. Die Medienmitteilung ist abrufbar unter www.sbfi.admin.ch > Im Brennpunkt > Aktuell > Medienmitteilungen > Der Bundesrat ergreift Massnahmen gegen den Fachkräftemangel in der Pflege.

Informationen zum Förderprogramm sind abrufbar unter www.bag.admin.ch > Themen > Strategien & Politik > Nationale Gesundheitspolitik > Förderprogramme der Fachkräfteinitiative plus > Förderprogramm «Entlastungsangebote für pflegende Angehörige».

Informationen zum Förderprogramm sind abrufbar unter www.bag.admin.ch > Themen > Strategien & Politik > Nationale Gesundheitspolitik > Förderprogramme der Fachkräfteinitiative plus > Förderprogramm «Interprofessionalität im Gesundheitswesen».

SR 414.20 Vgl. Liste der bewilligten Gesuche. Die Liste ist abrufbar unter www.bsv.admin.ch > Finanzhilfen > Familienergänzende Kinderbetreuung > Publikationen > Bewilligte Gesuche (Stand: 31.Juli 2018).

Die Vernehmlassungsunterlagen können eingesehen werden unter: www.admin.ch Bundesrecht > Vernehmlassungen > Laufende Vernehmlassungen > EDI > Änderung der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) (Kostenneutralität und Pflegebedarfsermittlung).

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Trotz der bereits umfangreichen Aktivitäten des Bundes ist der Fachkräftemangel in der Pflege weiterhin eine grosse Herausforderung. Angesichts des wachsenden Bedarfs an Pflegeleistungen sind weitere Massnahmen von Bund, Kantonen und den betroffenen Akteuren unumgänglich, um die Pflege auch für die Zukunft sicherzustellen. Im Bewusstsein um diese Problemlage hat der Bundesrat mit der Ablehnung der Initiative deshalb das EDI mit der Erarbeitung eines zusätzlichen Massnahmenplans beauftragt, mit dem eine Verbesserung der angespannten Fachkräftesituation in der Pflege erreicht werden soll.

4.2.2

Massnahmen der Kantone

Auch die Kantone haben den Handlungsbedarf in der Pflege erkannt. Der Nationale Versorgungsbericht über die Gesundheitsberufe 2016 der GDK und der OdASanté legt davon Zeugnis ab. Er enthält nicht nur eine umfassende Problemanalyse und Prognosen über den zukünftigen Bedarf an Pflege- und Betreuungspersonal, sondern auch zahlreiche Empfehlungen an die Kantone, wie sie zur Verminderung des bestehenden Fachkräftemangels in der Pflege und weiteren nichtmedizinischen Gesundheitsberufen beitragen können.

Die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung ist denn auch die Kernaufgabe der Kantone; sie haben es weitgehend in der Hand, mittels Leistungsverträgen die Betriebe der Gesundheitsversorgung zur Ausbildung von Gesundheits- und Pflegepersonal zu verpflichten. In praktisch allen Kantonen gibt es heute Ausbildungsverpflichtungen für die Akutspitäler. Zusehends weiten die Kantone ihre Ausbildungsverpflichtungen auch auf Betriebe der Langzeitpflege aus (z.B. ZH, BE).

Als Massnahme für den effizienteren Einsatz des heute verfügbaren Pflegepersonals haben die meisten Kantone Strategien für die Langzeitpflege erarbeitet. 2015 verfügten 23 Kantone über solche Strategiedokumente.

4.3

Pflegepersonal im internationalen Vergleich

Im internationalen Vergleich ist die Schweiz punkto Pflegepersonal gut aufgestellt.

Im OECD-Ländervergleich steht sie mit 18 praktizierenden Pflegenden pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner im Jahr 2015 an der Spitze. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 9 Pflegefachpersonen. Die Schweizer Zahlen müssen etwas relativiert werden, weil sie auch die FaGe mit ihren Abschlüssen der Sekundarstufe II umfassen. In Ländern ohne duales Bildungssystem werden entsprechend nur Abschlüsse der Tertiärstufe einbezogen, was die Vergleichbarkeit erschwert. Aufgrund der qualitativ hochstehenden Berufsbildung verfügt die Schweiz mit den FaGe nichtsdestotrotz über ein reiches Angebot an Pflegenden. Es ist demnach zutreffend, dass die Schweiz insgesamt über viel qualifiziertes Personal verfügt. Die gute Dotierung ist aber nur möglich, weil die Schweiz auch punkto Ausländeranteil beim Pflegepersonal an der Spitze der OECD-Länder steht.

