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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des am 26. Dezember 1924 zwischen der Schweiz und Japan abgeschlossenen Vertrages zur gerichtlichen Erledigung von Streitigkeiten.

(Vom 7. April 1925.)

I.

In Befolgung der "Weisungen, die im Monat Juni 1921 allen unsern Gesandtschaften gegeben worden waren, wandte sich der schweizerische Gesandte in Tokio an die japanische Eegierung mit dem Ersuchen, sie möchte mit uns in Verhandlungen über einen Schiedsvertrag eintreten, der den aus dem Volkerbundsvertrage hervorgegangenenKechtsgrundsätzen und gleichzeitig dem Statut des ständigen internationalen Gerichtshofes Bechnung tragen sollte. Die japanische Regierung nahm diese Eröffnungen gut auf, verhehlte indessen nicht, dass ihr der Grundsatz der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit zu ernsten Bedenken Anlass gebe und dass sie kaum von der Zurückhaltung abgehen könne, die auf diesem Gebiete so lange für die Politik der Grossmächte und vor einem Jahrzehnt auch noch für die schweizerische Schiedsgerichtspolitik wegleitend gewesen ist, Sie erklärte sich dagegen bereit, über einen Vertrag vom herkömmlichen Schlage zu verhandeln, etwa nach Art der Abkommen, welche die Schweiz 1904 mit Belgien, Grossbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Italien, Österreich-Ungarn, Frankreich und Schweden und Norwegen abgeschlossen hat.

Man konnte sich fragen, ob es unter diesen Umständen überhaupt einen Zweck habe, auf Verhandlungen einzutreten, da diese zu einem Schiedsvertrage führen sollten, der wesentlich von der Vertragsart abweicht, die der Bundesrat in seinem Berichte vom 11. Dezember 1919 an die Bundesversammlung ins Auge gefasst hat und die den von den eidgenössischen Bäten zu wiederholten Malen gutgeheissenen politischen Eichtlinien nicht mehr entspricht. Der Bundesrat kam indessen zu dem Schlüsse, ein Schiedsvertrag, und wäre er noch so unvollkommen, sei einem vertragslosen Zustande vorzuziehen unter

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160 der Voraussetzung, dass er gewisse Bürgschaften biete, wie zum Beispiel dieMöglichkeit der Anrufung des ständigen internationalen Gerichtshofes. Demnach wurde im Dezember 1923 der schweizerische Gesandte in Japan beauftragt, der japanischen Eegierung den Entwurf eines Vertrages zu unterbreiten,, wonach die allenfalls zwischen den beiden Staaten entstehenden Streitfall» rechtlicher Natur auf gerichtlichem Wege erledigt werden sollten unter Ausschluss jener Streitigkeiten, die sich auf die Lebensinteressen, die Unabhängigkeit oder die Ehre der Vertragsstaaten beziehen oder welche die Interessen, dritter Mächte berühren.

Mit Note vom 26. Juni 1924 schlug die japanische Kegierung einen Gegenentwurf vor, worin die Mehrzahl der Bestimmungen des schweizerischen Entwurfes aufgeführt war, der aber festlegen sollte, dass der ständige internationale Gerichtshof erst angerufen werden könnte, nachdem die Parteien eine besondere, Schiedsordnung abgeschlossen hätten.

Obwohl die Tragweite des Vertrags dadurch noch weiter beschränkt wurde,, glaubte der Bundesrat, die Vorschläge der japanischen Regierung mit einigen redaktionellen Abänderungen doch annehmen zu können, und er gab Herrn Alfred Brunner, der im August letzten Jahres als interimistischer Geschäftsträger für Japan bezeichnet worden ist, die nötigen Vollmachten zum Abschluss der Verhandlungen.

Am 26. Dezember 1924 haben der japanische Minister des Auswärtigen und der schweizerische Geschäftsträger in Tokio ihre Unterschrift unter den Vertrag gesetzt, dessen Wortlaut unten folgt.

II.

Dieser Vertrag ist von einfachster Art und bedarf keiner langen ErläuteiOngen.

Artikel l stellt den Grundsatz auf, dass Streitigkeiten rechtlicher Natur,, die zwischen den Parteien weder auf diplomatischem Wege noch durch irgendein anderes Schlichtungsverfahren beigelegt werden können, einer gerichtlichen Erledigung unterworfen werden sollen, dass es aber jeder der Parteien freisteht, diesem Verfahren jegliche Streitigkeit zu entziehen, die nach ihrer eigenen Ansicht ihre Lebensinteressen, ihre Unabhängigkeit oder ihre Ehre oder die Interessen dritter Mächte berühren könnte. Wie bereits bemerkt, ist dies der klassische Vorbehalt, der sich in allen schweizerischen Schiedsverträgen vom Anfange dieses Jahrhunderts findet.

