Generelle Bewilligung zur Offenbarung des Berufsgeheimnisses zu Forschungszwecken im Bereich der Medizin und des Gesundheitswesens Die Expertenkommission für das Berufsgeheimnis in der medizinischen Forschung, hat an der Plenarsitzung vom 10. Septembrer 2003; Zirkularverfahren vom 24. September 2003, gestützt auf Artikel 321bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB, SR 311.0); Artikel 1, 3 Absatz 1, 9, 10, 11 und 13 der Verordnung vom 14. Juni 1993 über die Offenbarung des Berufsgeheimnisses im Bereich der medizinischen Forschung in Sachen Organizzazione sociopsichiatrica cantonale (OSC) betreffend Gesuch vom 23. November 1999 für eine generelle Bewilligung zur Offenbarung des Berufsgeheimnisses im Sinne von Artikel 321bis StGB zu Forschungszwecken im Bereich der Medizin und des Gesundheitswesens verfügt: 1. Bewilligungsnehmerin Der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale (OSC) wird unter den nachfolgenden Bedingungen und Auflagen eine generelle Bewilligung gemäss Artikel 321bis StGB in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 und 2 sowie Artikel 11 VOBG erteilt.

Der Verantwortliche für die Bewilligungsforschung ist der Präsident des Consiglio psico-sociale cantonale und medizinischer Direktor der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale, Dr. med. T. Carlevaro.

Durch die Bewilligung wird dem mit betriebsinterner Forschung betrauten Personal der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale sowie den Doktoranden und Doktorandinnen gestattet, zu Forschungszwecken im Bereich der Medizin und des öffentlichen Gesundheitswesens unter den nachstehenden Bedingungen nicht anonymisierte Patientendaten einzusehen.

Durch die Bewilligung wird die Einsichtnahme in nicht anonymisierte Daten ermöglicht, ohne dass der Dateninhaber dadurch sein Berufsgeheimnis verletzt. Dies gilt jedoch nur innerhalb der als Bewilligungsnehmein bezeichneten Organizzazione sociopsichiatrica cantonale. Sollten Forschungsprojekte auf nicht anonymisierte Daten anderer Spitäler, medizinischer Institute oder freipraktizierender Ärzte angewiesen sein oder soll externen Forschergruppen Einblick in nicht anonymisierte Daten der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale gewährt werden, ist der Kommission ein Sonderbewilligungsgesuch einzureichen.

2. Zweck und Umfang der Dateneinsicht Die Bewilligung umfasst das Recht, in die Patientendossiers der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale Einsicht zu nehmen und die für betriebsinterne Forschungsprojekte relevanten Daten einzusehen.

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3. Bedingungen Wenn die Einwilligung der Patientinnen und Patienten zur Verwendung ihrer Daten ohne unverhältnismässig grosse Schwierigkeiten und ohne dass ihnen ein erheblicher Schaden zugefügt wird, eingeholt werden kann, so dürfen die Daten nicht gestützt auf diese Bewilligung zu Forschungszwecken verwendet werden.

Wenn die Forschenden auf das Einholen der Einwilligung eines betroffenen Psychiatriepatienten oder einer betroffenen Psychiatriepatientin verzichten wollen, weil ihm/ihr dadurch ein erheblicher Schaden zugefügt werden könnte, muss im Studienprotokoll dargelegt werden, dass das Einholen der Einwilligung mit einer konkrete Gefahr verbunden ist und dass das Forschungsprojekt nicht ohne Zugang zu den Daten des betroffenen Patienten/der betroffenen Patientin durchgeführt werden kann.

Es dürfen nur dann ohne Einwilligung nicht anonymisierte Daten verwendet werden, wenn das Forschungsprojekt nicht mit anonymisierten Daten durchgeführt werden kann.

4. Aufklärung der Betroffenen und Vetorecht Die Patientinnen und Patienten müssen darüber aufgeklärt werden, dass sie die Datenweitergabe untersagen können. Wird die Datenweitergabe untersagt, dürfen die Patientendaten nicht für Forschungszwecke verwendet werden.

Der medizinische Direktor ist für den Datenschutz und die Berücksichtigung eines allfälligen Widerspruchs des Patienten verantwortlich.

