01.465 Parlamentarische Initiative Bürgschaften. Zustimmung des Ehegatten (Art. 494 OR) Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 1. Juli 2004

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Obligationenrechts. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

1. Juli 2004

Im Namen der Kommission Der Präsident: Luzi Stamm

2004-1564

4955

Bericht 1

Ausgangslage

1.1

Die parlamentarische Initiative

Am 13. Dezember 2001 reichte Nationalrat Maurice Chevrier eine parlamentarische Initiative ein, welche die Aufhebung von Artikel 494 Absatz 2 des Obligationenrechts (OR)1 verlangt. Diese Bestimmung nimmt Personen, die im Handelsregister eingetragen sind, vom Grundsatz aus, wonach für den Abschluss eines Bürgschaftsvertrags die Zustimmung des Ehegatten eingeholt werden muss. Mit der allgemeinen Verpflichtung, für den Abschluss eines Bürgschaftsvertrags die Zustimmung des Ehegatten einzuholen, soll der Wohlstand der Familie im heutigen Wirtschaftsumfeld geschützt werden.

Am 2. September 2002 hat die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates die parlamentarische Initiative vorgeprüft. Sie beantragte mit 17 zu 2 Stimmen, der Initiative Folge zu geben. Die Minderheit der Kommission wollte ihr keine Folge geben mit der Begründung, dass kleine Unternehmungen in ihrem Wirtschaftsgebaren behindert würden, wenn die im Handelsregister eingetragene Person die Schulden ihres Betriebes nur mit der Zustimmung des Ehegatten verbürgen könnte.

Am 20. Juni 2003 schloss sich der Nationalrat der Kommissionsmehrheit an und gab der Initiative mit 106 zu 54 Stimmen Folge2.

Gestützt auf Artikel 21quater Absatz 1 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG)3 beauftragte der Nationalrat die Kommission für Rechtsfragen mit der Ausarbeitung einer Vorlage.

1.2

Arbeiten der Kommission

Die Kommission für Rechtsfragen befasste sich am 1. April, 29. April und 1. Juli 2004 mit dieser Initiative. Am 1. Juli 2004 hat sie mit 13 zu 4 Stimmen den beiliegenden Gesetzesentwurf angenommen. Sie wurde gemäss Artikel 21quater Absatz 2 GVG in ihrer Arbeit vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unterstützt.

1 2 3

SR 220 AB 2003 N 1218 SR 171.11; vgl. Art. 173, Ziff. 3 des Bundesgesetzes über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, PG; SR 171.10).

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2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Geltendes Recht

2.1.1

Zustimmung des Ehegatten innerhalb des Bürgschaftsrechts

Artikel 494 Absatz 1 OR stellt den Grundsatz auf, dass die Bürgschaft einer verheirateten Person zu ihrer Gültigkeit der im einzelnen Fall vorgängig oder spätestens gleichzeitig abgegebenen schriftlichen Zustimmung des Ehegatten bedarf, wenn die Ehe nicht durch richterliches Urteil getrennt ist.

Artikel 494 Absatz 2 OR zählt in abschliessender Weise die Personen auf, die aufgrund ihrer Eintragung im Handelsregister eine Bürgschaft ohne Einwilligung des Ehegatten eingehen können. Dies trifft zu, wenn der Bürge im Handelsregister als Inhaber einer Einzelfirma, als Mitglied einer Kollektivgesellschaft, als unbeschränkt haftendes Mitglied einer Kommanditgesellschaft, als Mitglied der Verwaltung oder Geschäftsführung einer Aktiengesellschaft, als Mitglied der Verwaltung einer Kommanditaktiengesellschaft oder als geschäftsführendes Mitglied einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingetragen ist.

