04.053 Botschaft zum Vertrag zwischen der Schweiz und den Philippinen über Rechtshilfe in Strafsachen vom 1. September 2004

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses zu dem am 9. Juli 2002 unterzeichneten Vertrag zwischen der Schweiz und den Philippinen über Rechtshilfe in Strafsachen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

1. September 2004

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Joseph Deiss Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2004-0637

4867

Übersicht Ausgangslage Damit Verbrechen heute effizient bekämpft werden können, wird die internationale Zusammenarbeit immer wichtiger. Mit fortschreitender Globalisierung und Vernetzung der Lebensverhältnisse nimmt nämlich auch die Kriminalität zunehmend grenzüberschreitende Dimensionen an. Technische Fortschritte, beispielsweise im Bereich von Kommunikation und Datenübermittlung, erleichtern kriminelle Aktivitäten über die Staatsgrenzen hinaus. Je nach Art des Delikts ist ausserdem vermehrt ein organisiertes Vorgehen festzustellen. All dies führt dazu, dass der einzelne Staat die Herausforderungen, die sich einer wirksamen Verbrechensbekämpfung stellen, immer weniger allein zu bewältigen vermag. Dem daraus resultierenden drohenden Verlust an Sicherheit soll der weltweite Ausbau des Vertragsnetzes auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen entgegenwirken. Der Abschluss des vorliegenden Vertrags leistet einen weiteren Beitrag dazu. Er stellt zudem die Weiterführung und den Ausbau einer bereits eingeleiteten Zusammenarbeit mit dem südostasiatischen Staat in diesem Bereich dar, haben die beiden Staaten doch schon 1989 einen Auslieferungsvertrag abgeschlossen.

Im Verhältnis zu den Philippinen steht insbesondere der Wille der Schweiz im Vordergrund, künftig ein wirksameres Vorgehen gegen Delikte wie die sexuelle Ausbeutung von Kindern, Kinder- und Frauenhandel, Drogenhandel, Korruption, Wirtschaftsdelikte und Terrorismus zu ermöglichen.

Inhalt der Vorlage Der Vertrag schafft eine völkerrechtliche Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit der beiden Staaten bei der Aufdeckung, Verfolgung und Ahndung strafbarer Handlungen. Im vertraglich vereinbarten Umfang sind die Vertragsparteien zur Leistung von Rechtshilfe verpflichtet. Bisher konnte die Schweiz den Philippinen lediglich auf der Grundlage des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) Rechtshilfe gewähren.

Der Vertrag liegt auf der Linie der Rechtshilfeverträge, welche die Schweiz unlängst mit Peru, Ecuador, Hongkong und Ägypten abgeschlossen hat. Wie diese orientiert er sich am Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EUeR; SR 0.351.1) sowie am IRSG, deren wichtigste Grundsätze er übernimmt.

Darüber hinaus berücksichtigt er jüngste Entwicklungen auf dem Gebiet der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen.

Verschiedene Bestimmungen dienen der Vereinfachung und Beschleunigung der Rechtshilfeverfahren und der Verbesserung des Rechtshilfeverkehrs im Allgemeinen.

Gleichzeitig wird die Dimension der Menschenrechte verstärkt, indem in diesem Bereich ein zusätzlicher Grund eingeführt wird, der die Ablehnung der Zusammenarbeit explizit ermöglicht.

4868

Botschaft 1

Grundzüge des Vertrags

1.1

Ausgangslage

Der kontinuierliche Ausbau des weltweiten bilateralen Vertragsnetzes auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen entspringt der Forderung nach einer effizienteren Verbrechensbekämpfung im Interesse verstärkter Sicherheit.

Er ist getragen von der Einsicht, dass der einzelne Staat die mit einer wirksamen Verbrechensbekämpfung verbundenen Herausforderungen immer weniger allein zu bewältigen vermag.

Der vorliegende Vertrag führt diese bewährte Politik fort. Er ist bereits das zweite Instrument, das die Schweiz im Bereich der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Philippinen ausgehandelt hat. Ende der Achtzigerjahre haben die Schweiz und die Philippinen eine Zusammenarbeit auf diesem Gebiet vereinbart.

1989 wurde ein Auslieferungsvertrag abgeschlossen1. Im Grundsatz kam man damals auch überein, einen Rechtshilfevertrag auszuhandeln. Angesichts der 1986 eröffneten, zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht abgeschlossenen Rechtshilfeverfahren im Fall des ehemaligen philippinischen Präsidenten Marcos schob man die Realisierung dieses Projekts in der Folge aber auf. Es sollte nämlich vermieden werden, dass zwischen diesem, wenn auch bedeutenden, Einzelfall und dem Abschluss eines Vertrags mit dem Ziel, die akzessorische Rechtshilfe zwischen den beiden Staaten generell zu regeln, ein direkter Zusammenhang hergestellt wird.

Nachdem der «Fall Marcos» so weit erledigt war, dass diese Gefahr nicht mehr bestand, wurde die Idee, einen Rechtshilfevertrag auszuhandeln, im Jahr 2000 wieder aufgegriffen.

Ziel des Vertrags sollte sein, durch eine verstärkte, schnellere und bessere Zusammenarbeit eine effizientere Verbrechensbekämpfung zu ermöglichen. Seitens der Schweiz stand dabei insbesondere der Wille im Vordergrund, künftig wirkungsvoller gegen Delikte wie die sexuelle Ausbeutung von Kindern, Kinder- und Frauenhandel, Drogenhandel, Korruption, Wirtschaftsdelikte und Terrorismus vorgehen zu können.

1.2

Verlauf der Verhandlungen

Nachdem sich beide Staaten auf die Aufnahme von Verhandlungen geeinigt hatten, fanden im November 2001 in Manila entsprechende Gespräche zwischen einer schweizerischen und einer philippinischen Delegation statt. Im Vorfeld war von schweizerischer Seite ein Vertragsentwurf ausgearbeitet und den zuständigen Stellen auf den Philippinen zur Begutachtung zugestellt worden. Dabei traten keine unüberwindbaren Meinungsverschiedenheiten zutage. Die Gespräche konnten daher auf der Basis des von der Schweiz unterbreiteten Vertragsentwurfs geführt werden.

