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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die neue Verfassung des Kantons Appenzell AusserRhoden.

(Vom 10. November 1876.)

Tit. !

Mit Zuschrift vom 16. Oktober d. J. haben Landammann und Standeskommission des Kantons Appenzell A./Rh. uns zur Kenntniß gebracht, daß die Landsgemeinde dieses Kantons am 15. gl. Mts.

in einer außerordentlichen Versammlung in Trogen den ihr vorgelegten Entwurf einer V e r f a s s u n g für den K a n t o n A p p e n zell A. R h., wie derselbe aus den Berathungen des Revisionsrathes hervorgegangen, a n g e n o m m e n habe, in dem Sinne, daß diese Verfassung mit der nächsten ordentlichen Landsgemeinde, d. h. mit dem 29. April 1877.in Kraft treten soll.

Gleichzeitig stellte die genannte Regierung das Gesuch an uns, daß wir diese neue Verfassung in der nächsten Dezembersession Ihnen vorlegen und die in Art. 6 der Bundesverfassung vorgeschriebene Gewährleistung des Bundes für dieselbe veranlaßen möchten.

Diese neue Verfassung ist dem Bestreben entsprangen, die konstitutionellen Zustände, wie sie jezt gemäß der Verfassung vom 3. Oktober 1858 im Kanton Appenzell A. Rh. bestehen, zunächst den Vorschriften der neuen Bundesverfassung anzupassen und sodann denjenigen Ideen gerecht zu werden, welche in neuerer Zeit auf verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens allmälig zur Anerkennung gelangen.

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Ein erster Entwurf wurde am 30. April 1876 von der Landsgemeinde verworfen. Der Revisionsrath sah sich daher genöthigt, denselben in einigen Punkten, welche jedoch nicht auf Grundsäze der Bundesverfassung sich beziehen, zu modifiziren. Der zweite Entwurf wurde dann in der vorliegenden Gestalt zur Verfassung erhoben.

Wir haben diese Verfassung geprüft und nichts in derselben gefunden, was mit den Vorschriften der neuen Bundesverfassung im Widerspruche wäre. Wir können uns daher auf wenige Bemerkungen beschränken.

Ein erster Theil enthält ^Allgemeine Bestimmungen", worin zunächst der Kanton Appenzeü A./Rh. als demokratischer Freistaat erklärt ist, in welchem das Volk seine Souveränetät, soweit sie nicht durch die Bundesverfassung und durch seine eigene Kantonsverfassung beschränkt wird, an der Landsgemeinde ausübt.

Sodann werden die politischen und persönlichen Rechte der Bürger aufgezählt und im Uebrigen (Art. 21) sämmtliche von der Bundesverfassung aufgestellten allgemeinen Rechte auch für die kantonale Verfassung gültig erklärt. Im Einzelnen müssen wir hervorheben, daß in Art. 10 den ,, K a n t o n s e i n \ v o h n e r n a das Vereinsrecht garantirt wird. Der Art. 56 der Bundesverfassung garantirt aber dasselbe Recht in einem allgemeinern Sinne den ,,B ü r g e r n.a Es dürfen daher auch Angehörige oder Einwohner anderer Kantone einem Außerrhodenschen Vereine angehören. Nach Art. 11 und 22 soll künftig die bürgerliche und politische Volljährigkeit mit dem zurükgelegten zwanzigsten Altersjahre- eintreten, während nach der bisherigen Verfassung das Stimmrecht an der Landsgemeinde schon nach dem zurükgelegten achtzehnten Altersjahr erworben wurde.

