01.300 Initiative des Kantons Jura Steuerrecht. Abschaffung der «Erbenbussen» Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 26. Januar 2004

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen gemäss Artikel 21quater Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG)1 vorliegenden Bericht. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Gesetzesentwurf zuzustimmen.

26. Januar 2004

Im Namen der Kommission Der Präsident: Rolf Schweiger

1

Vgl. Art. 173 Ziff. 3 ParlG (SR 171.10)

2004-0188

1437

Übersicht Gemäss der Standesinitiative des Kantons Jura beantragt die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates, die Artikel 179 DBG und 57 Absatz 3 StHG über den Grundsatz der Erbenhaftung für Steuerbussen zu streichen. Damit trägt sie zum einen der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Rechnung, wonach solche Bussen persönlich und demzufolge unvererblich sind, und zum andern dem Artikel 48 Ziffer 3 des Schweizerischen Strafgesetzbuches, nach dem die Busse mit dem Tod des Verurteilten wegfällt.

1438

Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Initiative des Kantons Jura

Am 15. Januar 2001 überwies der Kanton Jura eine Initiative zur Streichung von Artikel 179 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11).

Diese Bestimmung sieht vor, dass die Erben des Steuerpflichtigen, der eine Steuerhinterziehung begangen hat, ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden für die rechtskräftig festgesetzten Bussen solidarisch bis zum Betrag ihres Anteils am Nachlass mit Einschluss der Vorempfänge haften. Ist das Hinterziehungsverfahren beim Tod des Steuerpflichtigen noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, oder ist es erst nach dem Tod des Steuerpflichtigen eingeleitet worden, so entfällt die Erhebung einer Busse, sofern die Erben an der unrichtigen Versteuerung kein Verschulden trifft und sie das ihnen Zumutbare zur Feststellung der Steuerhinterziehung getan haben. In zwei Entscheiden aus dem Jahr 1997 gegen die Schweiz2 befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass dieser Artikel gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, SR 0.101) verstosse.

Der Ständerat hat der Iniative am 11. März 2002 Folge gegeben. Der Nationalrat folgte diesem Beschluss am 11. März 2003. Gestützt auf Art. 21novies des Geschäftverkehrgesetzes (GVG, SR 171.11) wurde die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates beauftragt, eine entsprechende Vorlage auszuarbeiten.

1.2

Arbeiten auf dem Gebiet der Steueramnestie seit 1990

1.2.1

Im Allgemeinen

Eine Motion von Ständerat Delalay (92.3249 Generelle Steueramnestie) beauftragte den Bundesrat, die gesetzlichen Bestimmungen für eine zwischen 1993 und 1997 durchzuführende generelle Steueramnestie vorzubereiten, die sich auf die Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern erstreckt. Der Bundesrat gab am 31. März 1995 eine entsprechende Vorlage in die Vernehmlassung. Aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse (14 Kantone waren gegen jegliche Steueramnestie) beantragte der Bundesrat in seinem Bericht vom 25. Oktober 1995 (95.077)3, die Motion abzuschreiben.

Nach dem Beschluss des Ständerates vom 19. März 1997, die parlamentarische Initiative Delalay über die Durchführung einer allgemeinen Steueramnestie (94.426)4 abzuschreiben, begann die Kommission, einen Entwurf zu einer auf der straflosen Selbstanzeige beruhenden Individualamnestie auszuarbeiten. Am 22. März 1999 nahm sie einen entsprechenden Vorentwurf an, der die Änderung des 2 3

4

A.P., M.P. und T.P. v. Schweiz (Nr. 71/1996/690/882) und E.L., R.L. und J.O.-L. v. Schweiz (Nr. 75/1996/694/886) BB 1995 IV 1591. Die Motion wurde im Rahmen des Geschäftsberichts 2002 abgeschrieben (Zusatzbericht der Geschäftsprüfungskommissionen; Beschluss des SR vom 4.6.2003; Beschluss des NR vom 5.6.2003) AB 1997 S 282 ff.

