04.054 Botschaft über die Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft» vom 18. August 2004

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen die Botschaft über die Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft». Wir beantragen Ihnen, die Initiative Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung zu unterbreiten.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. August 2004

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Joseph Deiss Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2004-0694

4937

Übersicht Die Initiative verlangt eine Übergangsbestimmung zu Artikel 120 der Bundesverfassung, die für die Dauer von fünf Jahren eine «gentechnikfreie» Landwirtschaft vorschreibt. Sie verbietet insbesondere das Einführen und das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten vermehrungsfähigen Pflanzen, Pflanzenteilen und Saatgut, welche für die landwirtschaftliche, gartenbauliche oder forstwirtschaftliche Anwendung in der Umwelt bestimmt sind. Das Verbot gilt ebenfalls für gentechnisch veränderte Tiere, welche für die Produktion von Lebensmitteln und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen bestimmt sind. Dagegen gilt es nicht für die Verwendung importierter gentechnisch veränderter Lebensmittel wie Mais und Soja.

Der Initiativtext lässt offen, ob bei einer «gentechnikfreien» Landwirtschaft auch Futtermittel, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Tierarzneimittel unter das Verbot fallen. Der Bundesrat geht davon aus, dass dies nicht der Fall ist.

Die Bestimmungen des Gentechnikgesetzes, welches den Schutz von Mensch und Umwelt vor Missbräuchen der Gentechnologie zum Zweck hat, gehen den Initiantinnen und Initianten zu wenig weit. Der Bundesrat stellt dem Begehren entgegen, dass das Gesetz für das Einführen und Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen ein Bewilligungsverfahren vorschreibt, das vom Vorsorgeprinzip geleitet ist und auch für den Schutz der landwirtschaftlichen Produktion sorgt, die keine solchen Organismen verwendet. Gentechnisch veränderte Wirbeltiere dürfen nach diesem Gesetz in der Landwirtschaft nicht verwendet werden.

Auch wenn die Forschung und die Produktion auf dem Gebiet der Gentechnologie vom Moratorium nicht unmittelbar betroffen sind, würde doch der Forschungs- und Produktionsstandort Schweiz durch ein temporäres Verbot international an Ansehen und Interesse verlieren. Die Unsicherheit der Perspektiven für die Forschenden könnte zu Abwanderungen und damit zu einem Wissensverlust führen.

Mit einem wissenschaftlich nicht fundierten Einfuhrverbot müssten in den Aussenhandelsbeziehungen Schwierigkeiten, allenfalls Klagen wegen Verletzung von Staatsverträgen, in Kauf genommen werden.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass Artikel 120 der Bundesverfassung und das Gentechnikgesetz dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger, der Umwelt sowie der Wirtschaftsfreiheit auf
nationaler und internationaler Ebene gerecht werden.

Der Bundesrat schlägt deshalb den eidgenössischen Räten vor, die Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft» ohne Gegenentwurf abzulehnen.

4938

Botschaft 1

Formelles

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Initiative lautet: Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung vom 18. April 1999 werden wie folgt geändert: Art. 197 Ziff. 2 (neu) 2. Übergangsbestimmung zu Art. 120 (Gentechnologie im Ausserhumanbereich) Die schweizerische Landwirtschaft bleibt für die Dauer von fünf Jahren nach Annahme dieser Verfassungsbestimmung gentechnikfrei. Insbesondere dürfen weder eingeführt noch in Verkehr gebracht werden: a.

gentechnisch veränderte vermehrungsfähige Pflanzen, Pflanzenteile und Saatgut, welche für die landwirtschaftliche, gartenbauliche oder forstwirtschaftliche Anwendung in der Umwelt bestimmt sind;

b.

gentechnisch veränderte Tiere, welche für die Produktion von Lebensmitteln und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen bestimmt sind.

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft» wurde am 4. Februar 2003 von der Bundeskanzlei vorgeprüft1 und am 18. September 2003 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 13. Oktober 2003 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 120 824 gültigen Unterschriften zu Stande gekommen ist2.

Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu keinen Gegenentwurf. Gemäss Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. September 20023 hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 18. September 2004 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat gemäss Artikel 100 des Parlamentsgesetzes bis zum 18. März 2006 über die Volksinitiative zu beschliessen.

1 2 3

BBl 2003 1126 BBl 2003 6903 SR 171.10

4939

1.3

Gültigkeit

1.3.1

Einheit der Form

Die Initiative ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt die Anforderungen an die Einheit der Form nach Artikel 139 Absatz 3 BV4.

1.3.2

Einheit der Materie

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang.

Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie von Artikel 139 Absatz 3 BV.

1.3.3

Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht

Die Artikel 139 Absatz 3 sowie 194 Absatz 2 BV schreiben vor, dass Volksinitiativen auf Teilrevision der Bundesverfassung die Bestimmungen des zwingenden Völkerrechts nicht verletzen dürfen. Gemäss Artikel 139 Absatz 3 BV muss die Bundesversammlung eine Initiative, die zwingende Bestimmungen des Völkerrechts verletzt, ganz oder teilweise ungültig erklären. Die Prüfung hat ergeben, dass die Initiative keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts verletzt.

Der Bundesrat kommt zum Schluss, dass die Initiative für gültig zu erklären ist.

