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Schweizerisches Bundesblatt.

28. Jahrgang. IV.

Nr. 48.

4. November 1876.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrükungsgebühr per Zeile 15 Rp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden Druk und Expedition derStämpflischennBuchdrukereii in Bern.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zu dem Gesezentwurf betreffend die politischen Rechte der Niedergelassenen und Aufenthalter, und den Verlust der politischen Rechte der Schweizerbürger.

(Vom 25. Oktober 1876.)

Tit. !

Der Artikel 47 der Bundesverfassung schreibt vor: ,,Ein Bundesgesez wird den Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt bestimmen und dabei gleichzeitig über die politischen und bürgerlichen Rechte der schweizerischen Aufenthalter die nähern Vorschriften aufstellen."

Dem Gesezesentwurfe über das Stimmrecht der Niedergelassenen und Aufenthalter, welcher voriges Jahr in der Volksabstimmung unterlegen ist, wurde bekanntlieh der Hauptvorwurf gemacht, daß «r der obigen Verfassungsbestimmung nicht nachkomme, den Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt nicht definire, und daß darin die bürgerlichen Verhältnisse gar nicht berührt seien.

Bei der abermaligen Berathun der ganzen Materie gelangten wir gleichwohl zum Schlüsse, auch in der neuen Vorlage die politischen und bürgerlichen Rechtsverhältnisse, als innerlich nicht zusammengehörig, auseinander zu halten und in zwei Geseze zu zerlegen, die aber der Bundesversammlung gleichzeitig vorgelegt werden.

Bundesblatt 28. Jahrg. Bd. IV.

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26 So enthält denn dieses erste Gesez drei Haupttheile: einen ersten allgemeinen Theil, der von dem Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt und von der Beurkundung dieser Verhältnisse handelt ; einen zweiten, der das Stimmrecht ordnet, und einen dritten, der die Ausschlußbestimmungen vom politischen Stimmrecht enthält, und insofern von den beiden ersten Theilen weiter verschieden ist, weil er sich nicht blos auf die Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter, sondern gemäß Artikel 74 der Bundesverfassung auf diejenigen aller Schweizerbürger überhaupt bezieht.

Was zunächst den Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt betrifft, so haben wir eine formale Definition dieser Begriffe unterlassen. Sie ist sehr schwierig, weil die Verhältnisse in einander übergehen, und bietet keinen praktischen Vortheil dar.

Was nüzt es, z. B. in einem Geseze den Niedergelassenen als eine Person zu bezeichnen, der eine Niederlassungsbewilligung hat, und den Aufenthalter mit einer doppelten Negation als eine Person, die keine Niederlassungsbewilligung hat, und doch nicht bloßer Durchreisender ist, wie dergleichen Defioitionsversuche gemacht wurden?

Wir müssen uns überhaupt gestehen, daß der Unterschied zwischen Aufenthalt und Niederlassung ein innerlich wenig haltbarer und künstlicher ist, der in der Zukunft verschwinden wird, wie ihn bereits der Kanton Genf längst und der Kanton Zürich in neuerer Zeit beseitigt haben. Wir erachten es für weit zwekmäßiger. nachdem die Bundesverfassung den Unterschied noch festgehalten hat, denselben durch die Festsezung der Bedingungen für das eine oder andere Verhältniß hervortreten zu lassen, und gelangen auf diesem Wege zu folgenden Ergebnissen: 1. Demjenigen, welcher eine andere als seine Heimatgemeinde bewohnen will, die Wahl zwischen Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewillisjuna: freizulassen :i O

O

2. die Fälle zu bezeichnen, in welchen eine Niederlassungsbewilligung genommen werden m u ß ; 3. die Brüke zur Assimilirung der beiden Verhältnisse zu schlagen, was dadurch geschieht, daß der bloße Aufenthalt in der Regel nicht länger als ein Jahr dauern und sodann in die Niederlassung übergehen soll. Dabei wird den Kantonen freigestellt, den "Unterschied auch gänzlich fallen zu lassen.

