04.016 Botschaft zur Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» vom 18. Februar 2004

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen hiermit die Botschaft zur Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!». Wir beantragen Ihnen, die Initiative Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung zu unterbreiten.

Der Entwurf zum entsprechenden Beschluss liegt bei.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. Februar 2004

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Joseph Deiss Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2003-2304

1313

Übersicht Die Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» wurde am 11. April 2003 eingereicht. Sie verlangt einen neuen Verfassungsartikel, der den Bund verpflichtet, Bestimmungen über die Kinderzulagen zu erlassen. Sollte die Bundesversammlung innert fünf Jahren nach Annahme der Volksinitiative das Ausführungsgesetz nicht verabschieden, so erlässt der Bundesrat die nötigen Bestimmungen.

Die bundesrechtliche Kinderzulagenordnung soll wie folgt ausgestaltet werden: ­

Jedes Kind gibt, unabhängig von der beruflichen Stellung seiner Eltern, Anrecht auf eine volle Kinderzulage, wobei der Anspruch bis zum vollendeten 16. Altersjahr und für Kinder in Ausbildung bis zum 25. Altersjahr besteht.

­

Die Kinderzulage beträgt mindestens 450 Franken im Monat und wird der Lohn- und Preisentwicklung angepasst.

­

Die Finanzierung erfolgt durch Bund und Kantone und durch Beiträge der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, wobei die öffentliche Hand mindestens die Hälfte trägt. Es wird ein gesamtschweizerischer Lastenausgleich eingerichtet.

Die Bundesregelung würde die Vielzahl der geltenden Ordnungen der Kantone und des Bundes ersetzen. Heute sind die Arten und Ansätze der Familienzulagen sehr unterschiedlich, und es bestehen Lücken bei Teilzeitbeschäftigung, für Selbständigerwerbende und Nichterwerbstätige. Die Anspruchsvoraussetzungen sind zudem wenig koordiniert.

Die Kosten der von der Volksinitiative vorgeschlagenen Kinderzulagen würden sich auf 10,7 Milliarden Franken belaufen, was weit mehr als eine Verdoppelung der gegenwärtig aufgewendeten Mittel von 4 Milliarden Franken bedeuten würde. Weil heute die Familienzulagen zu über 95 Prozent von den privaten und öffentlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern finanziert werden und diese gemäss Initiativkomitee nicht stärker als heute belastet werden sollen, gingen die Mehrkosten im Wesentlichen zu Lasten der öffentlichen Haushalte. Für den Bund ergäbe das eine Mehrbelastung von netto 2,9 Milliarden Franken (bei einer hälftigen Aufteilung zwischen Bund und Kantonen) bzw. von 4 Milliarden Franken (bei einer Übernahme von zwei Dritteln der Kosten durch den Bund). Die dafür notwendigen Mittel müssten angesichts der angespannten Finanzlage des Bundes durch entsprechende Mehreinnahmen aufgebracht werden. Dafür kämen in erster Linie Steuererhöhungen in Frage, was zu einer volkswirtschaftlich unerwünschten Erhöhung der Fiskalquote führen würde.

Der Bundesrat teilt die Meinung, dass den Familienzulagen eine wichtige Bedeutung im Rahmen der Familienpolitik und insbesondere bei der Bekämpfung der Familienarmut zukommt. Wie er schon in seiner Stellungnahme vom 28. Juni 2000 zur parlamentarischen Initiative Fankhauser (91.411, Leistungen für die Familie; BBl 2000 4784) ausgeführt hat, unterstützt er deshalb in diesem Sinne und dem Grundsatz nach eine Bundesregelung. Eine solche kann gewisse Minimalstandards setzen

1314

und die stossendsten Lücken schliessen sowie einheitlichere und koordinierte Anspruchsvoraussetzungen schaffen. Die in der Volksinitiative angestrebte Erhöhung des Leistungsniveaus und die damit verbundenen Mehrkosten sind jedoch nicht vertretbar. Die geltende Verfassungsnorm bietet eine ausreichende Grundlage zur Vereinheitlichung der Familienzulagen. Mit dem im Rahmen der erwähnten parlamentarischen Initiative im Parlament hängigen Projekt liegt bereits ein Entwurf für ein Bundesgesetz vor.

Aus all diesen Gründen beantragt der Bundesrat den eidgenössischen Räten, Volk und Ständen zu empfehlen, die Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» ohne Gegenvorschlag abzulehnen.

1315

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Formelles

1.1.1

Wortlaut

Die Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» lautet: I Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert: Art. 116 Sachüberschrift und Abs. 2 Schutz der Familie und Mutterschaftsversicherung 2

Aufgehoben

Art. 116a (neu) 1

Kinderzulagen

Der Bund erlässt Vorschriften über die Kinderzulagen.

Die Kinderzulagen basieren auf dem Prinzip «ein Kind, eine Zulage». Die Anspruchsberechtigung ist unabhängig vom juristischen Status des Kindes und von den wirtschaftlichen Verhältnissen der anspruchsberechtigten Person.

2

Der Anspruch auf Kinderzulagen besteht von der Geburt bis zum vollendeten 16. Altersjahr des Kindes. Der Anspruch wird verlängert für die Dauer einer oder mehrerer anerkannter Ausbildungen, höchstens jedoch bis zum vollendeten 25. Altersjahr.

3

Die Kinderzulage entspricht einem einheitlichen Betrag pro Tag von mindestens 15 Franken in der ganzen Schweiz. Die Berechnung basiert auf 30 Tagen pro Monat.

Die Kinderzulage wird alle zwei Jahre an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst. Das Gesetz regelt die Höhe des Betrags für Kinder, die im Ausland leben.

4

Die Durchführung erfolgt in Zusammenarbeit mit den Kantonen und kann sich auf die bestehenden öffentlichen oder privaten Familienausgleichskassen abstützen. Der Bund richtet einen gesamtschweizerischen Lastenausgleich für die in Absatz 4 festgelegten Leistungen ein. Er kann eine eidgenössische Familienausgleichskasse führen.

5

Die Kinderzulagen werden finanziert durch Leistungen des Bundes und der Kantone sowie durch Beiträge der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Die Leistungen des Bundes und der Kantone betragen zusammen mindestens die Hälfte der Ausgaben.

6

1316

II Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert: Art. 196 Sachüberschrift Übergangsbestimmungen gemäss Bundesbeschluss vom 18. Dezember 1998 über eine neue Bundesverfassung Art. 197

Übergangsbestimmungen nach Annahme der Bundesverfassung vom 18. April 1999

1. Übergangsbestimmung zu Art. 116a (Kinderzulagen) (neu) Hat die Bundesversammlung nicht innert fünf Jahren nach Annahme des Artikels 116a die entsprechende Gesetzgebung erlassen, erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen.

1

2 Die erste Anpassung der Höhe der Kinderzulage gemäss Artikel 116a Absatz 4 erfolgt zwei Jahre nach der Annahme von Artikel 116a durch Volk und Stände.

1.1.2

Zustandekommen

Die Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» wurde vom Christlichnationalen Gewerkschaftsbund der Schweiz (CNG) lanciert. Am 11. April 2003 wurde sie von Travail.Suisse, zu dem sich der CNG am 14. Dezember 2002 mit anderen Arbeitnehmerverbänden zusammengeschlossen hatte, eingereicht. Mit Verfügung vom 8. Mai 2003 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Volksinitiative mit 101 442 gültigen Unterschriften formell zu Stande gekommen ist (BBl 2003 3542).

1.1.3

Behandlungsfrist

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes (ParlG; SR 171.10) unterbreitet der Bundesrat dem Parlament die Botschaft zur Initiative spätestens ein Jahr nach deren Einreichung, somit am 10. April 2004. Die Bundesversammlung beschliesst innert zwei Jahren seit der Einreichung der Initiative, somit bis zum 10. April 2005, ob sie ihr zustimmt oder nicht. Sie kann die Frist um ein Jahr verlängern, wenn mindestens ein Rat über einen Gegenentwurf oder einen mit der Volksinitiative eng zusammenhängenden Erlassentwurf Beschluss gefasst hat (Art. 103 Abs. 1 sowie 105 Abs. 1 ParlG).

1.2

Gültigkeit

1.2.1

Einheit der Form

Nach den Artikeln 139 Absätze 2 und 3 sowie 194 Absatz 3 BV ist eine Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung nur in der Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs zulässig; Mischformen sind nicht gestattet.

1317

Die Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» ist in die Form des ausgearbeiteten Entwurfs gekleidet. Das Gebot der Einheit der Form ist somit erfüllt.

1.2.2

Einheit der Materie

Eine Volksinitiative darf nur eine Materie zum Gegenstand haben (Art. 139 Abs. 3 und 194 Abs. 2 BV). Die Einheit der Materie ist gewahrt, wenn zwischen den einzelnen Teilen der Volksinitiative ein sachlicher Zusammenhang besteht. Das Gebot der Einheit der Materie will vermeiden, dass ein Initiativbegehren mehrere, sachlich nicht zusammenhängende Themen umfasst. Das Gebot dient der Gewährleistung einer freien und unverfälschten Willensbildung. Die Volksinitiative hat folgenden Inhalt: ­

Sie schlägt einen neuen Verfassungsartikel über Kinderzulagen vor, der die bisherige diesbezügliche Bestimmung ersetzt. Nach Absatz 1 soll der Bund zwingend Bestimmungen über die Kinderzulagen erlassen, wofür einige Eckwerte in fünf weiteren Absätzen näher umschrieben werden. So müssen insbesondere ein Anspruch auf Zulagen für alle Kinder gewährt sowie ein gesamtschweizerischer Lastenausgleich eingerichtet werden.

­

Hat die Bundesversammlung nicht innert fünf Jahren nach Annahme des neuen Verfassungsartikels die entsprechende Gesetzgebung verabschiedet, so erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen.

Die Volksinitiative besteht aus Elementen, die unter sich in einem direkten Zusammenhang stehen. Sie respektiert somit die Einheit der Materie.

1.2.3

Weiteres Gültigkeitserfordernis

Neben der Einheit der Form und der Materie verlangt die Bundesverfassung in Artikel 194 Absatz 2 die Beachtung der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Die Volksinitiative tangiert das zwingende Völkerrecht nicht.

1.2.4

Durchführbarkeit

Die offensichtliche faktische Undurchführbarkeit eines Initiativbegehrens gilt als einzige ungeschriebene materielle Schranke der Verfassungsrevision. Nach konstanter Praxis müssen zweifelsfrei und faktisch unmöglich durchführbare Volksinitiativen der Volksabstimmung entzogen werden. Die Forderungen der Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» sind weder in rechtlicher Hinsicht unmöglich zu realisieren noch sind sie faktisch undurchführbar.

Die Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» ist somit gültig.

1318

2

Ziel und Inhalt der Volksinitiative

Der Bund erhält den Auftrag, die Kinderzulagen, die heute ­ abgesehen von der Landwirtschaft ­ durch die Kantone und damit uneinheitlich und lückenhaft geregelt sind, gesamtschweizerisch zu vereinheitlichen. Die Volksinitiative schlägt dazu einen neuen Verfassungsartikel 116a über Kinderzulagen vor, der den Bund verpflichtet, Bestimmungen über die Kinderzulagen zu erlassen. Die bisherige Verfassungsbestimmung (Art. 116 Abs. 2 BV), die lediglich eine Kompetenz des Bundes enthält, soll aufgehoben werden.

Sofern die Bundesversammlung innert fünf Jahren nach Annahme des neuen Verfassungsartikels die entsprechende Gesetzgebung nicht verabschiedet hat, soll der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen erlassen (Art. 197 BV).

Die zu schaffende bundesrechtliche Regelung der Kinderzulagen soll im Einzelnen wie folgt ausgestaltet sein: ­

Jedes Kind gibt Anspruch auf eine Zulage.

­

Der Anspruch auf die Zulage besteht bis zum vollendeten 16. Altersjahr des Kindes, bei Ausbildung bis zum vollendeten 25. Altersjahr.

­

Die Zulage beträgt mindestens 15 Franken im Tag (450 Fr. im Monat). Ihr Betrag wird alle zwei Jahre (erstmals zwei Jahre nach Annahme der Volksinitiative durch Volk und Stände) der Lohn- und Preisentwicklung angepasst.

­

Die Durchführung kann durch die bestehenden Familienausgleichskassen (FAK) erfolgen. Es wird ein gesamtschweizerischer Lastenausgleich eingerichtet.

­

Die Kinderzulagen werden finanziert durch Leistungen des Bundes und der Kantone, welche mindestens die Hälfte der Ausgaben decken, und durch Beiträge der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.

3

Besonderer Teil

3.1

Die Bedeutung der Kinderzulagen

3.1.1

Kinderzulagen als Element der Familienpolitik

Kinderzulagen stellen die wichtigste Art von Familienzulagen dar, zu denen auch Ausbildungs-, Geburts- und Haushaltungszulagen gehören. Zusammen mit weiteren Massnahmen des Familienlastenausgleichs (Steuererleichterungen, Erziehungsgutschriften in der AHV, Prämienverbilligungen bei der Krankenversicherung, Stipendien, Bedarfs- bzw. Ergänzungsleistungen an Eltern usw.) bilden sie einen Eckpfeiler der Familienpolitik. Der Bundesrat ist bereits in seiner Stellungnahme vom 28. Juni 2000 zur parlamentarischen Initiative Fankhauser (91.411; Leistungen für die Familie) ausführlich auf die Bedeutung der Kinderzulagen im Rahmen aller Massnahmen für die Familien eingegangen (BBl 2000 4784). Seither haben sich das Bewusstsein und das Interesse für die Familien in Politik und Gesellschaft noch verstärkt, was sich auch darin äussert, dass verschiedene Massnahmen auf Bundesebene umgesetzt wurden (z.B. das Bundesgesetz vom 4. Okt. 2002 über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung; SR 861.1) oder der Realisierung näher 1319

gekommen sind (z.B. die Einführung eines Mutterschaftsurlaubs im Rahmen der Erwerbsersatzordnung; Pa. Iv. Triponez, 01.426, oder die Schaffung von Ergänzungsleistungen an Eltern; Pa. Iv. Fehr Jacqueline, 00.436, und Meier-Schatz Lucrezia, 00.437).

3.1.2

Kinderkosten und Familienlastenausgleich

Die direkten Kinderkosten umfassen alle den Kindern zuzuordnenden zusätzlichen Ausgaben eines Haushalts. Als indirekte Kinderkosten gilt der für die Betreuung und Erziehung aufgewendete, monetär bewertete Zeitaufwand.

Die jüngsten Schätzungen der durchschnittlichen Kinderkosten in der Schweiz beziehen sich auf die Mitte der 1990er-Jahre (Quelle: T. Bauer, Kinder, Zeit und Geld, Forschungsbericht Bundesamt für Sozialversicherung Nr. 10/98). Bei den direkten Kinderkosten wird, basierend auf Äquivalenzskalen, gemessen, welches zusätzliche Haushaltseinkommen erzielt werden muss, damit der Haushalt nach dem Hinzukommen eines Kindes auf dem gleichen Wohlstandsniveau bleiben kann. Für ein erstes Kind betragen die durchschnittlichen Kosten 18 Prozent des Haushaltseinkommens bzw. durchschnittlich 1500 Franken monatlich und für weitere Kinder rund die Hälfte (660 Fr. für ein zweites und 780 Fr. für ein drittes Kind). Die durchschnittlichen Kosten pro Kind und Monat werden auf gut 1100 Franken beziffert.

