02.422 Parlamentarische Initiative Ladenöffnungszeiten in Zentren des öffentlichen Verkehrs Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats vom 17. Februar 2004

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Arbeitsgesetzes. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats beantragt, der beiliegenden Gesetzesänderung zuzustimmen.

Eine Kommissionsminderheit (Rennwald, Daguet, Fässler, Leutenegger Oberholzer, Rechsteiner Paul, Strahm) beantragt, nicht auf die Vorlage einzutreten.

17. Februar 2004

Im Namen der Kommission Der Präsident: Fulvio Pelli

2004-0441

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Nationalrat Rolf Hegetschweiler reichte am 17. April 2002 eine parlamentarische Initiative (02.422: Ladenöffnungszeiten in Zentren des öffentlichen Verkehrs) ein, mit dem Ziel, Nebenbetrieben an Bahnhöfen, welche als Zentren des öffentlichen Verkehrs gelten, die Beschäftigung von Personal an allen Wochentagen, inkl.

den Sonntagen, zu ermöglichen. Die Initiative sah eine Anpassung von Artikel 39 Absatz 2 des Eisenbahngesetzes (EGB)1 vor. Wie bisher vorgesehen, sollten die Vorschriften der Kantone und Gemeinden über Öffnungs- und Schliessungszeiten keine Anwendung auf die von Bahnunternehmungen als Nebenbetriebe definierten Betriebe finden. Hingegen sollten die Bahnnebenbetriebe den übrigen Vorschriften über die Gewerbe-, Gesundheits- und Wirtschaftspolizei sowie den von den zuständigen Behörden verbindlich erklärten Regelungen über das Arbeitsverhältnis unterstehen. Am 29. September 2003 gab der Nationalrat der parlamentarischen Initiative auf Antrag der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen mit 87 zu 43 Stimmen Folge.2 Die parlamentarische Initiative wurde der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats zur Ausarbeitung einer Vorlage zugeteilt. Die Kommission beschloss an ihrer Sitzung vom 26. Januar 2004, statt des Eisenbahngesetzes das Arbeitsgesetz3 anzupassen. Sie beriet an ihrer Sitzung vom 17. Februar 2004 einen entsprechenden Entwurf unter Beizug des Staatssekretariats für Wirtschaft, des Bundesamtes für Verkehr, des Büros für Konsumentenfragen und des Sekretariats der Wettbewerbskommission.

Die Kommission verabschiedete den Gesetzesentwurf mit 15 zu 7 Stimmen und einer Enthaltung. Abgelehnt wurden der Nichteintretensantrag Rennwald (vgl.

Minderheit Rennwald) mit 18 zu 7 Stimmen und der Antrag Gysin Remo, der das Abschliessen eines Gesamtarbeitsvertrags als Voraussetzung für die Sonntagsarbeit verlangt, mit 16 zu 8 Stimmen. Auf eine Vernehmlassung (Artikel 147 BV) verzichtete die Kommission mit 15 zu 8 Stimmen bei einer Enthaltung: Erstens verankert die Vorlage die seit Jahren täglich gelebte Praxis gesetzlich und zweitens hat der Gesetzgeber vor Ende 2004 zu legiferieren, andernfalls das bundesgerichtlich verfügte Arbeitsverbot an Sonntagen umgesetzt und die Läden entsprechend zu schliessen sind.

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SR 742.101 AB 2003 N 1556 SR 822.11

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Grundzüge der Vorlage

2.1

Juristischer Hintergrund

Am 22. März 2002 entschied das Bundesgericht, dass in vielen Unternehmen im Zürcher Hauptbahnhof und im Bahnhof Zürich-Stadelhofen am Sonntag kein Verkaufspersonal beschäftigt werden darf. Damit kamen die Diskussionen über die Interpretation von Artikel 39 EBG zu einem vorläufigen Ende.

Artikel 39 Absatz 2 EBG sieht vor, dass auf von Bahnunternehmungen als Nebenbetriebe definierte Betriebe die Vorschriften von Kantonen und Gemeinden über die Öffnungs- und Schliessungszeiten keine Anwendung finden. Die Frage, welche Unternehmen in Bahnhöfen als Nebenbetriebe zu gelten haben, bildet seit der Inkraftsetzung des EBG im Jahre 1957 Gegenstand von Diskussionen und gerichtlichen Auseinandersetzungen. Im Jahre 1997 formulierte das Bundesgericht im Entscheid BGE 123 II 317 ff. verschiedene restriktive Kriterien in Bezug auf Sortimentsgestaltung und Grösse der Verkaufsflächen. Einzelnen Branchen, wie z. B.