Artikel 2 erklärt den ständigen internationalen Gerichtshof als zuständig, über die gerichtlich zu erledigenden Streitfälle zu befinden; dies ist das wichtigsteZugeständnis, das Japan unserer gegenwärtigen Schiedspolitik gemacht hat.

Man braucht in der Tat nicht zu betonen, wie vorteilhaft es ist, ein zum voraus gebildetes Gericht anrufen zu können, das hinsichtlich der Unparteilichkeit die grössten Sicherheiten bietet und seinen Spruch auf eine eigentliche Recht-

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«precbung zu gründen vermag, anstatt dass ein Gelegenheitsgericht zu Hilfegenommen werden musa, das natürlicherweise nur selten das Ansehen und moralische Gewicht eines ständigen Gerichtshofes besitzt und bei seinen Entscheiden von Gründen politischer Zweckmässigkeit kaum je völlig absehen kann. In dieser Hinsicht bildet somit der Vertrag einen unstreitigen Fortschritt gegenüber den alten Abkommen herkömmlicher Art.

Es versteht sich von selbst, dass die Parteien für jeden Streitfall vereinbaren können, die vom ständigen internationalen Gerichtshofe bestellte Kammer für abgekürztes Verfahren anzurufen, die zu jederzeit zusammentreten und die Angelegenheiten rasch erledigen kann, oder aber sich an ein Schiedsgericht /u.

wenden, falls es wünschenswert erscheinen sollte, die Entscheidung Fachleuten zu übertragen.

In Artikel 8 ist vereinbart, dass in jedem Falle eine besondere Schiedsordnung den Streitgegenstand und die dem Gerichtshofe zu übertragenden, besondern Befugnisse festsetzen soll. Diese Schiedsordnung wird durch einfachen Notenaustausch zwischen beiden Regierungen abgeschlossen: auf diese Weise lassen sich die mit Verhandlungen über einen Sondervertrag notwendigerweise verknüpften Verzögerungen vermeiden.

Nach Artikel 4 verpflichten sich die Parteien, den Spruch des Gerichtshofes nach Treu und Glauben zu erfüllen und während der Dauer des Gerichtsverfahrens jegliche Massnahme zu vermeiden, die auf die Erfüllung des zu fällenden Spruches nachteilig zurückwirken kann.

Artikel 5 setzt die Gültigkeit des Vertrags auf fünf Jahre fest; er kann indessen durch stillschweigende Verlängerung weiterhin in Kraft bleiben bis zum Ablauf einer Jahresfrist, gerechnet vom Tage an, wo eine der Parteien der andern ihre Kündigung bekanntgegeben hat. Die Gültigkeitsdauer von fünf Jahren ist verhältnismässig kurz; sie ist auf Verlangen der japanischen Eegierung vereinbart worden, «in der Meinung, dass sich der Fortschritt des Gedankens der friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle rasch und augenfällig vollziehen soll».

Der Vertrag, den wir uns beehren, Ihnen zur Genehmigung zu empfehlen, muss in der Tat als ein Abschnitt im Entwicklungsgänge des Gedankens der gerichtliehen Erledigung internationaler Streitfälle betrachtet werden, nicht aber kann er als die Verwirklichung des Programms gelten,
das wir uns auf diesem Gebiete vorgezeichnet haben, ^u gelegener Zeit wird er als Ausgangspunkt für neue Verhandlungen zu dienen haben, die uns ohne Zweifel erlauben .werden, dem uns vorschwebenden Ziele, nämlich der denkbar weitesten Anwendung des Grundsatzes der obligatorischen unbedingten Schiedsgerichtsbarkeit, näher zu kommen.

Trotz seiner Unzulänglichkeiten und ungeachtet seiner beschränkten Tragweite kann dieser Vertrag für die Entwicklung der schweizerisch-japanischen Beziehungen, die wir gerne sich immer enger gestalten sehen möchten, förderlich sein, und der offensichtliche gute Wille, den die japanische Regierung bezeugt

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hat, um mit uns zum Abschluss eines Vertrages zur gerichtlichen Erledigung von Streitfällen zu gelangen, darf uns ein wertvolles Pfand ihrer freundschaftlichen Gefühle gegenüber unserm Lande sein.

Der Bundesrat zweifelt denn auch nicht, dass Sie den nachstehenden Entwurf eines Bundesbeschlusses gutgeheissen werden.

Bern, den 7. April 1925.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Musy.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des am 26. Dezember 1924 zwischen der Schweiz und Japan abgeschlossenen Vertrages zur gerichtlichen Erledigung von Streitigkeiten.