Die minimalen direkten Kinderkosten von einkommensschwachen Haushalten werden auf knapp 600 Franken pro Monat für das erste Kind und auf je rund 300 Franken für weitere Kinder veranschlagt. Die indirekten Kosten, also die Zeitkosten, sind nochmals so hoch wie die durchschnittlichen direkten Kosten. Die in der Schweiz gesamthaft anfallenden direkten Kinderkosten werden Mitte der 1990er-Jahre auf 22 Milliarden Franken pro Jahr veranschlagt.

Mit dem Familienlastenausgleich gilt die Gesellschaft einen Teil der den Familien erwachsenden direkten Kinderkosten ab. Damit anerkennt sie die vielfältigen Leistungen, welche die Familien durch das Grossziehen von Kindern im Interesse der Gesellschaft erbringen. Allerdings ist das System des Familienlastenausgleichs vielfältig und nur schwer zu quantifizieren. Hinzu kommt, dass die Zuordnung einzelner Leistungsbereiche zum Familienlastenausgleich kontrovers beurteilt wird (etwa die Kosten für die Bildung).

Zum Familienlastenausgleich im engeren Sinn zählt die genannte Studie die Familienzulagen, die familienspezifischen Erleichterungen im Steuersystem sowie die Bedarfsleistungen für Eltern. Das Transfervolumen des schweizerischen Familienlastenausgleichs im engeren Sinn belief sich im Jahr 2000 auf rund 6,45 Milliarden Franken (Quelle: E. Hüttner, T. Bauer, Massnahmen
zur gezielten Unterstützung von einkommensschwachen Familien, Bericht zuhanden der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren [SODK], Bern 2003). Damit werden weniger als ein Drittel der den Familien gesamthaft erwachsenden direkten Kinderkosten ausgeglichen. Mit den in der Volksinitiative angestrebten zusätzlichen Leistungen an die Familien von 6,7 Milliarden Franken würde dieser Anteil wesentlich angehoben.

1320

3.1.3

Wirtschaftliche Lage der Familien und Bekämpfung der Familienarmut

Die wirtschaftliche Lage der Familien in der Schweiz ist in den vergangenen Jahren in verschiedenen Studien analysiert worden. Das Bundesamt für Statistik hat im Rahmen seiner Sozialberichterstattung 2002 die Lebensbedingungen in der Schweiz für das Jahr 1998 untersucht (Bundesamt für Statistik [Hrsg.], Wohlstand und Wohlbefinden. Lebensstandard und soziale Benachteiligung in der Schweiz, Neuenburg 2002). Vergleiche der Lebensbedingungen von Haushalten mit und ohne Kinder zeigen, dass erstere tendenziell benachteiligt sind. So sind beispielsweise Paarhaushalte mit Kindern überdurchschnittlich in der einkommensschwachen Bevölkerung vertreten. Besonders benachteiligt sind die Alleinerziehenden und die kinderreichen Familien. Generell lässt sich sagen, dass der Anteil einkommensschwacher Haushalte mit der Anzahl Kinder zunimmt.

Ein Viertel der Haushalte mit einem einzigen Kind ist einkommensschwach; dieser Anteil ist in Haushalten mit zwei Kindern etwa gleich hoch. Hat eine Familie aber drei oder mehr Kinder, so steigt der Anteil Einkommensschwacher auf 48 Prozent an. Bei Alleinerziehenden liegt dieser Anteil bei 41 Prozent.

Die wirtschaftliche Lage eines Familienhaushalts hängt stark davon ab, ob beide Partner erwerbstätig sind. So ist ein Drittel der Haushalte mit einem erwerbstätigen Partner einkommensschwach, während dies bei den Doppelverdienerhaushalten nur bei gut einem Fünftel zutrifft. Hier besteht denn auch ein direkter Zusammenhang mit der Anzahl Kinder eines Haushaltes, nimmt doch die Erwerbsbeteiligung mit zunehmender Kinderzahl ab.

Familien mit Kindern sind nicht nur überdurchschnittlich von Einkommensschwäche betroffen, sondern auch von Armut. Dies geht aus der sich auf das Jahr 1992 beziehenden nationalen Armutsstudie hervor, die als Armutsschwelle die Grenze für die Bezugsberechtigung für Ergänzungsleistungen zu AHV/IV zugrunde legt.

Danach liegt die Armutsquote der gesamten Bevölkerung bei 9,8 Prozent. Bei Alleinerziehenden beträgt sie jedoch 20,2 Prozent und bei Paaren mit drei und mehr Kindern 15,3 Prozent. Hingegen liegt die Armutsbetroffenheit von Paaren mit einem oder zwei Kindern mit 9,9 Prozent im Durchschnitt. Besonders betroffen sind Familien mit jungen Eltern, weil zum einen die Löhne zu Beginn der Berufskarriere vergleichsweise noch tief liegen und weil zum anderen
die Erwerbstätigkeit zugunsten der Kinderbetreuung eingeschränkt wird.

Aus der vom Bundesamt für Statistik 2002 herausgegebenen Studie «Working Poor in der Schweiz», Neuenburg 2002, geht hervor, dass im Verlauf der 1990er-Jahre die Armutsbetroffenheit von Familien weiter zugenommen hat, besonders stark unter den Alleinerziehenden und den kinderreichen Familien. 1999 gehörten 250 000 erwerbstätige Erwachsene zu den Working Poor und 230 000 Kinder lebten in Working-Poor-Haushalten.

Die schweizerische Familienpolitik ist stark vom Föderalismus geprägt. Dementsprechend eingeschränkt sind die familienpolitischen Massnahmen des Bundes. Sein Anteil am Familienlastenausgleich im engeren Sinn beschränkt sich auf die im Rahmen der direkten Bundessteuer gewährten familienspezifischen Erleichterungen, auf die von ihm (zusammen mit den Kantonen) subventionierten Familienzulagen in der Landwirtschaft sowie auf die an sein Personal ausgerichteten Familienzulagen.

Zudem hat er im Februar 2003 ein mit 200 Millionen Franken für die ersten vier 1321

Jahre dotiertes Impulsprogramm zur Förderung von familienergänzenden Betreuungsplätzen gestartet. Ansonsten sind die wichtigsten Bereiche von den Kantonen geregelt. Dies gilt auch für die direkte Bekämpfung der Armut im Allgemeinen sowie jene der Familien im Besonderen.

Dennoch hat sich der Bund in der jüngeren Vergangenheit vermehrt der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Familien angenommen. Im Rahmen des vom Parlament im Juni 2003 verabschiedeten Steuerpakets werden Ehepaare und Familien gezielt entlastet. Die Reform der Familienbesteuerung bei der direkten Bundessteuer bringt für Ehepaare und Familien Entlastungen von 1,3 Milliarden Franken.

Dies ist ein substanzieller zusätzlicher Beitrag an den Familienlastenausgleich.

Gegen die Änderung wurde allerdings das Referendum ergriffen.

Auch das Impulsprogramm zur Förderung von familienergänzenden Betreuungsplätzen ist eine gewichtige familienpolitische Massnahme des Bundes. Mit ihm soll insbesondere die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden. Obwohl es sich dabei um eine traditionelle Domäne der Kantone und der Gemeinden handelt, erachteten Bundesrat und Parlament wegen des verbreiteten Mangels an Betreuungsplätzen ein Engagement des Bundes als notwendig.

Kantone und Gemeinden sind die eigentlichen Träger der familienpolitischen Massnahmen. Ebenso sind sie zuständig für die Sozialhilfe und damit für den konkreten Umgang mit der Familienarmut. Ihre Systeme sind äusserst heterogen, sowohl bei den Steuern und den Familienzulagen als auch bei der Sozialhilfe.

Zwölf Kantone haben zur gezielten Bekämpfung der Familienarmut besondere Gesetze geschaffen, welche verschieden ausgestaltete Bedarfsleistungssysteme für einkommensschwache Familien mit Kleinkindern vorsehen. In der Regel nehmen sie für die Leistungsbemessung Bezug auf das System der Ergänzungsleistungen zur AHV/IV. So haben einkommensschwache Familien in der ersten Zeit nach der Geburt eines Kindes (6 Monate bis 3 Jahre) Anspruch auf Bedarfsleistungen, welche das Existenzminimum der Familie decken. Der Kanton Tessin deckt zudem den Existenzbedarf für Kinder bis zu 15 Jahren.

Im Frühjahr 2001 hat der Nationalrat den beiden oben unter Ziffer 3.1.1 erwähnten parlamentarischen Initativen Folge gegeben, die eine an die Tessiner Lösung angelehnte Bundesregelung für
Ergänzungsleistungen für einkommensschwache Familien verlangen. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) prüft gegenwärtig entsprechende Umsetzungsvarianten.

3.2

Die Familienzulagen nach den heutigen Regelungen

3.2.1

Überblick

Das heutige System der Familienzulagen in der Schweiz ist sowohl hinsichtlich der gesetzlichen Regelung wie auch in der Durchführung äusserst zersplittert. Abgesehen von den bundesrechtlichen Bestimmungen für die Landwirtschaft und das Bundespersonal sind die Familienzulagen von den Kantonen geregelt. Das hat Ungleichheiten und Lücken bei den Ansprüchen sowie Erschwernisse im Vollzug zur Folge. So besteht heute für etwa 180 000 Kinder (10 % aller Kinder) in der Schweiz kein Anspruch auf Zulagen.

1322

3.2.2

Bundesrecht

Seit dem 1. April 1946 hat der Bund die Befugnis zur Gesetzgebung im Bereich der Familienzulagen. Nach Artikel 116 Absatz 2 BV kann er Vorschriften über die Familienzulagen erlassen und eine eidgenössische FAK führen. Diese Kompetenz hat er bisher nur teilweise ausgeschöpft.

Das Bundesgesetz vom 20. Juni 1952 über die Familienzulagen in der Landwirtschaft (FLG; SR 836.1) regelt die Familienzulagen an Kleinbauern und landwirtschaftliche Arbeitnehmer. Kleinbauern erhalten nur dann Familienzulagen, wenn ihr Einkommen einen gewissen Betrag nicht übersteigt. Im Talgebiet betragen die Familienzulagen ab 1. Januar 2004 für die ersten beiden Kinder 170 Franken im Monat, im Berggebiet 190 Franken. Ab dem dritten und für jedes weitere Kind werden die Beträge im Talgebiet auf 175 Franken pro Monat und im Berggebiet auf 195 Franken erhöht. Landwirtschaftliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten dazu noch eine Haushaltszulage von 100 Franken im Monat (Näheres dazu siehe im Anhang 1, Ziff. 4).

Das Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (BPG; SR 172.220.1) sieht Familienzulagen für das Bundespersonal vor. Diese so genannte Betreuungszulage beträgt 4063 Franken pro Jahr für das erste und 2623 Franken für jedes weitere Kind.

3.2.3

Kantonales Recht

Es bestehen nebeneinander 26 kantonale Familienzulagenregelungen. Diese weisen in den Grundzügen viele Gemeinsamkeiten auf (Arten der Zulagen, Anspruchsvoraussetzungen, Finanzierung und Organisation). Bezüglich der Höhe der Leistungen und in etlichen Einzelheiten unterscheiden sie sich jedoch stark (Näheres siehe die Tabellen im Anhang 1).

­

Sämtliche Kantone haben Familienzulagen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingeführt.

­

10 Kantone kennen Familienzulagen für Selbständigerwerbende, wobei der Anspruch nur in drei Kantonen unabhängig vom Einkommen besteht.

­

5 Kantone gewähren unter bestimmten Voraussetzungen Familienzulagen für Nichterwerbstätige.

­

9 Kantone haben ergänzende Familienzulagen in der Landwirtschaft eingeführt.

­

Alle Kantone richten Kinderzulagen aus, 12 Kantone gewähren für Kinder über 16 Jahren in Ausbildung an Stelle der Kinderzulagen höhere Ausbildungszulagen und 10 Kantone haben Geburtszulagen eingeführt.

Die kantonalen Ordnungen sind in der Publikation «Grundzüge der kantonalen Familienzulagen, Stand 1. Januar 2003», Bundesamt für Sozialversicherung, Juni 2003, ausführlicher beschrieben Die Broschüre ist auch im Internet unter http://www.bsv.admin.ch/fam/grundlag/d/grundzuege.pdf zugänglich. Bei der Würdigung der einzelnen Punkte der Volksinitiative wird noch vergleichend auf die Regelungen in den kantonalen Ordnungen hingewiesen (s. Ziff. 4).

1323

3.2.4

Kosten und Finanzierung der Familienzulagen

Gegenwärtig werden nur die nach FLG entrichteten Familienzulagen statistisch erfasst: 2002 sind 133 Millionen Franken an Kleinbauern und an landwirtschaftliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für etwas mehr als 65 000 Kinder ausgerichtet worden. Für die übrigen Zulagen können lediglich Schätzungen vorgenommen werden.

2002 wurden 1 920 000 Kinder unter 16 Jahren und junge Erwachsene unter 25 Jahren in Ausbildung gezählt, deren Eltern in der Schweiz lebten. Schätzungen zufolge haben 1 740 000 davon Zulagen von etwas mehr als 4 Milliarden Franken erhalten. Rund 180 000 waren nicht anspruchsberechtigt, da ihre Eltern selbständigerwerbend oder nicht erwerbstätig waren (Anhang 2, Tabelle 1).

Die Zulagen an Selbständigerwerbende (Landwirte und andere) sowie an nicht erwerbstätige Personen gehen zum grössten Teil zu Lasten der öffentlichen Hand.

Die Zulagen für Arbeitnehmende gehen fast ausschliesslich zu Lasten der Arbeitgeber und entsprechen 1,6 Prozent der Lohnsumme. Die Kassen wenden allerdings sehr unterschiedliche Beitragssätze an, die sich zwischen 0,1 und 5 Prozent bewegen. Die verschiedenen Beitragssätze widerspiegeln die unterschiedlichen Zulagen in den Kantonen; in einigen Fällen decken sie auch andere Leistungen (z.B.

Geburtszulagen). Diese grossen Unterschiede sind aber auch mit den Unterschieden bei der Anzahl Kinderzulagen je Arbeitnehmer und beim Lohnniveau der einzelnen Kassen zu erklären.

3.3

Internationaler Vergleich

Die Mehrheit der europäischen Länder kennt das Wohnsitzprinzip und unterscheidet nicht zwischen Arbeitnehmenden, Selbstständigen und Erwerbslosen. Die Ausnahme bilden die südlichen Länder ­ Italien, Spanien, Griechenland, Portugal ­ und Belgien, welche die Familienzulagen nur Arbeitnehmenden gewähren. Anspruchsberechtigte Person ist je nach Land die erziehungsberechtigte Person oder aber das Kind selber, wobei die erste Variante überwiegt.

Die Anspruchsberechtigung setzt in den meisten Ländern den Wohnsitz oder Aufenthalt des Kindes im zuständigen Staat voraus. Nur in vier Staaten ­ Island, Portugal, Italien und Spanien ­ ist die Berechtigung an das Familieneinkommen geknüpft, wobei in Spanien und Italien ein maximales Jahreseinkommen von ungefähr 8000 Euro vorgesehen ist.

Das Maximalalter für die Anspruchsberechtigung liegt in der Regel zwischen 16 und 18 Jahren ­ nur Österreich und Frankreich sehen ein Maximalalter von 19 bzw.

20 Jahren vor. Wenn sich das Kind noch in der Ausbildung befindet, sehen einige Länder ein Maximalalter von bis zu 27 Jahren vor. Bei behinderten Kindern sehen nur Belgien, Irland und Portugal Altersgrenzen vor.