Kleider- und Schuhgeschäften, Platten- und Computerläden, Optiker-, Foto- und Elektronikgeschäften, sprach das Bundesgericht grundsätzlich den Status eines Nebenbetriebes ab.

Im Anschluss an diesen Entscheid revidierte der Gesetzgeber am 20. März 1998 Artikel 39 EBG. Danach sind Bahnunternehmen befugt, an Bahnhöfen und in Zügen Nebenbetriebe einzurichten, «soweit diese auf die Bedürfnisse der Bahnkunden ausgerichtet sind» (Abs. 1). Auf die von den Bahnunternehmungen als Nebenbetriebe definierten Geschäfte finden die Vorschriften von Kantonen und Gemeinden über die Öffnungs- und Schliessungszeiten keine Anwendung. Hingegen unterstehen diese Geschäfte den übrigen Vorschriften über die Gewerbe-, Gesundheits- und Wirtschaftspolizei sowie den von den zuständigen Behörden verbindlich erklärten Regelungen über das Arbeitsverhältnis (Abs. 2).

Das Bundesgericht kritisierte im erwähnten Entscheid von 2002 die im Jahre 1998 erfolgte Revision von Artikel 39 EBG. Die Tragweite der Revision sei unklar, da der Ständerat «offensichtlich von unzutreffenden Vorgaben» ausging und sich der Nationalrat in der Folge dem Beschluss des Ständerates anschloss, «wobei wiederum wenig Klarheit darüber herrschte, was die Neuformulierung von Artikel 39 EBG konkret für Änderungen nach sich ziehen sollte» (BGE vom 22. März 2002, S. 12f.).

Vor diesem unklaren Hintergrund bestätigte das Bundesgericht im Wesentlichen seine bisherige
restriktive Praxis und übernahm diese für die Beurteilung der Frage von bewilligungsfreier Sonntagsarbeit bei Reisebedürfnisbetrieben gemäss Artikel 26 der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2)4. Eine gewisse Lockerung nahm das Bundesgericht einzig in Bezug auf die Grösse von Verkaufsflächen bei Lebensmittelgeschäften und Apotheken vor. In einem zweiten Entscheid vom 22. März 2002 bestätigte das Bundesgericht diese Praxis auch für einen Betrieb im Flughafen Kloten.

Damit können gewisse Unternehmen in Bahnhöfen und Flughäfen ihre Geschäfte zwar am Sonntag offen halten, dürfen aber kein Verkaufspersonal beschäftigen. Dies obwohl im betroffenen Kanton Zürich das Volk in zwei Abstimmungen 1998 und 2000 bei Teil- bzw. Totalrevisionen des Ruhetags- und Ladenöffnungsgesetzes der

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allgemeinen Zulässigkeit des Sonntagsverkaufs in Zentren des öffentlichen Verkehrs und damit verbundenen Fussgängerpassagen zugestimmt hatte.

Die vorgeschlagene Gesetzesrevision schafft Klarheit und erlaubt Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben in Zentren des öffentlichen Verkehrs, unabhängig von Branchen- und Sortimentsbeschränkungen, die Beschäftigung von Personal am Sonntag. Allerdings soll nicht wie vom Initianten ursprünglich vorgeschlagen Artikel 39 Absatz 2 EBG revidiert werden; dies würde zwar den Bahnnebenbetrieben die Beschäftigung von Personal am Sonntag ermöglichen, ohne aber die vom Bundesgericht vorgegebene Definition der Bahnnebenbetriebe und des für sie zulässigen Waren- und Dienstleistungsangebotes für Reisende zu klären. Um dem Bedürfnis, alle Läden in Bahnhöfen auch an Sonntagen geöffnet zu halten, zu entsprechen, muss die Befreiung von der Bewilligungspflicht für Sonntagsarbeit im Arbeitsgesetz geregelt werden.