Es gelang noch in der ersten Verhandlungsrunde, bestehende Differenzen zu bereinigen und einen gemeinsamen Vertragstext zu erarbeiten.

1

SR 0.353.964.5; in Kraft seit dem 23. Febr. 1997.

4869

Die beiden Delegationen kamen überein, in der Folge in ihren jeweiligen Heimatstaaten die für die Vertragsunterzeichnung notwendigen Vorkehrungen zu treffen.

Im Juni 2002 genehmigte der Bundesrat den Vertrag und stimmte seiner Unterzeichnung zu. Anlässlich ihres Besuchs auf den Philippinen unterzeichnete die damalige Justizministerin Ruth Metzler-Arnold den Vertrag am 9. Juli 2002.

1.3

Überblick über den Inhalt des Vertrags

Der Vertrag regelt die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und den Philippinen bei der Aufdeckung, Verfolgung und Ahndung strafbarer Handlungen. Die Vertragsparteien verpflichten sich, einander im vertraglich vereinbarten Umfang weitestgehende Rechtshilfe in Verfahren wegen strafbarer Handlungen zu leisten. Bisher konnte die Schweiz den Philippinen nur auf der Grundlage und nach Massgabe des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG)2 Rechtshilfe gewähren.

Inhaltlich liegt der Vertrag auf der Linie der von der Schweiz unlängst abgeschlossenen bilateralen Rechtshilfeverträge3. Wie diese orientiert er sich am Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EUeR)4 sowie am IRSG, deren wichtigste Grundsätze er übernimmt. Zudem greift er aktuelle Entwicklungen im Rechtshilfebereich auf.

Zu den wichtigsten Neuerungen gehören: ­

Ein zusätzlicher Verweigerungsgrund sieht ausdrücklich vor, dass Rechtshilfe abgelehnt werden kann, falls ernsthafte Gründe zur Annahme bestehen, dass das ausländische Verfahren Garantien verletzt, die im UNO-Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte enthalten sind (Art. 3 Abs. 1 Bst. f).

­

Zu Sicherungszwecken beschlagnahmte Gegenstände oder Vermögenswerte können dem ersuchenden Staat zur Einziehung oder Rückerstattung an die berechtigte Person herausgegeben werden (Art. 11).

­

Unter bestimmten Voraussetzungen sollen Informationen auch ohne vorgängiges Rechtshilfeersuchen der anderen Vertragspartei übermittelt werden können (Art. 15).

­

Zeugen, Sachverständige und, mit deren Einwilligung, auch strafrechtlich verfolgte oder verdächtige Personen können per Videokonferenz einvernommen werden, falls ihr persönliches Erscheinen zur Einvernahme im Gebiet der anderen Vertragspartei nicht zweckmässig oder nicht möglich ist (Art. 22).

Die Verfahrensvorschriften im ersten und im dritten Teil des IRSG bilden die Grundlage für die Umsetzung des Vertrags.

2 3 4

SR 351.1 Rechtshilfeverträge mit Peru (SR 0.351.964.1), Ecuador (SR 0.351.932.7), Hongkong (SR 0.351.941.6) und Ägypten (SR 0.351.932.1).

SR 0.351.1

4870

1.4

Würdigung

Die Vorlage ist im Zusammenhang mit dem kontinuierlichen Ausbau des weltweiten bilateralen Vertragsnetzes im Bereich der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen zu sehen. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit auf diesem Gebiet soll ein weiterer Beitrag im Kampf gegen das Verbrechen geleistet werden.

Der Vertrag steht im Einklang mit bewährten Grundlagen und Grundsätzen im Rechtshilfebereich. Er enthält wichtige Prinzipien des schweizerischen Rechtshilferechts wie die doppelte Strafbarkeit, die Spezialität, den Ausschluss der Rechtshilfe für Fiskaldelikte sowie den Vollzug der Rechtshilfemassnahmen nach dem Prozessrecht des ersuchten Staates. Durch die Aufnahme neuer Bestimmungen berücksichtigt er gleichzeitig auch jüngste Entwicklungen auf diesem Gebiet. Es konnten verschiedene Regelungen aufgenommen werden, die der Vereinfachung, Beschleunigung und Verbesserung des Rechtshilfeverfahrens dienen. Vorschriften, die sich bereits im IRSG fanden, wurden in den Vertrag übernommen und so auf eine völkerrechtliche, für beide Vertragsparteien gleichermassen geltende Grundlage gestellt.

Mit dem Vertrag wird ein modernes, griffiges Instrument geschaffen, das den Bedürfnissen der Praxis Rechnung trägt. Durch Bestimmungen, die eine verbesserte Zusammenarbeit der Strafjustizbehörden vorsehen beziehungsweise zur Folge haben, legt er das Fundament für eine wirksamere Verbrechensbekämpfung. Dies darf aber nicht auf Kosten der den betroffenen Personen zustehenden Grundrechte geschehen. Entsprechend wurde die Dimension der Menschenrechte im Vertrag durch die Aufnahme einer neuen Bestimmung zusätzlich verstärkt. Einem für unser Land wichtigen Anliegen wird damit Rechnung getragen.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Vertrags

2.1

Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen

Art. 1

Verpflichtung zur Rechtshilfe

Absatz 1 statuiert zwischen den Vertragsparteien die völkerrechtliche Pflicht, einander im grösstmöglichen Umfang Rechtshilfe in Strafsachen zu gewähren. Soweit keine Ausschluss- oder Ablehnungsgründe nach den Artikeln 2 und 3 bestehen, ist einem Rechtshilfeersuchen stattzugeben.

Absatz 2 führt die gestützt auf den Vertrag möglichen Rechtshilfemassnahmen auf.