Die Monatsbeträge pro Kind bewegen sich in den meisten Staaten zwischen 80 und 120 Euro, wobei Griechenland mit 6­12 Euro (je nach Anzahl Kinder) die geringsten Zulagen und Luxemburg mit 168­240 Euro (je nach Anzahl Kinder) die höchsten Zulagen gewährt. In der Regel stufen die Länder die Beträge je nach Anzahl Kinder ab.

1324

Die Familienzulagen sind in der Regel grösstenteils steuerfinanziert. Frankreich, Österreich, Portugal und Luxemburg sehen zusätzlich noch Arbeitgeberbeiträge vor.

Griechenland, Italien und Liechtenstein finanzieren die Familienzulagen vollumfänglich durch Arbeitgeberbeiträge (Quelle: Gegenseitiges Informationssystem der sozialen Sicherheit in den Mitgliedstaaten der EU und des EWR [MISSOC], Europäische Kommission, Stand: 1. Jan. 2002; Internet: http://europa.eu.int/ comm/employment_social/missoc/2002/index_chapitre9_de.htm).

3.4

Bisherige Bestrebungen für eine bundesrechtliche Regelung der Familienzulagen und hängige parlamentarische Vorstösse

3.4.1

Frühere Bestrebungen

Seit dem Inkrafttreten der entsprechenden Verfassungsgrundlage wurde in zahlreichen parlamentarischen Vorstössen sowie in Standesinitiativen ein Bundesgesetz über die Familienzulagen gefordert. Eine eidgenössische Expertenkommission prüfte die Frage einer bundesrechtlichen Ordnung der Familienzulagen und legte am 27. Februar 1959 ihren Bericht vor. Dieser enthielt Rahmenbestimmungen, welche den Kantonen viel Freiheit in der Ausgestaltung der Familienzulagenregelungen liessen. Zwei damalige und etliche seither durchgeführte Vernehmlassungsverfahren zeigten, dass ein Bundesgesetz ­ sei es als umfassende Lösung, sei es als Rahmengesetz ­ nie eine Mehrheit fand. 1986 beschloss das Parlament, keine gesamtschweizerische Familienzulagenordnung zu schaffen. Erst die Annahme der parlamentarischen Initiative Fankhauser (91.411; Leistungen für die Familie) durch den Nationalrat brachte eine Wende (s. Ziff. 3.4.3). 1999 wurde im Rahmen der Vernehmlassung zum Neuen Finanzausgleich ein umfassendes Bundesgesetz über die Familienzulagen vorgeschlagen. Jedes Kind sollte unabhängig von der beruflichen Stellung und dem Einkommen der Eltern Anspruch auf eine Kinderzulage von 175 Franken pro Monat geben. In der Botschaft des Bundesrates vom 14. November 2001 (BBl 2002 2291) war dann kein Bundesgesetz über die Familienzulagen mehr vorgesehen. Begründet wurde dieser Entscheid damit, dass die Familienzulagen infolge der hauptsächlichen Finanzierung durch die Wirtschaft nicht Bestandteil des eigentlichen Finanzausgleichs seien und deshalb eine Lösung im Rahmen der parlamentarischen Initiative Fankhauser anzustreben sei.

3.4.2

Hängige parlamentarische Vorstösse

Es sind folgende Vorstösse hängig: ­

00.3231 Motion Spezialkommission NR 00.016, Stärkung der Familien mit Kindern.

Der am 17. April 2002 in Form eines Postulates überwiesene Vorstoss möchte die wirtschaftliche Situation von Familien mit Kindern verbessern, u.a. durch Kinder- und Ausbildungszulagen.

1325

­

3.4.3

01.3450 Postulat Meier-Schatz, Familienausgleichskassen und Familienzulagen, Bericht.

Das am 14. Dezember 2001 vom Nationalrat überwiesene Postulat ersucht um einen detaillierten statistischen Bericht über die FAK. Dieser soll Angaben über die Bezügerkreise, die Finanzierung, die ausbezahlten Leistungen, die Vermögensverhältnisse der FAK usw. enthalten.

Parlamentarische Initiative Fankhauser

Am 13. März 1991 reichte Nationalrätin Angeline Fankhauser eine parlamentarische Initiative (91.411; Leistungen für die Familie) in der Form der allgemeinen Anregung mit folgendem Wortlaut ein: «1. Für jedes Kind besteht Anspruch auf eine Kinderzulage von mindestens 200 Franken.

Dieser Ansatz orientiert sich an den zurzeit höchsten Beträgen der kantonalen Kinderzulagen und sollte regelmässig an den Index angepasst werden. Die Durchführung einer solchen Bundeslösung soll den bestehenden Ausgleichskassen der Kantone, der Verbände und des Bundes übertragen werden, wobei ein gesamtschweizerischer Lastenausgleich zu verwirklichen ist.

2. Für Familien mit Kindern im betreuungsbedürftigen Alter, insbesondere für alleinerziehende Eltern, besteht Anspruch auf Bedarfsleistungen, welche analog zur Ergänzungsleistung ausgestaltet sind.»

Am 2. März 1992 beschloss der Nationalrat mit 97 gegen 89 Stimmen, der Initiative Folge zu geben. In Anbetracht der vom Bundesrat geplanten Mutterschaftsversicherung, welche ursprünglich auch die Frage allfälliger Bedarfsleistungen an Eltern hatte einbeziehen wollen, beschränkte sich der daraufhin von der SGK-N ausgearbeitete Gesetzesentwurf auf den ersten Teil der parlamentarischen Initiative.

Das Eidgenössische Departement des Innern eröffnete 1995 im Auftrag der SGK-N ein Vernehmlassungsverfahren zum Entwurf für ein umfassendes Gesetz. Angesichts der unterschiedlichen Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens (vgl.

Ziff. 13 des Berichts vom 20. Nov. 1998 der SGK-N zur parlamentarischen Initiative 91.411 Leistungen für die Familie [Fankhauser], BBl 1999 3220) wurden zwei Projekte ausgearbeitet: ein umfassendes Gesetz und ein Rahmengesetz.

Am 20. November 1998 unterbreitete die SGK-N dem Nationalrat einen Bericht und den Entwurf eines Rahmengesetzes. Dieser Gesetzesentwurf legt nur Mindestanforderungen fest und belässt den Kantonen weitestgehend ihre Gesetzgebungskompetenz. Alle Arbeitnehmenden sollen, auch bei einer Teilzeitbeschäftigung, Anspruch auf eine volle Zulage haben. Mindestens bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze haben Selbständigerwerbende und nicht erwerbstätige Personen ebenfalls Anspruch auf Familienzulagen. Der Kommissionsentwurf sieht Kinderzulagen von mindestens 200 Franken und Ausbildungszulagen von mindestens 250 Franken vor.

Die Zulagen werden mit Arbeitgeberbeiträgen oder Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen finanziert.

Bei der Würdigung der einzelnen Punkte der Volksinitiative wird noch auf gewisse Punkte im Kommissionsentwurf hingewiesen (s. Ziff. 4).

In seiner Stellungnahme vom 28. Juni 2000 (BBl 2000 4784) hat sich der Bundesrat für eine Bundeslösung ausgesprochen. Er hat sich aber bewusst nicht zur Frage des Modells und zum Leistungsumfang geäussert (vgl. Ziff. 4.1 der Stellungnahme).

1326

Der Gesetzesentwurf ist im Nationalrat noch nicht behandelt worden. Die SGK-N hat an ihrer Sitzung vom 3. Juli 2003 beschlossen, mit der weiteren Behandlung des Geschäfts zuzuwarten, bis die Botschaft des Bundesrates zur Volksinitiative vorliegt.

3.4.4

Standesinitiativen

Es sind folgende Standesinitiativen hängig: ­

95.303 Solothurn, Kinderzulagen Die Bundesversammlung wird ersucht, eine gesamtschweizerische Regelung für die Kinderzulagen zu treffen, welche für jedes Kind eine volle Kinderzulage vorsieht. Die Standesinitiative wurde der SGK-N zugewiesen, die bereits die parlamentarische Initiative Fankhauser behandelte. Am 28. November 1997 beantragte die SGK-N, der Initiative Folge zu geben.

­

03.307 Luzern, Neuordnung der Familienzulagen Die eidgenössischen Räte werden ersucht, eine gesamtschweizerische Regelung für die Familienzulagen und für ergänzende Leistungen an bedürftige Familien zu schaffen. Diese Initiative wurde der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständesrates zugewiesen, welche am 18. November 2003 beantragte, ihr keine Folge zu geben.

4

Würdigung der Volksinitiative

4.1

Im Allgemeinen

Die Volksinitiative greift ein altes Anliegen auf, das im Laufe der Zeit nichts von seiner Aktualität verloren hat. Gegenüber dem heutigen System sieht sie vor allem zwei grundlegende Neuerungen vor: Jedes Kind soll Anspruch auf eine Kinderzulage geben und die Ansätze der Zulagen sollen auf 450 Franken pro Kind und Monat erhöht werden, also auf wesentlich mehr als das Doppelte des heutigen Durchschnitts von 184 Franken. Zudem sollen die Familienzulagen zwingend durch den Bund geregelt werden. Wird das Ausführungsgesetz nicht innert fünf Jahren beschlossen, so erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen.

Für eine bundesrechtliche Regelung der Familienzulagen sprechen in der Tat verschiedene Gründe: ­

Lücken können geschlossen werden.

­

Gewisse Minimalstandards werden gewährleistet.

­

Koordinationsprobleme bei Ansprüchen verschiedener Personen für dasselbe Kind können gelöst werden.

­

Durch die Anwendung einheitlicher Bestimmungen wird der Vollzug vereinfacht.

­

Die Zersplitterung der heutigen Regelung könnte behoben oder vermindert werden.

­

Die zunehmende Mobilität der Bevölkerung macht kleinräumige Regelungen immer schwieriger nachvollziehbar.

1327

­

Dem Koordinationsbedarf im internationalen Bereich kann in einem einheitlicheren System besser Rechnung getragen werden.

Aus diesen Überlegungen hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 28. Juni 2000 zur parlamentarischen Initiative Fankhauser im Grundsatz eine bundesrechtliche Regelung der Familienzulagen befürwortet. Er äusserte sich jedoch nicht zu materiellen Fragen und insbesondere nicht zur vorgeschlagenen Höhe der Zulagen.

Er merkte aber an, dass die Vereinheitlichung des Systems nicht zu einer Kostensteigerung und damit zu einer zusätzlichen Belastung des Wirtschaftsstandortes Schweiz führen dürfe. Die Volksinitiative wurde lanciert, als die SGK-N bereits auf Grund der parlamentarischen Initiative Fankhauser einen Gesetzesentwurf erarbeitet hatte, dieser aber noch nicht im Ratsplenum behandelt worden war. Bei der Würdigung der einzelnen Punkte der Volksinitiative im nächsten Abschnitt erfolgt jeweils auch eine Gegenüberstellung mit der geltenden Ordnung und mit dem Entwurf der SGK-N für ein Bundesgesetz über die Familienzulagen vom 20. November 1998 (Kommissionsentwurf).

4.2

Im Besonderen

4.2.1

Der Gesetzgebungsauftrag (Abs. 1 und Übergangsbestimmung, Abs. 1)

4.2.1.1

Die Bundeskompetenz (Abs. 1)

«Der Bund erlässt Vorschriften über die Kinderzulagen.» Dabei handelt es sich, gleich wie beim geltenden Recht, um eine konkurrierende, nachträglich derogierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Das heisst, sobald der Bund die Materie geregelt hat, sind die Kantone nicht mehr dazu befugt, es sei denn, das Bundesgesetz ermächtige die Kantone ausdrücklich, weitere Vorschriften zu erlassen, wie das z.B.

im Bereich der Familienzulagen in der Landwirtschaft (Art. 24 FLG) geschehen ist.

Die Kantone sollen gemäss Erläuterungen zur Volksinitiative, Seiten 4 und 6 (Martin Flügel, Initiativtext und Erläuterungen, Okt. 2001, www.Kinderzulagen.ch; im Folgenden Erläuterungen genannt) ausdrücklich höhere Kinderzulagen und weitere Familienzulagen einführen können.

Neu ist, dass der Bund damit den bindenden Auftrag erhält, ein Gesetz zu erlassen, wogegen die heutige Verfassungsnorm eine Kann-Formel und damit bloss eine Ermächtigung enthält (s. unten zu Art. 116 Abs. 2 BV).

Bereits der von Volk und Ständen am 25. November 1945 angenommene Artikel 34quinquies der Bundesverfassung von 1874 gab dem Bund in Absatz 2 die Kompetenz, im Bereich der Familienzulagen zu legiferieren: «Der Bund ist zur Gesetzgebung auf dem Gebiete der Familienausgleichskassen befugt. Er kann den Beitritt allgemein oder für einzelne Bevölkerungsgruppen obligatorisch erklären. Er berücksichtigt die bestehenden Kassen, fördert die Bestrebungen der Kantone und der Berufsverbände zur Gründung neuer Kassen und ist befugt, eine zentrale Ausgleichskasse zu errichten. Die finanziellen Leistungen des Bundes können von angemessenen Leistungen der Kantone abängig gemacht werden.»

In den Erläuterungen zu dieser Bestimmung hält Pascal Mahon fest, «dass Absatz 2 eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Familienzulagen enthält.

Diese Kompetenz hat fakultativen Charakter und stellt keine Pflicht dar.» (Pascal

1328

Mahon, Commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse, III, Nr. 54, 1992).

Die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 nimmt diese Befugnis des Bundes wieder auf und legt in Artikel 116 Absatz 2 fest: «Er kann Vorschriften über die Familienzulagen erlassen und eine eidgenössische Familienausgleichskasse führen.»

Absatz 4 enthält eine weitere Bestimmung, die auch für die Familienzulagen gilt: «Der Bund kann den Beitritt zu einer Familienausgleichskasse und die Mutterschaftsversicherung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsgruppen obligatorisch erklären und seine Leistungen von angemessenen Leistungen der Kantone abhängig machen.»

Auch die neue Verfassungsgrundlage enthält nur eine Kompetenz, nicht aber eine zwingende Verpflichtung der Bundes, die Familienzulagen einheitlich zu regeln (Luzius Mader, Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2002, Nr. 8).

Die Vorschrift, wonach der Bund die bestehenden Kassen berücksichtigt und die Bestrebungen der Kantone und der Berufsverbände zur Gründung neuer Kassen fördert, wurde nicht mehr aufgenommen. Das kann auf Gesetzesebene geregelt werden. Nach Artikel 178 Absatz 3 BV können Verwaltungsaufgaben durch Gesetz Organisationen und Personen des öffentlichen oder privaten Rechts übertragen werden, was die Berücksichtigung der bestehenden FAK ohne weiteres ermöglicht.

Auch die Mitwirkung der Kantone bei der Durchführung wurde nicht mehr aufgenommen. Sie ist in der allgemeinen Bestimmung von Artikel 46 Absatz 1 BV vorgesehen.

Die Volksinitiative spricht von «Kinderzulagen», wogegen in der geltenden Verfassungsbestimmung von «Familienzulagen» die Rede ist. Unter diesem Oberbegriff richten die Kantone eine ganze Reihe von Leistungen wie Kinder-, Ausbildungs-, Geburts-, Adoptions- oder Haushaltungszulagen aus. Auch unter dem neu vorgeschlagenen Verfassungstext könnten neben den eigentlichen Kinderzulagen weitere Familienzulagen, die ebenfalls den Zweck haben, zu den Kinderkosten beizutragen, subsumiert und in der Ausführungsgesetzgebung geregelt werden.