2

Inhalt und Ziele der Initiative

2.1

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Durch die vorgeschlagene Übergangsbestimmung in der BV wird für eine befristete Zeit eine «gentechnikfreie» Landwirtschaft verlangt. Diese Forderung wird mit zwei Verboten (Bst. a und b) präzisiert.

Das Einführen und Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten vermehrungsfähigen Pflanzen, Pflanzenteilen und Saatgut, welche für die landwirtschaftliche, gartenbauliche oder forstwirtschaftliche Anwendung in der Umwelt bestimmt sind, werden ausdrücklich verboten (Bst. a des Initiativtextes). Der Initiativtext lässt offen, ob bei einer «gentechnikfreien» Landwirtschaft auch Futtermittel, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Tierarzneimittel unter das Verbot fallen.

Das Verbot gilt ebenfalls für gentechnisch veränderte Tiere, welche für die Produktion von Lebensmitteln und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen bestimmt sind (Bst. b des Initiativtextes).

Das Moratorium dauert fünf Jahre, beginnend mit der Annahme der Initiative in der Volksabstimmung.

4

SR 101

4940

2.2

Ziele der Initiative

Mit dem Moratorium wird in erster Linie die Profilierung und Positionierung der schweizerischen Landwirtschaft als Erzeugerin von Produkten ohne gentechnisch veränderte Organismen (GVO) angestrebt. Die Initiantinnen und Initianten begründen das Moratorium mit der mehrheitlich ablehnenden Haltung in der Bevölkerung gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln und verweisen auf die Akzeptanz in der Bevölkerung, welche in der Agrarpolitik von grosser Wichtigkeit sei.

Auch Bäuerinnen und Bauern seien durch die immer tieferen Eingriffe in die Natur verunsichert.

Die Initiantinnen und Initianten erwarten, dass während der Moratoriumsfrist weltweit neue Erkenntnisse über die Auswirkungen gentechnischer Anwendungen auf das Ökosystem und die Landwirtschaft sowie über Gesundheitsaspekte bei Mensch und Tier gesammelt werden können. Das Moratorium solle genutzt werden, um allfällige beim Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut und gentechnisch veränderten Pflanzen auftretende Risiken zu klären. Im Besonderen gehe es um die unkontrollierte Verbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen (Auskreuzung auf Wildpflanzen, Auswilderung transgener Kulturpflanzen), die Resistenzentwicklung von Unkräutern sowie den damit verbundenen Herbizideinsatz. Weitere Fragen werfe die Gefährdung der Biodiversität und die Schädigung von Nützlingen auf.

Die kleinräumige Struktur der schweizerischen Landwirtschaft stelle hohe Anforderungen an den Schutz der herkömmlichen Landwirtschaft vor Kontaminationen durch GVO. Die Initiantinnen und Initianten erwarten, dass das Moratorium die nötige Zeit schafft, um optimale Bestimmungen zum Schutz der herkömmlichen Landwirtschaft zu erlassen.

2.3

Erläuterungen des Initiativtextes

Die Initiative verlangt als Grundsatz eine «gentechnikfreie» Landwirtschaft und nennt präzisierend unter den Buchstaben a und b ausdrückliche Verbote. Der Bundesrat hält sich bei der weiteren Beurteilung an diese Umschreibung. Das Verbot umfasst demnach «gentechnisch veränderte vermehrungsfähige Pflanzen, Pflanzenteile und Saatgut, welche für die landwirtschaftliche, gartenbauliche und forstwirtschaftliche Anwendung in der Umwelt bestimmt sind» sowie «gentechnisch veränderte Tiere, welche für die Produktion von Lebensmitteln und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen bestimmt sind.» Der Initiativtext lässt offen, ob bei einer «gentechnikfreien» Landwirtschaft auch Futtermittel, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Tierarzneimittel unter das Verbot fallen. Weil die Verbote im Einleitungssatz mit «insbesondere» angeführt werden, könnte gefolgert werden, dass es sich um eine nicht abschliessende Liste handelt. So wären bei einem erweiterten Geltungsbereich neben den unter den Buchstaben a und b aufgeführten Pflanzen und Pflanzenteilen, dem Saatgut und den Tieren auch die landwirtschaftlichen Produktionsmittel (Dünger, Pflanzenschutz- und Futtermittel) und die Tierarzneimittel, welche GVO sind, solche enthalten oder daraus gewonnen wurden, verboten. Gegen diese Interpretation spricht, dass die landwirtschaftlich bedeutsamen Futter- und Tierarzneimittel im Gegensatz zum Saatgut nicht ausdrücklich erwähnt sind. Der Bundesrat geht deshalb davon aus, dass der Geltungsbereich auf die unter den Buchstaben a und b aufgeführten Verbote beschränkt bleibt.

4941

Lebensmittel fallen nach dem Wortlaut der Initiative nicht unter das Moratorium, weil sie nicht zur Anwendung in der Umwelt bestimmt sind. Je nachdem, wie umfassend der Begriff «gentechnikfrei» verstanden wird, könnte es ­ falls Futtermittel aus GVO auch verboten wären ­ zum Beispiel zur Situation kommen, dass bei der Verarbeitung von gentechnisch veränderten Sojabohnen zur Ölgewinnung das anfallende Nebenprodukt Sojaschrot nicht zu Futterzwecken in der Landwirtschaft verwendet werden könnte, obwohl die Verarbeitung zur Ölgewinnung erlaubt wäre.