Diejenigen, welche stimmberechtigt waren, sollen jedoch das Stimmrecht nicht verlieren, sondern gemäß Art. 3 der Uebergangsbestimmungen auch dann im Genüsse desselben verbleiben, wenn sie beim Inkrafttreten der neuen Verfassung noch nicht zwanzig Jahre alt sind. Indeß bleibt hier daran zu erinnern, daß nach Art. 64 der Bundesverfassung die Vorschriften bezüglich der persönlichen Handlungsfähigkeit der Gesezgebung des Bundes vorbehalten sind und daher allein maßgebend werden, so bald der Bund von diesem Rechte Gebrauch gemacht haben wird. Wenn durch Art. 11 in der angeführten Richtung das politische Stimmrecht etwas eingeschränkt wurde, so ist es hinwieder
von einer andern Schranke befreit worden. Nach Art. l der alten Verfassung konnten nämlich nur diejenigen Landleute und niedergelassenen Schweizerbürger an der Landsgemeinde Theil nehmen, welche den Religionsunterricht genossen hatten. Diese Bestimmung ist zwar selbstverständlich schon in Folge der Bundesverfassung von 1874 weggefallen, ßuudesblatt. 28. Jahrg. Bd. IV.

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aber sie ist jezt auch in der neuen Kantonsverfassung gestrichen worden. An der Landsgemeiade haben künftig alle stimmberechtigten Landes-Einwohner Zutritt und es ist durch Art. 27 das Erscheinen und die Theilnahme an derselben bis zum Schlüsse als Bürgerpflicht erklärt.

In Art. 14 begegnen wir einer Bestimmung, die zwar dem Prinzipe nach auch schon in einigen andern Kantonen besteht, aber überall, wo sie zur Anerkennung kommt, um so mehr zu begrüßen ist, als dadurch die allgemeine Einführung der Freizügigkeit der Bürger, die im schweizerischen Staatsrechte noch nicht zur Geltung kommen konnte, vorbereitet wird. Lemma 3 von Art. 14 bestimmt nämlich, daß K a n t o n s b ü r g e r , welche ohne Unterbrechung seit wenigstens 5 Jahren in einer und derselben Gemeinde des Landes gewohnt, Anspruch haben auf unentgeltliche Aufnahme in das Bürgerrecht derselben. Der Umstand, daß dieses Recht nicht den S c h w e i z e r b ü r g e r n im Allgemeinen gewährt wird, kann keine Bedenken erregen, weil die Bundesverfassung keine Vorschriften über den Erwerb eines Kantonsbürgerrechtes enthält und die vorliegende Verfassung in dieser Beziehung keinerlei Beschränkungen aufstellt.

Der Grundsaz der Trennung der Gewalten war in der Verfassung von 1858 noch nicht zur Anerkennung gelangt. Art. 20 der neuen Verfassung erklärt nun, daß die administrative von der richterlichen Gewalt grundsäzlich getrennt sein soll, und in der Ausführung ist dieser Vorschrift im Wesentlichen genügt worden.

Der zweite Theil behandelt im Speziellen die politischen Rechte der Bürger und das aktive und passive Wahlrecht. In dieser Beziehung ist außer dem schon Gesagten noch hervorzuheben, daß die niedergelassenen Schweizerbürger in kantonalen und Gemeindeangelegenheitea das Stimmrecht sofort erwerben. Hinsichtlich der Stimmberechtigung der Aufenthalter und des Ausschlusses vom Stimmrechte sind die nähern Bestimmungen der Gesezgebung vorbehalten. Inzwischen haben nach Art. 3 der Uebergangsbestimmungen die Aufenthalter in kantonalen und · Gemeindeangelegenheiten nach einem Wohnsiz von sechs Monaten auch Stimmrecht.

Diesen liberalen Vorschriften über das Stimmrecht steht dann die in Art. 24 aufgestellte Verpflichtung zur Uebernahme von kantonalen und Gemeindebeamtungen zur Seite. Indeß ist dieser sogen.

Amtszwang gegenüber den Vorschriften der
alten Verfassung wesentlich gemildert worden, indem nach sechsjähriger Amtsdauer eine Wiederwahl abgelehnt werden kann. Ebenso entbindet das zurükgelegte 60. Altersjahr von der Verpflichtung zur Uebernahme einer Beamtung. Auch findet auf Beamtungen mit einem festen Gehalt der Amtszwang keine Anwendung. -- Für das Mitglied des

175 schweizerischen Ständerathes wird in Art. 25 die gleiche Wahlart und die nämliche Amtsdauer, wie sie für die Mitglieder des Nationalrathes bestehen, eingeführt.

