Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Einleitung

Das Abkommen vom 17. März 2000 in Form eines Briefwechsels zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft betreffend das Protokoll Nr. 2 (SR 0.632.401.2) zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 22. Juli 1972 (Freihandelsabkommen von 1972; SR 0.632.401) ist das Ergebnis von Verhandlungen, welche die EG-Kommission im Herbst 1999 auf Drängen Frankreichs ­ in Anwendung der Verfahren gemäss Artikel 27 (Schutzklausel) des Freihandelsabkommens von 1972 ­ mit der Schweiz geführt hat, um mit einem gegenseitigen Konzessionstausch letztlich die Anwendung von EG-Schutzmassnahmen gegenüber stark gestiegenen schweizerischen Süssgetränke-Exporten abzuwenden.

Die Exportdynamik schweizerischer Süssgetränke in gewisse EU-Staaten, insbesondere nach Deutschland, Frankreich und Belgien, war verschiedentlich Diskussionsgegenstand an den Tagungen des Gemischten Ausschusses Schweiz/EG sowie auf Expertenebene (vgl. Aussenwirtschaftsbericht 99/1+2 vom 12. Jan. 2000, BBl 2000 1369). Anfang September 1999 liess die EG-Kommission der Schweiz eine Verbalnote zukommen. Darin wurde auf eine ungewöhnlich hohe Zunahme der Einfuhren zuckerhaltiger Mineralwasser von der Schweiz in die EU von 62 auf 129 Millionen Liter in den Jahren 1997 und 1998 ­ mit steigender Tendenz im Jahre 1999 ­ hingewiesen. Diese Entwicklung werde durch den Zuckervorteil für Schweizer Produzenten (über Erstattungen bei der Ausfuhr) hervorgerufen. Da die bisherigen technischen Expertengespräche zu keiner Lösung der Probleme geführt hätten, habe die EG keine andere Wahl, als Schutzmassnahmen nach den Artikeln 24 (drohender wirtschaftlicher Schaden) und 26 (regionale Schwierigkeiten eines Wirtschaftszweiges) des Freihandelsabkommens von 1972 zu ergreifen. Allerdings sei sie bereit, mit der Schweiz Alternativen zu prüfen, die dazu beitragen könnten, das Problem aus der Welt zu schaffen.

Die Exporte von Limonaden in die EU haben gegenüber den Vorjahren tatsächlich stark zugenommen. Die Gründe für diese Exportentwicklung sind vielfältig: geografische Nähe zu den Absatzmärkten, Beweglichkeit der Exportfirmen, Verpackungsart, «Zuckervorteil» usw.

Die Limonadenexporte in die EU erfolgen in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Protokolls Nr. 2 zum Freihandelsabkommen von 1972. Demgemäss
ist der Export solcher Getränke aus der Schweiz in die EU zollfrei. Die Schweiz kann den Unterschied zwischen dem schweizerischen Preis und dem Weltmarktpreis des Zukkers, der in diesen Produkten enthalten ist, ausgleichen. Auch die EG gewährt beim Export landwirtschaftlicher Verarbeitungsprodukte in Drittländer wie die Schweiz Exporterstattungen auf den landwirtschaftlichen Grundstoffen im Ausmass der Preisdifferenz zwischen dem EU- und dem Weltmarktpreis. Die EG war dennoch der Ansicht, die schweizerischen Exporteure profitierten von einem ungerechtfertigten «Zuckervorteil». Die schweizerische Seite hatte sich der EG gegenüber verschiedentlich bereit erklärt, eine Lösung im Rahmen eines Gesamtpakets bezüglich des Protokolls Nr. 2 zum Freihandelsabkommen von 1972 auszuhandeln.

4986

2000-1840

Nachdem die EG vor der Ratifizierung der sektoriellen Verträge durch die Schweiz keine Bereitschaft zu einer grundsätzlichen Neuaushandlung des Protokolls Nr. 2 zeigte, sondern ernste regionale Störungen in einem Wirtschaftszweig geltend machte und Frankreich von der EG-Kommission zur kurzfristigen Problemlösung umgehend die Anwendung von Schutzmassnahmen forderte, bestand schweizerischerseits kaum eine andere Wahl, als auf eine Diskussion mit der EG einzutreten, um die angedrohten, für die Süssgetränkeindustrie wirtschaftlich einschneidenden Massnahmen abzuwenden.

Das vorliegende Abkommen wird seit dem 1. April 2000 vorläufig angewendet.

