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Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am Montag, den 16. März 1925, um 18 Uhr, zur Frtlhjahrssession zusammengetreten.

Im N a t i o n a l r a t e eröffnete Herr Vizepräsident Dr. H o f m a n n die Session mit folgender Ansprache: Meine Herren!

Lassen Sie mich zunächst eines Freudenanlasses gedenken. Am 7. Februar feierte das Bundesgericht das erste Halbjahrhundert seines Bestehens als ständiger oberster Gerichtshof der Eidgenossenschaft. Dem Bundesgericht als dem Hüter des Rechts des Schweizervolkes sind an diesem Tage aus berufenem Munde Worte wärmster Anerkennung und herzlichster Dankbarkeit gewidmet worden. Anerkennung und Dank haben lauten Widerhall in der Presse und im Volke gefunden. Unser Land ist stolz auf sein Bundesgericht, dessen Rechtsprechung als vorbildlich gilt und das sich im Ausland des höchsten Ansehens erfreut. Unser Volk weiss ganz gut, dass unsere politische und ökonomische Entwicklung innerhalb der letzten 50 Jahre bis zu einem gewissen Grade ohne das Bundesgericht gar nicht denkbar wäre. Darum wünschen wir zu dieser Stunde, dass das Bundesgericht seinen stolzen Traditionen stetefort treu bleibe.

Sodann habe ich unserer Verstorbenen zu gedenken. Es sind ihrer vier.

In der Abendstille des 14. Januars verschied Weltpostdirektor Camille D e c o p p e t im 63, Lebensjahr, ein Sohn der Waadtländer Erde, jahrzehntelang ein Schosskind des Schicksals, dem sich die Herzen und Türen von selber öffneten. Seine Laufbahn ein ungehemmter Zug vom Rechtsanwalt bis zum Bundesrat : Generalprokurator, Mitglied des Grossen Rats, Staatsrat, Nationalrat, Regimentskommandant sind die Meilensteine auf diesem Siegeszug. Weltpostdirektorat hiess der Schlussstein auf diesem Lebensweg.

Im Nationalrat fand C. Decoppet eine Überaus freundliche Aufnahme.

Er besass sozusagen von Anfang an das Ohr des Rats. Schlicht und einfach wie der Mann selber waren seine Voten. Knapp und klar zielte seine Rede auf die Hauptsache. Seine Voten waren tiefgründig, ohne aufdringlich zu sein. Die Beherrschung des Stoffes schien ihm so selbstverständlich, dass er sich nie zu einem Hinweis hierauf verlor. Andere Naturen hätten hieraus einen Glanz und einen Schimmer hervorgezaubert, der seinesgleichen gesucht hätte.

Die unsern Miteidgenossen welscher Zunge angeborene Lebendigkeit und Liebenswürdigkeit eignete ihm in ganz besonderem Masse. Kein Wunder, dass er sich auch im Nationalrat bald einer seltenen Beliebtheit

818 erfreute. Seine glänzende Wahl zum Mitglied des Bundesrats war ein beredter Beweis hierfür.

Nach den bundesrätlichen Lehr- und Wanderjahren von einem Departement zum andern führte ihn das Schicksal aufs Militärdepartement.

Über 5 Jahre hat er auf diesem verantwortungsvollen Posten ausgeharrt.

Und welche Jahre ? Schon in den gewöhnlichen Zeitläuften galt das schweizerische Militärdepartement immer als Bringer von manchem heissen Strauss in den Ratsälen, von schweren, zähen Kämpfen in der Stille und von viel Mühsal und Sorge. Die Kriegszeit steigerte Verantwortung und Arbeit, Bitternis und Bedrängnis ins Ungern essen e ! Wohl uns, dass Bundesrat Decoppet auf diesem Posten stand. Es wäre dem bescheidenen Sinn des Toten zuwider, wollte ich zu dieser Stunde ein Bild seines Wirkens, seiner Erfolge und Misserfolge, seiner Hoffnungen und Enttäuschungen in diesen schicksalsbangen Jahren zeichneu. Nur eines Sei mir zu sagen vergönnt. Das Schweizerland glich während des Weltkriegs einer Insel des Friedens inmitten eines Meeres von Blut und Tränen. Im Vergleich zu andern Völkern sind wir aus diesen bösen Zeiten leicht und heil davongekommen. Zu den Männern, denen wir dies nebst der Vorsehung verdanken, gehört auch Bundesrat Decoppet. Sein Scheiden vom Dornenpfad der Politik entbehrt nicht der Seelengrösse. Ohne Murren und Klagen, ohne Harm und Groll ergab er sich seiner neuen Aufgabe. Er legte die Hand an den Pflug ohne zurückzublicken. Auch das darf ihm angerechnet werden als untrügliches Kennzeichen eines senkrechten Eidgenossen ! .