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4.4

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

4.4.1

Auswirkungen auf die Kompetenz- und Aufgabenverteilung

Der Bund verfügt mit Bezug auf die Anliegen der Initiative aktuell über umfassende Kompetenzen betreffend die Abgeltung von Pflegeleistungen durch die Sozialversicherungen (namentlich Art. 117 BV) sowie im Bereich der Aus- und Weiterbildung von Fachpersonen, die in der medizinischen Grundversorgung tätig sind (Art. 117a Abs. 2 Bst. a BV). Aus dem Wortlaut des vorgeschlagenen Artikels 117c BV lässt sich keine explizite Aussage zur Kompetenzzuordnung zwischen Bund und Kantonen entnehmen (vgl. Ziff. 3.2.2). Aus einer systematischen Perspektive wäre es jedoch wenig kohärent, dass dem Bund ohne jede Präzisierung neue Kompetenzen in einem angestammten kantonalen Aufgabenbereich wie der Gesundheitsversorgung zugesprochen werden sollen.

4.4.2

Auswirkungen auf das Versorgungssystem

Ausbildung Eine Annahme der Initiative hätte zur Folge, dass der Bund, die Kantone und die Betriebe ihre Bestrebungen zur Ausbildung einer bedarfsgerechten Anzahl von Pflege(fach)personen verstärken müssten. Insbesondere müssten deutlich mehr Ausbildungsabschlüsse auf Diplomstufe in Pflege FH oder HF erreicht werden. Um dies zu erreichen, müssten die Kantone möglichst alle Betriebe der Gesundheitsversorgung verpflichten, Pflegepersonal der Sekundär- und/oder Tertiärstufe auszubilden und sie dafür entsprechend abgelten. Mit Ausbildungsverpflichtungen für alle Betriebe wäre aber noch nicht sichergestellt, dass insbesondere die Alters- und Pflegeheime den notwendigen Nachwuchs auch tatsächlich rekrutieren könnten. Das dort vorhandene Angebot an Ausbildungsplätzen in Diplompflege HF übersteigt heute die Nachfrage. Die Initiantinnen und Initianten verlangen deshalb auch eine bessere Entlohnung für Absolventinnen und Absolventen der Diplomausbildung. Sollten die Anstrengungen der Kantone und Betriebe nicht ausreichen, würde der Druck auf den Bund steigen, von seiner in Artikel 117a BV statuierten Kompetenz auch zur quantitativen Regelung der Ausbildung in den Berufen der medizinischen Grundversorgung Gebrauch zu machen.

Einsatz entsprechend ihrer Ausbildung und ihren Kompetenzen Der den jeweiligen beruflichen Ausbildungen und Kompetenzen gerecht werdende Einsatz des in der Pflege tätigen Personals kann erschwert sein, da bei einem Mangel an diplomiertem Pflegefachpersonal unter Umständen weniger qualifizierte Pflegepersonen Kernaufgaben Diplomierter übernehmen müssen. Dies kann zu Überforderung und mangelnder Pflegequalität führen (vgl. Ziff. 2.1).

Bei einer Annahme der Initiative müssten deshalb vorab die für den Einsatz des Personals verantwortlichen Betriebe ihre Delegationsmodelle überprüfen.

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Auch könnte der Druck auf die Kantone steigen, die Vorschriften zum Mindestanteil diplomierter Pflegefachpersonen insbesondere in der ambulanten und stationären Langzeitpflege anzupassen, sodass mehr diplomiertes Pflegefachpersonal angestellt werden müsste.

Direkte Abrechnung bestimmter Pflegeleistungen zulasten der Sozialversicherungen Eine Annahme der Initiative hätte zur Folge, dass den Pflegefachpersonen die direkte Abrechnung zulasten der Sozialversicherungen von Massnahmen der Abklärung, Beratung und Koordination sowie Massnahmen der Grundpflege ermöglicht werden müsste. Die Behandlungspflege würde weiterhin auf Anordnung der Ärztin oder des Arztes erfolgen.

Dies führte dazu, dass die Pflegefachpersonen im Sinne des GesBG explizit in den Katalog der Leistungserbringer nach Artikel 35 Absatz 2 KVG aufgenommen werden müssten. Zudem müsste auch der Leistungsbereich in den Artikeln 25 und 25a KVG entsprechend angepasst werden, damit die direkte Tätigkeit ohne ärztliche Anordnung möglich würde. In der Folge wären die erwähnten Pflegeleistungen, die ohne Anordnung des Arztes oder der Ärztin erbracht werden dürfen, in der KLV zu bezeichnen.