Für die Dienstboten wird eine Ausnahme wesentlich mit Rüksicht auf den weiblichen Theil derselben zugelassen, weil für diesen leztern die Niederlassung absolut keinen wirklichen Werth besiut und den Dienstboten nur eine vermehrte Geldauslage auferlegt.

27 Oeffentliche Beamte und Angestellte gelten ipso jure an ihrem Amts- oder Dienstsize als niedergelassen. Nun ist fraglieh, ob in diese Kategorie auch die G e i s t l i c h e n u n d L e h r e r aufzunehmen seien. Da jedoch, abgesehen von den Ueberwachungskompetenzen des Bundes, das Kirchen- und Schulwesen den Kantonen zugehört, und sie darüber zu entscheiden haben, wem die Eigenschaft eines ,,öffentlichen" Geistlichen oder Lehrers zukömmt, so erschien uns als einfacher und zwekmäßiger, diese Frage in dem eidgenössischen Gesez über Niederlassung nicht zu lösen, sondern den Kantonen zu überlassen, die Vergünstigung des Artikels 3 auf die Geistlichen und Lehrer, sei es in ihrer Gesammtheit, sei es nur auf einzelne Klassen (z. B. nur auf die Geistlichen der Staatskirchen mit Ausschluß derjenigen des Privatkultus, oder nur auf die vom Staate angestellten Lehrer mit Ausschluß derjenigen von Genossenschaften oder von Privatanstalten) auszudehnen.

Bei Artikel 4 kann die Frage aufgeworfen werden, ob die Kantone gehalten seien, diejenigen Fremden, welche vertragsgemäße Ansprüche auf Niederlassungsbewilligung haben, bezüglich der Leistung der Ausweise wie die Schweizerbürger zu behandeln. Daß die Kantone bezüglich der Taxen die Fremden den Einheimischen gleich zu halten haben, ist ganz klar. Ganz anders verhält es sich mit dem Ausweise. In der Regel bestimmen die Staatsverträge, welche Ausweispapiere gegenseitig für eine Niederlassung^- oder Aufenthaltsbewilligung gefordert werden dürfen. Sofern dieselben hierüber schweigen, würden, so ist jedenfalls den Kantonen nicht 'verboten, die zu einer tüchtigen Handhabung der Polizei erforderlichen Maßnahmen allen Fremden gegenüber anzuordnen. Nur ein Schweizer wird sich im Falle befinden, einen nach schweizerischem Formulare ausgestellten Heimatschein produziren und damit den Ausweis über die hierorts als erheblich betrachteten Eigenschaften und Verhältnisse sofort erbringen zu können. Auch sind die InG forma tionen über diese lezteren leichter und zuverläßiger, so daß die einfachsten Ausweispapiere genügen können. Ein Schluß vom Inländer auf den Ausländer ist deßhalb nicht zuläßig. Würden die Kantone das ihnen unzweifelhaft zustehende Recht der Fremdenpolizei zu einer muthwilligen Belästigung der Fremden oder gar zu einer indirekten Behinderung der Niederlassung
mißbrauchen, so könnte immerhin gegen solche Versuche im Spezialfalle der Schuz der Bundesbehörden nachgesucht werden. Hingegen das Recht der Kantonalbehörden, die Aufenthaltsverhältnisse der Fremden einer genaueren Kontrole zu unterstellen, darf vernünftigerweise nicht angezweifelt werden, und es würde wohl auch keine auswärtige Staatsbehörde dazu gelangen, ein Recht anzufechten, das

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für die eigenen Polizeibehörden gerade so nothweudig ist, als für die schweizerischen.

Der Bundesrath wird, um möglichste Klarheit in diese Verhältnisse hineinzubringen, nicht nur das einheitliche Formular des Heimatscheines feststellen, sondern auch die Ausweisschriften bezeichnen, die an seiner Stelle angenommen werden dürfen.