Nach den heute geltenden Vorschriften dürfen Lebensmittel tierischer Herkunft nicht als ,,ohne Gentechnik hergestellt" angepriesen werden, wenn sie von Tieren stammen, die mit Futtermitteln aus GVO gefüttert worden sind. Hingegen dürfen sie auch dann so angepriesen werden, wenn den Tieren aus GVO hergestellte Tierarzneimittel verabreicht worden sind (Art. 22b Abs. 8 Bst. a Ziff. 2 der Lebensmittelverordnung vom 1. März 19955). Solche Tierarzneimittel fallen auch nicht unter das Verbot von GVO nach Artikel 3 Buchstabe c der Verordnung vom 22. September 19976 über die biologische Landwirtschaft und die Kennzeichnung biologisch produzierter Erzeugnisse und Lebensmittel.

Die Definitionen der Begriffe «gentechnisch verändert» und «Inverkehrbringen» des Initiativtextes können entsprechend Artikel 5 des Gentechnikgesetzes vom 21. März 20037 (GTG) wie folgt verstanden werden: Gentechnisch veränderte Organismen sind Organismen, deren genetisches Material so verändert worden ist, wie dies unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt.

2

Als Inverkehrbringen gilt jede Abgabe von Organismen an Dritte im Inland, insbesondere das Verkaufen, Tauschen, Schenken, Vermieten, Verleihen und Zusenden zur Ansicht sowie die Einfuhr; nicht als Inverkehrbringen gilt die Abgabe für Tätigkeiten in geschlossenen Systemen und für Freisetzungsversuche.

5

Für den Begriff «vermehrungsfähige Pflanzenteile» kann die Definition nach Artikel 2 Buchstabe a der Saatgutverordnung vom 7. Dezember 19988 beigezogen werden; diese versteht darunter «Edelreiser, Unterlagen und alle anderen Pflanzenteile, einschliesslich des in vitro hergestellten Materials, die zur Vermehrung (...)

vorgesehen sind».

Die «landwirtschaftliche, gartenbauliche oder forstwirtschaftliche Anwendung» erfasst ein breites Spektrum des Pflanzenbaus. Pflanzen, die ausschliesslich als Zimmerpflanzen verwendet werden, fallen aber nicht darunter. Weiter wären gentechnisch veränderte, Schwermetall akkumulierende Pflanzen zur Sanierung belasteter Böden nicht erfasst.

Die Liste der Tiere, die für die «Produktion von Lebensmitteln» zugelassen sind, richtet sich nach der Lebensmittelverordnung vom 1. März 19959 (Art. 82, 121 und 202). Ferner gehört die Honigbiene in diese Liste.

5 6 7 8 9

SR 817.02 SR 910.18 SR 814.91 SR 916.151 SR 817.02

4942

Für die «Produktion anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse» fallen zusätzlich zu den oben genannten Tieren Nützlinge zur Schädlingsbekämpfung in Betracht, so z. B. bestimmte Schlupfwespenarten (Triochogramma spp.), die gegen den Maiszünsler (Ostrinia nubilalis) eingesetzt werden.

Nicht in den Geltungsbereich des vorgeschlagenen Verfassungsartikels fallen namentlich Heimtiere, Zootiere und Versuchstiere.

Freisetzungsversuche (Art. 11 i.V. mit Art. 6 Abs. 2 GTG) werden von der Initiative nicht erfasst.

Das Moratorium wäre auf fünf Jahre befristet und würde im Anschluss an die Volksabstimmung über die Initiative beginnen, welche voraussichtlich in der zweiten Hälfte 2006 durchgeführt wird.

3

Die Entwicklung der Gesetzgebung zur Gentechnik

3.1

Der Verfassungsartikel von 1992 und die Gen-Schutz-Initiative von 1993

Die Gentechnik im ausserhumanen Bereich stand im letzten Jahrzehnt in einem Spannungsfeld zwischen Ablehnung und kontrollierter Zulassung. Der am 17. Mai 1992 von Volk und Ständen angenommene Artikel 24novies Absatz 2 BV (neu Art. 120 Abs. 2) enthält einen Gesetzgebungsauftrag und die Leitplanken für die Anwendung der Gentechnik: Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung und schützt die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten.

2

Mit einer Volksinitiative «zum Schutz von Leben und Umwelt vor Genmanipulation (Gen-Schutz-Initiative)»10, eingereicht am 25. Oktober 1993, wurden zusätzliche Verfassungsbestimmungen gefordert, insbesondere ein Verbot der Freisetzung von GVO. Diese Initiative wurde in der Volksabstimmung vom 7. Juni 1998 abgelehnt.

Die wesentlichen Ausführungsbestimmungen zu Artikel 24novies Absatz 2 BV in der Lebensmittel-, Umweltschutz- und Epidemiengesetzgebung wurden bis Ende 1995 erlassen. Angesichts der in der Öffentlichkeit kontrovers geführten Diskussion über die Gentechnologie reichte die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates am 15. August 1996 die so genannte Gen-Lex-Motion11 ein, welche den Bundesrat verpflichten sollte, die bisherige und die in Vorbereitung befindliche Gesetzgebung über die ausserhumane Gentechnologie auf Lücken, Mängel und Anpassungsbedürfnisse zu überprüfen. Die Motion wurde von beiden Räten angenommen, und der Bundesrat verabschiedete am 15. Dezember 1997 einen Bericht12 über den Stand der Gesetzgebung über die ausserhumane Gentechnologie.