Der bundesrätliche Entwurf sah für verheiratete Bürgen keine Pflicht vor, die Zustimmung des Ehegatten einzuholen. Für nicht im Handelsregister eingetragene Bürgen wäre das Zustimmungserfordernis zwar «sachlich angemessen und empfehlenswert» gewesen und hätte einen grossen Teil der unerwünschten Bürgschaften vermieden. Diese Lösung wurde aber «politisch nicht für tragbar» gehalten, und man wollte «das Schiff mit dieser gefährlichen Fracht nicht belasten». Deshalb wurde sie nur als eventueller Vorschlag erwähnt.4 Die Bestimmung, wonach für den Abschluss eines Bürgschaftsvertrags die Zustimmung des Ehegatten erforderlich ist, wurde seinerzeit im Parlament auf Grund eines Minderheitsantrags eingeführt. Hauptsächlich um die Gefahr eines Referendums zu verringern und den Geschäftsgang eines Unternehmens nicht zu sehr zu behindern, hat das Parlament bei Bürgschaften von Personen, die im Handelsregister eingetragen sind, eine Ausnahme von diesem Grundsatz statuiert. Dies wurde damit begründet, dass im Handelsregister eingetragene Personen im Geschäftsleben besonders versiert und daher besser in der Lage seien, Sinn und Tragweite der von ihnen eingegangenen Verpflichtungen einzuschätzen.5 Die Regelung wurde vom Parlament am 10. Dezember 1941 verabschiedet und ist seit dem 1. Juli 1942 in Kraft.

4 5

Botschaft vom 20. Dezember 1939 zur Revision des Bürgschaftsrechts, BBl 1939 II 841, 865 f.

Leo Duft, Die Zustimmung des Ehegatten als Gültigkeitserfordernis für die Bürgschaft, St.Gallen 1943, S. 30 f.

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2.1.2

Zustimmung des Ehegatten ausserhalb des Bürgschaftsrechts

Die Zustimmung des Ehegatten ist in folgenden Bestimmungen des Zivilgesetzbuchs (ZGB)6 und des Obligationenrechts vorgesehen: ­

Artikel 169 Absatz 1 ZGB für die Kündigung des Mietvertrags, die Veräusserung des Hauses oder der Wohnung der Familie und für die Beschränkung der Rechte an den Wohnräumen der Familie durch andere Rechtsgeschäfte;

­

Artikel 201 Absatz 2 ZGB für die Verfügung des einen Ehegatten über seinen Anteil an einem Vermögenswert, der im Miteigentum beider Ehegatten steht, sofern nichts anderes vereinbart ist;

­

Artikel 208 Absatz 1 Ziffer 1 ZGB für unentgeltliche Zuwendungen, die nicht zur Errungenschaft hinzugerechnet werden sollen;

­

Artikel 229 ZGB, um mit Mitteln des Gesamtguts einen Beruf allein auszuüben oder ein Gewerbe allein zu betreiben;

­

Artikel 230 ZGB für die Ausschlagung einer Erbschaft, die ins Gesamtgut fallen würde, und für die Annahme einer überschuldeten Erbschaft;

­

Artikel 266 Absatz 2 ZGB, um als mündige oder entmündigte Person adoptiert zu werden;

­

Artikel 266m Absatz 1 OR für die Kündigung des Mietvertrags über Räume, die als Wohnung der Familie dienen;

­

Artikel 331d Absatz 5 OR für die Verpfändung des Anspruchs auf Vorsorgeleistungen oder der Freizügigkeitsleistung zum Zweck des Erwerbs von Wohneigentum zum eigenen Bedarf;

­

Artikel 331e Absatz 5 OR für den Vorbezug von Leistungen der Vorsorgeeinrichtung zum Zweck des Erwerbs von Wohneigentum zum eigenen Bedarf.

All diesen Bestimmungen ist gemeinsam, dass die Zustimmung des Ehegatten ausnahmslos, also insbesondere auch bei Personen, die im Handelsregister eingetragen sind, verlangt wird.

Häufig ist vorgesehen, dass der Ehegatte das Gericht anrufen kann, wenn er die Zustimmung nicht einholen kann oder wenn der andere Ehegatte sie ihm verweigert7.

Die Regelung über Teilzahlungsgeschäfte, die in bestimmten Fällen die Zustimmung des Ehegatten verlangte8, ist durch das am 1. Januar 2003 in Kraft gesetzte Kon-

6 7 8

RS 210 Vgl. Art. 169 Abs. 2, 230 Abs. 2 ZGB, Art. 266m Abs. 2, 331d Abs. 5 und 331e Abs. 5 OR.

Die Zustimmung des Ehegatten für den Abschluss von Abzahlungsverträgen (Art. 226b Abs. 1 aOR) und von Vorauszahlungsverträgen (Art. 228 Abs. 1 aOR) wurde verlangt, falls die Verpflichtung 1000 Franken überstieg und der Käufer und sein Ehegatte einen gemeinsamen Haushalt führten. Eine Ausnahme war unter anderem für den Fall vorgesehen, dass der Käufer im Handelsregister als Firma oder als Zeichnungsberechtigter einer Einzelfirma oder einer Handelsgesellschaft eingetragen war (Art. 226m Abs. 4 und 227i aOR).