Mit den Toten soll man nie rechten über ihre Mittel und Wege zum Ziele, denn jede Schuld rächte sich auf Erden, Das Urteil über Toto vergesse nie die alte Weisheit des Bibelworts: Der Mensch siebet, was vor Augen ist, G-ott aber siebet das Herz. Und wenn einer diese Herzensprüfung bestanden, so ist das sicher C. Decoppet gewesen. Drum ruhe er von seiner Arbeit ; seine Werke aber folgen ihm nach !

In der Morgenfrühe des 31. Januars ist General Ulrich W i l l e seinem Chef am schweizerischen Militärdepartement im Tode nachgefolgt. Ein Sohn des Jahres 1848, Spross eines vornehmen Hauses ; ursprünglich zum Juristen bestimmt, aus Veranlagung und Neigung Soldat mit glänzender Karriere geworden. Im Alter von 35 Jahren hatte er die schweizerische Artillerie auf eine hohe
Entwicklungsstufe gebracht und damit eine Aufgabe gelöst, die für andere ein Lebenswerk bedeutet hätte. Der gleiche Erfolg war seinem Tatendrang als Oberinstruktor der Kavallerie beschieden.

Selbst der letzte Soldat dieser beiden Waffen verspürte den neuen, frischen Zug und kannte den Schöpfer des neuen Wesens. Oberst Ulrich. Wille war schon damals eine der bekanntesten Gestalten im Schweizerland.

Von ihm sprachen die alten und die jungen Wehrmänner in der Familie und in der Öffentlichkeit, ihn nannte die Presse vielleicht mehr als ihm

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lieb war ; des öftern erklang sein Name in den Ratssälen. Hoch verehrt und viel gepriesen von den Anhängern seines Systems, ingrimmig gehasst und scharf bekämpft von denen, die sein Wesen und sein Ziel nicht verstanden. Das widrige Schicksal, welches seine wertvolle Kraft eine Zeitlang brach legte, hat hohe und weite Wellen geworfen im Schweizerland.

Diese legten sich erst dann ganz, als Oberst Wille vom Bundesrat wieder zu Ehren gezogen wurde durch Übertragung des Kommandos der VI. Division. Und das war gut so ! Die neue Militärorganisation ohne die Mitwirkung ihres eifrigsten und fähigsten Promotors wäre beinahe undenkbar gewesen.

Als die ehernen Würfel des Kriegs in Europa rollten, wurde der inzwischen zum Armeekorpskommandanten ernannte U. Wille von der Bundesversammlung zum G-eneral gewählt. Ihrer viele von uns haben bei dieser Wahl mitgewirkt. Keiner wird jene schicksalsbangen Stunden vergessen ; keiner jene Wahl bereuen. Dank der allgemeinen Opferwilligkeit und der guten Vorbereitung vollzog sich die Mobilisation unserer Armee rasch und glatt. Der prompte Aufmarsch unserer Truppen an die Grenze erweckte im ganzen Lande ein Gefühl der Beruhigung. Landauf und landab herrschte die Zuversicht, dass an der Spitze unserer Armee ein hochbegabter, vom besten und reinsten Willen beseelter, tatkräftiger, erprobter Führer stehe. Vier endlos lange, beinahe unerträglich schwere Jahre ist er an diesem Posten gestanden. Die Zeichen der Begeisterung für seine Person hat er mit derselben stoischen Ruhe ertragen wie die Beweise des Übelwollens. Er selber wusste am besten, dass dio Aufgabe des Führers im lang dauernden Aktivdienst viel schwerer ist als im Kriegsdienst. Wohl keiner hat in dieser Zeit so viel gelernt wie er. Wohl uns, dass die Ergebnisse und Lehren, welche General Wille aus diesen Jahren schöpfte, uns und der Nachwelt überliefert bleiben.

