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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des am 13. Februar 1925 zwischen der Schweiz und Belgien abgeschlossenen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren.

(Vom 15. Mai 1925.)

L Am 15. November 1904 hatten die Schweiz und Belgien einen Schiedsvertrag unterzeichnet, nach dessen Bestimmungen etwaige zwischen den beiden Staaten entstehende Streitigkeiten dem ständigen internationalen Schiedsgerichtshof im Haag zu iintertreiten waren unter der Bedingung, dass es sich handle um Anstände betreffend die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, wenn die Schadenersatzpflicht von den Parteien grundsätzlich anerkannt ist, oder um die Anwendung der zwischen den Parteien bestehenden Verträge mit Ausnahme derjenigen, bei denen dritte Mächte von Anfang au oder infolge spätem Beitrittes beteiligt sind.

Ausserdem war die Tragweite dieser Bindungen auf diejenigen Fragen beschränkt, die weder die Ehre noch die Unabhängigkeit oder die Souveränität der Vertragskontrahenten berührer!. Dieser Vertrag wurde für einen Zeitraum von zehn Jahren abgeschlossen mit dem Vorbehalte der stillschweigenden Verlängerung auf je ein Jahr und ist heute noch in Kraft. Er stimmt indessen nicht mehr überein mit den gegenwärtigen Anschauungen von der friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle und mit dem aus dem Völkerbundsvertrage hervorgegangenen neuen Rechte, und es war angezeigt, an die Stelle dieses inhaltlich veralteten Übereinkommens einen neuen Vertrag zu setzen, der den in den letzten Jahren erzielten Fortschritten Rücksicht trägt.

Bereits im Monat Juni 1921 war der schweizerische Gesandte in Brüssel beauftragt worden, der belgischen Regierung Eröffnungen in diesem Sinne zu machen. Diese Eröffnungen konnten nicht sogleich entgegengenommen werden. Aber im Juni 1922 zeigte sich der belgische Minister des Auswärtigen geneigt, Vorbesprechungen aufzunehmen, um das Abkommen von 1904 durch einen Vertrag zu ersetzen, welcher der durch das Statut des ständigen internationalen Gerichtshofes geschaffenen Sachlage besser entsprechen würde ; Belgien hatte in der Tat inzwischen dieses

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Statut ratifiziert, ohne indessen der freiwilligen Bestimmung des Artikels 36, Abs. 2, beizutreten, welche die obligatorische Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes für alle Streitfälle rechtlicher Natur vorsieht. Doch erst am 12. Februar 1924 erklärte sich die belgische Regierung bereit, tatsächlich in Verhandlungen über einen Vertrag zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren einzutreten, der die obligatorische Gerichtsbarkeit für gewisse Streitfälle rechtlicher Natur in Aussieht nahm, unter Vorbehalt der Fragen, welche die Ehre, die Unabhängigkeit oder die Lebensinteressen der vertragschliessenden Staaten berühren. Nachdem gewisse Einzelfragen genauer umschrieben worden waren, erhielt der schweizerische Gesandte in Brüssel am 16. Juli 1924 den Auftrag, der belgischen Regierung einen Vertragsentwurf zu unterbreiten, der auf dem Grundsätze des obligatorischen Vergleichsverfahrens für alle Streitigkeiten irgendwelcher Art und der gerichtlichen Erledigung aller Streitigkeiten rechtlicher Natur durch den ständigen internationalen Gerichtshof beruhte. In Berücksichtigung der ausgesprochenen Vorliebe der Gegenpartei war diesem schweizerischen Entwurfe die sogenannte Ehren- und Unabhängigkeitsklausel beigefügt worden.