Es erschien uns als angemessen und durch die neue Bundesverfassung geradezu als geboten, das Bundesgesez über die Dauer und die Kosten der Niederlassungsbewilligungen vom 10. Dezember 1849 mit in Revision zu ziehen und abgeänderte Bestimmungen diesem Geseze einzuverleiben. Nach demselben wurden bisher die Niederlassungsbewilligungen bis auf vier Jahre ertheilt, und es durfte hiefür ein Maximum von Fr. 6 bezogen werden.

Was nun für die Zukunft die D a u e r betrifft, so sezt der Entwurf fest, daß die Niederlassungsbewilligungen auf unbestimmte Zeit, die Aufenthaltsbewilligungen der Kegel nach auf ein Jahr, für Dienstboten aber ebenfalls auf unbestimmte Zeit zu ertheilén seien.

Für die Niedergelassenen ist die Frage durch die Verfassung selbst entschieden. Die frühere Bestimmung nämlich in Art. 41 Ziff. 3, daß ein Bundesgesez die Dauer der Niederlassungsbewilligung, sowie das Maximum der Kanzleigebühren festsezen soll, wurde in der neuen Verfassung -- Art. 45, lezter Saz -- unter B e i s e i t e 1 a s s u n g der D a u e r abgeändert, in der Meinung, daß die Niederlassung auf unbestimmte Zeit ertheilt werden soll. In diesem Sinne hat der Bundesrath die Verfassung bereits vollzogen und eio entsprechendes Circulai' an die -Kantone erlassen, wozu vornehmlich die Verhältnisse des Kantons Genf Veranlaßung darboten. Dort wurden bisher an die sich ansiedelnden Schweizerbürger und Fremden lediglich ,,permis de séjour"' und zwar nur für die Dauer e i n e s Jahres ertheilt. Alljährlich mußte sich die Gesammt-Ansaßenbevölkerung bei dem Polizeibüreau anmelden, die Erneuerung der Bewilligung verlangen und dafür jeweils eine Taxe, und zwar für jedes Familienglied, bezahlen. Gegen dieses belästigende und mit Geldopfern verbundene Verfahren giengen zahlreiche Petitionen und Reklamationen beim Bundesrathe ein. Diesen gegenüber macht der Staatsrath von Genf im Wesentlichen geltend, daß Genf als eine Grenzstadt, welche fortwährend zahlreicher Einwanderung ausgesezt sei, zum Zweke einer
guten Handhabung der Polizei, sowie zur Bereinigung des Civilstandes, dieser alljährlichen Kontrole über die fremde Bevölkerung absolut bedürfe, und daß ihm der Entzug derselben auch eine die vermehrten Polizeiauslagen theilwei.se ausgleichende Finanzquelle wegnehme. Da jedoch der Buchstaben der Verfassung

29 zu deutlich spricht, und im Grunde die von Genf angeführten Gesichtspunkte von nur nebensächlicher Bedeutung sind, denen in anderer Weise Rechnung getragen werden kann, so konnte derBundesrath den Fortbestand eines ausnahmsweisen Verfahrens für Genf, das eigentlich schon mit dem Bundesgesez von 1849 im Widerspruche stand, nicht weiter zulassen. Die eidgenössischen Räthe werden durch die Petition Dénéréaz Anl«ß erhalten, speziell sich mit oben geschilderten Verhältnissen zu beschäftigen. In unserm Gesezesentwurfe wird die Frage grundsäzlich gelöst.

Insoweit trägt derselbe dem genferis,chen Standpunkte einige Rüksicht, als : 1. die Aufenthaltsbewilligungen, welche doch vorzugsweise von den Fremden genommen werden, in der Regel nur für ein Jahr gelten ; 2. die schweizerischen Aufenthalter nach einem Jahre im Zeitpunkte, wo der Aufenthalt in die Niederlassung übergeht, die Differenz der Taxe zu entrichten und zu diesem Zweke sich bei der Behörde anzumelden haben ; 3. die Bewilligungen erlöschen, wenn die Ausweisschriften auslaufen, ohne rechtzeitig erneuert oder durch andere.ersezt zu werden.

