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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des Sehiedsvertrages vom 17. November 1924 zwischen der Schweiz und der argentinischen Republik.

(Vom 6. Februar 1925.)

In Übereinstimmung mit dem von den eidgenössischen Räten zu wiederholten Malen gebilligten politischen Programm hatten wir den schweizerischen Gesandten in Buenos Aires bereits im Juni 1921 beauftragt, der argentinischen Regierung zur Kenntnis zu bringen, dass wir mit ihr gerne in Verhandlungen über einen Schiedsvertrag eintreten würden.

Diese EröffnuHgen. fanden gute Aufnahme. Es schlössen sich daran Besprechungen, die zunächst von einem ähnlichen Vertragstypus ausgingen wie die jüngst von der Schweiz abgeschlossenen Verträge für ein Vergleichs- und Gerichtsverfahren ; sie führten indessen zu keiner Einigung, Vielmehr schlug die argentinische Regierung am 2. Mai 1924 eine neue, äusserst einfache Grundlage vor, die unter Verzicht auf Bestimmungen über das Vergleichsverfahren lediglich in Aussicht nahm, Streitigkeiten, die auf diplomatischem Wege nicht geschlichtet werden können, einem von Fall zu Fall zu bildenden Schiedsgerichte zu überweisen.

Es ist kaum zu fürchten, Anstände zwischen zwei so entfernten Staaten wie die Schweiz und Argentinien könnten sich je so sehr verschärfen, dass eine Schlichtung durch unbeteiligte Dritte unumgänglich wird. Allfällige Konflikte berühren weder Lebensintereesen, noch erregen sie die öffentliche Meinung in dem Masse, dass die Verhandlungen deswegen die gewohnte ruhige Bahn verlassen könnten, und sollten je Streitigkeiten tatsächlich auf diplomatischem Wege nicht beigelegt werden können, sozweifellos nicht, weil es den Parteien an Versöhnlichkeit gebrieht, sondern weil sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht die Streitsache verschieden beurteilen, diese somit nur durch ein endgültig Recht sprechendes Gericht entschieden werden kann. Wir konnten uns denn auch ohne Bedenken entschliessen, von der Einführung eines Vergleichsverfahrens Umgang zu nehmen, zumal dessen Anwendung praktisch ohne Zweifel recht beschränkt gewesen wäre.

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Dagegen hätten wir grossen Wert darauf gelegt, dass der ständige internationale Gerichtshof als zuständig erklärt würde, letztinstanzlich über die zwischen beiden Ländern entstehenden Streitigkeiten zu entscheiden.

Es spricht in der Tat sehr vieles dafür, dass dem Haager Gerichtshöfe möglichst viele zwischenstaatliche Streitigkeiten zur Erledigung überwiesen werden; so würde sich dank seinem hohen Ansehen eine Rechtsprechung herausbilden, die verschiedene noch unsichere Grundsätze des Völkerrechts festlegen und mithin dazu beitragen würde, die Sicherheit der internationalen Beziehungen zu erhöhen. Wie bekannt, hält eich die argentinische Regierung noch von den Arbeiten des Völkerbundes fern, wie sie bisher auch dem Statut des ständigen internationalen Gerichtshofes nicht beigetreten ist; so zog sie denn auch das System der von Fall zu Fall zu bildenden Schiedsgerichte vor, und wir haben ihren Standpunkt angenommen.

Ein schweizerischer Gegenentwurf, der gewisse nebensächliche Punkte genauer fasste, konnte im Sinne des argentinischen Entwurfes ausgearbeitet werden. Er wurde beinahe ohne Abänderungen angenommen, und am 17. November 1924 haben Herr Egger und der Minister des Auswärtigen der argentinischen Republik den Vertrag unterzeichnet, dessen Wortlaut unten folgt.

II.