4.2.1.2

Rechtsetzungsbefugnis des Bundesrates (Übergangsbestimmung, Abs. 1)

Verabschiedet die Bundesversammlung innert fünf Jahren seit Annahme der neuen Verfassungsbestimmung kein entsprechendes Gesetz, so «erlässt der Bundesrat die nötigen Bestimmungen».

Die Übergangsbestimmung, wonach der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen erlässt, bezieht sich auf Artikel 182 Absatz 1 BV. In diesem Fall würde es sich um eine selbständige (verfassungsunmittelbare) Verordnung und nicht um eine ­ wie in der Praxis absolut vorherrschend ­ unselbständige Verordnung (gestützt auf eine Delegationsnorm in einem Bundesgesetz oder Bundesbeschluss) handeln. Der Bundesrat müsste nach Annahme der Volksinitiative dem Parlament mittels Botschaft einen Entwurf für ein Ausführungsgesetz unterbreiten. Verabschiedet das Parlament nicht innert fünf Jahren das Gesetz, so muss der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen in Form einer Verordnung erlassen.

1329

4.2.2

Das Prinzip «ein Kind, eine Zulage» (Abs. 2)

Die Verwirklichung des Grundsatzes «ein Kind, eine Zulage» bedeutet: ­

Der Anspruch auf die Kinderzulage ist unabhängig von der beruflichen Stellung der Eltern.

Das ist weder im heutigen System noch im Kommissionentwurf der Fall.

Selbständige und nichterwerbstätige Personen haben nicht überall einen Anspruch.

­

Es werden nur noch ganze Zulagen ausgerichtet, auch bei einer Teilzeitbeschäftigung. Das ist eine Folge des Grundsatzes «für jedes Kind eine Zulage» und wird in den Erläuterungen auf Seite 4 insofern präzisiert, als auch die Lücken infolge Teilzeitarbeit geschlossen werden sollen.

Heute werden die Zulagen pro rata temporis, also im Verhältnis zur geleisteten Arbeitszeit bzw. zum Beschäftigungsgrad ausgerichtet. Viele Kantone sehen allerdings Abweichungen von diesem Grundsatz vor, indem z.B.

schon ein Beschäftigungsgrad von mindestens 50 Prozent zum Bezug der vollen Zulagen ausreicht oder indem für Alleinerziehende günstigere Regelungen bestehen. Der Kommissionsentwurf sieht nur noch ganze Zulagen vor, unabhängig von der geleisteten Arbeitszeit.

­

Der Anspruch besteht «unabhängig vom juristischen Status des Kindes».

Nach den Erläuterungen (S. 5) besteht der Anspruch für jedes Kind, zu dem ein Kindesverhältnis im Sinne des Zivilgesetzbuches besteht, für Stiefkinder, für Pflegekinder und ­ sofern die anspruchsberechtigte Person für den Unterhalt überwiegend aufkommt ­ für Geschwister und Enkelkinder.

Das ist sowohl im heutigen System wie auch im Kommissionentwurf weitestgehend erfüllt.

­

Der Anspruch besteht unabhängig «von den wirtschaftlichen Verhältnissen der anspruchsberechtigten Person».

In der heutigen Ordnung ist der Anspruch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchwegs unabhängig vom Einkommen. Selbständige und Nichterwerbstätige jedoch sind oft ­ soweit sie überhaupt einen Anspruch haben ­ Einkommensgrenzen unterstellt. Der Kommissionsentwurf gewährt allen Unselbständigerwerbenden einen Anspruch und stellt es den Kantonen frei, für die anderen Bezügerkategorien Einkommensgrenzen vorzusehen.

4.2.3

Dauer des Anspruchs auf Kinderzulagen (Abs. 3)

«Der Anspruch auf Kinderzulagen besteht von der Geburt bis zum vollendeten 16. Altersjahr des Kindes. Der Anspruch wird verlängert für die Dauer einer oder mehrerer anerkannter Ausbildungen, höchstens jedoch bis zum vollendeten 25. Altersjahr.» Damit übernimmt die Volksinitiative die heute überwiegende Regelung, welcher auch der Kommissionsentwurf folgt. Die erwerbsunfähigen Kinder werden im Initiativtext und in den Erläuterungen nicht speziell erwähnt. Hier kann der Gesetzgeber ohne weiteres einen Anspruch auch über das 16. Altersjahr hinaus festlegen, z.B. bis zum 18. Altersjahr (ab dann besteht Anspruch auf eine Rente der IV) oder bis zum 20. oder 25. Altersjahr, wie verschiedene kantonale Gesetze.

1330

4.2.4

Höhe der Kinderzulagen (Abs. 4 und Übergangsbestimmung, Abs. 2)

«Die Kinderzulage entspricht einem einheitlichen Betrag pro Tag von mindestens 15 Franken in der ganzen Schweiz. Die Berechnung basiert auf 30 Tagen pro Monat.» Das ergibt eine monatliche Zulage von mindestens 450 Franken pro Kind.

Nach keiner der heutigen Ordnungen werden so hohe Leistungen ausgerichtet, wie die Volksinitiative es vorsieht. Der Durchschnitt beträgt 184 Franken pro Kind und Monat.

Der Kommissionsentwurf setzt die Kinderzulagen auf mindestens 200 Franken und die Ausbildungszulagen auf mindestens 250 Franken fest.

Aus der Bezeichnung des Betrages als Mindestansatz im Text der Volksinitiative ergibt sich, dass die Kantone und auch die Sozialpartner höhere Kinderzulagen und andere Familienzulagen vorschreiben bzw. vereinbaren können (s. auch Erläuterungen, S. 6).

Sämtliche kantonalen Regelungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lassen ebenfalls günstigere Regelungen zwischen den Sozialpartnern zu. Auch der Kommissionsentwurf geht von einem Mindestansatz aus.

«Die Kinderzulage wird alle zwei Jahre an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst» (Abs. 4). «Die erste Anpassung der Höhe der Kinderzulage gemäss Artikel 116a Absatz 4 erfolgt zwei Jahre nach der Annahme von Artikel 116a durch Volk und Stände» (Übergangsbestimmung Abs. 2). Allenfalls muss das schon geschehen, bevor die eigenössischen Räte das Ausführungsgesetz verabschiedet haben.

Heute kennen das FLG sowie rund die Hälfte der Kantone die Kompetenz der Regierung, die Ansätze der Zulagen anzupassen.

Der Kommissionsentwurf sieht vor, dass der Bundesrat die Mindestansätze der Zulagen der Entwicklung der Konsumentenpreise anpasst.

«Das Gesetz regelt die Höhe des Betrags für Kinder, die im Ausland leben.» Nach den Erläuterungen (S. 6) soll die Kompetenz zur Festlegung der Höhe der Zulagen für Kinder im Ausland an den Bundesrat delegiert werden.

Heute kennen etliche Kantone für Kinder im Ausland niedrigere Ansätze, die jeweils von der Regierung festgelegt werden. Diese dürfen jedoch im Verhältnis zu Staaten der EU und der EFTA aufgrund des Freizügigkeitsabkommens Schweiz ­ EG sowie des EFTA-Übereinkommens nicht angewandt werden.

Der Kommissionsentwurf enthält die gleiche Lösung, wie sie von der Volksinitiative vorgeschlagen wird. Die Kompetenz zur Festlegung der Ansätze liegt dort beim Bundesrat.

4.2.5

Durchführung und Lastenausgleich (Abs. 5)

«Die Durchführung erfolgt in Zusammenarbeit mit den Kantonen.» Damit wird ein bereits für andere Sozialversicherungen geltender Grundsatz aufgenommen, wonach der Vollzug durch die Kantone erfolgt. Die Durchführung «kann sich auf die bestehenden öffentlichen oder privaten Familienausgleichskassen abstützen». Hier wird 1331

die Möglichkeit erwähnt, den heutigen Durchführungsapparat beizubehalten. Es können aber auch Vollzugsaufgaben der eidgenössischen FAK (s. weiter unten) übertragen werden (Erläuterungen, S. 7). Hier lässt die Volksinitiative dem Gesetzgeber einen grossen Spielraum.

Das FLG wird durch die kantonalen Ausgleichskassen der AHV durchgeführt. Die kantonalen Familienzulagen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden durch die kantonalen FAK oder durch die von den Kantonen anerkannten privaten/beruflichen FAK durchgeführt. Gesamthaft gibt es etwa 115 FAK, die in einem oder mehreren Kantonen anerkannt sind. Zählt man diese FAK in jedem Kanton, in dem sie tätig sind, je als eigene Kasse, so kommt man auf etwa 800 FAK.

Für die Verwaltungen und Betriebe des Bundes und der Kantone (in vielen Kantonen auch der Gemeinden) sind die Familienzulagengesetze nicht massgebend. Dort werden Familienzulagen nach den personalrechtlichen Bestimmungen gewährt.

Elf Kantone (ZH, BE, UR, ZG, SO, BS, BL, SH, AR, AG und JU) kennen die Möglichkeit, dass Arbeitgeber unter gewissen Bedingungen von der Verpflichtung befreit werden, sich einer FAK anzuschliessen, sofern sie selber mindestens die gesetzlichen Leistungen ausrichten.

«Der Bund richtet einen gesamtschweizerischen Lastenausgleich für die in Absatz 4 festgelegten Leistungen ein.» Die Volksinitiative präzisiert nicht, ob es sich dabei um einen vollen (wie z.B. zwischen den Ausgleichskassen der AHV) oder um einen teilweisen Lastenausgleich handeln soll. Die Erläuterungen zum Text der Volksinitiative führen aus, dass damit die Beitragssätze für die Arbeitgeber, die heute zwischen 0,5 und 5 Prozent liegen, möglichst vereinheitlicht werden sollen (Erläuterungen, S. 7). Danach kann auch ein teilweiser Lastenausgleich eingeführt werden, der z.B. nur FAK erfasst, deren Beiträge unter einem Mindestsatz bzw. über einem Maximalsatz liegen, um die Beitragsspanne zu verringern. Ein Lastenausgleich würde die Schaffung eines Ausgleichsfonds bedingen.

Heute gibt es keinen Lastenausgleich zwischen den Kantonen. Innerhalb der einzelnen Kantone existiert grösstenteils auch kein Ausgleich zwischen den verschiedenen FAK, also zwischen Branchen und Berufen.

Der Kommissionsentwurf sieht ebenfalls keinen Lastenausgleich vor.

Der Bund «kann eine eidgenössische Familienausgleichskasse
führen». Über diese soll der Lastenausgleich abgewickelt werden.

Bereits die geltende Verfassungsbestimmung enthält ausdrücklich die Befugnis des Bundes, eine eidgenössische FAK zu führen. Heute gibt es keine solche Einrichtung.

Die kantonalen AHV-Ausgleichskassen rechnen über die Arbeitgeberbeiträge und über die ausgerichteten Familienzulagen nach FLG mit der Zentralen Ausgleichsstelle der AHV ab (Art. 15 Abs. 1 FLG).

1332

4.2.6

Finanzierung (Abs. 6)

«Die Kinderzulagen werden finanziert durch Leistungen des Bundes und der Kantone sowie durch Beiträge der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.» Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber werden weiterhin an die Finanzierung der Kinderzulagen beizutragen haben. Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen ausgeschlossen sein. Auch die Selbständigen und Nichterwerbstätigen sollen nicht beitragspflichtig sein.

Heute ist die Finanzierung wie folgt geregelt: ­

FLG: Die landwirtschaftlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber leisten einen Beitrag von 2 Prozent auf den von ihnen ausbezahlten Löhnen, welcher die Zulagen für ihre Angestellten etwa zu zwei Dritteln deckt. Der Rest und die Leistungen für die Kleinbauern werden zu zwei Dritteln vom Bund und zu einem Drittel von den Kantonen finanziert.

­

Bundespersonalgesetz: Der Bund bezahlt die Zulagen für sein Personal.

­

Kantonale Zulagen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausserhalb der Landwirtschaft: Diese werden durch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sichergestellt, sei es durch Beiträge an eine FAK, sei es, bei den befreiten Arbeitgebern (s. Ziff. 4.2.5), durch direkte Zahlung der Familienzulagen. Einzig im Kanton Wallis tragen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch einen einheitlichen Beitrag von 0,3 Lohnprozenten an die Finanzierung bei.

­

Kantonale Zulagen für Selbständige ausserhalb der Landwirtschaft: Diese werden je nach Kanton unterschiedlich finanziert, wobei folgende Finanzierungsquellen vorkommen: Beiträge der Selbständigen, meistens aber nur während der Bezugsdauer, Beiträge der anerkannten FAK und Beiträge der Kantone.

­

Kantonale Zulagen für Nichterwerbstätige: Hierfür kommen die Kantone vollumfänglich auf.

Der Kommissionsentwurf sieht folgende Regelung vor: ­

Zulagen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden durch Arbeitgeberbeiträge oder durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge finanziert, wobei die Kantone den Verteilschlüssel bestimmen.

­

Die Finanzierung der Zulagen für die Selbständigen regeln die Kantone.

­

Die Zulagen für die Nichterwerbstätigen werden durch die Kantone finanziert, wobei die Kantone Beiträge der Nichterwerbstätigen einführen können.

«Die Leistungen des Bundes und der Kantone betragen zusammen mindestens die Hälfte der Ausgaben.» Aus der Kurzdokumentation des Initiativkomitees, S. 11 (Martin Flügel, Kurzdokumentation: Hintergründe und Ziele, Sept. 2001, www.Kinderzulagen.ch) geht hervor, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber keine Zusatzbelastung erfahren sollen. Weil die Leistungen mehr als verdoppelt werden sollen, müsste die öffentliche Hand somit mehr als die Hälfte der Kosten 1333

übernehmen. Gemäss Kurzdokumentation (S. 12) steht dabei «eine Finanzierung aus allgemeinen Steuergeldern» im Vordergrund. Näheres dazu siehe unter der folgenden Ziffer.

4.2.7

Kosten der Volksinitiative

Gemäss Volksinitiative hätten alle Kinder bis 16 Jahre und alle bis 25 Jahre, die eine Ausbildung absolvieren, Anspruch auf eine einheitliche Kinderzulage von 450 Franken pro Monat. 2002 hätten so 1 920 000 Kinder Zulagen in Höhe von insgesamt 10,7 Milliarden Franken erhalten. Das ist zweieinhalbmal mehr als heute und entspricht Mehrkosten von 6,7 Milliarden Franken (s. Anhang 2, Tabelle 1).

Die Zulagen entsprechen 4 Prozent der AHV-beitragspflichtigen Einkommen oder 4,0 MWST-Prozentpunkten. Das ist fast die Hälfte der gegenwärtig von Arbeitgebern und Versicherten geleisteten AHV-Beiträge. Anders als bei der AHV lässt die voraussichtliche demografische Entwicklung der nächsten Jahre für die Kinderzulagen keine Schwierigkeiten erwarten.

Die Initianten veranschlagen rund 1,5 Milliarden Franken Gesamtkosten weniger als nach den Berechnungen in dieser Botschaft. Das ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Initianten die Kinder mit Wohnsitz im Ausland, deren Eltern in der Schweiz arbeiten, bei den Berechnungen nicht berücksichtigt haben, obwohl diese laut Initiative Anspruch auf Zulagen hätten, und sie keine Reserve, z.B. für die Kapitalbildung, vorgesehen haben.