Eine Auffangklausel sieht vor, dass auch andere als die ausdrücklich aufgeführten Massnahmen angeordnet werden können (Bst. h). Voraussetzung ist, dass diese Massnahmen mit den Vertragszielen vereinbar und für die Vertragsparteien annehmbar sind. Bei Bedarf können in der Schweiz solche anderen, sich im Rahmen des schweizerischen Rechts bewegenden Rechtshilfemassnahmen angeordnet werden. Die Bestimmung ermöglicht Flexibilität im Einzelfall und erlaubt es, speziellen Bedürfnissen und künftigen Entwicklungen Rechnung zu tragen.

Art. 2

Unanwendbarkeit

Vom Geltungsbereich des Vertrags ausgenommen sind die Auslieferung, die Fahndung nach strafrechtlich verfolgten oder verurteilten Personen oder deren Verhaftung sowie die Vollstreckung von Strafurteilen.

4871

Art. 3

Gründe für die Ablehnung oder den Aufschub der Rechtshilfe

Die Bestimmung zählt die Gründe, die eine Ablehnung der Rechtshilfe ermöglichen, abschliessend auf. Es handelt sich um klassische Ablehnungsgründe. Im Interesse einer möglichst umfassenden Rechtshilfe, die auch mit Blick auf künftige Rechtsentwicklungen flexibel ist, sind die Ablehnungsgründe fakultativ ausgestaltet. Ob der ersuchte Staat verpflichtet ist, Rechtshilfe in den aufgeführten Fällen abzulehnen, richtet sich nach innerstaatlichem Recht. Für die Schweiz sind insbesondere die Artikel 1a, 2, 3 und 5 IRSG, an denen sich die Liste der Ablehnungsgründe orientiert, massgebend. Diese Bestimmungen sehen vor, dass die Rechtshilfe bei Vorliegen eines dieser Gründe generell abzulehnen ist5.

Nach Absatz 1 kann Rechtshilfe abgelehnt werden, wenn das ausländische Strafverfahren ein politisches Delikt, ein Fiskaldelikt oder eine ausschliesslich nach der Militärgesetzgebung strafbare Handlung zum Inhalt hat (Bst. a und b) oder wenn die Leistung der Rechtshilfe die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung (Ordre public) oder andere wesentliche Interessen der ersuchten Vertragspartei zu beeinträchtigen droht (Bst. c). Der Begriff des «Ordre public» schliesst nach schweizerischer Rechtsauffassung auch die Beachtung der Grundrechte des Menschen ein.

Dazu gehören insbesondere das Recht auf Leben, das Verbot der Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe sowie die grundlegenden Verfahrensgarantien. Auf universeller Ebene sind diese Garantien vor allem im UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte6 enthalten. Unter dem Titel des «Ordre public» wird die Schweiz unter anderem, solange die Todesstrafe auf den Philippinen nicht endgültig abgeschafft ist, Rechtshilfe für ein mit dieser Strafe bedrohtes Delikt ablehnen. Dies unter der Voraussetzung, dass die Philippinen keine als ausreichend erachtete Zusicherung abgeben, wonach die Todesstrafe im konkreten Fall nicht vollstreckt wird7.

Betrifft das Ersuchen eine strafbare Handlung, die im ersuchten Staat zu einem Freispruch oder einer Verurteilung der betroffenen Person mit anschliessender Ahndung der Straftat geführt hat, so ist eine Ablehnung der Rechtshilfe ebenfalls möglich (Bst. d). Rechtshilfe muss schliesslich auch dann nicht geleistet werden, wenn ernsthafte Gründe zur Annahme bestehen,
dass ein Ersuchen zur Benachteiligung einer Person wegen ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Religion, Staatsangehörigkeit oder ihrer politischen Anschauungen führt oder dass das ausländische Verfahren die im Internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte enthaltenen Garantien verletzt (Bst. e und f).

Buchstabe f stellt im Bereich der von der Schweiz abgeschlossenen bilateralen Rechtshilfeinstrumente eine Neuheit dar. Er ist im Zusammenhang zu sehen mit dem Ablehnungsgrund des «Ordre public» (Bst. c). Auch dieser umfasst, wie dargelegt, unter anderem die Beachtung der grundlegenden Menschenrechte und elementaren Verfahrensgarantien, wie sie etwa im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verankert sind. Die explizite Bezugnahme auf den UNO-Pakt, dem sowohl die Schweiz als auch die Philippinen angehören, in Buchstabe f erhöht nun 5 6 7

Eine Ausnahme findet sich im Bereich der Fiskaldelikte: Bei Vorliegen eines Abgabebetrugs kann Rechtshilfe geleistet werden (vgl. Art. 3 Abs. 3 IRSG).

Internationaler Pakt vom 16. Dez. 1966 über bürgerliche und politische Rechte (SR 0.103.2).

Vgl. Art. 3 Abs. 3 des Vertrags, wonach die Gewährung der Rechtshilfe an Bedingungen geknüpft werden kann.

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aber die Rechtssicherheit zusätzlich, indem ausdrücklich festgehalten wird, dass die Rechtshilfe im Fall einer Verletzung der im Pakt verbrieften Garantien abgelehnt werden kann. Durch die einer derartigen Bestimmung überdies zukommende Signalwirkung wird die Dimension der Menschenrechte, deren Wahrung ein wichtiges Anliegen der Schweiz ist, zusätzlich verstärkt.

Absatz 2 ermöglicht dem ersuchten Staat, die Leistung von Rechtshilfe aufzuschieben, falls die Ausführung des entsprechenden Ersuchens nachteilige Folgen für ein laufendes innerstaatliches Strafverfahren haben könnte.

Absatz 3 regelt das Vorgehen bei Vorliegen eines Ablehnungs- oder Aufschubgrundes: Vor einem negativen Entscheid ist dem ersuchenden Staat mitzuteilen, weswegen eine Ablehnung oder ein Aufschub der Rechtshilfe in Betracht gezogen wird (Bst. a). Gleichzeitig muss der ersuchte Staat prüfen, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen allenfalls dennoch Rechtshilfe geleistet werden könnte. Der ersuchende Staat hat sich an die gestellten Bedingungen zu halten (Bst. b).