Der Vertrag beruht auf dem Grundsatze der obligatorischen Sehiedsgerichtsbarkeit für alle Streitigkeiten irgendwelcher Art, die zwischen den beiden Staaten entstehen sollten, vorausgesetzt, dass diese Streitigkeiten keine Verfassungsgrundsätze berühren. Jeder Vertragsteil kann in der Tat das Schiedsverfahren ablehnen, wenn os seiner Meinung nach irgendeinen Grundsatz seiner Verfassung in Frage stellen würde. Der gleiche Vorbehalt findet sich bereits im schweizerisch-brasilianischen Vertrage zur gerichtlichen Erledigung von Streitigkeiten vom 23. Juni 1924 und ist in der einschlägigen Botschaft vom 28. Oktober 1924 einlässlich untersucht worden. Wir brauchen daher an dieser Stelle nicht darauf zurückzukommen.

Nach den Bestimmungen des Artikels 2 muss das Schiedsgericht für jeden Einzelfall eigens gebildet werden; es sind jedoch alle Vorsichtsmassregeln getroffen worden, damit die Bildung des Gerichts nicht an der Haltung der einen oder andern Vertragspartei scheitern kann, sich vielmehr auf Grund des Artikels 45 des Haager
Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 selbsttätig vollzieht, falls sich die beiden Staaten binnen sechs Monaten, nachdem ein Begehren nach schiedsgerichtlicher Austragung einer Streitigkeit gestellt worden ist, über die Wahl der Schiedsrichter nicht haben verständigen können. Grundsätzlich ist das Schiedsgericht aus fünf Mitgliedern zu bilden, die dem Verzeichnis der Mitglieder des ständigen Schiedsgerichtshofes entnommen werden; je eines von ihnen ernennt jeder Vertragsteil nach freiem Belieben ; die drei übrigen, unter ihnen der Ob-

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mann, werden in gemeinschaftlichem Einverständnis gewählt. Wenn die Parteien es als zweokmässig erachten, können sie sich indessen dahin ·einigen, die Zahl der Schiedsrichter zu verringern oder zu erhöhen. Ausser·dem steht es ihnen frei, im gemeinschaftlichen Einverständnis Sachverständigen die Behandlung wirtschaftlicher oder technischer Fragen anzuvertrauen.

In der Regel müssen die Parteien über jede schiedsrichterlich auszutragende Streitsache eine Schiedsordnung abschliessen, in der der Streitgegenstand, der Sitz und die besondern Befugnisse des Gerichts, die Entschädigung der Schiedsrichter, die Höhe des von jeder Partei als Kostenvorsohuss zu hinterlegenden Betrages, sowie alle sonstigen als notwendig betrachteten Einzelheiten genau festgesetzt werden. Es ist vereinbart worden, ·dass die Schiedsordnung nicht durch einen eigenen Vertrag, sondern durch einfachen Austausch diplomatischer Noten abgeschlossen wird, was die erforderliche Zeit für die Erledigung dieser Vorfrage auf ein Mindestmaß beschränkt.

Falls jedoch die Verhandlungen hierüber auf Schwierigkeiten stossen und ·eine Einigung binnen sechs Monaten, nachdem ein Begehren nach schiedsgerichtlicher Austragung einer Streitigkeit. gestellt worden ist, nicht zustande kommt, so steht es den Parteien frei, vom Abschluss einer Schiedsordnung Umgang zu nehmen und ihre Ansprüche unmittelbar vor dem Schiedsgerichte, dessen Bildung durch die Bestimmungen des Artikels 45 ·des Haager Abkommens sichergestellt ist, geltend zu machen. In diesem Falle hat das Gericht im Haag Sitz.

Unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung hat sich das Gericht ;an die Vorschriften über das Verfahren zu halten, die im Kapitel III des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle .aufgestellt sind. Es trifft seine Entscheidung mit Stimmenmehrheit.