1439

DBG und des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG, SR 642.14) beinhaltete. Sie beauftragte den Bundesrat mit der Vernehmlassung. An der Sitzung vom 18. Mai 2000 nahm die Kommission Kenntnis von den insgesamt positiven Vernehmlassungsergebnissen (21 Befürworterkantone). Für verschiedene Parteien und Organisationen ging der Entwurf zu wenig weit; einige hätten eine allgemeine Steueramnestie bevorzugt. Die Kommission stellte indessen ihre Arbeit ein, weil der Bundesrat im März 2000 ein Konzept zur Harmonisierung der Steuerreformen im Lichte seiner Finanzpolitik beschlossen hatte. Dieses Konzept enthielt eine neue Vorlage zu einer allgemeinen Steueramnestie, für welche noch im selben Jahr eine Vernehmlassung in Aussicht gestellt wurde5. Am 27. Juni 2001 lehnte der Bundesrat die Vorlage des EFD ab.

Am 10. April 2003 beschloss die Kommission, der Standesinitiative des Kantons Tessin (02.308), die eine allgemeine Steueramnestie für Bundes- und Kantonssteuern verlangt, Folge zu geben. Dabei hielt sie an ihrem Beschluss fest, ihren Entwurf zur straflosen Selbstanzeige zu sistieren, bis das Parlament sich entschieden hat, ob es dieser Standesinitiative Folge geben will oder nicht6.

1.2.2

Steueramnestie für Erben

Im März 1997 reichten Ständerat Dick Marty und Nationalrat Pelli je eine gleich lautende Motion ein (97.3087 und 97.3125: Steueramnestie für Erben). Darin wird der Bundesrat aufgefordert, eine Änderung der geltenden Steuergesetzgebung zu unterbreiten, die den Grundsatz der Steueramnestie für die Erben einführt: Es soll zugunsten der Erben auf eine Nachsteuer und auf eine Busse verzichtet werden, wenn diese ein vollständiges Inventar der Vermögenswerte des Erblassers vorlegen.

Beide Motionen wurden in Postulate umgewandelt7.

Am 11. März 2002 beschloss der Ständerat, der Standesinitiative des Kantons Tessin (01.301 Steuerrecht. Abschaffung der «Erbenbussen») nicht Folge zu geben. Diese sah vor, den Kantonen zu ermöglichen, bei Erben, die ein vollständiges Inventar aller Vermögensgegenstände der verstorbenen Person vorlegen, nicht nur auf die Busse, sondern auch auf die Nachsteuer zu verzichten. Der Nationalrat hat dieser Initiative am 11. März 2003 Folge gegeben. Der Ständerat folgte am 3. Juni 2003 dem Antrag seiner Kommission und hielt an seinem Beschluss fest, der Initiative keine Folge zu geben. Die Kommission war der Ansicht, dass eher eine allgemeine Amnestie angestrebt werden sollte. Damit wurde die Standesiniative des Kantons Tessin von der Geschäftsliste gestrichen (Art. 21octies Abs. 5 GVG;).

Am 25. Juni 2003 gab der Bundesrat eine Vorlage über eine vereinfachte Nachbesteuerung in Erbfällen, die Abschaffung der Erbenhaftung für Bussen des Erblassers und die straflose Selbstanzeige ohne strafrechtliche Folgen in die Vernehmlassung.

5 6 7

Pressemitteilung des EFD vom 13. März 2000 Der Ständerat hat der Iniative am 3. Juni 2003 Folge gegeben.

Sie wurden im Rahmen des Geschäftsberichts 2002 abgeschrieben (Zusatzbericht der Geschäftsprüfungskommissionen; Beschluss des SR vom 4.6.2003; Beschluss des NR vom 5.6.2003)

1440

1.3

Arbeiten der Kommission

Aus den bisherigen Arbeiten geht hervor, dass die Meinungen über die Möglichkeiten, das Ausmass und die Ausgestaltung einer Steueramnestie sowohl für Steuerpflichtige als auch für ihre Erben stark auseinander gehen. Es scheint wenig wahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit eine Vorlage verabschiedet werden kann. Die Frage der Erbenhaftung für Steuerbussen des Erblassers ist hingegen unbestritten.