Die Arbeitgeber sollen im neuen System denselben Finanzierungsbeitrag leisten wie bis anhin, also 3,9 Milliarden Franken. Dies würde etwas mehr als einen Drittel der Gesamtkosten ausmachen (s. Anhang 2, Tabelle 2). Der angestrebte einheitliche Beitragssatz zu Lasten der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber würde somit 1,6 Prozent der gesamten AHV-Einkommen der Arbeitnehmenden ausmachen.

Heute schwankt der Beitragssatz zwischen 0,1 und 5 Prozent.

Der restliche Finanzierungsbedarf von 6,8 Milliarden Franken müsste von der öffentlichen Hand getragen werden. Die Abweichung vom oben erwähnten Betrag von 6,7 Milliarden Franken lässt sich dadurch erklären, dass bereits heute ein Teil der Zulagen zu Lasten der öffentlichen Hand geht (insbesondere im Bereich des FLG).

4.2.8

Abschliessende Würdigung

Der Bundesrat hält an seiner im Rahmen der parlamentarischen Initiative Fankhauser geäusserten positiven Haltung zur Frage einer bundesrechtlichen Regelung der Familienzulagen fest. Die Volksinitiative lehnt er jedoch ab, und zwar vor allem aus den folgenden beiden Gründen: ­

Mit Artikel 116 Absatz 2 BV besteht bereits eine ausreichende Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Familienzulagen.

­

Die Familienzulagen bezweckten stets bloss einen teilweisen Ausgleich der Familienlasten. Der Durchschnitt der kantonalen Ansätze liegt heute bei 184 Franken je Kind und Monat. Die von der Volksinitiative angestrebten

1334

Kinderzulagen von mindestens 450 Franken je Kind und Monat würden die Kinderkosten in einem viel höheren Mass decken als die heutigen Zulagen.

Eine solche Erhöhung der Leistungen ist nicht vertretbar und volkswirtschaftlich nicht zu verkraften. Im Weiteren kommt angesichts der gegenwärtigen Lage der Bundesfinanzen eine Zusatzbelastung des Bundeshaushaltes in der vorgesehenen Grössenordnung nicht in Frage. Auch eine entsprechende Mehrbelastung der Kantone ist diesen nicht zumutbar.

5

Frage eines Gegenvorschlags

Schon die heutige Verfassungsbestimmung erlaubt eine umfassende Bundesregelung der Familienzulagen, ohne die Freiheit des Gesetzgebers bei der Suche nach einer mehrheitsfähigen Lösung allzu sehr einzuschränken. Der Bundesrat erachtet sie ohne weiteres als ausreichende Grundlage, weshalb er keinen Gegenvorschlag auf Verfassungsebene unterbreitet.

Die im Parlament hängigen Gesetzgebungsarbeiten für eine eidgenössische Familienzulagenordnung lassen erwarten, dass die Bundeskompetenz im Bereich der Familienzulagen bald umgesetzt werden wird. Der Bundesrat geht davon aus, dass in diesem Rahmen eine konsensfähige und volkswirtschaftlich tragbare Lösung gefunden werden kann, und verzichtet deshalb auf einen indirekten Gegenvorschlag in Form eines Gesetzesentwurfs.

6

Finanzielle und personelle Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Die öffentliche Hand müsste 6,8 Milliarden Franken zur Finanzierung der Kinderzulagen gemäss Volksinitiative übernehmen. Die finanziellen Auswirkungen wurden anhand von zwei Varianten berechnet: Der Bund übernimmt die Hälfte der Ausgaben der öffentlichen Hand (3,4 Mia. Fr.) oder aber, wie heute bereits im Rahmen des FLG, zwei Drittel (4,6 Mia. Fr.). Die Umsetzung der Volksinitiative hätte verschiedene Nebeneffekte auf die Staatsrechnung (Anhang 2, Tabelle 3). Gemäss Variante 1 ergäbe sich für den Bund eine Nettomehrbelastung von 2,9 Milliarden Franken, gemäss Variante 2 eine solche von 4,0 Milliarden.

Der Bund nimmt bereits heute vielfältige Koordinationsaufgaben im Bereich der von den Kantonen geregelten Familienzulagen wahr. Die Schaffung einer bundesrechtlichen Ordnung für alle Familienzulagen vermindert zwar den Koordinationsbedarf, überträgt dem Bund aber eine Aufsichtsfunktion. Ein allfälliger Personalmehrbedarf hängt zudem von der konkreten Ausgestaltung des Bundesgesetzes und der Organisation der Durchführung ab. Auch bei Ablehnung der Volksinitiative ist zudem eine Bundesregelung der Familienzulagen im Rahmen der parlamentarischen Initiative Fankhauser wahrscheinlich. Die Annahme der Volksinitiative an sich wird keine personellen Auswirkungen haben.

1335

6.2

Auswirkungen auf die Kantone und die Gemeinden

Für den Bund konnte eine detaillierte Kostenaufstellung gemacht werden. Bei den Kantonen und den Gemeinden war dies nicht möglich. So fehlen etwa Angaben zur Höhe der Zulagen, die an Kantons- bzw. Gemeindeangestellte entrichtet werden, und zu den anderen Einnahmen oder Ausgaben, die vom neuen Gesetz beeinflusst werden könnten.

Schätzungen zufolge beliefe sich die Nettomehrbelastung der Kantone und Gemeinden ­

bei der Übernahme der Hälfte des Beitrags der öffentlichen Hand (3,4 Mia.

Fr.) auf rund 1,5 Milliarden Franken;

­

bei der Übernahme eines Drittels des Beitrags der öffentlichen Hand (2,3 Mia. Fr.) auf rund 400 Millionen Franken.

Näheres dazu siehe Anhang 2, Tabelle 4.

Der markante Unterschied gegenüber der Nettomehrbelastung für den Bund rührt daher, dass höhere Zulagen für Kantone und Gemeinden auch sehr viel höhere Steuereinnahmen generieren (1,5 Mia. Fr. gegenüber knapp 200 Mio. Fr. für den Bund). Mit der Umsetzung der Volksinitiative sind bei der Sozialhilfe und den Bedarfsleistungen an Eltern wesentliche Einsparungen möglich (200 Mio. Fr.).

Diese sehr unterschiedlichen Auswirkungen erklären auch die Tatsache, dass die Nettomehrbelastungen bei einer paritätischen Aufteilung (je 3,4 Mia. Fr.) sehr unterschiedlich ausfallen, nämlich für den Bund doppelt so hoch wie für Kantone und Gemeinden (2,9 Mia. Fr. gegenüber 1,5 Mia. Fr.).

Die Kantone sind heute im Bereich der Familienzulagen gesetzgeberisch tätig und sind auch für den Vollzug der entsprechenden Regelungen allein zuständig. Der Erlass der Ausführungsbestimmungen, wie sie die Volksinitiative fordert, würde ihre Gesetzgebungskompetenz zumindest stark einschränken. Heute sind die Verwaltungen von Städten und grösseren Gemeinden den kantonalen Familienzulagenordnungen oft nicht unterstellt. Sie setzen die Zulagen für ihr Personal selber fest und finanzieren sie aus eigenen Mitteln. Neu würden alle Gemeinden ­ wie auch die Kantone ­ der Bundesregelung unterstellt.

6.3

Finanzierung des Anteils der öffentlichen Hand

Die Volksinitiative sagt nichts darüber aus, wie die öffentliche Hand ihren Anteil finanzieren soll. Dieser Anteil (6,8 Mia. Fr.) entspricht 2,5 MWST-Prozentpunkten.

Es ist denkbar, dass die öffentliche Hand ihren Anteil über ihre Gesamtrechnung finanziert, wobei notfalls die Steuern erhöht werden (siehe dazu unten Ziff. 6.4.2, Steuerliche Auswirkungen).

Tabelle 5 im Anhang 2 zeigt die Situation auf, wenn der Anteil der öffentlichen Hand über die MWST finanziert würde. Geht man davon aus, dass der Saldo ihrer Gesamtrechnung nicht durch die neue Kinderzulagenordnung beeinflusst wird, müsste die MWST nur die Nettomehrbelastung decken. Die MWST müsste in diesem Fall um 1,6 Prozentpunkte erhöht werden.

1336

Die Volksinitiative schliesst andere Finanzierungsvarianten nicht aus, die beispielsweise auf einer neuen Steuer, einer Kombination verschiedener Steuern oder einer anderen Lastenaufteilung unter den öffentlichen Körperschaften basieren könnten.

Die parlamentarische Initiative Fasel Hugo (02.445; Gold für fairere Kinderzulagen) ist eine der möglichen Lösungen. Sie verlangt, dass der Ertrag aus dem Verkauf der Goldreserven der Schweizerischen Nationalbank als Leistung des Bundes zur Finanzierung gesamtschweizerischer Erhöhungen der Kinderzulagen verwendet werden soll. Der Bundesrat hat sich in seiner Botschaft vom 20. August 2003 zur Verwendung von 1300 Tonnen Nationalbankgold und zur Volksinitiative «Nationalbankgewinne für die AHV» (BBl 2003 6133) für eine andere Lösung ausgesprochen.

Danach sollen die Erträge während 30 Jahren zu einem Drittel an den Bund und zu zwei Dritteln an die Kantone ausgeschüttet werden.

6.4

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

6.4.1

Im Allgemeinen

Im Finanzierungssystem der Kinderzulagen nach dem Umlageverfahren (die Ausgaben eines Jahres entsprechen den Einnahmen eines Jahres) leiten sich die wirtschaftlichen Folgen im Prinzip aus dem Umstand ab, dass der Kreis der Nettozahler nicht mit demjenigen der Nettobegünstigten identisch ist. Die Analyse der wirtschaftlichen Auswirkungen lässt sich jedoch nicht nur auf einen Einkommensvergleich der Haushalte mit oder ohne Kind im Falle einer Annahme oder einer Ablehnung der Volksinitiative (statistischer Vergleich) reduzieren. Man muss auch die dynamischen Auswirkungen berücksichtigen, welche die Volksinitiative aufgrund ihrer steuerlichen Konsequenzen im wirtschaftlichen Verhalten der Haushalte und Unternehmen auslösen könnte.

Da der Text der Volksinitiative weder die Beteiligung der Arbeitgeber und der öffentlichen Hand an den zusätzlichen Ausgaben noch die Art der Aufteilung der neuen Last zwischen Bund und Kantonen und deren Finanzierung genau festlegt, basieren die quantitativen Aspekte auf den geschätzten Kosten (s. Ziff. 4.2.7) und einigen Hypothesen hinsichtlich der Finanzierung (s. Ziff. 6.1­6.3).

6.4.2

Steuerliche Auswirkungen

Die Volksinitiative hätte eine starke Steuererhöhung zur Folge. Die laufenden Steuereinnahmen der öffentlichen Hand werden für 2001 auf 94 Milliarden Franken geschätzt; dies entspricht einer Fiskalquote von 22,7 Prozent (Quelle: EFD, Öffentliche Finanzen 2003. Bund, Kantone, Gemeinden). Die Fiskalquote entspricht sämtlichen Steuern in Prozenten des BIP.

Der Finanzierungsbedarf der öffentlichen Hand in Höhe von 6,8 Milliarden Franken würde eine zusätzliche Steuerbelastung von 6,0 Milliarden Franken erfordern (s. Tabelle 6 im Anhang 2). Die zusätzliche Steuerbelastung würde die Fiskalquote um etwa 1,4 Prozentpunkte auf 24,1 Prozent erhöhen.

Die Erhöhung der Fiskalquote widerspricht einem zentralen Punkt der Richtlinien des Finanzleitbildes, welche der Bundesrat 1999 erlassen hat und welche die Beibehaltung einer der tiefsten Fiskalquoten in der OECD vorsehen. Der Punkt ist unter 1337

den Grundsätzen für eine wachstumsfreundliche, nachhaltige Finanzpolitik aufgeführt. Es ist äusserst wichtig, diesen Vorteil zu erhalten, um der wachsenden internationalen Konkurrenz standzuhalten und die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Schweiz zu verstärken.

Zur genaueren Berechnung der steuerlichen Auswirkungen der Volksinitiative werden zwei Finanzierungsvarianten untersucht (Erhöhung der MWST oder der direkten Bundessteuer). In beiden Fällen wurde von der Finanzierung der Nettomehrbelastung der öffentlichen Hand ausgegangen. Diese beläuft sich auf 2,9 Milliarden Franken für den Bund und auf 1,5 Milliarden Franken für Kantone und Gemeinden; insgesamt ergibt das 4,4 Milliarden Franken (s. Anhang 2, Tabelle 6).

Die Finanzierung der Nettomehrbelastung von insgesamt 4,4 Milliarden Franken würde je nach Finanzierungsvariante folgende Massnahmen bedingen: ­

entweder eine lineare Erhöhung der verschiedenen Mehrwertsteuersätze um 1,6 Prozentpunkte;

­

oder eine Erhöhung der Erträge der direkten Bundessteuer auf dem Einkommen (dBST) um 46 Prozent (Verhältnis zwischen der Nettomehrbelastung von 2,9 Mia. Fr. und den Erträgen der dBST 2001 von 6,3 Mia. Fr.) und der kantonalen und kommunalen Einkommenssteuer um 5 Prozent (Verhältnis zwischen der Nettomehrbelastung von 1,5 Mia. Fr. und den Erträgen 2001 von 32,8 Mia. Fr.)

6.4.3

Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum

Es ist zu befürchten, dass die durch die Volksinitiative verursachte Steuererhöhung sich negativ auf die Arbeits-, Spar- und Investitionsanreize auswirken würde. Seit 1996 hat die Bundesverwaltung bereits mehrfach einen Vergleich verschiedener Finanzierungsquellen der Sozialversicherungen und eine Analyse ihrer wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen durchgeführt. Die Schlussfolgerungen der Botschaft zur 11. AHV-Revision sind immer noch gültig: Für die Deckung des zusätzlichen Finanzierungsbedarfs der Sozialversicherungen bietet die MWST die meisten Vorteile (BBl 2000 1927).

Die MWST lastet weder direkt auf den Arbeitskosten noch auf den Investitionen und den Exporten. Der Einfluss der MWST auf die Preise und auf die Löhne (tatsächliche steuerliche Belastung) hat jedoch langfristig dieselbe negative Auswirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft wie Lohnabzüge. Ebenso wie die direkte Einkommenssteuer verringert zudem auch die MWST die Kaufkraft der Haushalte (jedoch ohne progressive Auswirkung). Sie ist indes weniger sichtbar, da die MWST bei jedem Kauf in geringer Menge zu entrichten ist. Die MWST hat daher eine erheblich langsamere Auswirkung auf die Verringerung des Arbeitsangebotes als die Einkommenssteuern, namentlich bei den Haushalten mit hohen bis sehr hohen Einkommen.

Eine Erhöhung der MWST um 1,6 Punkte würde sich somit mehr oder weniger rasch auf die Produktionskosten und auf das Arbeitsangebot der Haushalte auswirken; dies zöge einen leichten Rückgang der Wirtschaftstätigkeit, tiefere Erwerbseinkommen, eine geringere Sparquote und eine Verminderung des Steuersubstrates und des Haushaltsausgleiches nach sich.

1338

Dies sind alles Elemente, die zu einer längerfristigen Verringerung des Wachstumspotenzials der Schweizer Wirtschaft beitragen. Die zusätzliche Steuerbelastung wäre für die Wirtschaft als solche noch tragbar, wenn keine anderen steuerlichen Belastungen hinzu kämen, wie dies beispielsweise im Bereich der Altersvorsorge als Folge der demografischen Alterung der Fall ist.

6.4.4

Demografische Auswirkungen

Es stellt sich die Frage, ob die Volksinitiative dem Wirtschaftswachstum einen demografischen Impuls geben könnte, indem sie längerfristig einen Anstieg der Geburtenrate zur Folge hat.