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sumkreditgesetz vom 23. März 2001 (KKG)9 aufgehoben worden. Im Unterschied zum entsprechenden Entwurf des Bundesrates sah das Parlament im Konsumkreditgesetz für den Abschluss von Konsumkreditverträgen keine Zustimmung des Ehegatten vor.

2.2

Verstärkter finanzieller Schutz der Familie

Die Kommission ist der Meinung, dass es in der heutigen Wirtschaftswelt wichtig ist, die Familie besser zu schützen. In den letzten Jahren sind viele Kleinfirmen entstanden, die zum Teil grosse wirtschaftliche Probleme haben. Dabei handelt es sich vielfach um Einzelfirmen ohne Angestellte, deren Inhaber häufig bis an die Grenze zur finanziellen Selbstausbeutung gehen, was meist zu familiären Schwierigkeiten führt. Die Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren verändert, und es ist deshalb in den Augen der Kommission heute nicht mehr gerechtfertigt, im Handelsregister eingetragene Personen von der Pflicht zu entbinden, beim Abschluss eines Bürgschaftsvertrags die Zustimmung des Ehegatten einzuholen, da solche Personen nicht zwangsläufig umsichtiger sind als nicht im Handelsregister eingetragene Personen. Oft wirkt sich der Geschäftsgang eines kleinen oder mittleren Unternehmens stark auf das Familienleben aus, und es muss deshalb verhindert werden, dass einer Familie ohne ihr Wissen Risiken aufgebürdet werden.

2.2.1

Mehrheit der Kommission

Die Kommission hat bei ihren Beratungen verschiedene Möglichkeiten geprüft, wie das Initiativanliegen ganz oder teilweise erfüllt werden kann. In ihrem Bestreben, den Schutz der Familie auf diesem Gebiet klar zu verbessern, hat die Mehrheit der Kommission sich schon früh dafür entschieden (mit 9 zu 7 Stimmen), dem Grundsatz der Zustimmung des Ehegatten allgemeine Gültigkeit zu verschaffen und demzufolge Artikel 494 Absatz 2 OR aufzuheben. Damit wird nicht nur eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung beseitigt, sondern werden gleichzeitig auch die bestehenden Regelungen über das Zustimmungserfordernis vereinheitlicht. Heute sieht nämlich keine Bestimmung des ZGB oder OR, welche die Zustimmung des Ehegatten verlangt, eine Ausnahme für Personen vor, die ­ in welcher Eigenschaft auch immer ­ in einem Handelsregister eingetragen sind10. Gemäss diesem Vorschlag muss eine verheiratete Person, die einen Bürgschaftsvertrag abschliessen will, die Zustimmung des Ehegatten einholen, und zwar unabhängig davon, ob sie in einem Handelsregister eingetragen ist oder nicht. Einzig die Personen, die durch ein richterliches Urteil getrennt sind ­ und auf die somit von Gesetzes wegen die Gütertrennung Anwendung findet (Art. 118 Abs. 1 ZGB) ­ können sich ohne die Zustimmung des Ehegatten als Bürgen verpflichten. Ob diese Personen in irgendeiner Funktion im Handelsregister eingetragen sind, spielt somit keine Rolle.

Entgegen der Minderheit ist die Mehrheit der Auffassung, dass für Bürgen, die eine Aktiengesellschaft, Kommanditaktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung beherrschen, keine neue Ausnahme vorgesehen werden soll, weil 9 10

SR 221.214.1 Vgl. 2.1.2.

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dadurch jene von der Initiative anvisierten Fälle ausgeklammert würden, die besonders häufig vorkommen und bei denen das Risiko am höchsten ist. Gerade aus der Verbürgung der Unternehmensschuld durch den Unternehmensleiter können seiner Familie finanzielle Schwierigkeiten erwachsen.