2.2

Kapitel II: Beschaffung von Beweismitteln

Art. 4

Anwendbares Recht

Absatz 1 statuiert den Grundsatz, dass Rechtshilfeersuchen nach dem Recht des ersuchten Staates auszuführen sind. Massgebend für die Schweiz sind das IRSG sowie das einschlägige Verfahrensrecht der Kantone und des Bundes.

Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Abweichung von dem in Absatz 1 aufgestellten Prinzip möglich. Auf ausdrückliches Verlangen des ersuchenden Staates wird ein Rechtshilfeersuchen nach dessen Verfahrensvorschriften ausgeführt, sofern das Recht des ersuchten Staats dem nicht entgegensteht (Abs. 2). Damit soll vermieden werden, dass die Verwendung von durch Rechtshilfe erlangten Informationen als Beweismittel im ersuchenden Staat an der Nichteinhaltung eines dort vorgeschriebenen Verfahrens scheitert oder unverhältnismässig erschwert wird.

Derselbe Gedanke findet sich bereits in Artikel 65 IRSG.

Art. 5

Zwangsmassnahmen

Gemäss Artikel 5 sind Rechtshilfeersuchen, deren Ausführung die Anwendung von Zwangsmassnahmen8 erfordert, grundsätzlich zu bewilligen. Ist die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat aber nicht nach dem Recht sowohl des ersuchenden als auch des ersuchten Staates strafbar9, so kann die Rechtshilfe abgelehnt werden. Das Erfordernis der doppelten Strafbarkeit für die Anordnung jeglicher Zwangsmass-

8

9

Nach schweizerischem Verständnis fallen sämtliche Massnahmen darunter, welche die Anwendung prozessualen Zwangs erfordern. Dies gilt neben der Durchsuchung und Beschlagnahme unter anderem für die Vorführung widerspenstiger Zeugen, die Erzwingung der Zeugenaussage oder die Preisgabe gesetzlich geschützter Geheimnisse.

Beidseitige Strafbarkeit setzt nicht voraus, dass beide Staaten die fraglichen Handlungen in ihren Gesetzgebungen unter demselben rechtlichen Aspekt und deckungsgleich erfassen. Die einschlägigen Bestimmungen müssen nicht identisch sein; es genügt, wenn der im Rechtshilfeersuchen geschilderte Sachverhalt in der Rechtsordnung sowohl des ersuchenden als auch des ersuchten Staates einen Straftatbestand erfüllt (vgl. BGE 126 II 409, E. 6c/cc, mit Hinweisen).

4873

nahmen entspricht einem für die Schweiz wichtigen Grundsatz, wie er sich in der schweizerischen Erklärung zu Artikel 5 Absatz 1 EUeR sowie in Artikel 64 IRSG findet.

Art. 6

Vorläufige oder dringliche Massnahmen

Auf Verlangen des ersuchenden Staates ordnet die zuständige Behörde des ersuchten Staates gestützt auf Absatz 1 vorläufige Massnahmen wie etwa eine Kontensperre an. Voraussetzung ist aber, dass keine offensichtlichen Gründe vorliegen, die im konkreten Fall gegen die Leistung von Rechtshilfe sprechen.

In dringenden Fällen können solche vorläufigen Massnahmen gemäss Absatz 2 bereits vor Einreichung eines formellen Ersuchens angeordnet werden. Die blosse Ankündigung des entsprechenden Ersuchens ist in diesem Fall ausreichend. Auf Grund der erhaltenen Informationen muss aber überprüfbar sein, ob alle Voraussetzungen gegeben sind, um solche Massnahmen anordnen zu können. Dem ersuchenden Staat wird eine Frist zur Einreichung eines formellen Rechtshilfeersuchens angesetzt. Verstreicht diese Frist ungenutzt, so werden die vorläufigen Massnahmen aufgehoben.

Vorbild für diese Regelung ist Artikel 18 IRSG.

Art. 7

Beschränkte Verwendung

Die Bestimmung umschreibt das für die Schweiz wichtige Spezialitätsprinzip. Sie stellt klar, in welchem Umfang die auf dem Rechtshilfeweg übermittelten Informationen und Beweismittel im ersuchenden Staat verwendet werden dürfen. Ziel der Bestimmung ist es zu verhindern, dass auf dem Rechtshilfeweg übermittelte Unterlagen vom ersuchenden Staat in der Folge für ein Verfahren verwendet werden können, für das keine Rechtshilfe geleistet worden wäre.

Entsprechend hält Absatz 1 fest, dass durch Rechtshilfe erhaltene Informationen und Beweismittel vom ersuchenden Staat nur in Verfahren verwendet werden dürfen, die der Verfolgung eines rechtshilfefähigen Delikts dienen. Für die Schweiz ist in diesem Zusammenhang vor allem bedeutsam, dass die erhaltenen Auskünfte ­ ausser wenn ein Abgabebetrug nach schweizerischem Recht vorliegt - nicht für fiskalische Straftaten verwendet werden dürfen10. Das Verwertungsverbot bezieht sich darüber hinaus auch auf Taten, die als politische oder militärische Delikte zu qualifizieren sind.

Absatz 2 schreibt vor, dass jede weitere Verwendung der erhaltenen Informationen der Zustimmung des ersuchten Staates bedarf. Er zählt im Weiteren die Fälle auf, in denen von der Einholung einer solchen Zustimmung abgesehen werden kann.

Vorbild für diese Bestimmung ist Artikel 67 IRSG.

Art. 8

Anwesenheit von Personen, die am Verfahren teilnehmen

Den am ausländischen Verfahren beteiligten Personen oder Behörden kann gestattet werden, bei der Erledigung des Rechtshilfeersuchens zugegen zu sein. Voraussetzung ist die Zustimmung des ersuchten Staates.

10

Vgl. diesbezüglich Art. 3 Abs. 3 IRSG.