Der dritte Abschnitt behandelt die Organisation und Befugnisse der öffentlichen Gewalten. Der Natur der Sache nach entzieht sich der größte Theil der bezüglichen Vorschriften der Cognition der Bundesbehörden. Indeß glauben wir folgende Punkte hervorheben zu sollen: Nach Art. 27 müssen auch wichtigere Verträge von allgemein verbindlicher Natur der Landsgemeinde zur BeO O stätigung vorgelegt werden. Wir nehmen als selbstverständlich an, daß hierunter nur solche Verträge verstanden seien, welche nach Art. 7 und 9 deFBundesverfassung in der Kompetenz der Kantone liegen und deren Abschluß allein durch Art. 28, Ziffer 4, in die ' Befugnisse des Kantonsrathes gelegt ist. -- Der Grundsaz der verhältnißmäßigen Repräsentation des Volkes im Kantonsrath hat in Art. 28 die gleiche Anwendung gefunden wie früher. Es ist nämlich die Vorschrift der Verfassung von 1858 beibehalten worden, wonach die Mitglieder des Kantonsrathes Abgeordnete der Gemeinden sind. Um nun jeder Gemeinde wenigstens eineil Repräsentanten zu geben, wurde festgestellt, daß auf je 1000 Einwohner und darunter l Mitglied, auf 1001 bis 2000 Einwohner 2 Mitglieder u. s. w.

zu wählen seien. Dieses System hat nothwendig eine gewisse Ungleichheit in der Repräsentation zur Folge, wie folgende Beispiele beweisen : Die Gemeinde Lutzenberg mit 1073 Einwohnern wählt 2 Mitglieder.

Wald ,, 1482 ,, ,, 2 also wählen Die Gemeinde Trogen dagegen Ferner: Walzenhausen mit Rehtobel ,,

2555 Einwohner 4 Mitglieder.

mit 2912 Einwohnern wählt nur 3 Mitgl.

2235 Einwohnern wählt 3 Mitglieder.

2321 ,, ,, 3 ,,

4556 Einwohner wählen 6 Mitglieder.

Teufen dagegen mit 4765 Einwohnern wählt nur 5 Mitglieder.

Es scheint uns gleichwohl, daß gegen dieses System nichts eingewendet werden könne, weil die Eintheilung der Wahlkreise und die Aufstellung der Verhältnißzahl innerhalb des Gh-undsazes der möglichst gleichmäßigen Repräsentation des Volkes Sache der Kantone ist, also ein Widerspruch mit der Bundesverfassung nicht vorliegt.

Durch Ziffer 5 von Art. 28 wird der ,,Entscheid darüber, ,,ob Namens des Kantons Appenzell der Aeußere Rhoden in An,,wendung der Bundesverfassung eine außerordentliche Sizung der

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,,Bundesversammlung (Art. 86), oder gegenüber einem Bundesgeseze ,,oder Bundesbeschlusse eine Volksabstimmung verlangt (Art. 89), ,,oder ob von dem Vorschlagsrechte (der Initiative, Art. 93) G-e,,brauch gemacht werden wolle,"1 in die Befugniß des Kantonsrathes gelegt. Die Bundesverfassung enthält keine Vorschrift, durch welches Organ und in welcher Form die Kantone die ihnen zustehenden Begehren erwähnter Art an den Bund machen können.

In den Art. 30 und 41 begrüßen wir noch zwei Bestimmungen, die von demselben liberalen Geiste Zeugniß geben, welchem das ganze Revisionswerk seine Entstehung verdankte. -- Gegenüber dem bis jezt bestandenen absoluten Verbot der Advokaten in Streitigkeiten zwischen Kantonseinwohnern, wird nun in Art. 30 das Recht der freien Verbeiständung vor den Gerichten grundsäzlich gewährleistet. Advokaten sind jedoch nur in denjenigen Prozessen zuläßig, welche an das Obergericht gezogen werden können.

Diese Beschränkung hat indeß sehr wenig Bedeutung, da die Apellation im Kanton Appenzell A./Rh. in hohem Grade erleichtert ist.