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 7. April 1925, beschliesst: t 1. Der am 26. Dezember 1924 zwischen der Schweiz und Japan abgeschlossene Vertrag zur gerichtlichen Erledigung von Streitigkeiten wird genehmigt.

2. Der Bundesrat wird mit dem Vollzuge dieses Beschlusses beauftragt.

163 (Übersetzung aus dem französischen Urtext.)

Vertrag zwischen

der Schweiz und Japan zur gerichtlichen Erledigung von Streitigkeiten.

Der Schweizerische Bundesrat und Seine Majestät der Kaiser von Japan, von dem Wunsche geleitet, die zwischen der Schweiz und Japan bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und etwaige zwischen den beiden Ländern entstehenden Streitigkeiten soweit als möglich im Wege einer gerichtlichen Erledigung zu schlichten, sofern sie einer solchen Erledigung fähig sind, im Sinne von Artikel XIII des Völkerbundsvertrages, haben beschlossen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschlicssen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt der Schweizerische Bundesrat: Herrn Alfred Brunner,' schweizerischen Geschäftsträger in Japan, und Seine Majestät der Kaiser von Japan: den Baron Kijuro Shidehara, Jusaranii, Inhaber I. Klasse des Kaiserlichen Ordens der Aufgehenden Sonne, Minister des Auswärtigen, die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind: Artikel 1.

Streitigkeiten rechtlicher Natur, die zwischen den hohen vertragschliessenden Teilen entstehen sollten und auf diplomatischem Wege oder durch irgendein anderes Vergleichsverfahren nicht haben beigelegt werden können, sind einer gerichtlichen Erledigung zu unterwerfen.

Es bleibt indessen jedem der hohen vertraggchliessenden Teile unbenommen, der gerichtlichen Erledigung jeglichen Streitfall zu entziehen, der nach seiner Ansicht seine Lebensinteressen, seine Unabhängigkeit oder seine Ehre oder die Interessen dritter Mächte berühren würde.

Artikel 2.

Streitigkeiten, die einer gerichtlichen Erledigung im Sinne des gegenwärtigen Vertrags fähig sind, sind dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe zu unterbreiten.

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164 Die hohen vertragschliessenden Teile können in jedem Einzelfall übereinkommen, die Streitigkeit vor dio vom Ständigen Internationalen Gerichtshöfe bestellte Kaminer für abgekürztes Verfahren zu bringen.

Desgleichen können sie übereinkommen, die Streitigkeit einem im gemeinsamen Einvernehmen gebildeten Schiedsgerichte zu unterbreiten. In diesem Falle finden, sofern keine anderweitige Abmachung getroffen wird, die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages in entsprechender Weise auf das" Schiedsgerichtsverfahren Anwendung.

Artikel 8.

Bevor sich die hohen vertragschliessenden Teile an den Ständigen Internationalen Gerichtshof wenden, setzen sie in jedem Einzelfall in Nachachtung der Bestimmungen des Statuts und des Beglements des Ständigen Internationalen Gerichtshofes eine besondere Schiedsordnung fest, worin der Streitgegenstand, die etwaigen besondern Befugnisse des Gerichts, sowie die sonstigen zwischen ihnen vereinbarten Einzelheiten genau bestimmt werden, Die Schiedsordnuug wird durch Notenaustausch zwischen den hohen vertragschliessenden Teilen festgesetzt.

Zu deren Auslegung ist in allen Stücken der Ständige Internationale Gerichtshof zuständig.

Artikel 4.

Der Spruch des Ständigen Internationalen Gerichtshofes ist von den Parteien nach Treu und Glauben zu erfüllen.

Die hohen vertragschliessenden Teile werden während der Dauer des Gerichtsverfahrens soweit als möglich jegliche Massnahme vermeiden, die auf die Erfüllung des vom Ständigen Internationalen Gerichtshöfe zu fallenden Spruches nachteilig zurückwirken kann.

Artikel 5.

Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert werden. Die Batifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Tokio ausgetauscht werden.

Der Vertrag gilt für die Dauer von fünf Jahren, gerechnet vom Austausche der Batifikationsurkunden an. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieses Zeitraums gekündigt, so bleibt er weiter in Kraft bis zum Ablauf einer Jahresfrist, gerechnet von dem Zeitpunkt an, wo einer der hohen vertragschliessenden Teile dem andern seine Absicht bekanntgegeben hat, ihm ein Ende zu setzen.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet und ihm ihre Siegel beigedrückt.

So geschehen zu Tokio, in doppelter Urschrift, den 26. Dezember 1924.

Gez. Brunner.

Gez. Shidehara.

iäK-fe--

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des am 26. Dezember 1924 zwischen der Schweiz und Japan abgeschlossenen Vertrages zur gerichtlichen Erledigung von Streitigkeiten. (Vom 7. April 1925.)

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