Gegenwärtig ­ und dies seit bereits drei Jahrzehnten ­ beträgt die Geburtenrate 1,5 Kinder pro Frau. Die Geburtenrate liegt damit unter den 2,1 Kindern pro Frau, die für eine natürliche Generationenerneuerung notwendig wären. Man weiss wenig über die Faktoren, die für die Geburtenrate ausschlaggebend sind. Das Bundesamt für Statistik (BFS) hat verschiedene Aspekte bezüglich ihrer Entwicklung in der Vergangenheit und der Zukunft aufgezeigt (Quelle: BFS, Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz 2000­2060, Neuenburg 2002). Unter diesen Aspekten erwähnt das BFS beispielsweise die Ergebnisse einer Studie, die den fehlenden Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskonjunktur und der Entwicklung des Reproduktionsverhaltens in der Schweiz in der Zeit von 1970 bis 1995 aufzeigt. Das BFS erwähnt ausserdem, dass die Kinderzahl von Paaren offenbar durch komplexe soziokulturelle Werte sowie individuelle Entscheidungen bestimmt wird. In der Vergangenheit haben die Entwicklung der Stellung und der Rolle der Frau und die modernen Verhütungsmethoden eine massgebliche Rolle gespielt. Bezüglich der Zukunft stellt das BFS fest, dass mehrere Umfragen in der Bevölkerung zeigen, dass die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben bei der Realisierung von Kinderwünschen künftig ausschlaggebend ist.

Die Verbesserung der finanziellen Situation der Familien kann somit nicht allein den Impuls für eine erhöhte Geburtenrate geben. Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass sie sich zusammen mit anderen familienpolitischen Massnahmen positiv auf die demografische Entwicklung auswirken könnte.

6.4.5

Auswirkungen auf die Kaufkraft

Die Volksinitiative will einen Teil der Kaufkraft der kinderlosen Haushalte auf Familien mit Kindern umlagern. Für die Leistungen bedeutet dies, dass sie erhöht werden und dass jedes Kind Anrecht auf eine Zulage gibt. Da die Zulagen steuerpflichtig sind, hängt der verbleibende Teil der Zulage auch vom Haushaltseinkommen ab.

Eine im Auftrag der Initianten erstellte Studie hat den Differenzbetrag aus den erhaltenen Beträgen (Kinderzulagen) und den zu bezahlenden Beträgen (Steuern) für verschiedene Haushaltstypen mit und ohne Kinder und nach verschiedenen Einkommensklassen untersucht. Die Ergebnisse (auf der Grundlage einer niedrigeren Kosteneinschätzung der Volksinitiative, siehe Ziff. 4.2.7, und eines anderen Verteilungsmodells innerhalb der öffentlichen Hand) zeigen, dass die Volksinitiative die

1339

Umverteilung zugunsten von Familien mit Kindern und namentlich zugunsten von einkommensschwachen Familien verstärkt.

Da die marginale Konsumneigung von Haushalten mit Kindern zweifelsohne höher ist als die eines Durchschnittshaushaltes, müsste diese Aufteilung im Grunde genommen zu einer Konsumzunahme führen und die Wirtschaftstätigkeit ankurbeln.

Berücksichtigt man die mit der Steuererhöhung verbundenen erwähnten dynamischen wirtschaftlichen Auswirkungen, so muss dieses Ergebnis allerdings relativiert werden. In Wirklichkeit ist längerfristig mit einer Verminderung des Arbeitsangebotes und des Sparvolumens zu rechnen. Dies wäre für das Wirtschaftswachstum und demzufolge auch für eine Steigerung der Kaufkraft der Haushalte nachteilig.

6.4.6

Direkte Auswirkungen auf die Arbeitskosten

Berücksichtigt man das Ziel der Initianten, keine zusätzliche Belastung für die Arbeitgeber zu schaffen, so müssten diese einen einheitlichen Beitragssatz von 1,6 Prozent der Lohnsumme entrichten. Da das gegenwärtige Beitragsniveau von einer Kasse zur anderen stark schwankt (s. Ziff. 3.2.4), würde ein einheitlicher Satz diesen Wettbewerbsverzerrungen ein Ende setzen; dies wäre wirtschaftlich gesehen zu begrüssen.

Die Arbeitskosten werden sich je nach Region, Sektor, ja sogar nach Unternehmen desselben Sektors in der einen oder anderen Richtung verändern. Während einer Übergangsphase werden sich die Änderungen der Arbeitskosten auf der Mikroebene in den Preisen, den Löhnen oder in der Beschäftigung niederschlagen, je nach der Wettbewerbsposition des Unternehmens in seinen verschiedenen Märkten. Die definitiven Auswirkungen auf die wichtigsten makroökonomischen Indikatoren, wie der Konsumentenpreisindex, der Lohnindex, die Arbeitslosigkeit oder die Leistungsbilanz, können nicht abgeschätzt werden.

Berücksichtigt man eine gewisse Symmetrie im Verhalten von «gewinnenden» und «verlierenden» Unternehmen, so sollten sich die positiven und negativen Auswirkungen wenigstens teilweise aufheben. Der Übergang zu einem einheitlichen Satz dürfte also keine grösseren makroökonomischen Auswirkungen haben.

Wenn die öffentliche Hand sich auf ihre im Text der Volksinitiative als Minimum festgelegte Beteiligung von 50 Prozent der Ausgaben beschränken würde, müsste der Beitragssatz der Arbeitgeber ungefähr 2,2 Prozent der Lohnsumme betragen, um den Finanzierungsbedarf zu decken. Eine Anhebung des Arbeitskostenniveaus um 0,6 Prozentpunkte hätte also eine raschere und stärkere Bremswirkung auf die Beschäftigung als eine gleichwertige Steuerbelastung durch die MWST.

Auf der Ebene der Verwaltungskosten würde die Volksinitiative keine zusätzliche Belastung für die KMU mit sich bringen. Im Gegenteil, das von der Volksinitiative empfohlene System des einheitlichen Beitragssatzes und der Grundsatz «ein Kind, eine Zulage» würde zu einem leichten Rückgang der Verwaltungskosten führen.

Dies betrifft namentlich die Arbeiten im Zusammenhang mit Mutationen und dem Zusammentreffen von Ansprüchen, insbesondere bei den Teilzeitbeschäftigten. Die Kassen dürften vom Rückgang der Verwaltungskosten stärker profitieren als die KMU, da diese vermehrt mit der Komplexität des gegenwärtigen Systems konfrontiert sind.

1340

6.4.7

Schlussfolgerung bezüglich der wirtschaftlichen Auswirkungen

Die Volksinitiative würde eine Erhöhung der Fiskalquote bewirken, was im Widerspruch zum Finanzleitbild des Bundesrates steht. Die zusätzliche Steuerbelastung von mehr als 6 Milliarden Franken würde die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und das Arbeitsangebot der Haushalte verringern. Dies würde längerfristig zu einem Rückgang des Wachstumspotenzials der Schweizer Wirtschaft führen. Die durch die Volksinitiative verursachten wirtschaftlichen Kosten erscheinen gemessen am Ziel, die finanzielle Situation von Familien mit Kindern zu verbessern, unverhältnismässig.

Der Bundesrat und das Parlament haben sich auf diesem Gebiet für eine andere Vorgehensweise entschlossen. Anstatt die Steuern zu erhöhen und die Einnahmen anders zu verteilen, hat das Parlament ein Steuerpaket zur Steuerentlastung von Ehepaaren und Familien mit Kindern verabschiedet, gegen das aber das Referendum ergriffen wurde. Zudem untersucht das Parlament gegenwärtig, auf welche Weise durch gezielte Unterstützung Familien in besonders schwierigen Lagen entlastet werden könnten. Dazu kommen Massnahmen, die Familie und Erwerbsarbeit besser vereinbaren lassen. Der Bund hat hier mit dem neuen Gesetz über die Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung bereits die Initiative ergriffen (s. Ziff. 3.1.3).

Die Strategie des Bundesrates und des Parlaments hat gegenüber der von der Volksinitiative empfohlenen Lösung zahlreiche wirtschaftliche Vorteile: Sie verhindert eine Erhöhung der Steuerbelastung und ermutigt die Bevölkerung und alle Eltern, die dies wünschen, in vermehrtem Masse am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Längerfristig sollte sich dies in einem höheren Wirtschaftswachstum auswirken, was für die Kaufkraft der gesamten Bevölkerung günstige Auswirkungen hat.

6.5

Familienpolitische Auswirkungen

Die Schaffung einer Bundesregelung im Bereich der Kinderzulagen, die für jedes Kind, unabhängig vom beruflichen Status der Eltern und von der wirtschaftlichen Lage der Familie, den Anspruch auf eine Kinderzulage von mindestens 450 Franken im Monat garantiert, hätte familienpolitisch gewiss positive Auswirkungen. Verbesserte Kinderzulagen wären ein wichtiges Element für eine Verstärkung des Familienlastenausgleichs und zur Bekämpfung der Armut von Kindern und Familien.

Geeigneter zur Bekämpfung von Kinderarmut und zur Verbesserung der Chancen gerade der Kinder aus benachteiligten Familien wäre allerdings ein gezielterer Einsatz der Mittel entsprechend den tatsächlichen Bedürfnissen im Rahmen einer koordinierten Familienpolitik von Bund, Kantonen und Gemeinden.

1341

7

Verhältnis zum europäischen Recht

7.1

Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft

Das in Artikel 39 des EG-Vertrags verankerte grundlegende Prinzip der Freizügigkeit der Arbeitnehmenden verlangt nach einer Koordination der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit (Art. 42 EG-Vertrag). Diese Koordination wird mit der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowie mit der einschlägigen Durchführungsverordnung Nr. 574/721 umgesetzt. Diese beiden Verordnungen haben einzig die Koordination der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zum Ziel, d. h. insbesondere die Gleichbehandlung der eigenen Angehörigen und der Angehörigen der Mitgliedstaaten, die Erhaltung der erworbenen Ansprüche und die Auszahlung von Leistungen auf dem ganzen Gebiet der Gemeinschaft. Sie bezwecken indes keine Harmonisierung der nationalen Systeme, so dass die Mitgliedstaaten die Konzeption, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit selber festlegen können. Seit dem Inkrafttreten des mit der EG und ihren Mitgliedstaaten abgeschlossenen Abkommens über den freien Personenverkehr am 1. Juni 2002 ist die Schweiz Teil dieses Koordinationssystems.

In seiner Empfehlung vom 27. Juli 1992 über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes2 lädt der Rat die Mitgliedstaaten dazu ein, die Leistungen für Familien, für welche die Versorgung von Kindern eine besondere Belastung darstellt, beispielsweise auf Grund der Kinderzahl und/oder für die ärmsten Familien auszubauen. Auch hier können die Mitgliedstaaten die Konzeption, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit selber festlegen.

7.2

Instrumente des Europarates

Was die wirtschaftlichen und sozialen Rechte anbelangt, so stellt die Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 das Pendant zur Europäischen Menschenrechtskonvention dar. In Artikel 12 der Charta ist das Recht auf soziale Sicherheit verankert. Paragraph 4 regelt die Gleichbehandlung der eigenen Angehörigen und der Angehörigen der anderen Vertragsparteien. Danach müssen die Voraussetzungen für den Leistungserwerb für die eigenen Angehörigen und die Angehörigen der Vertragsparteien gleich sein. Artikel 16 der Charta regelt das Recht der Familie auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz. Um den Anforderungen von Artikel 16 zu genügen, müssen die Staaten ein System von Familienleistungen haben. Diese Leistungen sollen eine bedeutende Zahl von Familien abdecken und durch einen angemessenen Betrag den Familien eine ausreichende Einkommensergänzung bieten. Die Leistungen müssen regelmässig unter Berücksichtigung der Inflation erhöht werden. Ausserdem sind Diskriminierungen gegenüber Ausländerinnen und Ausländern unzulässig. Die Schweiz hat die Charta am 6. Mai 1976 1

2

Kodifiziert durch die Verordnung des Rates Nr. 118/97, ABl. L 28 vom 30.1.1997, S. 1; zuletzt geändert durch die Verordnung des Rates Nr. 859/2003, ABl. L 124 vom 20.5.2003, S. 1.

ABl. L 245 vom 26.8.1992, S. 49.

1342

unterzeichnet; die Ratifizierung wurde jedoch 1987 vom Parlament abgelehnt, so dass dieses Übereinkommen für unser Land nicht bindend ist.

Mit der Europäischen Sozialcharta (revidiert) vom 3. Mai 1996 wurde der materielle Inhalt der Charta von 1961 aktualisiert und angepasst. Es handelt sich dabei um ein von der Europäischen Sozialcharta gesondertes Abkommen, das diese nicht aufhebt.

Die Artikel 12 und 16 wurden in der Charta (revidiert) wieder aufgenommen. Die Schweiz hat auch dieses Instrument nicht ratifiziert.

Die Schweiz hat die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 am 16. September 19773 ratifiziert. Unser Land hat insbesondere Teil VII über die Familienleistungen angenommen. Der Kreis der geschützten Personen hat entweder vorgeschriebene Gruppen von Arbeitnehmenden oder vorgeschriebene Gruppen der erwerbstätigen Bevölkerung zu umfassen (Art. 41). Der Anspruch auf Familienleistungen zu Gunsten geschützter Personen darf nicht an die Voraussetzung der Bedürftigkeit geknüpft sein. In Bezug auf die Finanzierung der Systeme der Sozialen Sicherheit sieht die Europäische Ordnung vor, dass die Aufwendungen für die Leistungen sowie die Verwaltungskosten kollektiv durch Beiträge oder Steuern oder durch eine Kombination dieser beiden Formen finanziert werden. Dabei ist zu vermeiden, dass Minderbemittelte über Gebühr belastet werden. Gleichzeitig muss sowohl der wirtschaftlichen Lage des Vertragsstaats als auch der geschützten Personengruppen Rechnung getragen werden (Art. 70 § 1).

Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit (revidiert) vom 6. November 1990 ist ebenfalls ein von der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit zu unterscheidendes Abkommen; sie ersetzt jenes nicht. Die revidierte Ordnung erweitert gewisse Vorschriften der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit von 1964 (z.B. Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs und Verbesserung des Leistungsniveaus) und führt parallel dazu eine grössere Flexibilität ein, indem die Ratifizierungsbedingungen erleichtert und die Normen so formuliert wurden, dass den einzelstaatlichen Regelungen bestmöglich Rechnung getragen wird. Da die revidierte Ordnung bisher von keinem Staat ratifiziert wurde, ist sie noch nicht in Kraft getreten.

Von den Instrumenten des Europarates sei noch die Empfehlung Nr. R (92)
2 des Ministerkomitees über die allgemeine Einführung von Familienleistungen erwähnt, wonach Familienbeihilfen für alle Kinder erbracht werden sollten, die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates gewöhnlich aufhalten. Es sollte zudem eine Anpassung der Familienleistungen vorgesehen werden, um der Entwicklung der Aufwendungen für ein Kind bzw. der allgemeinen Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen. Die Familienbeihilfen, die dem Mindestansatz entsprechen, sollten ferner einkommensunabhängig gewährt werden (Ziff. 3, 9b und 10a im Anhang zur Empfehlung).

3

AS 1978 1518; SR 0.831.104

1343

7.3

Vereinbarkeit der Vorlage mit dem europäischen Recht

Die Volksinitiative ist mit dem Gemeinschaftsrecht und mit den Vorschriften des Europarates vereinbar.