Daraus ergab sich, dass bereits bedeutende Regelungsschritte erfolgt waren. Gleichzeitig kündete der Bundesrat eine Botschaft für eine weitere Änderung des Umweltschutzgesetzes an.

10 11 12

BBl 1995 III 1333 96.3363 Motion WBK-NR. Ausserhumane Gentechnologie. Gesetzgebung BBl 1998 1648

4943

3.2

Die Regelung des Gentechnikgesetzes über das Freisetzen und das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen

Als Ergebnis der Gen-Lex-Motion unterbreitete der Bundesrat den Räten die Botschaft zu einer Änderung des Umweltschutzgesetzes13. Die Räte haben in der Folge ein gesondertes Bundesgesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich (Gentechnikgesetz vom 21. März 2003; GTG)14 vorgezogen und darin elf weitere Gesetze geändert, darunter das Umweltschutzgesetz, das Tierschutzgesetz, das Lebensmittelgesetz und das Landwirtschaftsgesetz. Das Gesetz wurde auf den 1. Januar 2004 in Kraft gesetzt, ebenso acht Verordnungsänderungen, so über den Umgang mit Organismen in der Umwelt (Freisetzungsverordnung), Lebensmittel, Futtermittel, Saatgut und Dünger15.

Zentrales Ziel des GTG ist der Schutz von Mensch und Umwelt vor Missbräuchen der Gentechnologie. Es legt fest, dass der Würde der Kreatur Rechnung zu tragen ist und wie die biologische Vielfalt geschützt werden soll (Art. 1 GTG).

Nach Artikel 6 Absätze 1, 3 und 4 GTG gilt: 1 Mit gentechnisch veränderten Organismen darf nur so umgegangen werden, dass sie, ihre Stoffwechselprodukte oder ihre Abfälle:

a.

den Menschen, die Tiere oder die Umwelt nicht gefährden können;

b.

die biologische Vielfalt und deren nachhaltige Nutzung nicht beeinträchtigen.

Gentechnisch veränderte Organismen, die bestimmungsgemäss in der Umwelt verwendet werden sollen, dürfen nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie keine gentechnisch eingebrachten Resistenzgene gegen in der Human- und Veterinärmedizin eingesetzte Antibiotika enthalten und wenn auf Grund von Versuchen im geschlossenen System und von Freisetzungsversuchen belegt ist, dass sie:

3

a.

die Population geschützter oder für das betroffene Ökosystem wichtiger Organismen nicht beeinträchtigen;

b.

nicht zum unbeabsichtigten Aussterben einer Art von Organismen führen;

c.

den Stoffhaushalt der Umwelt nicht schwerwiegend oder dauerhaft beeinträchtigen;

d.

keine wichtigen Funktionen des betroffenen Ökosystems, insbesondere die Fruchtbarkeit des Bodens, schwerwiegend oder dauerhaft beeinträchtigen;

e.

sich oder ihre Eigenschaften nicht in unerwünschter Weise verbreiten; und

f.

nicht in anderer Weise die Grundsätze von Absatz 1 verletzen.

Gefährdungen und Beeinträchtigungen müssen sowohl einzeln als auch gesamthaft und nach ihrem Zusammenwirken beurteilt werden; dabei sollen auch die Zusammenhänge mit anderen Gefährdungen und Beeinträchtigungen beachtet werden, die nicht von gentechnisch veränderten Organismen herrühren.

4

13 14 15

BBl 2000 2391 SR 814.91, AS 2003 4803 AS 2003 4793

4944

Zusätzlich enthält das GTG eine Übergangsbestimmung (Art. 37), wonach Resistenzgene gegen in der Human- und Veterinärmedizin eingesetzte Antibiotika in Freisetzungsversuchen noch bis 31. Dezember 2008 verwendet werden dürfen.

Das Gesetz ermächtigt den Bundesrat zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen gentechnische Veränderungen des Erbmaterials ohne Interessenabwägung ausnahmsweise zulässig sind (Art. 8 Abs. 3).

Gentechnisch veränderte Wirbeltiere dürfen nur für Zwecke der Forschung, Therapie und Diagnostik an Menschen oder Tieren erzeugt und in Verkehr gebracht werden (Art. 9 GTG).