Die G e b ü h r e n für die Niederlassungsbewilligungen wurden auf Fr. 3 ermäßigt, und diejenigen für die Aufenthaltsbewilligungen auf Fr. l festgesezt. Beim Uebei-gang ist nur die Differenz nachzubezahlen. Dagegen können diese Gebühren bei jedem Wechsel der Wohnsizgemeinde erhoben werden, was bei diesen geringen Ansäzen keine erhebliche Belästigung bildet und die Oekonomie klar stellt.

Der Art. 5 des Entwurfes bezeichnet die Personen, welche in der Niederlassungsbewilligung inbegriffen sind. Dieß ist hinsichtlich der Gebührenfrage von Bedeutung, wie wir aus den Verhältnissen von Genf ersehen haben.

Für den Fall, als Jemand der Verpflichtung, eine Aufenthaltsoder Niederlassungsbewilligung nachzusuchen, nicht nachkommt, sind Strafbestimmungen nothwendig. Zu diesem Behufe müssen die Fristen bezeichnet werden, innerhalb welcher die Bewilligung nachzusuchen ist. Wir überzeugten uns aber, -'daß dieß in zu naher Beziehung mit der Polizeij welche Kantonalsa.che ist, und mit den lokalen Verhältnissen steht, als daß eine einheitliche Regelung leicht wäre und als ein Bedürfniß erscheinen würde. In Kantonen mit vielen Kurorten wird man diese Fragen anders behandeln als in Städten mit starker flottanter Bevölkerung. Der Entwurf überläßt somit dieses Gebiet den kantonalen Gesezen und Verordnungen.

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Gegen Art. 9 des Entwurfs, welcher die Verweigerung der Ausweispapiere an einen handlungsfähigen Schweizerbürger, welcher anderwärts Niederlassung oder Aufenthalt nehmen oder den Wohnort wechseln will -- die Fälle militärischen Aufgebots oder strafrechtlicher Verfolgung vorbehalten -- als unstatthaft erklärt, kann eingewendet werden, daß er nicht in dieses Gesez gehöre. Auf der andern Seite ist zu beachten, daß der Art. 45 der jezigen Bundesverfassung die Niederlassung als konstitutionelles Recht des Schweizerbürgers behandelt und daß somit allerdings die Erschwerung dieses Rechtes durch Verweigerung oder Hinterhaltung der zu seiner Ausübung nothwendigen Ausweispapiere als Streitfrage im Niederlassungswesen mitspielt. Ueberdieß ist wohl zwekmäßig, das auf anderem Wege gewonnene Resultat gesezgeberisch fest zu machen.

Nachdem die Sache selbst in den eidgenössischen Räthen so vielfach durchgesprochen wurde, (Rekurs Weber und noch neulich Rekurs der Aargauer Regierung), enthalten wir uns weiterer Erörterungen über einen Saz, der den Entscheidungen der Bundesversammlung vollständig entsprechend ist.

Der Lt. und III. Abschnitt des Entwurfes behandeln die Stimmberechtigung der Niedergelassenen und Aufenthalter und den Ausschluß der Schweizerbürger vom politischen Stimmrecht und bildeten Gegenstand des bekanntlich in der Volksabstimmung unterlegenen Gesezesentwurfes vom 24. December 1874 und der bundesräthlichen Botschaft vom 2. Oktober 1874*). Wir können im Allgemeinen uas auf dieleztere beziehen, und beschränken uns darauf, mit einigen Bemerkungen die Modifikationen zu beleuchten, die wir glaubten der zu Tage getretenen Volksanschauung schuldig zu sein.