Der Grundsatz «ein Kind ­ eine Zulage» geht in die von den unverbindlichen Instrumenten des Europarates ­ insbesondere der Empfehlung Nr. R (92) 2 ­ gewünschte Richtung.

Die Volksinitiative schlägt eine Kinderzulage von mindestens 15 Franken pro Tag vor, was 450 Franken im Monat entspricht. Nach Artikel 44 der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit hat der Gesamtwert der Familienleistungen für die geschützten Personen 1,5 Prozent des Lohnes eines gewöhnlichen erwachsenen männlichen ungelernten Arbeiters (gemäss Definition in der Ordnung) zu sein, vervielfacht mit der Zahl der Kinder aller Einwohner. Mit einer durchschnittlichen Kinderzulage von 175 Franken pro Monat (für 2001) entspricht die Schweiz dieser Anforderung.

Eine regelmässige Anpassung der Kinderzulage entspricht den Anforderungen der Instrumente des Europarates (Art. 16 Europäische Sozialcharta und Empfehlung Nr. R [92] 2).

Bei Kindern, die im Ausland leben, lässt das Kontrollorgan der Europäischen Sozialcharta zu, dass der Betrag der Familienzulagen an die Lebenshaltungskosten in demjenigen Staat angepasst wird, in dem das Kind lebt. Diese Einschränkung muss sowohl für schweizerische als auch für ausländische Staatsangehörige gelten.

Die in der Volksinitiative vorgeschlagene Finanzierung ist mit der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit vereinbar.

8

Schlussfolgerungen

Die Volksinitiative verfolgt ein berechtigtes Anliegen. Die Schaffung einer neuen Verfassungsgrundlage ist jedoch nicht nötig. Insbesondere ist der in der Volksinitiative zwingend vorgeschriebene Ansatz der Kinderzulagen von mindestens 450 Franken pro Kind und Monat angesichts der damit verbundenen Mehrbelastung, insbesondere für die öffentliche Hand, deutlich zu hoch. Das Grundanliegen der Volksinitiative kann im Rahmen der parlamentarischen Initiative Fankhauser verwirklicht werden, wobei die konkrete Ausgestaltung dem Gesetzgeber überlassen werden soll.

Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten aus den erwähnten Gründen, die Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» Volk und Ständen ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

1344

Anhang 1

Arten und Ansätze der Familienzulagen Stand 1. Januar 2004

1a. Kantonalrechtliche Familienzulagen für Arbeitskräfte mit Kindern in der Schweiz Beträge in Franken Kanton

ZH BE LU UR SZ OW NW GL ZG FR SO BS BL SH AR AI SG GR AG TG TI VD12 VS NE11 GE JU

Kinderzulage

Tabelle 1 Ausbildungszulage9

Altersgrenze

Geburtszulage

Arbeitgeberbeiträge der kantonalen FAK in % der Lohnsumme

Ansatz je Kind und Monat

allgemeine

besondere1

170/1953 160/1903 180/2003 190 200 170 175 170 250/3002 210/2302 175 170 170 180 190 180/1852 170/1902 175 150 190 183 150/3202 260/3442 160/180 200/250 200/2203 154/1784 13213

16 16 16 16 16 16 16 16 16 15 18 16 16 16 16 16 16 16 16 16 15 16 16 16

20/25 20/25 18/25 18/25 18/25 25/25 18/2520 18/25 20/25 20/25 18/2510 25/25 25/25 18/25 18/25 18/25 18/25 20/255 20/25 18/25 20/205, 17 20/255 20/25 20/255

­ ­ 80016 1000 80018 ­ ­ ­ ­ 15006 600 ­ ­ ­ ­ ­ ­ ­ ­ ­ ­ 15006, 14 15006, 15 100019

1,30 1,70 2,008 2,00 1,70 1,80 1,85 1,90 1,608 2,45 1,90 1,50 1,50 1,408 1,90 1,70 1,808 1,80 1,50 1,60 1,50 1,85 ­7 2,00

18 16

18/18 25/25

10006 7826

1,70 3,00

­ ­ 230 ­ ­ ­ 200 ­ ­ 270/2902 ­ 190 190 210 ­ ­ 190 200 ­ ­ ­ 195/3652 360/4442 240/260 280/330 ­ 206 13213

1345

1 2 3

4 5

6 7 8 9

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Die erste Grenze gilt für erwerbsunfähige (ZH: mindererwerbsfähige) und die zweite für in Ausbildung begriffene Kinder.

Der erste Ansatz gilt für die ersten beiden Kinder, der zweite für das dritte und jedes weitere Kind.

ZH, BE und LU: Der erste Ansatz gilt für Kinder bis zu 12 Jahren, der zweite für Kinder über 12 Jahre.

GE: Der erste Ansatz gilt für Kinder bis zu 15 Jahren, der zweite für Kinder über 15 Jahre.

Der erste Ansatz gilt für Familien mit einem oder zwei Kindern, der zweite für solche mit drei und mehr Kindern.

Für Kinder, die eine IV-Rente beziehen, werden keine Zulagen gewährt. In den Kantonen Tessin und Waadt wird bei Ausrichtung einer halben IV-Rente eine halbe Kinderzulage gewährt, zudem im Tessin bei Ausrichtung einer Viertelsrente drei Viertel einer Kinderzulage.

Wird auch im Falle einer Adoption ausgerichtet.

Keine kantonale Familienausgleichskasse.

Inklusive Beitrag an Familienzulageordnung für Selbständigerwerbende.

Die Ausbildungszulage ersetzt die Kinderzulage; in den Kantonen, welche keine Ausbildungszulage kennen, wird die Kinderzulage bis zum Ende der Ausbildung, längstens jedoch bis zum Erreichen der besonderen Altersgrenze ausgerichtet. Die Ausbildungszulage wird in der Tabelle nur ausgewiesen, wenn sie höher als die Kinderzulage ist.

Die Altersgrenze beträgt 25 Jahre für diejenigen Kinder, die von Geburt oder Kindheit an invalid sind.

Die Ansätze gelten der Reihe nach für das erste, zweite, dritte und ab dem vierten Kind.

Gesetzliches Minimum; jede Kasse kann aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten mehr ausrichten.

Für Bezüger/innen von Kinder- oder Ausbildungszulagen wird eine Haushaltungszulage von 132 Franken pro Monat ausgerichtet.

Bei Mehrlingsgeburten wird die Geburtszulage verdoppelt, ebenso bei gleichzeitiger Adoption von mehr als einem Kind.

Bei Mehrlingsgeburten oder bei Aufnahme mehrerer Kinder wird die Geburtszulage um 50 Prozent erhöht.

Geburtszulage nur für in der Schweiz geborene, in einem schweizerischen Geburtsregister eingetragene Kinder.

Für behinderte Kinder in einer Spezialausbildung und Kinder in Ausbildung in der Schweiz.

Geburtszulage nur für in einem Schweizer Geburtsregister eingetragene Kinder, deren Mutter zivilrechtlichen Wohnsitz in der Schweiz hat.

Geburtszulage nur für in einem schweizerischen Geburtsregister eingetragene Kinder.

Erwerbsunfähige Kinder zwischen 16 und 18 Jahren erhalten die Ausbildungszulage.

1346

1b. Kantonalrechtliche Familienzulagen für (ausländische) Arbeitskräfte mit Kindern im Ausland Die Einschränkungen für Kinder im Ausland gelten je nach Kanton für alle oder nur für ausländische Arbeitskräfte. Bei denjenigen Kantonen, in denen schweizerische Arbeitskräfte hinsichtlich der Kinder im Ausland gleich behandelt werden wie ausländische Arbeitskräfte, ist das in einer Fussnote vermerkt.

Angehörige von EU- oder EFTA-Staaten sind ­ abgesehen vom Anspruch auf die Geburtszulagen ­ in jedem Fall auch dann gleichgestellt, wenn sie ihre Kinder im EU- oder EFTA-Ausland zurückgelassen haben. Besteht jedoch im Wohnland der Kinder auch ein Anspruch auf Familienzulagen aufgrund einer Erwerbstätigkeit, so geht der dortige Anspruch vor. In der Schweiz ist in diesem Fall die Differenz auszuzahlen, sofern die schweizerische Leistung höher ist.

Die Ansätze der Kinder-, Ausbildungs- und Geburtszulagen sind aus der Tabelle 1 ersichtlich. Die nachfolgende Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die Altersgrenzen sowie den Kreis der zulageberechtigten Kinder und die übrigen Besonderheiten (reduzierte Ansätze, kein Anspruch auf Ausbildungs- oder Geburtszulagen).

Tabelle 2 Kanton

Altersgrenze allgemeine

besondere1

ZH

16

16/162

BE

16

20/25

LU4

16

18/25

UR4 SZ4

16 16

18/25 16/16

OW4 NW4

16 16

25/25 18/25

GL4

16

18/25

ZG4 FR4 SO4

16 15 18

20/25 20/25 18/253

Zulageberechtigte Kinder und weitere Besonderheiten

alle ausser Pflegekinder; die Ansätze werden der dortigen Kaufkraft angepasst.

Anspruch für innerhalb und ausserhalb der Ehe geborene Kinder sowie Adoptivkinder; nur für Angehörige von Staaten mit einem Sozialversicherungsabkommen.

Eigene Kinder, Adoptiv- und Stiefkinder, sofern diese in einem Staat mit Sozialversicherungsabkommen wohnen; Geburtszulage nur für in der Schweiz geborene, in einem schweizerischen Geburtsregister eingetragene Kinder.

eheliche u. Adoptivkinder; keine Geburtszulage alle; die Ansätze werden der dortigen Kaufkraft angepasst.

alle Für Kinder ausserhalb des Fürstentums Liechtenstein und der Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird die Hälfte der Zulagen ausgerichtet.

Alle; die Ansätze werden der dortigen Kaufkraft angepasst.

eheliche u. Adoptivkinder alle alle

1347

Kanton

1 2

3 4

Altersgrenze allgemeine

besondere1

BS BL4 SH4

16 16 16

25/25 25/25 18/25

AR4 AI

16 16

18/25 18/25

SG4

16

18/16

GR AG

16 16

16/162 16/16

TG4

16

16/16

TI4 VD4

15 16

15/15 16/16

VS4

16

20/25

NE GE4 JU

16 15 16

16/16 15/15 16/16

Zulageberechtigte Kinder und weitere Besonderheiten

alle ausser Pflegekinder alle ausser Pflegekinder; keine Ausbildungszulage Kinder- und Ausbildungszulagen werden der Kaufkraft des Wohnsitzstaates angepasst. Ausbildungszulagen gibt es nur für Kinder in Ländern mit Sozialversicherungsabkommen.

alle Kinder in Ländern mit Sozialversicherungsabkommen; die Ansätze werden der dortigen Kaufkraft angepasst.

Kinder in Ländern mit Sozialversicherungsabkommen; die Ansätze werden der dortigen Kaufkraft angepasst.

alle Anspruch für innerhalb und ausserhalb der Ehe geborene Kinder sowie Adoptivkinder.

alle; die Ansätze werden der dortigen Kaufkraft angepasst.

alle eheliche, anerkannte u. Adoptivkinder; kein erhöhter Ansatz ab dem dritten Kind; keine Geburtszulage Alle; Ausnahme: für Kinder ausländischer Arbeitskräfte, die in keinem schweizerischen Zivilstandsregister eingetragen sind, werden keine Geburtszulagen ausgerichtet; die Ansätze werden der dortigen Kaufkraft angepasst.

alle alle; keine Geburtszulage alle; keine Geburtszulage

Die erste Grenze gilt für erwerbsunfähige und die zweite für in Ausbildung begriffene Kinder.

Für ausländische Arbeitskräfte mit Niederlassungsbewilligung werden die Kinderzulagen für erwerbsunfähige Kinder bis zum vollendeten 20. Altersjahr und für in Ausbildung begriffene Kinder bis zum vollendeten 25. Altersjahr ausgerichtet.

Die Altersgrenze beträgt 25 Jahre für diejenigen Kinder, die von Geburt oder Kindheit an invalid sind.

Schweizerische und ausländische Arbeitskräfte werden hinsichtlich der Kinder im Ausland gleich behandelt.

1348

2. Kantonalrechtliche Familienzulagen für Selbständige nichtlandwirtschaftlicher Berufe Die Ansätze der Kinder-, Ausbildungs- und Geburtszulagen sowie die Altersgrenzen sind aus der Tabelle 1 ersichtlich.

Beträge in Franken Kanton

LU UR SZ ZG SH AR AI SG GR GE 1

2

Tabelle 3

Einkommensgrenze Grundbetrag

Kinderzuschlag

36 000 45 000 51 000 34 000

6 000 4 000 4 000 2 500 ­ ­ ­ ­ ­ ­

1

­ 26 0002 65 000 ­ ­

Bei einem steuerpflichtigen Einkommen von mehr als 60 000 Franken bzw. einem steuerpflichtigen Vermögen von mehr als 300 000 Franken bei Ehepaaren oder von mehr als 45 000 Franken Einkommen bzw. mehr als 200 000 Franken Vermögen bei Alleinstehenden besteht kein Anspruch.

Bei einem steuerpflichtigen Einkommen unter 26 000 Franken ist jedes Kind, bei einem steuerpflichtigen Einkommen zwischen 26 000 und 38 000 Franken sind das zweite und die folgenden Kinder und bei über 38 000 Franken das dritte und die folgenden Kinder zulageberechtigt.

1349

3.

Kantonalrechtliche Familienzulagen für Nichterwerbstätige

Die Ansätze der Kinder-, Ausbildungs- und Geburtszulagen sowie die Altersgrenzen sind aus der Tabelle 1 ersichtlich.

Im Kanton Wallis haben Nichterwerbstätige, deren Einkommen die Grenze gemäss Bundesgesetz über die Familienzulagen in der Landwirtschaft nicht übersteigt, Anspruch auf die Zulagen.

Nichterwerbstätige im Kanton Jura haben Anspruch auf ganze Zulagen, sofern sie wegen ihrer persönlichen Lage keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können. Üben beide Ehegatten aus freien Stücken keine Erwerbstätigkeit aus, so können sie keine Familienzulagen beanspruchen.

Im Kanton Freiburg haben Nichterwerbstätige unter anderem Anspruch auf Zulagen, sofern sie seit mindestens sechs Monaten im Kanton ansässig sind, ihr Einkommen die Grenze für eine volle Zulage gemäss FLG und ihr Nettovermögen den Betrag von 150 000 Franken nicht übersteigen.

Im Kanton Genf werden Zulagen gewährt an Nichterwerbstätige, die ihren Wohnsitz im Kanton haben und dem AHVG unterstellt sind.

Im Kanton Schaffhausen haben Nichterwerbstätige, die seit mindestens einem Jahr Wohnsitz im Kanton haben und deren steuerpflichtiges Vermögen bei Alleinstehenden 200 000 Franken und bei Ehepaaren 300 000 Franken nicht übersteigt, Anspruch auf Zulagen.

4.

Familienzulagen in der Landwirtschaft

Landwirtschaftliche Arbeitskräfte haben bundesrechtlich (gemäss FLG) Anspruch auf eine monatliche Haushaltungszulage von 100 Franken, auf Kinderzulagen von 170 Franken für die ersten beiden Kinder und von 175 Franken ab dem dritten Kind im Talgebiet, von 190 Franken für die ersten beiden Kinder und von 195 Franken ab dem dritten Kind im Berggebiet.

Kleinbäuerinnen/Kleinbauern haben bundesrechtlich Anspruch auf Kinderzulagen in gleicher Höhe, sofern ihr reines Einkommen die Einkommensgrenze (EKG) von 30 000 Franken zuzüglich 5000 Franken je zulageberechtigtes Kind nicht übersteigt.