Gesuche für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Tiere und Pflanzen im Sinne des Textes der Volksinitiative werden nach den Bestimmungen des GTG vom Bund in einem Bewilligungsverfahren geprüft, das vom Vorsorgeprinzip ausgeht, d. h. dass mögliche Gefährdungen und Beeinträchtigungen durch GVO frühzeitig begrenzt werden und allenfalls Massnahmen ergriffen werden können, auch wenn noch keine schlüssigen wissenschaftlichen Beweise vorliegen. Deshalb müssen zuerst Versuche in geschlossenen Systemen und, wenn diese günstig verlaufen sind, Freisetzungsversuche durchgeführt werden. Der Bundesrat kann Vereinfachungen der Bewilligungspflicht vorsehen, wenn der Stand der Wissenschaft oder die Erfahrung eine Verletzung der Bedingungen der Artikel 69 GTG ausschliessen. Erteilte Bewilligungen werden rechtzeitig daraufhin überprüft, ob sie aufrechterhalten werden können. (Art. 2, 12­14 GTG) Von besonderer Bedeutung ist der Schutz der Produktion ohne GVO (Koexistenz; Art. 7 GTG). Beim Inverkehrbringen von GVO müssen Vermischungsmöglichkeiten auf dem Feld, bei der Lagerung und beim Transport ausgeschlossen werden. Dabei ist die Verbreitung von gentechnisch verändertem Pflanzenmaterial durch Pollen (Auskreuzung) oder Samen (Durchwuchs), der Vermischung innerhalb der verwendeten Maschinen sowie der möglichen Ausbringung über Stroh besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Kontrolle und Dokumentation der Warenflüsse beim Handel mit und der Verarbeitung von gentechnisch veränderten landwirtschaftlichen Produkten wären geeignete Massnahmen, um Vermischungen zu vermeiden. Der Bundesrat wird vor dem Erteilen von Bewilligungen für das Inverkehrbringen von GVO die erforderlichen Bestimmungen erlassen. Zur Zeit liegen noch keine
Gesuche vor für das Inverkehrbringen von GVO als Saatgut, d. h. zum Verwenden in der Umwelt.

Die Konsumentinnen und Konsumenten sollen frei zwischen herkömmlichen Lebensmitteln und solchen aus GVO wählen können. GVO-Produkte müssen eindeutig gekennzeichnet sein. Produkte, die gentechnisch nicht verändert sind, können ausdrücklich als solche angepriesen werden (Art. 7, 15­17 GTG).

Die Haftpflichtregelung für Schäden, die wegen Veränderung von genetischem Material im Umgang mit GVO entstehen, wurde verschärft. Sie enthält längere Verjährungsfristen (3 bzw. 30 Jahre statt 1 bzw. 10 Jahre) und umfasst auch die Abdeckung von Umweltschäden. In der Landwirtschaft haftet ausdrücklich nur die bewilligungspflichtige und nicht die produzierende Person (Art. 30 GTG).

Bisher sind von den Bundesämtern für Gesundheit und für Landwirtschaft die nachstehenden GVO für den Import zur Verarbeitung oder zur Verwendung als Lebensmittel und Futtermittel bewilligt worden:

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Erzeugnis

Eigenschaften

Bewilligungsinhaber

Roundup-Ready Soja Mais Bt176 Mais Bt11 Mais Mon810

Herbizid-Toleranz Schädlings-Resistenz Schädlings-Resistenz Schädlings-Resistenz

Monsanto Syngenta Syngenta Monsanto

Lebensmittel und Futtermittel aus GVO müssen als solche gekennzeichnet sein.

Davon kann abgesehen werden, wenn sie unter anderem den Schwellenwert von 1 Massenprozent für Lebensmittel16, 3 Massenprozent für Futtermittel und 2 Prozent für Mischfuttermittel17 nicht überschreiten. Es ist vorgesehen, die Schwellenwerte für die Kennzeichnung auf 0,9 Prozent herabzusetzen.

Vom Institut für Pflanzenwissenschaften der ETH Zürich wurde ein Gesuch für einen Freisetzungsversuch18 mit gentechnisch verändertem KP4-Weizen eingereicht.

Das Gesuch wurde vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft am 30. Oktober 2003 bewilligt. Der Versuch hat im Frühjahr 2004 begonnen.

3.3

Bisherige Vorstösse für ein Moratorium

Im Verlaufe der Beratungen des GTG und der Änderung des Landwirtschaftsgesetzes19 wurden verschiedene Anträge für ein Moratorium für das Freisetzen und das Inverkehrbringen von GVO gestellt. Bereits vorher wurden drei parlamentarische Vorstösse eingereicht, die ebenfalls ein Moratorium verlangten20.

Als Argument für ein Moratorium wurde vorgebracht, dass damit ein «gentechnikfreier» Raum geschaffen würde, dessen Produkte als «naturnah und gentechnikfrei» vermarktet werden könnten. Zudem würde genügend Zeit zur Verfügung stehen, um offene Fragen zu den Auswirkungen des Inverkehrbringens von GVO auf die Umwelt und die Gesundheit weiter abzuklären.

Alle Anträge für ein Moratorium wurden abgelehnt.

16 17 18 19 20

Art. 22b der Lebensmittelverordnung vom 1. März 1995 (SR 817.02) Art. 23 der Futtermittelverordnung vom 26. Mai 1999 (SR 916.307) BBl 2003 7383 AS 2003 4217 88.234 (Pa.Iv. Fetz) Moratorium Gentechnologie; 98.3605 (Mo Grüne Fraktion) Verbot von antibiotikaresistenzhaltigen Lebensmitteln und Organismen; 99.3373 (Mo. Lötscher) Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen. Moratorium

4946

4

Auswirkungen bei Annahme der Initiative

4.1

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Durch die vorgeschlagene Übergangsbestimmung in der BV würden die Vorschriften über das Inverkehrbringen von GVO ausser Kraft gesetzt. Insbesondere könnten während fünf Jahren keine Bewilligungen für das Einführen und Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten vermehrungsfähigen Pflanzen, Pflanzenteilen und Saatgut, welche für die landwirtschaftliche, gartenbauliche oder forstwirtschaftliche Anwendung in der Umwelt bestimmt sind, erteilt werden.