4874

Die Bestimmung entspricht Artikel 4 EUeR. Für den Fall, dass die Schweiz ersuchter Staat ist, regelt Artikel 65a IRSG die Einzelheiten. Er schreibt insbesondere vor, dass die am ausländischen Verfahren Beteiligten vor dem Entscheid der zuständigen Behörde über Gewährung und Umfang der Rechtshilfe keine Kenntnis von Tatsachen aus dem Geheimbereich erhalten dürfen. Die zuständige schweizerische Rechtshilfebehörde hat das Nötige vorzukehren, damit die vorzeitige Herausgabe solcher Informationen verhindert wird.

Art. 9

Zeugenaussagen im ersuchten Staat

Die Zeugeneinvernahme im ersuchten Staat richtet sich gemäss Artikel 9 nach dem Recht dieses Staates. Die betroffene Person kann die Aussage aber auch dann verweigern, wenn ihr nach dem Recht des ersuchenden Staates ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht (Abs. 1). Diesfalls hat der ersuchende Staat zu bestätigen, dass der einzuvernehmenden Person im konkreten Fall ein solches Verweigerungsrecht zusteht (Abs. 2). Die Berufung auf ein derartiges Recht darf keinerlei gesetzlich vorgeschriebene Sanktionen nach sich ziehen (Abs. 3).

Art. 11

Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten zur Einziehung oder Rückerstattung

Eine für die Praxis wichtige Bestimmung ist Artikel 11. Er sieht vor, dass zu Sicherungszwecken beschlagnahmte Gegenstände oder Vermögenswerte dem ersuchenden Staat zur Einziehung oder Rückerstattung an die berechtigte Person herausgegeben werden können. Massgebend ist dabei das innerstaatliche Recht des ersuchten Staates. Für die Schweiz ist dies Artikel 74a IRSG.

Die Bestimmung ergänzt die herkömmliche, bereits im EUeR verankerte Herausgabe zu Beweiszwecken, die sich in Artikel 10 des Vertrags findet. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass die im Rahmen von Rechtshilfe erfolgende Beschlagnahme von Gegenständen und insbesondere von Vermögenswerten zu Sicherungszwecken vor allem dann Sinn macht, wenn eine Herausgabe an den ersuchenden Staat zur Einziehung oder Rückerstattung an die berechtigte Person möglich ist.

Art. 13

Strafregister und Austausch von Strafnachrichten

Absatz 1 bezieht sich auf im Zusammenhang mit einer Strafsache gestellte Ersuchen um Informationen aus dem Strafregister. Der Umfang der zu erteilenden Auskünfte entspricht dem, was im Verhältnis zu den Justizbehörden des ersuchten Staates üblich ist.

Die Übermittlung von Auszügen aus dem Strafregister ist nach Absatz 2 auch für nicht strafrechtliche Zwecke wie beispielsweise Administrativverfahren möglich.

Massgebend sind die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften. In der Schweiz richtet sich die Abgabe von Strafregisterauszügen an das Ausland nach Artikel 24 der Verordnung vom 1. Dezember 199911 über das automatisierte Strafregister.

Absatz 3 hat die automatische Mitteilung der gegen die Staatsangehörigen der anderen Vertragspartei ergangenen strafrechtlichen Entscheidungen zum Inhalt. Die Informationspflicht beschränkt sich auf die Eintragungen, wie sie sich im Strafregis11

SR 331

4875

ter finden, und erfolgt in der Praxis durch die Übermittlung eines Formulars. Darüber hinausgehende Informationen, beispielsweise in Form vollständiger Urteile, müssen in diesem Rahmen nicht übermittelt werden.

Die Bestimmung orientiert sich an den Artikeln 13 und 22 EUeR.

Art. 14

Anzeigen zum Zweck der Strafverfolgung oder Einziehung

Diese Bestimmung ermöglicht es, die andere Vertragspartei um Eröffnung eines Strafverfahrens zu ersuchen. Sie wird dann zum Tragen kommen, wenn ein Staat Kenntnis vom Vorliegen einer strafbaren Handlung hat und Interesse an deren Ahndung zeigt, er jedoch nicht in der Lage ist, selber ein entsprechendes Verfahren zu eröffnen. Dies kann der Fall sein, wenn eine in der einen Vertragspartei straffällig gewordene Person in der Folge auf das Territorium der anderen Vertragspartei flüchtet und eine Auslieferung beispielsweise auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit nicht möglich ist. Denkbar ist auch, dass eine Vertragspartei konkrete Hinweise dafür hat, dass gegen einen ihrer Staatsangehörigen in der anderen Vertragspartei eine Straftat begangen wurde, sie selber den Täter aber wiederum nicht strafrechtlich verfolgen kann, da sich auch hier eine Auslieferung durch die andere Partei nicht als möglich erweist.

Die Bestimmung begründet keine Verpflichtung zur Strafverfolgung. Der Staat, der eine solche Anzeige erhalten hat, muss den anderen Staat aber über alle auf Grund dieser Anzeige getroffenen Massnahmen informieren.

Die Regelung ist Artikel 21 EUeR nachgebildet, ist aber umfassender als diese, da sie auch Anzeigen zum Zweck der Einziehung von Deliktsgut nach Artikel 11 umfasst.

Art. 15

Unaufgeforderte Übermittlung von Informationen

Angesichts der heute oftmals grenzüberschreitenden Dimension von Straftaten können einer Behörde im Laufe ihrer Ermittlungen Informationen und Beweismittel zukommen, die für die Behörden der anderen Vertragspartei unter Umständen ebenfalls von Interesse sind. Solche Informationen und Beweismittel sollen auch ohne vorgängiges Rechtshilfeersuchen übermittelt werden können, wenn sie geeignet sind, dem anderen Staat bei der Einleitung oder Durchführung eigener Ermittlungen oder Verfahren zu helfen, oder wenn sie ihn in die Lage versetzen, ein Rechtshilfeersuchen zu stellen. Damit wird ein Beitrag zu einer effizienteren Verbrechensbekämpfung geleistet, stellt der möglichst frühzeitige und rasche Informationsaustausch doch eine wichtige Waffe im Kampf gegen die Kriminalität dar.