1.2

Verhandlungsverlauf

Anlässlich der ersten Gespräche legte die EG-Kommission ein Lösungskonzept vor, welches sie kurz zuvor Norwegen unterbreitet und bereits weitgehend ausgehandelt hatte, um auch norwegische Süssgetränke-Exporte nach Schweden wieder in traditionelle Handelsströme zu bringen. Vorgeschlagen wurde die Aufrechterhaltung der traditionellen Exporte (Durchschnitt der letzten drei Jahre) zum Nullzollansatz und die Wiedereinführung des Drittland-Zollansatzes auf jenen Einfuhren, die diese Referenzmenge überschreiten. Von dieser Regelung sollten nicht nur die mit Zucker, sondern auch die künstlich gesüssten Limonaden betroffen sein, obwohl letztere nicht von einem «Zuckervorteil» profitieren. Im Gegenzug wurde Bereitschaft zu EG-Konzessionen im Bereich anderer landwirtschaftlicher Verarbeitungsprodukte signalisiert, die schweizerischerseits seit längerer Zeit gefordert wurden.

Die Schweizer Mineralwasserhersteller strebten angesichts der sich abzeichnenden Schwierigkeiten mit den europäischen Herstellerverbänden und grösseren Abnehmern in der EU eine privatwirtschaftliche Lösung an, um behördliche Massnahmen verhindern zu können.

Parallel zu diesen privaten Verhandlungsversuchen wurden ­ in Absprache mit Wirtschaftsverbänden und Herstellern ­ die Gespräche mit der EG-Kommission aufgenommen und Lösungsmöglichkeiten diskutiert. Schweizerischerseits wurde insbesondere versucht, die anstehenden Probleme über eine Gesamtrevision des Protokolls Nr. 2 zu lösen, was die EG ablehnte, weil sie vor der Ratifizierung der bilateralen Abkommen seitens der Schweiz nicht auf eine grundlegende und möglicherweise langwierige Neuaushandlung des Protokolls Nr. 2 eintreten wollte, sondern eine rasche Lösung des Problems anstrebte. Die privatwirtschaftlichen Initiativen scheiterten schliesslich an den weitgehenden Forderungen der EU-Süssgetränkeherstellerverbände.

1.3

Würdigung des Abkommens

Die Verhandlungen haben zu einer Kompromisslösung geführt, welche die Anwendung von wirtschaftlich einschneidenden EG-Schutzmassnahmen gegenüber den schweizerischen Mineralwasserexporteuren bis auf weiteres verhindert. Gleichzeitig ist eine Neuverhandlung des Protokolls Nr. 2 zur grundsätzlichen Regelung des landwirtschaftlichen Preisausgleichs in Aussicht gestellt worden.

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Die Erhöhung der gegenseitigen autonomen Nullzollkontingente und deren Kontraktualisierung liegt im überwiegend schweizerischen Interesse, obwohl die Erhöhung beidseitig prozentual gleich gross ist. Dies, weil die schweizerischen Exporteure diese Nullzollkontingente seit deren Einführung besser ausnutzen: Drei der vier EG-Kontingente zu Gunsten der Schweiz ­ jene für Pektin, Kaffee-Extrakte und Lebensmittelzubereitungen ohne Agrarrohstoffe ­ werden jeweils vollständig ausgeschöpft. Die durch die Erhöhung um 10 Prozent bedingten zusätzlichen Zolleinsparungen für die schweizerischen Exporteure dieser Produkte belaufen sich auf 600 000 Franken pro Jahr. Die EG-Exporteure nutzen jeweils nur das ihnen zustehende Nullzollkontingent für andere nichtalkoholische Getränke (vor allem alkoholfreies Bier) voll aus. Die Erhöhung der Nullzollkontingente hat für sie daher einen praktischen Wert von gesamthaft lediglich 60 000 Franken pro Jahr.

2

Besonderer Teil

2.1

Allgemeines

Das Abkommen enthält in rechtlicher Hinsicht zwei Regelungsfelder: ­

zum einen wird die zollfreie Einfuhr eines von Protokoll Nr. 2 erfassten Produktes (Süsswassergetränke) in die EG ­ dies in Abweichung von Protokoll Nr. 2 ­ vorübergehend auf ein Nullzollkontingent beschränkt, wobei darüber hinausgehende Einfuhren mit einem Zoll belastet werden;

­

zum anderen werden für andere, bisher nicht dem Protokoll Nr. 2 unterstellte Verarbeitungsprodukte (also Agrarprodukte im Sinne des Freihandelsabkommens von 1972, die aber Freihandelsprodukte unter der EFTAKonvention sind) die bisher im Anschluss an den EU-Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands gegenseitig autonom gewährten Nullzollkontingente neu vertraglich vereinbart.