Als in der Morgenfrühe der Tod im schwarzwallenden Helmbusch an unsern beinahe 77 Jahre alten General herangeritten kam, hat ihn der wackere Reitersmann mit den Worten begrüssen können : Ich habe den guten Kampf gekämpft und den Lauf vollendet. Im Sohweizerland wird General Wille nie vergessen werden.

Ein Schlaganfall hat Sonntags, den 1. März, Bundeskanzler Adolf S t e i g e r im 66. Altersjahr dahingerafft. Ein Tod mitten aus der Arbeit heraus und ohne
schwere Vorboten war ihm beschieden. Am Abend noch in anregendem, geselligen Kreis, beruhigt über seinen Gesundheitszustand, der ihm vorher eine Zeitlang zu Bedenken Veranlassung gegeben, beiläufig beschäftigt mit den Traktanderi der Frühjahrssession, aus seinen reichen Lebenserfahrungen allerlei erzählend -- und am morgen tot.

Sein Lebenslauf ging Jahrzehnte die üblichen Bahnen. Nach don Studien am Gymnasium und auf der Hochschule die üblichen Lehrjahre als Anwalt, von wo sich ihm der Weg ins Obergericht des Kantons Bern öffnete.

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Vom Richterstuhl holte ihn nach 8 Jahren die Stadt Bern, ihn zum Stadtpräsidenten ernennend. Während 18 Jahren bekleidete er dieses Amt, mit dem sich bald das Mandat eines Grossrate und später dasjenige eines Ständerats vereinigte, gewissermassen die Anerkennung und der Dank des Volkes für seine Tätigkeit als Stadtpräsident. -- Der Wandel der Zeiten hiess den Verstorbenen in verhältnismässig hohen Jahren sich als Vizekanzler wählen zu lassen. Bald darauf erfolgte seine Wahl zum Bundeskanzler.

Seine Tätigkeit und Erfahrung als Anwalt, Richter und Stadtpräsident, als Mitglied des Grossen Rats und des Ständerats eigneten ihn vortrefflich zu diesem Amte. Seine Pflichttreue, sein feiner Takt und seine angeborene Zurückhaltung kamen ihm wohl zustatten bei seinen mannigfachen Obliegenheiten. Einfach und schlicht war aein Wesen und Auftreten.

Gerechtigkeit und gloichmässige Freundlichkeit zeichneten seinen Verkehr mit seinen Untergebenen und Mitarbeitern aus. Wo das Amt es erforderte, war er gerne bereit, auf Gewohntes oder gar Liebgewordenes zu verzichten. Bei der Reorganisation der Bundeskanzlei, bei der Revision des Geschäftsreglements des Nationalrats und bei andern Gelegenheiten hat er dafür beredte Proben geliefert. Er erfreute sich der Sympathie der Mitglieder beider Räte. Die Bundesversammlung hat seine treue Arbeit jeweilen an den Wahltagen durch eine ehrenvolle Wahl anerkannt und verdankt.

* Am letzten Dienstag verstarb in Chur unser Kollege Johann Anton C a f l i s c h im 65. Altersjahr.

Wenn einer von seinen Ratskollegen vielfach falsch beurteilt wurde, so ist das Freund Caflisch gewesen. Er zürnte das niemand, weil er ganz gut wusste, dass er an diesem schiefen Urteil selber die Hauptschuld trage.

Es war ihm nicht gegeben, die Tore seines innersten Wesens zu öffnen.

Man musste schon jähre- oder jahrzehntelang mit ihm verkehren und sich seines besondern Vertrauens, erfreuen, bis er sich voll zu erkennen gab.

