158 # S T #

2002

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beteiligung des Bundes an den Massnahmen des Kantons Appenzell A.-Rh.

zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

(Vom 28. September 1925.)

Am 4. September 1925 hat der Bundesrat den eidgenössischen Räten einen Bericht über die Beteiligung des Bundes an den Massnahmen des Kantons Baselland zur Bekämpfung der Folgen der Arbeitslosigkeit in der Seidenbandindustrie unterbreitet. Seither ergab sich die Notwendigkeit, ebenfalls dem Kanton Appenzell A.-Rh., in dem auch «ine ausserordentliche Arbeitslosigkeit herrscht, die Unterstützung des Bundes angedeihen zu lassen. Der Bundesrat sieht sich daher veranlasst, der Bundesversammlung in dieser Angelegenheit im gleichen Sinn wie im Fall von Baselland Bericht zu erstatten, in der Meinung, dass beide Geschäfte zusammen behandelt würden und daher auch das vorliegende in der gegenwärtigen Session erledigt werden möchte.

Die Notlage, welche die Regierung des Kantons Appenzell A.-Rh.

dazu führte, sich an den Bund um finanzielle Unterstützung ihrer Massnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu wenden, hat ihre Urflache in der bereits jahrelang dauernden heftigen Krisis der Stickereiindustrie und ihrer Hilfsindustrien. Die schwierigen Produktions- und Absatzverhältnisse dieser Industrie haben die Behörden schon wiederholt beschäftigt und gaben Veranlassung zum Bundesbeschluss vom 13, Oktober 1922 betreffend staatliche Hilfeleistung für die schweizerische Stickereiindustrie (s. auch die Botschaft hie/u vom 9. Oktober 1922).

Wie in den jährlichen Geschäftsberichten des Bundesrates näher ausgeführt wurde, haben dank dieser Hilfsaktion viele hartbedrängte Existenzen sich über Wasser halten können. Allein in letzter Zeit hat sich leider die Krise wieder verschärft, nicht nur in der Stickerei, sondern auch in der Weberei. Besonders stark betroffen ist hievon der Kanton Appenzell A.-Rh., der von allen schweizerischen Kantonen verhältnismässig am stärksten industrialisiert ist (nach der letzten eidgenössischen Volkszählung entfallen von 100 Erwerbstätigen 65,2 auf die Gruppe ,,Veredelung der Natur- und Arbeitserzeugnisse", gegenüber 44,3 im Durchschnitt der Schweiz). Dazu kommt als krisenverstärkendes Moment eine stark einseitige Orientierung der Industrie, wie sie in andern Kantonen kaum zu finden ist: von 100 in der Industrie tätigen Personen entfallen

159 71 auf die Textilindustrie. Diese ist aber im Kanton Appenzell A.-Rh.

gerade in denjenigen Zweigen vertreten, die heute von der Krisis ergriffen sind, nämlich in der Stickereiindustrie, auf die 45 % sämtlicher in der Textilindustrie Beschäftigten fallen, in der Baum Wollweberei (meist Plattstichweberei) die einen Viertel von sämtlichen in der Textilindustrie Beschäftigten Arbeit gibt, weiter in der Seidenbeuteltuchweberei, sowie in der Bleicherei und Ausrüsterei von Baumwollwaren, die ebenfalls stark zu leiden haben. Über die Krise in der Stickereiindustrie braucht wohl kaum noch etwas ausgeführt zu werden, ist doch der Export von Monat zu Monat weiter gesunken und hat mit dem Monat August einen noch nie gesehenen Tiefstand erreicht. Neben dieser Krisis hat aber der Kanton Appenzell A.-Rh. auch noch die Notlage der Plattstichweberei in ihrer ganzen Schwere zu ertragen. Die Ausfuhr von Plattstichgeweben ·-- der Inlandverbrauch fällt demgegenüber nicht wesentlich ins Gewicht -- sank fortwährend und erreichte im Monat August nur noch 33 q und Fr. 121,000 gegenüber 235 q und Fr. 522,000 im Durchschnitt der Jahre 1910 bis 1913; die Ausfuhrmenge beträgt also heute bloss 14% der Ausfuhr von 1910/13.