Unsere Vorschläge wurden in Brüssel in dem Zeitpunkte geprüft, wo in Genf die V. Völkerbundsversammlung tagte, deren Beratungen über die friedliche Erledigung internationaler Streitfälle die Aufmerksamkeit der gesitteten Welt erneut auf den Gedanken der obligatorischen unbedingten Scbiedsgerichtsbarkeit lenkten. Der Abschluss des schweizerischitalienischen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs«nd Gerichtsverfahren, der diesem Grundsatze das denkbar weiteste Anwendungegebiet sichert, tat dar, dass es sich nicht um blosse theoretische Gedankengänge handle und dass selbst zwei benachbarte Staaten keine ·ernstlichen Bedenken mehr tragen, auf die von den Regierungen bisher auf diesem Gebiete geübte Zurückhaltung zu verzichten.

Der belgische Minister des Auswärtigen sah sich demnach veranlagst, uns im Dezember 1924 einen Gegenentwurf vorzulegen, aus dem nunmehr die vom gegenwärtigen Stande des internationalen Rechtes überholte Ehren- und Unabhängigkeitsklausel ausgemerzt war.

Wir konnten diesen Gegenentwurf mit einigen redaktionellen, von ·der
belgischen Regierung genehmigten Abänderungen gutheissen, und am 13. Februar haben Herr Hymans, belgischer Minister des Auswärtigen, und Herr Barbey, schweizerischer Gesandter in Brüssel, den Vertrag unterzeichnet, der unten folgt.

II.

Den Vertrag, den Ihrer Genehmigung zu empfehlen wir uns beehren, gleicht in seinen Grundzügen den Verträgen, welche die Bundesversammlung bereits in der Herbstsession 1924 gutgeheissen hat. Er bedarf daher keiner langen Erläuterungen.

Bundesblatt. 77. Jahrg. Bd. II.

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Nach den Bestimmungen des Artikels l sind alle zwischen der Schweiz und Belgien entstehenden Streitigkeiten irgendwelcher Art, die auf diplomatischem Wege in angemessener Frist nicht haben geschlichtet werden können, einer Vergleichskommission zu unterbreiten.

Artikel 2 sieht vor, dass, falls es sich um eine Streitigkeit handelt, die in die Zuständigkeit der Gerichte fällt, die belangte Partei es ablehnen kann, dass das Vergleichsverfahren eröffnet werde, bevor die zuständige Gerichtsbehörde eine endgültige Entscheidung getroffen hat. Dieser Vorbehalt, der sich in den meisten neuern Verträgen dieser Art findet, ist beinahe selbstverständlich. Man kann in der Tat eine Streitigkeit erst dann als zwischen zwei Staaten bestehend betrachten, wenn die zuständige Behörde oder die Gerichte der beiden in Betracht kommenden Staaten endgültig über den Streitgegenstand entschieden haben. Andererseits ist das Verlangen berechtigt, ein Streitfall solle erst in letzter Linie, d. h.

nach Erschöpfung aller von der Landesgesetzgebung vorgesehenen Rekursinstanzen, einem zwischenstaatlichen Verfahren unterworfen werden.

Nach Artikel 3 des Vertrages wird das Vergleichsverfahren einer Kommission von fünf Mitgliedern übertragen, die von den vertragschliessenden Teilen für jeden Einzelfall zu bilden ist. Die meisten unserer Verträge bestimmen, dass alsbald nach Inkrafttreten des Vertrages zur Bildung einer ständigen VergleichskommisBion zu schreiten sei. Im allgemeinen scheint uns diese Regelung den Vorzug zu verdienen. Wir halten in der Tat die Lösung für vorteilhafter, der zufolge die Vergleichsinstana zum voraus gebildet ist und in Tätigkeit treten kann, sobald eine Streitigkeit geeignet scheint, die Beziehungen zwischen den Staaten zu trüben, die zu diesem Verfahren zu greifen übereingekommen sind. Es ist uns indessen nicht gelungen, die belgische Regierung zu unserer Auffassung zn bekehren. Übrigens kann man zugunsten der nichtständigen Vergleichskommission geltend machen, dass es in jedem Einzelfalle möglich sein wird, die guten Dienste von Persönlichkeiten anzurufen, die zur Anbahnung einer Verständigung zwischen beiden Staaten ganz besonders befähigt sind und dass die im schweizerisch-belgischen Vertrage getroffene Regelung, auch wenn sie das Zustandekommen der Lösung vielleicht verzögert, doch den Vorzug
grösserer Geschmeidigkeit bietet.