Wer tief bei ihm gründen konnte, war erstaunt, bei diesem knorrigen und harten Bauern ein weiches und tiefes Gemüt zu finden, das nicht bloss eigene Freud und eigenes Leid, sondern auch fremdes Leid und fremde Freud lebhaft bewegte. Wer ihn ganz genau kannte, merkte, dass seine Ablehnung des uralten Strebens der untern Schichten nach dem Sonnenschein des Glücks von ihm viel härter
und schärfer gesagt als gedacht wurde. Sprach er von der Sorge und Not, von den Freuden und Leiden der Kleinbauern, konnte sich sein Gesicht beinahe verklären !

Hinter seiner hohen und breiten Stime wohnte der Schalk, der auch vor seiner eigenen Person nicht halt machte. Wer hätte gedacht, dass dieser Bauersmann, dem keine Arbeit zu hart, kein Wetter zu rauh war, in seinen Mussestunden mit der schwieligen Hand nach den Erzeugnissen ·der modernen Literatur griff? Wer hätte sich denken können, dass er

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sich auf diesem Boden so heimisch fühlte wie bei den deutschen Klassikern.

Es musste einer schon sein volles Vertrauen besitzen, bis er diese Liebhaberei gestand und sieh in ein Gespräch über Literatur einliess. Tat ers aber einmal, war man erstaunt über seinen guten Geschmack und die Treffsicherheit seines Urteils. In seinem Innern schlummerte, wohl behütet ·und ängstlich verwahrt, die Freude an der Kunst und Natur. Sein Schulsack war von seinen Studien an der Kantonsschulo und auf der Universität her ganz ordentlich gefüllt. Doch hütete sich der Verstorbene wohl, damit zu prunken. Im Kampf der Meinungen war ihm ein bäuerliches Argument hundertmal lieber als eine Waffe aus der Rüstkammer der Wissenschaft.

Darum hat der Verstorbene seinen Posten überall wohl ausgefüllt, wohin das Schicksal ihn stellte. Seine Laufbahn begann er als Anwalt, dazu war er Kreispräsident, Bezirksgerichtspräsident, Kantonsrichter, neun Jahre diente er dem Bündnervolk als Regierungsrat, eine Zeitlang bekleidete er das Amt eines Direktors der Landesassekuranzkasse, aufs Ende seines Lebens zog er sich wiedor als freier Bauersmann in die heimatliche Bergeshöhe zurück. Daneben wirkte er als Mitglied des Grossen Rates, des Kreiseisenbahnrates IV, den er längere Zeit präsidierte, dos Verwaltunggrates der Rhätischen Bahn, als Verwaltungsratspräsident der ChurArosa-Bahn, als Präsident des graubündnerischen kantonalen landwirtschaftlichen Vereins.

Dem Nationalrat gehörte er seit dem Jahr 1902 an. Er war namentlich in früheren Jahren ein überaus tätiges und militantes Mitglied, originell in seiner Beweisführung nach Form und Inhalt, hartnäckig an seiner Meinung festhaltend, unbekümmert um Gunst oder Ungunst bei Freund und Feind, ein forscher Draufgänger, ein feiner Kenner der Volksseele seiner ·engern Heimat. Das Bild des Parlamentariers Caflisch wäre unvollständig ohne den Zug der Persönlichkeit, der ihm. eignete. Den schärfsten Zusammenstoss hatte er jeweils sofort vergessen und niemals persönlich ·ausgemünzt.

Darum werden wir alle dem verstorbenen Kollegen Caflisch ein gutes Andenken bewahren.

Ich ersuche Sie, sich zu Ehren der Verstorbenen von ihren Sitzen «rheben zu wollen.

Sundesblatt. 77. Jahrg.

Bd. I.

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822 Im S t ä n d e r a t e wurde dio Session durch Herrn Präsident And e r mat t mit folgender Ansprache eröffnet : Meine Herren Ständeräte !

Durch Art. 106 der Bundesverfassung ist im Jahre 1874 das B u n d e s g e r i c h t als ständiger oberster Gerichtshof der Eidgenossenschaft geschaffen worden. 6-emäss Buridesbeschluss vom 16. Oktober 1874 trat es am 1. Januar 1875 in Funktion. Verflossenen 1. Januar konnte das Bundesgericht demnach auf 50 Jahre seines Bestehens zurückblicken. Es hat den Anlass benutzt, um diesen Säkulartag durch eine Erinnerungsfeier festzuhalten, an welcher der Bundesrat und die eidgenössischen Räte vertreten waren und dem Gerichte ihre Glückwünsche darbrachten. Es geziemt sich, dass wir auch heute des 50jährigen Bestehens unseres obersten Gerichtshofes gedenken.

