02.435 Parlamentarische Initiative Festlegung der Beitragspflicht von Vereinsmitgliedern Änderung des Zivilgesetzbuches Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 22. April 2004

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Zivilgesetzbuches. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

22. April 2004

Im Namen der Kommission Der Präsident: Rolf Schweiger

2004-0933

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Bericht 1

Ausgangslage

1.1

Parlamentarische Initiative

Am 19. Juni 2002 reichte Ständerat Hermann Bürgi eine Initiative ein, welche verlangt, die vereinsrechtlichen Bestimmungen des Zivilgesetzbuches (ZGB)1 so zu ändern, dass zur Festsetzung der Mitgliederbeiträge ein Beschluss der Vereinsversammlung genügt und die persönliche Haftbarkeit von Vereinsmitgliedern für Vereinsschulden nur bis zur Höhe des von der Vereinsversammlung beschlossenen Beitrages besteht.

Der Ständerat schloss sich am 2. Oktober 2003 dem einstimmigen Antrag seiner Kommission für Rechtsfragen, der Initiative Folge zu geben, ohne Gegenstimme an2. Er beauftragte gestützt auf Artikel 21quater Absatz 1 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG)3 die Kommission für Rechtsfragen, eine entsprechende Vorlage auszuarbeiten.

1.2

Arbeiten der Kommission

Die Kommission für Rechtsfragen befasste sich an ihren Sitzungen vom 19. Februar und 22. April 2004 mit dieser Initiative. Am 22. April 2004 hat sie die beiliegende Vorlage einstimmig angenommen. Gemäss Artikel 21quater Absatz 2 GVG wurde sie bei ihren Arbeiten vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unterstützt.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Geltendes Recht

Die Beiträge der Vereinsmitglieder werden nach geltendem Recht in den Statuten festgesetzt (Art. 71 Abs. 1 ZGB). Sie bestimmen auch die persönliche Haftbarkeit der einzelnen Mitglieder. Sehen die Statuten keine Beitragspflicht vor, haftet jedes Mitglied persönlich zu gleichen Teilen und mit seinem ganzen Vermögen für die Vereinsschulden (Art. 71 Abs. 2 ZGB) und zwar auch dann, wenn die Statuten eine persönliche Haftung der Vereinsmitglieder ausschliessen.

Die Lehre ist sich nicht einig, wie konkret die Beitragspflicht in den Statuten verankert sein muss, damit die anteilsmässige Haftung nach Artikel 71 Absatz 2 ZGB ausgeschlossen ist. Einig sind sich die Autoren darüber, dass die persönliche Haftung der Mitglieder begrenzt ist, wenn die Statuten Art und Höhe der Beiträge festsetzen oder zumindest wenn die Beitragshöhe auf Grund der Statuten objektiv

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SR 210 AB 2003 S 1026 SR 171.11; vgl. Art. 173 Ziff. 3 des Gesetzes über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10).

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bestimmbar ist4, die Statuten einen Maximalbetrag festhalten5 oder in den Statuten ausdrücklich auf Mitgliederbeiträge verzichtet wird6. Nach gewissen Autoren ist die persönliche Haftung der Mitglieder allerdings auch dann begrenzt, wenn das Prinzip der Beitragspflicht in den Statuten festgeschrieben ist und wenn die betragsmässige Festsetzung einem Reglement oder einem periodischen Vereinsbeschluss vorbehalten ist, sofern der Verein von diesem statutarischen Vorbehalt Gebrauch macht7.

Diese Ansicht gründet auf dem dispositiven Charakter von Artikel 71 Absatz 1 ZGB und auf praktischen Überlegungen (Vermeidung allzu häufiger Statutenänderungen)8.

In seinem Entscheid vom 8. Oktober 20029 befasste sich das Bundesgericht erstmals mit der Frage, in welchem Masse die Beitragspflicht in den Statuten konkretisiert werden muss, damit die in Artikel 71 Absatz 2 ZGB vorgesehene Haftung ausgeschlossen ist. Bezug nehmend auf die Lehre und auf das verbandsrechtliche Legalitätsprinzip befand es, dass die Haftung der Vereinsmitglieder begrenzt ist, sobald die Statuten die Beitragspflicht dem Grundsatz nach festlegen und die Festlegung der Beitragshöhe in einem Reglement oder durch einen Vereinsbeschluss vorbehalten.

Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Verein effektiv vom statutarischen Vorbehalt Gebrauch gemacht hat Auf Grund der bundesgerichtlichen Auslegung von Artikel 71 Absatz 1 ZGB kann schon heute davon ausgegangen werden, dass ein Beschluss der Vereinsversammlung ausreicht, um den Betrag der Mitgliederbeiträge festzulegen. Dies entspricht dem Anliegen der Initiative.

2.2

Problematik des geltenden Rechts

2.2.1

Anteilsmässige Haftung

Die Regelungen des geltenden Rechts bleiben selbst im Lichte des erwähnten Bundesgerichtsentscheids unbefriedigend. Die Vereinsmitglieder kennen die gesetzlichen Vorschriften und die Folgen einer Widerhandlung häufig nicht. Auf Grund des Grundsatzes der Haftung zu gleichen Teilen gemäss Artikel 71 Absatz 2 ZGB können den Vereinsmitgliedern erhebliche finanzielle Risiken erwachsen, wenn die statutarischen Bestimmungen unvollständig sind oder wenn beispielsweise der 4

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Ruetz-Venzin Christian, Finanzielle Beitragspflichten der Vereinsmitglieder, Zürich 1985, S. 79, 81; Scherrer Urs, Wie gründe und leite ich einen Verein?, 11. Aufl., Zürich 2002, S. 79 ff., n. 117; vgl. auch Heini Anton, Das schweizerische Vereinsrecht, Basel 1988, S. 59 ff.

Brückner Christian, Das Personenrecht des ZGB, Zürich 2000, S. 386 ff., n. 1290; Hausheer Heinz/Aebi-Müller Regina, Das Personenrecht des schweizerischen Zivilgesetzbuches, Bern 1999, S. 221, n. 18.47; Berner Kommentar ­ Riemer Hans Michael, Die Vereine, Bern 1990, Art. 71 ZGB n. 11; Basler Kommentar ­ Heini Anton/Scherrer Urs, Zivilgesetzbuch I, 2. Aufl., Basel 2002, Art. 71 ZGB n. 6.

Ruetz-Venzin Christian, op. cit., S. 81; Scherrer Urs, op. cit., S. 79 ff., n. 117; Berner Kommentar ­ Riemer Hans Michael, Art. 71 ZGB n. 11 in fine, n. 19.

Berner Kommentar ­ Riemer Hans Michael, Art. 71 ZGB n. 11; Riemer Hans Michael, Personenrecht des ZBG, Bern 2002, S. 257 ff., n. 676; Scherrer Urs, op. cit., S. 79 ff., n. 117; vgl. auch Perin Jean-François, Droit de l'association (Art. 60­79 ZGB), Freibourg 1992, S. 109 ff.; Traber Alfred, Vereinsrecht und Vereinsleitung, Bern 1969, S. 39 ff.

Berner Kommentar ­ Riemer Hans Michael, Art. 71 ZGB n. 11; vgl. auch Traber Alfred, op. cit., S. 39 ff.

BGE 5P.292/2002

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Verein es unterlässt, an der Vereinsversammlung die Beitragshöhe festzulegen. Nun spielt das Vereinsleben in der Schweiz eine bedeutende Rolle, gibt es doch rund 100 000 zumeist nicht wirtschaftliche Vereine im Kultur-, Sport- und Sozialbereich.

Es gilt zu vermeiden, dass Vereinsmitglieder sich verschulden, weil sie beispielsweise für ein witterungsbedingtes Defizit eines von ihnen organisierten Kultur- oder Sportanlasses aufkommen müssen.