Die Kommission ist daher der Meinung, dass sie aus dem Gesamtkontext der Steueramnestie herausgelöst werden muss. Zudem müssen die zur Anpassung des schweizerischen Rechts an die EMRK erforderlichen Gesetzesänderungen umgehend vorgenommen werden.

Im Vorentwurf der Kommission vom 22. März 1999 über die Einführung einer straflosen Selbstanzeige wurde auch die Haftung der Erben für die dem Verstorbenen auferlegten Steuerbussen behandelt. Die Mehrheit der Kommission beantragte, diese Haftung durch die Streichung von Artikel 179 DBG und Artikel 57 Absatz 3 StHG gänzlich abzuschaffen. Eine Minderheit wollte die Erbenhaftung für rechtskräftig festgelegte Bussen beibehalten. In der Vernehmlassung von 1999 sprachen sich 19 Kantone und drei politische Parteien für die Variante der Minderheit aus.

Der Vorschlag der Kommissionsmehrheit stiess nur bei sechs Kantonen und einer Partei auf Zustimmung.

Die Kommission konnte weitgehend auf die Arbeiten aus dem Jahr 1999 zurückgreifen. Am 26. Januar 2004 verabschiedete sie diesen Bericht und den Gesetzesentwurf einstimmig.

1.4

Rechtsvergleich

Deutschland: Nach § 45 AO (Abgabenordnung) gehen bei einer Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über. Dies gilt jedoch bei der Erbfolge nicht für Zwangsgelder.

Die Zwangsgelder dienen der Erzwingung von Handlungen des Steuerpflichtigen.

Die Steuerhinterziehung ist nach § 370 AO mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Eine Freiheitsstrafe kann nicht vererbt werden. Nach § 459c Absatz 3 StPO (= Strafprozessordnung) darf eine Geldstrafe nicht in den Nachlass des Verurteilten vollstreckt werden.

In Österreich wird diese Thematik im Finanzstrafgesetz (FinStrG) geregelt. § 173 dieses Gesetzes bestimmt, dass eine Busse höchstpersönlich sei und nicht auf die Erben übergehe. Wenn der Beschuldigte erst nach der Rechtskraft des Urteils stirbt, die Busse aber noch nicht bezahlt hat, dann geht diese Verbindlichkeit nicht auf die Erben über und belastet demnach den Nachlass nicht.

Frankreich: Nach dem französischen Steuerrecht werden nicht nur Bussen, sondern auch Verspätungszinsen und Zuschläge (majorations) als Sanktionen verhängt. Hinsichtlich der Bussen, Zuschläge und Verspätungszinsen nach dem Tode des Angeschuldigten bestimmt Artikel 1736 Absatz 3 CGI (= Code Général des Impôts) Folgendes: «En cas du décès du contrevenant ou s'il s'agit d'une société, en cas de dissolution, les amendes, majorations et intérêts dont il s'agit constituent une charge de la succession ou de la liquidation.» 1441

Im Endeffekt entgeht also nur der Erbe, welcher die Erbschaft ausschlägt, der Haftung für Bussen, Zuschläge und Verspätungszinsen.

Italien: Das italienische Steuerstrafrecht kennt administrative Sanktionen und strafrechtliche Sanktionen (Freiheitsstrafen). Gestützt auf das von der italienischen Verwaltung (Agenzia delle Entrate) publizierte «Annuario del contribuente 2003» lässt sich sagen, dass die administrativen Sanktionen nicht auf die Erben des Schuldigen übergehen.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Die Erbenhaftung: ein Verstoss gegen die Europäische Menschenrechtskonvention

Die Standesinitiative wurde ausgelöst durch zwei Entscheide des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte (EGMR) vom 29. August 19978.