Die Übermittlung erfolgt im Rahmen des innerstaatlichen Rechts. Sie ist fakultativ und hindert die übermittelnde Vertragspartei nicht an eigenen Ermittlungen oder an der Einleitung eines eigenen Verfahrens. Die Verwendung der übermittelten Informationen kann an Bedingungen geknüpft werden.

Die Idee, Informationen auch ohne vorgängiges Rechtshilfeersuchen zu übermitteln, entstammt Artikel 10 des Übereinkommens vom 8. November 199012 über Geldwäscherei sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten. Artikel 67a IRSG, der die unaufgeforderte Übermittlung von Informatio12

Geldwäschereiübereinkommen (SR 0.311.53)

4876

nen und Beweismitteln ebenfalls vorsieht, regelt die Einzelheiten für den Fall, dass die Schweiz übermittelnder Staat ist.

2.3

Kapitel III: Zustellung von Verfahrensurkunden und Gerichtsentscheidungen ­ Erscheinen von Zeugen, Sachverständigen und strafrechtlich verfolgten Personen

Art. 16-19

Zustellung von Verfahrensurkunden; Vorladungen

Die Bestimmungen über die Zustellung von Verfahrensurkunden und Gerichtsentscheidungen sowie über die Vorladung von Zeugen und Sachverständigen sind dem Kapitel III des EUeR entnommen (Art. 7-10, 12).

Das freie Geleit der vorgeladenen Person wird im Verhältnis zum EUeR in seinem zeitlichen Geltungsbereich ausgedehnt: Der Schutz der betreffenden Person vor Verfolgung und Freiheitsbeschränkung im ersuchenden Staat wegen einer Handlung oder Verurteilung aus der Zeit vor ihrer Abreise aus dem ersuchten Staat erlischt nach 30 Tagen, nachdem ein Verlassen des ersuchenden Staates möglich gewesen wäre (Art. 19 Abs. 3). Der Zeitrahmen entspricht dem, was in den Rechtshilfeverträgen mit Australien und Hongkong ausgehandelt wurde13.

Art. 20

Umfang der Zeugenaussage im ersuchenden Staat

Eine Person, die auf Grund einer Vorladung im ersuchenden Staat erscheint, um als Zeuge auszusagen, trifft eine Aussagepflicht, soweit ihr nicht nach dem Recht des ersuchenden oder des ersuchten Staates ein entsprechendes Verweigerungsrecht zusteht. Die Aussagepflicht sowie die damit zusammenhängende Herausgabe von Beweismitteln kann mittels Zwang durchgesetzt werden.

Artikel 20 bildet das Gegenstück zu Artikel 9, der die Zeugenaussage im ersuchten Staat zum Inhalt hat.

Art. 21

Überführung inhaftierter Personen

Die Artikel 11 EUeR nachgebildete Bestimmung wird durch Absatz 4 ergänzt, der im Interesse der überführten Person ausdrücklich vorschreibt, dass die aus der Überführung resultierende Haft im ersuchenden Staat an die im ersuchten Staat zu verbüssende Freiheitsstrafe anzurechnen ist. Derselbe Gedanke findet sich im Rechtshilfevertrag mit Australien14.

Art. 22

Einvernahme per Videokonferenz

Diese Bestimmung regelt die Einvernahme von Zeugen und Sachverständigen, unter gewissen Umständen auch von verdächtigen und strafrechtlich verfolgten Personen, per Videokonferenz. Sie macht sich Errungenschaften der modernen Telekommunikationstechnologie zunutze: Über die Herstellung einer direkten Videoverbindung 13 14

Art. 15 des Rechtshilfevertrags mit Australien (SR 0.351.915.8) und Art. 21 des Rechtshilfevertrags mit Hongkong (SR 0.351.941.6).

Vgl. Art. 13.

4877

können Personen in ihrem Aufenthaltsstaat angehört werden, ohne dass sie sich persönlich in den anderen Staat begeben müssen. Zum Tragen kommt die Bestimmung dann, wenn ein Erscheinen zur Einvernahme im anderen Staat nicht zweckmässig oder nicht möglich ist. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn sich die betreffende Person ins Ausland abgesetzt hat, weil sie in dem um Einvernahme ersuchenden Staat eine Strafverfolgung riskiert. Weitere denkbare Anwendungsfälle sind, dass die Anwesenheit eines Zeugen für ein anderes Verfahren im ersuchten Staat notwendig ist oder dass gegen einen in einem der beiden Staaten festgehaltenen Zeugen ein Auslieferungsverfahren zu Gunsten eines Drittstaates läuft. Fluchtoder Kollusionsgefahr, Überlegungen des Zeugenschutzes sowie Alter oder Gesundheitszustand der betroffenen Person können ebenfalls für eine Einvernahme per Videokonferenz sprechen. Hätte die Person für eine Einvernahme vor Ort grosse Distanzen zurückzulegen, so können sich schliesslich, vor allem mit Blick auf Reisespesen, Fragen hinsichtlich der Verhältnismässigkeit des persönlichen Erscheinens stellen.

Die Absätze 1­6 befassen sich mit der Einvernahme von Zeugen und Sachverständigen. Sie regeln die Bedingungen und das zu befolgende Verfahren15.

Sind die Voraussetzungen nach Absatz 1 gegeben, so besteht bei einem entsprechenden Ersuchen eine Pflicht des ersuchten Staates zur Durchführung der Einvernahme per Videokonferenz, falls im konkreten Einzelfall eine derartige Einvernahme seinen Grundprinzipien nicht zuwiderläuft. Für die Schweiz bedeutet Letzteres insbesondere, dass der Einsatz der Videokonferenz nicht zu einer Verletzung des Rechts auf einen fairen Prozess führen darf. Hingegen kann ein Ersuchen nicht einzig mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Einvernahme von Zeugen oder Sachverständigen per Videokonferenz nach dem Recht des ersuchten Staats nicht vorgesehen ist oder dass eine oder mehrere Detailvoraussetzungen für die Einvernahme auf diesem Weg nach seinem innerstaatlichen Recht nicht erfüllt sind.

Verfügt der ersuchte Staat nicht über die erforderlichen technischen Vorrichtungen, so können ihm diese vom ersuchenden Staat zur Verfügung gestellt werden (Abs. 2).