Das Verfahren für die Ernennung der Kommissionsmitglieder und die Tätigkeit der Vergleichskommission sind in den Artikeln 3 bis 12 in gleicher Weise geregelt wie in unsern Verträgen mit Schweden, Dänemark und Italien. Wir können uns demnach darauf beschränken, in dieser Hinsicht auf die einschlägigen Ausführungen unserer beiden Botschaften vom 28. Oktober 1924 zu verweisen.

Nimmt einer der vertragschliessenden Teile die Vorschläge der Vergleichskommission nicht an oder äussert er sich nicht dazu innerhalb der von ihr festgesetzten Frist, so kann die Streitigkeit nach Artikel 13 im

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Wege eines einfachen Begehrens vor den ständigen internationalen Gerichtshof gebracht werden ,,unter der Bedingung, dass sie sich auf die Auslegung oder Durchführung irgendwelcher die Parteien bindender Verträge, Übereinkünfte oder Abkommen bezieht oder dass sie einen allgemein anerkannten Punkt des Völkerrechtes betrifft". Die Streitigkeiten, für welche die Schweiz und Belgien die obligatorische Gerichtsbarkeit des ständigen internationalen Gerichtshofes anerkennen, sind, auch wenn sie anders bezeichnet werden, die nämlichen wie die in Artikel 36, Absatz 2, des Statuts des Gerichtshofes vorgesehenen. Belgien befindet sieh somit gegenüber der Schweiz in derselben Lage, wie wenn es, gleich wie die Schweiz, der freiwilligen Bestimmung des Genfer Protokolls vom 13. Dezember 1920 beigetreten wäre, mit dem einzigen Vorbehalte, dass, falls der Anstand sich auf eine Frage des Völkerrechts bezieht, er nur dann den Bestimmungen des Vertrages unterliegt, wenn es sich um einen allgemein anerkannten Punkt des Völkerrechts handelt. Da der ständige internationale Gerichtshof auf alle Fälle auf Begehren einer einzigen der Parteien mit der Streitigkeit befasst werden kann und demnach als Richter über die von der belangten Partei erhobene Einrede eingesetzt ist, erscheint dieser Vorbehalt von ganz untergeordneter Bedeutung. Abgesehen von gewissen Rechtsnormen, wie beispielsweise der Verpflichtung des Staates, die auf seinem Gebiete verursachten Kriegeschäden gutzumachen, Rechtsnormen, die von manchen Rechtslehrern verteidigt werden, aber zumeist umstritten sind und daher nicht als Bestandteil des allgemein anerkannten Völkerrechts betrachtet werden können, gibt es im Völkerrecht einige Regeln, die sich übrigens nur auf Sondergebiete beziehen und deren bindende Kraft auf bestimmte Erdteile beschränkt ist. So erkennt das europäische Völkerrecht, auch in Ermangelung eines Vertrages, den Grundsatz der freien Schiffahrt auf den internationalen Flüssen an, wogegen dieser Grundsatz in Amerika bestritten ist.

Nach Artikel 14 behalten sich die Parteien vor, die von den Bestimmungen des Artikels 13 nicht erfassten Streitigkeiten im Wege einer Schiedsordnung vor den ständigen internationalen Gerichtshof zu bringen.

Sie verpflichten sich zufolge der Artikel 15 und 16, während der Dauer des Verfahrens jegliche Magsnahme zu
vermeiden, die auf die Erfüllung der zu erlassenden Entscheidung nachteilig zurückwirken könnte, und den Spruch des Gerichtshofes nach Treu und Glauben zu erfüllen.

In Artikel 17 ist vereinbart, dass etwaige Streitigkeiten über die Auslegung oder Durchführung des Vertrages gleichfalls im Wege eines einfachen Begehrens vor den ständigen Gerichtshof gebracht werden können.

