zu 01.300 Standesinitiative des Kantons Jura Steuerrecht. Abschaffung der «Erbenbussen» Bericht vom 26. Januar 2004 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates Stellungnahme des Bundesrates vom 25. Februar 2004

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, zum Bericht vom 26. Januar 2004 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20021 (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

25. Februar 2004

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Joseph Deiss Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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SR 171.10

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Unter dem Titel «Abschaffung der Erbenbussen» verlangt der Kanton Jura mit seiner Standesinitiative die Aufhebung von Artikel 179 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 19902 über die direkte Bundessteuer.

Sowohl in seiner Stellungnahme vom 10. April 2001 an die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S), wie auch in jener vom 4. Januar 2002 an die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) sprach sich der Bundesrat zu Gunsten der Standesinitiative aus, wies aber darauf hin, dass nicht nur Artikel 179 DBG, sondern konsequenterweise auch Artikel 57 Absatz 3 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 19903 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden aufzuheben seien.

Der Ständerat gab der Standesinitiative am 11. März 2002 Folge und der Nationalrat fasste am 11. März 2003 den gleichen Beschluss. Die RK-S wurde beauftragt, eine Vorlage auszuarbeiten. Nach Abschluss ihrer Beratungen verfasste die Kommission ihren Bericht vom 26. Januar 20044 mit dem Entwurf zu einem «Bundesgesetz über die Aufhebung der Haftung der Erben für Steuerbussen» zur Umsetzung der Standesinitiative.

Dieser Gesetzesentwurf sieht nicht nur die Aufhebung von Artikel 179 DBG, sondern auch jene von Artikel 57 Absatz 3 StHG vor. Zusätzlich werden Übergangsbestimmungen in den beiden erwähnten Bundesgesetzen vorgeschlagen, durch welche die Vollstreckung der dem Erblasser auferlegten Bussen durch Betreibung oder Verrechnung gegenüber den Erben ausgeschlossen werden soll. Entsprechende Betreibungen sollen im Betreibungsregister auf Antrag hin gelöscht werden.

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Stellungnahme des Bundesrates

Die Initiative zielt darauf ab, die nach bisherigem Recht bestehende Haftung der Erben für diejenigen Bussen auszuschliessen, die dem Erblasser im Zeitpunkt seines Todes bereits rechtskräftig auferlegt worden sind oder die er für die nach seinem Tode entdeckten Steuerhinterziehungen noch zahlen müsste. Artikel 179 DBG erklärt in seinem Absatz 1 die Erben ohne Rücksicht auf deren eigenes Verschulden haftbar für die dem Erblasser bereits rechtskräftig auferlegten Bussen. Die Haftung wird dabei beschränkt auf die Höhe des Erbanteils mit Einschluss der Vorempfänge.

Absatz 2 dieses Artikels gestattet die Eröffnung und Weiterführung eines Hinterziehungsverfahrens gegenüber den Erben, wenn das Hinterziehungsverfahren im Zeitpunkt des Todes des Steuerpflichtigen noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist oder erst nach dem Tode des Steuerpflichtigen eingeleitet werden kann. Den Erben wird allerdings keine Busse auferlegt, wenn sie an der Hinterziehung kein Verschulden trifft und sie ausserdem das ihnen Zumutbare zur Feststellung der Steuerhinter-

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DBG; SR 642.11 StHG; SR 642.14 BBl 2004 1437

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ziehung getan haben. Artikel 57 Absatz 3 StHG enthält eine gleich lautende Regelung.

In zwei Entscheiden des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 29. August 1997 (A.P., M.P. und T.P. c. Schweiz; E.L., R.L. und J.O.-L. c.

Schweiz)5 wurde die Haftung der Erben für die vom Erblasser begangenen Hinterziehungen als gegen die Konvention vom 4. November 19506 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstossend bezeichnet. Beide Fälle beruhten zwar noch auf dem alten Bundesratsbeschluss vom 9. Dezember 1940 über die Erhebung einer direkten Bundessteuer (BdBSt), was aber keine allzu grosse Bedeutung hat.

Wohl auf Grund dieser beiden Urteile reichte der Kanton Jura seine Initiative ein.

Wie im Bericht der RK-S festgehalten wird, ergibt sich aus der Bundesverfassung der Grundsatz des Vorranges des Völkerrechtes vor dem nationalen Recht. Zum Völkerrecht gehört auch die von der Schweiz ratifizierte EMRK. Soll also die schweizerische Rechtsordnung in diesem Punkt der EMRK entsprechen, müssen die Artikel 179 DBG und Artikel 57 Absatz 3 StHG aufgehoben werden.

Es ist auch noch darauf hinzuweisen, dass Artikel 48 Ziffer 3 des Strafgesetzbuches7 (StGB) kurz und bündig bestimmt: «Stirbt der Verurteilte, so fällt die Busse weg.» Die Artikel 179 DBG und 57 Absatz 3 StHG widersprechen dieser Regelung, was in der Rechtslehre auch kritisiert wird. Mit der Aufhebung der beiden Bestimmungen wird dieser Widerspruch beseitigt.

Haben sich aber die Erben als Teilnehmer (Anstifter, Gehilfen, Mitwirkende) an der Hinterziehung des Erblassers schuldig gemacht, dann können sie nach Artikel 177 DBG bestraft werden und haften dann überdies unbeschränkt für die vom Erblasser hinterzogenen Steuern. Artikel 56 Absatz 3 StHG enthält eine analoge Regelung auf dem Gebiet der Kantons- und Gemeindesteuern. Diese beiden Vorschriften werden durch die Aufhebung der Artikel 179 DBG und 57 Absatz 3 StHG nicht berührt.

Die RK-S hat in ihrem Bericht in überzeugender Weise auf die Notwendigkeit von Übergangsbestimmungen hingewiesen. Sollten auch nach der Bekanntgabe der beiden Entscheide des EGMR noch Bussen gegen die Erben eines fehlbaren Steuerpflichtigen ausgefällt worden sein, so muss ihre Vollstreckung ausgeschlossen werden können. Der Wortlaut der vorgeschlagenen Bestimmungen entspricht vollumfänglich dem Vorschlag, wie ihn das Bundesamt für Justiz am 12. Dezember 2003 der RK-S präsentierte hatte. Der Bundesrat kann sich diesen Vorschlägen anschliessen.

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www.echr.coe.int EMRK, SR 0.101 StGB, SR 311.0

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