Die Expertenkommission verzichtet auf den Nachweis der erfolgten Aufklärung der betroffenen Patienten, wenn die Daten vor dem 31. Dezember 1995 erhoben worden sind. Für Datenerhebungen nach dem 1. Januar 1996 kann sie auf den Nachweis der erfolgten Aufklärung nicht verzichten. Die Bewilligungsnehmerin muss die betroffenen Patientinnen und Patienten über ihr Recht aufklären, die Verwendung ihrer Daten zu Forschungszwecken zu untersagen. Der Bewilligungsnehmerin ist es freigestellt, in welcher Form dies geschieht.

Werden für zukünftige Forschungsprojekte Daten von Patienten verwendet, welche ab 1996 in der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale hospitalisiert waren, müssen die Forscher im Studienprotokoll den Nachweis erbringen, dass die betroffenen Patienten über ihr Vetorecht informiert wurden. Die zuständige Ethikkommission hat diesen Punkt zu überprüfen. Der Unterzeichner der «non-obstat»-Erklärung ist für die Stichhaltigkeit des von den
Forschern vorgelegten Nachweises verantwortlich.

Sind die vorangehend beschriebenen Anforderungen an die Aufklärung der Patientinnen und Patienten nicht erfüllt, besteht neben einem Strafverfolgungsrisiko auch jenes einer Forschungslücke, da in diesem Falle die erhobenen Daten ­ selbst wenn die übrigen rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind ­ nicht verwendet werden dürften.

5. Datensammlungen und Kreis der Zugriffsberechtigten a)

Die Organizzazione sociopsichiatrica cantonale ist befugt, Patientendossiers in Papierform wie auch in elektronischer Form zu führen. Sie hat sicherzustellen, dass die personenbezogenen Angaben klar getrennt werden von den bereits anonymisierten Daten.

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b)

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale sowie Doktorandinnen und Doktoranden haben mit Bewilligung des verantwortlichen Forschungsleiters oder der medizinischen Direktion zu Forschungszwecken Zugang zu den Daten. Auf bereits bearbeitete Daten darf je nach Bedürfnis erneut zugegriffen werden. Nach Abschluss des Forschungsprojektes ist für einen erneuten Datenzugriff die Bewilligung des medizinischen Direktors einzuholen.

6. Dauer der Datenaufbewahrung Eine Befristung der Aufbewahrung richtet sich nach kantonalem Recht. Die Vernichtung der Daten des Forschungsprojektes hat gemäss den Vorschriften des kantonalen Datenschutzbeauftragten zu erfolgen.

7. Massnahmen für die Anonymisierung Die den Datensammlungen der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale entnommenen Daten sind zu Beginn der Forschungstätigkeit zu anonymisieren.

8. Erkennungsmerkmale Es ist sicherzustellen, dass in den auf den gesammelten Daten basierenden Publikationen keine Identifizierung der betroffenen Personen möglich ist.

9. Auflagen a)

Für jedes Forschungsprojekt muss eine «non obstat»-Erklärung der zuständigen kantonalen Ethikkommission eingeholt werden. Diese überprüft neben der ethischen auch die datenschutzrechtliche Konformität des jeweiligen Forschungsprojektes. Insbesondere hat sie sich davon zu überzeugen, dass das Forschungsprojekt nicht mit anonymen Daten durchgeführt werden kann, dass die Einwilligung der betroffenen Patientinnen und Patienten nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand eingeholt werden kann, dass die jeweiligen Forschungsinteressen die Interessen der Betroffenen an der Geheimhaltung überwiegen, dass die Berechtigten über ihr Vetorecht aufgeklärt worden sind und dass die Daten zu Beginn der Forschungstätigkeit anonymisiert werden. Durch Visum der «non obstat»-Eklärung bestätigt der medizinische Direktor, welcher gegenüber der Expertenkommission die Verantwortung trägt, dass das Forschungsprojekt den ethischen und datenschutzrechtlichen Anforderungen entspricht. Wird die «non obstat»-Erklärung verweigert, darf das Forschungsprojekt nicht gestützt auf die Klinikbewilligung durchgeführt werden. Das Einholen einer Sonderbewilligung bleibt diesfalls aber vorbehalten.

b)

Die Krankengeschichten müssen einen Vermerk über die allfällig erfolgte Verweigerung der Datenverwendung zu Forschungszwecken enthalten.