In Übereinstimmung mit der im Abkommen enthaltenen Zusage der Schweiz, das Abkommen vom 1. April 2000 an bis zum Abschluss des Ratifizierungsverfahrens vorläufig anzuwenden (vgl. Vereinbarte Niederschrift, Einleitung), hat der Bundesrat gestützt auf Artikel 4 Absatz 1 ZTG (SR 632.10) die vorläufige Anwendung auf dieses Datum hin beschlossen. Sie liegt im Interesse der schweizerischen Volkswirtschaft, werden dadurch doch die schweizerischen Exportmöglichkeiten aufrechterhalten.

2.2

EG-Einfuhrregelung

Die EG eröffnet der Schweiz ­ an Stelle des bisher unbeschränkten zollfreien Marktzutritts gemäss Protokoll Nr. 2 ­ ein zollfreies Jahreskontingent von 75 Millionen Liter für Süssgetränke der Codenummern 2202 10 00 und ex 2202 90 10 der Kombinierten Nomenklatur (KN). Für die diese Mengen übersteigenden Mengen beträgt der Einfuhrzoll 9,1 Prozent des Wertes (und damit etwas weniger als der Meistbegünstigungszollansatz der EG von 9,6 % ab dem 1. Juli 2000). Falls das Kontingent in den nächsten Jahren ausgeschöpft wird, erhöht es sich jährlich um 10 Prozent. Wird das Kontingent nicht ausgeschöpft, so erfolgt die Rückkehr zum Freihandel. Vor Ablauf des zweiten Jahres nach Inkrafttreten dieses Abkommens 4988

können die Parteien beschliessen, diese Massnahmen auf der Grundlage der Bestimmungen des Freihandelsabkommens von 1972 zu verlängern, d.h., es findet im Gemischten Ausschuss Schweiz/EG gemeinsam eine Beurteilung statt, ob die Bedingungen der Artikel 24 und 26 über regionale Schwierigkeiten oder drohenden wirtschaftlichen Schaden nach wie vor erfüllt sind.

Die EG erhöht die bisher auf autonomer Basis gewährten Jahres-Nullzollkontingente um 10 Prozent im Jahr 2000 und um weitere 10 Prozent im Jahr 2001. Es handelt sich um die Nullzollkontingente für Pektin (KN-Codenumer 1302 20 10), KaffeeExtrakte (2101 11 11), Tee-Extrakte (2101 20 20) sowie Lebensmittelzubereitungen ohne Agrarrohstoffe (2106 90 92).

2.3

Schweizerische Einfuhrregelung

Die Schweiz erhöht im Gegenzug die bisher autonom gewährten Jahres-Nullzollkontingente im Jahr 2000 um rund 10 Prozent und im folgenden Jahr um weitere 10 Prozent. Es handelt sich um die Kontingente für Federn zu Füllzwecken (Tarif-Nr.

0505.1090), für Süssgetränke (2202.1000), für andere nichtalkoholische Getränke (2202.9090), für Zigaretten (2402.2020) sowie für Rauchtabak (2403.1000).

3

Auswirkungen

3.1

Bund

Die finanziellen Auswirkungen auf den Bundeshaushalt in Form von zu erwartenden Zollausfällen bei den Nullzollkontingenten (vgl. Ziff. 1.3) dürften etwa 60 000 Franken pro Jahr betragen. Das Abkommen hat keine personellen Auswirkungen.

3.2

Kantone und Gemeinden

Das Abkommen hat keine Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden.

3.3

Volkswirtschaft

Die wirtschaftlichen Auswirkungen bei den schweizerischen MineralwasserExporteuren sind schwer abschätzbar. Immerhin dürfte der EG-Einfuhrzoll von 9,1 Prozent auf den die 75 Millionen Liter übersteigenden schweizerischen Limonadenexporten die Unternehmenserträge negativ beeinflussen, auch wenn die betroffenen Firmen anhand der nicht- und der zollbelasteten Exporte Mischrechnungen erstellen werden. Das Exportwachstumspotenzial wird vorübergehend beschränkt, was sich auf die Investitionsentscheide der betroffenen Unternehmen auswirken dürfte.