2.2.2

Minderheit der Kommission

Eine Minderheit der Kommission (Baumann J. Alexander, Burkhalter, Huber, Joder, Markwalder Bär, Pagan) ist der Meinung, dass der Vorschlag der Kommissionsmehrheit zu weit geht: Den Inhabern kleiner und mittlerer Unternehmen mit Finanzbedarf muss es möglich sein, gegenüber der Bank für die Schuld ihrer Betriebe zu bürgen und so Kredite zu günstigeren Bedingungen zu erhalten, dies ohne Einbezug des Ehegatten, weil sonst das Geschäftsleben des Unternehmens erschwert und behindert würde. Die Minderheit beantragt deshalb, an einer Ausnahme zu Artikel 494 Absatz 1 OR festzuhalten und Abs. 2 wie folgt zu ändern: Die Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn der Bürge die Hauptschuld einer von ihm beherrschten Aktiengesellschaft, Kommanditaktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung verbürgt. Das Zustimmungserfordernis ist aufzuheben in Fällen, wo das Unternehmen des Bürgen nicht zum Vermögen des Bürgen gehört und eine juristische Person bildet.

2.2.3

Bundesgesetz über den Konsumkredit

Die Kommission hat darauf verzichtet, das Bundesgesetz über den Konsumkredit (KKG) durch eine Bestimmung zu ergänzen, die für die Gültigkeit von Konsumkreditverträgen die Zustimmung des Ehegatten des Kreditnehmers verlangt hätte.

Dieser Verzicht rechtfertigt sich aus zwei Gründen. Zum einen unterscheidet sich die Situation des Bürgen stark von derjenigen des Konsumkreditnehmers: Der Bürge garantiert die Schuld eines Dritten, nämlich des Hauptschuldners, während der Konsument Güter oder Dienstleistungen erwirbt, deren Bezahlung durch einen Kredit vorfinanziert wird. Zum andern hat das Parlament erst vor kurzem ­ das KKG wurde am 23. März 2001 verabschiedet und ist am 1. Januar 2003 in Kraft getreten ­ die Zustimmung des Ehegatten des Konsumkreditnehmers abgelehnt, und dies entgegen dem Vorschlag des Bundesrates und nach eingehender Beratung.

2.2.4

Unterschiedliche Behandlung von Ehegatten und Konkubinatspaaren

Ebenso verzichtet wurde auf eine Gleichstellung von Ehegatten und Konkubinatspaaren in dem Sinne, dass eine im Konkubinat lebende Person nur mit Zustimmung ihres Partners eine Bürgschaft hätte eingehen können. Für diesen Verzicht sprechen mehrere Gründe. Einerseits kennt das Gesetz keine Unterhaltspflicht der im Konkubinat lebenden Personen. Andererseits gibt es beim Konkubinat weder ein Familienvermögen noch güterrechtliche Anwartschaften, die geschützt werden könnten.

Schliesslich müsste das Gesetz im Interesse der Rechtssicherheit definieren, welche Konkubinatsverhältnisse als so stabil gelten, dass sie der Ehe gleichgestellt werden können, was ein schwieriges Unterfangen wäre. Im Übrigen sei daran erinnert, dass 4960

das Bundesgesetz vom 18. Juni 2004 über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare Artikel 494 OR mit einem Absatz 4 ergänzt, der besagt, dass die gleiche Regelung bei eingetragenen Partnerschaften sinngemäss gilt11.

2.2.5

Weitere Diskussionspunkte

Im Laufe der Kommissionsarbeiten kamen weitere mögliche Ausnahmen vom Grundsatz des Zustimmungserfordernisses zur Sprache.

Insbesondere prüfte die Kommission die Möglichkeit, das Zustimmungserfordernis auf Bürgschaften einer bestimmten Höhe zu beschränken. Diese Lösung wurde aber abgelehnt, weil jeder gesetzlichen Festlegung eines frankenmässigen Höchstbetrages etwas Willkürliches anhaftet.

Aus Gründen der Rechtssicherheit ­ und somit letztlich im Interessse des Gläubigers ­ und zum Schutz des Familienvermögens und güterrechtlicher Anwartschaften (die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts ist häufig die Vorstufe zur Scheidung) wollte die Kommission nicht, dass neben der Aufhebung von Absatz 2 im ersten Absatz der Begriff der gerichtlichen Trennung mit dem Fehlen eines gemeinsamen Haushaltes der Ehegatten ersetzt wird.

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die beantragte Änderung hat keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf Bund, Kantone und Gemeinden.

4

Verfassungsmässigkeit

Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts ist gemäss Artikel 122 der Bundesverfassung12 Sache des Bundes.

11 12

BBl 2004 3137 SR 101

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