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Bericht der

Bundeskanzlei an das eidg. Departement des Innern, betreffend die Veröffentlichung von Bundesgesezen etc.

(Vom 1. April 1876.)

Hochgeachteter Herr Bundesrath !

Der sozial-demokratische Verein in Winterthur findet sich in der Eingabe vom 29. v. Mis. bemüßigt, den Bundesrath aufmerksam zu machen, daß nach allgemeiner Klage die eidgenössischen und kantonalen Geseze viel zu wenig bekannt werden und daß die diesfalls bestehenden Organe der Veröffentlichung nicht genügen, um dem Uebelstande abzuhelfen. Ein wirksames Mittel glaubt der Verein darin zu erblikén , daß die eidg. Geseze den sämmtlichen Gemeindebeamten zugestellt wurden, und er ersucht daher in diesem Sinne zur allgemeinern Kenntniß der Geseze beizutragen.

In Ihrer Zuweisung vom 1. April wünschen Sie über diesen Antrag unsere Meinung kennen zu lernen.

Wie bemerkt, beklagt sich die Eingabe, daß die kantonalen und eidgenössischen Geseze und Beschlüsse zu wenig unter dem Volke verbreitet werden.

In wiefern die Klage bezüglich der kantonalen Publikationen begründet sei, vermögen wir nicht zu beurtheilen. Es berührt uns dieselbe aber auch nicht näher, und es kann daher auch nicht unsere Sache sein, darauf einzutreten.

73 Was nun aber die eidg. G e s e z g e b u n g betrifft, so scheint es uns auf einer Nich,,kenntniß der thatsächlichen Verhältnisse und auf einer Verkennung dessen, 'ras geschieht, zu beruhen, wenn behauptet werden will, an der im Volke vorhandenen Unkenntniß der Bundesgeseze trage eine ungenügende Veröffentlichung derselben die hauptsächlichste Schuld.

Zur Erhärtung dieser unserer Behauptung erlauben wir uns,, Sie auf folgende Momente hinzuweisen : 1J Von Bundes wegen werden die Geseze und Beschlüsse durch die dem Bundesblatte beigegebene amtliche Gesezsammlung der Eidgenossenschaft veröffentlicht. Seit einer Reihe von Jahren füllt, der Bundesblatttext 3 und 4 starke Bände, und es liegt daher auf der Hand, daß die Kosten des Bundesblattes aus den für dasselbe bezogenen Einnahmen nicht gedekt werden können. Um nämlich das Blatt einem größern Publikum so viel als möglich zugänglich zu machen, ist der Preis eines Jahresabonnements auf bloß Fr. 4 festgesezt. Es kann aber auch die amtliche Sammlung allein bezogen werden, ohne das Bundesblatt, und in diesem Falle sind für den Band, der gewöhnlich zwei bis drei Jahre umfaßt, nur Fr. 3 zu entrichten.

Wenn nun, wie die Eingabe klagt, das Bundesblatt, bezw.

die amtliche Sammlung, nicht gehörig benuzt und angeschafft wird;, so ist das Sache des Publikums, und es kann von daher die Verwaltung ein Vorwurf nicht treffen, welche durch einen unverhältnißmäßig kleinen Preis das Ihrige thut, um diesen amtlichen Organen eine möglichste Verbreitung zu sichern.

Der Preis sowohl für das Blatt als für die amtliche Sammlung ist so mäßig, ja niedrig gestellt, daß dadurch die Haltung des einen oder der andern den Privaten oder Gemeinden, Vereinen, Gesellschaften u. dgl. ohne Schwierigkeit möglich sein dürfte.

Zwekmäßig wäre es freilich, wenn die kantonalen Regierungen die Anschaffung wenigstens der amtlichen Sammlung ihren Gemeinden förmlich befehlen würden, wie dies jüngsthin in anerkennenswerther Weise von der Regierung des Kantons St. Gallen geschehen ist.

2) Bei der Veröffentlichung der Bundesgeseze und Beschlüsse durch das Bundesblatt, bezw. die amtliche Sammlung, ist die Verwaltung aber nicht stehen geblieben, sondern es werden außerdem die Bundesgeseze in einer größern, die Beschlüsse oder die unwichtigem, das Volk nicht näher berührenden Erlasse in einer kleinern Aufjage völlig kostenfrei an die Kantone abgegeben.