Das ßundesgericht verlebt meist ein stilles Dasein in Lausanne. Im Gegensatz zu Bundesversammlung und Bundesrat kennt der Referendumsbürger, der nicht gerade eine Rechtssache in Lausanne zu vertreten hat, kaum seine Existenz, Und doch ist das oberste Gericht eines Landes von hervorragendster Bedeutung. Denn in seiner Hand liegt die Handhabung der Gerechtigkeit, worin nach Stahl die Heiligkeit des Staates ruht.

Schon die 1848er Verfassung hatte ein Bundesgericht von 11 Mitgliedern als Zivil-, Staats- und Strafgerichtshof geschaffen. Aber dessen Kompetenzen waren so geringe, dass die Mitglieder das Amt im Nebenberufe ausübten. Dieses Gericht hatte keinen festen Sitz. Die Richter kamen an demjenigen Orte zusammen, den der Präsident den Verhältnissen der zu behandelnden Geschäfte gemäss aufstellte.

Die Bundesversammlung erkor im Jahre 1874 Lausanne als festen Amtssitz des Bundesgerichtes und wählte in beiläufig 20 Wahlgängen die 9 Mitglieder mit Blumer ala Präsident. Entsprechend der Vermehrung der Geschäfte musste die Zahl der Richter 1892 auf 14, 1895 auf 16, 1914 auf 19 und mit Gesetz vom 8. Oktober 1918 auf 24 erhöht werden.

Sollte einmal das Verwaltungsgericht greifbare Gestalt annehmen und dem Bundesgerichte angegliedert werden, wird das eine nochmalige Erhöhung der Mitgliederzahl bedingen. Die Redaktion der Urteile wird von 5 Gerichtsschreibern und 7 Sekretären besorgt.

Bis heute zählen wir 60 Bundesrichter, worunter sich Namen von bestem Klang befinden. Nach BV kann jeder Schweizerbürger in das Bundesgericht
gewählt werden, der in den Nationalrat wählbar ist. Es ist weder eine theoretische noch praktische Vorbildung vorgeschrieben.

Doch hat noch stets die Bundesversammlung Männer nach Lausanne gewählt, die auf dem Gebiete der Jurisprudenz oder der Verwaltung entweder hervorragend praktisch sich betätigt hatten oder von hoher wissenschaftlicher Qualität waren. Das Bundesgericht geniesst daher mit Recht

823 Dicht nur das Vertrauen des Schweizervolkes, sondern über die Grenzen des Schweizerlandes hinaus ein hohes Ansehen. Das Bundesgericht wird diese Stellung auch in Zukunft bewahren, wenn es in das neue Gerichtsgebäude im Parke von ,,Mon Repos" übergesiedelt ist.

Meine Herreu Ständeräte l Seit unserer letzten Session bat der Tod im Schweizerlande reiche Ernte gehalten. Hervorragende Journalisten, Dichter und Dichterinnen von ungewöhnlicher Begabung, höchste Militärs und Politiker von Klang sind seiner unerbittlichen Mahd zum Opfer gefallen.

Am 14. Januar verschied in Bern an den Folgen eines Schlaganfalls Herr alt Bundesrat Camill D ecoppet t, Direktor des internationalen Bureaus des Weltpostvereins. Und wenige Wochen später, am 31. Januar . 1925, folgte ihm Herr General U l r i c h W i l l e im Tode nach.

Diese beiden Männer, die zwar nicht dem Parlamente angehörten, verdienen es, daas auch wir ihres Hinscheidens gedenken. Ihrer Klugheit, Mässigung und Tatkraft haben wir es zum guten Teil zu verdanken, dass unser Vaterland im Weltkriege so relativ glücklich abgeschnitten hat und wir den Gefahren, welche von aussen drohten, entgingen und die Wirrnisse, die mehr noch im Innern des Landes entstanden, überwinden konnten.