Unter diesen Umständen besteht alle Gewähr dafür, dass der Vertrag in keinem Falle toter Buchstabe bleiben kann.

Der Vertrag gilt für die Dauer von zehn Jahren, gerechnet vom Austausche der Ratifikationsurkunden an, und er wird durch stillschwei-

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gende Verlängerung je für weitere fünf Jahre in Kraft bleiben, sofern er nicht sechs Monate vor Ablauf der vorgesehenen Fristen gekündigt wird. Es steht somit zu vermuten, dass er für einen beträchtlichen Zeitraum die Grundlage der Beziehungen zwischen der Schweiz und Belgien bilden wird.

m.

Die Bindungen des vorliegenden Vertrages gehen wohl nicht so weit wie die des entsprechenden schweizerisch-italienischen und schweizerischfranzösischen Vertrages, da ja Streitigkeiten nichtrechtlicher Natur der Gerichts barkeit des Haager Gerichtshofes nur dann unterstehen, wenn die Parteien sich hierüber durch Abeehluss einer Schiedsordnung verständigen.

Trotzdem zeugt auch der schweizerisch-belgische Vertrag von fortschrittlicher Gesinnung; stellt er doch praktisch die zwangsläufige Erledigung aller Streitigkeiten sicher, die je zwischen zwei Staaten ohne gemeinsame Grenzen und ohne tatsächlichen Interessengegensatz scheinen entstehen zu können.

Die Schweiz ist das erste Land, mit dem Belgien einen Schiedsvertrag von so ausgedehnter Tragweite abgeschlossen hat, und wir können uns nur empfänglich zeigen für diesen neuen Beweis des Zutrauens und der Freundschaft von Seiten eines Staates, dem wir uns in so manchen gemeinschaftlichen Bestrebungen nahe fühlen.

Der Bundesrat zweifelt denn auch nicht, dass Sie den nachstehenden Entwurf eines Bundesbeschlusses gutheissen werden.

B e r n , den lo. Mai 1925.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: MUST.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des am 13. Februar 1925 zwischen der Schweiz und Belgien abgeschlossenen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 15. Mai 1925, beschliesst: 1. Der am 13. Februar 1925 zwischen der Schweiz und Belgien abgeschlossene Vertrag zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren wird genehmigt.

2. per Bundesrat wird mit dem Vollzuge dieses Beschlusses beauftragt.

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Vertrag zwischen

der Schweiz und Belgien zur Erledigung von Streitigkeiten im Vernleichs- und Gerichtsverfahren.

Der Schwelzerische Bundesrat und Seine Majestät der König der Belgier, geleitet von dem Wunsche, die zwischen der Schweiz und Belgien bestehenden freundschaftlichen Bande zu festigen und die etwaigen zwischen den beiden Ländern entstehenden Streitigkeiten gemäss den Grundsätzen beizulegen, worauf der Völkerbundsvertrag beruht, sind übereingekommen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschließen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt, Der Schweizerische Bundesrat: Herrn B a r b ey, ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister der Schweizerischen Eidgenossenschaft; Seine Majestät der König der Belgier: Herrn H y m a n s , Seinen Minister des Auswärtigen, die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind: Artikel 1.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, auf Begehren eines einzigen von ihnen alle zwischen beiden Ländern entstehenden Streitigkeiten irgendwelcher Art, die auf diplomatischem Wege in angemessener Frist nicht haben geschlichtet werden können, dem Vergleichsverfahren zu unterwerfen.

Falls das Vergleichsverfahren scheitert, sind die Streitigkeiten unter den in den Artikeln 13 und 14 des gegenwärtigen Vertrages angegebenen Bedingungen dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe zu unterbreiten, Streitigkeiten, für deren Austragung ein besonderes Verfahren durch andere zwischen den vertragschliessenden Teilen geltende Verträge vorgeschrieben ist, sind gemäss den Bestimmungen dieser Verträge zu erledigen.

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Artikel 2.