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4

Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht über die Legislaturplanung 1999­2003 (BBl 2000 2276) nicht explizit erwähnt. Sie entspricht aber der Stossrichtung von Ziel 1 (Verbesserung der internationalen Mitwirkungsmöglichkeiten).

5

Verhältnis zum europäischen Recht und zum WTO-Recht

Ein Bezug zum europäischen Recht besteht nur insofern, als die sich aus dem Abkommen ergebenden Pflichten für die EG auf das Zollrecht der EG abstützen. Innerhalb der EU können alle Waren kraft des Binnenmarktes ohne Zölle oder Zollkontingente frei zirkulieren.

Mit dem Abkommen wird der Deckungsbereich des Protokolls Nr. 2 und damit des Freihandelsabkommens von 1972 ausgedehnt (wenn auch bloss im Rahmen von Nullzollkontingenten), wodurch die Vereinbarkeit des Freihandelsabkommens von 1972 mit Artikel XXIV des GATT-Abkommens weiter verbessert wird. Das Abkommen ist somit mit dem WTO-Recht vereinbar.

6

Gültigkeit für das Fürstentum Liechtenstein

Das Abkommen hat auch für das Fürstentum Liechtenstein Gültigkeit, solange dieses durch eine Zollunion mit der Schweiz verbunden ist.

7

Rechtsgrundlagen

7.1

Anpassung des schweizerischen Rechts

Die sich aus dem Abkommen für die Schweiz ergebenden Verpflichtungen ­ konkret die Erhöhung der Nullzollkontingente für die EG um rund 10 Prozent ­ werden bis zur Ratifizierung des Abkommens auf autonomer Basis umgesetzt. Zu diesem Zweck hat der Bundesrat die Verordnung vom 13. Dezember 1999 über die Zollabgaben für bestimmte Erzeugnisse im Verkehr mit der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 2000 (SR 632.422.0) mit Beschluss vom 13. März 2000 auf den 1. April 2000 angepasst (AS 2000 839). Die vorläufige Anwendung des Abkommens ist im Interesse der schweizerischen Volkswirtschaft. Damit werden die Anwendung von EG-Schutzmassnahmen verhindert und die schweizerischen Exportmöglichkeiten aufrechterhalten. Sie erfolgt somit gestützt auf Artikel 4 Absatz 1 ZTG. Die Berichterstattung hierüber an die Bundesversammlung nach Artikel 13 Absatz 1 ZTG findet sich in dem dieser Botschaft vorangestellten Bericht über zolltarifarische Massnahmen im 1. Halbjahr 2000 (siehe Ziff. 1.4). Es ist vorgesehen, die Umsetzung des Abkommens ins nationale Recht nach dessen Genehmigung durch die Bundesversammlung im Rahmen des beiliegenden Bundesbeschlusses auf eine definitive Rechtsgrundlage zu stellen, indem die Freihandelsverordnung (SR 632.421.0) auf den 1. Januar 2001 entsprechend angepasst wird.

Die vorliegende Vereinbarung ist schwergewichtig auf die gegenseitige Tarifbehandlung der erfassten Waren ausgerichtet. Die Unterstellung unter die Ursprungs4990

bestimmungen des Freihandelsabkommens von 1972 dient dazu, den Warenkorb ursprungsmässig einzugrenzen und die u.a. für die Tarifbehandlung nötige Verwaltungszusammenarbeit sicherzustellen.

7.2

Verfassungsgrundlage

Die Verfassungsgrundlage des Bundesbeschlusses besteht in der allgemeinen aussenpolitischen Kompetenz des Bundes nach Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung zur Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen ergibt sich aus Artikel 166 Absatz 2 der Bundesverfassung.

Der Briefwechsel enthält keine ausdrückliche Kündigungsklausel. Die beiden Vertragsparteien betrachten den Briefwechsel insgesamt lediglich als vorübergehende Lösung. Durch die Unterstellung der erfassten Produkte unter die Ursprungsbestimmungen des Freihandelsabkommens von 1972 (Protokoll Nr. 3; SR 0.632.401.3) bilden der Briefwechsel und das Protokoll Nr. 3 letztlich eine Einheit, weshalb die beiden Briefe wie das Protokoll Nr. 3 kündbar sind (vgl. auch Artikel 56 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, SR 0.111). Es liegt weder ein Beitritt zu einer internationalen Organisation noch eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung vor. Der Ihnen zur Genehmigung unterbreitete Bundesbeschluss unterliegt somit nicht dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d der Bundesverfassung.

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