Zu den wichtigsten Verfahrensregeln gehört, dass bei der Durchführung der Einvernahme sicherzustellen ist, dass die
Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Staates eingehalten werden (Abs. 4 Bst. a). Ist die Schweiz ersuchter Staat, so muss die schweizerische Justizbehörde insbesondere dann einschreiten, wenn die ersuchende Justizbehörde während der Einvernahme zu unredlichen oder unkorrekten Mitteln zur Beeinflussung der Einvernahme greift.

Das Zeugnisverweigerungsrecht wird gleich gehandhabt wie bei einer herkömmlichen Einvernahme (Abs. 4 Bst. e). Die Folgen einer Zeugnisverweigerung oder einer Falschaussage sind die gleichen wie im Fall einer Einvernahme im Rahmen eines innerstaatlichen Verfahrens (Abs. 6).

Das nach Absatz 5 vorgeschriebene Protokoll beschränkt sich auf die Umstände der Einvernahme (Ort, Datum, beteiligte Personen usw.); der Wortlaut der Aussage muss nicht wiedergegeben werden.

Gemäss Absatz 7 können verdächtige und strafrechtlich verfolgte Personen ebenfalls per Videokonferenz einvernommen werden. Hier gelten jedoch teilweise andere 15

Die mit einer Einvernahme per Videokonferenz verbundenen Kosten sind separat geregelt; vgl. Art. 29.

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Regeln. Zum einen ist die Zustimmung der betroffenen Person zu einer Einvernahme auf diesem Weg erforderlich. Zum andern trifft den ersuchten Staat keine Pflicht, auf ein entsprechendes Ersuchen hin die Einvernahme per Videokonferenz durchzuführen. Die Entscheidung, ob und in welcher Form eine solche durchgeführt werden soll, ist von den Zentralbehörden im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und den einschlägigen internationalen Übereinkünften zu treffen.

Die Bestimmung über die Einvernahme per Videokonferenz ist Artikel 9 des Zweiten Zusatzprotokolls zum EUeR nachgebildet16. Auf bilateraler Ebene hat die Schweiz eine solche Regelung erstmals im Zusatzvertrag mit Italien zum EUeR ausgehandelt17.

2.4

Kapitel IV: Verfahren

Art. 23 und 25

Zentralbehörde; Ausführung des Ersuchens

Neu übermitteln von den Vertragsparteien bezeichnete Zentralbehörden Rechtshilfeersuchen und dienen als Ansprechpartner für deren Behandlung. Auf den bisher üblichen diplomatischen Weg soll nur zurückgegriffen werden, falls sich dies im Einzelfall als notwendig erweist. Die Bestimmung stellt eine wichtige Massnahme zur Verfahrensbeschleunigung dar. Die damit ermöglichten direkten Kontakte zwischen den innerhalb der Verwaltungen für die Organisation der Rechtshilfe zuständigen Personen sind überdies geeignet, die Zusammenarbeit allgemein zu verbessern. Unter anderem lassen sich Missverständnisse, die sich auf die Zusammenarbeit erschwerend auswirken können, auf diese Weise leichter ausräumen.

Schweizerische Zentralbehörde ist das Bundesamt für Justiz. Verglichen mit der Zentralstelle für die USA oder derjenigen für Italien18, beide ebenfalls im Bundesamt für Justiz angesiedelt, verfügt sie grundsätzlich über weniger umfassende Befugnisse. Sie soll lediglich die im IRSG vorgesehenen Vorprüfungs-, Übermittlungs- und Kontrollfunktionen wahrnehmen, wie sie etwa in Artikel 25 des Vertrags zum Ausdruck kommen. In diesem Zusammenhang ist aber immerhin Artikel 79a IRSG zu beachten, der dem Bundesamt die Möglichkeit gibt, in gewissen Fällen selber über die Ausführung eines Rechtshilfeersuchens zu entscheiden.

Massgebend für die konkrete Ausführung eines Rechtshilfeersuchens sind die einschlägigen Bestimmungen des IRSG und das in Strafsachen geltende Verfahrensrecht der Kantone und des Bundes.

16 17

18

Zweites Zusatzprotokoll vom 8. Nov. 2001 zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (BBl 2003 3305).

Art. VI des Vertrags vom 10. Sept. 1998 zwischen der Schweiz und Italien zur Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und zur Erleichterung seiner Anwendung (SR 0.351.945.41).

Art. 28 des Staatsvertrags zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (SR 0.351.933.6) in Verbindung mit Art. 5 des Bundesgesetzes zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (SR 351.93); Art. XVIII des Zusatzvertrags mit Italien zum EUeR.

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Art. 27

Formerfordernisse

Absatz 1 statuiert die Befreiung von Beglaubigungen und anderen umständlichen Förmlichkeiten; der ersuchende Staat darf grundsätzlich für im Rahmen der Rechtshilfe nach diesem Vertrag zu übermittelnde Unterlagen und Materialien keine Formvorschriften aufstellen. Dies ist im vorliegenden Fall von umso grösserer Bedeutung, als die Philippinen diesbezüglich vom amerikanischen Recht, das auf Formalitäten grossen Wert legt, geprägt sind. Die Bestimmung, die Artikel 17 EUeR nachgebildet ist, vereinfacht und beschleunigt das Rechtshilfeverfahren.

Nur wenn ausdrücklich darum ersucht wird, sind die zu übermittelnden Unterlagen durch die Zentralbehörde des ersuchten Staates als echt zu bescheinigen (Abs. 2). Es handelt sich hierbei aber nicht um ein aufwändiges Beglaubigungsverfahren mit Versiegelung der Beweisunterlagen und eidesstattlichen Erklärungen, sondern es geht lediglich darum, die Echtheit der fraglichen Dokumente und Beweismittel zu bestätigen. In der Praxis geschieht dies durch das Anbringen eines entsprechenden Stempels. Absatz 3 dient der Verdeutlichung der Absätze 1 und 2.