Die bedrängte Lage zahlreicher Arbeitsloser zwang die appenzellischen Behörden schon vor einem Jahr, für den Winter 1924/25 in einem gewissen Umfang Unterstützungen auszurichten. Die wachsende Not in vielen Familien einerseits, der Mangel an staatlichen Geldern anderseits, führten in der Folge den Regierungsrat dazu, einen Aufruf an die Bevölkerung zu erlassen und zugunsten darbender Familien von Arbeitslosen eine freiwillige Sammlung durchzuführen. Auf diese Weise sind bisher rund Fr. 30,000 zusammengekommen, die während der vergangenen Wochen zum Teil unter die Bedürftigen verteilt wurden. Angesichts der sich weiter verschärfenden Krisis und der sehr schlechten Aussichten für die nächste Zeit rnusste sich jedoch die appenzellische Regierung sagen^ dass nur durch eine umfassende Hilfsaktion einigermassen ausreichend geholfen werden könne. Sie stellte ein Notstandsprogramm auf und ersucht, nachdem sie zuerst mündlich durch eine Delegation die schwierige Wirtschaftslage des Kantons auseinandergesetzt und auf die dringende Notwendigkeit einer solchen ausserordentlichen Aktion hingewiesen hatte, in einer
.Eingabe vom 5./10./11. September an das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement den Bund um seine finanzielle Beihilfe. Das Programm sieht folgende Massnahmen vor : a, Veranstaltung von Kursen, welche der beruflichen Ausbildung Arbeitsloser im Sinn einer Umlernung dienen. Vorläufiger Kostenaufwand Fr, 5000, woran entsprechend dem Gesuch des appenzellischen Regierungsrates der Bund 50 °/o oder Fr. 2500 beizutragen hätte.

b. Durchführung von Notstandsarbeiten. Vorläufiger Kostenaufwand Fr. 60,000, wovon entsprechend dem Gesuch des appenzellischen Regierungsrates der Bund 50 % oder Fr. 30,000 zu übernehmen hätte.

160 c. Verabfolgung von Arbeitslosenunterstützungen. Vorläufiger Kosteuaufwand FT. 60,000, woran entsprechend dem Gesuch des appenzellischen Regierungsrates der Bund 40 % oder Fr. 24,000 zu zahlen hätte.

Nach dieser Aufstellung würde sich der Bund an den Kosten der verschiedenen Massnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit insgesamt Fr. 56,500 beteiligen. Die Regierung des Kantons Appenzell A,-Eh..

macht jedoch gleichzeitig geltend, dass sie wahrscheinlich durch die Verhältnisse werde gezwungen werden, mehr aufzuwenden als unter lit. a--e vorgesehen. Sie stellt daher das Gesuch, der Bund möge ihr insgesamt einen Beitrag bis zu Fr. 200,000 zur Verfügung stellen, in der Meinung,, dass auch der Kanton und die Gemeinden entsprechend mehr zu leisten, hätten und die Aktion vor Erschöpfung dieses Betrages abgebrochen würde,, sobald die wirtschaftliche Lage es irgendwie gestatte.

Im eingangs erwähnten Bericht vom 4. September 1925 hat der Bundesrat den Grundsatz aufgestellt, dass im allgemeinen eine finanzielle Mitwirkung des Bundes auf dem Gebiet der Arbeitslosenfürsorge nur im Rahmen des Bundesgesetzes vom 17. Oktober 1924 über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung in Frage komme, im übrigen aber die Arbeitslosenunterstützung Sache der Kantone sei und Abweichungen von dieser Regel nur ausnahmsweise, bei Vorliegen gana ausserordentlicher Verhältnisse, zugestanden werden könnten. An diesem Prinzip muss nach wie vor festgehalten werden, einmal deswegen, weil sonst die Arbeitslosenversicherung gefährdet würde, namentlich aber auch mit Rücksicht auf die Bundesfinanzen. Eine tragfähige Arbeitslosenversicherung konnte sich angesichts der lang andauernden Krisis im Kanton Appenzell A.-Rh. nicht entwickeln, so dass auf diesem Wege den notleidenden Arbeitern nicht oder nicht genügend geholfen werden kann. Da aber offenkundig ist, dass in weiten Kreisen der Bevölkerung von Appenzell A.-Rh. ein eigentlicher Notstand herrscht, den der Kanton aus eigenen Kräften nicht bemeistern kann, kam der Bundesrat zum Schluss, es sei die nachgesuchte Hilfe zu gewähren. Die erforderliche Summe kann auch hier -- gleich wie im Fall von Baselland -- dem Restbetrag des mit Bnndesbeschluss vom 13. Oktober 1922 zum Zweck der Arbeitslosenfürsorge gewährten 50-Millionen-Kredites entnommen werden. Demgemäss beschloss
heute der Bundesrat: 1. Dem vom Regierungsrat des Kantons Appenzell A.-Rh. in seiner Eingabe vom 5./10./11. September 1925 an das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement aufgestellten Notstandsprogramm wird grundsätzlich zugestimmt.