2.2

Gesellschafts- und verkehrspolitischer Handlungsbedarf

2.2.1

Position der Kommissionsmehrheit

In den vergangenen Jahren wurden in grösseren Bahnhöfen immer mehr Verkaufsgeschäfte am Sonntag offen gehalten. Diese Möglichkeit wurde von den Konsumentinnen und Konsumenten rege benutzt, so dass damit faktisch eine Liberalisierung des Sonntagsverkaufs geschaffen wurde. Damit wurde ein Widerspruch zum bestehenden Verbot der Sonntagsarbeit im Arbeitsgesetz geschaffen. Die Läden in Bahnhöfen und Flughäfen auch an Sonntagen geöffnet zu halten, entspricht einem Bedürfnis der Geschäfte, der Bahnen, der Kantone und vor allem der Konsumentinnen und Konsumenten. So hat in den vergangenen Jahren der Arbeitsweg vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zugenommen und gestaltet sich die Arbeitszeit zunehmend weniger regelmässig. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung von Einelternfamilien und Doppelverdienerehen, ist das Bedürfnis, auch an Randzeiten einkaufen zu können, stark gestiegen.

Im Weiteren können mit der vorgeschlagenen Gesetzesrevision Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen werden, gerade für Studenten aber auch für Alleinerziehende, welche am Wochenende ihre Familienpflichten besser auf andere Personen verteilen können. Gemäss einer 1998 durchgeführten Umfrage, haben ein Viertel der Geschäfte mit längeren und flexibleren Arbeitszeiten zusätzliche Stellen geschaffen, was ausländischen Erfahrungen entspricht.5 Schliesslich verbessert das dank Einkaufenden höhere und besser durchmischte Publikumsaufkommen in Bahnhöfen nachweislich die Sicherheit in Bahnhöfen für alle Reisenden. Die Förderung der Läden in den Zentren des öffentlichen Verkehrs ist auch raumplanerisch und umweltpolitisch sinnvoll, denn umfassende Einkaufsmöglichkeiten erhöhen die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs für Pendlerinnen und Pendler und leisten über Mieteinnahmen an die SBB einen Beitrag zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs.

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Werner Inderbitzin, Martin Hoch, Stefan Wolter: Liberalisierung von Ladenöffnungszeiten, Wirtschaftliche Konsequenzen, Die Volkswirtschaft 8/98, S. 54, 56.

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2.2.2

Position der Kommissionsminderheit

Eine Minderheit der Kommission (Nichteintretensantrag Rennwald) lehnt die vorgeschlagene Revision von Art. 27 des Arbeitsgesetzes ab. Bereits die ArbeitsgesetzRevision von 1996 sah vor, dass Verkaufsgeschäfte an sechs Sonntagen im Jahr Personal ohne behördliche Bewilligung beschäftigen dürfen. Nicht zuletzt wegen dieser Bestimmung hat das Volk die Vorlage abgelehnt und damit zum Ausdruck gebracht, dass es den Sonntag als arbeitsfreien Tag schätze und den Schutz des Familienlebens will. In den letzten Jahren haben zudem verschiedene kantonale Abstimmungen über die Ladenöffnungszeiten gezeigt, dass das Volk eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten ablehne. Auch die ökonomischen Argumente der Befürworter werden kritisiert: Die Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten führt nicht zu mehr Umsatz, sondern verteilt diesen über längere Ladenöffnungszeiten. Statt neue Arbeitsplätze zu schaffen, führt die Vorlage zu einer Umverteilung der Arbeitsplätze zulasten kleiner Detailläden.

Schliesslich wird die mangelnde Rücksicht auf das betroffene Verkaufspersonal moniert: Im Verkauf sind die Arbeitsverhältnisse prekär; Arbeit auf Abruf ist verbreitet und die Entlöhnung oft schlecht. Hier darf der Arbeitnehmerschutz nicht verschlechtert werden, indem auf Kosten des sozialen bzw. familiären Lebens am Sonntag gearbeitet wird. Um diese Gefahr zu bannen, verlangt die Minderheit Gysin Remo für den Falle einer Annahme der Vorlage, dass Arbeitnehmer nur sonntags beschäftigt werden, wenn ein Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen wurde, der minimale Entlöhnung, Arbeitszeit und Zulagen für die Sonntagsarbeit regelt.