Handelt es sich um eine Streitigkeit, die nach der Landesgesetzgebung einer der Parteien in die Zuständigkeit lüer Gerichte fällt, so kann die belangte Partei es ablehnen, daas diese Streitigkeit einem Vergleichsverfahren und gegebenenfalls einem Gerichtsverfahren unterworfen werde, bevor die zuständige Gerichtsbehörde eine endgültige Entscheidung getroffen hat.

Artikel 3.

Die Durchführung des Vergleichsverfahrens wird einer Kommission von fünf Mitgliedern übertragen, die von den Parteien für jeden Einzelfall zu bilden ist.

Die vertragschliessenden Teile ernennen jeder für sich nach freier Wahl ein Mitglied und berufen die drei übrigen im gemeinsamen Einverständnisse. Diese drei Mitglieder sollen nicht Angehörige der vertragschliessenden Staaten sein, noch sollen sie auf deren Gebiet ihren Wohnsitz haben oder in deren Dienste stehen.

Aus der Mitte der gemeinschaftlich berufenen Mitglieder wird der Vorsitzende der Kommission im gemeinsamen Einverständnis ernannt.

Die Vergleichskommission ist innerhalb von zwei Monaten nach dem Tage zu bilden, wo eine der Parteien der andern ihre Absicht bekanntgegeben hat, zum Vergleichsverfahren zu greifen.

Sind die gemeinschaftlich zu berufenden Mitglieder oder der Vorsitzende innerhalb dieser Frist nicht ernannt, so erfolgen die Wahlen auf Verlangen einer der Parteien durch den Präsidenten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes oder, wenn dieses Angehöriger eines der vertragschliessenden Staaten ist, durch den Vizepräsidenten oder den ältesten Kichter des Gerichtshofes, der nicht Angehöriger eines der vertragschliessenden Staaten ist.

Artikel 4.

Der Vergleichskommission liegt ob, die Schlichtung der Streitigkeit zu erleichtern, indem sie in unparteiischer und gewissenhafter Prüfung den Sachverhalt aufhellt und Vorschläge für die Beilegung des Anstandes macht.

Die Anrufung der Kommission erfolgt durch ein dahinzielendes Begehren, das von einem der vertragschliessenden Teile an den Vorsitzenden der Kommission gerichtet wird.

Dieses Begehren wird von der antragstellenden Partei gleichzeitig der Gegenpartei zur Kenntnis gebracht,

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Artikel 5.

Unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung tritt die Kommissionan dem von ihrem Vorsitzenden bezeichneten Orte zusammen.

Die Verhandlungen der Kommission sind geheim, es sei denn, dass die Kommission im Einvernehmen mit den Parteien anders beschliesst, Artikel 6.

Es steht den Parteien zu, im gemeinsamen Einverständnisse zu beschliessen, ob der Bericht der Vergleichskommission und das Verhandlungsprotokoll veröffentlicht werden dürfen, bevor die Frist abgelaufen ist, innerhalb deren sie sich zu den im Bericht enthaltenen Vorschlagen zu äussern haben, oder, sofern es sich um einen gerichtlicher Erledigung fähigen Streitfall handelt, bevor der Ständige Internationale Gerichtshof endgültig entschieden hat.

Die Kommission kann einstimmig die. unverzügliche Veröffentlichung, ihres Berichtes anordnen.

Artikel 7.

Die Vergleichskommission trifft ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit..

Die Kommission ist verhandlungsfähig, wenn alle ihre Mitglieder ordnungsgemäss geladen wurden und der Vorsitzende sowie mindestens zwei weiter» Mitglieder anwesend sind. Jedes Mitglied hat eine Stimme.

Artikel 8.

Unter Vorbehalt der Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages und unbeschadet der Fragen, über welche die Vergleichskommission einstimmig anders beschliessen sollte, ist für das Vergleichsverfahren der dritte Titel des Haager Abkommens für die friedliche Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 massgebend.

Artikel 9.

Die Mitglieder der Vergleiohskommission erhalten während der Dauer des Verfahrens eine Entschädigung, deren Höhe von den vertragschliessenden Teilen gemeinschaftlich festgesetzt wird.