c)

Die Organizzazione sociopsichiatrica cantonale hat die einzelnen betriebsinternen Forschungsprojekte sowie die Dissertationen zu registrieren und dem Sekretariat der Expertenkommission jährlich zu Handen des Präsidenten zu melden. Diese Meldung hat folgendes zu beinhalten: ­ den Titel des Forschungsvorhabens; ­ die geschätzte Anzahl der vom Forschungsprojekt betroffenen Personen, die Auswahlkriterien sowie den Forschungszweck;

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­ ­ ­ d)

den verantwortlichen Projektleiter oder der verantwortlichen Projektleiterin; die Namen der Personen, welche Einblick in nicht anonymisierte Daten erhalten; für jedes einzelne Forschungsprojekt den Nachweis einer «non obstat»Erklärung der zuständigen kantonalen Ethikkommission.

Die Organizzazione sociopsichiatrica cantonale hat ein Zugriffsreglement zu erstellen. Dieses ist dem Sekretariat zu Handen des Kommissionspräsidenten zur Genehmigung zuzustellen. Aus dem Zugriffsreglement muss hervorgehen, in welcher Funktion die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu Forschungszwecken Zugriff auf elektronische, nicht anonymisierte, personenbezogenen Daten sowie auf die Krankengeschichten für besondere Vorkommnisse haben. Personen, die Forschung betreiben, aber über keine Zugriffsberechtigung verfügen, ist der Zugriff auf die nicht anonymisierten Daten zu verweigern. Insbesondere dürfen anderen Spitälern, externen Instituten oder externen Forschergruppen nur anonymisierte Daten zur Verfügung gestellt werden. Zugriffsberechtigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Doktorandinnen und Doktoranden, müssen eine Erklärung betreffend die ihnen gemäss Artikel 321bis StGB auferlegte Schweigepflicht unterzeichnen.

10. Bewilligungsdauer und -beständigkeit Die vorliegende Bewilligung wird für eine Dauer von fünf Jahren seit Eintritt der Rechtskraft erteilt. Vor Ablauf der Bewilligungsdauer ist ein neues, ergänzendes Gesuch zu stellen, wenn ein Wechsel der medizinischen Direktion, eine Änderung des Datenbearbeitungssystems oder eine Änderung des Zugriffsreglementes erfolgt.

Im übrigen ist die Bewilligungsnehmerin verpflichtet, jede Änderung in der Organisations- oder Verwaltungsstruktur der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale zu melden.

11. Frist zur Auflagenerfüllung Der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale wird zur Erfüllung der Auflagen gemäss Ziffer 9 Buchstaben b­d eine Frist von 6 Monaten seit Rechtskraft der Bewilligung gesetzt.

12. Strafbarkeit Wer ein Berufsgeheimnis unbefugterweise offenbart, das er durch seine Tätigkeit für die Forschung im Bereich der Medizin oder des Gesundheitswesens erfahren hat, wird nach Artikel 321 und 321bis StGB mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft.

13. Rechtsmittelbelehrung Gegen diese Verfügung kann nach Massgabe von Artikel 33 Absatz 1 Buchstabe c des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1) und Artikel 44 ff. des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021) innert 30 Tagen seit deren Eröffnung bei der Eidgenössischen Datenschutzkommission, Postfach 5951, 3000 Bern 7, Verwaltungsbeschwerde erhoben werden. Die Beschwerde ist im Doppel einzureichen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift der beschwerdeführenden Partei oder ihres Vertreters oder ihrer Vertreterin zu enthalten.

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14. Mitteilung und Publikation Diese Verfügung wird der Organizzazione sociopsichiatrica cantonale und dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten schriftlich mitgeteilt. Das Verfügungsdispositiv wird im Bundesblatt veröffentlicht. Wer zur Beschwerde legitimiert ist, kann innert der Beschwerdefrist beim Sekretariat der Expertenkommission, Bundesamt für Gesundheit, Abteilung Recht, 3003 Bern, nach telefonischer Voranmeldung (Telefon 031 322 94 94) Einsicht in die vollständige Verfügung nehmen.

6. April 2004

Expertenkommission für das Berufsgeheimnis in der medizinischen Forschung Der Vizepräsident: Prof. Dr. med. R. Bruppacher

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