74 Die Kantone wurden, um einen Maßstab zu gewinnen, förmlich angefragt, wie vieler Exemplare sie bedürfen, um die Geseze zur allgemeinen Kenntniß bringen zu können.

Auf Grund der kantonolen Vernehmlassungen werden die Sonderabzüge der Bundesgeseze folgendermaßen an die Kantone abgegeben : Deutsch.

Französisch.

Italienisch.

Zürich 500 Bern 550 1600 Luzern 350 Uri 250 Schwyz 300 Obwalden 100 Nidwaiden 75 250 Glarus Zug 75 800 Freiburg 200 Solothurn 500 Basel-Stadt 100 Basel-Landschaft 250 250 Schaffhausen 250 Appenzell A.-Rh.

75 Appenzell I.-Rh.

St. Gallen 500 75 600 Graubünden 600 Aargau 300 Thurgau 20 500 20 T essin 1000 Waadt -- 250 300 Wallis 600 Neuenburg *_-- 250 Genf zusammen

7445

3470

575

An diese Scala haltt man sich übrigens keineswegs pedantisch , sondern wenn ein Kanton von diesem oder jenem Geseze, in der einen oder andern Sprache, eine größere Anzahl von Exemplaren verlangt, so werden ihm solche jedesmal bewilligt.

Auch dürfen wir hier wohl fragen, ob und wann je ein Bürger sich an uns um ein Gesez gewendet habe, ohne daß ihm, wenn Möglichkeit vorhanden war, sofort entsprochen worden wäre.

Es kommt nun freilich darauf an, wie in den Kantonen mit jenen Freiexemplaren verfahren werde. Werden dieselben an die Gemeindekanzleien abgegeben, mit. der bestimmten Weisung, dieselben bei Verantwortlichkeit aufzubewahren, so erhält nach und nach jede Gemeinde eine kleine Gesezbibliothek, in welcher der Bürger in einem gegebenen Anlaße sich Raths erholen kann, und hierin liegt der Hauptpunkt für eine angemessene Gesezverbreitung.

Der Bürger kann nicht verlangen, daß ihm die Geseze ohne weiters frank und frei nach Hause gesehikt werden, ja er würde sich selbst in tausend Fällen dafür bedanken, weil er Anderes und ihm näher Liegendes zu thun hat, als Geseze aufzuspeichern, für deren Vollständigkeit sich zu bekümmern, dieselben einbinden zu lassen u .s. w.

und am Ende doch nie sicher zu sein, daß ihm das eine oder andere Gesez nicht doch verloren gegangen sei.

Aber das kann und darf der Bürger verlangen, daß ihm, und zwar in seiner Gemeinde, ein Ort angewiesen werde, wo er die Geseze vollständig gesammelt vorfinden und daraus für den gegebenen Fall sich Rath und Hilfe schaffen kann.

Mit den vom Bunde erhaltenen Freiexemplaren können die Kantone solche Sammlungen in den Gemeinden allerdings anlegen und es bleiben ihnen immer noch so viele Exemplare übrig, um daraus noch die Beamten versehen zu können, selbst wenn in den einzelnen größern Gemeinden zwei oder mehrere Gesezsammlungen angelegt würden. Dies erhellt aus folgenden Beispielen: Zürich hat 197 Gemeinden und bezieht 500 Exemplare, Bern ,, 514 ,, ,, ,, 2150 ,, Luzern ,, 109 ,, ,, ,, 350 ,, St. Gallen ,, 92 ,, ,, 500 ,, r Aargau ,, 247 ,, 600 und sofort.