Die von den Vereinsmitgliedern eingegangenen Risiken scheinen umso weniger gerechtfertigt, als bei Genossenschaften die persönliche Haftung der Mitglieder explizit ausgeschlossen ist, sofern die Statuten nichts anderes bestimmen (Art. 868 Obligationenrecht [OR]10). Während der Verein eine personenbezogene Körperschaft ist, welche einen nicht wirtschaftlichen ­ und somit einen ideellen ­ Zweck verfolgt11, ist die Genossenschaft eine als Körperschaft organisierte Verbindung einer nicht geschlossenen Zahl von Personen oder Handelsgesellschaften, die in der Hauptsache die Förderung oder Sicherung bestimmter wirtschaftlicher Interessen ihrer Mitglieder in gemeinsamer Selbsthilfe bezweckt (Art. 828 OR). Es scheint daher kaum sinnvoll, dass die Mitglieder einer Körperschaft mit einem wirtschaftlichen Zweck grundsätzlich nicht persönlich haften, wogegen die Mitglieder eines Vereins, der in der Regel keinen wirtschaftlichen Zweck verfolgt, persönlich haften.

2.2.2

Das verbandsrechtliche Legalitätsprinzip

Das «verbandsrechtliche Legalitätsprinzip» besagt, dass die Rechte und Pflichten der Mitglieder gegenüber dem Verein insbesondere die Mitgliederbeiträge einer statutarischen Grundlage bedürfen12. Organbeschlüsse haben lediglich ausführende und konkretisierende Funktion; ohne Verankerung in den Statuten vermögen sie keine Mitgliedschaftspflichten zu begründen13. Die statutarische Grundlage stellt einen wesentlichen Schutz der Vereinsmitglieder dar. Sollte darauf verzichtet werden, könnten an einer Vereinsversammlung ­ ohne jegliche statutarische «Vorwarnung» ­ neue Pflichten begründet werden. Dies wäre problematisch, weil die Beschlüsse an der Vereinsversammlung mit relativem Mehr der anwesenden Mitglieder gefasst werden, sofern die Statuten nichts anderes vorsehen14. Dies bringt das Risiko mit sich, dass eine Minderheit die anderen Mitglieder mit neuen Beitragspflichten überraschen kann15. Es sollte also davon abgesehen werden, auf jegliche Verankerung einer allfälligen finanziellen Beitragspflicht in den Statuten zu verzichten.

Zudem entspricht die statutarische Verankerung der Beitragspflicht Artikel 60

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13 14 15

SR 220 Meier-Hayoz Arthur/Forstmoser Peter, Schweizerisches Gesellschaftsrecht., 9. Aufl., Bern 2004, S. 543 n. 2 ff.; Art. 60 ZGB.

Berner Kommentar ­ Riemer Hans Michael, Zweiter Teilband: Die Vereine, Syst. Teil n. 320 und Art. 71 ZGB n. 11; Heini Anton, op. cit., S. 22, 59 ff.; Basler Kommentar ­ Heini Anton/Scherrer Urs, Art. 71 ZGB n. 2.

Heini Anton, op. cit., S. 45; Ruetz-Venzin Christian, op. cit., S. 35.

Art. 67, Abs. 2, ZGB.

Die Pflicht, nur gehörig angekündigte Gegenstände zu behandeln, Grundlage der Informationspflicht gegenüber Mitgliedern, ändert nichts an dem Problem (Art. 67, Abs. 3, ZGB).

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Absatz 2 ZGB, der vorsieht, dass die Statuten unter anderem über die Mittel des Vereins Aufschluss geben müssen16.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 71 ZGB

Beitragspflicht

Die Kommission beantragt, das Gesetz im Sinne der bundesgerichtlichen Auslegung von Artikel 71 Absatz 1 ZGB zu präzisieren und dabei die Vorschrift, wonach der Grundsatz der Beitragspflicht in den Statuten zu verankern sei, beizubehalten.