Zurzeit ist nicht absehbar, ob in den nächsten Jahren Gesuche für das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Pflanzen eingereicht werden. Nach der Einreichung eines allfälligen Gesuches ist ein mehrere Jahre dauerndes Bewilligungsverfahren zu erwarten, weil vorher Freisetzungsversuche nach Artikel 6 Absatz 2 GTG erfolgreich abgeschlossen werden müssen; die Freisetzungsversuche und das Bewilligungsverfahren dürften indes auch während des Moratoriums durchgeführt werden. Somit würde ein fünfjähriges Moratorium die Entwicklung nur geringfügig unterbrechen.

Nach Artikel 9 GTG ist das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Wirbeltiere nur für Zwecke der Forschung, Therapie und Diagnostik an Menschen oder Tieren erlaubt. Somit ist bereits nach geltendem Recht die Initiative bezüglich Tiere weitgehend umgesetzt. Die Initiative würde zusätzlich für die wirbellosen Tiere gelten, namentlich für solche, die als Lebensmittel Verwendung finden oder solche erzeugen (z. B. Muscheln und Honigbienen). Bezüglich der Tiere wären die Auswirkungen unbedeutend.

Positiv könnte sich ein Moratorium auf die Nachfrage nach schweizerischen Landwirtschaftsprodukten bei Konsumentinnen und Konsumenten des In- und Auslandes auswirken, die herkömmlich produzierte Lebensmittel bevorzugen. Es würde ihnen die Gewissheit vermittelt, das Lebensmittel in der Schweiz ohne GVO erzeugt würden.

Bei einem erweiterten Geltungsbereich, der nach Ziffer 2.3 ausgeschlossen wurde, wäre das Inverkehrbringen und Verwenden von Tierarznei- und Futtermitteln, die GVO sind, solche enthalten oder daraus gewonnen wurden, nicht mehr möglich. Die wirtschaftlichen Auswirkungen für die schweizerische Landwirtschaft wären in diesem Falle erheblich. Der Import von GVO-freien Futtermitteln auf der Basis von Mais und Soja dürfte schwierig und kostspieliger werden. Bereits heute stammen weltweit 55 Prozent
der Sojaproduktion und 11 Prozent der Maisproduktion von gentechnisch verändertem Saatgut. Die Preisdifferenz zwischen importierten und inländischen Lebensmitteln würde zunehmen, da insbesondere der Import von Lebensmitteln, die mit GVO erzeugt wurden oder solche enthalten, weiterhin möglich wäre.

4.2

Auswirkungen auf die Forschung

Das Moratorium hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Forschung und die Produktion in geschlossenen Systemen. Der Forschungs- und Produktionsstandort Schweiz, der in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Biotechnologie bedeutende Ergebnisse hervorgebracht hat, würde jedoch bei einer Annahme der Initiative 4947

international an Ansehen verlieren, und eine Reduktion der Investitionen der Wirtschaft in die Forschung in der Schweiz wäre nicht auszuschliessen. Die Unsicherheit der Perspektiven für die Forscherinnen und Forscher könnte zu Abwanderungen und damit zu einem Wissensverlust führen.

4.3

Personelle und finanzielle Auswirkungen bei Bund und Kantonen

Das Moratorium hätte kaum Auswirkungen auf Finanzen und Personal von Bund und Kantonen, weil bestehende Überwachungsprogramme in den Bereichen Umwelt, Lebensmittel, Futtermittel und Saatgut im gleichen Ausmass wie bisher durchzuführen wären, wobei der Schwerpunkt auf die Kontrolle des Saatgutes zu legen wäre.

4.4

Innenpolitische und gesellschaftliche Auswirkungen

Es ist abzusehen, dass bereits vor dem Auslaufen eines Moratoriums die politische Diskussion über das Inverkehrbringen von GVO wieder in Gang kommen würde, weil damit zu rechnen ist, dass sowohl Befürworter als auch Gegner der Verwendung von GVO in der Landwirtschaft an ihrem Standpunkt festhalten.

5

Auswirkungen auf das Verhältnis zum internationalen Recht

5.1

Welthandelsorganisation WTO

Das Regelwerk der WTO regelt den Umgang mit gentechnisch veränderten Produkten nicht ausdrücklich. Auf Grund der bisherigen WTO-Rechtsprechung kann heute nicht abschliessend beurteilt werden, ob das Verbot der Einfuhr und des Inverkehrbringens von gentechnisch veränderten Pflanzen, Pflanzenteilen, Saatgut und Tieren gemäss Initiativtext unter dem geltenden WTO-Recht problematisch ist.

Zurzeit ist vor dem WTO-Streitbeilegungsorgan eine Klage der Vereinigten Staaten, Kanadas und Argentiniens gegen die Europäische Gemeinschaft hängig, um das Defacto-Moratorium einzelner EG-Mitgliedstaaten gegen die Zulassung neuer gentechnisch veränderter Produkte zu überprüfen. Dieser Streitfall umfasst allerdings alle gentechnisch veränderten Produkte (inkl. Lebensmittel), während sich die vorliegende Initiative je nach Auslegung nur auf gentechnisch veränderte Pflanzen, Pflanzenteile, Saatgut und Tiere und nicht auf die handelspolitisch wichtigeren verarbeiteten landwirtschaftlichen Produkte wie Futtermittel bezieht.