3) Hat die Bundesverwaltung, und zwar schon seit Jahren, den Kantonen zur Veröffentlichung der Bundeserlasse in ihren Amtsblättern die freie Benuzung unseres Sazes angeboten. Hievon wird aber nur in beschränkter Weise Gebrauch gemacht, nämlich bloß von den Kantonen: Luzern, welches 400 Exemplare, Schaffhausen, ,, 800 ,, Appenzell A.-Rh., ',, 1000 ,, Waadt ,, 1400 ,, Genf, ,, 500 ,, hier abziehen läßt. *) *) Der Stand G l a r u s läßt überdies von allen Bundesgesezen und Bundesbeschlüssen, welche der eidg. Volksabstimmung unterstellt werden können, 1500 Separatabzüge von unserm Saze besorgen. Ausnahmsweise

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Dagegen ist 4) der wichtige Umstand nicht zu übersehen, daß folgende Kantone die Bundesgesezgebung durch ihre Amtsblätter, sei es ganz, oder jedenfalls großentheils, zu verbreiten bestrebt sind : Zürich, Bern, Luzern, Uri, Nidwaiden, Glarus, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Schaffhausen, Appenzell A.-Rh., St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt und Genf.

Hienach scheinen bloß noch die Kantone Schwyz, Obwalden,, Zug, Freiburg, Solothurn, Appenzell I.-Rh., Wallis uod Neuenburgf in dieser Beziehung wenig oder nichts zu thun und sich ganz auf den Bund zu verlassen.

Erwägt man nun diese vier näher erörterten Momente und sieht man ganz davon ab, daß das deutsche Bundesblatt gegenwärtig in 2020. das französische in 945 Exemplaren ausgegeben wird, so scheint in der That kein Grund vorzuliegen, sieh so, wie es in der vorerwähnten Eingabe geschieht, über die mangelhafte Veröffentlichung der Bundesgesezgebung zu beklagen, während doch festgestellt ist, daß die Verbreitung derselben vom Bunde aus in vielen Tausenden von Exemplaren und in 17 kantonalen Amtsblättern geschieht, deren Abnehmerzahl wir freilich nicht näher anzugeben vermögen, die aber, Alles zusammengenommen, jedenfalls eine sehr erhebliche sein muß.

Nach obiger, vielleicht schon etwas zu weitläufiger Darstellung haben wir wohl kaum noch spezieller -zu erörtern, daß wir den Antrag der Petenten: es sollen die eidg. Geseze den sämmtlichen Gemeindebeamten zugestellt werden, im Interesse der Sache als den verkehrtesten Weg betrachten, der nur irgend eingeschlagen werden könnte. Bedenkt man den fortwährenden Wechsel in den Personen jener Beamten, bedenkt man ferner, wie wenig geneigt und bereit diese Beamten wären, den einzelnen Bürgern beliebig einen Einblik in ihre Gesezsammlung zu gestatten, bedenkt man endlich, wie eine Kontrole über die Vollständigkeit dieser Sammlungen und eine Haftbarmachung dafür geradezu in das Reich der Unmöglichkeit gehörte, so wird man unschwer zu der Ueberzeugung gelangen, daß der angerathene Weg zu einer ungeheuren Geldverschleuderung führen müßte, ohne daß dadurch den Bedürfnissen des Bürgers, also dem eigentlichen Ziele, das man im Auge hat, ein nennenswerther Vorschub geleistet werden könnte.

hat die Regierung von Zürich vom Militärpflichtersazsteuergesez circa 72,000 Exemplare von sich aus für die Stimmberechtigten im Kanton Zürich druken und vertheilen lassen.

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Der eigentliche Ort, wo die Geseze angesammelt und zur Verfügung des Bürgers gehalten werden können, sind allein die Gemeindekanzleien, und es ist um so mehr Sache der Kantone, dieselben so zu organisiren, daß sie billigen Wünschen zu entsprechen vermögen, weil ihnen, so weit es die Bundesgesezgebung anlangt, die zur guten Organisation erforderlichen Mittel vom Bunde an die Hand gegeben werden und schon seit Jahrzehnten zur Verfügung gestellt worden sind.

Die Eingabe vom 29. März folgt hier zurük.

Mit vollkommener Hochachtung!

B e r n , den 11. April 1876.

Der K a n z l e r der Eidgenossenschaft, Schiess.

N o t e . Am 15. April 1876 hat der Bundesrath den vorstehenden Besicht genehmigt und dessen Veröffentlichung im Bundesblatt angeordnet.

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22.04.1876

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