In beiden Entscheiden erkannte der EGMR, dass die Haftung der Erben für die Bussen, welche der Erblasser für die von ihm begangenen Hinterziehungen hätte zahlen müssen, gegen Artikel 6 § 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK, SR 0.101) verstosse. Diese Bestimmung enthält die sogenannte Unschuldsvermutung und lautet wie folgt Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.

Beide Fälle waren in der Schweiz noch gemäss dem Bundesratsbeschluss vom 9. Dezember 1940 über die Erhebung einer direkten Bundessteuer (BdBSt) beurteilt worden, der bis zum 31. Dezember 1994 in Kraft stand. Artikel 130 Absatz 1 BdBSt lautete wie folgt: Sind die hinterzogene Steuer sowie die Busse beim Tode des Steuerpflichtigen noch nicht bezahlt, so gehen die daraus erwachsenden Verpflichtungen auf die Erben über und diese haften dafür solidarisch bis zur Höhe ihrer Erbteile. In ein hängiges Verfahren (Art. 132) treten die Erben an Stelle des Erblassers ein. Wird die Hinterziehung erst nach dem Tode des Steuerpflichtigen entdeckt, so wird das Verfahren gegenüber seinen Erben angehoben und durchgeführt, und diese haften bis zur Höhe ihrer Erbteile solidarisch für die vom Erblasser hinterzogene Steuer und die von ihm verwirkten Bussen ohne Rücksicht auf ein eigenes Verschulden.

Das Bundesgericht hatte den Standpunkt der Steuerbehörden geschützt (BGE vom 5. Juli 1991 i.S. Erben P. gegen Kantonales Steueramt Zürich und BundessteuerRekurskommission des Kantons Zürich, publiziert in BGE 117 Ib 367; BGE vom 22. Mai 1992 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen Erben L. und Steuerrekurskommission des Kantons Obwalden, nicht publiziert). In beiden vom EGMR beurteilten Fällen waren die Hinterziehungen erst nach dem Tode der jeweiligen Steuerpflichtigen entdeckt worden, so dass die Hinterziehungsverfahren gegenüber deren Erben angehoben und durchgeführt wurden. Im Zeitpunkt des Todes der 8

Siehe Fussnote 2

1442

Steuerpflichtigen waren also noch keine rechtskräftig gewordenen Nachsteuer- und Bussenentscheide ergangen.

Die beiden bundesgerichtlichen Urteile wurden dann durch das Bundesgericht im Sinne der Urteile des EGMR revidiert (Art. 139a OG).

2.2

Geltendes Recht

2.2.1

Direkte Bundessteuer

Das seit dem 1. Januar 1995 in Kraft stehende Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) enthält in Artikel 179 ebenfalls eine Haftung der Erben eines Steuerpflichtigen. Diese Vorschrift lautet: Die Erben des Steuerpflichtigen, der eine Steuerhinterziehung begangen hat, haften ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden für die rechtskräftig festgesetzten Bussen solidarisch bis zum Betrag ihres Anteils am Nachlass mit Einschluss der Vorempfänge.

1

Ist das Hinterziehungsverfahren beim Tod des Steuerpflichtigen noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, oder ist es erst nach dem Tod des Steuerpflichtigen eingeleitet worden, so entfällt die Erhebung einer Busse, sofern die Erben an der unrichtigen Versteuerung kein Verschulden trifft und sie das ihnen Zumutbare zur Feststellung der Steuerhinterziehung getan haben.

2

Absatz 1 von Artikel 179 DBG bezieht sich auf den Fall, da die Busse im Zeitpunkt des Todes dem Erblasser bereits rechtskräftig auferlegt worden ist. Absatz 2 dieser Bestimmung regelt den Fall, da im Zeitpunkt des Todes noch keine rechtkräftige Bussenverfügung gegen den Erben vorliegt. Nach Artikel 179 DBG können sich die Erben von der Busse befreien, während dies nach Artikel 130 Absatz 1 BdBSt nicht möglich war.

2.2.2

Kantons- und Gemeindesteuern

Artikel 129 BV (Art. 42quinquies aBV) sieht die Harmonisierung der direkten Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden vor. Deshalb wurde am 14. Dezember 1990 nicht nur das DBG, sondern auch das Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG, SR 642.14) verabschiedet.