C a m i l l e D e c o p p e t ist im Jahre 1912 als Bundesrat gewählt worden. Im Jahre 1914 übernahm er das Militärdepartement und leitete es während der ganzen Dauer des Krieges. Es ist dies wohl einer der heikelsten Posten gewesen, den es je in der Eidgenossenschaft gegeben hat. Decoppe hat diesen Posten mit einer Hingebung und mit einer Pflichttreue bekleidet, welche die Anerkennung jedes Eidgenossen verdient.

Decoppet war ein aufrichtiger Patriot, dem das Wohl und Weh der g a n z e n Schweiz am Herzen lag. Er war ein guter, konzilianter Verwaltungsmann, ein hoch kultivierter Mensch, liebenswürdig wie nur Waadtländer liebenswürdig sein können. Das Vaterland wird Camille Decoppet in treuer Erinnerung bewahren.

Mit U l r i c h W i l l e ist der Schöpfer unseres schweizerischen Volksheeres hinübergegangen. Jenes Volksheeres das in den Augusttagen des Jahres 1914 in rascher und reibungsloser Mobilisation an die Grenzen eilte und während der bösen Kriegsjahre treue Wacht hielt.

Ulrich Wille hat nicht, wie vielfach irrtümlich behauptet wurde, den preussischen Militarismus
kopiert. Nein, er hat die schweizerische Armee aus eingehender Kenntnis des Volkes heraus geschaffen. Tiefes Gerechttigkeitsgefühl, treue Pflichterfüllung, ernste Auffassung d e s waren die Grundzüge seines Lebens. Und diesen Geist der Pflichttreue und Pflichtauffassung wollte der General auch seinen Offizieren und Soldaten beibringen.

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Als am 3. August 1914 Oberstkorpskommandant Ulrich Wille zum General der schweizerischen Armee ernannt und ihm nach Art. 208 MO die Verfügungsgewalt über alle personellen und materiellen Streitmittel des Landes übergeben wurde, da wurden bange Zeifel laut, ob wir nicht einer Militärdiktatur entgegen gehen werden. Die so dachten, bekamen nicht Recht. General Wille hat von Anfang an darauf gehalten, auch in rein militärischen Angelegenheiten in Fühlung mit dem Bundesratezu bleiben und wichtige Entschliessungen nur im Einverständnis mit dieser Behörde zu treffen. General Wille kannte die innerpolitischen Notwendigkeiten und wusste sich ihnen anzupassen.

General Wille hat ein reiches Menschenalter durch sich der schweizerischen Armee geopfert und dem Vaterlande in der gefährlichstenPeriode seiner Geschichte unschätzbare Dienste geleistet. Er, der ein ganzem Leben lang für seine Ideen tapfer gekämpft, möge nun in Frieden ruhen L * Media vitae morti sumus ! Mitten im Leben sind vom Tod wir umgeben. Dieses Notkerschen Spruches erinnerte ich mich am Morgen de» 1. März, als mir der Tod von Bundeskanzler A d o l f S t e i g e r gemeldet wurde. Noch am Abend vorher sassen wir fröhlich in den Hallen des Bellevue, wo Bundeskanzler Steiger aus dem Schatze seiner Erinnerungen uns unterhielt, und morgens 8 Uhr des andern Tages war sein Erzählermund für immer verstummt, Adolf Steiger entstammte einer alten Berner Patrizierfamilie, studierte Rechtswissenschaften in Genf, Leipzig und Bern, praktizierte 10 Jahre als Anwalt und wurde dann ins Obergericht gewählt, dem er 7 Jahre angehörte. 41 Jahre alt erkor ihn die Bevölkerung der Bundesstadt zu ihrem Präsidenten. Er bekleidete dieses Amt 18 Jahre. Von 1903 bis 1917 war Steiger Vertreter der Stadt Bern im Grossen Rate, den er 1906/07 präsidierte. Im Jahre 1908 wurde er in den Stäuderat gewählt und war bis 1918 unser Kollege. Im Jahre 1918 wurde Steiger, der aua politischen Rücksichten als Stadtpräsident demissionierte, als Vizekanzler und am 12. Dezember desselben Jahres als Kanzler der Eidgenossenschaft gewählt.