Es haben namentlich folgende Punkte Anstoß erregt: 1. daß die Aufenthalter schon nach 6 Monaten in kantonalen und Gemeindeangelegeoheiteri zum Stimmrechte zugelassen werden sollen. Man befürchtete namentlich für die Gemcindeökonomie einen verhängnißvollen und verderblichen Einfluß, wenn die sog. flottante Bevölkerung massenhaft zum Stimmen für große Ausgaben herbeiströmt, nachher aber beim Zahlen und Steuern nicht bei der Hand ist. Wir verlängern deßhalb die Wartefrist bis auf ein Jahr, was um so unbedenklicher geschehen darf, als nach dem Entwurfe Jedem die Wahl zwischen Niederlassung und Aufenthalt freisteht, und somit derjenige, welcher an der
Ausübung des Stimmrechtes Interesse findet, um eine geringe Mehrauslage sich dasselbe schon nach 3 Monaten erwerben kann.

2. Die Abschaffung des Ausweises behufs Erlangung des Stimmrechts. Die Opposition bezieht sich diesfalls auf den Wort*) Bundesblatt 1874, III, 34; 1875, J, 8.

31 laut des Artikels 43 der Bundesverfassung. Da die Spezialfrage zufolge des Rekurses des Gemeinderathes Dürnten zur Zeit bei den Räthen anhängig ist, können wir uns auf die Hindeutung beschränken, daß der Bundesrath in diesem Entwurfe von den gleichen Grundgedanken ausgeht, die er seinem Rekursal-Entscheide in dem erwähnten Falle zu Grunde gelegt hat.

Was die e i d g e n ö s s i s c h e n Abstimmungen und Wahlen betrifft, so macht der Artikel 5 des sachbezüglichen Bundesgesezes vom 19. Juli 1872 die Regel, welcher vorschreibt, daß jeder in einer Gemeinde wohnende Schweizerbürger von Amtes wegen in das Stimmregister einzutragen sei, insofern nicht der betreffenden Behörde die Beweise dafür vorliegen, daß er nach den Gesezen des Kantons von dem Aktivbürgerrechte ausgeschlossen sei. Bei dem theilweisen Widerspruche, welcher zwischen Artikel 43, Saz 2, und Artikel 74, Saz l der Bundesverfassung obwaltet, und da immerhin die erstere Bestimmung die Frage offen läßt, in welcher Form und in welchem Umfange der Ausweis geleistet werden müsse, sollte der liberale Standpunkt, auf den sich bereits das Gesez von 1872 gestellt hat, wenigstens auf eidgenössischem Boden nicht preisgegeben werden.

Da noch verschiedene andere Vorschriften über Stimmregister u. s. w. bestehen, so verweist der Entwurf im Allgemeinen auf die jeweilige Bundesgesezgebung.

Die Regulirung der Stiinmberechtigung in K a n t o n a l - und G e m e i n d e a n g e l e g e n h e i t e n dagegen wird der Kantonalgesezgebung anheimgegeben, mit dem einzigen Vorbehalt, daß das Stimmrecht der Niedergelassenen nach drei Monaten, das der Aufenthalter nach einem Jahre, zu beginnen habe. Es ist dies im Einklänge mit unsern verfassungsgemäßen Institutionen und es sprechen auch Gründe materieller Art dafür, daß namentlich in Gemeindeangelegenheiten den besondern Verhältnissen der Kantone Rechnung getragen werden muß.

3. Der Ausschluß vom Stimmrechte. Darüber machten sich in dem Referendum zwei entgegengesezte Meinungsströmungen bemerkbar. Während die romanische Schweiz den Ausschluß wegen Falliment oder Almosensgenössigkeit perhorrescirt oder ihn möglichst beschränkt, machte man dem abgelehnten Entwurfe vornehmlich in der deutschen Schweiz den Vorwurf, daß er zu weit gegangen sei. Wie nun diese Verschiedenheit in den Volksanschauungen vereinbaren, um nicht eine abermalige Verwerfung des Gesezes herbeizuführen? Der Entwurf schlägt einen Kompromiß vor.