Nach Artikel 129 BV ist das Steuerstrafrecht Gegenstand der Harmonisierung.

Artikel 57 Absatz 3 StHG enthält deshalb eine dem Artikel 179 DBG entsprechende Vorschrift: Die Erben des Steuerpflichtigen, der eine Steuerhinterziehung nach Artikel 56 Absatz 1 begangen hat, haften ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden für die rechtskräftig festgesetzten Bussen solidarisch bis zum Betrag ihres Anteils am Nachlass mit Einschluss der Vorempfänge. Ist das Hinterziehungsverfahren beim Tod des Steuerpflichtigen noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, oder ist es erst nach dem Tode des Steuerpflichtigen eingeleitet worden, so entfällt die Erhebung einer Busse, sofern die Erben an der unrichtigen Versteuerung kein Verschulden trifft und sie das ihnen Zumutbare zur Feststellung der Steuerhinterziehung getan haben.

3

1443

Auch diese Vorschrift regelt die Haftung der Erben wie Artikel 179 DBG unterschiedlich je nachdem, ob die Busse dem Erblasser bereits rechtskräftig auferlegt wurde oder nicht.

2.3

Aufrechterhaltung der Erbenhaftung für die dem Erblasser vor seinem Tod auferlegten Bussen?

Die Kommission hat geprüft, inwieweit die Aufrechterhaltung der Erbenhaftung für die dem Erblasser vor seinem Tod auferlegten Bussen mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofes für Menschenrechte vereinbar ist und wie gross der Handlungsspielraum der Schweiz in diesem Zusammenhang ist. In der Vernehmlassung von 1999 hatten sich die befragten Kreise denn auch mehrheitlich für die Aufrechterhaltung einer solchen Haftung für rechtskräftig auferlegte Bussen ausgesprochen (vgl. Ziff. 1.3).

2.3.1

Die Regelung im schweizerischen Strafgesetzbuch

Die Busse ist eine Strafe, die auch im schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB; SR 311.0) vorgesehen ist (Art. 48­50 StGB). Artikel 48 Ziffer 3 bestimmt kurz und bündig: Stirbt der Verurteilte, so fällt die Busse weg.

Diese Bestimmung stellt also nicht darauf ab, ob im Zeitpunkt des Todes des Verurteilten das Urteil betreffend die Busse rechtskräftig geworden sei oder nicht. Die von dieser Bestimmung des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches abweichende Regelung in Artikel 130 Absatz 1 BdBSt bzw. in Artikel 179 DBG wird in der Strafrechtslehre einhellig kritisiert9. Die Busse sei als persönliche Strafe unvererblich. Die Erbenhaftung verstosse gegen den Grundsatz, dass eine Strafe nur demjenigen auferlegt werden dürfe, den an der Tat ein Verschulden treffe, sowie gegen die Unschuldsvermutung.

2.3.2

Artikel 179 DBG und die Bundesverfassung

Artikel 48 Ziffer 3 StGB gehört zum allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches. Artikel 333 Absatz 1 StGB bestimmt dazu folgendes: Die allgemeinen Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf Taten, die in andern Bundesgesetzen mit Strafe bedroht sind, insoweit Anwendung, als diese Bundesgesetze nicht selbst Bestimmungen aufstellen.

1

An sich gestattet diese Bestimmung eine von Artikel 48 Ziffer 3 StGB abweichende Regelung im Bereich des Bundessteuerrechtes. Es ist jedoch noch zu prüfen, wie sich die Regelung von Artikel 179 DBG zur Bundesverfassung verhält. Artikel 5 9

S. Trechsel, Strafbarkeit der Erben wegen Steuerhinterziehung des Erblassers, recht 1993, S. 16 ff.

S. Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl.. Zürich, S.232 Barbara Amsler/Jürg Sollberger, Basler Kommentar, S 779 ff.