Wenn Adolf Steiger auch das Adelsprädikat abgelegt, so konnte er seine Abstammung doch nicht verleugnen. Er war ein Mann ruhiger und gemessener Art, der gewissenhaft und arbeitsfreudig seine Obliegenheiten erfüllte. Ihm ward ein seltenes Organisationstalent
zuteil, das sich sowohl in den städtischen wie in seinen eidgenössischen Stellungen auswirkte.

Einfach und schlicht in seinem Auftreten, war er es auch in seinem Verkehr mit Vorgesetzten und Untergebenen.

Am Nachmittag den 13. März haben wir auf dem hochgelegenen Friedhof zu Flerden Herrn Nationalrat J o h a n n A n t o n C a f l i s c h die letzte Ehre erwiesen.

825Caflis wurde im Jahre 1860 in Flerden am Heinzenberg geboren.

Nach vorzüglicher Maturität an der Kantonsschule in Chur besuchte er die Universitäten Leipzig, München, Bern, Lausanne und Siena, um sich in den Rechts- und Staatswissenschaften auszubilden. In die Heimat zurückgekehrt, widmete sich der junge Caflisch zuerst der Anwaltspraxis,, betrieb aber wohl im Hauptamte die Landwirtschaft. Und ein Landwirt, ein echter Bauer ist, Caflisch Zeit seines Lebens geblieben. Bald musste er sich der Öffentlichkeit widmen. 6 Jahre bekleidete Caflisch das Amt des Kreispräsidenten, 3 Jahre war er Bezirkspräsident. Seit 1887 gehörte er dem Grossen Rate Graubündens an, welcher ihn in die Standeskomission und zum Regierungsstatthalter wählte. 6 Jahre sass Caflisch im bündnerischen Obergericht. Von 1900--1908 war er Mitglied des Regierungsrates und seit 1908 vertrat er seinen Kanton im Nationalrate.

Als Regierungsrat brachte Caflisch Ordnung in das bündnerische Gemeindewesen, Ordnung in das landwirtschaftliche Meliorationswesen.

Er war Gründer der kantonalen Gebäudeassekuranz. Es brauchte die Zähigkeit und Zielstrebigkeit eines Caflisch, um die Widerstände zu beseitigen, welche diesen Werken entgegenstunden.

Im Nationalrat war Caflisch ein energischer und zielbewusster Verfechter bäuerlicher Interessen, besonders derjenigen der Gebirgsbevölkerung.

Er liess keine Gelegenheit, keine Vorlage vorübergehen, ohne dass er sie auf ihre Auswirkung für die Gebirgsbevölkerung geprüft und seine Stellungnahme davon abhängig gemacht hätte.

Auch auf verkehrspolitischem Gebiete hat sich Caflisch stark betätigt.

Er war Mitglied und Präsident des Kreiseisenbahnrate IV, Mitglied des Verwaltungsrates der Rhätischen Bahn und Präsident der Chur-Arosabahn, deren Finanzierung wesentlich sein Verdienst ist.

Anton Caflisch war ein selbständiger Mann, der im Rate der Nation über das Mittel hinausragte. Seine .Voten waren wegen ihrer Originalität gerne gehört, auch wenn sie oft zum Widerspruch reizten.

In Caflisch hat die schweizerische und besonders die bündnerische Landwirtschaft einer der Besten verloren. Das Vaterland aber betrauert den Verlust des- wackern Eidgenossen.

Ich ersuche Sie zu Ehren der Verstorbenen sieh von Ihren Sitzen zu erheben.

*

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In den N a t i o n a l r a t sind folgende neue Mitglieder eingetreten, Herr J o h a n n e s Winzeler Kantonsrat, von Barzheim, in Stein am Rhein, an Stelle des zurückgetretenen Herrn Jakob Ruh ; Herr Paul Raschein: Kantonsrichter, in Malix, an Stelle des verstorbenen Herrn A. Caflisch; Herr Karl von Weber, Regierungsrat, in Schwyz, an Stelle des als Mitglied des Bundesgerichts gewählten Herrn Dr. Hans Steiner.

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