Damit ginge einer der wichtigen Grundsätze des KVG, wonach die Ärztin oder der Arzt eine Scharnierfunktion übernehmen soll, verloren. Eine Mengenausweitung mit einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung für die OKP und der für die Restfinanzierung verantwortlichen Kantone und Gemeinden wäre die Folge.

Angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen Die Annahme der Initiative könnte den Druck eine Erhöhung der Beiträge an die Pflegeleistungen im Rahmen der KLV sowie auf die stationären Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) erhöhen. Die Initiantinnen und Initianten monieren, dass die Pflege im Rahmen der Fallpauschalen nur unzureichend abgebildet werde.

Zusammenfassend würde die Annahme der Initiative mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Kostensteigerungen für die OKP und somit für die Prämienzahlerinnen und -zahler führen. Die Anstrengungen des Bundesrates zur Dämpfung der Kostenentwicklung würden dadurch teilweise zunichtegemacht.

Anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten Vor dem Hintergrund des geringen Umfangs der aktuellen Bundeskompetenz im Bereich der Regelung der Arbeitsbedingungen wäre im Falle einer Annahme der Initiative
mit wenig Handlungsbedarf für den Bund zu rechnen. Vorstellbar wären auf Bundesebene Anpassungen insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts, doch enthält die Initiative keine diesbezüglichen Forderungen.

Für die Kantone könnte die Annahme der Initiative Druck erzeugen, Vorschriften für Mindeststellenpläne zu erlassen oder bereits vorhandene allenfalls anzupassen.

Im Sinne der Initiantinnen und Initianten müsste der Anteil an diplomiertem Pflegefachpersonal in den verschiedenen Institutionen der Gesundheitsversorgung tendenziell erhöht werden, um die Arbeitsbedingungen anforderungsgerecht zu gestalten.

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Entsprechend würden die Lohnkosten in Pflegeheimen, bei der spitalambulanten Krankenpflege (Spitex) oder in den Spitälern steigen. Ob ­ wie von den Initiantinnen und Initianten dargelegt ­ diese Mehrkosten durch entsprechend geringere Aufwände für die Behandlung von Komplikationen kompensiert würden, kann nicht abschliessend beurteilt werden.

Soweit mit anforderungsgerechten Arbeitsbedingungen attraktive und besser auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte Arbeitszeitmodelle oder die Möglichkeit zur Anpassung des Beschäftigungsgrades erwartet werden, ist dies eine Kernaufgabe der Betriebe. Ebenso ist die Schaffung von Entwicklungsmöglichkeiten oder die Verbesserung von Laufbahnmöglichkeiten grundsätzlich eine Aufgabe der Betriebe. Sie könnten bei einer Annahme der Initiative allenfalls verlangen, dass die Kostenträger (Kantone oder Gemeinden) entsprechend mehr Ressourcen zur Verfügung stellen.

4.4.3

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund

Direkte Abrechnung bestimmter Pflegeleistungen zulasten der Sozialversicherungen In seiner Stellungnahme vom 23. März 2016 zur pa.Iv. Joder hat der Bundesrat gestützt auf Schätzungen des Branchenverbands der Krankenversicherer Santésuisse die möglichen Kostenfolgen der direkten Abrechnungsberechtigung für die OKP beziffert. Demnach würden im Bereich der Pflegeheime pro Jahr Mehrkosten in der Höhe von 30 Millionen Franken entstehen. Diese Mehrkosten basieren auf der Annahme, dass bei 10 Prozent der Patientinnen und Patienten die heute durchschnittliche Beitragsstufe 6 (54 Fr./Tag) auf Beitragsstufe 7 (63 Fr./Tag) erhöht würde. Für die Spitex wurden Mehrkosten in der Höhe von 25­110 Millionen pro Jahr geschätzt. Die Schätzung basiert auf der Annahme, dass bei einem Wegfall des Anordnungsprinzips die Nachfrage nach Leistungen der Abklärung, Beratung und Koordination sowie nach Grundpflegeleistungen um mindestens 5 bis höchstens 20 Prozent zunehmen würde.19 Für den Bundeshaushalt würde dies eine Mehrbelastung bei der individuellen Prämienverbilligung zwischen 4 und 10 Millionen Franken pro Jahr bedeuten. Ob diese Kostenfolgen tatsächlich eintreten werden, kann zwar nicht mit Sicherheit gesagt werden, der Bundesrat erachtet die Schätzungen des Branchenverbands aber als plausibel.

