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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des am 21. August 1925 unterzeichneten Vergleichsvertrages zwischen der Schweiz und Norwegen.

(Vom 20. November 1925.)

Wie die Schweiz, so hat auch Norwegen das Genfer Protokoll vom 16. Dezember 1920 betreffend die obligatorische Gerichtsbarkeit des ständigen internationalen Gerichtshofes unterzeichnet und ratifiziert. Die zwischen den beiden Staaten entstehenden Streitigkeiten können somit auf Brauchen einer einzigen Partei im Wege des Gerichtsverfahrens ausgetragen werden, vorausgesetzt, dass sie zu den in Artikel 36, Absatz 2, , des Statuts des Gerichtshofes aufgeführten Arten von Anständen gehören, Gemäss der von der Bundesversammlung zu wiederholten Malen gutgeheissenen Politik fragte der Bandesrat die norwegische Regierung zu Anfang des Jahres 1924 an, ob sie geneigt wäre, die auf Grund des Genfer Protokolls von 1920 bestehende gegenseitige Verpflichtung durch Einführung eines Vergleichsverfahrens für alle Streitigkeiten zu ergänzen, die allenfalls zwischen dan beiden Ländern entstehen und auf diplomatischem Wege nicht beigelegt werden könnten.

Die norwegische Regierung nahm unsere Eröffnungen günstig auf, und nach Verhandlungen ist am 21. August 1925 zwischen dem norwegischen Minister des Auswärtigen, Herrn Mowinckel, und unserem Gesandten in Norwegen, Herrn Lardy, zu Oslo ein Vergleichsrertrag unterzeichnet worden.

Der Vertrag, den wir die Ehre haben, Ihnen zur Genehmigung zu unterbreiten, beruht auf den gleichen Grundzügen wie die Vergleichsverträge mit Schweden*), Dänemark*) und Österreich**). Seine Tragweite ist indessen etwas ausgedehnter. Während in den Verträgen mit den drei genannten Staaten das Vergleichsverfahren subsidiären Charakter hat und nur in Wirksamkeit tritt, wenn der Streitfall gemäss Artikel 36, Absatz 2, des Statuts nicht unmittelbar dem ständigen internationalen *) Siehe Botschaft des Bundesrates rom 28. Oktober 1924.

**) Siehe Botschaft des Bundesrates vom 4. November 1924.

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Gerichtshof unterbreitet werden kann, verpflichten sich die vertragsch liessenden Teile nach Artikel l des schweizerisch-norwegischen Vertrages, vorgängig jedem gerichtlichen oder schiedsrichterlichen Verfahren einer ständigen Vergleichskommission alle wie immer gearteten Streitigkeiten zu unterbreiten, die zwischen ihnen entstehen sollten und auf diplomatischem Wege nicht beigelegt -werden können, es sei denn, dass die beiden Teile sich dahin verständigen, das auf einen Vergleich abzielende Vorverfahren zu umgehen. Der Grundsatz des vorgäugigen Vergleichsverfahrens entspricht dea Anschauungen, die der Bundesrat in seinem Bericht an die Bundesversammlung vom 11, Dezember 1919 ausdrücklich vertreten hat. Er liegt unsern Vergleichs- und Schiedsverträgen mit Ungarn, Italien, Belgien, Frankreich und Polen zugrunde, und es gereicht uns zur Genugtuung, dass sich auch Norwegen diesen Grundsatz zu eigen gemacht hat.

Die übrigen Bestimmungen des Vertrages betreffen die Bildung der ständigen Vergleichskommission und ihre Tätigkeit. Einige redaktionelle Abweichungen von den entsprechenden Bestimmungen des schweizerischdänischen Vergleichsvertrages beziehen sich auf Nebensächlichkeiten. Diese Bestimmungen brauchen daher hier nicht aufs neue erläutert zu werden, und es dürfte genügen, wenn auf die einschlägigen Ausführungen verwiesen wird, die in der Botschaft vom 28. Oktober 1924 betreffend die Genehmigung der Vergleichsverträge mit Schweden und Dänemark enthalten sind.