Jede Partei kommt für ihre eigenen Kosten auf; die gemeinsamen Kosten der Kommission werden von den Parteien zu gleichen Teilen getragen, Artikel 10, Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, die Arbeiten der Vergleichskommission soweit als möglich zu fördern und insbesondere

445 alle nach der Landesgesetzgebung zu ihrer Verfügung stehenden Mittel anzuwenden, um es der Kommission zu ermöglichen, auf ihrem Gebiete Zeugen und Sachverständige vorzuladen und zu vernehmen, sowie Augenscheine durchzuführen, ; Sie haben das Recht, bei der Kommisaion besondere Vertreter zu ernennen, die gleichzeitig als Mittelspersonen zwischen ihnen und der Kommission dienen.

Artikel 11.

Die Vergleiehekommission hat ihren Bericht innerhalb von sechs Monaten nach dem Tage zu erstatten, wo sie in einer Streitigkeit angerufen worden ist, es sei denn, dass die vertragschliessenden Teile diese Frist im gemeinsamen EID Verständnisse verkürzen oder verlängern.

Jeder der Parteien wird eine Ausfertigung des Berichtes ausgehändigt.

Der Bericht hat weder in bezug auf die Tatsachen noch hinsichtlich der rechtlichen Ausführungen die Bedeutung eines Schiedsspruches.

Artikel 12.

Die Vergleichskommission hat die Frist festzusetzen, innerhalb deren sich die Parteien zu ihren Vorschlägen zu äussern haben. Diese Frist darf die Zeit von drei Monaten nicht überschreiten.

Artikel 13.

Nimmt einer der vertragschliessenden Teile die Vorschläge der Vergleichskommission nicht an oder äussert er sich nicht dazu innerhalb der von ihr festgesetzten Frist, so kann jeder von ihnen die Streitigkeit im Wege eines einfachen Begehrens vor den Ständigen Internationalen Grerichtshof bringen unter der Bedingung, dass sie sich auf die Auslegung oder Durchführung irgendwelcher die Parteien bindender Verträge, Übereinkünfte oder Abmachungen bezieht oder daes sie einen allgemein anerkannten Punkt des Völkerrechtes betrifft.

Besteht Uneinigkeit über die Frage, ob die Streitigkeit gemäss dem vorhergehenden Absätze gerichtlicher Erledigung fähig sei, so hat hierüber der Gerichtshof zu entscheiden.

Artikel 14.

Was andere als die in Artikel 13 erwähnten Streitigkeiten anbelangt, so behalten sich die Parteien vor, sie im Wege einer Schiedsordnung dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe zu unterbreiten.

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Artikel 15.

Der Spruch des Ständigen Internationalen Gerichtshofes ist von den Parteien nach Treu und Glauben zu erfüllen.

Artikel 16, Die vertragschließenden Teile werden während der Dauer des durch den gegenwärtigen Vertrag vorgesehenen Verfahrens jegliche Massnahme vermeiden, die auf die Zustimmung zu den Vorschlägen der Vergleichskomraission oder auf die Erfüllung des Spruches des Ständigen Internationalen Gerichtshofes nachteilig zurückwirken kann.

Artikel 17.

Etwaige Anstände über die Auslegung oder Durchführung des gegenwärtigen Vertrages sind unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung unmittelbar und im Wege eines einfachen Begehrens dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe zu unterbreiten.

Artikel 18.

Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Brüssel ausgetauscht werden.

Der Vertrag gilt für die Dauer von zehn Jahren, gerechnet vom Austausche der Ratifikationsurkunden an. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt, so bleibt er für einen neuen Zeitraum von fünf Jahren in Kraft und so fort für je einen Zeitraum von fünf Jahren.

Zu Urkund dessen haben die obengenannton Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet und ihm ihre Siegel beigedrückt.

So geschehen, in doppelter Urschrift, zu Brüssel, den 13. Februar 1925.

Gez. Barbey.

Gez. Hymans.

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