Ausbildung Müssten aufgrund der Annahme der Initiative die Studienplätze an den Fachhochschulen für den Bachelorstudiengang in Pflege FH erhöht werden, hätte dies Auswirkungen auf die Bundesbeiträge für die Fachhochschulen. Diese beliefen sich im Jahr 2016 auf 25,1 Millionen Franken zugunsten von 3104 Studierenden der Bachelor- und Masterstudiengänge in Pflege. Da das höhere Ausbildungspotenzial in Form abgewiesener Interessentinnen und Interessenten für den Bachelorstudiengang Pflege nicht bekannt ist, kann die gegebenenfalls notwendige Erhöhung der Studienplätze und mit ihr die Entwicklung der Bundesbeiträge nicht abgeschätzt werden.

19

BBl 2016 3419, hier 3427 ff.

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Einsatz entsprechend ihrer Ausbildung und ihren Kompetenzen Die Umsetzung dieser Forderung hätte dann Kostenfolgen für die OKP, wenn sich herausstellen würde, dass das eingesetzte Pflegepersonal in Spitälern, Pflegeheimen und in der Spitex heute massiv überfordert und durch mehr qualifiziertes Pflegepersonal unterstützt werden müsste. In einzelnen Fällen mag dies zutreffen, doch sprechen verschiedene Studien zur Qualität der Pflege in Schweizer Spitälern und Pflegeheimen nicht für diese Annahme.20, 21 Der Bundesrat geht davon aus, dass die Betriebe beim kompetenzgerechten Personaleinsatz noch Spielraum für Verbesserungsmöglichkeiten haben, ohne dass dies zwingend zu Mehrkosten für die OKP oder die Betriebe führen muss. Entsprechend sind auch für den Bundeshaushalt keine Mehrbelastungen bei der individuellen Prämienverbilligung, die sich an den OKP-Ausgaben bemisst, zu erwarten.

Anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten Die Ausführungen zum Einsatz entsprechend ihrer Ausbildung und Kompetenzen gelten sinngemäss auch für die Forderung nach anforderungsgerechten Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen mittels Anstellung von mehr Pflegepersonal wäre dann zwingend, wenn die Betriebe der Gesundheitsversorgung die erforderliche Qualität nicht mehr sicherstellen könnten. Die oben erwähnten Qualitätsstudien sprechen ­ aktuell noch ­ gegen diese Variante.

Angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen Die Kostenfolgen einer höheren Abgeltung der Pflegeleistungen wären direkt abschätzbar: Würden die Beiträge pro Tag und Pflegestufe um eine gewisse Prozentzahl erhöht, würden auch die Bruttokosten für die OKP entsprechend steigen. Im Jahr 2016 beliefen sich die Bruttokosten der OKP für die Pflege in Heimen und ambulant auf 2,655 Milliarden Franken oder 9 Prozent der gesamten OKP-Bruttokosten von 31,658 Milliarden Franken. So würde eine Erhöhung der Abgeltung der Pflegeleistungen um 1 Prozent zu einer Mehrbelastung der OKP von rund 30 Millionen Franken und des Bundeshaushaltes (Prämienverbilligung) von 2,6 Millionen Franken pro Jahr führen.

Eine Schätzung der gesamten Kostenfolgen bei einer Annahme der Initiative ist nicht möglich, weil die einzelnen Forderungen der Initiative ­ die direkte Abrechnungsberechtigung ausgenommen ­ zu wenig konkret sind und ihre Umsetzung einen grossen Ermessenspielraum zulassen.

20

21

Schwendimann, R., Widmer, M., De Geest, S. & Ausserhofer, D. (2014). Das Pflegefachpersonal in Schweizer Spitälern im europäischen Vergleich (Obsan Bulletin 3/2014).

Neuenburg, Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.

Zuniga, F. et al. (2013): Schlussbericht zur Befragung des Pflege- und Betreuungspersonals in Alters- und Pflegeinstitutionen der Schweiz. Universität Basel, Institut für Pflegewissenschaft.

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4.5

Vorzüge und Mängel der Initiative

Obwohl einige der Anliegen der Initiative, insbesondere die Sicherstellung von genügend Pflege(fach)personal für die Zukunft und der kompetenzgerechte Einsatz der in der Pflege tätigen Personen durchaus berechtigt erscheinen, ist die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung nicht zielführend.

Auf Verfassungsebene sind Bund und Kantone mit Artikel 117a BV bereits verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine ausreichende, allen zugängliche medizinische Grundversorgung von hoher Qualität zu sorgen. Die Pflege ist dabei integraler Bestandteil dieser Grundversorgung, weshalb ein zusätzlicher Verfassungsartikel mit einer überwiegenden Fokussierung auf die Anliegen diplomierter Pflegefachpersonen weder zweckmässig noch notwendig erscheint.