Wie die meisten Abkommen dieser Art, gilt der sehweizerisch-nor
Es kann demnach damit gerechnet werden, dass er während einer längern Zeitspanne massgebend sei für unsere Beziehungen mit Norwegen, die, so ausgezeichnete sie bisher schon waren, dank seiner Wirksamkeit sich noch herzlicher und vertrauensvoller gestalten werden.

Unter diesen Umständen zweifeln wir nicht daran, dass Sie den Inhalt dieses Abkommens gutheissen werden, und wir bitten Sie, den nachstehenden Entwurf zu einem Bundesbeschlusse zu genehmigen.

B e r n , den 20. November 1925.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Musy.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

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(Entwurf).

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des am 21. August 1925 unterzeichneten Vergleichsvertrages zwischen der Schweiz und Norwegen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 20. November 1925, beschliesst: 1. Der am 21. August 1925 unterzeichnete Vergleichsvertrag zwischen der Schweiz und Korwegen wird genehmigt.

2. Der Bundesrat wird mit dem Vollzuge dieses Beschlusses beauftragt.

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Vergleichsvertrag zwischen

der Schweiz und Norwegen.

Der Schweizerische Bundesrat und

Seine Majestät der König von Norwegen, von dem Wunsche geleitet, die zwischen der Schweiz und Norwegen bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und das Ihre dazu beizutragen, im Dienste des Friedensgedankens das Vergleichsverfahren aur Schlichtung zwischenstaatlicher Streitigkeiten zu fördern, gewillt, in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern die durch die Resolution der Völkerbundsversammlung vom 22. September 1922 gutgeheissenen Grundsätze für die Errichtung von zwischenstaatlichen Vergleichskommissionen im weitesten Masse zur Anwendung zu bringen, haben beschlossen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschliessen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat: Seinen ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei deiner Majestät dem König von Norwegen, Herrn Charles L. E. Lardy, Seine Majestät der König von Norwegen: Seinen Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen, Herrn Joban Ludwig Mowinckel, die, nachdem sie eich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind : Artikel 1.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, vorgängig jedem gerichtlichen oder schiedsrichterlichen Verfahren alle zwischen ihnen entstehenden Streitigkeiten irgendwelcher Art, die nicht auf diplomatischem Wege geschlichtet werden können, einer ständigen Vergleichskommission zu unterbreiten.

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Ee steht jeder Partei zu, darüber zu befinden, von welchem Zeitpunkt an das Vergleichsverfahren an die Stelle der diplomatischen Verhandlungen zu treten hat.

Die vertragschliessenden Teile können vereinbaren, einen Streitfall unmittelbar dem ständigen internationalen Gerichtshofe zu unterbreiten.

Artikel 2.

Die ständige Vergleiohekommission besteht aus fünf Mitgliedern.

Die vertragschliessenden Teile ernennen, jeder für sich, nach freier Wahl je einen Kommissar und berufen die drei andern im gemeinsamenEinvernehmen. Diese drei Kommissare sollen nicht Angehörige der vertragschliessenden Staaten sein, noch sollen sie auf deren Gebiet ihren Wohnsitz haben oder in deren Dienste stehen.

Aus der Mitte der gemeinschaftlich berufenen Kommissare wird der Vorsitzende der Kommission im gemeinsamen Einverständnis ernannt.

Die Kommission ist binnen sechs Monaten nach dem Austausche der Ratifikationsurkunden zum gegenwärtigen Vertrage zu bilden.

Wenn die Ernennung der gemeinsam zu berufenden Kommissare oder des Vorsitzenden nicht binnen sechs Monaten nach dem Austausche der Ratifikationsurkunden oder, im Falle des Rücktrittes oder Ablebens eines Kommissars, nicht binnen zwei Monaten nach dem Freiwerden des Sitzes stattgefunden hat, so sind die Wahlen auf Verlangen einer einzigen Partei durch den Präsidenten des ständigen internationalen Gerichtshofes oder, trenn dieser Angehöriger eines der beiden vertragschliessenden Staaten ist,, durch den Vizepräsidenten oder, wenn dieser sich im gleichen Falle befindet, durch den ältesten Richter des Gerichtshofes zu vollziehen, der nicht Angehöriger eines der beiden vertragschliessenden Staaten ist.