32 Bei einfachem Konkurse tritt d e r Regel n a c h der Ausschluß, vom Stimmrechte auf fünf Jahre ein; bei geringerer Verschuldung, soll die Einstellung abgekürzt, und bei vollständig unverschuldetem Konkurse ganz nachgelassen werden. Welche Behörde darüber entscheiden soll, bestimmt der Entwurf nicht, sondern überläßt dies der Kantonalgesezgebung. In den Uebergangsbestimmungea trugen wir auch Sorge, daß die bisherigen Konkursiten nicht auf einmal die Stimmberechtigung wieder erlangen, was namentlich im frühern Vorschlage Anstoß erregt hat, sondern in der Regel erst nach Ablauf von 5 Jahren, vom Konkurse an gerechnet.

In analoger Weise wurde der Ausschlußgrund der ,Almosengenössigkeit formulirt. Die Einstellung im Aktivbürgerreehte soll in der Regel eintreten, wenn und so lange Jemand öffentliche Armenunterstiizung genießt. Wo sie unverschuldet ist, k a n n die zuständige Behörde davon dispensiren.

Es läßt sich nicht verhehlen, daß diese Bestimmungen nach Seiten ihrer Rationalität und Humanität angefochten werden können.

Da indeß der Kantonalgesezgebung freigestellt ist, das Stimmrecht auch in den angeführten Beziehungen zu erweitern, so nöthigen sie keinen Kanton zu einem Rükschritt und bilden auch kein Hinderniß für weitere Fortschritte.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten, Hochachtung.

B e r n , den 25. Oktober 1876.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der E i d g e n o s s e n s c h a f t : Schiess.

33 (Entwurf.)

ßundesgesez betreffend

die politischen Rechte der Niedergelassenen und Aufenthalter und den Verlust der politischen Rechte der Schweizerbürger.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Ausführung von Art. 43, 45, 47, 66 und 74 der Bundesverfassung; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 25. Oktober 1876, beschließt: I. Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt und Beurkundung dieser Terhältnisse.

Art. 1. Ein Schweizerbürger, welcher eine andere als seine Heimatgemeinde bewohnen will, hat bei der durch die Kantonalgesezgebung zu bezeichnenden Stelle eine Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung nachzusuchen.

Art. 2. Dem Bewerber steht es frei, zwischen dem Niederlassung^- oder Aufenthaltsverhältnisse zu wählen.

In folgenden Fällen m u ß jedoch die Niederlassungsbewilligung nachgesucht werden :

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a. wenn die betreffende Person in der Gemeinde, wo sie ihren Wohnsiz nimmt, Grundeigenthum besizt; b. wenn sie dort ein Gewerbe oder einen Beruf auf eigene Rechnung betreibt; c. wenn sie einen eigenen Haushalt führt ; d. wenn sie nach erlangter Volljährigkeit länger als ein Jahr am gleichen Orte wohnhaft gewesen ist. Dienstboten sind jedoch in lezterer Bestimmung nicht inbegriffen.

Den Kantonen bleibt freigestellt, den Unterschied zwischen Aufenthalter und Niedergelassenen fallen zu lassen und alle mit festem Wohnsize in einer Gemeinde befindliehen Personen als Niedergelassene zu behandeln.

Art. 3. Oeffentliche Beamte und Angestellte haben keine Niederlassungsbewilligung nachzusuchen, sind aber, vom Antritt ihrer Anstellung an gerechnet, an ihrem Amtsoder Dienstsize, wenn derselbe außer ihrer Heimatgemeinde liegt, als Niedergelassene zu behandeln.

Art. 4. Die Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewerber haben auf Verlangen ihren Heimatschein oder eine andere gleichbedeutende Ausweisschrift zu deponiren.

Die Form der Heimatscheine wird durch den Bundesrath in einheitlicher Weise bestimmt. Ebenso wird derselbe diejenigen Ausweisschriften bezeichnen, welche als dem Heimatschein gleichbedeutend anzusehen sind.

Die Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung soll die Bezeichnung der hinterlegten Ausweissehriften enthalten.