Eine Annahme der Initiative würde angesichts der bereits bestehenden Verfassungsgrundlagen sowie der breit angelegten, laufenden Massnahmen von Bund und Kantonen nicht zwingend zu einer weitergehenden Umsetzung der Forderungen der Initiantinnen und Initianten im Bereich der benötigten Personalressourcen in der Pflege führen.

Die mit der Initiative geforderte direkte Abrechnungsberechtigung für bestimmte Leistungen von Pflegefachpersonen zulasten der Sozialversicherungen und die geforderte höhere Abgeltung dieser Leistungen hätte unerwünschte kostentreibende Effekte auf die OKP und damit auf die Prämien (vgl. Ziff. 4.4.3). Im Vordergrund stehen heute und in den kommenden Jahren Massnahmen zur Dämpfung der Kostensteigerung im Gesundheitswesen. Zunächst sollen die vorhandenen Effizienzpotenziale in Form medizinisch nicht indizierter Leistungen oder zu wenig effizienter Angebotsstrukturen oder Prozesse genutzt werden, um Kosten einzusparen und frei werdende Mittel dazu allozieren, wo sie dringend benötigt werden.

Wie bereits in Ziffer 4.1 erwähnt, würde die Zulassung einer neuen Berufsgruppe zur direkten Abrechnung ihrer Leistungen die im KVG vorgesehene Scharnierfunktion der Ärztinnen und Ärzte aushebeln. Pflegefachpersonen könnten Leistungen erbringen, ohne dass die Ärztin oder der Arzt, die oder der für die Patientin oder den Patienten zuständig ist, Kenntnis davon hätte. Mit dem heutigen Anordnungssystem ist eine gute Koordination von Diagnose und Therapie gesichert. Dies ist ein wichtiger Faktor für die Qualitätssicherung.

Der Bund würde bei Annahme der
Initiative verpflichtet, Ausführungsbestimmungen zu anforderungsgerechten Arbeitsbedingungen und zu Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung der in der Pflege tätigen Personen zu erlassen. Mit dem ArG hat der Bund die besonderen Bedürfnisse von Berufsgruppen, die im ununterbrochenen Betrieb arbeiten, bereits berücksichtigt. Weitergehende anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen oder Entwicklungsmöglichkeiten präzisierende Bestimmungen für eine einzelne Berufsgruppe stellten ein unerwünschtes Präjudiz für andere Berufsgruppen dar. Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass hier die übliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen, aber auch die in der Schweiz bewährte Sozialpartnerschaft in der Branche zu respektieren ist.

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4.6

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Bei der vorliegenden eidgenössischen Volksinitiative geht es um die Aufwertung des Berufsstatus der Pflegefachpersonen, namentlich auch mit Bezug auf die Abgeltung von Pflegeleistungen durch die Sozialversicherungen. Es bestehen diesbezüglich keine internationalen Verpflichtungen der Schweiz; namentlich ergeben sich auch aus den mit dem Abschluss des Abkommens vom 21. Juni 199922 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) anwendbaren Regeln über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Anhang II FZA) keine Verpflichtungen, da die Staaten die betreffenden Aspekte nach eigenem Ermessen bestimmen können.

5

Schlussfolgerungen

Der Bundesrat anerkennt die grosse Herausforderung, welche sich angesichts der älter werdenden Bevölkerung in der Pflege ergibt. Die Sicherstellung einer für alle zugänglichen und hochstehenden medizinischen Grundversorgung, welche die Pflege einschliesst, stellt eine Kernaufgabe von Bund und Kantonen dar. Bund, Kantone und die betroffenen Akteure müssen deshalb gemeinsam nach Lösungen suchen, mit denen der Fachkräftemangel verringert werden kann, während gleichzeitig die Kostenentwicklung im Auge behalten werden muss.

Obwohl einige der Anliegen der Initiantinnen und Initianten also durchaus berechtigt erscheinen, erachtet der Bundesrat die Initiative als nicht zielführend. Insbesondere die mit der Initiative geforderte direkte Abrechnungsberechtigung für bestimmte Leistungen von Pflegefachpersonen zulasten der Sozialversicherungen und die geforderte höhere Abgeltung dieser Leistungen hätte unerwünschte kostentreibende Effekte auf die OKP und damit auf die Prämien zur Folge. Zudem würde sie ein Rückkommen auf die mit der pa.Iv. Joder verbundenen und sowohl vom Bundesrat als auch vom Parlament abgelehnten Forderungen bedeuten.

Der Bundesrat empfiehlt die Initiative deshalb zur Ablehnung.

22

SR 0.142.112.681

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