Das Verbot von gentechnisch veränderten Produkten fällt einmal unter das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen von 1994 (GATT 1994)21. Dabei stellt sich die Frage, ob es sich bei gentechnisch veränderten und herkömmlichen Produkten um gleichartige Produkte gemäss Artikel III GATT handelt. Diese Frage ist umstritten und wurde durch das WTO-Streitbeilegungsorgan noch nicht entschieden. Sollte von 21

SR 0.632.20

4948

der Ungleichartigkeit ausgegangen werden, so ist eine ungleiche Behandlung von gentechnisch veränderten und herkömmlichen Produkten unter dem GATT grundsätzlich zulässig. Sollte jedoch von der Gleichartigkeit ausgegangen werden, so müsste die Ungleichbehandlung durch die Ausnahmebestimmung von Artikel XX Buchstaben b und g GATT 1994 gedeckt sein, wonach es den Mitgliedstaaten gestattet ist, aus Gründen des Schutzes der Gesundheit von Menschen und Tieren sowie des Umweltschutzes notwendige Handelsbeschränkungen zu erlassen. Solche Ausnahmen sind indessen nur zulässig, wenn sie nicht lediglich zum Schutz der einheimischen Produktion missbraucht werden.

Das von der Initiative angestrebte Verbot von gewissen gentechnisch veränderten Produkten in der Landwirtschaft fällt ebenso entweder unter das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT-Übereinkommen; Anhang GATT) oder das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Massnahmen (SPS-Übereinkommen; Anhang GATT). Beide Übereinkommen verbieten technische bzw. gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Massnahmen, die unnötige Hemmnisse für den internationalen Handel schaffen. Auf dem SPS-Übereinkommen bauende handelsbeschränkende Massnahmen sind grundsätzlich nur zulässig, wenn sie auf einer den Umständen angepassten Risikobewertung für das Leben oder die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen oder für den Schutz der Umwelt beruhen; eine solche Bewertung muss sich auf wissenschaftliche Grundsätze stützen. Massnahmen, welche unter das TBTÜbereinkommen fallen, sind grundsätzlich zulässig, wenn sie ein legitimes Ziel (wie es für die Schweiz auch die Konsumenteninformation darstellt) bezwecken.

Das SPS-Abkommen sieht spezialgesetzlich das Vorsorgeprinzip vor, während die Geltung dieses Prinzips unter den anderen relevanten WTO-Übereinkommen als Völkergewohnheitsrecht unklar ist. Sind die von gentechnisch veränderten Produkten ausgehenden Risiken wissenschaftlich nur unzureichend feststellbar, so ist es den Mitgliedstaaten gemäss SPS-Übereinkommen gestattet, eine handelsbeschränkende gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Massnahme vorläufig auf Grund des verfügbaren Beweismaterials einzuführen. Dabei ist der Mitgliedstaat verpflichtet, zusätzliche wissenschaftliche Untersuchungen
für eine objektive Risikobewertung einzuholen und die Massnahme innerhalb einer angemessenen Frist zu überprüfen.

Zusammenfassend kann zum heutigen Zeitpunkt nicht abschliessend gesagt werden, ob das von der Initiative anvisierte Verbot der Einfuhr und des Inverkehrbringens von gentechnisch veränderten Pflanzen, Pflanzenteilen, Saatgut und Tieren aus WTO-rechtlicher Sicht problematisch ist. Angesichts der Beschränkung des Einfuhrverbotes auf fünf Jahre könnte mit dem Vorsorgeprinzip argumentiert werden, wobei die bisherige WTO-Rechtsprechung auch diesbezüglich keinen eindeutigen Schluss bezüglich der WTO-Kompatibilität zulässt.

4949

5.2

Europäische Gemeinschaft

Ein Moratorium stünde im Widerspruch zu geltendem EU-Recht22, das ein formelles Moratorium nicht kennt, sondern Entscheidungen nach fallweiser Prüfung vorsieht.

Die EU kannte jedoch zwischen 1998 und 2004 ein faktisches GVO-Zulassungsmoratorium. In Spanien wurde in diesem Zeitraum dennoch gentechnisch veränderter Mais auf einer erheblichen Fläche kommerziell angebaut. Die betreffenden GVO waren indessen vor dem Moratorium bewilligt worden. Die EU-interne Diskussion über die Zulassung von GVO führte in den letzten Jahren zur Verabschiedung mehrerer Rechtstexte, welche Sicherheitsgarantien für Konsumentinnen und Konsumenten und Umwelt geben und den Weg zur Aufhebung des faktischen GVOZulassungsmoratoriums ebneten. Die Richtlinie 2001/18 über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt ist eine «Querschnittsrichtlinie», in der die Freisetzung zu Versuchszwecken und die Vermarktung von GVO geregelt wird. Die Verordnung 1829/2003 über gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel («Novel Food/Novel Feed»-Verordnung) regelt das Inverkehrbringen von Lebens- und Futtermittelerzeugnissen, die GVO enthalten oder aus solchen bestehen, sowie die Kennzeichnung solcher Erzeugnisse mit Blick auf die Konsumentinnen und Konsumenten. Mit der Verordnung 1830/2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellten Lebens- und Futtermitteln wird in der EU ein einheitliches System zur Rückverfolgung und Kennzeichnung von GVO sowie zur Rückverfolgung von aus GVO hergestellten Lebens- und Futtermitteln eingeführt. Die beiden Verordnungen traten am 18. April 2004 in Kraft. Auf der Grundlage dieses Regelwerks beschloss die EG-Kommission am 19. Mai 2004 die Zulassung von Bt11-Mais auch als frischen Süssmais oder Süssmais in Dosen. Damit wurde die EU-weite Zulassung des Inverkehrbringens von GVO wieder ermöglicht und das faktische GVO-Zulassungsmoratorium beendet. Auf Grund der umfassenden Veränderungen in der EU würde sich ein schweizerisches Moratorium von der Rechtslage und der Rechtsanwendung her deutlich von der Situation in der EU unterscheiden.