Art. 5. Die vom Familienhaupte erhobene Niederlassungsbewilligung gilt für die ganze zusammenlebende Haushaltung mit Ausnahme solcher Familieuglieder, welche einen selbständigen Erwerb haben.

Art. 6. Die Niederlassungsbewilligungen sind auf unbestimmte Zeit, die Aufenthaltsbewilligungen der Regel nach auf Ein Jahr, für Dienstboten aber ebenfalls auf unbestimmte Zeit zu ertheilen.

35 Auch bei den auf unbestimmte Zeit ertheilten Bewilligungen tritt jedoch Erlöschung ein, wenn die Ausweisschrift, auf deren Grundlage die Bewilligung ertheilt wurde, ausläuft, ohne rechtzeitig erneuert oder durch eine andere ersezt zu werden.

Art. 7. Die Kanzleigebühren, welche ein Schweizerbürger für die Niederlassungsbewilligung zu entrichten hat, dürfen 3 Franken, und diejenigen für die Aufenthaltsbewilligung l Fr. nicht übersteigen. Darin sind alle Kanzleigebühren enthalten, welche für diese Bewilligungen an den Staat, an Bezirksbeamte und an die Gemeinden zu entrichten sind.

Bei dem Uebergang des Aufenthalts- in das Niederlassungsverhältniß ist nur die Differenz der beiden Gebühren zu vergüten.

Obige Gebühren können bei jedem Wechsel der Wohnsizgemeinde erhoben werden.

Art. 8. Es ist Sache der Kantone, die Fristen zu bezeichnen , innerhalb welcher eine Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung nachzusuchen ist, und damit die geeigneten Strafbestimmungen wegen Versäumniß dieser Fristen zu Verbinden.

Art. 9. Die Verweigerung der Ausweispapiere an einen handlungsfähigen Schweizerbürger, welcher anderwärts Niederlassung oder Aufenthalt nehmen oder den Wohnort wechseln will, ist, die Fälle militärischen Aufgebots oder strafrechtlicher Verfolgung vorbehalten, unstatthaft.

11. Stirn niberechtignng der Niedergelassenen und Aufenthalter.

a. Bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen.

Art. 10. Stimmberechtigt bei eidgenösischen Wahlen und Abstimmungen ist jeder Schweizerbürger, der das zwanzigste Altersjahr zurükgelegt hat und im Uebrigen nicht von der Ausübung, des Stimmrechts ausgeschlossen ist.

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Im Weitern finden die Bestimmungen der jeweiligen Bundesgesezgebung über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen ihre Anwendung.

b. Bei Kantonal- und Gemeinde-Wahlen und Abstimmungen.

Art. 11. Die Stimm berechtigung bei Kantonal- und Gemeinde-Wahlen und Abstimmungen wird durch dieKantonalgesezgebung geordnet, jedoch unter Beachtung folgender Grundsäze : 1) Der niedergelassene Schweizerbürger genießt an seinem Wohnsize alle Rechte der Kantonsbürger und mit diesen auch alle Rechte der Gemeindsbürger. Der Mitantheil an Bürger- und Korporationsgütern, sowie das Stimmrecht in rein bürgerlichen Angelegenheiten sind jedoch hievon ausgenommen, es wäre denn., daß die Kantonal-Gesezgebung etwas Anderes bestimmen würde.

In kantonalen und Gemeinde-Angelegenheiten erwirbt er das Stimmrecht nach einer Niederlassung von drei Monaten (Art. 43, Lemma 4 und 5 der Bundesverfassung).

2) Der Aufenthalter hat die gleichen Rechte wie der Niedergelassene. Doch erhält er das Stimmrecht in kantonalen und Gemeinde-Angelegenheiten erst nach einem Aufenthalte von Einem Jahr.

3) Bei vorstehenden Fristberechnungen ist das Datum maßgebend, an welchem dieNiederlassungs- oder Aufenthalts-Bewilligung bei der zuständigen Behörde nachgesucht wurde.