Artikel] 3.

Die Mitglieder der VergleichskommissiOn sind für drei Jahre gewählt.

Unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung zwischen den vertragschlieasenden Teilen können sie während ihrer Amtsdauer nicht abberufen werden. Im Falle des Ablebens oder des Rücktrittes eines Kommissars ist für den Rest seiner Amtsdauer eine Ersatzwahl vorzunehmen.

Endigt die Amtsdauer eines gemeinsam gewählten Kommissars, ohne dass eine Partei gegen deren Verlängerung Einspruch erhebt, so gilt sie als für drei weitere Jahre erneuert. Desgleichen gilt die Amtsdauer einesTon nur einer Partei gewählten Kommissars als für drei weitere Jahre verlängert, wenn bei deren Ablauf keine Ersatzwahl
vorgenommen worden ist.

Ein Mitglied, dessen Amt während eines Verfahrens abläuft, nimmt weiterhin bis zu dessen Abschluss an der Behandlung des Streitfalles teil.

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Artikel 4.

Es steht jeder Partei zu, innerhalb von vierzehn Tagen, nachdem der Vergleichskommission das Begehren nach Einleitung eines Vergleichsverfahrens bekanntgegeben worden ist, den von ihr in freier Wahl bezeichneten Kommissar durch eine auf dem Gebiete des betreffenden Streitfalles besondere sachverständige Persönlichkeit- zu ersetzen.

Will eine der Parteien von diesem Rechte Gebrauch machen, so soll Sie unverzüglich die Gegenpartei davon in Kenntnis setzen ; in diesem Falle kann die Gegenpartei in einem Zeiträume von vierzehn Tagen nach Empfang der Mitteilung von demselben Rechte Gebrauch machen.

Artikel 5.

Der Vergleichskommission liegt ob, die Schlichtung der Streitigkeit zu erleichtern, indem sie in unparteiischer und gewissenhafter Prüfung den Sachverhalt aufbellt und Vorschläge für die Beilegung der Streitigkeit macht.

Die Anrufung der Kommission erfolgt durch ein dahinzielendes Begehren, das von einem der vertragschliessenden Teile an den Kommissionsvorsitzenden gerichtet wird.

Dieses Begehren wird von der Partei, welche die Eröffnung des Vergleichsverfahrens verlangt, gleichzeitig der Gegenpartei bekanntgegeben.

Der Vorsitzende hat die Kommission innert kürzester Frist einzuberufen Artikel 6.

Unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung tritt die Vergleichskommission an dem von ihrem Vorsitzenden bezeichneten Orte zusammen, Artikel 7.

Die vertragschliessenden Teile können besondere Vertreter bei der Vergleichskommission ernennen, die gleichzeitig als Mittelspersonen zwischen ihnen und der Kommission dienen.

Artikel 8.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, die Arbeiten der Vergleichskommission soweit als möglich zu fördern und insbesondere alle nach der Landesgesetzgebung zu ihrer Verfügung stehenden Mittel anzuwenden, um es der Kommission zu ermöglichen, auf ihrem GebieteZeugen und Sachverständige vorzuladen und zu vernehmen, wie auch Augenscheine durchzuführen.

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Artikel 9.

Die Verhandlungen der Vergleichskommission sowie ihre Beratungen sind geheim, es sei denn, dass die Kommission im Einvernehmen mit den Parteien anders beschliesst.

Artikel 10.

Das Verfahren vor der Vergleichskommission ist kontradiktoriseh.

Die Kommission setzt selbst das Verfahren fest, wobei sie, falls nicht «instimmig ein entgegenstehender Beschluss gefasst wird, die Bestimmungen in Titel III des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 berücksichtigt.