2. Der Bundesrat erklärt sich grundsätzlich bereit, im Rahmen dieses Programmes und bis zu einem Höchstbetrag von insgesamt Fr. 200,000 Beiträge zu gewähren von maximal 50 % der Kosten für die Umschulungskurse, von 20 bis maximal 60 °/o der Kosten

161

für die Notstandsarbeiten, von maximal 40 °/o der Auslagen für die Ausrichtung von Arbeitslosenunterstützungen, 3. Die erforderlichen Aufwendungen bis zum Maximalbetrag von Fr. 200,000 gehen zulasten des mit Bundesbeschluss vom 13. Oktober 1922 gewährten Kredites von 50 .Millionen Franken.

4. Das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement wird ermächtigt, in Verbindung mit der Regierung des Kantons AppeVizell A.-Rh. die nähern Vorschriften über die Durchführung dieses Beschlusses aufzustellen.

Der Beschluss selbst gibt nicht Anlass zu weitern Bemerkungen.

Von besonderer Wichtigkeit ist die berufliche Umschulung derjenigen Arbeitskräfte, welche in den krisenbetroffeuen Industrien auf die Dauer keine Beschäftigung mehr finden können, eine Aufgabe, welcher der Kanton seine spezielle Aufmerksamkeit wird widmen müssen. Was die Beiträge an die Kosten der Notstandsarbeiten betrifft, sei ganz allgemein darauf hingewiesen, dass der Bund nicht überall dort, wo er solche Arbeiten ·subventionieren soll, seine Beitragsleistung auf 50% festsetzen kann.

Vielmehr kommt es auf den Charakter der Arbeit an, ihre Bedeutung für die Allgemeinheit und das Interesse für diejenigen, zu deren Gunsten sie auegeführt wird, sowie darauf, wieviel der Subvention zur Ausrichtung von Löhnen verwendet werde. Diese Momente sind in jedem einzelnen Fall zu prüfen:, und dementsprechend ist auch die Höhe des Bundesbeitrages zu bestimmen.

Aus denselben Gründen, wie sie im Bericht vom 4. September 1925 über die Beteiligung des Bundes an den Massnahmen des Kantons Baselland zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der Seidenbandindustrie niedergelegt sind, hält der Bundesrat auch im vorliegenden Fall dafür, sein heutiger Beschluss sei den eidgenössischen Räten zur Genehmigung vorzulegen. Er erlaubt sich, zur Vermeidung von Wiederholungen auf jenen Bericht zu verweisen und im Sinn der dortigen Ausführungen die Bundesversammlung zu ersuchen, seinem Beschluss über die Beteiligung ·des Bundes an der Hilfsaktion des Kantons Appenzell A.-Rh. die Genehmigung zu erteilen.

B e r n , den 28. September 1925.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Musy.

Der Bundeskanzler :

Kaeslin.

~se~-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beteiligung des Bundes an den Massnahmen des Kantons Appenzell A.-Rh. zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

(Vom 28. September 1925.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1925

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

39

Cahier Numero Geschäftsnummer

2002

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

30.09.1925

Date Data Seite

158-161

Page Pagina Ref. No

10 029 503

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.