Wird die Einkommensgrenze um höchstens 3500 Franken überschritten, so besteht ein Anspruch auf zwei Drittel der Zulagen. Wird sie um mehr als 3500, höchstens aber um 7000 Franken überschritten, so besteht ein Anspruch auf einen Drittel der Zulagen.

Die folgenden Kantone gewähren zusätzlich zu den bundesrechtlichen Zulagen noch eigene Zulagen für Arbeitskräfte und/oder Selbständigerwerbende in der Landwirtschaft: ZH, SO, FR, SH SG, VD, VS, NE, GE, JU.

1350

1351

Parl. Initiative Fankhauser, ohne Einkommensgrenzen

Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!»

Heutige Regelung (Zulagenhöhe nach Kantonen im 2002)

Regelung

4980

1,88 %

1,85

­ Für jedes Kind besteht Anspruch auf eine Kinderzulage von 200 Franken pro Monat, für Jugendliche in Ausbildung 250 Franken; der gewichtete Durchschnitt liegt bei 210 Franken.

­ Rund 1,52 Millionen Kinder und 400 000 Jugendliche in Ausbildung sind anspruchsberechtigt.

280

Kommentar

220

3,96

150

4,03 %

4330

10 680

­ Jedes Kind oder jeder Jugendliche in Ausbildung verleiht Anspruch auf eine Zulage von 450 Franken pro Monat.

­ Rund 1,52 Millionen Kinder und 400 000 Jugendliche in Ausbildung sind anspruchsberechtigt.

590

Kommentar

480

330

1,49

9280

1,52 %

­ Die durchschnittliche Kinderzulage beträgt 179 Franken pro Monat, die Ausbildungszulage 202 Franken; der gewichtete Durchschnitt liegt bei 184 Franken.

­ Rund 9 % der Kinder und Jugendlichen in Ausbildung haben keinen Anspruch auf Kinderzulagen, da die Eltern selbständigerwerbend (nicht in der Landwirtschaft) oder nichterwerbstätig sind.

4030

Kommentar

20

In MWST-%

120

In % des gesamten AHV- Einkommens

Tabelle 1

3870

20

In Mio. Franken

Nichterwerbstätige

Totalkosten Übrige Selbstständigerwerbende

Arbeitnehmende (inkl. in der Landw.)

Selbst. Landwirte

Kosten nach Status des Bezügers

Zulagen nach verschiedenen Modellen, Schätzungen in Millionen Franken für das Jahr 2002

Anhang 2

4810

1,81 %

1,78

­ Für Arbeitnehmende besteht für jedes Kind ein Anspruch auf eine Kinderzulage von 200 Franken pro Monat, für Jugendliche in Ausbildung 250 Franken; der gewichtete Durchschnitt liegt bei 210 Franken.

­ Die Höhe der Zulagen ist für alle Kinder von Selbständigerwerbenden, Landwirten oder Nichterwerbstätigen gleich (200/250), wobei der Anspruch auf eine Zulage nur besteht, wenn das Einkommen die heute für die Landwirtschaft geltende Grenze nicht übersteigt.

­ Rund 3,5 % der Kinder und Jugendlichen in Ausbildung sind nicht anspruchsberechtigt.

250

Kommentar

90

In MWST-%

140

In % des gesamten AHV- Einkommens

4330

Nichterwerbstätige

In Mio. Franken

Übrige Selbstständigerwerbende

Arbeitnehmende (inkl. in der Landw.)

Selbst. Landwirte

Totalkosten

Kosten nach Status des Bezügers

1352

Der Beitragssatz von 1,52 % auf den AHV-Einkommen gemäss Ist-Zustand bezieht sich auf sämtliche AHV-Einkommen und umfasst auch die gemäss FLG erbrachten Zulagen. Dieser Satz entspricht nicht dem Durchschnittssatz der Arbeitgeber zur Finanzierung der Arbeitnehmerzulagen; der Durchschnittssatz zu Lasten der Arbeitgeber liegt für das Jahr 2002 schätzungsweise bei 1,62 %.

Die MWST-Punkte wurden linear berechnet; ein MWST-Punkt entspricht 2,7 Milliarden Franken.

In den Schätzungen enthalten ist eine Marge von 3 % für Kapitaläufnung und andere schwer berechenbare Faktoren. Nicht berücksichtigt wurden die Verwaltungskosten; geht man indes vom gleichen prozentualen Ausgabenanteil wie in der AHV aus, so dürften sie sich in der Grössenordnung von 200 Millionen Franken bewegen.

Parl. Initiative Fankhauser, mit Einkommensgrenzen nach FLG

Regelung

Tabelle 2

Aufteilung der Finanzierung der Zulagen gemäss Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!»

Finanzierungsbedarf

In Mio. Franken

In Prozent

10 680

100 %

Arbeitgeber (gegenwärtige Belastung)

3 850

36 %

Öffentliche Hand (Saldo)

6 830

64 %

Varianten

Bund: ½ Bund: Bund: ½ Bund: Kantone: ½ Kantone: Kantone: ½ Kantone:

Bund

3410

4550

32 %

43 %

Kantone/Gemeinden

3410

2280

32 %

21 %

Selbständigerwerbende und nichterwerbstätige Personen entrichten keine Beiträge, obwohl sie leistungsberechtigt sind. Würden sie ebenfalls Beiträge bezahlen, so könnte die Kostenbeteiligung der öffentlichen Hand um 400 Millionen reduziert werden.

1353

Tabelle 3

Nettomehrbelastung für den Bund, gemäss Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» Mio. Franken Varianten Kinderzulagen: Kostenbeteiligung gemäss Volksinitiative

Bund: ½ Kantone: ½

Bund: Kantone:

3410

4550

Auswirkungen auf die Staatsrechnung ­ Kostenbeteiligung heute, gemäss FLG ­80 ­ DBS: Mehreinnahmen durch höhere Besteuerung ­180 der Zulagen ­ Heutige Zulagen des Bundes an sein Personal ­80 ­ Arbeitgeberbeiträge, gemäss Volksinitiative 60 ­ Prämienverbilligung KV* ­270

­80 ­180 ­80 60 ­270

Auswirkungen insgesamt (negativ = Verbesserung der Staatsrechnung)

­550

­550

Nettomehrbelastung

2860

4000

Nettomehrbelastung, wenn selbständige und nichterwerbstätige Personen ebenfalls beitragspflichtig wären.

2670

3740

*

Weil genaue statistische Angaben fehlen, handelt es sich beim angegebenen Betrag um eine grobe Schätzung.

Die Mehreinnahmen aus der DBS wurden anhand der heutigen Grundlagen berechnet, d.h. ohne Einbezug einer möglichen Anhebung der Sätze für die Finanzierung des Bundesanteils.

Die Einsparungen bei den Ergänzungsleistungen sind zu gering, um in der Tabelle berücksichtigt zu werden.

Denkbar wäre, dass die öffentliche Hand ihren Anteil durch eine Erhöhung der MWST finanziert. Nicht enthalten in der Tabelle sind die Auswirkungen einer solchen Erhöhung auf die Ausgaben des Bundes für Güter und Dienstleistungen.

1354

Tabelle 4

Nettomehrbelastung für Kantone und Gemeinden, gemäss Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» Mio. Franken Varianten Kinderzulagen: Kostenbeteiligung gemäss Volksinitiative

Bund: ½ Kantone: ½ 3410

Auswirkungen auf die kantonalen und kommmunalen Finanzrechnungen ­ Kostenbeteiligung heute, gemäss FLG ­40 ­ Einkommenssteuer: Mehreinnahmen durch ­1490 höhere Besteuerung der Zulagen ­ Saldo der Arbeitgeberbeteiligung ­70 ­ Sozialhilfe und Bedarfsleistungen an Eltern ­200 ­ Prämienverbilligung KV* ­130 Auswirkungen insgesamt (negativ = Verbesserung der Finanzrechnungen) Nettomehrbelastung Nettomehrbelastung, wenn selbständige und nichterwerbstätige Personen ebenfalls beitragspflichtig wären.

*

Bund: Kantone: 2280

­40 ­1490 ­70 ­200 ­130

­1930

­1930

1480

350

1290

230

Weil genaue statistische Angaben fehlen, handelt es sich beim angegebenen Betrag um eine grobe Schätzung.

Die Mehreinnahmen aus der Einkommenssteuer wurden anhand der heutigen Grundlagen berechnet, d.h. ohne Einbezug einer möglichen Anhebung der Sätze für die Finanzierung des Anteils der Kantone und der Gemeinden.

Die Einsparungen bei den Ergänzungsleistungen sind zu gering, um in der Tabelle berücksichtigt zu werden.

Kantone und Gemeinden hätten sicherlich noch andere Einnahmen und vor allem Ausgaben (z.B. höhere Zulagen für Landwirte in gewissen Kantonen), die durch die Annahme der Volksinitiative beeinflusst würden; diese sind in den Berechnungen aber nicht enthalten.

Denkbar wäre, dass die öffentliche Hand ihren Anteil mit einer MWST-Erhöhung finanziert. In der Tabelle nicht berücksichtigt sind die Auswirkungen dieser Erhöhung auf die Ausgaben der Kantone und der Gemeinden für Güter und Dienstleistungen.

1355

Tabelle 5

Finanzierung des Anteils der öffentlichen Hand durch die Mehrwertsteuer Neutrale Variante für ihre Finanzrechnungen In Mio. Franken

Verteilung

Kommentar

Finanzierungsbedarf

10 680

100 %

Zulagen insgesamt

Finanzierungsquelle ­ Arbeitgeber

3 850

36 %

550

5%

1 930

18 %

4 350

41 %

­ Bund ­ Kantone/ Gemeinden ­ MWST

Erhöhung der MWST 1,61 %

Gleiche Durchschnittsbelastung wie heute Entspricht der Verbesserung der Staatsrechnung Entspricht der Verbesserung ihrer Rechnungen Erforderlicher Finanzierungssaldo Erforderlicher MWST-Satz zur Deckung des Finanzierungssaldos

Der Saldo des Finanzierungsbedarfs aus der MWST, d.h. 4,35 Milliarden Franken, entspricht der Nettomehrbelastung von Bund, Kantonen und Gemeinden (Tab. 4 und 5). Für die öffentliche Hand ist dieser Saldo bei beiden Varianten ­ «½ / ½» oder « / » ­ der gleiche.

Nicht enthalten in der Tabelle sind die Auswirkungen einer solchen Erhöhung auf die Ausgaben der öffentlichen Hand für Güter und Dienstleistungen.

Für die Kantone und die Gemeinden können sich noch andere Auslagen oder Einsparungen ergeben (s. Tab. 4).

1356

Tabelle 6

Finanzierungsbedarf, zusätzlicher Finanzierungsbedarf und Nettomehrbelastung der öffentlichen Hand Mio. Franken, gerundet Variante ½ / ½

Bund

Kantone und Gemeinden

Finanzierungsbedarf (oder Kosten der Initiative)

10 680

Arbeitgeber (wie heute) Finanzierungsbedarf der öffentlichen Hand Davon bereits heute finanziert: ­ Kinderzulagen gemäss FLG ­ Saldo der Arbeitgeberbeteiligung ­ Sozialhilfe ­ Prämienverbilligung KV*

3 850 3 410

3 410

6 830

­80 ­20

­40 ­70 ­200 ­130

­120 ­90 ­200 ­400

­270

Zusätzlicher Finanzierungsbedarf 3 040 der öffentlichen Hand (oder zusätzliche Steuerbelastung) Davon abgedeckt durch die Besteuerung der höheren Zulagen ­ Direkte Einkommenssteuer natürliche Personen Nettomehrbelastung (oder Finanzierungslücke)

Total

2 970

6 020

­180

­1 490

­1 670

2 860

1 480

4 350

1357

Inhaltsverzeichnis Übersicht

1314

1 Allgemeiner Teil 1.1 Formelles 1.1.1 Wortlaut 1.1.2 Zustandekommen 1.1.3 Behandlungsfrist 1.2 Gültigkeit 1.2.1 Einheit der Form 1.2.2 Einheit der Materie 1.2.3 Weiteres Gültigkeitserfordernis 1.2.4 Durchführbarkeit

1316 1316 1316 1317 1317 1317 1317 1318 1318 1318

2 Ziel und Inhalt der Volksinitiative

1319

3 Besonderer Teil 3.1 Die Bedeutung der Kinderzulagen 3.1.1 Kinderzulagen als Element der Familienpolitik 3.1.2 Kinderkosten und Familienlastenausgleich 3.1.3 Wirtschaftliche Lage der Familien und Bekämpfung der Familienarmut 3.2 Die Familienzulagen nach den heutigen Regelungen 3.2.1 Überblick 3.2.2 Bundesrecht 3.2.3 Kantonales Recht 3.2.4 Kosten und Finanzierung der Familienzulagen 3.3 Internationaler Vergleich 3.4 Bisherige Bestrebungen für eine bundesrechtliche Regelung der Familienzulagen und hängige parlamentarische Vorstösse 3.4.1 Frühere Bestrebungen 3.4.2 Hängige parlamentarische Vorstösse 3.4.3 Parlamentarische Initiative Fankhauser 3.4.4 Standesinitiativen

1319 1319 1319 1320

4 Würdigung der Volksinitiative 4.1 Im Allgemeinen 4.2 Im Besonderen 4.2.1 Der Gesetzgebungsauftrag (Abs. 1 und Übergangsbestimmung, Abs. 1) 4.2.1.1 Die Bundeskompetenz (Abs. 1) 4.2.1.2 Rechtsetzungsbefugnis des Bundesrates (Übergangsbestimmung, Abs. 1) 4.2.2 Das Prinzip «ein Kind, eine Zulage» (Abs. 2) 4.2.3 Dauer des Anspruchs auf Kinderzulagen (Abs. 3) 4.2.4 Höhe der Kinderzulagen (Abs. 4 und Übergangsbestimmung, Abs. 2) 4.2.5 Durchführung und Lastenausgleich (Abs. 5)

1327 1327 1328

1358

1321 1322 1322 1323 1323 1324 1324 1325 1325 1325 1326 1327

1328 1328 1329 1330 1330 1331 1331

4.2.6 Finanzierung (Abs. 6) 4.2.7 Kosten der Volksinitiative 4.2.8 Abschliessende Würdigung

1333 1334 1334

5 Frage eines Gegenvorschlags

1335

6 Finanzielle und personelle Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.2 Auswirkungen auf die Kantone und die Gemeinden 6.3 Finanzierung des Anteils der öffentlichen Hand 6.4 Volkswirtschaftliche Auswirkungen 6.4.1 Im Allgemeinen 6.4.2 Steuerliche Auswirkungen 6.4.3 Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum 6.4.4 Demografische Auswirkungen 6.4.5 Auswirkungen auf die Kaufkraft 6.4.6 Direkte Auswirkungen auf die Arbeitskosten 6.4.7 Schlussfolgerung bezüglich der wirtschaftlichen Auswirkungen 6.5 Familienpolitische Auswirkungen

1335 1335 1336 1336 1337 1337 1337 1338 1339 1339 1340 1341 1341

7 Verhältnis zum europäischen Recht 7.1 Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft 7.2 Instrumente des Europarates 7.3 Vereinbarkeit der Vorlage mit dem europäischen Recht

1342 1342 1342 1344

8 Schlussfolgerungen

1344

Anhänge

1345

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Für fairere Kinderzulagen!» (Entwurf)

1361

1359

1360