Vor diesem Hintergrund könnte das schweizerische Moratorium von der EU als nicht-tarifäres Handelshemmnis im Sinne von Artikel 13 des Freihandelsabkommens vom 22. Juli 1972 zwischen der
Schweiz und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft23 betrachtet werden. Artikel 20 dieses Abkommens sieht zwar unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit von Verboten und Beschränkungen zum 22

23

Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 92/220/EWG (ABl. L 106 vom 17.4.2001, S. 1), zuletzt geändert durch die Verordnung 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 268 vom 18.10.2003, S. 1) Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (ABl. L 268 vom 18.10.2003, S. 24) Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG (ABl. L 268 vom 18.10.2003, S. 24) Verordnung (EG) Nr. 641/2004 der Kommission vom 6. April 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung 1829/2003 (...) (ABl. L 102 vom 7.4.2004, S. 14) SR 0.632.401

4950

Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen vor. Es muss aber angenommen werden, dass die Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt wären.

5.3

Das Protokoll von Cartagena

Die Schweiz hat das Protokoll von Cartagena vom 29. Januar 200024 über die biologische Sicherheit zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt ratifiziert; es ist am 11. September 2003 in Kraft getreten. Das Protokoll soll vor allem gewährleisten, dass GVO sicher übertragen und genutzt werden. Es konzentriert sich auf Aspekte der grenzüberschreitenden Verbringung. Im Vordergrund steht dabei das Verfahren der vorherigen Zustimmung in Kenntnis der Sachlage. Dieses Verfahren erlaubt jedem Einfuhrland, über die Einfuhr von GVO auf Grund einer umfassenden Risikobeurteilung für Mensch und Umwelt selbständig zu entscheiden. Bei der Entscheidfindung kann das Vorsorgeprinzip ein zentrales Instrument bilden. Sollte die Schweiz die Einfuhr von GVO für die landwirtschaftliche, gartenbauliche oder forstwirtschaftliche Anwendung im Sinne der Initiative verbieten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die zuständigen Organe des Cartagena-Protokolls ein solches Einfuhrverbot im Einzelfall als Vertragsverletzung beurteilen.

6

Die Frage eines Gegenentwurfs

In einem Gegenentwurf könnte eine verkürzte Dauer des Moratoriums oder ein eingeschränkter Geltungsbereich vorgeschlagen werden. Beides würde der bisherigen Politik von Bundesrat und Parlament widersprechen.

Eine Änderung des GTG als indirekter Gegenentwurf fällt ebenfalls ausser Betracht, weil dieses alle erforderlichen Instrumente für eine wissenschaftlich fundierte Prüfung allfälliger Gesuche für das Inverkehrbringen von GVO und zudem ein Verbot für das Inverkehrbringen von Wirbeltieren in der Landwirtschaft enthält.

7

Die Haltung des Bundesrates

Angesichts der geltenden Gesetzgebung über die Gentechnologie, welche dem Vorsorgeprinzip und der Transparenz gegenüber den Konsumentinnen und Konsumenten verpflichtet ist, erachtet der Bundesrat ein Moratorium im Sinne der Initiative als unzweckmässig. Es würde im Widerspruch zum Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit stehen und eine spezifische Technologie diskriminieren, die in vielen Bereichen ausserhalb der Landwirtschaft zum Standard gehört.

Der Bundesrat erachtet es als nicht gerechtfertigt, den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen generell zu verbieten, ohne die Ergebnisse der in der Schweiz im Einzelfall durchzuführenden Versuche in Betracht zu ziehen. Auch müssen die Erfahrungen aus der weltweiten Verbreitung des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen und der damit zusammenhängenden Forschung berücksichtigt werden.

24

SR 0.451.431

4951

Zudem weist der Bundesrat darauf hin, dass sich aus einem wissenschaftlich nicht fundierten Einfuhrverbot in den Aussenhandelsbeziehungen Schwierigkeiten ergeben oder Klagen gegen die Schweiz wegen Verletzung von Staatsverträgen erhoben werden könnten.

Ein Moratorium würde für den Forschungsplatz Schweiz auf dem Gebiet der Gentechnologie ein negatives Zeichen setzen.

Artikel 120 BV hat es dem Gesetzgeber ermöglicht, mit dem GTG eine Regelung zu treffen, die einerseits den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Umwelt eine umfassende Sicherheit und eine Freiheit der Wahl der Produkte bietet und andererseits der Wirtschaftsfreiheit auf nationaler und internationaler Ebene gerecht wird.

Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten aus den erwähnten Gründen, die Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft» Volk und Ständen ohne Gegenentwurf zur Ablehnung zu empfehlen.

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