Die Einschränkung der Formerfordernisse wirkt sich gemäss Absatz 4 in dem Sinn auf das innerstaatliche Verfahren im ersuchenden Staat aus, als von der Zentralbehörde des ersuchten Staates übermittelte Beweismittel ohne zusätzliche Erklärung oder Beglaubigungsnachweis zum Beweis zuzulassen sind.

Art. 28

Sprache

Die Bestimmung über die für ein Rechtshilfeersuchen und dessen Beilagen zu verwendende Sprache entspricht dem, was bereits im Auslieferungsvertrag mit den Philippinen ausgehandelt werden konnte19.

2.5

Kapitel V: Schlussbestimmungen

Art. 31 und 32

Meinungsaustausch; Beilegung von Streitigkeiten

Bei Fragen oder Schwierigkeiten bezüglich der Anwendung des Vertrags, seiner Umsetzung oder eines konkreten Einzelfalls erfolgt ein Meinungsaustausch zwischen den Zentralbehörden (Art. 31). Können einmal entstandene Streitigkeiten von diesen nicht beigelegt werden, so ist der diplomatische Weg zu beschreiten (Art. 32).

Die Vertragsparteien einigten sich auf diese Kompromisslösung nach dem Muster der im Rechtshilfevertrag mit Hongkong ausgehandelten Lösung20, nachdem die Philippinen nicht, wie von der Schweiz vorgeschlagen, ein Schiedsgericht als Streitschlichtungsorgan akzeptieren konnten.

19 20

Art. 4 Abs. 4 Art. 37

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3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund und auf die Kantone

Der Vertrag hat für die Schweiz neue Verpflichtungen zur Folge. Dies gilt vor allem für die Zentralbehörde, die im Bundesamt für Justiz den Rechtshilfeverkehr von und nach den Philippinen sicherzustellen hat.

Die zusätzlich auf die mit der Rechtshilfe befassten Behörden zukommende Arbeitslast bestimmt sich nach der Anzahl und Komplexität der gestellten Rechtshilfeersuchen. Abhängig davon, wie häufig Ersuchen um Zusammenarbeit gestellt werden und mit welchem Aufwand deren Erledigung verbunden ist, kann dabei auch für einzelne kantonale Rechtshilfebehörden eine Mehrbelastung nicht ausgeschlossen werden.

Auf Bundesstufe wird ein allfälliger ressourcenmässiger Mehraufwand departementsintern aufgefangen.

3.2

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Der Vertrag wird keine Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Schweiz haben.

4

Legislaturplanung

Die Gewährleistung der Sicherheit stellt seit jeher einen wichtigen Bestandteil der schweizerischen Politik dar. Entsprechend wird sie auch in der neuen Legislaturplanung 2003­2007 unter den zu verfolgenden Zielen explizit erwähnt21. Zu diesem Zweck ist unter anderem im Bereich Justiz und Polizei die internationale Zusammenarbeit zu optimieren. Der Rechtshilfevertrag mit den Philippinen stellt einen Baustein in der Politik der Schweiz dar, ihre Sicherheitsinteressen durch internationale Kooperation zu wahren.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten des Europarates im EUeR sowie künftig auch in dessen Zweitem Zusatzprotokoll geregelt. Zusätzlich gelangen das EUeR ergänzende bilaterale Verträge, welche die Schweiz mit ihren Nachbarstaaten abgeschlossen hat, zur Anwendung22. Weitere Instrumente des Europarates wie das Geldwäschereiübereinkommen regeln die Rechtshilfe für einzelne Bereiche oder Deliktskategorien.

21 22

BBl 2004 1149 ff., Ziel 9 Ausser mit Liechtenstein hat die Schweiz mit allen ihren Nachbarstaaten Zusatzverträge abgeschlossen: Vertrag mit Deutschland (SR 0.351.913.61), Österreich (SR 0.351.916.32), Frankreich (SR 0.351.934.92) und Italien (SR 0.351.945.41).

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Der Rechtshilfevertrag zwischen der Schweiz und den Philippinen übernimmt alle wesentlichen im EUeR verankerten Grundsätze und macht sich darüber hinaus auch Errungenschaften anderer Europaratsinstrumente nutzbar. Dementsprechend ist er mit dem europäischen Recht kompatibel.

6

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV) sind die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes. Damit fällt auch der Abschluss von Verträgen mit ausländischen Staaten in seine Zuständigkeit. Die Bundesversammlung ist auf Grund von Artikel 166 Absatz 2 BV zuständig für die Genehmigung der Staatsverträge.

Völkerrechtliche Verträge unterstehen nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2), wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3).

Der Rechtshilfevertrag mit den Philippinen ist kündbar (vgl. Art. 33) und sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor.

Es bleibt die Frage, ob der Vertrag wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthält oder ob seine Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Unter rechtsetzenden Bestimmungen sind nach Artikel 22 Absatz 4 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 200222 über die Bundesversammlung Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Wichtige Bestimmungen sind solche, die im internen Recht im Lichte von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines formellen Gesetzes zu erlassen sind.

Das Vorhandensein wichtiger rechtsetzender Bestimmungen ist im vorliegenden Fall zu bejahen: Der Rechtshilfevertrag mit den Philippinen schafft für die Vertragsparteien eine völkerrechtliche Verpflichtung, einander in möglichst weitgehendem Umfang Rechtshilfe zu leisten. Von dieser Verpflichtung werden auch Rechte und Pflichten von Individuen tangiert. Darüber hinaus werden den mit der Vertragsanwendung betrauten Behörden Zuständigkeiten zugewiesen. Der Vertrag enthält damit rechtsetzende Bestimmungen. Diese sind insofern als wichtig zu erachten, als sie, wenn sie auf nationaler Ebene erlassen würden, auf Grund von Artikel 164 Absatz 1 BV in einem Gesetz im formellen Sinn erlassen werden müssten. Daraus folgt, dass der Bundesbeschluss zur Genehmigung des Vertrags auf Grund von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV dem fakultativen Staatsvertragsreferendum zu unterstellen ist.

22

Parlamentsgesetz (ParlG; SR 171.10).

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