-- Der Art. 41 enthält die nachahmenswerte Vorschrift: ,,Es darf kein Bürgernuzen ausgetheilt werden, so lange in einer Gemeinde Steuern für Gemeindezweke bezogen werden/ Der übrige Inhalt dieser Verfassung gibt uns keinen Anlaß zu weitern Bemerkungen. Wir heben bloß noch hervor, daß nach Art. 45 die Abänderung derselben und zwar sowohl durch eine theilweise, als auch durch eine Gesammtrevision jederzeit durch das Volk an der Landsgemeinde beschlossen werden kann.

Wir empfehlen Ihnen daher die Gewährleistung der neuen Verfassung des Kantons Appenzell A./Rh. mittelst Annahme des nachfolgenden Entwurfes zu einem bezüglichen Bundesbeschlusse.

Genehmigen Sie, Tit.!, die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 10. November 1876.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundes präsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schiess.

177 (Entwurf)

. . / . . .

Bundesbeschluss betreffend

'

"

die eidgenössische Gewährleistung der neuen Verfassung des Kantons Appenzell A. Rh. vom 15. Oktober 1876.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Berichtes und Antrages des Bundesrathes vom 10. November 1876 · über die Verfassung für den Kanton A-ppenzell A. Rh. vom 15. Oktober 1876, in Er w ägung: daß diese Verfassung in der 'Landsgemeinde vom 15. Oktober 1876 von der Mehrheit des stimmenden Volkes des Kantons Appenzell A. Rh. angenommen worden ist, und revidirt werden kann, wenn die Mehrheit der Stimmenden es verlangt; daß die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen Formen durch diese Verfassung gesichert ist; daß diese Verfassung im Uebrigen nichts enthält, was den Vorschriften der Bundesverfassung zuwider wäre; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, b e s c h l i eßt: 1. Der Verfassung für den Kanton Appenzell A. Rh. vom 15. Oktober 1876 wird die bundesgemäße Garantie ertheilt.

2. Der Bundesrath wird mit der weitern Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Uebersicht der

bei der eidgenössischen Staatskasse zu Gunsten der Wasserbeschädigten in der Schweiz eingegangenen Liebesgaben in Geld.

(Forfsezung)

Total der bis zum 9. November 1876 eingegangenen Baarsendungen .

/ . Fr. 1,065,973. 23 Geber.

425. Société française de bienfaisance in Basel, (3. Sendung) 426. Departement des Innern des Kantons Waadt (Saldo der im dortigen Kanton für die Wasserbeschädigten in der Schweiz angeordneten Sammlung, 4. Sendung) .

.

427. Schweiz. Konsulat in Sidney (Australien, Kollekte unter den dortigen Schweizern) 428. Berner Intelligenzblatt (Subskription, 4. Sendung 429. 30 schweizerische Ingenieure und Betriebsbeamte der europäisch-türkischen Eisenbahnen (Sendung aus Konstantinopel von H. Müller-Fröhlich aus dem Kanton Zürich) 430. Charles Bugnion in Lausanne (von einem Anonymus) .

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.

.

.

431. Grütliverein in Chaux-de-Fonds (Ertrag einer Abendunterhaltung) .

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.

432. Professor Henri Tardent in Nicolaieff (Rußland), Kollekte von Schweizern in der schweizerischen Kolonie C h a b a g, an den Ufern des Dniester .

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.

.

433. Komite der Schweizer in Lima und Callao (Peru), Kollekte Total bis zum 16. November 1876

,,

181. --

,,

92. 75

^

1,506. --

,,

13. --

,,

1,200. --

.

100. --

,,

20. --

,,

273. --

,,

6,628. 65

Fr. 1,075,9^7. 63

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Summarische Uebersicht der

E i n - , A u s - und D u r c h f u h r in der Schweiz im Monat Oktober 1876 und 1875.

(Mit Angabe der wichtigsten Artikel dieses Verkehrs.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die neue Verfassung des Kantons Appenzell Ausser-Rhoden. (Vom 10. November 1876.)

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1876

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50

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18.11.1876

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172-179

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