Der vorgeschlagene Artikel 71 ZGB schreibt vor, dass Beiträge von den Vereinsmitgliedern verlangt werden können, sofern die Statuten dies vorsehen. Dabei genügt es, wenn die Statuten lediglich den Grundsatz der Beitragspflicht nennen. Die Festsetzung des Betrages kann durch einen Beschluss des dafür zuständigen Vereinsorgans ­ in der Regel dürfte dies die Vereinsversammlung sein ­ erfolgen. Es besteht für den Verein aber keine Pflicht, Beiträge zu erheben; er hat auch die Möglichkeit, explizit oder stillschweigend darauf zu verzichten. Sofern es jedoch an der genannten statutarischen Grundlage fehlt, kann kein Vereinsmitglied zur Leistung von Beiträgen verpflichtet werden: Artikel 71 ZGB schreibt vor, dass die Statuten den Grundsatz der Beitragspflicht festhalten müssen, sofern Beiträge erhoben werden sollen.

Art. 75a ZGB (neu)

Haftung

Die Kommission beantragt, die persönliche Haftung der Vereinsmitglieder zu gleichen Teilen (Art. 71 Abs. 2 ZGB) aufzuheben. Der Entwurf sieht vor, dass analog zum Haftungsrecht für Genossenschaften (Art. 868 OR) nur das Vereinsvermögen haftet, es sei denn die Statuten würden ausdrücklich etwas anderes bestimmen.

Unabhängig davon, ob die Beitragspflichten der Vereinsmitglieder festgelegt worden sind oder nicht, soll für die Vereinsschulden neu ausschliesslich ­ andere statutarische Regelung vorbehalten ­ das Vereinsvermögen haften. Die anteilsmässige Haftung, wie sie heute Artikel 71 Absatz 2 ZGB vorsieht, soll durch den vorgeschlagenen Artikel 75a ZGB ersetzt werden. Das nach geltendem Recht herrschende Zusammenspiel zwischen Fixierung der Beitragspflichten der Mitglieder und dem damit erzielten Ausschluss der anteilsmässigen Haftung soll somit aufgehoben werden.

Sofern der Verein die Höhe der Beiträge gemäss Artikel 71 Absatz 1 ZGB festlegt, haftet er schon heute nur bis zur Höhe des Vereinsvermögens, wozu auch die Leistungsansprüche des Vereins gegenüber seinen Mitgliedern (Art. 71 ZGB) gehören17.

Die vorgeschlagene Änderung des Haftungssystems wirkt sich in der Praxis nur dann aus, wenn die anteilsmässige Haftung zur Anwendung kommt. Diese wird nunmehr abgeschafft, es sei denn, die Statuten sehen es anders vor.

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Allerdings ist vor Augen zu halten, dass statutarische Bestimmungen über die Vereinsmittel zwar wünschenswert, aber für die Gründung des Vereins nicht notwendig sind.

Berner Kommentar ­ Riemer Hans Michael, Art. 60 ZGB n. 34.

Berner Kommentar ­ Riemer Hans Michael, Syst. Teil n. 624 ff. und Art. 71 ZGB n. 41.

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Übergangsrecht Für allfällige übergangsrechtliche Fragen gelten die Artikel des Schlusstitels des ZGB (Art. 1­4). Dabei ist zu beachten, dass die neue Regelung faktisch nur für diejenigen Vereine eine Änderung der Rechtslage mit sich bringt, welche die Beitragspflichten der Vereinsmitglieder nicht rechtsgültig festgelegt haben. In diesen Konstellationen kommt nicht mehr ­ wie bis anhin ­ die anteilsmässige Haftung zur Anwendung; neu haftet ausschliesslich das Vereinsvermögen für sämtliche Verbindlichkeiten des Vereins, sofern die Statuten nichts anderes vorsehen. Diese neue Haftungsregelung gilt für sämtliche Vereine ab Inkrafttreten des neuen Rechts.

4

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagene Revision, d.h. die Änderung von Artikel 71 und die Einführung eines neuen Artikels 75a ZGB, hat keine finanziellen und personellen Auswirkungen für den Bund, die Kantone und die Gemeinden.

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Verfassungsmässigkeit

Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts ist gemäss Artikel 122 der Bundesverfassung18 Sache des Bundes.

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SR 101

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