Art. 12. Falls durch die kantonale Gesezgebung für kantonale Wahlen und Abstimmungen ein früheres Alter festgesezt oder für kantonale Niedergelassene oder Aufenthalter die Frist für die Stimmgebung in kantonalen oder Gemeinde-Angelegenheiten verkürzt wird, so sind die sachbezüglichen Bestimmungen auch für die Niedergelassenen und Aufenthalter, die. einem andern Kanton angehören, maßgebend.

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III. Ausschluss der Schweizerbürger vom politischen Stimmrecht.

Art. 13. Ein Ausschluß der Schweizerbürger politischen Stimmrecht darf nur stattfinden:

vom

1) durch kriminelles oder korrektionelles Urtheil; 2) in Folge von Bevormundung wegen Verschwendung, Geisteskrankheit oder Blödsinn; 3) wegen Konkurses in den Fällen, die nicht unter Ziff. l fallen, höchstens Bis auf 5 Jahre. Bei geringerer Verschuldung soll die Dauer der Einstellung im Stimmrechte abgekürzt und bei unverschuldetem Konkurs davon auch ganz Umgang genommen werden; 4) wegen selbstverschuldeter öffentlicher Almosengenössigkeit.

Es bleibt der Kantonal-Gesezgebung freigestellt, die obigen Beschränkungen im Stimmrechte ganz oder theilweise fallen zu lassen.

IV. Schluss- und Übergangsbestimmungen.

Art. 14. Alle mit diesem Geseze im Widerspruch stehenden Bestimmungen der eidgenössischen und kantonalen Gesezgebung sind aufgehoben ; insbesondere treten außer Kraft: 1) Das Bundesgesez über die Dauer und die Kosten der Niederlassungs-Bewilligung vom 10. Christmonat 1849 (Neue offiz. Samml. Bd. I, S. 271).

2) Das Konkordat über die Form der Heimatscheine auf Grundlage der Konferenzbeschlüsse vom 28. Jenner 1854 (Neue offiz. Samml. Bd. IV, S. 357).

Ebenso treten alle vor dem Inkrafttreten dieses Gesezes in Folge gerichtlicher Urtheile oder auf anderem Wege erfolgten Beschränkungen des politischen Stimmrechts, soweit

38 sie mit den Bestimmungen des Art. 13 im Widerspruch stehen sollten, außer Wirksamkeit.

Art. 15. Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesezes vom 14. Brachmonat 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Gesezes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusezen.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zu dem Gesezentwurf, betreffend die cl vil r e c h t l i c h en Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

(Vom 25. Oktober 1876.)

Tit.

Bekanntlich beschäftigten sich Anfangs der 1860er Jahre die eidgenössischen Räthe lebhaft mit einem vom Bundesrathe vorgelegten Gesezesentwurfe betreffend Ordnung und Ausscheidung der Kompetenzen der Kantone in den interkantonalen Niederlassungsverhältnissen. Der Anstoß zu diesem gesezgeberischen Versuche ging aus den vielen interkantonalen Konflikten und Rekursfällen hervor, welche bei den ßundesbehörden zur Entscheidung anhängig gemacht wurden.

Allein die beiden Räthe konnten sich über die Frage der Bundeskompetenz nicht verständigen; der Nationalrath nahm zwar den Entwurf mit großer Mehrheit an, der Ständerath dagegen verwarf ihn mit einer Stimme Mehrheit.

Ein zweiter Versuch mißglükte ebenfalls. Unter den Vorschlägen der Partialrevision der Bundesverfassung vom Jahre 1865 befand sich ein Artikel, welcher dem Bunde die Kompetenz einzuräumen bestimmt war, über die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen ein Gesez zu erlassen. Er unterlag jedoch in der getrennten Volksabstimmung.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zu dem Gesezentwurf betreffend die politischen Rechte der Niedergelassenen und Aufenthalter, und den Verlust der politischen Rechte der Schweizerbürger. (Vom 25. Oktober 1876.)

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04.11.1876

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