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Revision von Art. 27 Abs. 1ter des Arbeitsgesetzes vom 13. März 19646

Die Vorlage sieht eine Änderung von Artikel 27 Absatz 1ter ArG vor, der neu folgendermassen lauten soll: In Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben in Bahnhöfen, welche auf Grund des grossen Reiseverkehrs Zentren des öffentlichen Verkehrs sind, sowie in Flughäfen dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sonntags beschäftigt werden.

Die Definition der Läden, die in Bahnhöfen am Sonntag Personal ohne Bewilligung beschäftigen können, soll nur noch von der Lage der Läden abhängig gemacht werden und nicht mehr vom Bedürfnis der Reisenden, wie es in Artikel 26 Absatz 4 der ArGV 27 vorgesehen ist. Indem den Verkaufsgeschäften in Zentren des öffentlichen Verkehrs, unabhängig von Branchen- und Sortimentsbeschränkungen, die Beschäftigung von Personal am Sonntag ermöglicht wird, wird Klarheit geschaffen.

Als Zentren des öffentlichen Verkehrs sollen nur grosse Bahnhöfe mit grossem Reiseverkehr, hoher Umsteigekadenz (Intercity, Schnellzüge, RX, S-Bahnen) und einem entsprechend stark durchmischten Publikumsaufkommen (Berufstätige, Schülerinnen und Schüler, Touristinnen und Touristen, Ausflüglerinnen und Ausflügler und Durchreisende) bezeichnet werden. Damit wird ausgeschlossen, dass Läden auch an kleinen Bahnhofstationen ohne weiteres am Sonntag Personal beschäftigen können. Die Flughäfen werden zusammen mit den Bahnhöfen aufgeführt, da diese 6 7

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ebenso als Zentren des öffentlichen Verkehrs zu bezeichnen sind und sich ausserdem in Flughäfen wie Kloten und Cointrin die Bahnhofs- und die Flughafenlokalitäten direkt nebeneinander befinden und kaum zu unterscheiden sind.

Zum Schutze der in diesen Verkaufsgeschäften beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden in der ArGV 2 Sonderbestimmungen vorzusehen sein, die denjenigen entsprechen, die im heutigen Art. 26 ArGV 2 für Beschäftigte in Bahnnebenbetrieben bereits gelten. In Bezug auf die Sonntagsarbeit wird gelten, dass im Kalenderjahr mindestens zwölf freie Sonntage zu gewähren sind, die unregelmässig auf das Jahr verteilt werden können. In den Wochen ohne freien Sonntag wird jedoch im Anschluss an die tägliche Ruhezeit von 11 Stunden ein wöchentlicher Ruhetag von 36 aufeinanderfolgenden Stunden zu gewähren sein. Nach den übrigen Vorschriften des Arbeitsgesetzes umfasst ein wöchentlicher Ruhetag zusammen mit der täglichen Ruhezeit grundsätzlich 35 Stunden.

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung hat für den Bund, die Kantone und die Gemeinden keine finanziellen und personellen Auswirkungen.

4.2

Vollzugstauglichkeit

Für die kantonalen Arbeitsinspektorate wird der Vollzug erleichtert. Heute müssen sie die schwierige Unterscheidung zwischen Bahnenebenbetrieben und gewöhnlichen Verkaufsgeschäften vornehmen, um ihr Kontrollen korrekt durchzuführen.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung legt in Artikel 5 fest, dass der wöchentliche Ruhetag mindestens 35 Stunden (11 Stunden tägliche Ruhezeit plus 24 Stunden wöchentlicher Ruhetag) betragen und grundsätzlich den Sonntag einschliessen muss. Von diesem Grundsatz sind jedoch Abweichungen zulässig unter der Voraussetzung, dass die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher Ausgleichruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten. Die vorgeschlagene Revision des Arbeitsgesetzes entspricht voll und ganz dem europäischen Recht, da Ausgleichruhezeiten auf jeden Fall vorgesehen werden.

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Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Der Revisionsvorschlag betrifft eine Änderung einer bisherigen Vorschrift und stützt sich ­ wie letztere selbst ­ auf die im Ingress des Arbeitsgesetzes angegebenen Verfassungsbestimmungen.

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