Die Parteien verpflichten sich, den Schiedsspruch nach Treu und ·Glauben zu erfüllen und während der Dauer des Schiedsverfahrens auf Jede Massnahme zu verzichten, die auf die Erfüllung des Spruches nachteilig zurückwirken könnte. Im Spruche selbst sind erforderlichenfalls die Fristen anzugeben, innerhalb deren er erfüllt werden tnuss.

Wie die Übrigen von der Schweiz neuerdings abgeschlossenen Abkommen dieser Art gilt der Vertrag für die Dauer von zehn Jahren.

Wird er nicht sechs Monate vor
Ablauf dieser Frist gekündigt, so wird ·seine Dauer stillschweigend um je zehn Jahre verlängert, so dass angenommen werden kann, er werde in Kraft bleiben bis zu dem Zeitpunkte, wo die Entwicklung des Völkerrechts die Möglichkeit bieten wird, einen neuen Vertrag an seine Stelle zu setzen.

III.

Der Vertrag, den wir uns beehren, Ihnen hiermit zur Genehmigung zu empfehlen, ist wohl nicht von so hoher sittlicher und praktischer Bedeutung wie der schweizerisch-italienische Vertrag vom 20. September 1924, Bundeablatt. 77. Jahrg. Bd. I.

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450 dessen Bestimmungen Sie junget gutgeheissen haben. Er bezeichnet trotzdem einen neuen Schritt in der Geschichte der Beziehungen zwischen der Schweiz und Argentinien, zweier Länder, die, wiewohl räumlich entfernt, durch manche gemeinschaftliche Bestrebungen und wichtige wirtschaftliche Bande verknüpft sind. Ungeachtet seiner gedrängten Kürze, kann dieser Vertrag inskünftig tatsächlich Dienste leisten, und er ist sicherlich ein neuer Beweis für die freundschaftlichen Gefühle, die zwischen beiden Staaten bestehen.

Der Bundesrat zweifelt denn auch nicht, dass Sie den nachstehenden Entwurf zu einem Bundesbeschluss gutheissen werden.

B e r n , den 6. Februar 1925.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident: Häberlin.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

(Entwurf) · ·

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des Schiedsvertrages vom 17. November 1924 zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und der argentinischen Republik.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 6. Februar 1925, beschliesst: L Der Schiedsvertrag vom 17. November 1924 zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und der argentinischen Republik wird genehmigt.

II. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

451 (Übersetzung aus dem französischen Urtext.)

Schiedsvertrag zwischen

der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Argentinischen Republik.

Der Schweizerische Bundesrat und der Präsident des Argentinischen Volkes, von dem Wunsche geleitet, die zwischen der Schweiz und Argentinien bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und die allenfalls zwischen den beiden Ländern entstehenden Streitigkeiten soweit als möglich auf schiedsrichterlichem Wege beizulegen, haben beschlossen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschliessen und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt" Der Schweizerische Bundesrat : Seine Exzellenz Herrn Dr. Carl Egger., seinen ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der Argentinischen Regierung ; Der Präsident des Argentinischen Volkes : Seine Exzellenz Herrn Dr. Angel Gallardo seinen Staatssekretär im Departement der Auswärtigen Angelegenheiten und des Kultus, die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind: Artikel 1.

Die Hohen vertragsch i essenden Teile verpflichten sich, auf Begehren eines von ihnen alle Streitigkeiten irgendwelcher Art, die zwischen ihnen entstehen sollten und innerhalb einer angemessenen Frist auf diplomatischem Wege nicht haben beigelegt werden können, dem Schiedsgerichtsverfahren zu unterwerfen.

Jedem der Hohen vertragschliessenden Teile steht es indessen zu, das Schiedsgerichtsverfahren für jede Streitigkeit abzulehnen, die seines Erachtens mit seinen Verfassungsgrundsätzen zusammenhängende Fragen berührt.

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Artikel 2.

Unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung ist das Schiedsgericht aus fünf Mitgliedern zu bilden, die dem Verzeichnisse der Mitglieder des durch das Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 eingesetzten ständigen Scbiedsgerichtsbofes entnommen werden.