Artikel 11.

Die Vergleichskommission ist verhandlungsfähig, wenn alle Kommissare ordnungsgemäss geladen wurden und der Vorsitzende und mindestens zwei weitere Kommissare anwesend sind.

Unter Vorbehalt entgegenstehender Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages trifft die Kommission ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit, wobei der Vorsitzende bei Stimmengleichheit entscheidet.

Artikel 12.

Die Vergleichskommission hat ihren Bericht binnen sechs Monaten EU erstatten, nachdem sie in einer Streitigkeit angerufen worden ist, es sei denn, dass die vertragschliessenden Teile diese Frist im gemeinsamen Einverständnisse verlängern.

Die mit Begründung versehene Ansicht der in der Minderheit verbliebenen Mitglieder ist in den Bericht aufzunehmen.

Der Kommissionsbericht ist vom Vorsitzenden zu unterzeichnen und unverzüglich den Parteien zur Kenntnis zu bringen.

Der Bericht hat weder in Bezug auf die Tatsachen noch hinsichtlich der rechtlichen Ausführungen die Bedeutung eines Schiedsspruches.

Es steht den Parteien zu, im gemeinsamen Einverständnisse zu beschliessen, ob der Kommissionsbericht veröffentlicht werden soll für den Fall, dass die darin enthaltenen Vorschläge von den beiden Parteien nicht angenommen worden sind.

Artikel 13.

Die Vergleichskommission hat die Frist festzusetzen, innerhalb deren sich die Parteien gegenseitig mitzuteilen haben, ob sie die Kommissionsvorschläge annehmen. Diese Frist darf indessen die Zeit von drei Monaten nicht überschreiten.

3tì9 Nimmt einer der vertragsohliessenden Teile die Vorschläge der Vergleichskommission nicht an oder äussert er sich nicht innerhalb der in ihrem Berichte festgesetzten Frist dazu und gehört andererseits der Anstand zu den in Artikel 36 des Statuts des ständigen internationalen Gerichtshofes aufgeführten Arten von Streitfällen, so kann jede Partei den Gerichtshof im Wege eines einfachen Begehrens anrufen.

Artikel 14.

Während der tatsächlichen Dauer des Verfahrens erhalten die Mitglieder der Vergleichskommission, eine Entschädigung, deren Höhe von den vertragschliessenden Teilen zu vereinbaren ist.

Jede) Partei kommt für ihre eigenen Kosten auf; die Kosten für die Kommission werden von den Parteien zu gleichen Teilen getragen.

Artikel 15.

Während der Dauer des Vergleichsverfahrens enthalten sich die vertragschliessendeu Teile jeglicher Massnahrne, die auf die Zustimmung zu den Vorschlägen der Vergleichskommission nachteilig zurückwirken könnte.

Artikel 16.

Allfällige Anstände zwischen den Parteien über die Auslegung oder Durchführung des gegenwärtigen Vertrages können von jeder der Parteien unmittelbar dem ständigen internationalen Gerichtshof unterbreitet werden.

Artikel 17.

Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Bern ausgetauscht werden.

Der Vertrag gilt für die Dauer von zehn Jahren, gerechnet vom Austausche der Ratifikationsurkunden an. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt, so bleibt er für einen weitern Zeitraum von fünf Jahren in Kraft, und so fort für je fünf Jahre.

Schwebt bei Ablauf des gegenwärtigen Vertrages ein Vergleichsverfahren, so nimmt es seinen Lauf nach den Bestimmungen dieses Vertrages oder jedes andern Abkommens, das die vertragschliessenden Teile an dessen Stelle vereinbart haben würden.

Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

Ausgefertigt, in doppelter Urschrift, zu Oslo, den 21. August 1925.

L. S.

L. S.

(gez.) Charles I. E. Lardy.

(gez.) Johau Ludw. Mowinckel.

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Bundesblatt. 77. Jahrg. Bd. III,

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des am 21. August 1925 unterzeichneten Vergleichsvertrages zwischen der Schweiz und Norwegen.

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