1444

Absatz 4 BV schreibt vor, dass Bund und Kantone das Völkerrecht zu beachten haben. Artikel 191 BV erklärt die Bundesgesetze und das Völkerrecht als für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend. Aus diesen und anderen Bestimmungen der Bundesverfassung ergibt sich klar der Vorrang des Völkerrechtes vor dem nationalen Recht. Die auch von der Schweiz ratifizierte EMRK ist ein Teil des Völkerrechtes. Wenn sich aus dem Wortlaut und aus der Auslegung der EMRK ergibt, dass die Erben nicht für eine dem Erblasser auferlegte Busse haften, dann ist dies für die Schweiz verbindlich. Der Gesetzgeber ist durch die Bundesverfassung gehalten, keine dem Völkerrecht widersprechenden Vorschriften zu erlassen bzw. solche Vorschriften aufzuheben. Die Vorschrift von Artikel 179 DBG erweist sich somit als völkerrechtswidrig. Aufgrund der dargelegten Regelung in der Bundesverfassung muss sie deshalb aufgehoben werden.

Dadurch würde das DBG in diesem Punkt auch wieder mit dem allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches übereinstimmen.

Die Kommission beantragt, Artikel 179 DBG ersatzlos zu streichen.

2.3.3

Artikel 57 Absatz 3 StHG und die Bundesverfassung

Nach Artikel 335 Ziffer 2 StGB können die Kantone Strafbestimmungen zum Schutze des kantonalen Steuerrechtes erlassen. Die Kantone müssen heute jedoch die durch das StHG aufgestellten Schranken beachten. Wenn sich Artikel 179 DBG als EMRK-widrig und damit auch als verfassungswidrig erweist, gilt dies folgerichtig auch für Artikel 57 Absatz 3 StHG. Artikel 5 Absatz 4 BV schreibt vor, dass Bund und Kantone das Völkerrecht ­ und damit auch die EMRK ­ zu beachten haben. Die Haftung der Erben für die Bussen des Erblassers ist deshalb auch im kantonalen Steuerrecht aufzuheben.

Die Kommission beantragt, Artikel 57 Absatz 3 StHG ersatzlos zu streichen.

3

Übergangsrecht

Es ist nicht ganz auszuschliessen, dass auch nach der Bekanntgabe der beiden Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahre 1997 Bussen gegenüber den Erben eines fehlbaren Steuerpflichtigen ausgefällt wurden. Da der EGMR feststellte, dass die Haftung der Erben für solche Bussen gegen Artikel 6 EMRK verstösst, sollten sie nicht mehr vollzogen werden.

Diese Frage stellt sich namentlich im Zusammenhang mit der definitiven Rechtsöffnung, den Verlustscheinen und der möglichen Verrechnung der Bussen gegenüber den Erben durch die Steuerbehörde.

Gemäss Artikel 81 Absatz 1 SchKG (SR 281.1) wird definitive Rechtsöffnung nur bei Vorliegen eines vollstreckbaren Urteils erteilt. Wird der Bussenverfügung in einer Übergangsregelung die Vollstreckbarkeit versagt, so hat der Rechtsöffnungsrichter den auf eine solche Bussenverfügung abgestützten Antrag auf definitive Rechtsöffnung abzuweisen. Ob ein vollstreckbares Urteil vorliegt oder nicht, hat das Gericht von Amtes wegen zu prüfen. Zudem kann der Schuldner den entsprechenden Einwand vorbringen, denn Artikel 81 SchKG nennt nicht alle Verteidigungs-

1445

möglichkeiten des Schuldners (Staehelin/Bauer/Staehelin, SchKG-Kommentar/ Staehelin Daniel, Art. 81 Rz. 2).

Würde hingegen keine solche Übergangsregelung geschaffen, wäre das Urteil trotz nachträglich geänderter Rechtslage grundsätzlich vollstreckbar. Dementsprechend wäre die definitive Rechtsöffnung zu erteilen. Diese unbefriedigende Situation soll mittels einer Übergangsregelung vermieden werden.