Die vertragschliessenden Teile ernennen in jedem Einzelfalle, jeder für sich, nach freier "Wahl je einen Schiedsrichter und wählen im gemeinsamen Einverständnisse die drei übrigen, sowie unter diesen letztern den· Obmann.

Die gemeinschaftlich gewählten Mitglieder des Gerichtes sollen nicht Angehörige der vertragschliessenden Staaten sein noch auf deren Gebiete Wohnsitz haben oder in deren Dienste stehen.

Sind die gemeinschaftlich zu wählenden Mitglieder oder der Obmann, innerhalb von sechs Monaten, nachdem einer der Vertragsteile ein Begehren nach schiedsgerichtlicher Austragung einer Streitigkeit gestellt hat, nicht ernannt, so erfolgen die Wahlen gemäss dem Verfahren, das in Artikel 45 des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 vorgesehen ist.

Im Falle des Ablebens oder des Rücktrittes eines Gerichtsmitgliedes geschieht dessen Ersetzung in der gleichen Weise wie die Ernennung, Artikel 3.

Die Hohen vertragschliessenden Teile setzen in jedem Einzelfalle eine Schiedsordnung fest, worin der Streitgegenstand, der Sitz und die besondere Befugnisse des Gerichtes, die Entschädigung der Schiedsrichter, die Höhe des von jeder Partei als Kostenvorschuss zu hinterlegenden Betrages., sowie alle sonstigen als notwendig betrachteten Einzelheiten genau bestimmt werden.

Die Schiedsordnung wird durch Notenaustausch zwischen den vertragschliessenden Teilen abgeschlossen. Zu deren Auslegung ist in allen Stücken das Schiedsgericht zuständig.

Ist die Schiedsordnung binnen sechs Monaten, nachdem einer der Vertragsteile ein Begehren nach schiedsgerichtlicher Austragung einer Streitigkeit gestellt hat, nicht festgesetzt, so fällt das gemäss Artikel 2 gebildete Schiedsgericht seine Entscheidung auf Grund der Ansprüche, die ihm unterbreitet werden. In diesem Falle hat das Gericht,. sofern nichtsanderes vereinbart wird, seinen Sitz im Haag.

Artikel 4.

Das Gericht trifft seine Entscheidungen mit Stimmenmehrheit.

Im Schiedsspruch sind erforderlichenfalls die Fristen anzugeben, innerhalb deren er erfüllt werden muss.

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i ;

Artikel 5.

Die Hohen vertragschliessenden Teile verpflichten sich, den Spruch des Gerichtes nach Treu und Glauben zu erfüllen.

Sie verpflichten sich ferner, während der Dauer des Schiedsverfahrens auf jegliche Massnahme zu verzichten, die auf die Erfüllung des Spruches nachteilig zurückwirken kann.

Artikel 6.

Unter Vorbehalt entgegenstehender Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages sind für das .Schiedsverfahren die Artikel 51 his 85 des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907 zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle massgebend.

Artikel 7.

Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Buenos Aires ausgetauscht werden.

Der Vertrag gilt für die Dauer von zehn Jahren, gerechnet vom Austausche der Ratifikationsurkunden an. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt, so bleibt er für einen neuen Zeitraum von zehn Jahren in Kraft und so fort für je einen Zeitraum von zehn Jahren.

Zu Urkund dessen haben die obengenannten Bevollmächtigten dea gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet und ihm ihre Siegel beigedrückt.

So geschehen in doppelter Urschrift zu Buenos Aires, der Hauptstadt der Argentinischen Republik, am 17. Tage des Monats November des Jahres 1924.

(gez.)

Egger.

(gez.)

Angel Gallardo.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des Schiedsvertrages vom 17. November 1924 zwischen der Schweiz und der argentinischen Republik. (Vom 6. Februar 1925.)

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