Gemäss Artikel 149 Absatz 2 SchKG dient der Verlustschein als Schuldanerkennung im Sinne von Artikel 82 SchKG und somit als Titel für die provisorische Rechtsöffnung. Das Gericht gewährt die provisorische Rechtsöffnung, sofern der Betriebene nicht Einwendungen glaubhaft macht (Art. 82 Abs. 2 SchKG). Unter den Begriff der «Einwendungen» sind aber auch «Einreden» zu subsumieren. Der Betriebene kann daher auch vorbringen, dass rechtsvernichtende oder rechtshindernde Tatsachen eingetreten sind (Staehelin/Bauer/Staehelin, SchKG-Kommentar/Staehelin Daniel, Art. 82 Rz. 83). Dem Betriebenen steht damit auch die Einrede zu, dass die Busse, auf welcher der Verlustschein basiert, nicht vollstreckbar ist. Der Verlustschein gibt dem Gläubiger zudem das Recht, während sechs Monaten nach Zustellung des Verlustscheins ohne neuen Zahlungsbefehl die Betreibung fortzusetzen (Art. 149 Abs. 3 SchKG). Diesfalls kommt es zu keinem Rechtsöffnungsverfahren und der Betriebene erhält damit keine Gelegenheit, die Einrede, dass die Bussenverfügung nicht mehr vollstreckbar ist, vorzubringen. Es soll daher eine Übergangsregelung geschaffen werden, welche Verlustscheinen, die auf Bussenverfügungen nach Artikel 179 DBG oder Artikel 57 Absatz 3 StHG basieren, die Vollstreckbarkeit generell versagt.

Die privatrechtliche Verrechnung setzt unter anderem voraus, dass die zu verrechnende Forderung weder mit Einwendungen gegen ihren Bestand noch mit Einreden behaftet ist, die ein Leistungsverweigerungsrecht des Verrechnungsgegners begründen (Basler-Kommentar/Wolfgang Peter, Art. 120 OR Rz. 3). Eine Einrede richtet sich gegen die Durchsetzbarkeit der entsprechenden Forderung (Schwenzer Ingeborg, Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Rz. 4.34). Sofern den betroffenen Bussenverfügungen die Vollstreckbarkeit untersagt wird, sind sie nicht mehr durchsetzbar. Es würde diesfalls eine Einrede bestehen, welche ein Leistungsverweigerungsrecht des
Verrechnungsgegners begründen und daher der Verrechnung entgegenstehen würde. Diese Ausführungen basieren auf dem Privatrecht. Es ist aber fraglich, inwiefern privatrechtliche Normen für die Verrechnung von Bussen beigezogen werden können.

Schliesslich soll es der betroffenen Person ermöglicht werden, die Löschung allfälliger Eintragungen im Betreibungsregister, die auf Grund einer Bussenverfügung nach Artikel 179 DBG oder Artikel 57 Absatz 3 StHG erfolgten, zu veranlassen (insbesondere Eintragungen in Folge von Zahlungsbefehlen und Verlustscheinen).

Um die Rechtslage klar zu stellen beantragt die Kommission, Übergangsregelungen in das DBG und in das StHG aufzunehmen, welche einerseits den hier zur Diskussion stehenden Bussenverfügungen generell die Vollstreckbarkeit versagen und andererseits insbesondere die verrechnungsweise Geltendmachung solcher Bussenforderungen und die Vollstreckung von entsprechenden Verlustscheinen untersagen sowie die Löschung entsprechender Eintragungen im Betreibungsregister ermöglichen.

1446

Eine ähnliche Regelung gilt im Strafrecht. Artikel 336 Buchstabe a StGB sieht vor, dass die Strafe für eine Tat, welche nach StGB nicht mehr strafbar ist, nicht mehr vollzogen werden darf.

4

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen führen weder beim Bund noch bei den Kantonen und Gemeinden zu Mehrausgaben oder Personalaufstockungen.

5

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Kompetenz des Bundes, Grundsätze der Besteuerung und der Steuerharmonisierung festzulegen, stützt sich auf Artikel 127 und 129 der Bundesverfassung.

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